Rainer Zufall
Mitglied
Das Zeitreiseexperiment (überarbeitet)
Damian Darrosch war den kurvenreichen Weg zu Fuß gegangen. Es sollte der letzte Test sein, um zu überprüfen, was er geschaffen hatte. Er erreichte nun das letzte Hinweisschild zu Burg Hollebell. Dort hatte er ein Zeitportal eingerichtet. Den Impulsgeber hielt er in der Hand. Er aktivierte ihn und setzte den Weg fort. Ein kurzes Aufblitzen, als er das Portal passierte.
Noch verdeckten die dichten Büsche den Blick, doch nach wenigen Metern machte der Weg einen scharfen Knick nach rechts, dann sah man das strahlende Banner mit dem Namen des Anwesens. Und fünfzig Meter weiter, hinter dem folgenden Knick nach links, war aus dem alten, grauen Gemäuer ein prächtiges Schloss geworden, das es einst gewesen sein mochte.
Damian Darrosch war zufrieden, denn auch seine Kleidung hatte sich gemäß den Einstellungen der gewünschten Epoche angepasst, als er die Türschwelle des Schlosses passierte.
Katharina Belforte leitete erstmals eine Auktion. Sie rief das nächste Versteigerungsobjekt auf. Es war ein Rolls-Royce Phantom VI, Baujahr 1969, goldfarbene Speichenfelgen, Weißwandreifen, die Seiten von unten her bis zur Zierfalz goldfarben, der gesamte Rest perlmuttfarben, walnussfarbenes Lederinterieur, Rechtslenker. Einstiegsgebot 100.000 Euro.
Damian Darrosch saß im Bietersaal. Den muss ich haben, dachte er. Aber auch die Dame am Auktionatorpult gefiel ihm außerordentlich.
Den Zuschlag erhielt er bei 175.000 Euro. Am nächsten Morgen konnte er den Wagen abholen.
Mit einem strahlenden Lächeln betrat er das Büro. „Einen wunderschönen guten Morgen, Verehrteste. Damian Darrosch mein Name. Ich wollte meinen Rolls abholen.“
Katharina Belforte schaute kurz auf. „Guten Tag. Ich warte noch auf die Bestätigung, dass ihr Scheck eingelöst wurde.“
Er kam näher, schaute auf das Namensschild, das auf dem Tisch stand, und schmunzelte. „Katharina! Was für ein großartiger, ja stolzer Name.“
Sie lächelte nur kühl, ging nicht auf seine Avancen ein. Dann kam die Bestätigung, auf die sie gewartet hatte. Sie griff zum Telefon. „Ja, der Herr Darrosch wäre jetzt da.“
Damian verzog das Gesicht. „Oh, warum führen Sie mich nicht zu meiner Neuerwerbung? Das ist bedauerlich, meine Liebe.“
Ein Mann gehobenen Alters kam aus seinem Büro nebenan. „Herr Darrosch. Ich freue mich, Sie erneut bei uns begrüßen zu dürfen. Wie weit sind Ihre Bemühungen, aus dem alten Gemäuer wieder ein ansehnliches Ausflugsziel zu machen, gediehen?“
"Sie meinen die Burg Hollebell, ja? Oh, das wird gewiss noch ein wenig dauern. In einem Jahr kann man aus einer halben Ruine kein strahlendes Schloss machen", verkündete er mit einem strahlenden Lächeln. "Aber es geht voran. Es soll schließlich kein gewöhnliches Schloss werden. Vielleicht kann ich dem Stadtbild bis dahin mit meinem neuen Auto ein wenig Glanz verleihen." Und wieder setzte Damian dieses strahlende Lächeln auf.
"Ja, das Auto. Wenn Sie mir bitte folgen wollen."
Bevor er dem Herrn nachging, verabschiedete er sich noch mit einer angedeuteten Verbeugung von Katharina: „Habe die Ehre, Teuerste.“
Katharina verdrehte die Augen. Für wen hält der sich eigentlich?
Katharina Belforte machte um halb sechs Feierabend. Sie ging kurz nach nebenan in das Büro des Chefs, um ihm mitzuteilen, dass sie nun das Haus verlassen wolle.
Es war ein sommerlich warmer Tag im August. Sie grüßte den Pförtner, wünschte einen schönen Abend und trat hinaus. Ein Rolls-Royce Phantom VI stand vor dem Haus, genau der, den sie gestern versteigert hatte. Und der neue Eigentümer stieg aus und trat an die junge Frau heran: „Verehrte Katharina. Darf ich Sie an meinem Arm zum Einstieg geleiten?“
Sie antwortete kühl: „Sie wollen mich wohl eher auf den Arm nehmen, was?“
Er reagierte mit einem verwegenen Lächeln. „Wenn Sie es wünschen, dann trage ich Sie auch auf meinen Armen um den Wagen herum zu ihrem Platz.“
Katharina war perplex. Aber sie wollte nicht klein beigeben. „Herr Darrosch, was erlauben Sie sich bitte? Auf den Gedanken, dass ich längst vergeben sein könnte und auf dem Weg zu einer entsprechenden Verabredung wäre, wollten Sie wohl gar nicht kommen, was?“
„Ich würde es außerordentlich bedauern, Verehrteste.“ Erneut hofierte er die Dame und bot ihr seinen Arm, um sie um das Fahrzeug herum führen zu dürfen, da der Rolls das Lenkrad standesgemäß natürlich auf der rechten Seite hatte.
„Sie sind ein unverschämter Charmeur, Herr Darrosch.“
„Oh, bitte, Katharina, nennen Sie mich doch bitte beim Vornamen. Damian, bitte, verehrte Katharina.“
„Sie bringen es fertig und bringen Eis mit ihren Worten zum Schmelzen. Dreimal 'bitte' in so wenigen Worten.“ Oh, mein Gott, dachte sie dann, jetzt schmier ich ihm auch noch Honig ums Maul.
Er führte ihren Satz, garniert mit einem hoffnungsvollen Blick, weiter. „... und Sie schmelzen dahin.“
„Oh, nein! Ganz gewiss nicht!“, wies sie ihn brüsk zurück.
„Teuerste Katharina, ich hatte auch nicht die Absicht, Sie gleich am ersten Abend zu verführen.“
„Unterstehen Sie sich!“ Eine falsche Bewegung, und er kriegt eine gescheuert, dachte sie.
Damian Darrosch war der perfekte Gentleman. Er reichte ihr den Arm und geleitete sie zur linken Fahrzeugseite, öffnete die Tür und bat Katharina hinein.
„Wo wollen wir denn hinfahren?“
„Auf mein Schloss, meine Liebe.“
„Diese Straße führt doch nur zu dieser alten Burg hinauf.“
„Diese Burg war einst ein wundervolles Schloss. Es mag von außen nicht so aussehen, aber bald wird das wieder so sein. Wie Sie wissen, habe ich diesen Berg im letzten Jahr gekauft.“
„Ach, ja, richtig. Jetzt weiß ich, woher mir ihr Name dunkel bekannt vorkam.“
„Erlauben Sie, dass ich starte?“
Sie schaute ihn erstaunt an. „Okay, aber bilden Sie sich nichts darauf ein. Ist das klar?“
„Oh, Teuerste, glauben Sie wirklich, ich ...“
Sie unterbrach ihn etwas grob: „Ja!“
Damian verstummte und konzentrierte sich auf die Fahrt. Aber trotzdem lässt sie sich drauf ein, dachte er vergnügt.
Der Wagen passierte das letzte Hinweisschild – dann ein kurzes Aufblitzen - und stoppte fünfzig Meter weiter nach einem engen Bogen vor dem Portal der Burg, die jetzt bereits zum Schloss mutiert war. Der farbige Rahmen wirkte frisch heraus geputzt. Der Name des Anwesens war deutlich lesbar.
Katharina spürte, dass sie weiche Knie bekam, doch sie wollte sich nichts anmerken lassen.
Dann war das Ziel erreicht. Damian stieg aus, ging um das Fahrzeug herum, öffnete die Tür und reichte Katharina die Hand, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein.
Dankbar nahm sie diese Stütze an. „Oh, Damian, Sie verwöhnen mich. Aber ich lasse mich nicht verführen. Das können Sie gleich vergessen.“
„Wo denken Sie hin, teuerste Katharina? Etwas Derartiges habe ich heute gar nicht im Sinn. Aber ich möchte Sie gerne überraschen.“
„Das ist Ihnen sicher schon gelungen, aber ...“
„Warten Sie ab, bis wir eingetreten sind.“
Er führte seine Dame zum Eingang, ergriff den Türklopfer und schlug gegen die Holzplatte. Nur Sekunden später öffnete ein Butler die Tür, und Damian konnte Katharina hinein führen. „Jetzt bitte nicht erschrecken“, bat er eindringlich und hielt ihre Hand etwas fester.
„Um Himmels Willen, was ist denn das?“ Katharina wusste nicht, ob sie begeistert oder entsetzt sein sollte.
Vor ihnen tat sich ein Ballsaal auf, der reich geschmückt war, in dem sich schon gut ein Dutzend Paare tanzend tummelten, Menschen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Und die Musik, zu der getanzt wurde, klang sehr fremd, ebenso waren es die Kleider der Leute. Wie aus einer längst vergangenen Zeit. Und Katharina stand mittendrin, konnte es kaum fassen.
Erst jetzt realisierte sie, dass sich auch ihr Äußeres verändert hatte. Sie gab einen schrillen Schrei von sich. „Was passiert hier? Was soll das? Wie komme ich zu diesem Kleid?“
„Ein Blick in die Vergangenheit, verehrte Katharina.“
"Ich verstehe nicht. Wie komme ich in dieses Kleid? Es ..." Sie zupft ein wenig am Ärmel und am Rock. "Es ist schön, aber ..."
"Es besteht kein Grund zur Sorge, Teuerste. Es ist alles echt und doch Illusion."
Was für eine schöne Illusion, dachte sie. „Welche Epoche, welches Jahr haben wir? Ich meine, hier zu diesem Fest, das Sie mir hier vorgaukeln wollen.“
„1802, meine Liebe.“
Katharina lachte. „Und wo ist Napoleon? Ist der auch eingeladen?“
„Er lässt sich entschuldigen. Er ist vor wenigen Augenblicken fort gegangen. Vielleicht kommt er am späten Abend noch einmal zurück.“
Wieder lachte sie, denn sie glaubte, Damian hätte ebenfalls einen Scherz gemacht.
„Darf ich Sie zum Tanz auffordern, meine Liebe?“
„Oh, ich fürchte, ich beherrsche diese alten Tänze nicht. Darum würde ich mich lieber noch ein wenig umschauen, wenn Sie erlauben.“
„Ich kann Ihnen natürlich gerne die Räumlichkeiten zeigen.“
„Das klingt gut. Gehen wir?“
Sie gingen die große Freitreppe hinauf, die in einem sanften Bogen die fünf Meter Höhe zur oberen Etage überbrückte.
Drei große Räume hatten sie besichtigen können, bevor sie das erste von insgesamt sieben Schlafzimmern erreichten.
„Das ist ja atemberaubend schön!“ Katharina bestaunte das riesige Himmelbett ganz in weiß. „Aber glauben Sie mal nicht, dass ich deswegen schwach werde.“
„Oh, ich kann mich nur wiederholen, Teuerste. Heute hatte ich so etwas gewiss nicht im Sinn.“
„Heute?“, rief sie erregt. „Glauben Sie bloß nicht … Wagen Sie es nicht!“ Ihre Stimme schwankte. Sie war sicher, dass er sie nur einlullen wollte, um sie bei nächster Gelegenheit zu verführen. Aber sie wollte seinem Werben widerstehen.
„Sie sind eine außerordentlich intelligente Frau, verehrte Katharina. Aber werte Katharina, Sie enttäuschen mich. Ich hatte nichts Anstößiges im Sinn. Ich erweise Ihnen nur die Ehre, die einer schönen Frau gebührt.“
„Tut mir leid, aber das ist mir ein wenig zu dick aufgetragen. Ich fand diesen Ausflug sehr amüsant, aber machen Sie sich lieber keine Hoffnungen, mich überzeugen zu können. Ich lasse mich nicht um den Finger wickeln.“
„Oh, liebste Katharina ...“
„Das geht zu weit, guter Mann!“
Damian versuchte sie wieder versöhnlich zu stimmen. „Entschuldigen Sie bitte. Genießen Sie doch einfach diesen Abend.“
„Dann gehen wir vielleicht wieder hinunter und schauen uns die Tänze an. Vielleicht ist Napoleon ja jetzt auch wieder da“, meinte sie mit einem albernen Lachen, weil sie sicher war, dass das nicht möglich sein könne.
„Wenn das Ihr Wunsch, meine Verehrte.“
Mit strafendem Blick sah sie ihn an und ließ sich an seinem Arm hinunter führen.
Eine Weile bewunderten sie das bunte Treiben.
Katharina hatte nicht bemerkt, dass sich ein eher kleiner Mann von der Seite genähert hatte, der sie nun mit einem extrem französischen Akzent ansprach: „Mademoiselle Katharina Belforte, ich bin erfreut, Sie kennen lernen zu dürfen.“
Erschrocken drehte sich Katharina um. Da stand tatsächlich Napoleon Bonaparte vor ihr. Nein! Das konnte ja gar nicht sein, aber er stellte sich trotzdem genau so vor. Aber Katharina fragte sich dann, woher dieser Herr ihren Namen kennen konnte.
Der seltsame Franzose wurde von einem anderen Herrn angesprochen und gebeten, ihn zu begleiten. Aber warum hatte der andere diesen Napoleon mit Konsul angesprochen? War das seinerzeit nicht der tatsächliche Titel des echten Bonaparte?
Damian durchbrach Katharinas Gedankengänge. „Verehrte Katharina, bei der ersten Verabredung unterhält man sich für gewöhnlich über persönliche, aber nicht zu intime Dinge.“
„Verabredung? Sie haben mich ja eigentlich entführt, nicht wahr?“
„Oh, verzeihen Sie. Aber es scheint ihnen dennoch Freude zu bereiten. Erzählen Sie mir ein wenig über sich.“
„Über Sie weiß ich ebenso wenig. Warum erzählen Sie nicht zuerst?“
„Was wollen Sie wissen, meine Teure?“
„Herr Darrosch!“, sagte sie streng.
Doch er besänftigt sie sofort: „Damian. Liebe Katharina, bleiben Sie doch bitte bei Damian.“
„Es war bisher ein sehr schöner Abend, Herr Darrosch. Damian ... Vielen Dank, aber ...“
„Ich habe zu danken für ihre bezaubernde Gesellschaft“, warf er unverzüglich ein. Dann entschuldigte er sich dafür, sie unterbrochen zu haben.
Sie schüttelte den Kopf, aber ein kleines Schmunzeln konnte sie dann doch nicht unterdrücken. Irgendwie fühlte sie sich trotzdem geschmeichelt.
Damian erzählte ein paar Dinge aus seinem Leben, durchaus auch von seinen wissenschaftlichen Arbeiten, beließ es aber bei Andeutungen, was das Zeitreisen betraf.
Nun wagte auch Katharina, ein wenig aus sich heraus zu gehen, aber sie war nicht gewillt, diesem Aufschneider, für den sie Damian Darrosch hielt, mehr als nötig aus ihrem Privatleben preiszugeben. Und doch entspann sich eine reizvolle Unterhaltung. Das reichhaltige Buffet, das dargeboten wurde, trug ebenso zur guten Laune bei. Gegen Mitternacht bat Katharina darum, nach Hause gebracht zu werden. Keine halbe Stunde später stoppte Damian den Wagen vor ihrer Haustür.
„Das war ein sehr schönen Abend, Herr Darrosch. Auch wenn ich noch nicht so ganz weiß, was Sie im Schilde führen. Ja, doch, ich kann es erahnen, aber ...“
„Ich wage fast, keinen Hehl mehr aus meinem Begehren zu machen, verehrte Katharina. Sie sind eine wunderschöne und äußerst intelligente Frau im besten Alter. Ich denke, wir würden ein vorzügliches Paar abgeben.“ Das war gewagt, wusste Damian, aber er wollte nicht mehr um den heißen Brei herumreden.
„Herr Darrosch!“, wies sie ihn wütend in die Schranken. „Das geht entschieden zu weit!“
„Oh, verehrte Katharina, ich bin untröstlich.“
„Das geht mir zu weit. Sie sind ein Fremder für mich. Und so leicht bin ich nicht zu haben. Das möchte ich einmal klarstellen, bitte.“
„Sie beschämen mich, Teuerste. Aber erlauben Sie mir trotzdem, Sie weiterhin Katharina nennen zu dürfen. Bitte“, flehte er mit schmachtendem Blick.
Als er aussteigen wollte, um ihr als perfekter Gentleman die Tür zu öffnen, meinte sie: „Bemühen Sie sich bitte nicht. Ich schaffe das auch allein. Gute Nacht, Herr Darrosch“, sagte sie sanft und stieg aus dem Wagen.
„Es war mir eine große Freude, ihre Gesellschaft an diesem Abend genießen zu dürfen. Gute Nacht, meine Liebe.“
Er lässt ja nicht nach mit seiner Schwärmerei, dachte sie ein wenig belustigt, drehte sich um und verschwand zügig im Haus.
Katharina konnte lange nicht einschlafen. Sie dachte über das an diesem Abend Erlebte nach. Sie glaubte an eine perfekte Illusion, eine holographische Inszenierung, die ihr jedoch zweifellos gefallen hatte.
Am nächsten Morgen studierte sie gerade die Post, da kam Damian Darrosch herein.
„Einen wunderschönen guten Morgen, Verehrteste. Wie kann ich ihnen den Tag versüßen?“
Sie lächelte ihn kühl an. „Verschaukeln Sie mich nicht. Aber ich möchte jetzt auch keine boshafte Äußerung machen, ja? Was machen Sie hier?“
„Haben Sie denn süß geträumt, meine Liebe?“
Katharina dachte nach. Ihre Augen schmerzten ein wenig. Und dann erinnerte sie sich. „Was war das für ein Aufblitzen, als wir gestern zu ihrem Schloss hinauf gefahren waren?“
„Das waren gewiss die Sonnenstrahlen, die sich irgendwo reflektierten, Verehrteste. Was sollte es denn sonst sein?“
Doch sie überführte ihn der Flunkerei. „Und bei der Rückfahrt dann wieder? Da war es bereits dunkel.“
Jetzt war Damian gefordert. Katharina war eine kluge Frau, würde sich nicht so leicht hinters Licht führen lassen. „Sie werden es nicht glauben, aber das geschieht immer, wenn ich durch das Portal fahre. Erst dann wird aus dem alten Gemäuer dieses herrliche Schloss. Es ist nur eine Illusion.“
Katharina schaute ihn wütend an. „Ich glaube Ihnen in der Tat kein Wort!“
„Aber unser gestriges Erlebnis dort war keine Illusion. Das war real, liebe Katharina.“
„Ich wage auch das zu bezweifeln.“
„Dann kann es nur ein wundervoller Traum gewesen sein. Ein Traum, der sich gerne wiederholen dürfte.“
Katharina fühlte sich bedrängt. „Was wollen Sie?“, schrie sie ihn an.
Statt einer Antwort schenkte Damian ihr einen liebevollen Blick, ein sanftes Schmunzeln und einen leisen Seufzer.
Der Kerl ist doch völlig durchgeknallt, dachte Katharina. Und doch gestand sie sich ein, dass der gestrige Abend ein schönes Erlebnis gewesen war. Seine Augen waren unvermindert auf sie gerichtet, suchten die ihren, die sie jedoch immer wieder abwand, weil sie nach weiteren Ausflüchten suchte, um ihn zu entmutigen. Es gelang ihr nicht.
„In welcher Epoche würden Sie heute Abend mit mir ausgehen wollen, verehrte Katharina?“
Sie sprang jedoch auf und stürmte in das Büro nebenan, schlug die Tür hinter sich zu und kämpfte mit den Tränen.
„Katharina, mein Kind. Was ist mit dir?“
„Papa, ich weiß nicht, was ich tun soll.“
„Ist er dir zu nahe getreten? Ich habe durchaus bemerkt, dass du gestern mit ihm fortgefahren bist. Was ist passiert?“
„Ach, nichts ist passiert. Aber ich denke, er würde gerne mehr.“ Sie grübelte kurz. „Er will mehr!“, sagte sie dann grimmig.
„Und was willst du, mein Kind?“
„Er hat mich in der Tat beeindruckt. Aber ...“
„Du bist nicht dumm, Katharina. Fordere ihn heraus.“
Die junge Frau sah ihren Vater erschrocken an. „Ich soll mich auf seine Spielchen einlassen?“
„Zwinge ihm deine Bedingungen auf. Du kannst das!“
Entschlossen öffnete sie die Tür, blieb sofort im Türrahmen stehen, sah Damian streng an und rief: „Zwanziger Jahre!“
Doch Damian sah sie nur an und lächelte. „Heute Abend, gleiche Zeit?“
„Was? Ach …“ Sie wirkte überrascht. „Ja, ja, gewiss. Sie machen Witze, oder?“
Er setze das gewohnte Lächeln auf, deutete eine Verbeugung an und verschwand ohne ein Wort.
Pünktlich um halb sechs erwartete Damian seine Katharina, reichte ihr den Arm und überschüttete sie wieder mit Komplimenten. Sogar ein Vers kam ihm über die Lippen: „Wenn ich in ihre Augen schau, schöne Frau, dann fühl ich mich dem Himmel so nah.“
„Zur Hölle sollen Sie gehen, wenn Sie es wagen ...“
„Oh, Katharina. Verehrte Katharina. Ich werde Sie nicht enttäuschen. Versprochen.“
Stumm stieg sie ein. Und auch auf der Fahrt hinauf zum Schloss redeten sie nicht miteinander.
Erst, als Katharina wieder dieses Aufblitzen bemerkte, sagte sie: „Da! Da war es wieder.“
Er reagierte nicht, fuhr die letzten Meter und hielt dann vor dem Schloss an.
Als sie auf den Eingang zugingen, fragte Katharina: „Werden wir jetzt wieder in zeitgemäße Kleider gehüllt?“
„Selbstverständlich, meine Liebe. Im Innern dieses Bauwerkes wird alles so sein, wie es sich 1927 zugetragen haben könnte.“
„Wie kann das alles sein?“
„Wir machen eine Reise in die Vergangenheit, verehrte Katharina.“
„Das ist nicht möglich.“ Ganz sicher nicht, dachte sie, aber wie macht er das?
Und tatsächlich fand im Schloss ein schönes Fest statt, alles im Stile des Jahres 1927.
Auch auf der Rückfahrt bemerkte Katharina das Aufblitzen, als sie das Zeitportal passierten, sagte aber nichts. Vor ihrem Haus angekommen, ließ sie Damian diesmal gewähren und wartete, bis er ausgestiegen und herumgekommen war, die Tür öffnete und ihr die Hand reichte.
„Verehrte Katharina, Sie schenkten mir auch heute glückselige Stunden in ihrer bezaubernden Gesellschaft. Mein Herz sehnt sich nach mehr, meine Liebe. Ich kann und will es nicht mehr verbergen. Ich bin hoffnungslos in Sie verliebt.“ Dann ging er vor ihr auf die Knie.
Oh, mein Gott, dachte sie, jetzt ist alles zu spät. Was soll ich denn dazu jetzt sagen? „Damian, bitte, machen Sie sich nicht lächerlich. Stehen Sie auf.“ Sie reichte ihm ihre Hand, die er sofort ergriff und sich langsam erhob.
„Ich weiß, es gibt wenig Hoffnung, aber ...“
„Damian, bitte!“, rief sie. „Damian, das war erneut ein wundervoller Abend. Vielen Dank dafür“, fügte sie dann mit sanfter Stimme hinzu. „Aber wie ...“ Ihre Gedanken trieben plötzlich wilde Blüten. Wie, so dachte sie, soll ich mich dafür denn dankbar zeigen?
Und in diesen Gedanken hinein wagte Damian unter Auferbringung aller Kühnheit, Katharina in die Arme zu schließen und sie leidenschaftlich zu küssen, ohne sie jedoch weiter zu bedrängen, als er ihre Gegenwehr spürte.
Es kam das, was er erwartet hatte. Sie löste sich, schaute ihn wütend an und gab ihm eine Ohrfeige. Allerdings fiel diese nicht so hart aus, wie er befürchtet hatte.
Katharina drehte sich um, um zu gehen, doch dann blieb sie stehen. Sie kämpfte mit sich. Der Tod ihrer Mutter im vergangenen Jahr hatte sie gefühlsmäßig arg aus der Bahn geworfen. Sie hatte sich sehr zurückgezogen, hatte sich nur um Vater und den Job gekümmert. Doch heute ... Verdammt, dachte sie, jetzt kommt dieser Kerl daher und …
Ruckartig drehte sie sich erneut und machte zwei schnelle Schritte auf ihn zu, packte ihn vehement im Nacken und küsste ihn wild, bis sie sich erschöpft in seine Arme fallen ließ, von denen sie sicher war, dass sie sie halten würden.
Eins war klar für Katharina. Wenn sie sich ihm jetzt ergeben sollte, dann nur in einem dieser traumhaft schönen Himmelbetten im Schloss ...
Damian Darrosch war den kurvenreichen Weg zu Fuß gegangen. Es sollte der letzte Test sein, um zu überprüfen, was er geschaffen hatte. Er erreichte nun das letzte Hinweisschild zu Burg Hollebell. Dort hatte er ein Zeitportal eingerichtet. Den Impulsgeber hielt er in der Hand. Er aktivierte ihn und setzte den Weg fort. Ein kurzes Aufblitzen, als er das Portal passierte.
Noch verdeckten die dichten Büsche den Blick, doch nach wenigen Metern machte der Weg einen scharfen Knick nach rechts, dann sah man das strahlende Banner mit dem Namen des Anwesens. Und fünfzig Meter weiter, hinter dem folgenden Knick nach links, war aus dem alten, grauen Gemäuer ein prächtiges Schloss geworden, das es einst gewesen sein mochte.
Damian Darrosch war zufrieden, denn auch seine Kleidung hatte sich gemäß den Einstellungen der gewünschten Epoche angepasst, als er die Türschwelle des Schlosses passierte.
Katharina Belforte leitete erstmals eine Auktion. Sie rief das nächste Versteigerungsobjekt auf. Es war ein Rolls-Royce Phantom VI, Baujahr 1969, goldfarbene Speichenfelgen, Weißwandreifen, die Seiten von unten her bis zur Zierfalz goldfarben, der gesamte Rest perlmuttfarben, walnussfarbenes Lederinterieur, Rechtslenker. Einstiegsgebot 100.000 Euro.
Damian Darrosch saß im Bietersaal. Den muss ich haben, dachte er. Aber auch die Dame am Auktionatorpult gefiel ihm außerordentlich.
Den Zuschlag erhielt er bei 175.000 Euro. Am nächsten Morgen konnte er den Wagen abholen.
Mit einem strahlenden Lächeln betrat er das Büro. „Einen wunderschönen guten Morgen, Verehrteste. Damian Darrosch mein Name. Ich wollte meinen Rolls abholen.“
Katharina Belforte schaute kurz auf. „Guten Tag. Ich warte noch auf die Bestätigung, dass ihr Scheck eingelöst wurde.“
Er kam näher, schaute auf das Namensschild, das auf dem Tisch stand, und schmunzelte. „Katharina! Was für ein großartiger, ja stolzer Name.“
Sie lächelte nur kühl, ging nicht auf seine Avancen ein. Dann kam die Bestätigung, auf die sie gewartet hatte. Sie griff zum Telefon. „Ja, der Herr Darrosch wäre jetzt da.“
Damian verzog das Gesicht. „Oh, warum führen Sie mich nicht zu meiner Neuerwerbung? Das ist bedauerlich, meine Liebe.“
Ein Mann gehobenen Alters kam aus seinem Büro nebenan. „Herr Darrosch. Ich freue mich, Sie erneut bei uns begrüßen zu dürfen. Wie weit sind Ihre Bemühungen, aus dem alten Gemäuer wieder ein ansehnliches Ausflugsziel zu machen, gediehen?“
"Sie meinen die Burg Hollebell, ja? Oh, das wird gewiss noch ein wenig dauern. In einem Jahr kann man aus einer halben Ruine kein strahlendes Schloss machen", verkündete er mit einem strahlenden Lächeln. "Aber es geht voran. Es soll schließlich kein gewöhnliches Schloss werden. Vielleicht kann ich dem Stadtbild bis dahin mit meinem neuen Auto ein wenig Glanz verleihen." Und wieder setzte Damian dieses strahlende Lächeln auf.
"Ja, das Auto. Wenn Sie mir bitte folgen wollen."
Bevor er dem Herrn nachging, verabschiedete er sich noch mit einer angedeuteten Verbeugung von Katharina: „Habe die Ehre, Teuerste.“
Katharina verdrehte die Augen. Für wen hält der sich eigentlich?
Katharina Belforte machte um halb sechs Feierabend. Sie ging kurz nach nebenan in das Büro des Chefs, um ihm mitzuteilen, dass sie nun das Haus verlassen wolle.
Es war ein sommerlich warmer Tag im August. Sie grüßte den Pförtner, wünschte einen schönen Abend und trat hinaus. Ein Rolls-Royce Phantom VI stand vor dem Haus, genau der, den sie gestern versteigert hatte. Und der neue Eigentümer stieg aus und trat an die junge Frau heran: „Verehrte Katharina. Darf ich Sie an meinem Arm zum Einstieg geleiten?“
Sie antwortete kühl: „Sie wollen mich wohl eher auf den Arm nehmen, was?“
Er reagierte mit einem verwegenen Lächeln. „Wenn Sie es wünschen, dann trage ich Sie auch auf meinen Armen um den Wagen herum zu ihrem Platz.“
Katharina war perplex. Aber sie wollte nicht klein beigeben. „Herr Darrosch, was erlauben Sie sich bitte? Auf den Gedanken, dass ich längst vergeben sein könnte und auf dem Weg zu einer entsprechenden Verabredung wäre, wollten Sie wohl gar nicht kommen, was?“
„Ich würde es außerordentlich bedauern, Verehrteste.“ Erneut hofierte er die Dame und bot ihr seinen Arm, um sie um das Fahrzeug herum führen zu dürfen, da der Rolls das Lenkrad standesgemäß natürlich auf der rechten Seite hatte.
„Sie sind ein unverschämter Charmeur, Herr Darrosch.“
„Oh, bitte, Katharina, nennen Sie mich doch bitte beim Vornamen. Damian, bitte, verehrte Katharina.“
„Sie bringen es fertig und bringen Eis mit ihren Worten zum Schmelzen. Dreimal 'bitte' in so wenigen Worten.“ Oh, mein Gott, dachte sie dann, jetzt schmier ich ihm auch noch Honig ums Maul.
Er führte ihren Satz, garniert mit einem hoffnungsvollen Blick, weiter. „... und Sie schmelzen dahin.“
„Oh, nein! Ganz gewiss nicht!“, wies sie ihn brüsk zurück.
„Teuerste Katharina, ich hatte auch nicht die Absicht, Sie gleich am ersten Abend zu verführen.“
„Unterstehen Sie sich!“ Eine falsche Bewegung, und er kriegt eine gescheuert, dachte sie.
Damian Darrosch war der perfekte Gentleman. Er reichte ihr den Arm und geleitete sie zur linken Fahrzeugseite, öffnete die Tür und bat Katharina hinein.
„Wo wollen wir denn hinfahren?“
„Auf mein Schloss, meine Liebe.“
„Diese Straße führt doch nur zu dieser alten Burg hinauf.“
„Diese Burg war einst ein wundervolles Schloss. Es mag von außen nicht so aussehen, aber bald wird das wieder so sein. Wie Sie wissen, habe ich diesen Berg im letzten Jahr gekauft.“
„Ach, ja, richtig. Jetzt weiß ich, woher mir ihr Name dunkel bekannt vorkam.“
„Erlauben Sie, dass ich starte?“
Sie schaute ihn erstaunt an. „Okay, aber bilden Sie sich nichts darauf ein. Ist das klar?“
„Oh, Teuerste, glauben Sie wirklich, ich ...“
Sie unterbrach ihn etwas grob: „Ja!“
Damian verstummte und konzentrierte sich auf die Fahrt. Aber trotzdem lässt sie sich drauf ein, dachte er vergnügt.
Der Wagen passierte das letzte Hinweisschild – dann ein kurzes Aufblitzen - und stoppte fünfzig Meter weiter nach einem engen Bogen vor dem Portal der Burg, die jetzt bereits zum Schloss mutiert war. Der farbige Rahmen wirkte frisch heraus geputzt. Der Name des Anwesens war deutlich lesbar.
Katharina spürte, dass sie weiche Knie bekam, doch sie wollte sich nichts anmerken lassen.
Dann war das Ziel erreicht. Damian stieg aus, ging um das Fahrzeug herum, öffnete die Tür und reichte Katharina die Hand, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein.
Dankbar nahm sie diese Stütze an. „Oh, Damian, Sie verwöhnen mich. Aber ich lasse mich nicht verführen. Das können Sie gleich vergessen.“
„Wo denken Sie hin, teuerste Katharina? Etwas Derartiges habe ich heute gar nicht im Sinn. Aber ich möchte Sie gerne überraschen.“
„Das ist Ihnen sicher schon gelungen, aber ...“
„Warten Sie ab, bis wir eingetreten sind.“
Er führte seine Dame zum Eingang, ergriff den Türklopfer und schlug gegen die Holzplatte. Nur Sekunden später öffnete ein Butler die Tür, und Damian konnte Katharina hinein führen. „Jetzt bitte nicht erschrecken“, bat er eindringlich und hielt ihre Hand etwas fester.
„Um Himmels Willen, was ist denn das?“ Katharina wusste nicht, ob sie begeistert oder entsetzt sein sollte.
Vor ihnen tat sich ein Ballsaal auf, der reich geschmückt war, in dem sich schon gut ein Dutzend Paare tanzend tummelten, Menschen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Und die Musik, zu der getanzt wurde, klang sehr fremd, ebenso waren es die Kleider der Leute. Wie aus einer längst vergangenen Zeit. Und Katharina stand mittendrin, konnte es kaum fassen.
Erst jetzt realisierte sie, dass sich auch ihr Äußeres verändert hatte. Sie gab einen schrillen Schrei von sich. „Was passiert hier? Was soll das? Wie komme ich zu diesem Kleid?“
„Ein Blick in die Vergangenheit, verehrte Katharina.“
"Ich verstehe nicht. Wie komme ich in dieses Kleid? Es ..." Sie zupft ein wenig am Ärmel und am Rock. "Es ist schön, aber ..."
"Es besteht kein Grund zur Sorge, Teuerste. Es ist alles echt und doch Illusion."
Was für eine schöne Illusion, dachte sie. „Welche Epoche, welches Jahr haben wir? Ich meine, hier zu diesem Fest, das Sie mir hier vorgaukeln wollen.“
„1802, meine Liebe.“
Katharina lachte. „Und wo ist Napoleon? Ist der auch eingeladen?“
„Er lässt sich entschuldigen. Er ist vor wenigen Augenblicken fort gegangen. Vielleicht kommt er am späten Abend noch einmal zurück.“
Wieder lachte sie, denn sie glaubte, Damian hätte ebenfalls einen Scherz gemacht.
„Darf ich Sie zum Tanz auffordern, meine Liebe?“
„Oh, ich fürchte, ich beherrsche diese alten Tänze nicht. Darum würde ich mich lieber noch ein wenig umschauen, wenn Sie erlauben.“
„Ich kann Ihnen natürlich gerne die Räumlichkeiten zeigen.“
„Das klingt gut. Gehen wir?“
Sie gingen die große Freitreppe hinauf, die in einem sanften Bogen die fünf Meter Höhe zur oberen Etage überbrückte.
Drei große Räume hatten sie besichtigen können, bevor sie das erste von insgesamt sieben Schlafzimmern erreichten.
„Das ist ja atemberaubend schön!“ Katharina bestaunte das riesige Himmelbett ganz in weiß. „Aber glauben Sie mal nicht, dass ich deswegen schwach werde.“
„Oh, ich kann mich nur wiederholen, Teuerste. Heute hatte ich so etwas gewiss nicht im Sinn.“
„Heute?“, rief sie erregt. „Glauben Sie bloß nicht … Wagen Sie es nicht!“ Ihre Stimme schwankte. Sie war sicher, dass er sie nur einlullen wollte, um sie bei nächster Gelegenheit zu verführen. Aber sie wollte seinem Werben widerstehen.
„Sie sind eine außerordentlich intelligente Frau, verehrte Katharina. Aber werte Katharina, Sie enttäuschen mich. Ich hatte nichts Anstößiges im Sinn. Ich erweise Ihnen nur die Ehre, die einer schönen Frau gebührt.“
„Tut mir leid, aber das ist mir ein wenig zu dick aufgetragen. Ich fand diesen Ausflug sehr amüsant, aber machen Sie sich lieber keine Hoffnungen, mich überzeugen zu können. Ich lasse mich nicht um den Finger wickeln.“
„Oh, liebste Katharina ...“
„Das geht zu weit, guter Mann!“
Damian versuchte sie wieder versöhnlich zu stimmen. „Entschuldigen Sie bitte. Genießen Sie doch einfach diesen Abend.“
„Dann gehen wir vielleicht wieder hinunter und schauen uns die Tänze an. Vielleicht ist Napoleon ja jetzt auch wieder da“, meinte sie mit einem albernen Lachen, weil sie sicher war, dass das nicht möglich sein könne.
„Wenn das Ihr Wunsch, meine Verehrte.“
Mit strafendem Blick sah sie ihn an und ließ sich an seinem Arm hinunter führen.
Eine Weile bewunderten sie das bunte Treiben.
Katharina hatte nicht bemerkt, dass sich ein eher kleiner Mann von der Seite genähert hatte, der sie nun mit einem extrem französischen Akzent ansprach: „Mademoiselle Katharina Belforte, ich bin erfreut, Sie kennen lernen zu dürfen.“
Erschrocken drehte sich Katharina um. Da stand tatsächlich Napoleon Bonaparte vor ihr. Nein! Das konnte ja gar nicht sein, aber er stellte sich trotzdem genau so vor. Aber Katharina fragte sich dann, woher dieser Herr ihren Namen kennen konnte.
Der seltsame Franzose wurde von einem anderen Herrn angesprochen und gebeten, ihn zu begleiten. Aber warum hatte der andere diesen Napoleon mit Konsul angesprochen? War das seinerzeit nicht der tatsächliche Titel des echten Bonaparte?
Damian durchbrach Katharinas Gedankengänge. „Verehrte Katharina, bei der ersten Verabredung unterhält man sich für gewöhnlich über persönliche, aber nicht zu intime Dinge.“
„Verabredung? Sie haben mich ja eigentlich entführt, nicht wahr?“
„Oh, verzeihen Sie. Aber es scheint ihnen dennoch Freude zu bereiten. Erzählen Sie mir ein wenig über sich.“
„Über Sie weiß ich ebenso wenig. Warum erzählen Sie nicht zuerst?“
„Was wollen Sie wissen, meine Teure?“
„Herr Darrosch!“, sagte sie streng.
Doch er besänftigt sie sofort: „Damian. Liebe Katharina, bleiben Sie doch bitte bei Damian.“
„Es war bisher ein sehr schöner Abend, Herr Darrosch. Damian ... Vielen Dank, aber ...“
„Ich habe zu danken für ihre bezaubernde Gesellschaft“, warf er unverzüglich ein. Dann entschuldigte er sich dafür, sie unterbrochen zu haben.
Sie schüttelte den Kopf, aber ein kleines Schmunzeln konnte sie dann doch nicht unterdrücken. Irgendwie fühlte sie sich trotzdem geschmeichelt.
Damian erzählte ein paar Dinge aus seinem Leben, durchaus auch von seinen wissenschaftlichen Arbeiten, beließ es aber bei Andeutungen, was das Zeitreisen betraf.
Nun wagte auch Katharina, ein wenig aus sich heraus zu gehen, aber sie war nicht gewillt, diesem Aufschneider, für den sie Damian Darrosch hielt, mehr als nötig aus ihrem Privatleben preiszugeben. Und doch entspann sich eine reizvolle Unterhaltung. Das reichhaltige Buffet, das dargeboten wurde, trug ebenso zur guten Laune bei. Gegen Mitternacht bat Katharina darum, nach Hause gebracht zu werden. Keine halbe Stunde später stoppte Damian den Wagen vor ihrer Haustür.
„Das war ein sehr schönen Abend, Herr Darrosch. Auch wenn ich noch nicht so ganz weiß, was Sie im Schilde führen. Ja, doch, ich kann es erahnen, aber ...“
„Ich wage fast, keinen Hehl mehr aus meinem Begehren zu machen, verehrte Katharina. Sie sind eine wunderschöne und äußerst intelligente Frau im besten Alter. Ich denke, wir würden ein vorzügliches Paar abgeben.“ Das war gewagt, wusste Damian, aber er wollte nicht mehr um den heißen Brei herumreden.
„Herr Darrosch!“, wies sie ihn wütend in die Schranken. „Das geht entschieden zu weit!“
„Oh, verehrte Katharina, ich bin untröstlich.“
„Das geht mir zu weit. Sie sind ein Fremder für mich. Und so leicht bin ich nicht zu haben. Das möchte ich einmal klarstellen, bitte.“
„Sie beschämen mich, Teuerste. Aber erlauben Sie mir trotzdem, Sie weiterhin Katharina nennen zu dürfen. Bitte“, flehte er mit schmachtendem Blick.
Als er aussteigen wollte, um ihr als perfekter Gentleman die Tür zu öffnen, meinte sie: „Bemühen Sie sich bitte nicht. Ich schaffe das auch allein. Gute Nacht, Herr Darrosch“, sagte sie sanft und stieg aus dem Wagen.
„Es war mir eine große Freude, ihre Gesellschaft an diesem Abend genießen zu dürfen. Gute Nacht, meine Liebe.“
Er lässt ja nicht nach mit seiner Schwärmerei, dachte sie ein wenig belustigt, drehte sich um und verschwand zügig im Haus.
Katharina konnte lange nicht einschlafen. Sie dachte über das an diesem Abend Erlebte nach. Sie glaubte an eine perfekte Illusion, eine holographische Inszenierung, die ihr jedoch zweifellos gefallen hatte.
Am nächsten Morgen studierte sie gerade die Post, da kam Damian Darrosch herein.
„Einen wunderschönen guten Morgen, Verehrteste. Wie kann ich ihnen den Tag versüßen?“
Sie lächelte ihn kühl an. „Verschaukeln Sie mich nicht. Aber ich möchte jetzt auch keine boshafte Äußerung machen, ja? Was machen Sie hier?“
„Haben Sie denn süß geträumt, meine Liebe?“
Katharina dachte nach. Ihre Augen schmerzten ein wenig. Und dann erinnerte sie sich. „Was war das für ein Aufblitzen, als wir gestern zu ihrem Schloss hinauf gefahren waren?“
„Das waren gewiss die Sonnenstrahlen, die sich irgendwo reflektierten, Verehrteste. Was sollte es denn sonst sein?“
Doch sie überführte ihn der Flunkerei. „Und bei der Rückfahrt dann wieder? Da war es bereits dunkel.“
Jetzt war Damian gefordert. Katharina war eine kluge Frau, würde sich nicht so leicht hinters Licht führen lassen. „Sie werden es nicht glauben, aber das geschieht immer, wenn ich durch das Portal fahre. Erst dann wird aus dem alten Gemäuer dieses herrliche Schloss. Es ist nur eine Illusion.“
Katharina schaute ihn wütend an. „Ich glaube Ihnen in der Tat kein Wort!“
„Aber unser gestriges Erlebnis dort war keine Illusion. Das war real, liebe Katharina.“
„Ich wage auch das zu bezweifeln.“
„Dann kann es nur ein wundervoller Traum gewesen sein. Ein Traum, der sich gerne wiederholen dürfte.“
Katharina fühlte sich bedrängt. „Was wollen Sie?“, schrie sie ihn an.
Statt einer Antwort schenkte Damian ihr einen liebevollen Blick, ein sanftes Schmunzeln und einen leisen Seufzer.
Der Kerl ist doch völlig durchgeknallt, dachte Katharina. Und doch gestand sie sich ein, dass der gestrige Abend ein schönes Erlebnis gewesen war. Seine Augen waren unvermindert auf sie gerichtet, suchten die ihren, die sie jedoch immer wieder abwand, weil sie nach weiteren Ausflüchten suchte, um ihn zu entmutigen. Es gelang ihr nicht.
„In welcher Epoche würden Sie heute Abend mit mir ausgehen wollen, verehrte Katharina?“
Sie sprang jedoch auf und stürmte in das Büro nebenan, schlug die Tür hinter sich zu und kämpfte mit den Tränen.
„Katharina, mein Kind. Was ist mit dir?“
„Papa, ich weiß nicht, was ich tun soll.“
„Ist er dir zu nahe getreten? Ich habe durchaus bemerkt, dass du gestern mit ihm fortgefahren bist. Was ist passiert?“
„Ach, nichts ist passiert. Aber ich denke, er würde gerne mehr.“ Sie grübelte kurz. „Er will mehr!“, sagte sie dann grimmig.
„Und was willst du, mein Kind?“
„Er hat mich in der Tat beeindruckt. Aber ...“
„Du bist nicht dumm, Katharina. Fordere ihn heraus.“
Die junge Frau sah ihren Vater erschrocken an. „Ich soll mich auf seine Spielchen einlassen?“
„Zwinge ihm deine Bedingungen auf. Du kannst das!“
Entschlossen öffnete sie die Tür, blieb sofort im Türrahmen stehen, sah Damian streng an und rief: „Zwanziger Jahre!“
Doch Damian sah sie nur an und lächelte. „Heute Abend, gleiche Zeit?“
„Was? Ach …“ Sie wirkte überrascht. „Ja, ja, gewiss. Sie machen Witze, oder?“
Er setze das gewohnte Lächeln auf, deutete eine Verbeugung an und verschwand ohne ein Wort.
Pünktlich um halb sechs erwartete Damian seine Katharina, reichte ihr den Arm und überschüttete sie wieder mit Komplimenten. Sogar ein Vers kam ihm über die Lippen: „Wenn ich in ihre Augen schau, schöne Frau, dann fühl ich mich dem Himmel so nah.“
„Zur Hölle sollen Sie gehen, wenn Sie es wagen ...“
„Oh, Katharina. Verehrte Katharina. Ich werde Sie nicht enttäuschen. Versprochen.“
Stumm stieg sie ein. Und auch auf der Fahrt hinauf zum Schloss redeten sie nicht miteinander.
Erst, als Katharina wieder dieses Aufblitzen bemerkte, sagte sie: „Da! Da war es wieder.“
Er reagierte nicht, fuhr die letzten Meter und hielt dann vor dem Schloss an.
Als sie auf den Eingang zugingen, fragte Katharina: „Werden wir jetzt wieder in zeitgemäße Kleider gehüllt?“
„Selbstverständlich, meine Liebe. Im Innern dieses Bauwerkes wird alles so sein, wie es sich 1927 zugetragen haben könnte.“
„Wie kann das alles sein?“
„Wir machen eine Reise in die Vergangenheit, verehrte Katharina.“
„Das ist nicht möglich.“ Ganz sicher nicht, dachte sie, aber wie macht er das?
Und tatsächlich fand im Schloss ein schönes Fest statt, alles im Stile des Jahres 1927.
Auch auf der Rückfahrt bemerkte Katharina das Aufblitzen, als sie das Zeitportal passierten, sagte aber nichts. Vor ihrem Haus angekommen, ließ sie Damian diesmal gewähren und wartete, bis er ausgestiegen und herumgekommen war, die Tür öffnete und ihr die Hand reichte.
„Verehrte Katharina, Sie schenkten mir auch heute glückselige Stunden in ihrer bezaubernden Gesellschaft. Mein Herz sehnt sich nach mehr, meine Liebe. Ich kann und will es nicht mehr verbergen. Ich bin hoffnungslos in Sie verliebt.“ Dann ging er vor ihr auf die Knie.
Oh, mein Gott, dachte sie, jetzt ist alles zu spät. Was soll ich denn dazu jetzt sagen? „Damian, bitte, machen Sie sich nicht lächerlich. Stehen Sie auf.“ Sie reichte ihm ihre Hand, die er sofort ergriff und sich langsam erhob.
„Ich weiß, es gibt wenig Hoffnung, aber ...“
„Damian, bitte!“, rief sie. „Damian, das war erneut ein wundervoller Abend. Vielen Dank dafür“, fügte sie dann mit sanfter Stimme hinzu. „Aber wie ...“ Ihre Gedanken trieben plötzlich wilde Blüten. Wie, so dachte sie, soll ich mich dafür denn dankbar zeigen?
Und in diesen Gedanken hinein wagte Damian unter Auferbringung aller Kühnheit, Katharina in die Arme zu schließen und sie leidenschaftlich zu küssen, ohne sie jedoch weiter zu bedrängen, als er ihre Gegenwehr spürte.
Es kam das, was er erwartet hatte. Sie löste sich, schaute ihn wütend an und gab ihm eine Ohrfeige. Allerdings fiel diese nicht so hart aus, wie er befürchtet hatte.
Katharina drehte sich um, um zu gehen, doch dann blieb sie stehen. Sie kämpfte mit sich. Der Tod ihrer Mutter im vergangenen Jahr hatte sie gefühlsmäßig arg aus der Bahn geworfen. Sie hatte sich sehr zurückgezogen, hatte sich nur um Vater und den Job gekümmert. Doch heute ... Verdammt, dachte sie, jetzt kommt dieser Kerl daher und …
Ruckartig drehte sie sich erneut und machte zwei schnelle Schritte auf ihn zu, packte ihn vehement im Nacken und küsste ihn wild, bis sie sich erschöpft in seine Arme fallen ließ, von denen sie sicher war, dass sie sie halten würden.
Eins war klar für Katharina. Wenn sie sich ihm jetzt ergeben sollte, dann nur in einem dieser traumhaft schönen Himmelbetten im Schloss ...
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