Deianiera - Abenteuer im anktiken Griechenland

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Deianiera
Abenteuer im alten Griechenland


von

Japakl



Bloß eine Frau

Abraxas, ein mittelgroßer stämmiger Geselle, schlich vorsichtig an das Gatter heran, durch welches man den Flechtzaun durchqueren musste. Vorsichtig lugt er über die Pforte hinweg, rüber zu dem fünfzig Schritt weit entfernten Häuschen. Schon schickte er sich an, das Gatter zu öffnen, als sich eine feingliedrige Hand über seine linke Schulter legte.

„Hältst du es für klug, Abraxas, das Haus zu betreten, ohne zuvor unser Ziel entdeckt zu haben?“

Der Angesprochene wandte sich seinem hageren Begleiter zu, welcher, wie schon so oft in ähnlichen Situationen, ihm deutlich seine Angst offenbarte. Sein vom Vollbart geprägtes, rundes Gesicht zeigte ein breites Grinsen.

„Ich habe schon darauf gewartet, das dir vor lauter Angst die Scheiße zwischen die Füße fällt. Du wirst vorgehen und die Schlange in ein Gespräch verwickeln, dann wissen wir genau, womit wir zu rechnen haben.“

Sein Kumpan wich ein Schritt zurück und blickte Abraxas entgeistert an.

„Du schickst mich vor? Nach allem, was wir in Kranioi von dieser Frau gehört haben?“

Abraxas schüttelte seinen Kopf und zeigte sich bemüht dem Komplizen seine Sorge zu nehmen.

„Glaubst du wirklich, diese Frau könnte eine furchtbare Kriegerin sein? Wie, bei Zeus, sollte das möglich sein? Frauen haben weder genug Kraft, noch Geschicklichkeit, es mit einem entschlossenen Mann aufzunehmen.“

„Und warum hat sie dann schon so viele Aufträge abgeschlossen? Sie gilt als die mächtigste Söldnerin der ganzen Insel.“

„Und wir in Messenien. Außerdem kennst du doch das Gefasel der Leute. Sie reden viel und sagen wenig. Interessant gemacht haben sie sich. Uns Märchen aufgetischt, an welche sie vielleicht selbst glauben wollen, weit entfernt von der Wahrheit. Nimm nicht immer alles für bare Münze Darius! Vertrau mir! Wir erledigen den Auftrag, holen in zwei Tagen die Belohnung ab und nehmen das nächste Schiff. Auf dieser Geröllinsel mag ich nicht länger aushalten, als es unbedingt nötig ist.“

Kurz entschlossen griff er in die Zugschlaufe der Pforte, um diese aufzuziehen, doch diese hing nur noch an einer Angel, worauf sie mit einem lauten Krachen zur Seite kippte.

Nicht nur Darius Körper fuhr vor Schreck zusammen, auch Abraxas zeigte sich nervös und blickte besorgt zu dem Haus hinüber. Dort bemerkten sie jetzt den Schein einer Fackel, welcher immer deutlicher in der hereinbrechenden Dunkelheit erkennbar wurde. Diese musste irgendwo an der Rückseite des Hauses brennen, konnten die beiden sie doch nicht ausmachen.

„Geh jetzt und verwickel die Frau in ein Gespräch. Ich werde mich anschleichen und sie hinterrücks niederschlagen.“

Darius verneinte zum Erstaunen seines Kameraden und weigerte sich, den ihm fremden Boden zu betreten.

„Hast du an den Wolf gedacht, welchen sie besitzen soll? Er wird dich wittern und reißen, ehe du seine Besitzerin erreicht hast.“

Abraxas seufzte, blickte zu seinem hochgewachsenen, dünnen Freund auf und schlug diesem dann, wie aus dem Nichts kommend, kraftvoll seine Rechte ins Gesicht. Es klatschte laut und beide Männer duckten sich hektisch hinter den Zaun.

Darius stiegen Tränen in die Augen, während er sich seine Wange rieb. Es war nicht das erste Mal, dass ihm Abraxas auf diese Weise zu ermuntern suchte. Sollte er dessen Einschätzung Vertrauen schenken? Schließlich waren sie bisher mit allem fertig geworden, warum sollte es dieses Mal anders sein?

Noch ehe er seinen Gedanken abschließen konnte, fühlte er einen Stoß in seinem Rücken. Er taumelte nach vorne, stolperte über eine Wurzel und schlug der Länge nach auf den ausgetrampelten Pfad, welcher zur Hütte führte.

„Telemach und ich sind bei dir. Vergiß das nicht! Du bist ein Wanderer und kennst deine Geschichte. Besinn dich auf deine Gabe, Kerl, dann wird es klappen.“

Darius wünschte sich, er könnte den Worten des Freundes Glauben schenken. Vorsichtig raffte er sich auf, kam auf seinen beiden zittrigen Beinen zum Stehen und näherte sich langsam der ihm fremden Hütte an. Die Sonne war nun fast vollständig untergegangen, nur ein kleiner Teil ihres Halbrundes war noch über dem Horizont des Meeres zu sehen, welcher durch die Bäume und Sträucher des Anwesens nur lückenhaft zu erkennen war.

Ein Fuß vor den anderen setzend, ging er unsicheren Schrittes den Pfad entlang, über eine kleine Brücke hinweg, welche einen tiefen Graben überspannte. Abraxas, welcher ihm abseits des Weges folgte, stieß nun ebenfalls auf dieses Hindernis und zeigte sich nicht dazu in der Lage, über dieses hinwegzusteigen. Zumal dieses mit Wasser gefüllt worden war. So musste er ihm nachfolgen und passierte, ein paar Schritte hinter ihm, ebenfalls die Brücke.

Darius blickte sich ängstlich zu ihm um und deutete auf eine Vielzahl von Holzpuppen und aufgehängten Säcken, die er in ähnlicher Form vom Gymnasion in Theben her kannte. Dort hatte er als kleiner Junge oft, zusammen mit seinem Vater, stattlichen Männern dabei zugesehen, wie diese sich körperlich ertüchtigt hatten, um sich gemeinsam auf künftige kriegerische Auseinandersetzungen vorzubereiten.

Abraxas hob seine Schultern, um sie sogleich wieder fallen zu lassen. Mit seiner ausgestreckten rechten Hand deutete er auf das einfache Haus und zeigte Darius eine grimmige Miene. Dazu ballte er seine Faust und zog sich dann, diese wieder zur flachen Hand geöffnet, unterhalb seines Kinns an seinem Hals entlang. Getrieben von dieser Drohgebärde, wandte sich Darius wieder dem Haus zu und schritt zaghaft voran.

In diesen Moment waren alle Sinne des Lockvogels darauf ausgerichtet, dessen Bewohnerin zu entdecken. Die Furcht kam immer stärker über ihn, hatte er doch im Ort den Anwohnern Glauben geschenkt, welche die Frau, die sie zum Ziel hatten, als gottgleich schilderten. So näherte er sich vorsichtig der Türöffnung, welche offen stand und lugte vorsichtig in das kaum ausgeleuchtete Innere des einfachen Baus.

„Hallo! Ist da wer? Jemand zuhause?“

Niemand antwortete ihm und dennoch traute er sich nicht, den Raum zu betreten. Er wandte sich um, doch von seinem Kameraden fehlte jede Spur. Hatte dieser vielleicht etwas gesehen, was ihm selbst entgangen war? Er entschloss sich dazu, erst einmal eine Runde, um das Haus zu gehen. Nichts lag ihm ferner, als die Unbekannte zu provozieren, in dem er für sie als Räuber oder Dieb gelten könnte.

So ging er links an der mit Lehm verputzten Mauer entlang, stellte sich an die Hausecke und blickte vorsichtig an ihr vorbei. Eine Kletterpflanze gab ihm dabei Deckung, welche die Seite einer Außentreppe emporgewachsen war. Weiter links befand sich ein kleiner Verschlag, in dem die Frau Brennholz lagerte, sowie ein Bock, auf welchem ein kräftiger Stamm darauf wartete, zu Scheiten verarbeitet zu werden. Unter einem vor ihm liegenden Vordach fand er nichts Auffälliges und so tat er ein paar entschlossen Schritte, um sich dem nächsten Eck anzunähern.

Neben einer Töpferscheibe, vor welcher ein grob gehauener Schemel stand und einer Außentreppe zum Dach, wurde er nun einer weiteren Überdachung gewahr, unter welcher Säcke, Amphoren und große Krüge untergebracht worden waren, um sie vor groben Witterungseinflüssen zu schützen.

Getrieben von seiner Neugierde schritt er weiter voraus, und sah den Schein einer Feuerstelle nun deutlich vor sich. Sorge überkam ihn und dennoch wollte er nun sehen, wo es herrührte. Zuvor blickte er sich noch einmal um und fand keinen seiner Freunde hinter sich. Hatten sie sich wirklich so gut vor ihm und dem Ziel ihres Handelns verborgen gehalten?

Er hörte jetzt das sonore Hackgeräusch eines Messers, sowie eine leise Melodie, welche gesummt wurde.

Darius fand sich nun auf gleicher Höhe mit einer Esse, deren Wandung jedoch keinerlei Wärme ausstrahlte. Wahrscheinlich war sie am Tage nicht genutzt worden.

„Er da! Setze er sich zu mir, hat er doch sicher Hunger von seiner Reise“, rief ihn eine herbe Frauenstimme an.

Die Augen des Angesprochenen weiteten sich. Erschrocken verharrte er auf der Stelle. Wie hatte sie ihn hören können? War es vielleicht der Wolf gewesen, von dem ihnen die Bewohner Kraniois berichteten und welcher ihn schon lange gehört oder gewittert haben musste?

„Was zögert er?“, fragte ihn die Fremde. Kam er in feindlicher Absicht?“

„Nein! Nein! Entschuldigt.“

Darius fühlte sich von der Stimme getrieben, kam um das nächste Hauseck herum und stand vor einer in etwa gleich großen Frau, mit derben braunen Haaren. Diese waren von ihr zu einem einfach geflochtenen Zopf gebunden worden, welcher über ihrer linken Schulter hing.

Sie stand mit dem Rücken zu ihm und schnitt an etwas herum, was vor ihr auf dem Tisch liegen musste. Dabei konnte er nicht sehen, um was es sich genau handelte, wurde es doch von ihrem kräftigen Leib verborgen gehalten. Dieser hätte einem Mann zur Ehre gereicht und wollte nicht zu dem zarten Geschlecht einer Frau passen.

„Einen schönen Abend, Frau. Verzeiht, wenn ich gestört haben sollte“, gab sich Darius betont freundlich. Die riesenhafte Frau stand indessen weiter mit dem Rücken zu ihm und schien sich nicht weiter von ihm gestört zu fühlen.

„Hat er nicht, ganz im Gegenteil. Während er als Gast gekommen ist, habe ich zwei Spießgesellen dingfest machen können, welche um mein Haus herumgeschlichen sind. Im Gegensatz zu ihm, schienen sie arges im Schilde geführt zu haben.“

Sie schob mit der Klinge ihres Messers Mohrenstücke in eine Schale und gab diese wiederum in einen Topf, welcher über der Feuerstelle hing.

Darius blickte sich indessen ängstlich um, mit der Hoffnung seine gefangen Freunde entdecken zu können. Wie war es dieser unbewaffneten und in einem einfachen hellen Leinenchiton gekleideten Frau möglich gewesen, seine bewaffneten Begleiter zu überwältigen? Noch dazu, ohne dass er dies mitbekommen hatte?

„Isst er mit?“, fragte sie und wandte sich das erste Mal zu ihm um.

Darius zeigte sich verlegen, blickte sich ein weiteres Mal unsicher um und erklärte der Fremden sogleich seine Stimmung.

„Seid ihr sicher, dass es keine weiteren Übeltäter gibt? Ich habe schon das Geheul der Wölfe vernommen und reute mich, den letzten Ort verlassen zu haben.“

„Sei er ruhig und setze sich hin!“

Sie deutete auf einen niedrigen Schemel, welcher in der Nähe der Feuerstelle stand.
„Und ihr? Worauf wollt ihr Platz nehmen?“

Sie musterte ihn eindringlich mit ihren braunen Augen, die dichten Brauen auf ihrer hohen Stirn dabei zusammenziehend. Sie schien ihm nicht zu trauen, weshalb er sich mühte, sie von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen.

„Das soll nicht seine Sorge sein.“

Sie blieb stehen und blickte auf ihn herunter, nachdem er sich gesetzt hatte.

„Wo sind die Männer, welche ihr gefangen habt? Sind sie zu Schaden gekommen?“

Deianiera deutete mit ihrer linken Hand auf die Hütte und rührte mit einem hölzernen Löffel in der Rechten in dem, über das Feuer aufgehängten Topf.

„Ein wenig. Aber nichts, was die Zeit nicht zu heilen in der Lage wäre.“

Darius sah ihr dabei zu, die Gestalt der an Jahren junge Frau näher in Augenschein nehmend. Ihre Beine, welche von der Hälfte ihres Oberschenkels ab, unter dem Stoff des Chitons hervorragten, wirkten massiv und sehr kräftig auf ihn. Sie war eine Athletin, daran bestand für ihn kein Zweifel. Ihr Gesicht wirkte einfach geschnitten und durchschnittlich attraktiv auf ihn. Eher neutral, als einladend oder abstoßend. Zwei kleine Narben zeichneten es, eine lief der Länge nach über ihren Nasenrücken, die zweite streifte ihren rechten Mundwinkel.

„Und? Was zieht er durchs Land, welches von Dieben und wilden Tieren unsicher gemacht wird? Weshalb ist er nicht in Kranioi geblieben und stattdessen im Anbruch der Nacht noch unterwegs?“

„Ich wollte eine Tante besuchen, welche in Pale wohnt.“

„Wie ist sein Name?“, fragte die Hünin mit rauchiger Stimme.

„Darius. Darf ich mich nach eurem erkundigen?“ Nur mit Mühe, hielt er den eindringlichen Blick der Frau stand.

„Ich kenne Pale gut, wie heißt seine Tante?“, überging sie seine Frage.

„Makarie“, log Darius ohne Umschweife. Tatsächlich trug die Schwester seines Vaters diesen Namen.

Ihre Augen blieben auf seinem Gesicht gerichtet und für den Moment blieb sie ohne Regung. Wahrscheinlich überlegte sie, ob sie diesen Namen mit dem Ort, welchen sie kannte, in Verbindung bringen konnte.

„Schön habt ihr es hier. Den Blick über das Meer, die vorbeifahrenden Schiffe ..“

Sie folgte seinem Blick.

„Was glaubt er, warum zwei bewaffnete Männer um das Haus einer Frau schleichen? Sollte ich sie nicht besser töten, damit sie niemanden Schaden bringen? Es wären nicht die Ersten, welche ich die Klippe herabstürzen lasse.“

Sie wandte sich nun dem Topf zu, beugte sich über ihn, tauchte den Löffel in die darin befindliche Suppe ein und kostete.

„Sie schmeckt nicht, wird uns aber satt machen.“

Sie zeigte dem Mann neben sich ein Lächeln, ging rüber zu dem groben Holztisch, welcher ihr wohl als Anrichte dienen musste und kehrte mit zwei Schalen zurück. Anschließend griff sie in den Henkel des Topfs, hob diesen vom Feuer herunter und verteilte dessen Inhalt in die beiden Gefäße.

„Nun? Was denkt er?“ Fragte sie ihn erneut, ihm unterdessen seine Mahlzeit reichend.

„Man könnte sie fragen? Vielleicht haben sie die Hütte für einen Banditenunterschlupf gehalten? Vielleicht kommen sie ebenfalls aus Kranioi?“

Die Frau hob die Schale an ihre Lippen und schlürfte vorsichtig an der heißen Suppe.

„Er meint den Ort, in welchem jeder mich und mein Haus kennt? So wie jeder Bewohner dieser Insel?“

Darius zeigte sich verlegen und suchte Zeit zu gewinnen, in dem er nun ebenfalls von der Suppe kostete. Die Frau hatte Recht, sie roch ekelhaft und schmeckte salzig und fischig zugleich. Hoffentlich verdarb er sich seinen Magen nicht mit diesem Gebräu. Am liebsten hätte er die Flüssigkeit sofort wieder ausgespuckt und musste sich zusammenreißen, damit er nicht zu würgen anfing.

„Dann waren es Fremde?“, mutmaßte er, nachdem er sich einigermaßen vom Geschmack dieses seltsamen Gebräus erholt hatte.

„Er meint, so wie er selbst?“ Sie wendete mit diesen Worten ihren Blick vom Feuer ab und richtete ihre Augen auf ihn.

Darius fühlte sich ertappt und seine Angst sorgte dafür, dass er trotz der aufkommenden Kühle der Dunkelheit zu schwitzen begann.

„Äh ja? Vielleicht?“

Die Hausherrin nickte und blickte wieder auf die tanzenden Flammen herunter, welche das Holz knacken ließen, das sie nährte.

„Woher kommt er?“, fragte sie ihn beiläufig.

„Theben. Eine große Stadt, welche weit entfernt gen Osten liegt.“

„Und seine Tante? Warum besucht er sie?“

Darius fühlte sich durch ihre Frage an seine Mutter erinnert, welche während seiner Geburt gestorben war. Er hatte nie jemanden aus ihrer Familie kennengelernt.

„Ich wollte sie kennenlernen. Meinte Marta hat mir viel von ihr erzählt.“

Er war glücklich über diese Lüge, denn selbst wenn herauskam, dass es seine Tante nicht gab, würde er sich durch diese Erklärung retten können, kannte er die Frau doch offensichtlich nur vom Hörensagen.

„Iss!“, forderte sie ihn auf.

Darius zeigte sich sogleich einverstanden und schlürfte die Suppe, dabei seine Luft anhaltend. Er hoffte, so deren widerlichen Geschmack für sich erträglicher werden zu lassen.

Überrascht setzte er die Schale ab, als ein deutlich hörbarer Darmwind dem Hinterteil der Frau entfuhr, so heftig, dass dieser sogar den Stoff ihres Chitons aufblähte, ähnlich einem Windstoß, welcher in ein Segel griff.

„Komme er mit! Wir sehen nach den Gefangenen.“

Darius schloss für den Moment seine Augen. Wenn Telemach oder Abraxas ihn jetzt verrieten, war es um ihn geschehen, dessen war er sich sicher.

„Worauf wartet er?“ Ihre Stimme klang misstrauisch.

„Ich wollte den Rest Suppe ...“

Vor lauter Angst schaffte er es nun auch das Übriggebliebene des ekelhaften Mahls herunterzuwürgen.

Sie nickte gnädig, ließ ihre Schale achtlos zu Boden fallen und wartet auf ihn, ihre kräftigen Hände dabei in die schmale Taille stemmend. So bekam ihre Figur doch etwas Weibliches und für einen kurzen Moment blieb Darius Blick an ihrem Körper haften.

Sie schritt voran, doch wagte er es auch jetzt nicht, seine Hände in ihre Richtung auszustrecken. Muskelbepackt und selbstbewusst wirkend, würde es ihm schwerfallen, die Oberhand über sie zu gewinnen. So trat sie durch das niedrige Tor eines Innenhofes und deutete auf ein links von ihr stehendes Metallbecken.

„Hole er Feuer, dann haben wir Licht.“

Darius hatte schon die Leiber seiner Freunde ausgemacht, welche gefesselt, mit ihrem Rücken gegen die Mauer gelehnt, am Boden hockten. Geschwind trat er noch einmal aus dem winzigen Innenhof heraus, eilte zur Feuerstelle und zog einen kurzen Scheit aus den Flammen heraus, mit welchem er zu der Hausherrin zurückkehrte. Er schob ihn zwischen Holzreste, welche er in der Schale aufgehäuft fand.

Mit dem Licht der Feuerschale wurde noch einmal das Dunkel der Nacht aus dem Hof vertrieben, welche inzwischen die ganze Landschaft umhüllt hatte.

„Und? Kennst er sie? Vielleicht aus Kranioi?“

„Nein, ich sehe sie zum ersten Mal. Was wollt ihr mit ihnen machen?“

Deianiera hielt ihre Rechte Hand unter das Kinn und blickte auf die gefesselten Kerle herunter, welche mit Stofffetzen im Mund geknebelt, besorgt zu ihnen aufblickten. Darius war erleichtert, seinen Freunden schien bewusst zu sein, dass sie ihn nicht verraten durften, sollte er ihnen Hilfe bringen.

Sie wandte sich zu Darius um und blickte fragend in dessen Gesicht.

„Nun? Was hält er von den beiden?“

Darius musste die Frau unbedingt davon überzeugen, dass Abraxas und Telemach ihr nicht feindlich gesonnen waren. Doch würde er sich jetzt zu sehr für sie einsetzen, könnte es sein, dass die Frau zu der Überzeugung kam, dass er ein eigenes Interesse an ihnen hatte. Und wohin sie dann von ihren Gedanken geführt wurde, erschien ihm zu ungewiss.

„Ein Fehler ist schwer wieder gut zu machen. Wir sollten niemanden richten, von dem wir nicht wissen, ob er schuldig ist. Ein jeder, welcher sich den Gefahren dieser Insel stellt, rechnet mit dem Schlimmsten. Wer weiß, was die beiden zum Einbruch der Nacht ins Freie trieb, sie können es uns sicher erklären.“

Deianiera lauschte seinen Worten nach und grübelte weiter, ihren Blick wieder den beiden Männern auf den Boden zuwendend.

„Und wenn er sich irrt? Was, wenn meine Vermutung die Richtige ist? Lass ich sie frei, so laufe ich Gefahr, dass sie mir aufs Neue versuchen aufzulauern.“ Mit diesen Worten drehte sie sich zu ihm um, betrachtete ihn nachdenklich und schien bemüht, endlich einen Entschluss zu fassen.

„Wartet die Nacht ab, Frau! Vielleicht fällt euch, ausgeruht von den Anstrengungen des Vortages, eine Entscheidung am Morgen leichter.“

Sie nickte und legte ihre rechte Hand auf seine linke Schulter ab.

„Gut gesprochen. Dann sehe ich noch einmal nach ihren Fesseln und wenn sie folgsam bleiben, werden sie die Nacht lebend überstehen. Am Morgen will ich dann entscheiden, ob sie Leben oder Sterben sollen.“

Darius sah die Frau sich über seinen Freund Telemach beugen, dessen Augen in diesen Moment auf ihn gerichtet blieben. Er ahnte, was dieser ihm mit seinem Blick zu sagen suchte, hockte sie doch nun, mit ihren Rücken ihm zugewandt, direktvor ihm.

Das Schwert Abraxas fand er auf den Tisch neben sich liegend, genauso wie den Bogen Telemachs. Er braucht nur nach einer dieser Waffen greifen. Den Blick darauf gerichtet, fand er nicht genügend Mut, sich zu einem Handeln zu entschließen. Zu ungewiss war ihm der Ausgang einer solchen Tat.

Auch Abraxas suchte jetzt seine Aufmerksamkeit und knurrte in seinen Knebel hinein. Die Hünin beugte sich nun über dessen Körper, zog die Fesseln um seine Handgelenke und Knöchel straff und sorge sich um die Knoten. Sie schien zufrieden und blickte, über ihre rechte Schulter hinweg, zu Darius auf.

„Schläft er bei mir! So schützen wir uns vor der Kühle der Nacht.“ Forderte sie ihn ohne Umschweife auf, während ein seltsamer Glanz in ihren braunen Augen sichtbar wurde.

„Es wäre mir eine Ehre, Frau“, zeigte sich Darius wieder unterwürfig, streckte seinen rechten Arm aus, woraufhin sie nach seiner Hand griff und sich von ihm aufhelfen zu lassen. Ihr Körper war überraschend schwer und hätte ihn beinahe aus seinem Gleichgewicht gebracht.

„Wir gehen aufs Dach hinauf, dort habe ich mein Schlaflager. Folge er mir, er wird sicher müde von seiner Reise sein.“

Sie griff nach seiner Hand und zog ihn hinter sich her. Darius mühte sich, ihr zu folgen, sah verwirrt auf seine beiden Freunde herunter, welche ihn, sichtlich verstört, nachblickten. Er konnte, glaubte er sich einzubilden, ihre Vorwürfe schmecken.

„Wie konntet ihr sie überwältigen, Frau? Diese Kerle sehen groß und kräftig aus“, fragte er sie, während sie an der der kleinen Schmiedewerkstatt vorbei traten.

„Im Gegensatz zu den Zweien bewege ich mich leise. Auch scheinen sie keine Pankratiasten zu sein, wer weiß, ob sie überhaupt mit den Waffen umzugehen wissen, welche sie bei sich trugen.“

„Und ihr versteht euch darauf?“, fragte er ungläubig.

„Nun, ich bin Spartanerin. Mein Onkel hat mich alles gelehrt, was er über das Handwerk eines Kriegers wusste.“

Sie zeigte ihm ein Lächeln und griff mit ihrer freien Hand nach einer Fackel, die in einer Halteöse hing, welche in der lehmverputzten Außenwand ihrer Hütte eingelassen worden war. Kurz hielt sie deren Kopf ins Feuer und wandte sich dann zur Treppe um, die über zweit Hausseiten hinweg, nach oben aufs Dach führte.

„Und glaube er mir, das Wissen des Alten hätte für mehrere Leben gereicht.“

Er zeigte sich beeindruckt und stolperte fast, als sie ihn weiter die Treppe hinauf zog. Doch was hatte sie, oben auf dem Dach angekommen mit ihm vor? Hatte er sich vielleicht doch verraten und sie wollte ihn von dort aus in den Tod stürzen? Er verwarf diesen Gedanken. Aus der niedrigen Höhe des Daches und zusammen mit dem staubigen Boden, hätte er sich wahrscheinlich nicht einmal einen Knochen gebrochen.

Auf dem flachen Dach angekommen, fand er tatsächlich einen Schlafplatz aus Decken und Kissen vor, welcher unter einem Baldachin aus Stoffdecken ausgebreitet worden war. Sie deutete darauf und forderte von ihm, sich darauf auszustrecken.

„Es wird ihm guttun, die Wärme einer Frau zu spüren.“

Darius merkte bei ihren Worten auf. Suchte sie ihn etwa zu verführen?

„Worauf wartet er?“, drängte sie ihn und legte ihr rechte Hand auf seine linke Schulter. „Ruhen wir uns aus, es war ein anstrengender Tag.“

Darius ging in die Hocke und streckte sich auf den Decken aus. Die muskulös und sehnig wirkende Frau folgte ihm sogleich, nach dem sie die Fackel in die Feuerschale fallengelassen hatte, legte sich an seine Seite und ließ dann ihren Blick über seinen schlanken schmächtigen Körper wandern. Es lag Verlangen in ihrem Blick, wie er überrascht feststellte.

„Hat er ein stattliches Schwert?“ Sie führte ihre Rechte an seinen Schritt, worauf er zusammenzuckte und ihrer Hand auszuweichen suchte.

„Warum so aufgeregt? Er sollte sich freuen“, wollte sie ihn dazu ermuntern, ihr Handeln zuzulassen.

Würde sie ihn benutzen und nach dem Stillen ihres Verlangens genauso behandeln wie seine beiden Freunde? Er hielt das für möglich, hatte er doch schon mehr als einmal die Lust einer Frau verspürt, auch wenn diese selten ihm gegolten hatte.

„Es war ein anstrengender Tag, ich weiß nicht, ob es ...“

„Lass es mich versuchen! Sollte ich es nicht zur vollen Größe schmieden können, verdiene ich es nicht Meisterin genannt zu werden, habe ich Recht.“

Sie lächelte und hob ihre Augenbrauen.

Dieses Mal packte sie so schnell zu, dass er ihre Hand nicht mehr entkommen konnte. Sie war nicht gerade zärtlich zu ihm, als sie an seiner gesamten Männlichkeit zog und sich ihm mit dem eigenen Leib näherte. Sie legte ihr rechtes Bein über seinen linken Oberschenkel, es war schwer und würde ihn nun nicht mehr aus ihrer Umklammerung entkommen lassen.

Die junge Frau lächelte, als sie mit ihrer Hand tätig wurde und das Zentrum seiner Lust zu massieren begann. Noch schien seine Furcht übermächtig, doch drängte das sinnliche Gefühl, welches ihr forderndes Reiben bei ihm weckte, diese immer weiter hinfort.

„Ich denke der Stahl ist hart genug, glaubst du nicht?“, fragte sie spöttisch.

Er blickte sie verwundert an.

„Ihr sprecht auf einmal zu mir, wie es ein Bewohner dieser Insel tun würde.“

„Ich vereine mich nicht mit einem Unbekannten. Fühl dich geehrt, das passiert nicht all zu häufig.“

Sie schob ihren Körper über den seinen, worauf er ihre festen jungen Brüste auf seine Haut drücken fühlte. Ab diesem Moment hatte es für ihn keine Bedeutung, dass der helle Stoff ihres Kleides, diese Schätze für ihn verborgen hielt.

Sie näherte sich seinem Mund mit ihren Lippen und schob ihre linke Hand zeitgleich zwischen ihren und seinen Schoß. Er konnte ihre Finger fühlen, wie diese nach seinem Gemächt tasten, es packten und gegen ihren Schoß drückten. Sogleich wurde er von einer engen Feuchte festgehalten, welche ihm einen Reiz schenkte, der ungemein erregend, ihm alles andere an ähnlichen Erfahrungen vergessen machte. In dem Moment, in welchem sie sich zum Kuss vereinten, drückte sie ihren Leib auf den seinen. Ein verhaltenes Stöhnen wurde laut, dann begann sie sich auf ihm zu bewegen.

Mit der weitausholenden Bewegung ihres Körpers, äußerte sie ungehemmt ihre Lust. Darius reute es in diesen Moment, dass seine Freunde seinen Liebestanz mit dieser Frau hören könnten. Seine Freude, würde ihnen eine zusätzliche Qual bereiten.

Es verstrich nicht viel Zeit, als er ihren Körper zu entkommen suchte. Sie zeigte sich enttäusch, ließ von ihm ab und legte sich an seine Seite. Ihr Blick wanderte dabei seinen Körper entlang, wahrscheinlich ärgerte sie sich darüber, dass er für sie nicht länger durchgehalten hatte.

„War es dir schon genug?“

Darius fühlte, wie die Sorgen in ihm aufs Neue wach wurde. Ihr Blick verhieß nichts Gutes, glaubte er zu erkennen.

„Wartet ein wenig. Dann geht es wieder, dessen bin ich mir sicher.“

Sie nickte ihm zu, schob ihre Rechte erneut unter den Stoff seines Chitons, unterdessen mit ihrer linken Hand den eigenen Kopf stützend. Ihr Handeln war dabei verhalten und verschaffte ihm ein erträgliches und wohliges Gefühl.

Würde sie bei einer Wiederholung auf ihre Kosten kommen? Für ihn war das gerade Erlebte gottgleich gewesen. Ihr junges Geschlecht hatte sich für ihn angefühlt, als ob es von einem versteckten Geist gelenkt wurde, oder einem eigenen Verlangen folgte. Nie hatte er Ähnliches bei einer Frau erlebt, mit welcher er, in der körperlichen Liebe vereint, zusammenlag.

Ihr Mühen trug schneller Früchte als gedacht, nur wollte er ihr zuvorkommen und bat sie darum, sich auf ihren Körper legen zu dürfen. Sie zögerte, ging aber schließlich dieses Zugeständnis an ihn ein. So öffnete sie ihren Schoß für ihn, hieß seinen Körper mit ihren breit gespreizten Schenkeln willkommen und nahm diesen sogleich wieder gefangen, in dem sie ihre Unterbeine über seinem Po kreuzen ließ.

Sein erster harter Stoß ließ den Leib der Frau beben, Darius küsste ihren Hals, saugte an ihrer Haut, während er sich ihrem Schoß ein Stück weit entzog, um erneut in ihren Unterleib hinein zu drängen. Ein heiseres Röcheln entfuhr der jungen Frau, während ihre Beine sich immer enger, Würgeschlangen gleich, um seinen Körper legten. Der von ihren Gliedmaßen ausgeübte Druck schmerzte ihn genauso, wie die Nägel ihrer Finger, welche sich in seine Schultern gruben. Darius löste seine Lippen von ihrer Haut, worauf ein tiefes Stöhnen sein Mund verließ, mit welchem er seine Fleischeslust ihr gegenüber zum Ausdruck brachte. Dieses Mal dauerte es, bis er gewillt war, sich von ihrem Körper zu lösen und auch das zuvor so beherrscht wirkende Gesicht seiner Gastgeberin wirkte auf einmal weiblich und weich auf ihn.

Ein abschließender Kuss, welchen er ihr auf die Lippen drückte, dann rollte er sich von ihrem stämmigen Leib ab, legte sich an ihre Seite und schob seinen rechten Arm unter ihren Kopf, um diesen darauf zu betten.

„Hat es ...“, er war noch völlig außer Atem, „... euch gefallen?“, fragte er sie voller Hoffnung.

Sie nickte, während ihre Augen zu dem Sternen am Himmel aufblickten, welche im Dunkel der Nacht hingen und auf sie herunter blitzten.

„Du darfst schlafen! Morgen wird es viel zu bestellen geben.“


In der Nacht

Darius fühlte das Verlangen sich zu erleichtern, gepaart mit einem heftigen Brennen, welches ihn und sein „Schwert“ plagte. Neben sich hörte er das tiefe Schnarchen der jungen Maid, welche sich auf solch eindrucksvolle Weise mit ihm vereint hatte. Für ihn gab es in diesen Moment keinen Zweifel, sie schlief tief und fest, am Nachtlager gebunden durch Morpheus Mächte.

Vorsichtig suchte Darius seinen Arm unter ihrem Haupt hervorzuziehen, was ein kurzes Knurren ihrerseits zur Folge hatte, mit welchem sie auf die Störung ihres Schlafes reagierte. Er schrak zusammen und blieb ruhig, darauf wartend, dass sie erwachte oder im Schlaf gefangen blieb.

Behutsam schlug er die dicke Wolldecke beiseite, erhob sich langsam und vorsichtig aus dem Nachtlager, kam mit Bedacht zum Stehen und wandte sich der Treppe zu. Wenn er bloß etwas sehen könnte. Das Feuer war erloschen, es hatte sich, neben dem Fackelstiel, nur wenig Holz in der Schale befunden.

Seine Augen brauchten Zeit, um sich an die Finsternis der Nacht zu gewöhnen. So schlich er langsam die Treppe hinunter, mit seiner rechten Hand nach der Hauswand tastend. Er erschrak furchtbar, als er das klagende Heulen eines Wolfes vernahm, welcher nicht weit vom Haus entfernt sein konnte.

Er lauschte angestrengt. Doch abgesehen vom Schnarchen der Hausherrin und dem Zirpen der Zikaden, herrschte Stille. So setzte er umsichtig seine Schritte, näherte sich dem Eck des Hauses und blickte am Vorratsverschlag vorbei, zur Feuerstelle rüber, die sich links hinter dem Amboss der kleinen Schmiede befand.

Es blieb ruhig und so schlich er weiter, kam um die nächste Ecke herum und trat durch das kleine Tor hindurch in den winzigen Innenhof. Seine beiden Freunde hockten nach wie vor gefesselt auf dem Boden, und suchten sich, trotz ihrer Knebel, lautstark bemerkbar zu machen.

Wieder horchte Darius. Es blieb nach wie vor ruhig. So trat er schließlich an Abraxas heran, ging neben dessen Leib in die Hocke und entfernte vorsichtig den Stoffknebel aus dessen Mund. Sofort legte Darius seinen Finger über dessen Lippen, als Zeichen, dass er schweigen sollte. Er deutete über sich und der Freund schien zu verstehen.

„Seid ja leise!“, flüsterte er dennoch.

Abraxas nickte und zog an seinen Fesseln. Die Kriegerin hatte seine Hand- und Fußfesseln miteinander verbunden, so dass er nicht einmal hätte aufstehen können.

„Mach uns los! Worauf wartest du? Wenn sie schläft, bietet sich uns eine einmalige Gelegenheit.“

Darius wirkte nach wie vor unsicher. Würde er seine Kameraden befreien, griffen diese sofort die Frau auf dem Dach an und wie das Enden würde, war ihm ungewiss. Abraxas und auch Telemach würden sie nach wie vor unterschätzen, das wusste Darius von den gemeinsamen Reisen und Abenteuern her.

„Du sollst uns losbinden, habe ich befohlen!“, herrschte ihn Abraxas an.

Darius erschrak. Der Gesichtsausdruck, seines Anführers offenbarten dessen Zorn. Er fühlte sich in diesem Moment an die Ohrfeige erinnert, welche dieser ihm gesetzt hatte. Und auch an den schmerzhaften Tritt, mit welchem Abraxas ihn in den Staub gestoßen hatte.

Getrieben von seiner Angst, welche nun sowohl der Kriegerin als auch seinen Freunden galt, schickte er sich an den ersten Riemenknoten zu lösen. Dies war im Dunkel der Nacht alles andere als einfach, selbst jetzt, wo der Schein des Mondes ein wenig die Nacht erhellte.

Sein Herz blieb stehen, nachdem er ein verhaltenes Knurren hinter sich vernommen hatte. Abraxas Augen starrten an ihm vorbei und blankes Entsetzen zeigte sich in dessen Gesichtszügen. So wandte sich auch Darius langsam zum Tor um, in welchem ein riesiger Wolf stand und seine Zähne fletschte. Seine leuchtend gelben Augen schienen wie jene eines Dämons und das tiefe Grollen seines Knurrens warnte den schlanken hageren Mann, vor jeglicher Bewegung.

„Er wird uns reißen, wenn ich dich befreie“, jammerte Darius.

Ehe Abraxas etwas antworten konnte, stopfte Darius ihm auch schon wieder den Fetzen Stoff in den Mund. Wieder wandte er sich um, doch wie von Geisterhand, war das riesige Tier verschwunden. Langsam stand er aus der Hocke auf, trat an das Tor heran und blickte ängstlich hinaus ins Freie. Doch von dem ihm so mystisch erscheinenden Monstrum war nichts mehr zu sehen.

So wandte er sich noch einmal zu seinen Freunden um, die ihn mit Knurren und Ächzen versuchten zurückzuhalten. Sollte er sie wirklich in Stich lassen? Wie würden die beiden an seiner Stelle handeln?

Darius fühlte sich an etliche Momente und Situationen erinnert, in welchen beide ihn, immer wieder aufs Neue, enttäuscht hatten. Doch gab es auch einige Erlebnisse, in welchen er ihren Beistand erfuhr. So auch während einer wilden Keilerei in einer Taverne, wo Telemach ihm beherzt beigesprungen, Rettung vor einer Messerklinge gebracht hatte. Jetzt noch, glaubte er zu hören, wie das Holz des Schemels, auf dem Kopf des Unbekannten, barst. Wahrscheinlich wäre er jetzt nicht mehr am Leben, hätte sein Freund ihm nicht in seiner Not beigestanden.

Doch anderseits, hätte er sich ohne die beiden in solche Gefahren begeben? Nein, er war sich sicher. Sie schickten ihn immer wieder aufs Neue vor und riskierten sein Leben, um das ihre reicher zu machen. Vor zwei Jahren hatten sie ihn angerufen, nach dem sie ihn, tief schlafend, unter einer Akazie liegend gefunden hatten. Seine Kräfte hatten ihn zu diesem Zeitpunkt verlassen und selbst die Furcht vor der Knute des Herrn, hatte ihn nicht dazu antreiben können, sich wieder zu erheben. Er hatte für jedes Stück Brot und jeden Schluck Wein, einem Sklaven gleich schuften müssen. Oft durch Schläge und Tritte des Patrons getrieben, welcher auf seinen riesigen Ländereien ein brutales Regiment geführt hatte. So war dieser Mann auch das Ziel der beiden Ungekannten gewesen und er zum ersten Mal zu dem Lockvogel geworden, welchen er fortan für sie zu spielen hatte.

In dem Moment, wo er wieder auf die beiden zugehen wollte, hörte er das tiefe Brummen des Tieres. Erschrocken drehte er sich auf der Stelle, doch war nur der Tisch zu sehen, welcher der jungen Frau als Anrichte für ihre Speisen diente.

So ließ er jetzt vollends das wenige an Mut fahren, welchen er noch in sich getragen hatte. Ein letzter Blick auf seine verzweifelten Freunde, da trat er schon durch das Tor hinaus, eilte um das Hauseck herum und schlich die Treppe hinauf, um sich an der Seite der Hausherrin auszustrecken, welche er friedlich schlafend fand.


Am nächsten Morgen
Darius hatte nur schwer in seinen Schlaf zurückgefunden. Auf der einen Seite reute es ihn, dass er Abraxas und Telemach keine Hilfe bringen konnte, auf der anderen fühlte er sich durch seine Angst vor der Kriegerin und deren Wolf gelähmt. Er spürte, dass diese Frau besonders war und er, wie auch seine Freunde sich in große Gefahr befanden, sollte er sich ihren Willen widersetzen. Irgendwann hatte ihn der Gott des Schlafes doch noch in sein Traumreich geführt und zusammen mit seinen Brüdern einen unruhigen und wenig erholsamen Schlaf bereitet.

„STEH AUF!“

Er schrak hoch und hätte seinen Hals beinah in die Spitze eines Speeres gerammt, im Begriff aufzuspringen. Ein ihm völlig fremd erscheinender Krieger hielt die Langwaffe auf ihn gerichtet, gekleidet in einem roten, mit stählernen Beschlägen verstärkten Panzer. Dieser besaß einen breiten Schulterschutz und kunstvoll stilisierten Bauchmuskeln. Ein mächtiger Gürtel mit dem Lambda Spartas schütze zusätzlich den Unterbauch des Gewappneten, während ein bis zu den stählernen Beinschienen herunterreichender Rock aus Lederstreifen und Ketten, den Oberschenkel Schutz bot. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, war dieses doch von einem goldglänzenden Helm verborgen gehalten worden, welcher von einem mächtigen Kamm aus schwarzem Rosshaar gekrönt wurde. Die Kammspitze zeigte einen Wolf, welcher im Angriffssprung auf den Gegenüber des Schwerbewaffneten zustürzte.

Darius vermochte es nicht, trotz der tödlichen Gefahr, in welcher er schwebte, seinen Blick von dieser stattlichen Erscheinung abzuwenden. Wie viel lakonische Drachmen musste man aufwenden, um solch ein Meisterwerk zu bezahlen? Wahrscheinlich mehr, als er jemals in seinem Leben zu verdienen in der Lage war.

„Na? Fürchtet er sich vor mir? Mir scheint meine Waffe länger zu sein, als die seinige.“

Der jetzt in einem deutlich weniger aggressiv klingenden Ton Angesprochene, erkannte sofort die Stimme der Frau wieder, mit welcher er das Lager der Nacht geteilt hatte. Es kam ihm wie ein Wunder vor, dass diese nun in dieser einzigartigen Montur stecken sollte. Dabei schien diese auch noch perfekt auf ihre Statur zugeschnitten worden zu sein.

„Ja, das kann ich nicht abstreiten“, stammelte Darius und mühte sich damit vor ihr auf seine Füße zu kommen.

„So hat deine Angst vor mir nicht nachgelassen durch die Ehre, welche dir zuteil wurde?“

Er nickte, auch wenn er sich dafür schämte, dass seine Furcht so präzise von ihr ermessen worden war.

„Gut! Denn nur deshalb bist du frei.“

Sie zeigte mit der Spitze ihres Speeres auf ein Gepäckbündel, welches er nur all zu gut kannte. Schließlich war es seine Aufgabe gewesen, dieses auf den langen Wegen zu tragen, welche er mit Abraxas und Telemach zurückgelegt hatte.

„Drei Decken, drei Teller, drei Schalen ...“

Darius begriff sofort, worauf sie hinaus wollte.

„Ihr glaubt, es könnte noch ein Dritter in der Nähe sein?“

Unter dem Helm wurde ein heiteres Lachen laut, welches gedämpft und ein wenig blechern klang.

„Nein, Malakes. Lüg mich an und du teilst das Schicksal, welches ich heute deinen Freunden zuteil werden lasse. Sprichst du aber die Wahrheit, will ich sehen, ob ich dir gegenüber Gnade kenne. Vielleicht dem Wohlgefühl der Nacht geschuldet, welches du mir gegeben hast.“

„Herrin! Ich bitte euch. Ich bin nur der Diener der beiden. Sie schicken mich vor, um die Gefahren einzuschätzen, welche im Verborgenen auf sie lauern könnten. Mein Vorgänger kam dabei ums Leben. Das Bündel welches ihr gefunden habt, ich trug es den ganzen Weg hierher. Ich habe ihnen gesagt, dass sie euch in Ruhe lassen sollten, habe ich doch den Geschichten glauben geschenkt, welche man sich über euch erzählt. Doch sie wollten auf die Leute in Kranioi und Pronnoi nicht hören und hielten sich für die besseren Kämpfer.“

„Gut, dann werde ich sie eines besseren belehren. Komm! Befreien wir sie! Hattest du doch in der Nacht nicht den Mut dazu gehabt.“

Darius schwindelte. Woher konnte sie das wissen? Hatte sie sich nur schlafen gestellt? Oder war es der Wolf, welcher ihn verraten hatte? Doch wie konnte das möglich sein?

Die Kriegerin bückte sich vor, mit ihrer rechten Hand auf den Speer gestützt, mit ihrer Linken nach einem großen Rundschild greifend. Dabei fiel Darius Blick auf ein Schwert, welches in einer rotledernen Scheide verborgen, an ihrer linken Seite hing. Zu gerne hätte er es in Augenschein genommen, wirkte doch schon dessen Schaft reich verziert und aus seltenem Material gefertigt.

„Eile dich, oder soll ich dir Beine machen?“, drohte sie ihm.

Sie ging zum Treppenabsatz und deutet mit dem Speer zur Seite.

„Los! Los! Ich freue mich schon darauf, deine Krieger kennenzulernen. Auf der Insel gibt es kaum noch welche, die sich mit mir messen wollen.“ Spott klang in ihrer Stimme mit, sie schien sich ihrer Sache sicher zu sein. Kein Wunder, denn wie sonst, hätte sie diese Schätze an ihrem Leib für sich bewahren können?

Er ging besorgt die Treppe hinunter, gefolgt von der gerüsteten Frau. Auch wenn Abraxas und Telemach ihn nie wirklich gut behandelt hatten, so war es für ihn, abgesehen von einer unbeschwerten Kindheit, noch die erträglichste Zeit seines Lebens gewesen. Selten gab es Tage, an welchen er Hunger gelitten hatte, oder sich um einer nahen Not Sorgen musste. Dafür hatte er mit seiner Würde zahlen müssen und wurde immer wieder aufs Neue Gefahren ausgesetzt, welche kaum für ihn zu überschauen waren. Vielleicht war jetzt einfach der Zeitpunkt gekommen, an welchem sie von Tyche (griech. Göttin des Glücks) verlassen worden sind?

„Nimm ihnen ihre Knebel ab, dann gib ihnen Wasser und bringe ihnen Obst. Ich möchte nicht als feige erscheinen, in dem sie mir geschwächt gegenübertreten müssen.“

Darius bestätigte der Kriegerin, dass er ihren Weisungen folgen wollte, und löste den beiden Männern die Knebel aus den Mündern. Doch die beiden schwiegen, blickten zu der Kriegerin auf und mühten sich ihre Beherrschung zu wahren. Darius fühlte die Angst seiner Freunde, sie schienen jetzt selbst zu ahnen, in welche Gefahr sie sich bei diesem Auftrag begeben hatten.

„Nimm eine Kanne und hole frisches Wasser aus dem Brunnen! Obst und Gemüse, sowie etwas Brot und Olivenöl findest du im Haus. Eile dich! Ich will nicht lange auf meinen Spaß warten müssen.“

Die braunen Augen der großen Frau blickten, durch die Sehschlitze ihres Helms hindurch, auf die beiden Söldner herunter.

„Warum zwingt ihr uns zu einem Kampf? Wir haben euch nichts getan“, wurde sie nun von Abraxas angeklagt. „Wir wussten nicht, mit wem wir es in diesem Haus zu tun haben würden und wollten vorsichtig die Lage erkunden.“

Deianiera lachte lauthals auf.

„Du brauchst mich nicht anlügen, Mann. Dein Kumpan hat mir von eurem Auftrag erzählt. Außerdem schleichen nur Mörder, Räuber oder Diebe um ein Haus herum, niemals dagegen rechtschaffene Leute.“

Telemach, der bisher die Bewaffnete schweigend gemustert hatte, äußerte sich nun ebenfalls.

„Darius lügt. Wir wollten dir nichts böses. Er trägt seine Schuld bei uns ab, wir sind einfache Soldbrüder und wollten auf der Insel nach einer Anstellung suchen. In unserer Heimat ziehen die dunklen Wolken eines sich nahenden Krieges auf, welchen wir zu entkommen suchen.“

„Söldner fliehen vor einem Krieg? Ungewöhnlich, findet ihr nicht?“, zeigte sich die Hünin interessiert.

„Nicht, wenn man das Gut seines Lebens zu schätzen weiß“, erklärte Abraxas sogleich.

„Warum sollte Darius mich anlügen?“, fragte die Frau weiter.

„Er ist gerissen und verschlagen, glaubt ihm kein Wort! Warum sonst sollten wir ihn vorschicken? Er wirkt harmlos und hat eine flinke Zunge in seinem klugen Kopf. Er wird schnell gemerkt haben, dass wir uns mit euch übernommen haben.“

Die Kriegerin lachte abermals. Was für ein Malakes (Vollidiot).

„Merkst du nicht, dass du uns verraten hast?“, herrschte Abraxas seinen Waffenbruder an. „Gerade in dem Moment, in welchem sie zu zweifeln begann.“

Deianiera schüttelte ihren Kopf, das Gespräch hatte ihr bis jetzt einigen Spaß bereitet.

„Er hat recht. Ich war wirklich kurz davor, deine Worte ernst zu nehmen.“ Sie deutete mit der Spitze ihrer Lanze auf den nahenden Darius, welcher in diesen Moment den Wohn- und Schlafraum ihres kleinen Hauses durchquerte. Flüchtig sah sich der Mann dabei um, in seiner Hand den Krug und eine Schale tragend.

„Wollt ihr euch nicht ebenfalls stärken?“, fragte der schmächtige Mann die Hausherrin.

„Ich esse nach dem Kampf. Mein Hunger nimmt sich nicht all zu groß aus im Vergleich zur Vorfreude, welche mich erfüllt.“

Darius beugte sich über seine bisherigen Kumpane und flößte ihnen vorsichtig Wasser ein. Die beide tranken gierig von dem dargebrachten Nass und ließen sich auch von ihm bereitwillig mit Obst, Gemüse und Brot füttern.

„Das reicht jetzt! Binde sie los, gib ihnen ihre Waffen, ich warte vor dem Haus auf sie.“

Darius blickte zu der Kriegerin auf, welche sich in diesen Moment umwandte und durch den Torbogen des kleinen Innenhofs hinaus ins Freie trat.

„Mögen dir die Moiren gewogen sein, Darius. Wenn wir mit ihr fertig sind, fangen wir mit dir an“, drohte Abraxas, kaum dass sie alleine waren.

Nachdem Darius den Männern die aneinandergefesselten Handgelenke gelöst hatte, schlug auch schon Telemachs rechte Faust in sein Gesicht. Ein brutaler Schmerz schien seinen Kopf zum Bersten zu bringen, während ein dichter Schleier vor seine Augen trat. Er konnte kaum noch etwas sehen, ihm schwindelte und nur mit Mühe, mit beiden Händen nach einem Stützpfeiler der Überdachung greifend, vermochte er es, auf seinen Beinen stehenzubleiben.

Abraxas indessen warf Telemach den Bogen zu. Dieser war nicht mehr gespannt, die Kriegerin musste diesen, nach dem sie die beiden Männer überwältigt hatte, entlastet haben, um dessen Zugkraft zu erneuern. Der Schütze brauchte Abraxas Hilfe, um ihn erneut für den Kampf präparieren zu können. Doch wie hatte dieses Mädchen allein dessen Sehne zu lösen vermocht?

„Hier! Dein Köcher und der Speer.“

Telemach dankte Abraxas, nickte ihm zu, bemüht seine Sorge vor dem Freund zu verbergen. Sie waren zu zweit, die Frau allein. Wenn sie es geschickt anstellten, würden sie beide ihr schon den Garaus machen können. Die beiden umfassten mit ihrer Rechten den Unterarm des anderen, dabei ihre Linke auf der Schulter des Gegenübers ablegend.

„Bist du bereit?“, fragte Abraxas seinen Freund. Dieser nickte, löste sich von ihm und legte einen ersten Pfeil in seinen Bogen ein, den Wurfspeer, mit Hilfe eines Tragriemens, auf seinem Rücken tragend.

„Ja. Gib mir die nötige Zeit auf das Dach zu steigen, dann kannst du ihr gegenübertreten“, schlug er vor.

Der Schwertkämpfer war einverstanden. Sein Kopis in der rechten Hand, ein Langmesser in der Linken, würde er die Kriegerin solange abzulenken suchen, wie Telemach an Zeit benötigte, um sie mit seinen Pfeilen zu schwächen. Es lag dann an ihm, dem Weib den finalen Stoß zu versetzen.

„Halte dich wacker, Freund. Noch ist es nicht an der Zeit für uns, dass wir dem Fährmann die Münzen zahlen“, suchte er Telemach anzufeuern.

Darius indessen hockte am Fuß des Pfahls und stöhnte unter der Last seiner Schmerzen. Die Pein in seinem Gesicht war kaum für ihn zu ertragen.

Die beiden Männer blickte verächtlich auf ihren Begleiter herunter, während sie an ihm vorbei aus dem Innenhof traten. Telemach eilte links um das Haus herum, Abraxas schlich nach rechts.



Der Kampf

Abraxas lugte vorsichtig um das letzte Hauseck herum. Er fand die Kriegerin inmitten ihres Übungsparcours, zwischen aufgehängten Sandsäcken und einer Vielzahl, deutlich ramponierter Holzpuppen. Sie dehnte ihren Körper in einem Ausfallschritt, streckte ihre Arme gen Himmel, streckte sich und griff schließlich nach ihren Waffen.

„Theios (griech. Onkel)! Führe mich in diesem Kampf und lasse mich über meine Feinde triumphieren! Lenke mich! Behüte mich! Schütze den Menschen, welcher dich immer lieben und deiner gedenken wird!“

Abraxas trat aus dem Schutz des Hauses heraus. Er näherte sich langsam der Frau, nach einem Punkt im Gelände suchend, welcher ihm im Notfall Deckung bot. Er musste diese Furie aus dem Übungsbereich herauslocken, damit sein Freund sie mit seinen Pfeilen beschießen konnte.

„Ah! Da bist du ja!“ Die Kriegerin wandte sich dem stämmigen Mann zu, welcher ihr zögerlich entgegentrat. Seine Miene wirkte ausdruckslos, der Blick seiner Augen galt einzig ihr.

Er begann um sie herumzuzirkeln, verkürzte langsam die Entfernung und suchte in die Seite der Kämpferin zu gelangen, welche nicht vom Schild geschützt wurde. Diese hielt die Spitze ihres Speeres auf ihn gerichtet und den Schild in einer merkwürdigen horizontalen Haltung, welche so keinerlei Schutz für sie bieten würde. Noch immer war sie durch die Puppen und Säcke gedeckt. Telemach würde es schwerfallen, einen Pfeil auf sie zu lösen.

Abraxas einzige Möglichkeit, nahe genug an sein Ziel heranzukommen, war es ihren Speer zu unterlaufen. Dieser hatte eine hohe Reichweite, wurde aber nutzlos, wenn man sich in unmittelbarer Nähe des Gegners befand. Ab diesem Moment würde er mit seinem Messer und Schwert dieser Soldfrau überlegen sein. Doch egal wie er um sie herumtanzte, in Ausfallschritten auf sie zusprang, die Speerspitze blieb drohend auf ihn gerichtet und die gerüstete Frau wich geschickt seinen Angriffen aus. Raum bot sich hierzu genug für sie, zumal sie sich auskannte.

Abraxas stand der Schweiß auf der Stirn. Lange durfte dieses Spiel nicht andauern. Zwar war er deutlich leichter gekleidet, als die Frau in ihrer Rüstung, doch schien diese einen längeren Atem zu haben, zumal sie ja nur reagierte und mit ihrer Kraft auf diese Weise haushaltete. Mit jedem Augenblick, der verstrich, vergrößerte sich die Gefahr, dass er zusehends an Kraft und Geschwindigkeit verlor.

Warum griff sie ihn nicht an? Warum drang sie nicht auf ihn ein? Sie hatte schon mehrere Gelegenheiten dazu gehabt, zweimal hatte er sie sogar zu provozieren gesucht und sich ihr, kaum durch seine Waffen gedeckt, angenähert. Doch die Frau hielt weiterhin Abstand, die Spitze ihrer Stangenwaffe auf seine Brust gerichtet haltend. Diese schien durch ein Band mit seinem Körper verbunden zu sein. Egal wie abrupt er sich bewegte, die Eisenspitze zeigte auf seine Brust.

Sollte er eine Ermüdung vortäuschen? Schwer fiel es ihm nicht, denn sein Handeln hatte schon einiges von seiner Kraft gefordert. Doch zuvor wollte er einen Angriff wagen, schlug mit seiner Schwertklinge nach dem Schaft der gegnerischen Waffe, drehte sich im Vollkreis und stach mit dem Messer in seiner linken Hand zu.

Sie war stehen geblieben! Diese Erkenntnis kam für ihn zu spät. Wäre sie zurückgewichen, hätte seine Attacke fruchten können, so aber prallte er gegen die auf ihn gerichtete Kante des Rundschilds, welche mit einem dumpfen Ton auf seine Brust drückte. Die Luft wich aus seiner Lunge, Sterne traten vor seine Augen, für den Augenblick schien er unfähig, nach Luft zu ringen.

Verzweiflung kam über ihn, erwartete er doch jeden Moment den Lanzenstoß, welcher ihn aus dem Leben riss. Hatte er Münzen dabei, welche man für den Fährmann auf seine geschlossenen Augen legen konnte?

Es gelang ihm gerade so auf seinen Beinen stehen zu bleiben. Taumelnd, die messerführende Hand gegen seine Brust drückend, blickte er zu der Kriegerin auf, welche ihn, mit der Speerspitze auf ihn zeigend, erwartete. Sie schien völlig ruhig zu sein und ihn nicht wirkliche als Bedrohung anzusehen.

Doch wer schlich da hinter ihr durch die Büsche? Abraxas wollte seinen Augen nicht trauen. Telemach hatte seine Position auf dem Dach verlassen und suchte jetzt nach einer Möglichkeit, seinen Pfeil aus nächster Nähe auf das Weib zu lösen. Diese schien den Bogenschützen nicht bemerkt zu haben, waren doch ihre Augen nach wie vor auf ihn gerichtet. So spielte sie mit ihm ihr böses Spiel und würde gleich ihren Hochmut bereut haben.

Abraxas war erfahren im Kampf. Er hatte schon eine Vielzahl an Aufträgen abgeschlossen und war stets mit auftretenden Überraschungen fertig geworden. So würde es auch jetzt sein, schien sich doch dieses Frauenzimmer ihrer Sache zu sicher. Nie sollte man seinen Gegner unterschätzen. Selbst dann nicht, wenn man glaubte, ihn bereits geschlagen zu haben.

Abraxas suchte auf Abstand zu gehen, worauf ihm die Kriegerin zum ersten Mal folgte. So trat sie aus der Deckung eines aufgehängten Leinensacks heraus, woraufhin Telemach einen Pfeil auf sie schoss. Gleichzeitig bot der Schwertkämpfer all seine Kräfte auf und stürmte auf die Kriegerin los, welche dem Pfeil durch eine seitliche Drehung auszuweichen suchte.

„KLONG!“

Welch banaler Ton, wenn die Klinge auf ein Schild schmetterte. Abraxas Handgelenk schmerzte wegen des abrupten Widerstands, so hart hatte er seinen Hieb zu führen gesucht.

„SCHIEß WEITER!“, schrie Abraxas, woraufhin Telemach hastig seinen nächsten Pfeil bereitzumachen suchte.

Der Kopf der amazonengleichen Frau richtete sich auf einen Punkt, welcher genau zwischen den beiden Männern lag. Diese suchten den Winkel zu vergrößern, damit zumindest einer von ihnen in ihren Rücken gelangen konnte. Die schien sich dieser Gefahr bewusst zu sein und wich in die Richtung ihres Hauses aus. Für die beiden Söldner ein ungünstiger Umstand, würde sie doch dessen Mauern, als Deckung nutzen können. Wieder schoss der Schütze einen Pfeil ab, welcher mit einem surrenden Geräusch auf die Frau zuraste. Diese aber brachte ihren Schild rechtzeitig zwischen sich und dem Geschoss, gleichzeitig mit dem Speer nach Abraxas stechend, der wieder auf sie einzudringen suchte.

Sie stand unter Druck und reagierte. Dessen waren sich die beiden Männer klar geworden. „WEITER!“, rief Abraxas, worauf Telemach hastig einen neuen Pfeil in die Sehne seines starken Bogens einzulegen begann.

Darius hatte aus sicherer Entfernung den Kampf der drei verfolgt. Sollte er darauf Einfluss nehmen? Oder abwarten, welche Seite den Streit für sich entschied? Rasend schnell schossen ihm die Gedanken durch den Kopf. Die Erinnerung an Abraxas Warnung, die für ihn folgenlos gebliebene Erkenntnis der Kriegsfrau. Wenn er jetzt handelte und sich richtig entschied, würde vielleicht sein Schicksalsfaden künftig von den Moiren mit Tyches Segen geflochten werden.

Er würde der Frau beistehen und sich so aus der Abhängigkeit der beiden Schergen lösen. Selbst dann, wenn dies deren Tod bedeuten sollte. Vorsichtig seine Schritte setzend, schlich er die Mauer entlang, vorbei an dem Hauseingang. Die Kriegerin hatte indessen erneut einen Pfeil Telemachs mit ihrem Schild abgewehrt und den Schwertkämpfer mit ihrem Speer auf Abstand gehalten, welcher neuerlich auf sie einzuschlagen versuchte. Sie stand jetzt mit ihrem Gesicht ihm zugewandt, doch keine ihrer Reaktionen deuteten darauf hin, dass sie ihm Beachtung schenkte.

Darius ging in die Hocke, hob mit beiden Händen einen schweren Stein auf und näherte sich weiter dem Bogenschützen an, nachdem er mühsam wieder auf seine Beine zum Stehen gekommen war. Trotz seiner Furcht wollte er jetzt keinesfalls von seinem Plan ablassen, denn Telemach hielt, ein Dutzend Schritte entfernt, seinen schussbereiten Bogen auf die Kriegerin gerichtet. Viele Pfeile steckten nicht mehr in seinem Köcher. So oder so, würde die Entscheidung nicht mehr lange auf sich warten lassen.

„SCHIEß AUF SIE! DAS MUSS EIN ENDE HABEN!“, brüllte Abraxas, der nach wie vor verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, seine Gegnerin anzugreifen. Doch die ließ sich nicht beirren und blieb in der Mitte der beiden, immer wieder Bäume, Felsen und Übungsgeräte zwischen sich und den Bogenschützen bringend.

Telemach, getrieben durch die wütenden Worte seines Freundes, fand dennoch eine Möglichkeit und wollte den Pfeil gerade auf sein Ziel abschießen, als er hinter sich ein Knacken vernahm. So riss er seinen Bogen herum, mit dem eingelegten Geschoss auf die Brust Darius zielend, welcher einen großen Stein mit beiden Händen über seinen Kopf stemmte. Doch in dem Moment, in welchem der Bogenschütze die Sehne seiner Waffe vorschnellen lassen wollte, traf ein gewaltiger Stoß seinen Körper. Er bekam keine Luft mehr, und sein Hals schien sich mit Flüssigkeit zu füllen, welche in seinem Innersten aufstieg. Erschrocken blickte er an seinem Leib herunter, während ein Nebel vor seine Augen trat, welcher zusehends dichter wurde. So konnte er die Spitze des Speeres noch erkennen, welche seinen Leib durchdrungen haben musste, fühlte seine Beine dem Gewicht seines Körpers nachgeben, als die Finsternis über ihm kam. Tod! Diese Erkenntnis war seine Letzte.

Ein Schrei durchdrang die Luft. Abraxas war außer sich, stürmte auf die Kriegerin zu und schlug mit seinem Schwert nach deren rechte Schulter. Doch diese tänzelte auf der Stelle, drehte sich um die Hälfte eines Kreises, wich ihm aus und ließ erneut den Rand ihres Schildes gegen seinen rechten Oberarm prallen. Zeitgleich hatte sie mit der Rechten nach dem Schwertschaft gegriffen und zog jetzt die Hieb- und Stichwaffe aus deren Scheide heraus.

Jetzt war Abraxas derjenige, welcher sich ihrer Angriffe erwehren musste. Immer wieder drang die Schwerbewaffnete auf ihn ein, sowohl den Schild als auch ihr Schwert bei ihren Angriffen nutzend. Anfangs ihre Hiebe und Stiche noch parierend, fiel es dem Kämpfer immer schwerer, der zunehmenden Geschwindigkeit ihres Handelns zu folgen. Ein intensiver Schmerz legte sich über die linke Seite seines Körpers, gefolgt von einem heißen Brand, welcher in seine rechte Schulter fuhr. Dabei öffnete sich wie von selbst seine Hand, in der er sein Schwert gehalten hatte, woraufhin die Waffe mit einem klirrenden Ton zu Boden fiel.

Tränen der Verzweiflung in seinen Augen, suchte er ihren Angriffen mit dem Messer zu begegnen, der Aussichtslosigkeit seiner Lage gewiss. Doch seine Gegnerin schien ihren Spaß mit ihm zu haben und verwundete ihn, mit einem gewaltigen Schildstoß gegen seinen linken Schenkel.

Abraxas kippte zur Seite, fiel mit dem Oberkörper voran zu Boden und schien in diesen Moment erleichtert. Gleich würde es vorbei sein und er von all den Anstrengungen dieses Kampfes, aber auch denen seines Lebens befreit werden.

„Telemach! Ich folge dir nach, mein Freund“, flüsterte er kaum hörbar.



Abraxas überlebt

Doch anstatt ihm die Klinge ihres Kopis in sein Leib zu treiben, trat die Frau mit ihrem Fuß nach seinem Messer, worauf dieses über den Boden schnellte. Abraxas bemerkte jetzt die von stählernen Beinschienen geschützten Unterbeine der Kriegerin direkt neben seiner rechten Schulter, welche sich zur Hocke anwinkelten. Sie wollte ihn wohl näher in Augenschein nehmen, bevor sie ihn in den Hades schickte.

„Du!“ Wandte sich die Kriegerin an Darius. „Hol mir Wasser und eine Schale mit Wundwerkzeug, welche auf dem Tisch im Haus steht. Gleich zu deiner Linken, wenn du durch die Tür getreten bist.“

Darius zeigte ihr an, dass er verstanden hatte, eilte zum Haus und sah, wie die Frau ihren mächtigen Helm von ihrem Kopf herunter zog. Sie schien sich um Abraxas sorgen zu wollen und das, obwohl dieser noch vor wenigen Augenblicken sie zu Tode bringen wollte. Ihr Vorhaben gefiel Darius nicht, fürchtete er doch den Zorn Abraxas noch immer, was dem Umstand geschuldet war, dass er Telemach in einem entscheidenden Moment von der Kriegerin abgelenkt hatte.

Sein Blick fiel auf die Schale, griff nach ihr und nahm einen großen Krug zur Hand. Beides trug er nun zu der Frau zurück, welche sich über ihren verwundeten Gegner gebeugt hatte. Sie tastete den Körper Abraxas ab, lösten den Stoff von dessen Umhangs aus einer weit aufklaffenden Wunde und wandte sich Darius zu, welcher in diesen Moment an ihre Seite trat.

„Erhitze das Wasser über dem Feuer, bis es kocht! Dann komm mit ihm wieder zu mir. Beeile dich. Wir haben nicht viel Zeit.“

Er folgte wie von selbst ihren Befehlen, haderte nicht damit und fühlte sich von einer Last befreit, welche er bis zu diesen Morgen getragen hatte. Das Zusammenleben mit Abraxas und Telemach war für ihn demütigend und beschwerlich gewesen. Auch wenn sie ihn einen Kameraden genannt hatten, so hatten sie ihn dennoch geschunden und geschlagen, wenn er gezögert hatte, ihren Anordnungen Folge zu leisten. Oft war er sich vorgekommen wie der schwächste Tier in einem Rudel Wölfe.

Nervös wartete der hagere Mann neben der Feuerstelle. Es war beschwerlich gewesen das vom Morgentau feuchte Holz zum Brennen zu bringen und beißender Rauch war dabei in seine Augen gestiegen. Er fürchtete sich, die Herrin zu verärgern, in dem er zu viel Zeit verstreichen ließ. Doch was half es? Nur mit Mühe fanden die Flammen im feuchten Holz ihre Nahrung und es gab nicht genug Hitze, welche das Wasser im Krug zum Kochen bringen konnte.

„Wo bleibst du? Er wird sterben, wenn ich nicht bald die Wunde säubern kann.“

„Entschuldigt, aber das Holz ist nass geworden“, rief Darius zurück.

„Dann hole Trockenes aus der Hütte, Malakes!“

Röte stieg in Darius Gesicht. Er hätte von selbst auf diese Möglichkeit kommen müssen. So eilte er durch den Hinterhof zurück in die Kammer, nahm dort etliche Scheite von einem Stapel herunter und hastete mit diesen zu der Feuerstelle zurück. Sorgsam schichtete er dabei das Holz zur Pyramide und endlich wuchsen die Flammen zur gewünschten Größe an.

„Hier, Frau!“

Darius kniete sich neben der Kriegerin auf den Boden, welche mit ihrer linken Hand in die Wunde des Verletzten hinein gegriffen hatte. Warum sie das tat, konnte er nicht verstehen.

Abraxas blieb stumm, sein Gesicht hielt er von ihnen abgewendet. Hatte er sein Bewusstsein verloren? War er überhaupt am Leben?

„Mach das Messer glühend. Schnell!“, herrschte die Kriegerin ihn an.

Auch aus dem Mund der Frau schien es nur Befehle für ihn zu geben. War es sein Schicksal, dass er anderen Menschen zu folgen hatte? In diesen Moment verlor er die zuvor empfundene Unbeschwertheit. Vielleicht dämmerte es ihn jetzt, dass sie nicht anders war, als diejenigen, welche bisher über sein Leben bestimmt hatten.

„Los, eile dich! Wenn er stirbt, werde ich dir die Schuld an seinen Tod geben, sei dir dessen gewiss.“

Angst überkam ihn. Hastig raffte er sich auf, suchte nach dem Messer, welches irgendwo vor ihm liegen musste und fand es schließlich im niedergetrampelten vertrockneten Gras. Er hob es auf und eilte zurück zur Feuerstelle, wo er die Klinge zwischen die Scheite schob. Ungeduldig wartete er darauf, dass das Metall seine Farbe veränderte, doch dies geschah nur langsam, und mit der verstreichenden Zeit wuchs seine Furcht vor der Drohung der Kämpferin.

„WIE LANGE BRAUCHST DU NOCH? ICH KANN NICHT EWIG DIE ADER GESCHLOSSEN HALTEN.“

„ES WILL NICHT GLÜHEN“, suchte sich Darius zu rechtfertigen.

„KOMM HER! ES WIRD SCHON GEHEN!“

Er zögerte keinen Wimpernschlag, riss die Klinge aus dem Feuer heraus und lief zu der Frau zurück, welche eine wundersame Wandlung von einer Söldnerin zur Wundheilerin vollzogen hatte. Eine Veränderung, deren Geheimnis er für sich unbedingt zu lüften beabsichtigte.

Sie nahm in einer hastigen Bewegung das Messer aus seiner Hand und hielt die heiße Klinge über die Wunde.

„Halte sie auf!“, forderte sie von ihm. Erst begriff er nicht, was sie von ihm verlangte, doch dann zog er dieWundränder auseinander

Rauch stieg auf, sowie der Duft versengten Fleisches.

Darius fragte sich in diesen Moment, wie Menschenfleisch schmecken könnte, so deutlich stieg ihm der Bratengeruch in die Nase. Er schämte sich sogleich dafür und suchte umgehend nach anderen Gedanken in seinem Kopf.

Die Frau indessen ließ von dem Verletzten ab und blickte zu ihm rüber.

„Gut, vielleicht schafft er es. Ich werde noch ein paar Kräuter suchen, dann sollte er es mit Asklepios (griech. Gott der Heilkunst) Segen schaffen.“

Die Frau stand auf und deutete auf die Füße des Verletzten.

„Tragen wir ihn in die Hütte und betten ihn auf mein Schlaflager. Du wirst bei ihm bleiben, bis ich wiederkomme!“

Sie hoben den Verletzten gemeinsam an, umfasste dessen Oberkörper, während er nach Abraxas leicht zu tragenden Fußgelenken griff. Vielleicht war sie gar keine irdische Frau? Die ihr innewohnende Kraft kam ihm nicht mehr natürlich vor.

„Führe ihm immer wieder Wasser zu! Tauche am besten dazu ein Tuch in den Krug und benetzte anschließend seine Lippen damit. Lege ihm die Hand auf die Stirn, sollte er fiebern, müssen wir ihm kühle Wickel anlegen.“

„Woher wisst ihr, wie man ihm helfen kann?“

„Mein Onkel war ein gebildeter Mann, er lehrte es mich“, beantwortete sie für ihn überraschend seine Frage.

Das grobe Gesicht der Frau zeigte ihm ein Lächeln. Dann wandte sie sich um, trat aus der Tür heraus und eilte den Weg entlang, in Richtung des kleinen Steges, welcher über den Graben führte. Darius folgte ihr mit seinem Blick, bis sie hinter der Einfriedung verschwunden war und widmete sich dann Abraxas. Jetzt, in diesen Moment, würde es ihm ein Leichtes sein, ihn aus der Welt zu schaffen.

Doch ihm fehlte es jetzt an Mut. Immer dann, wenn er alles auf eine Karte zu setzen suchte, mangelte es an dem letzten Quäntchen Entschlossenheit. Kein Wunder, dass er es nicht vermochte seinem Leben eine Wendung zu geben.

So tat er das, was die Kriegerin ihm aufgetragen hatte, kühlte die Stirn des Verletzten und führte diesem, in kleinen Mengen, Wasser zu. Es verstrich einiges an Zeit, bis Abraxas zu sich kam und sofort unter der Last seiner Schmerzen zu stöhnen anfing.

„Warum ...“, Abraxas kämpfte um jedes Wort. Er war stark geschwächt und sein rechter Arm zitterte. „ ... warum?“ Er blickte zu Darius auf, doch dieser wusste nicht, welche Frage ihm Abraxas zu stellen suchte.

„Bleibe ruhig! Du brauchst Kraft, willst du diese Wunde überleben.“

Abraxas blickte verständnislos zu ihm auf, dann zog er seine Brauen zusammen.

„Duuuuh!“, stöhnte er leise. „Schuld!“ Er hob seinen linken Arm und versuchte damit auf Darius Brust zu deuten.

Darius stand von der Seite Abraxas auf und blickte sich in der dunklen Kammer suchend um. Trotz des wolkenlosen Himmels und einer fleißigen Sonne, drangen nur wenige Lichtstrahlen in das Innere des Häuschens. So hielt man die Hitze daraus fern und es herrschte jetzt, trotz der sommerlichen Hitze, darin eine wohlige Kühle.

Wieder dachte er an die Decke. Würde er Abraxas die Atemluft nehmen, konnte er der Hausherrin erklären, dass dieser aus seiner Ohnmacht nicht mehr erwacht sei. Doch in dem Moment, in welchem er nach dem Wolltuch greifen wollte, trat aus seiner Erinnerung der Wolf. Wenn dieser in der Nähe war, würde sie sein Handeln durch dessen Augen beobachten. So und nicht anders musste es in der Nacht geschehen sein.

Anstatt dem Mann, welchen er gestern noch Freund und Kamerad genannt hatte, zu ersticken, legte er das Tuch über dessen vom Kampf so schwer verwundeten Körper. Nicht auszudenken, wenn sie ihn bei solch einer ruchlosen Tat beobachtet hätte.

Unsicher blickte er sich um, jetzt, in diesen Moment, fühlte er sich durch sie überwacht. War sie ein sterbliches Wesen? Und was hatte es mit ihrem Onkel auf sich? War dieser ein Bote des Olymps? Gab es nicht viele Halbgötter? Herakles? Achilleus? Auch Perseus kam ihm sofort in den Sinn. Doch gab es eine Frau unter ihnen? Er konnte sich nicht darin erinnern, jemals von einer Halbgöttin gehört zu haben. Aber vielleicht war es gerade deshalb wahrscheinlich? Könnte es den Göttern langweilig geworden sein, ausschließlich Männer in die irdische Welt hineinzugebären? Oder eine der Götterfrauen wollte ihrerseits eine Abgesandte zu den Sterblichen entsenden.

Er hörte Schritte vor dem Haus und sah die Soldatin sogleich durch die Tür treten. Sie drückte ihm wortlos ein Fläschchen in die Hand, dann beugte sie sich über den Verwundeten. Geschickt löste sie die Verbände, bedeckte die Wunde mit einer schwarzen Paste und blickte dann auf das vom Schmerz gezeichnete Gesicht Abraxas herunter.

„Hat er etwas gesagt?“

Darius nickte.

„Ja, er hält mich für einen Verräter.“

Sie wandte sich ihm zu, betrachtete ihn aufmerksam, dann hörte er ihr heiseres Lachen.

„Was ja auch stimmt. Du bist feige, Darius. Eine Eigenschaft, welches einem nicht zur Ehre gereicht, aber zumindest überleben lässt. Und du hast erkannt, wer den Kampf gewinnen würde und dich für die richtige Seite entschieden. Von daher sei glücklich über diesen Ausgang.“

Darius nickte zaghaft.

„Wie ist euer Name, Frau?“

Sie hatte sich wieder über den Verwundeten gebeugt, senkte ihren Kopf auf dessen Brust ab und schien zu horchen.

„Sein Herz schlägt langsam aber stetig. Ich denke er wird wieder gesund.“

Sie drehte sich erneut zu ihm um und ließ sich von ihm das Fläschchen reichen.

„Deianiera ist mein Name. Doch dürfen nur freie Menschen mich so anrufen. Dieser Mann hier und auch du, Darius, seid fortan meine Sklaven. Von daher wirst du mich ab jetzt Afentra nennen.“

Darius blickte sie erschrocken an. Selbst der Patron, welcher von Abraxas und Telemach so schwer verstümmelt worden war, hatte es nicht gewagt, ihn so zu nennen.

„Aber mit welchem Recht? Ich habe euch doch geholfen. Ohne mich ..., der Pfeil.“, stammelte er.

„Und du glaubst wirklich, ich hätte den Kampf ohne deine Hilfe nicht für mich entscheiden können? Sei kein Narr! Es hätte ein paar Wimpernschläge angedauert, bis ihr drei im Sand verblutet wärt. Füge dich deinem Schicksal, rate ich dir. Ich behandel das, was ich besitze, gut.“

„Aber ich bin als freier Mann geboren. Das Gesetz ...“

Die Frau lachte auf, so laut, dass es ihm in den Ohren schmerzte.

„Gesetz? Welches? Das Kraniois? Das von Pale? Oder meinst du jenes der Polis Athen oder Sparta? Ich gebiete über dich, weil du dich auf meinem Land bewegst, mir schaden wolltest und meinem Willen unterliegst. Also kein Wort mehr, oder ich strafe dich.“

Darius sah Sterne vor seine Augen treten. Er glaubte, der Sinn seines Lebens hätte sich vollständig verflüchtigt.



Darius, der Sklave

Den Blick zum Himmel gerichtet, betrachtete Darius den Mond. Dieser war voll geworden, seit der Nacht, in welcher er zum ersten Mal auf diesem Dach genächtigt hatte. Die Afentra hatte ihn am gestrigen Abend an ihrer Seite einschlafen lassen, ohne dass sie das Schwert, wie sie sein Gemächt nannte, zu ihrem Vergnügen verwendet hätte. Er war voller Zweifel deshalb, fürchtete er doch, das ihr Interesse an ihm nachgelassen haben könnte.

Seine Hand tastete nach seinem Hals, an welcher er fortan einen Kupferring zu tragen hatte. Es stand ihr Name darauf, zum Zeichen, dass er ihr gehörte. Sklave! Noch immer konnte er nicht glauben, dass ein Mensch, über alles was sein Leben ausmachte, bestimmen durfte. Noch dazu eine Frau!

Darius glaubte, die Hammerschläge zu hören, welche in sein Ohr drangen, während die Afentra den heißen Niet durch die Ösen des metallenen Halsbandes trieb. Ein jeder der Schläge schien ihn zu verhöhnen und die Last seines neuen Lebens zu verdeutlichen. Dabei fühlte er den Druck ihrer Sandalensohle in seinem Genick mit welcher sie ihn auf den Ambos herunter gedrückt hatte.

„Schlaf jetzt!“, hörte er leise ihre Stimme.

Darius schloss sofort wieder seine Augen. Es war nicht das erste Mal, dass sie in seine Gedanken sah, wie er glaubte. Er fürchtete ihre Macht, fühlte sich ihr gegenüber ohnmächtig und sorgte sich über jeden kommenden Tag.


„Stehe auf! Stärke dich, dann hacke Holz und bereite mir mein Essen. Ich gehe solange ans Meer und bade im Wasser meinen Körper.“

Darius bestätigte, dass er ihre Weisungen vernommen hatte, und erhob sich sofort aus dem Nachtlager.

„Darf ich auch Abraxas eine Morgenmahl bereiten, Afentra?“

Es ärgerte Darius, dass er mittlerweile wie selbstverständlich dieses Wort benutzte.

„Tue das. Wir versuchen, später mit ihm ein paar Schritte zu gehen, gelingt es uns, lege ich ihn in Ketten. Ich bin mir, anders als bei dir, seiner nicht sicher. Besser ich verkaufe ihn, bevor er meine Sorge um ihn mit einer Dummheit zu vergelten sucht.“

„Wohl, Afentra.“ Erwiderte Darius erleichtert. Es würde ihm leichter werden, wenn er seinen ehemaligen Kumpan nicht mehr in seiner unmittelbaren Nähe wusste.

„Und seine Hand? Schmälert sie nicht seinen Wert als Sklave?“

Darius erinnerte sich an die Vielzahl klagender Worte, welche ihn Abraxas ständig zugerufen hatte. Der einst so kräftige Mann konnte seine Rechte nicht mehr schließen und seinen Arm nur mit äußerster Anstrengung bewegen. Er war im Kampf mit Deianiera zum Krüppel geworden.

„Auch deshalb die Ketten. Wenn ich ihn darin einschließe, wird der Käufer seinen Makel nicht bemerken“, erklärte ihm die Herrin bereitwillig.

„Ist das nicht Betrug?“, gab Darius zu bedenken.

„Ich behaupte ja nicht, dass er gesund ist.“

Sie lachte und eilte, fröhlich pfeifend, die Treppen herunter. Darius Augen folgten ihr, dann wandte er sich zu den Bergen um, hinter deren Kamm, die Sonne als Halbrund sichtbar wurde. Er streckte sich, tastete gedankenverloren nach seinem Sklavenreif, dann raffte er sich auf, um seinen beschwerlichen Tag zu beginnen. Sie würde ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, solange bis er endlich wieder die Augen zur Nacht schließen durfte.

Deianiera besaß ein rastloses Wesen. So schwamm sie am Morgen im Meer, trotzte dabei spielerisch den Gefahren Poseidons, lief den Strand entlang und kletterte einen Fels empor, der an dem Anwesen, auf welchem ihr Haus stand, angrenzte. Von dort aus blicke sie, nackt wie die Göttinnen sie erschaffen hatten, ins Land hinaus, rekelte sich in den Strahlen der Sonne und sprang hinab in den Hof, dessen Boden sich vier Meter unter ihr befand. Jeder andere Mensch hätte sich schwer verletzt, doch sie kam sofort wieder zum Stehen und störte sich nicht an dem Staub, welcher ihre noch feuchte Haut bedeckte.

Nackt wie sie war, kam sie um das Haus herum, gesellte sich zu ihrem neuen Diener und linste über dessen rechte Schulter hinweg nach ihrer Mahlzeit. Er verstand sich auf diese Aufgabe ganz gut, viel besser, als sie es von ihm erwartet hatte.

So wanderten ihre Augen über pralle Oliven, leckeren Ziegenkäse, einen am Vortag gebackenen Leib Brot und einer Vielzahl Obst, welches Darius sorgsam für sie zugeschnitten hatte. Dazu reichte er ihr geröstetes Fleisch vom Schwein.

Ihr linker Arm legte sich über seine schmächtigen Schultern, während ihre nackte Brust gegen seinen Rücken drückte. Gierig griff sie nach ein paar Feigen und führte eine von ihnen an ihren Mund.

Darius blieb, wo er war, wusste er doch, dass die Afentra seine Nähe in solch einem Moment wünschte.

„Würde ich nicht bluten, ich hätte Lust auf dich.“ Sie lächelte und biss gierig in die Feige, dann wandte sie sich auch schon ab, blickte auf die Bucht herunter, welche sich gen Norden unterhalb ihres Hauses erstreckte und blieb in Gedanken, während sie weitere Früchte zu sich nahm.

„Iss selbst, dann schaffe Ordnung. Später werden wir mit Abraxas einen ersten Versuch wagen.“

„Das will ich tun, Afentra“, gab sich Darius devot, griff nach einem Stück Brot und etwas Käse und setzte sich auf dem Schemel an der Feuerstelle. Dieser war zu seinem Platz geworden, während seine Herrin geschickt an einem neuen Sitzmöbel zu arbeiten begann. Es sollte ein bequemer Stuhl werden und Darius hatte damit aufgehört, sich darüber zu wundern, dass sie sich auch auf dieses Handwerk verstand.

„Afentra?“

Die Frau brauchte einen Moment, um sich aus ihren Gedanken zu lösen, strich mit ihrer Hand über ihren Schoß, dann blickte sie zu ihm rüber.

„Was willst du?“

Darius reute es, dass er es gewagt hatte eine Frage an sie zu richten. Doch jetzt war das Verbrechen begangen und so konnte er nicht mehr zurück.

„Wenn ich euch fleißig diene, lasst ihr mich dann frei?“

Sie blickte ihn verdutzt an, dann brach auch schon ein heiteres Lachen aus ihr heraus.

„Du glaubst, dass du entscheidest, ob du fleißig bist oder nicht? Du bist ein Sklave, eine Sache, ein Werkzeug, nichts sonst. Ich treibe dich an, solltest du meinen Ansprüchen nicht genügen und wenn ich deiner überdrüssig bist, verkaufe ich dich. Hast du das verstanden?“

Tränen standen dem hageren Mann in den Augen, jedes einzelne Wort aus ihren Mund hatte ihn wie ein Peitschenhieb getroffen.

Sie sah es, dann wandte sie sich auch schon wieder von ihm ab. Ihr Blick war wieder auf das Meer gerichtet und ihre Gedanken nahmen ihren Lauf.

„Nur mal aus Interesse. Wenn ich dich frei lassen würde, was glaubst du würde mit dir passieren?“

„Ich könnte selbst darüber entscheiden, wohin ich gehen möchte“, wimmerte er.

Wieder lachte sie schallend auf. Sie hielt sich sogar ihren Bauch dabei und beugte sich vor, vergebens um ihre Fassung kämpfend.

„Du entscheidest?“ Meinte sie schließlich zu ihm. „Nein, Sklave. Dein Hunger entscheidet, dein Durst. Du besitzt kein Land, also wirst du zu jemanden gehen, der welches besitzt. Dort verdingst du dich bei einem Bauer, vielleicht auch einem Handwerker in einem der Orte, um genau diese Verlangen zu stillen. Bist du aber dann frei, frage ich dich?“

Er zögerte. Ihre Worte begannen bei ihm Wirkung zu zeigen, egal wie sehr er sich auch gegen ihre Bedeutung zu wehren suchte.

Weißt du, Sklave, Freiheit besitzen diejenigen, welche ihr Leben selbst bestreiten können. Menschen die stark, gesund und dazu in der Lage sind, ihre Bedürfnisse selbst zu befriedigen. Von daher bin selbst ich nicht frei, brauche ich doch das Liebesschwert meines Sklaven, um mein Verlangen nach einem Mann zu stillen, habe ich Recht? Sie lachte heiser.

Ich weiß mich zu verteidigen, jage Beute, fange Fisch und baue Obst und Gemüse an. Ich brauche niemanden zum Leben, im Gegensatz zu dir. Deshalb bin ich frei und du mein Sklave. Verstehst du jetzt? Sei froh, dass es so gekommen ist, rate ich dir. Denn ich biete dir Schutz und Auskommen an. Ein Gut welches auf dieser Insel nicht selbstverständlich ist.

Er nickte, zu einer anderen Entgegnung war er nicht im Stande.

Sie störte sich nicht daran, er würde sich schon an seinen Stand gewöhnen. Freiheit? Was für ein Malakes.

„Was, wenn ihr mich das alles lehren würdet? Dann wäre ich doch frei.“

Deianiera schüttelte ihren Kopf, eilte zu ihm rüber, griff mit ihrer Linken in sein langes dichtes Haar und schmetterte ihm ihre Rechte in sein Gesicht.

„Gib dich zufrieden, rate ich dir! Verliere nicht den Respekt. Es herrscht eine Ordnung zwischen uns, welche ich zu wahren weiß.“

Darius weinte wieder, senkte seinen Kopf, wagte es nicht, seine getroffene Wange zu reiben. Diese brannte furchtbar und ein starker Schwindel vernebelte seine Sinne. Eine so heftige Ohrfeige, hatte selbst Abraxas ihm nicht schlagen können.

„Geh an deine Arbeit, du hast genug!“, herrschte sie ihn an.

Darius nickte, raffte sich auf und legte sein Brett mit dem Essen auf den Boden ab. Sie hingegen trat an die Esse, blickte sich um und traf Vorbereitungen für ihr Tagwerk.
 
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Abschied von einem Freund

Darius ging unsicher zur Anrichte zurück, nahm von dem, was die Afentra übriggelassen hatte und betrat im Anschluss den Hof, wo Abraxas sein Lager hatte. Diesem reichte er schweigend die Schale, in seinen Gedanken beim Streitgespräch mit seiner Herrin verweilend. Sie hatte ihn zum ersten Mal geschlagen! Auch jetzt wütete ein heftiger Brand auf seiner Gesichtshaut und in seinem Magen herrschte eine beklemmende Übelkeit. Diese war der Demütigung geschuldet, welche er empfand. Geprügelt und gemaßregelt von einem Weib, ging es denn schlimmer? Die Moiren schienen ihn mit seinem Lebensfaden würgen zu wollen, während sie daran webten.

„Sieh, in was du uns hineingeführt hast!“, zischte Abraxas. „Geht es dir jetzt besser? Sie hat Recht mit dem, was sie sagt. Du bist ein Idiot und verstehst dich nicht darauf ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Zu schwach und unfähig bist du dazu. Sklaven!“ Abraxas lachte. „Soweit sind wir dank dir gekommen. Tröste dich, als Krüppel geht es mir nicht anders. Sind wir im Schicksal nun vereint, habe ich Recht? Wenn dies auch nicht dauerhaft.“

Darius wandte sich zu seinem Weggefährten um. Die Afentra würde Abraxas verkaufen. War er vor kurzem froh über deren Vorhaben, reute es ihn jetzt. Vielleicht hätte er mit Abraxas Hilfe eine Option gehabt? In seinem Kopf gab es etwas, was ihn nicht zur Ruhe kommen lassen wollte. Freiheit! Sein Vater hatte diese das höchste Gut auf Erden genannt.


„Wie geht es ihm?“

Darius fuhr erschrocken herum und sah die Herrin im Hoftor stehen.

„Er hat gegessen und getrunken, ich denke ganz gut.“

Deianiera drückte ihn zur Seite und ging vor Abraxas, unbekleidet wie sie war, in eine Hocke.

„Kannst du den Arm bewegen?“

Abraxas blickte zu ihr auf, dann schüttelte er verhalten seinen Kopf.

Deianiera blickte den Mann nachdenklich an. Ein hohen Preis würde sie nicht für ihn bekommen, trotz dessen er immer noch eine stattliche Erscheinung war.

„Was kannst du noch, außer das wenige an Waffengeschick, welches ich gesehen habe.“

Der Mann blickte erstaunt zu ihr auf.

„Wenig? Ich habe dich getrieben, Weib und mit einem Freund an unserer Seite, anstelle dieses Verräters hier, wärst du jetzt nicht mehr am Leben.“

Die Frau ließ ein heiteres Lachen hören und nickte ihm zu.

„Glaube daran, wenn es dir hilft. Dein Schicksal ist dennoch ein anderes. Komm! Steh auf! Wir gehen zum Grab deines Kamerades, damit du dich von ihm verabschieden kannst.“

Abraxas hatte sich vorgenommen, sich verletzt zu stellen, um die Absicht der Frau ihn zu verkaufen, zu hintertreiben. Doch deren Ankündigung, das Grab seines Freundes zu besuchen, ließ diesen Vorsatz für ihn hinfällig werden. Hatte sie Telemach einen würdigen Ort zur Totenruhe bereitet? Sich das vorzustellen, fiel ihm schwer. Vielleicht suchte sie ihn auf diese Weise zu verhöhnen?

Darius musste Abraxas auf die Beine helfen, unterdessen die nackte Frau in das Innere ihres Häuschens ging, um sich anzukleiden. Sie brauchte nur einen Augenblick, kehrte zu ihnen zurück, und befahl Darius den noch immer geschwächten Schwertkämpfer zu stützen.

Gekleidet in einem schwarzen Umhang, ging sie voraus, wartete geduldig, bis die beiden Männer ihr gefolgt waren und tat dann aufs neue ein paar Schritte um das Haus herum. Sie hielt auf die Brücke zu, ging über diese auf die andere Seite des Grabens und bog nach rechts in Richtung Meer ab, nachdem sie ein paar dutzend Schritte, Richtung Kranioi gelaufen waren.

Darius tat sich schwer damit, Abraxas zu stützen. Ob dieser kaum zum Gehen in der Lage war, oder ihm seinen Dienst zu verleiden suchte, war ihm ungewiss.

Die Herrin schien Ähnliches zu glauben, mustere mit kritischen Blick die beiden Männer und deutete dann mit ihrem linken ausgestreckten Arm auf ihr Haus.

„Kehren wir wieder zurück, er will meiner spotten. Trotz der Gnade, welche ich ihm erweisen wollte.“

Abraxas schrak auf. Sein Gewicht verringerte sich sofort, welches bis dahin auf Darius Schulter gelastet hatte.

„Nein, Afentra! Bitte. Ich will gehen.“

Deianiera zeigte sich gnädig, überzeugte sich, dass die Männer ihr schneller nachfolgten, und ging einen Pfad entlang, welcher von dem Weg aus, Richtung Küste führte. Er war ziemlich beschwerlich und so kam Abraxas wieder an einen Punkt, an welchen ihn Darius stützen musste. Wenigstens spendeten eine Vielzahl Bäume Schatten und nur wenig Strauchwerk, verleidete ihnen den Weg.

Ratlos blieb Darius mit Abraxas vor einem Steilhang stehen, welchen die Frau in einem lockeren Sprung genommen hatte. Wie sollte er, zusammen mit Abraxas dort hinuntergelangen?

„Ich stützte ihn von unten, packe du ihn an seinem linken Arm.“

Abraxas fühlte die starken Hände der Frau an seinen Schenkeln und Backen, sie langten kräftig zu, drückten gegen seinen Leib und halfen ihm so, das Hindernis zu passieren. Auch Darius wurde ihre Unterstützung zuteil und so gelangten sie zu einem riesigen Strand aus weißem Sand, welcher sich über hundert Schritt zum Meer hin erstreckte.

Poseidons Reich! Wie schön es war. Ein Paradies aus blauen und türkisen Farben, im Glanz der Sonne sich zu Wellen erhebend, die mit kräftigen Tosen anbrandeten. Ein Windstoß umhüllte ihre Gesichter, welche für einen Moment diesem faszinierenden Anblick gedachten.

„Dort drüben, die Insel. Sie ist unser Ziel. Dein Freund hat sie für sich allein.“

Abraxas blickte zu dem kleinen Eiland hinüber, welches vielleicht dreihundert Fuß in seiner Länge maß. Sie mussten durchs Flachwasser waten, um es zu erreichen.

„Lass mich dort sterben, Weib. Dann wäre ich mit meinem Freund vereint.“

„Damit meine Fürsorge vergebens war? Nein! Sicher nicht. Du ist zu jung für den Tod und wirst noch viele Jahre Arbeit verrichten können.“

Abraxas schauderte bei diesem Gedanken. Er selbst hatte Dutzende von Kämpfen und vier Schlachten durchlebt, war viele tausende Stathmoi (griech. Tagesreise) weit gewandert, alles in Begleitung seines Freundes Telemach, welcher ihn, von Kindesalter an, begleitet hatte.

„Welche Arbeit, Weib? Du hast mich zum Krüppel gemacht.“

Sie schien zu ahnen, dass er sie zu provozieren suchte und überging seine respektlosen Worte.

„Das wird nicht meine Sorge sein. Doch kann ich beeinflussen an wen du verkauft wirst. Du bist ein kluger Kopf, von daher wirst du die Bedeutung erkennen, welche in meinen Worten liegt.“

„Und wenn ich mich weigere? Werf ich mich hier zu Boden um zu sterben, was willst du tun?“ Schrie Abraxas voller Abscheu, sodass Darius an seiner Seite erschrocken zusammenfuhr.

„Ich grabe deinen Freund wieder aus? Ich könnte seinen Leib kleinhacken und an die Fische verfüttern. Wäre dir das lieber?“

„Du Hexe!“ Abraxas kamen die Tränen. Nie zuvor hatte Darius diesen Mann in solch einem Gemütszustand beobachtet.

„Füge dich, dann gönne ich dir den Abschied von deinen Freund. Ansonsten lege ich dich schon jetzt in Ketten, bringe dich in den Ort und verschwende keinen Gedanken mehr daran, was dir widerfahren wird. Verstanden?“

Es verstrichen einige Augenblicke, bis Abraxas reagierte.

„Bring mich zu ihm!“, drang kaum hörbar aus seinem Mund.

Deianiera nickte, drehte sich zu der Insel um und lief über den weichen Sand des Strandes. Die beiden Männer folgten ihr und so erreichten sie das Wasser, welches ihre Füße zu umspülen begann. Es war kalt und Darius begann sich sofort vor dessen Macht zu fürchten. Er war als Junge beinahe in einem Fluß ertrunken und seit dem übervorsichtig diesem Element in dessen Naturform gegenübergetreten.

Abraxas stützte sich wieder mit seinem ganzen Gewicht auf ihn, wahrscheinlich waren seine Muskeln noch nicht stark genug, um sich der Kraft der Wellen zu widersetzen, welche jetzt, nach wenigen Schritten, schon ihre Oberschenkel erreichten.

Die Afentra watete schon wieder durch das Flachwasser der Insel, lief deren steinige Küste entlang und fand eine Stelle, um das Plateau zu erreichen, welches die Silhouette des winzigen Eilandes prägte. Dort wartete sie im Schatten einiger kleiner Bäume und half dabei, Abraxas hinauf zu ziehen. Diese Aufgabe schien ihr nicht schwerzufallen und Darius konnte die kräftigen Muskeln ihrer Beine beobachten, deren Fasern sich deutlich unter der gebräunten Haut abzeichneten.

„Dort vorne ist es.“ Sie deutete auf einen einige Fuß hohen Steinhügel, welcher von Menschenhand aufgeschichtet worden war.

Abraxas und Darius staunten. Es schien ihnen unvorstellbar, dass diese Frau sich solch ein Mühsal aufgeladen haben sollte. Wie lange hatte sie dafür gebraucht? Es mussten Tage gedauert haben, all diese Felsenbrocken zu bewegen.

„Nun tretet schon heran. Wir haben nicht viel Zeit, bis die Flut wieder einsetzt.“

Abraxas humpelte an das Grab seines Freundes heran. Die massiven Steine schützten es vor Tieren und Witterung, die Frau musste sich einiges an Arbeit aufgeladen haben um diese heranzutragen und aufzustapeln. Egal wie er sich gegen dieses Gefühl aufzulehnen suchte, zwang ihn sein Innerstes dazu, ihr seine Anerkennung zu zollen.

„Warum dieser Aufwand? Er wollte euch töten“, fragte Darius erstaunt.

„Er ist als Krieger gestorben und wurde dadurch zu meinem Bruder. Also erwies ich ihm seine letzte Ehre.“ Erklärte sie sich bereitwillig. „Außerdem kräftigt solch eine Arbeit meinen Körper, mein Onkel hat mich gelehrt, das Schnelligkeit und Kraft im Verbund, die stärkste aller Rüstungen sei.

„Und mir hältst du die Ehre als Krieger zu sterben vor?“, klagte Abraxas.

„Ja, du hast sie dir nicht verdient.“

Abraxas kamen die Tränen. Nichts wäre ihm in diesen Moment lieber, als friedlich, zur ewigen Ruhe gebettet, neben seinem Freund zu liegen.

„Wenn ich mich dir wiedersetze, würdest du dann wirklich dieses Grab einreißen? Du nimmst ihm damit die Ehre wieder, von der du gerade noch gesprochen hast.“

„Wieso ich? Du provozierst mich dazu, habe ich Recht? Also trägst du die Schuld daran, nicht ich.“

Abraxas fühlte Wut in sich. Doch egal, wie er es auch anzustellen suchte, er fand keine Möglichkeit, diese Frau zu bezwingen. Für seinen rechten Arm schien es keine Besserung zu geben und so war es ihm unmöglich geworden, eine Waffe zu führen.

Den Blick auf das Hügelgrab gerichtet, rasten seine Gedanken. Was, wenn er Darius überredete diese Frau für ihn zu töten? Aus dem Hinterhalt und überraschend, wäre ihm dies sicher möglich. Zumal sie ihn für feige hielt und unfähig zu solch einem Handeln.

„Kommt jetzt! Genug meiner Zeit verschwendet. Gehen wir zurück zum Haus.“

Darius musste gegen Abraxas Leib drücken, um ihn dazu zu bewegen, das Grab seines Freundes zu verlassen. Tränen standen in dessen Augen, während unverständliche Worte aus seinem Mund drangen. Die Brandung auf der Meerseite der Insel wurde stärker. Man musste sich jetzt beeilen, um nicht für eine lange Zeit auf diesem winzigen Eiland gefangen zu sein.

„Willst du sie verärgern? Komm! Sonst wird sie uns strafen.“

Abraxas beherrschte nur mit Mühe seine Wut. Er musste jetzt eine Brücke zwischen sich und Darius bauen und dessen Vertrauen gewinnen, ungeachtet des Hasses welchen er für ihn empfand.

So überblickte er ein letztes Mal das Grab Telemachs, hob einen handtellergroßen Stein vom Boden auf, welchen er auf die Spitze des Grabes legte und wandte sich dann zum Gehen. Er würde wiederkommen, dieses Versprechen gab er seinem Freund, wie sich selbst.

„Hier ist es noch tiefer als drüben. Tritt wieder in meine Hände, dann fällt es dir leichter“ rief Deianiera Abraxas zu, der sich mit Darius Hilfe, über die Kante des Hangs schob. So stieg er mit seinem rechten Fuß in die Hände der Frau, ließ sich vorsichtig herunter und kam auf seinem linken Bein zum Stehen. Kurz trafen sich ihre Blicke, dann wartete sie darauf, dass Darius das Hindernis überwunden hatte. Ihm wurde keine Hilfe Deianieras zuteil, so dass er an den Felsen abrutschte und auf den Boden schlug. Stöhnen raffte er sich auf, während Abraxas Mühe hatte, seinen Spott zurückzuhalten.

„Eilt euch jetzt. Ich bin mit meiner Geduld langsam am Ende.“

Darius lud sich sogleich Abraxas Arm auf seine Schultern, tat vorsichtig die ersten Schritte ins Wasser und folgte dann der Frau, welche schon die Hälfte des Wasserhindernis passiert hatte. Die Flut hatte eingesetzt und so reichte ihm das Wasser bis zum Bauch. Bei seinem Begleiter wurde die Brust umspült und er war kaum in der Lage dazu, einen Schritt vor den anderen zu setzen.

„Weiter! Sonst spült uns die Strömung ins Meer hinaus“, mahnte ihn Darius.

„Lass mich los, dann bin ich frei!“, entgegnete Abraxas.

Darius blickte ihn erschrocken an.

„Das wäre dein sicherer Tod!“

Abraxas schloss seine Augen, wandte sich zu der Insel um, dann nickte er.

„Du hast Recht! Es ist mein Wille! Lass es geschehen, ich bitte dich. Dein Schicksal ist gnädiger, als meins.“

Darius zögerte. Was sollte er tun? Abraxas weigerte sich auch nur einen Schritt weiterzugehen, weshalb es ihm ja nun wirklich unmöglich wurde, diesen beim Durchqueren des Wassers zu helfen.

„Lass mich los!“, schrie Abraxas jetzt.

„Ich kann nicht, sie wird mich bestrafen.“

„Lass los oder ich reiße dich mit mir“, drohte Abraxas.

Darius erschrak und lockerte umgehend seinen Griff. Abraxas Leib tauchte sofort ins Wasser ein, welches ihn umgehend packte und mit zunehmender Geschwindigkeit mit sich nahm..

„AFENTRA! ER HAT SICH LOSGERISSEN!“, kreischte Darius auf, das Grollen der Brandung und das Tosen des Windes mühsam übertönend.

Deianiera hatte gerade erst das Wasser verlassen, als sie ihren Sklaven winken sah. Wo war der andere? Sie folgte mit ihrem Blick Darius Fingerzeig, fand einen Kopf, wenige Fuß entfernt aus dem Wasser ragen, da lief sie auch schon zurück, nahm die ihr entgegenrollenden Wellen im Sprung und hechtete, mit einem gewaltigen Satz kopfüber ins Wasser. Wie wahnsinnig ruderte sie mit ihren Armen, erreichte nach wenigen Stößen den verkrüppelten Mann, welcher nun untergetaucht, den Schutz der Insel verlor und Richtung Klippen gespült wurde, die den Strand von der Steilküste abgrenzten. Würden sie beide dorthin getrieben werden, gab es keine Möglichkeit mehr, das Land zu erreichen.

Daianiera streckte ihren linken Arm nach dem kleineren aber auch deutlich schwereren Mann aus, bekam dessen Leib nicht zu fassen und musste, nach einigen kräftigen Schwimmstößen ihren Versuch erneuern. Er wollte sich ihr widersetzen, suchte sie anzurufen, doch verschluckte er sich und tauchte unter. Dieses Mal erwischte sie ihn, doch wehrte er sich und suchte sich, mit aller Gewalt von ihr zu lösen.

Ihr Handeln verselbstständigte sich. Die Klippen waren nicht mehr weit entfernt und ihre Möglichkeiten den Strand zu erreichen, schwanden zusehends. So umklammerte sie Abraxas Leib mit ihren Beinen, fühlte den Druck seines linken Arms und spürte, wie sie von dessen Leib unter die Wasseroberfläche gezogen wurde.

Nun war sie es, welche sich von ihm zu befreien suchte, doch hielt er ihre Hüfte mit seinem linken Arm umklammert. Wahrscheinlich sah er sein Handeln als letzte Möglichkeit, um ihr doch noch seine Rache zuteilwerden zu lassen, in dem er sie mit in den Tod riss. So versetzte sie ihm einen gewaltigen Kopfstoß, fühlte den Schmerz auf ihrer Stirn, da lockerte sich sein Griff. Er schien bewusstlos geworden zu sein, was ihr endlich die Gelegenheit bot, mit ihm zusammen, dem Wasser zu entkommen. Für sie gab es kein Nachgeben, dieser Mann durfte ihrem Willen nicht entfliehen. Ließ sie dies zu, würde es ihr in Zukunft immer leichter fallen, Ausreden für das eigene Versagen zu finden. Auch jetzt, nach Jahren, glaubte sie die Weisheiten ihres Onkels zu hören, welche ihr diesen Weg für ihr Leben aufgezeigt hatten.

So hob sie mit kraftvollen Schwimmstößen ihrer beider Köpfe aus dem Wasser, hielt auf das Ufer zu und sah Darius den Strand entlang laufen und schließlich ins Wasser steigen. Er brachte ihnen seine Hilfe! Diese Erkenntnis kam für sie überraschend. So hielt er auf sie zu, bot ihr seine Hand und half dabei, sie und Abraxas der Gewalt des Meeres zu entreißen.



Reisevorbereitungen

Deianiera trat in den Innenhof um nach Abraxas zu sehen. Dieser hatte sich mittlerweile von seinem nahtot erholt und blickte, an Hand- und Fußgelenken in den Schellen schwerer Fesselketten geschlossen, seiner Zukunft lethargisch entgegen. Er nahm sich vor, mit der Frau kein Wort zu wechseln, welche sich über ihn beugte und sein Gesicht anhob, in dem sie rücksichtlos mit ihrer rechten Hand unter sein Kinn drückte.

Sie ging, gekleidet in einem schwarzen Chiton, neben ihm in die Hocke, betrachtete ihn nachdenklich und überzeugte sich, dass die Stoffwickel um seine Hand- und Fußgelenke nicht verrutscht waren. Sie sollten Abschürfungen auf der Haut verhindern, welche sonst durch die eng anliegenden Metallringe verursacht würden.

„Du entscheidest, neben dem Preis, an wen ich dich heute verkaufen werde. Zeigst du dich mir gegenüber aufsässig oder stur, werde ich deine Vorzüge, während des Handels, außer acht lassen. Gibst du dich aber folgsam, wird es ein gnädiger Herr oder Herrin sein, welche künftig über dich gebieten wird. Hast du mich verstanden?“

Abraxas nickte. Er wollte selbst von dieser Frau loskommen und der undankbaren Kreatur Darius, welcher kein Ohr für seine Worte offen gehabt hatte. Es wäre diesem möglich gewesen, das Weib unschädlich zu machen, schien sie ihm doch zu vertrauen. Doch Darius zauderte und schien sich mit seiner neuen Rolle langsam abgefunden zu haben, wie er glaubte einschätzen zu können.

„Du wirst heute deine Kräfte benötigen, von daher bringt dir Darius gleich ein reichhaltiges Essen. Lass dir Zeit, ruhe noch ein wenig und wenn die Sonne über den Bergen steht, brechen wir auf.“

Wieder zeigte der Gefesselte mit einem Nicken an, dass er sie verstanden hatte. Deianiera gab sich damit zufrieden, kam wieder zum Stehen und streckte sich. Die Nacht über hatte es heftig geregnet und noch immer standen dicke Wolken am Himmel. Gut so, das Wasser würde helfen, die Dürre aus dem Boden zu treiben, welche so lautstark von den Bauern beklagt worden war. Einzig ihr Karren würde jetzt schwerer auf den aufgeweichten Untergrund zu bewegen sein.

Darius schnürte die Bündel, welche später auf einen einachsigen Karren geladen werden sollten. Er würde ihn später zur Argora (altgriech. Markt) in Kranioi schieben, wie es ihm von der Afentra, am gestrigen Abend während des gemeinsamen Essens erklärt worden war. Sie hatte zwei Monate lang eine Vielzahl von Werkzeugen gefertigt, die sie dort zu verkaufen beabsichtigte. Ihre Waren wurden auf der Insel begehrt, verstand sie sich doch darauf, harten Stahl zu schmieden. Ihr Gewinn hielt sich dabei in Grenzen, war das Eisen, welches sie für ihr Handwerk benötigte, doch extra aus Sami gehandelt worden. Demetrios, ein gewiefter Händler, nahm dafür einen hohen Preis und machte es zum Geheimnis, woher er es bezog. Leben konnte die Afentra dennoch gut davon, zumal es ja noch den einen oder anderen Soldauftrag für sie gab, mit welchen sie ihren Schatz vergrößern konnte.

Der Diener dachte an das Beisammensitzen am Feuer, während dessen sie ihm ein wenig von sich und ihrem Leben auf der Insel erzählt hatte. Dabei schien ihr Onkel für sie eine besondere Rolle gespielt zu haben, sprach sie doch von ihm, als ob er einem Vater gleichkommen wäre.

„Sklave! Bereite das Essen! Ich möchte die Zeit genutzt wissen, welche uns noch bleibt.“

Der Angesprochene eilte sich damit, ein Bündel Nägel zu verpacken, welche Deianiera aus Eisenresten gefertigt hatte. Er hatte sie dabei beobachten dürfen und schließlich selbst zu Hammer und Zange gegriffen. Doch während sie ohne Unterbrechung mit den Werkzeugen hantieren konnte, waren diese ihm schnell zu schwer geworden. Sie spottete ihn deshalb nicht, sondern gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass er es lernen würde, länger auszuhalten.

Das er den Karren schieben sollte, bereitete Darius Sorgen. Die Bündel hatten ein hohes Gewicht und es würde ihm schwerfallen, die weite Strecke zum Ort zurückzulegen. Was, wenn er aufs Neue versagte? Würde sie ihn schlagen? Zumindest in den letzten Tagen war es nicht soweit gekommen. Derbe Worte sprach sie oft in seine Richtung, gerade dann, wenn er nicht sofort ihren Anordnungen folgen wollte. So eilte er sich, um das Haus herumzukommen, schichtete Holz in der Feuerstelle auf und brachte es mit der Glut aus einer Feuerschale zum Brennen.

Er kochte Linsen im Topf auf, gab Zwiebeln und etwas Knoblauch hinzu und röstete am Feuer etwas Brot vom Vortag. Fisch gab es keinen mehr, die Afentra hätte hierzu erst mit dem Boot aufs Meer hinausfahren müssen. So würde er getrocknetes Ziegenfleisch mit Öl bestreichen und an Stelle des Fisches über das Feuer hängen. Sein Magen knurrte und so freute er sich auf diese Mahlzeit.

„Die Afentra kam aus dem Hof herausgetreten, bis auf dem Helm gewappnet in ihrer Rüstung. Sie hatte Darius erklärt, dass die Männer Kraniois sie als gleichgestellt erachteten, wenn sie ihre weiblichen Tribute unter Panzer und Waffen verborgen hielt. Auch würde es sich ein Langfinger zweimal überlegen, die Hand nach ihren Waren auszustrecken. So nahm sie auf den zwischenzeitlich fertiggestellten Stuhl Platz, wandte sich zu ihrem Sklaven um und deutete ihm mit einer ungeduldigen Handbewegung an, dass er ihr eine Schale mit Essen reichen sollte.

„Bring noch Abraxas etwas, dann darfst du dich zu mir setzen.“, befahl sie ihm, da tauchte sie schon das Brot in ihren Eintopf.

Darius tat, wie ihm geheißen wurde, füllte eine Schale mit Suppe und Fleisch und riss ein Stück vom Brotleib herunter. Hoffentlich schwieg der Kerl und quälte ihn nicht erneut mit seinen Beleidigungen und Vorwürfen.

„Hier, stärke dich! Es wird ein harter Tag für uns werden.“

Abraxas sah zu Darius auf, spuckte vor dessen Füßen aus und riss ihm mit der Linken die Schale aus der Hand. Es schien ihn nicht zu stören, dass dabei deren Inhalt über den Rand schwappte und dadurch viel davon für ihn verloren ging.

„Was bin ich froh, wenn ich dieser Hexe und dir entkommen bin. Schlechter werde ich es nicht treffen, dessen bin ich mir sicher. Doch gnade dir Gott, Darius, sollte ich jemals meine Freiheit zurückerlangen. Meine Rache wird dann dir gelten, sei dir dessen Gewiss.“

Darius blickte erschrocken auf seinen ehemaligen Kameraden herunter. Er vermochte es nicht, dessen Worte zu überhören, hatte Abraxas es doch stets verstanden, ihnen Taten folgen zu lassen. Doch wie sollte es ihm als Krüppel gelingen, Deianiera zu bezwingen? Oder richtete sich seine Rache allein gegen ihn?

„Du hast dich selbst in diese Lage gebracht. Ich hatte dich gewarnt und du hast nicht hören wollen. Gib dir selbst die Schuld an dem Tod Telemachs und daran, dass du zu dem hier geworden bist.“

Abraxas antwortete nicht, senkte seinen Kopf und nahm die Schale zwischen seine Schenkel. Er tauchte das Brot hinein, tat einen Bissen, Darius dabei aus seiner Wahrnehmung ausklammernd. Erst als dieser sich zum Gehen wandte, rief er ihm hinterher.

„Hundsfott!“ Darius blieb einen Moment stehen, dann aber schritt er durch das Tor.

In seinen Gedanken bei der Drohung Abraxas verweilend, nahm er sich von dem bereiteten Essen, holte sich seinen Schemel und setzte sich mit Blick auf Meer an den Hang. Man konnte von hier aus den kühlen Wind spüren, welcher auf die Küste traf und das Tosen der Brandung hören. Konnte man sich in einen Ort verlieben? Selbst dann, wenn man künftig als Unfreier an diesen gebunden sein sollte.

Kurz wandte er sich zu der Herrin um, welche in diesen Moment ihr Mahl beendet hatte. Sie achtete ihn nicht weiter, stand von ihrem Stuhl auf und ging zurück ins Haus. Abgesehen von seiner Arbeit, welche sie ihm auftrug, oder seinen Liebesdienst, gab es nur selten Gelegenheiten für ihn, ein ungezwungenes Gespräch mit ihr zu führen. Er wusste, dass sie nicht auf der Insel geboren worden war. Das ihr Onkel, der Bruder ihres Vaters, sie aufgezogen hatte und dieser vor kurzem gestorben sein musste. Letzteres hatte sie ihm nicht erzählt, sondern er selbst, aus dem wenigen, was sie ihm gesagt hatte, zusammengereimt.

Würden sie sich über die Zeit einaner annähern? Er von der Sache zu einem Menschen werden, welchen sie schätzte? Wer weiß, wenn er ihr treu diente, vielleicht ließ sie ihn dann sogar frei? Auch wenn sie ihm klar zu verstehen gegeben hatte, dass dies nicht passieren würde, so setzte er dennoch sein ganzes Hoffen darauf.

Darius besann sich wieder auf sein Essen, löffelte den Eintopf und riss an dem Fetzen Fleisch, welchen er in seine linke Hand genommen hatte. An Essen hatte es bisher keinen Mangel für ihn gegeben. Ein Umstand, der es vermochte ihn über sein Schicksal etwas hinwegzutrösten.

„DEIANIERA! WO STECKST DU? KOMM RAUS, ICH WILL REDEN.“

Erschrocken merkte Darius auf. Wer war das, der es wagte, seiner Herrin so respektlos gegenüber zu treten? Die für ihn so deutlich hörbar gewordene Männerstimme klang dunkel und kraftvoll. Darius konnte sich deren Wirkung nicht entziehen und so sprang er auf, legte seine Schale auf der Anrichte ab und kam um das Haus herum, um zu sehen, wer da nach seiner Afentra gerufen hatte.

Ein beleibter, gut gekleideter Herr wartete in Gesellschaft von einem Dutzend bewaffneter Männer darauf, dass Deianiera ihm entgegentrat. Darius hatte in den Tagen zuvor niemanden in der Nähe des Hauses bemerkt, von daher kam das Erscheinen dieses Mannes einer kleinen Sensation für ihn gleich.

„Wer bist du?“, wurde er von dem Fremden angerufen. Dessen grauen Augen musterten ihn eindringlich. Darius konnte dabei in seinem Gesicht lesen, dass der anfängliche Neugierde Verachtung wich.

„Ein Sklave? Seit wann hält sich Deianiera einen? Ich habe ihr schon lange dazu geraten, doch sie wollte nie auf mich hören. Geh! Hole sie, ich habe keine Zeit lange zu warten.“

Darius deutete eine Verbeugung an, da wandte er sich schon zum Haus um. Die Afentra würde den Besucher längst bemerkt haben, aber er glaubte zu ahnen, dass sie wünschte, dass er diesen bei ihr ankündigte.

Er fand sie hinter dem Haus und zu seiner Überraschung hatte sie den Handkarren bereits beladen. Sie war sich nie einer körperlichen Arbeit zu schade und sah diese stets als Herausforderung an, mit welcher sie wuchs. Wie sonst sollte sie die Muskelkraft eines Mannes für sich bewahren?

„Ein fremder Mann steht vor dem Haus, Afentra. Er wünscht das Gespräch mit euch.“

Deianiera wandte sich zu ihm um. Sie blickte ihn nichtssagend an, dann tat sie die ersten Schritte Richtung Innenhof.

„Und du fragst ihn nicht, wer er ist und was er will?“, maßregelte sie ihn im Vorübergehen.

Darius schloss für den Moment seine Augen. Er fühlte selbst das eigene Versagen in diesem Augenblick.

„Entschuldigt Herrin, aber der Mann wirkte ziemlich einschüchtern auf mich.“

Die Frau blieb stehen, wandte sich zu ihm um und blickte ihn übellaunig an.

„Merke dir jetzt eines, Darius! Der einzige Mensch, welcher künftig dich einzuschütern vermag, bin ich, verstanden? Oder muss ich dich das erst lehren?“

Er nickte ängstlich und bestätigte ihr zusätzlich verbal, dass er ihre Worte zur Kenntnis genommen hatte. „Ja, Afentra.“

Für einen Moment blieben ihre braunen Augen an ihm haften, dann trat sie durch das Tor in das Innere des kleinen Hofes. Ein kurzer Blick auf Abraxas und sie ging ins Haus. Darius folgte ihr nach, eilte durch die Kammer und trat durch die Türöffnung wieder auf der Vorderseite des Hauses ins Freie.

„Deianiera! Schön dich zu sehen. Ich hoffe, du bist gesund?“, rief der beleibte Mann ihr dabei seine dicken Arme entgegenstreckend..

„Chiere (griech. Ehre), Iakobos! Schön auch dich zu sehen? Wenn hast du da mitgebraucht?“ Ihre Worte klangen verächtlich und wenig respektvoll. Darius fühlte sich erleichtert in diesen Moment, schien sie doch die Männer nicht als Bedrohung anzusehen.

„Eine Wache zu meinem Schutz. Ich habe mir die Tage einige Feinde gemacht und will vorsichtig sein. Ich kam, um mich von dir zu verabschieden und dich wissen lassen, dass ich meinen Hof und das Land verkauft habe.“

Deianiera stutzte. „Verkauft? An wen? Warum hast du mich nicht gefragt, ob ich es erwerben möchte?“

„Weil wir keine Freunde sind? Weil du mir immer wieder meine Pläne durchkreuzt hast? Weil du glaubst Recht sprechen zu müssen, ohne Richter zu sein? Erinnerst du dich an meinen Vetter? Du hast ihn mich nicht einmal begraben lassen.“

„Beantworte meine Frage! Wem gehört jetzt dein Land?“, zeigte sich die junge Kriegerin unbeeindruckt von seiner Entgegnung.

„Athener Bürger! Sie werden in den nächsten Tagen hier eintreffen. Geh gnädig mit ihnen um, sonst schicken die Helenen ihre Hopliten hierher. Und da sie davon reichlich besitzen, wirst du ihn allein nichts entgegensetzen können. Sieh es ein, Deianiera, die Zeiten ändern sich und es steht ein Krieg großer Mächte bevor. Und Kephalenia ist nicht weit genug vom Geschehen entfernt, wie ich fürchte.“

Deianiera vermochte es nicht, ihr Interesse zurückzuhalten.

„Und du? Wohin wirst du ziehen?“

„Nach Megara Hyblaea, eine Polis in den Ländern des großen Hellas.“

Deianiera kannte diese Region von Erzählungen her. Es handelte sich dabei um Länder die im Westen, auf der anderen Seite des Meeres lagen.

„Nun denn, Frau, heiße deine neuen Nachbarn willkommen. Sie werden nicht zu Sklaven deines Willen werden, sei dir dessen gewiss. Du und die Bewohner dieses Scheißhaufen von Insel, werden froh sein, wenn Ares euch nicht weichter achtet oder der Seebund über euch kommt, um das Land auszupressen, wie ein Olive. Ich jedoch werde meine Drachmen gut anzulegen wissen und jeden Tag einmal, in Gedanken an euch, in Richtung dieser Insel spucken.“

Er lachte heiser auf und wandte sich zum Gehen. Deianiere blickte ihm nach, ein flaues Gefühl im Magen. Worauf wollte Iakobus hinaus? Seine Worte kamen für sie einem Rätsel gleich. Konflikte zwischen den vier kleinen Städten der Insel gab es häufiger, sie wurden auf dem Gipfel des Enos beigelegt, in dem jeder der Orte vier Streiter stellte, welche im Kampf miteinander, die stärkste Partei unter ihnen zu ermitteln suchten. Deren Heimatort durfte dann Recht über die anderen sprechen, wenn zumindest eine weitere Stadt dessen Entscheidung stützte. So wurde ein Gleichgewicht gewahrt, welches schon über hundert Jahre andauerte. Frieden gab es deshalb für die Bewohner Kephallenias nicht, denn immer wieder überfielen Piraten das Land, verwüsteten Höfe und verschleppten ihre Bewohner. Mehr als einmal hatte Deianiera mit ihnen gekämpft oder über das Schicksal Gefangener verhandelt.

„Es gibt bald wieder ein Krieg zwischen den Bünden. Mögen die Götter über uns wachen.“, brach es aus Darius heraus.

Deianiera drehte ihren Kopf zur Seite und blickte in neugierig an. „Was weißt du darüber? Kannst du Iakobos Worte deuten?“

Der Sklave sah zu ihr rüber, so dass Deianiera die Sorge in seinem Gesicht lesen konnte.

„Wenn Athen Land kauft und Kolonisten schickt, wird es, über kurz oder lang, Einfluss nehmen. Alte Mächte trocknen unter den Drohungen und Erpressungen seiner Bürger aus und irgendwann schickt die Polis (Stadtstaat, in diesem Fall Athen) dann einen Stadthalter, welcher ihre Interessen vertritt. Ab diesen Zeitpunkt werden Steuern und Zölle erhoben, welche nur diejenigen reicher werden lässt, die unter der Eule (Athener Bürger) geboren worden sind.“

„Wir werden sehen, ob es hierzu kommt. Hol Abraxas zum Karren, ich will dann endlich aufbrechen.“

Sie ging zurück in das Haus, und deutete ihrem Sklaven mit einem Fingerzeig an, dass dieser außen herum gehen sollte. Darius dachte sich nichts dabei, ging zum Innenhof und beugte sich über Abraxas.

„Komm! Wir brechen auf.“

Tatsächlich wirkte sein ehemaliger Kamerad erleichtert. Die belastende Ungewissheit wird ihren Tribut von ihm eingefordert haben, wie sich Darius vorzustellen suchte.

„Ich helfe dir auf!“

Abraxas ließ sich ohne Widerstand helfen und kam neben Darius zum Stehen. Selbst jetzt noch, nach der langen Zeit der Ruhe und Genesung, wirkte er stämmig und muskulös. Wenn seine Behinderung dem Käufer verborgen blieb, würde er der Afentra sicher eine Menge Drachmen einbringen.

„Gehen wir zum Karren, dort sollen wir auf die Herrin warten.“

„Deine Herrin! Ich folge diesem Weib nur, damit ich endlich ihrer Macht entkommen kann. Du aber wirst an ihrer Seite aushalten müssen, bis ich dich aus deinem Schicksal erlösen werde, FREUND!“

Darius schauderte bei Abraxas Worten. Es wäre für ihn besser gewesen, hätte er den Kerl sterben lassen. Möglichkeiten hierzu hatte es genügend für ihn gegeben.

Die beiden Männer warteten im Schatten des Vordaches, da trat Deianiera um das Eck des Hauses herum, vorbei an dem Vorratsverschlag mit den großen Krügen. Sie trug ein seltsames Geschirr in ihren Händen, baute sich breitbeinig vor Abraxas auf und legte ihm mit beiden Händen einen Riemen über dessen Brust.

„Du wirst den Karren ziehen, Darius schieben. Erreichen wir den Abhang, ruft mich an, dann springe ich euch bei. Lasst eure Fehde dabei außer Acht, rate ich. Sonst kommt mein Zorn über euch.“

„Wohl, Afentra“, antwortete Darius, während Abraxas schweigend dastand und die Frau gewähren ließ. Er würde irgendwann seine Rache bekommen und geduldig darauf warten. So fühlte er den Zug der Riemen und Bänder um Brust und Taille, ließ es zu, dass sie seinen Körper zwischen die Deichseln ihres groben Gefährts schob und zwei Seile mit seinem Geschirr verband. Ihr Gesicht wirkte dabei konzentriert und überlegt, dessen Ausdruck so gar nicht der Unbeschwertheit einer Frau in ihrem Alter gleichkommend.

Abraxas empfand sein Interesse für sie als Schwäche, blickte vor sich auf den Boden und wartete, dass die Reise endlich beginnen würde. Doch die Afentra hob noch eine bronzene Schatulle auf den Karren, bevor sie an seine Seite trat.

„Lykos wacht über uns. Von daher sollte es keine Überrachungen geben. Dann los! Der Tag ist älter geworden, als ich es mir gewünscht hatte.“

Sie trat voraus und die beiden Männer suchten ihr zu folgen. Doch der Karren war zu schwer, egal wie Abraxas sich in sein Geschirr legte und Darius sich gegen dessen Kasten stemmte. So musste sich die Kriegerin selbst mit ihrem Gewicht dagegen werfen, damit sich das Gefährt schließlich bewegen ließ.

„Bleibt nicht grundlos stehen und eilt euch. Vor Einbruch des Abends, möchte ich den Ort erreicht haben.“
 
Auf dem Weg nach Kranioi

Der Weg war beschwerlich und Deianiera musste den Männern immer wieder Pausen einräumen und selbst dabei helfen, den Karren zu bewegen. So ließ sie auch jetzt wieder den Wagen halten, ging etwas abseits des Weges in die Hocke und erleichterte sich, während Darius Abraxas einen ledernen Schlauch, gefüllt mit Wasser, reichte.

„Binde ihn los, dann ruht euch aus!“, befahl sie.

Darius folgte der Anweisung, befreite Abraxas von dem Zuggeschirr, dann hockten sich beide Männer, dabei mit ihren Rücken gegen das große Rad gelehnt, in den Schatten des Karrens. Für diesen Moment ließen sie ihre Feindschaft ruhen, schlossen ihre Augen und dösten. Fliegen surrten in der Luft, Grillen zirpten, ein leichter Windzug wehte vom Meer her.

Deianiera bereiteten die Worte Darius und Iakobos Sorge. Wenn Athener in die Gegend zogen und sie sich so verhielten, wie Darius es befürchtete, so war der Frieden auf der Insel gestört. Dabei vermochte sie für sich selbst nicht zu ermessen, was das für ihre Zukunft bedeuten könnte. Sie fühlte sich bedroht, konnte sich aber nicht erklären, wo dieses Gefühl in ihr seinen Ursprung hatte.

Abraxas Schnarchen dröhnte in der Luft und so öffnete Darius seine Augen wieder und starrte vor sich hin. Deianiera warf einen Blick auf die beiden, dann ging sie ein Stück des Weges entlang, welcher an einem Steilhang entlangmäandrierte. Sie fühlte sich bei dessen Anblick an ihren Onkel erinnert, mit welchen sie diesen oft beschritten hatte.

Er war ihr ein strenger Lehrmeister gewesen, hatte oft seine Hand gegen sie erhoben, doch an anderer Stelle gelobt und Mut in ihr geweckt. Manches Mal hatte sie in seinem Arm liegen dürfen, oben auf dem Dach, wo sie zusammen zum Nachthimmel aufgeblickt hatten. Hörte sie noch seine Stimme? Ja, aber sie wurde leiser, ähnlich seinem Bilde, welches für sie mit jeden Tag, der verstrich, mehr und mehr verblasste.

Sie lief den Weg entlang, bis dieser eine Biegung machte und in einen Wald einmündete. Der Wolf, er warnte sie! Sein Sehen wurde zu ihrem dritten Auge. Eine Gabe, welche niemand ihr zu erklären vermochte. Ihr Onkel verstand diese als ein Geschenk der Götter und als Zeichen dafür, dass sich seine Nichte in der Welt einen Namen machen musste, um ihnen zu huldigen und zu gefallen. Ein weiterer Grund dafür, dass er sie zeit ihres Lebens dazu getrieben hatte, mit Waffen, Werkzeug und Verstand umzugehen.

So hob sie ihren Speer, als ein Mann hinter dem Hang hervortrat, sie überrascht zur Kenntnis nahm und instinktiv seinen Umhang zu glätten suchte. Er schien keine Waffe bei sich zu tragen, was darauf hindeutete, dass sich sein Wegziel in der unmittelbaren Nähe Kraniois befinden musste. Sein Haupt zeigte einiges an Haut, während das Gesicht von einem dichten Bart bedeckt gehalten wurde. Einzelheiten vermochte sie nicht zu erkennen und so trat sie ihm entschlossen entgegen.

„Chiere! Wer bist du?“, fragte sie ihn ohne Umschweife.

„Nun, auf jeden Fall ein Mensch, der sich beim Anblick einer Waffe sorgt. Lycidas ruft man mich, doch nennt mir nun auch euren.“

Deianiera blickte in zwei dunkle Augen, welche ihr keck entgegenblickten. Sorge fand sie keine im Gesicht des Fremden, eher Neugierde und freudige Erwartung.

„Deianiera! Ich bin auf dem Weg nach Kranioi, um meine Waren zu handeln.“

„Bei den Göttern! Dann bin ich schon, im Gegensatz zu euch, an meinem Ziel angelangt. Ich war neugierig auf die Heldin, von der die ganze Insel spricht. Ein Weib, gerüstet wie ein Hoplit (griech. Gerüsteter Schwerbewaffneter der Schlachtreihe) der Spartaner? Ich sehe es und glaube dennoch, dass mich die Götter mit einem Trugbild zum Narren halten wollen. Teure Rüstung, prachtvolle Waffen, selbst für Ares eine Zier.“

„Genug der vielen Wörter. Woher kommt er und was möchte er von mir?“

„Euch kennenlernen, Frau. Bin ich doch Poet und Schreiber von Bühnenstücken, welche in der ganzen Welt aufgeführt werden. Lycidas, der Große, nennt man mich allerorts, ein Garant für Heiterkeit, wie auch mitreißender Dramen. Traurig, dass ihr noch nie von mir gehört habt, doch sehe ich es euch nach.“

Der dickliche Mann hob seinen fleischigen rechten Arm über das Haupt und tippelte mit seinen kleinen Füßen auf der Stelle. Dabei drehte er sich im Kreis und stieß unartikulierte Geräusche aus.

Deianiera konnte ihren Blick von ihm nicht abwenden, so irrwitzig fand sie sein Verhalten.

„Was tut er da?“

„Tanzen? Habt ihr euch noch nie zu einer Musik oder Gesang bewegt?“

Die Frau zeigte sich verlegen. Tatsächlich hatte sie es nie gewagt, es anderen Männern und Frauen gleich zu tun, wenn sich diese im fröhlichen Beieinander bewegt hatten. Auch hätte es ihr Onkel nicht geduldet, hatte es für ihn doch nur die Waffentänze Spartas gegeben.

„Athena! Göttin des Kampfes, der Weisheit und des Handwerks, ich stehe dir gegenüber, doch bleibst du blind gegenüber meinem Genie. Ist es Hochmut, welcher dich geblendet hat? Oder lässt dich meine Größe erblinden, welche selbst Göttern zur Ehre reichen sollte?“

„Wovon sprecht er, Kerl? Verschwendet er doch nicht meine Zeit.“

Er verharrte und betrachtete sie missmutig. Langsam senkte er seinen Arm wieder und stemmte diesen in seine Hüfte, sie dabei mit geringschätzigem Blick musternd.

„So prachtvoll und schön sie als Kriegerin anzusehen ist, so düster und grob sind ihre Worte. Ihr habt mich bitter nötig, meine Liebe, auch wenn ihre es jetzt nicht zu erkennen vermögt.“

„Ich gehe jetzt zurück zum Wagen. Gehe er seines Weges und stört mich nicht weiter.“ Deianiera wandte sich zum Gehen, doch folgte ihr der seltsame Geck umgehend nach.

„Ich bitte euch, weißt mich nicht ab. Wer sonst, außer mir, sollte eure Taten besingen und für die Nachwelt am Leben erhalten? Wo wäre heute ein Achileus oder Herakles wenn es nicht meinesgleichen gegeben hätte, welche sie und ihre Taten vor der Vergessenheit bewahrt hätten? Und sind es nicht auch Odysseus Inseln, auf denen wir stehen? Lasst meine Worte wirken, Mädchen und mich gewähren. Es soll euer Schaden nicht sein.“

Es ärgerte sie, dass sie begann über seine Worte nachzudenken. Hatte ihr Onkel es nicht als das größte Ziel beschrieben, den Mantel des Vergessenwerdens abzulegen und in den Köpfen der Menschen unsterblich zu sein?

„Nun gut, begleite er mich, doch hält er dabei seine Zunge im Zaum, sonst reiße ich sie ihm heraus“, drohte sie ihm mit einer eindringlichen Geste, in welcher sie selbst die ihre herausstreckte und mit den Fingern ihrer Rechten daran zog.

Der Mann blickte zum Himmel auf und ließ seine Augen rollen.

„Welch Wut aus eurem Munde dringt, Mädchen. Tragt ihr keinerlei Lieblichkeit in euch? Keine Heiterkeit? Nun, ich will schweigen, sollte dies der Preis sein, um euch begleiten zu dürfen, habe ich doch den festen Vorsatz euch zum Thema meines neuesten Stückes werden zu lassen.“ Er klatschte freudig in seine Hände und tanzte erneut auf der Stelle, sich dabei einmal im Kreis drehend. „Welch Unglück, das ich meine Kithara (griech. antikes Seiteninstrument) zurückgelassen habe, so hätte ich euch zumindest singen können.“

Deianiera suchte ihn nicht weiter zu achten, konzentrierte sich auf den Weg und suchte nach Stellen, welche beschwerlich mit dem Karren zu passieren waren. Doch ihre Gedanken griffen immer wieder nach dem Kerl, welcher mit ihr auf gleicher Höhe zu bleiben suchte, in dem er in einen Laufschritt verfiel.

„Was eilt ihr euch nur so? Man könnte meinen, ihr werden verfolgt.“

„Es geht um meine Sklaven. Sie sind sich feindlich gesonnen und ich weiß nicht, wie lange ich sie alleinlassen kann, ohne dass sie sich zu schaden suchen.“

„Sklaven? Sie sind wahre Überraschungen. Kauf man einen, weiß man nur in den seltensten Fällen was in ihnen steckt. Mir bereitete es Freude, welche zu kaufen und dann näher in Augenschein zu nehmen, gerade wenn sie aus fernen Ländern kommen. Manchesmal hörte ich so von Orten, von dem niemand zuvor gesprochen hätte.“

„Welche denn?“ Deianiera reute ihre Frage sofort.

„Pupluna, zum Beispiel. Die dort lebenden Etrusker haben Vorrichtungen, mit deren Hilfe man im Haus Koten oder Pissen kann. Das Unrat wird vom Wasser weggespült und verschwindet in der Erde.“ Er schüttelte seinen Kopf und lief wieder ein Stück, um an der Seite der Kriegerin zu bleiben.

„Im Winter sicher eine Wohltat“, meinte Deianiera gedankenverloren. Sie wusste wenig über die Welt außerhalb Kephallenias. Der Onkel hatte ihr einzig von Sparta, Lakonien und den Kriegen mit seinen Feinden erzählt, nie aber über die Länder, welches es außerdem gab.

„Woher kommst du eigentlich?“, fragte sie ihren neuen Begleiter.

„Aus der größten Stadt der uns bekannten Welt. ATHEN!“ Er zog das letzte Wort bedeutungsschwanger in die Länge und hob dabei seinen rechten Arm gen Himmel.

„Dann gehörst du zu den Kolonisten?“, fragte Deianiera sogleich.

„Nun, ich begleite sie für eine Weile, auf der Suche nach Nahrung für die Musen. Und dank Dionysos habe ich in der Taverne von euch und eurem Treiben gehört, so dass sich diese Expedition für mich jetzt, wo sie noch am Anfang steht, bereits ausgezahlt hat. Eine Heldin! Weder Euripides noch Sophokles (griech. Dramatiker der Antike) kamen auf diesen Gedanken.“

„Wo sind die Kolonisten jetzt?“ Deianieras Interesse nahm eine neue Richtung.

„Sie warten auf die Trossschiffe, sind diese doch nach einem Unwetter zurückgeblieben. Sie bringen den Hausstand der Siedler, sowie die Einrichtung ihrer Werkstätten.“

„Ist auch ein Schmied unter ihnen?“, fragte Deianiera besorgt.

„Natürlich, Kind. Was wäre solch ein Unternehmen ohne die Künste eines solchen? Zumal man nicht wissen kann, was die Bauern auf diesem Fels in diesem Handwerk zu leisten vermögen.“

„Glaubst du, sie würden mir ihr Land verkaufen und wieder nach Athen zurückkehren?“

Lycidas blieb stehen und sah sie entgeistert an. Auch Deianiera hielt jetzt, das erste Zugeständnis an ihn, welches ihr Interesse an seiner Antwort geschuldet blieb.

„Warum sollten sie das tun, nach all der Mühsal, welche sie auf sich genommen haben? Außerdem wäre Petros, welcher zum Oikist (griech. Anführer von Kolonisten) ernannt wurde, niemals bereit dazu. Man hat für das Land gezahlt, also wird man es auch bestellen und die Früchte Athens aussäen, damit sie fortan hier wachsen können.“

„Wie viele seid ihr?“, fragte Deianiera mit hörbarer Besorgnis.

„Er hat zehn Familien ausgewählt, welche ihn begleiten. Sowie ein Dutzend Veteranen zu ihrem Schutz. Warum fragt ihr mich das?“

„Veränderungen bergen oft Unheil und von eurem Volk hört man viel Schlechtes.“

Lycidas zeigte sich erbost über ihre Worte.

„Warum denkt ihr so, Mädchen?“ Er fiel wieder in einen Laufschritt, um ihr mit seinen kurzen Beinen folgen zu können. „Und geht doch bitte ein wenig langsamer!“

„Iakobos, der euch sein Land verkauft hat, erzählte vom Seebund Athens, welcher andere Städte, Orte und Länder auspresst in dem er ihnen Zölle und Steuern auferlegt. Und auch mein Onkel hat nur abfällig von euch und eurer Stadt gesprochen. Er nannte sie ein Witz der Götter.“

„Jetzt bleibt doch bitte stehen, damit ich euch erklären kann, wie falsch ihr liegt.“ Er raffte das Tuch seines Peplos auf, um leichter Schritt zu halten. Ein Karren zeigte sich jetzt zweihundert Schritt vor ihnen und so mutmaßte er erleichtert, dass dieses Gefährt das Ziel dieser Frau darstellte.

„Athen bietet Handel und Schutz. Es bekämpft die Piraten, kauft allenorts Waren für die Stadt und bietet seine eigene Schätze an, welche von den Handwerkern hergestellt werden. Edles Tuch, teure Gewürze, scharfe Klingen, kunstvoll gefertigte Möbelstücke, und Kurzweil aus seinen Theatern. Selbst aus den fernsten Ländern kommen Reisende um Attika und seine große Stadt zu besuchen und sich ihn ihrem Glanz zu sonnen. Es gibt nichts Vergleichbares auf dieser Welt.“

„Und was ist mit Sparta?“

Lycidas seufzte. „Das einem immer wieder dieser erbärmliche Ort Lakoniens vorgehalten wird. Er ist kaum seiner Beachtung wert und einzig die Rüstungen seiner Krieger verdienen eine Erwähnung. Ihr Ruhm in der Schlacht ist legendär, doch alles andere an ihnen erbärmlich und klein. Ein grauer Ort, trostlos und ohne Freude wie eine Kaserne.“

„Ich bin als Spartanerin geboren worden.“ Erwiderte Deianiera, sich über seine Worte ärgernd.

„Wer hat dir das erzählt, Liebes? Töricht muss er gewesen sein.“

Die junge Frau blieb stehen, wandte sich ihm zu und packte ihn an dem von reich verzierten Fibeln in Form gehaltenen Umhang.

„Was sprichst du da?“ Schrie sie ihn an. „Mein Onkel war ein Wissender, welcher es nicht nur bei Worten belassen hat, wie du, Theatermann. Er Verstand sich auf die Kunst des Kampfes, genauso wie auf die des Handwerks. Er hat mir alles an Wissen beigebracht, weshalb du seiner nicht spotten darfst, willst du am Leben bleiben.“

„Gemach, Kind, Gemach! Beruhige dich!“ Lycidas schien voller Angst in diesen Moment.

Deianieras Griff lockerte sich etwas.

„Er mag ein kluger Mann gewesen sein, dein Onkel, doch hat er dir dann etwas von seinem Wissen vorenthalten. „Du bist eine Frau und kennst nicht die Rolle, welcher man in deiner Heimat deinem Geschlecht zugesteht. Im Land Lakonien spricht man nur dann von einem Spartiaten, wenn dieser dem männlichen Geschlecht zugehörig ist. Frauen gebären ihnen die Krieger, wachen über das Haus und halten ein strenges Regiment über die Heloten (an Land gebundene Sklaven) welche für sie arbeiten. Sie würden dich verlachen, trätest du ihnen in dieser Rüstung entgegen, vielleicht aber auch mit Verachtung reagieren? Wahrscheinlich glauben sie sogar, dass du sie mit deinem weiblichen Körper schändest.“

Sie wollte seinem Worten kein Glauben schenken.

„Du bist Athener und damit ein Feind Spartas. Was sollte ich mich also über deine Wort wundern?“

Lycidas löste mit sanften Griff ihre Hand von seinem Überwurf.

„Ich bin niemandes Feind, Mädchen. Dazu liebe ich den Mensch an sich viel zu sehr. Eher bin ich dankbar, dass sie sich nicht gleichen und jedes Land seine Besonderheiten hat. Glaubst du, ich kann in Athen alles gutheißen, was dort geschieht? Wie sollte das möglich sein, wenn ich Dramen über das dortige Leben schreiben möchte? Wut, Trauer, Hass, diese Gefühle werden auch dort geboren. Nur ehren wir die Frauen und haben eine Göttin zur Schutzpatronin unserer Stadt erklärt. Auch lieben wir Geschichten über die Amazonen, welche furchtbare Kriegerinnen sind. Ihre Königin Penthesilea ist sogar einst einem Achilleus entgegengetreten und sie wurde von der Liebe zu ihm besiegt, nicht von dessen Waffen.“

Die Soldfrau fühlte ihre Wut auf den Mann versiegen. Wie fand er nur so schnell all diese Worte? Sie ging weiter, froh darüber Abstand zu ihm zu gewinnen. Der Karren war nur wenige Schritte entfernt, vielleicht würden dann Abraxas und Darius dessen Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Dort angekommen, fand sie die Männer im Schatten des Wagens schlafend. Die Erschöpfung hatte ihre Feindschaft ruhen lassen, weshalb sie jetzt Lycidas ein Bild des Friedens boten.

Deianiera trat an die beiden Männer heran und stieß kräftig mit ihren Sandalen in die Seiten ihrer Körper.

„Steht auf! Wir müssen weiter“, befahl sie ihnen.

Darius und Abraxas blinzelten in das helle Tageslicht und zeigten sich von der Gegenwart Lycidas überrascht.

„Wer seid ihr?“

Der von Abraxas Angerufene nickte den beiden Sklaven wohlwollend zu. Einen neugierigen Blick auf den Halsreif des einen und die Ketten des anderen werfend.

„Ich bin der allerorts bekannte Schreiber und Poet Lycidas, ich begleite euch fortan, um von den Taten eurer Herrin zu berichten.“

Abraxas schien mit dem Namen etwas anfangen zu können.

„Ich kenne euer Stück, ich habe es in Elis gesehen.“

Lycidas schenkte ihm ein Lächeln.

„Es hat dir sicher gefallen, ich lese es in deinem freudigen Gesicht. Wie hieß das Schauspiel?“

Der breitschultrige Mann mit dem herunterhängenden rechten Arm zögerte.

„Ich weiß es nicht, ich bin schnell eingeschlafen.“

Die Heldin lachte heiser auf und auch Darius fiel mit ein. Lycidas indessen zog seine Brauen zusammen und ließ seine Rechte in das Gesicht des Unfreien schnellen.

„Törichter Tölpel. Fast bin ich froh, dass all die teuren Worte nicht an deinen jammervollen Verstand verschwendet wurden.“

Abraxas wollte schon mit seiner linken Hand zum Schlag ausholen, als Deianiera zwischen die Männer trat.

„Genug der Possen! Darius! Geh nach hinten! Abraxas! Komm mit, ich spann dich wieder vor den Wagen. Lycidas! Wenn du mich begleiten willst, hilfst du schieben!“

„Bin ich dein Sklave, Weib? Warum verlangst du von mir körperliche Arbeit? Ich bin ein freier Mann und mache dir sogar meine Gaben zum Geschenk.“, erzürnte sich Lycidas.

„Du hilfst mir beim vorankommen. Je schneller wir Kranioi erreichen, desto früher kannst du von meiner dortigen Ankunft erzählen.“

Die Miene Lycidas hellte sich auf. Tatsächlich war er neugierig darauf, wie die Einwohner auf die berühmte Deianiera reagieren würden. Der Kriegsfrau, welche schon zwanzig Männer im Kampf getötet haben soll.

„Nun denn, die Erfahrung körperlicher Arbeit schadet mir sicher nicht. Vielleicht lohnt es sich, ein Lied darüber zu schreiben? Oh göttlicher Appollon, schick mir dein Licht! Mögen meine Verse und Reime deiner huldigen, o Göttlicher.“ Lycidas stieß seine Hände gen Himmel und zeigte ein forderndes Gesicht.

„Schwafel kein wirres Zeug! Trete hinter den Wagen, wir müssen weiter.“, schimpte Deianiera.

Trotz dessen Lycidas nur wenig Kraft für ihr Weiterkommen beisteuern konnte, schien seine Gesellschaft dennoch den beschwerlichen Weg zu erleichtern. So erzählte er von den vielen Schlachten, welche er gesehen haben wollte, von einer Mörderin, welche in Athen ihre Liebhaber getötet hatte und von einem Tyrannen in Messenien, welcher seine Hände im Blut der Sklaven wusch, welche auf seinen Befehl hin gerichtet worden waren. Deianiera hörte ihm zu, so sehr sie auch suchte seinen Worten keine große Beachtung zu schenken. Ihr Verstand interessierte sich und griff nach den Erzählungen des Atheners, als kämen diese Nahrung gleich, welche ihn satt werden ließen.

„Gibt es Kriegerin in Athen?“

Lycidas blickte am Eck des Karrenkastens vorbei, vor zu der Söldnerin.

„Selbstverständlich. Wenige an der Zahl, doch verehrt und voller Tatendrang. Meist traten sie an Stelle eines Sohnes, welcher von der Mutter nicht geboren werden wollte, aber auch nur dann, wenn sie von besonderer Größe und Gewicht gewesen sind.“

„Meinst du, sie könnten sich mit mir messen?“

„Sicher können sie das, wenn ich auch glaube, dass sie gegen euch, einer Halbergöttin, wenig auszurichten vermögen.“

„Warum glaubst du, ich sei eine Göttin?“

„Halbgöttin! Mehr sein zu wollen, entspreche Blasphemie.“

Deianiera konnte mit dem letzten Wort nichts anfangen und so ließ sie es sich von ihm erklären.

„Warum nutzt man Wörter, die nicht verstanden werden?“

Lycidas erklärte sich ihr in aller Geduld.

„Es gibt die Sprache der Philosophen, Kind. Sie brauchen solche Wörter um das Universum zu beschreiben. Sie helfen dabei sich kurz zu fassen, versteht ihr jetzt?“

Der Gesichtsausdruck der jungen Frau ließ ihn zweifeln. Sie hob die Schultern und blickte wieder nach vorne, sie gelangten jetzt an die Kurve, in welcher sie sich zuvor begegnet waren.

„Also?“, fragte sie beiläufig.

Er besann sich auf ihre eigentliche Frage zurück.

Athene hat dir den Körper und Kraft eines Mannes und die Augen eines Wolfes geschenkt. Einzig dein Gesicht zeugt von deiner Weiblichkeit, wenn auch nicht auf liebliche Weise.

„Dann findest du mich unansehnlich?“ Es klang Ärger in ihrer Stimme mit.

Lycidas hüstelte, sein Dienst am Vorankommen des Karren, blieb fortan eher symbolischer Natur.

„Du hast das Gesicht einer Bäuerin, Mädchen. Es wurde vom Wetter gegerbt und von Helios gebräunt. Würdest du es schützen und deine Haut mit Salben und Duftwasser veredeln sowie deinem Antlitz etwas Farbe geben, so wärst du eine attraktive Frau. Dein Mund hat eine regelmäßige Form und volle Lippen, deine Nase ist etwas zu breit, aber deine Augen wiederum groß und in einem regelmäßigen Abstand zueinader stehend, wie auch zur Schläfe. Einzig dein Haar ist zu derb und verfiltz, als das ich mich der Hoffnung hingeben wollte, es gäbe daran etwas zu verschönern.“

„Und was bringt es mir, schön zu sein?“

„Du könntest mehr Männer für dich interessieren und unter ihnen wählen.“

„Du meinst, um mich mit ihnen zu vereinen?“

Lycidas lächelte.

„Die Freuden des gemeinsamen Schlafes, auch du wirst sie einst erfahren.“

Deianiera lachte schallend.

„Einst? Siehst du den Mann neben dir? Ihm wurde diese Ehre zuteil und es gab auch andere, welche mir diese Freude bereiteten. Es braucht all dein Tant nicht, sie zeigten sich willig mir gegenüber.“

„Mag sein, doch sicher ist dies dem Umstand geschuldet, dass auf dieser Insel fast alle Frauen dir gleichen. Kaum eine Spur von Lieblichkeit und Anmut. Aphrodite würde sich lieber blenden lassen, als den Anblick zu ertragen, welcher sich ihr auf dieser Insel bietet.“

„Ein Mann soll froh sein, dass er ein tüchtiges Weib an seiner Seite hat und gesunde Kinder schenkt. Was gibt es Wichtigeres, frage ich dich?“

„Du weißt wenig über Genuß und Lebensfreude. Sie sind die Schätze, welche es eigentlich zu entdecken gibt. Ich werde sie dir zeigen, sei dir dessen gewiss. Dies Göttergaben zu erstreben, ist das einzig Lohnenswerte, unterscheiden sie uns doch vom Tier. “

Deianiera schwieg und blieb gefangen in ihren Gedanken. Hatte der Mann Recht, mit dem, was er sagte und sie als Frau unter den Helden Spartas unerwünscht? Warum hatte dann aber ihr Onkel sie so streng nach der Agoge (griech. spartanische Form von Erziehung) erzogen und ihr eine Krypteia (spart. Prüfung) auferlegt, in welcher sie Männern der Insel den Krieg erklären sollte? Dabei hatte er ihr befohlen den Stärksten unter ihnen das teuerste Gut zu stehlen und diese später zum Haus zu locken, wo der Onkel ihnen Messer und Schwerter als Belohnung versprach, würden sie im Kampf gegen sie gewinnen. Dieser wurde nur mit den Waffen des Körpers geführt und dennoch hatte sie vier von ihnen getötet. Ein Schwert verdient hatte sich keiner von ihnen.

Es war damals ein schöner Tag gewesen, als sie von ihrem Onkel Rüstung und Schwert erhielt. Er hatte sie zum Krieger Spartas ernannt und sie den Treueschwur auf seine und ihre Heimat halten lassen.

„Wie hieß euer Onkel?“, fragte Lycidas, seine linke Hand gegen die Bretter des Karrenkastens haltend, während die Rechte über seine Kopfhaut strich.

„Areus. Er war ein Feldherr, welcher von seinen Feinden gefürchtet wurde.“


„Du meinst Areus, der Periöke?“ Lycidas lachte mit heller Stimme auf. „Der Mann, welcher einst vom spartanischen König gefordert hatte, seiner Verdienste wegen zum Vollbürgern ernannt zu werden?“

Deianiera merkte auf und trat an ihn heran. Darius hörte aufmerksam zu und auch Abraxas schien an dem Gespräch der beiden Interesse zu zeigen, trotz der ihnen auferlegten Anstrengung.

„Was weißt du über ihn?“

„Er hat zwei Helotenaufstände niedergeschlagen und die Piraten vor den Küsten Achaias gejagt und vernichtet. Ein tüchtiger Mann, welcher Sparta liebte und verehrte, aber von dessen König in die Verbannung getrieben worden ist, als Dank für all seine Dienste.“

Deianiera blickte ihn erschrocken an. Dann aber stieg die Wut in ihr auf und sie drang auf Lycidas ein, der ihr erschrocken auszuweichen suchte.
„Frage alle Wissenden! Ich lüge nicht.“ Lief der Alte ein Stück des Weges zurück. „Diese Geschichte erzählt man sich in der ganzen Welt. Hast du dich nicht gewundert, weshalb er dich auch das Handwerk lehren konnte? Ein Spartaner würde niemals Hammer oder Sichel in seine Hände halten, sind seine einzigen Werkzeuge doch die Waffen eines Kriegers.“

Tränen standen in den Augen der Frau, ihre Lippen bebten, unter der Haut spielten ihre Muskeln. Sie war keine Spartanerin! Der Onkel hatte sie belogen. Warum aber hatte er das getan? Und was geschah mit ihrem Vater und ihrer Mutter?

„Gräme dich nicht! Sei dankbar für das, was er dir gegeben hat. Du wirst deinen Namen in die ganze Welt tragen, so dass man dich und deine Taten mit denen des Herakles und Perseus in einem Atemzug besingen wird.“

„Die Stadt, sie liegt vor uns“, rief in diesen Moment Abraxas.

Deianiera ließ von dem Athener ab, kam um den Karren herum nach vorne und sah hinter einem Waldstück den Tempel des Kefalos aufragen. Abraxas hatte Recht, sie würden den Ort im Anbruch der Nacht erreicht haben.
 

rainer Genuss

Mitglied
hallo Japaki
meiner Meinung nach ein grandioses Werk - auch ohne Versform
großartig wie Du zeitversetzt von Personen, Orten, Handlungen und z.B Kampfkünsten erzählst
der trojanische Krieg tobt weiter
Chapeau chapeau
erstaunt grüßt Rainer
 
Ankunft in Kranioi

Mit der voranschreitenden Dämmerung fand dieser beschwerliche Tag ein Ende. Darius, blickte erschöpft auf seine wunden Hände herunter, mit denen er den Wagen geschoben, oder an einem Seil gezogen, diesen zu bremsen gesucht hatte. Der neben ihm herlaufende Geck, hatte mit so wenig Kraft gegen den Karren gedrückt, dass er damit kein Kleinkind von der Stelle hätte wegbewegen können. Er war nur neben ihm hergelaufen, hatte ihn erst zu seine Leben ausgefragt und ihm daraufhin beurkundet, dass die Geschichte seines jämmerlichen Lebens nicht für ihn verwertbar sei.

Ganz anders Abraxas. Dieser schien dem Theatermann zu gefallen und so kündigte er an, dass er dessen Geschichte und Kampf als Beginn seines neuen Werkes verwenden wollte. Auch Telemach sollte darin Erwähnung finden, gestorben in einem verzweifelten Kampf gegen die Halbgöttin.

„Ihr müsst mir die Tage alles über euer Leben erzählen, hört ihr mich, Abraxas?“

Rief Lycidas hinter dem Wagen.

„Das wird nicht gehen, Herr, die Afentra verkauft mich auf der Agora.“

„WAS? Aber nein, das wird nicht gehen. Ihr habt so viel zu erzählen, ich brauche euch.“

Lycidas trat hinter dem Wagen hervor und eilte an diesem vorbei der Kriegerin nach, welche ihnen vorausgegangen war.

„Was hörte ich? Ihr wollt Abraxas zu Geld machen?“

Das markante, vom Staub des Weges verschmutzte Gesicht der Söldnerin wandte sich ihm zu. Sie musste ihn längst gehört haben, so dass sie nicht überrascht, sondern eher ungehalten auf ihn reagierte.

„Was hilfst du nicht beim Wagen? Wir hatten einen Vertrag, hältst du dich nicht an ihn, gehst du deiner Wege.“

„Hätte ich euch fragen müssen? Was nehmt ihr euch heraus, Mädchen? Ich wollte mit euch über Abraxas sprechen, der Mann ist ein guter Erzähler und hat viel erlebt. Er gibt mir das nötige Beiwerk für unsere Geschichte.“

Deianiera seufzte lautstark, wandte sich zu dem Wagen um, dann warf sie einen geringschätzigen Blick auf den neben ihr stehenden dicken Athener.

„Er ist eine Bedrohung für mich und sinnt nach Rache für seinen Freund, welchen ich getötet habe. Wenn ich ihn loswerde, brauche ich mir keine Sorgen um ihn machen.“

„Und wenn er euch sein Wort gibt? Auf Ehre und Glaube hin? Einen Schwur leistet, sein Sinnen auf Rachen fahren zu lassen? Er wäre sicher von Nutzen für euch, seht wie fleißig er sich beim Ziehen des Karren zeigt.“

Deianiera schüttelte ihr Haupt.

„Er will, so wie ich selbst auch, endlich diesen Weg hinter sich bringen. Er wird auf Freiheit hoffen, nachdem ich ihn verkauft habe. Entweder in einer Flucht, oder in dem er sich seinem neuen Herren andient. Für beides halte ich ihn fähig, vielleicht ist es doch besser ihm sein Leben zu nehmen.“

„Dann behaltet ihn! So könnt ihr ihn kontrollieren und ich eure gemeinsame Geschichte erzählen.“

„Mein Worte waren nicht vergebens, gehe zurück zum Wagen, oder ich jage dich fort.“

Lycidas grollte ihr.

„Immer wieder diese Stimmung der Wut in euch. Meine Würde ringt mit ihr, wie ein Minensklave mit dem Stein.“

Er ging ab und kehrte zu Darius zurück.

„Ist es noch weit?“, fragte dieser ihn.

Der Ältere verneinte, sprach aber fortan kein Wort mehr, sodass eine ungewöhnliche Stille zwischen ihnen herrschte.


„Halt! Wer da?“

Ein Milizsoldat rief Deianiera an, seine Fackel, welche er in seiner Rechten trug über seinen Kopf hebend. So wollte er deren Schein vergrößern und die eintreffende Gruppe näher in Augenschein nehmen.

Deianiera betrachtete die hölzerne Palisade, welche um den Ort herum errichtet worden war. Sie war stärker geworden und würde künftig weiter ausgebaut werden, aus Sorge vor den Piraten, welche immer wieder aufs Neue die Orte der Insel überfielen.

„Ich bin es, Deianiera. Ites? Schiebst du wieder in der Nacht Wache?“

„Deianiera! Freundin!“, zeigte sich der Wachposten erfreut.

Er kam herbeigelaufen und umarmte die Kriegerin.

„Schön dich zu sehen. Ja, der Hauptmann will es so. So hält er mich seiner Tochter fern.“

Deianiera lächelte.

„Nun, für seine Tochter mag das gelten, nicht aber für mich. Ich bin außerhalb der fruchtbaren Tage, von daher komme ich später zu dir.“

Der junge Wachsoldat reagierte begeistert und umarmte sie erneut.

„Ich werde dir so manchen Ausruf der Lust entlocken, Freundin, sei dir dessen gewiss.“

Deianiera lachte heiter auf. Weiche Töne, welche die Männer am Wagen so noch nicht von ihr vernommen hatten.

„Du Prahlmund! Gib dir Mühe und lass unseren Kampf dieses Mal länger andauern.“

„Es ist anders, als wenn du mit mir ringst“, lachte er. Mit seinem Speer deutete er auf das Tor und nickte den Männern am Wagen zu. „Passiert und sucht euch einen Platz zum Schlafen. Der Ort ist voller Attiker, welche auf der Insel siedeln wollen, es wird euch schwerfallen, ein Dach für die Nacht zu ergattern.“ Er blickte besorgt zum Enos auf, dessen Gipfel sich im Osten erhob. „Dunkle Wolken, es wird nicht lange dauern bis es Regen gibt, kommt doch der Wind vom Land her. Es wird eine finstere Nacht werden, wenn sie den ganzen Himmel verdecken.“

„Hast du keinen Vorschlag für uns, Ites?“, fragte Deianiera. „Es war ein anstrengendes Herkommen, der Wagen ist schwer beladen.“

Ites Gesicht zeigte Überraschung, als er Lycidas hinter dem Karren erkannte.

„Der Theatermann hat deinen Wagen geschoben? Hast du ihn dazu gezwungen?“

„Nein, wir haben einen Vertrag miteinander. Er darf über mich eine Geschichte schreiben, wenn er mir dafür Dienste leistet.“

Lycidas hob seine buschigen Brauen.

„Dienste? Davon hatten wir aber zuvor nicht gesprochen, Mädchen. Wie kommt ihr darauf? Ständig gängelt und schubst ihr mich herum, anstatt mir Respekt und Achtung zu erweisen.“

Deianiera grinste Ites an.

„Er fordert Respekt von mir, ohne sich diesen verdient zu haben. Sind alle Athener so?“ Sie wandte sich zu dem Theatermann um und winkte energisch in seine Richtung. „Geh zurück zum Wagen, Lycidas, ich komme gleich zu euch!“

Ites nickte ihr zu, nachdem er seinen mit einem Federbusch gezierten Helm von seinem Kopf herunter genommen hatte. Der junge Wachsoldat besaß ein hübsches Gesicht mit einem munteren Lächeln. „Ich fürcht es. Ihr Anführer ist ein hochtrabender Mann, welcher nur mit Verachtung von uns spricht. Er scheint zu wissen, dass der Rat ihm gegenüber nur feige Worte findet, fürchtet sich dieser doch vor den Einfluss Athens.“

„Den fürchte ich auch, wenn ich ehrlich bin“, erwiderte Deianiera. „Wer wird meine Waren kaufen, wenn ihre Schmiede mir Konkurrenz machen?“

„Niemand, denke ich. Die Waren, welche von diesen Hunden feil geboten werden, sind von erlesener Güte und günstiger als die deinen. Sie stellen sie in Massen her, wie ich hörte und sorgen dafür, dass ihre Konkurrenz in den Ländern nicht mehr von ihrem Handel leben können. Das gilt nicht nur für die Schmiede, sondern für alles andere auch. Sie wollen nur Bauern und Bergarbeiter, welche Rohstoffe in ihre Stadt tragen.“

„Und der Rat will das hinnehmen?“

„Was höre ich schon von dem Gefasel der Alten, Deianiera? Sie sind alle Krämer, keine Krieger. Was sollen sie da mit einer Macht wie Athen streiten? Wir alle werden unsere Freiheit verlieren und einzig die Nähe zu Spartas Herrschaft, lässt die Athener noch weiche Worte uns gegenüber finden.“

„Nun, lass uns warten, wie sich die Dinge entwickeln, Ites. Ich komme später zu dir, ein wenig Gesellschaft wir dir guttun.“

„Uns beiden, denke ich. Vorher muss ich mich aber davon überzeugen, dass der Hauptmann genug getrunken hat, damit er uns nicht erwischt.“ Sie beiden lachten, dann gingen sie auseinander.

Darius hatte dem Gespräch der beiden gefolgt und empfand eine rasende Eifersucht auf den jungen Soldaten. Deianiera wollte sich mit ihm vereinen? Hatte er nicht ebenfalls ihr einiges Glück in dieser Richtung beschert? Warum verachtete sie ihn so?

„Kommt! Wir suchen uns einen Platz für die Nacht. Wir müssen uns beeilen, es wird schon bald einen starken Regen geben.“

Lycidas blickte mit Sorge gen Himmel auf.

„Ich spüre es in meinen Knochen, ihr habt Recht, Mädchen. Wenn ihr wollt, könnte ich mit meinen Freunden, den Siedlern, sprechen. Vielleicht überlassen sie uns eines ihrer Zelte?“

Deianiera blickte ihn erstaunt an. Sollte sie sich darauf einlassen? Vielleicht war es eine Möglichkeit für sie, diese Leute eingehender zu betrachten.

„Gut. Sprich mit ihnen. Wir bringen den Karren zum Marktplatz, Darius wird dort Wache halten.“

Darius zeigte sich schockiert über diesen Befehl.

„Aber der Regen, Afentra!“

Deianiera warf ihm einen geringschätzigen Blick zu.

„Es gibt dort Überdachungen, Tölpel, glaubst du ich will dich krank sehen? Kein Wort mehr jetzt, ich will diesen Tag endlich zu Ende bringen.“

„Warum seid ihr so harsch zu ihm? Seht ihr nicht, wie der Mann unter euren Worten leidet?“

Deianiera wandte sich zu Lycidas um.

„Was wartet er noch? Er wollt gehen.“ Sie blickte in das wütende Gesicht des Alten und schien zu ahnen, dass sie zu grob im Umgang mit ihm war. „Glaubst du, er wird meinen Worten leichter folgen, wenn ich freundlich zu ihm bin? Er ist mein Sklave und nicht nur er darf das nicht vergessen. Verstehst du, worauf ich hinaus möchte?“

„So habt ihr Angst, ihr könntet ihn mit der Zeit wertschätzen?“

Deianiera zog ihre Brauen zusammen und blickte für einen Moment über die Schulter des Alten hinweg.

„Mein Onkel erklärte mir, dass Liebe und Zuneigung Enttäuschung, Elend und Not in sich tragen. Ich möchte nicht herausfinden, ob er Recht hat.“

Lycidas sah sie einen Augenblick lang an, dann deutete er auf den Soldaten am Tor.

„Und der Junge? Ihr spracht aus einer Verbundenheit heraus zu ihm. Das konnte ich fühlen.“

Sie deutete auf die Gasse, welche in die Ortsmitte Kraniois führte. „Eile dich, sprich mit deinen Leuten. Du weißt, wo du uns später treffen kannst.“

„Gut, Mädchen. Ich stoße später zu euch. Danke, dass ihr mir einen kleinen Einblick in euer Innerstes gewährt habt. Lasst es nicht zu sehr auskühlen, will ich euch raten, sonst verbringt ihr euer Leben in Einsamkeit. Eine Strafe, die niemand erdulden sollte.“

Deianiera blickte dem Alten nach, als dieser weitereilte und zwischen Flachdachbauten verschwand, die das Bild Kraniois beherrschten. Ein- zuweilen zweistöckig, sahen sie ihrem eigenen Haus ähnlich, wenn sie dieses auch meist an Größe übertrafen.

„Los jetzt! Bis die Finsternis völlig über uns gekommen ist, vergeht nicht mehr viel Zeit.“

Darius blickte rüber zum Meer, wo nur noch ein schwacher Schein des vergangenen Tages dem Dunkel der Nacht Einhalt gebot. Auch dieser würde jeden Moment hinter dem Horizont verschwinden.

„Jetzt schieb schon an, Idiot!“, zürnte Abraxas von vorne und so drückte Darius wieder gegen die Karrenwand.

Deianiera ging neben dem Wagen einher, hörte Stimmen aus den Häusern herausdringen, hier und da auch einen schwaches Licht, zwischen den Fensterläden nach draußen scheinen.

Sie schoben den Wagen zweihundert Schritt weiter, da hatten sie den großen Platz der Agora erreicht. Von hier aus konnte man den Tempel des Kefalos sehen, der im Dunkel der Nacht nur als schwarzer Schatten über den Flachdächern der Häuser aufragte.

„Wo soll ich den Karren hinziehen, Afentra?“, fragte Abraxas mit heiserer Stimme. Der Mann war völlig erschöpft, schien sich aber vor ihr mit aller Macht beherrschen zu wollen. Keine Schwäche zeigen! Einen Leitsatz, dem sie selbst folgte.

Neben einigen Ständen, welche für den Markt aufgebaut worden waren, fanden sie etliche Wagen abgestellt und Zelte aufgebaut. Sie waren mit Mustern und Farben bemalt worden, um ihre Besitzer und deren Zunft zu kennzeichnen. Das Zelt eines Töpfers aus Pale kannte sie gut, und auch die Wollweberin aus Pronoi hatte hier schon oft ihre Waren gehandelt. Zwischen ihnen aber standen drei blauweiße Zelte, deren Herkunft sie nicht sicher zu deuten wusste. Könnten das diejenigen der Athener sein?

„Hey, ihr da! Wer seid ihr, dass man euch noch so spät ins Dorf gelassen hat?“

„Zwei Soldaten in Rüstung und mit Speer und Schild bewaffnet, traten jetzt an den Karren heran. Sie gehörten nicht zur Miliz Kraniois, wie Deianiera zu erkennen glaubte.

„Ich bin Deianiera, die Schmiedin. Wer seid ihr?“

„Wir gehören zur Garde des Oikisten Petros. Erweist uns Respekt und lasst euch einen Platz zuweisen, damit ihr unseren Leuten nicht in die Quere kommt.“

Deianiera trat jetzt in den Schein der Fackel. Der Größere der beiden Soldaten streckten seinen rechten Arm in ihre Richtung aus, in welchem er seinen Speer hielt.
„Ein Spartaner Hoplit! Sie sind auf der Insel!“, rief er panisch aus.

Deianiera reichte Darius Waffe und Schild als Zeichen ihrer friedfertigen Absicht.

„Ich lebe hier auf der Insel. Ich bin die Einzige.“ Mit diesen Worten zog sie ihren Helm vom Kopf herunter und zeigte den Männern ihr Gesicht.

„Eine Frau in der Rüstung eines Kriegers? Was fällt euch ein, Weib? Wollt ihr unser spotten?“

„Neben einer Schmiedin, bin ich auch Soldfrau. Man kennt mich hier auf der Insel, überzeugt euch nur.“

„Gebt uns eure Rüstung und Waffen, Frau! Es geziemt sich nicht, dass sie von euch getragen werden. Wir finden eine bessere Verwendung für sie.“ Sprach der Größere der beiden Krieger zu Deianiera.

„Ihr müsstet sie euch schon nehmen, was euren sicheren Tod gleichkommen wird. Zwingt mich nicht dazu, bin ich doch im Frieden und zum Handeln gekommen.“

„Genug jetzt. Damit dieser Wahnsinn sein Ende findet.“

Der Kleinere der beiden, trat entschlossen an Deianiera heran, wollte nach deren Körper greifen, als diese seinen Arm mit ihrer Linken wegschlug. Von der Wucht ihres Schlages mitgerissen, drehte er sich zur Seite, worauf sie ihre rechten Hand gegen seine Schulter stemmte. Hart trat sie ihm mit ihrem linken Fuß in seine rechte Kniekehle, mit ihrem linken Arm ihn zur gleichen Zeit in einen Würgegriff nehmend.

„Ic..., ahh....grrchh...“, röchelte der Soldat.

„Lasst ihn sofort los! Es reicht jetzt!“ Mahnte der andere Athener Gardist Deianiera.

Sie folgte seinem Wunsch, entließ den Mann aus dem Körperzwang, trat ihn aber brutal mit ihrem rechten Fuß von sich weg. Dieser stolperte ein Dutzend Schritte vor, bevor er auf die harten Steine schlug, mit welchen der Marktplatz gepflastert worden war.

„Richtet ihr Waffe auf mich, wird euer Blut das Pflaster des Platzes tränken, dessen seid euch gewiss.“ Brüllte sie voller Zorn.

Die beiden Kriegsmänner zögerten, als ein Mann mit einer Fackel herbeigeeilt kam. „Was soll der Tumult? Ihr weckt die ganze Stadt.“

„Diese Frau hat uns angegriffen, nachdem wir uns erkundigt hatten, wer sie sei und was sie wolle“, rief der Größere der beiden.

„Das ist nicht wahr. Er lügt. Die beiden wollten mir Waffen und Rüstung nehmen.“

Die Stimme des Hinzugekommenen überschlug sich.

„Deianiera! Bist du es? Wir haben gewartet und waren in Sorge um dich. Gut, dass die Männer noch leben. Kefalos hat dir Besonnenheit geschenkt. Folgt mir, du un deine Begleiter, ihr könnt oben im Tempel nächtigen. Der Priester hat es gestattet.“

„Wohin wollt ihr? Wir sind noch nicht fertig mit diesem Weib“, rief der Größere der beiden Kriegsmänner, dabei seinen Kameraden aufhelfend.

Der Bürger ging entschlossen auf die beiden Athener zu und schüttelte seinen Kopf.

„Ihr wollt euch mit der berühmten Deianiera messen? Der Frau, welche als Ares Tochter gilt? Nun gut. Sucht den Kampf mit ihr, ich geben dann dem Oikisten Nachricht von eurem Tod.“

Die beiden Männer machten einen Schritt zurück, während Deianiera den ihr Unbekannten grüßte.

„Wer seid ihr, dass ihr mir helfen kamt?“

„Ich bin Bulis, ein Händler aus Korinth. Ich kam aus Pronnoi um Handel zu treiben und mit dem Rat zu sprechen. Wir benötigen deine Dienste, Deianiera, bevor diese Plage die ganze Insel heimsucht.“

Deianiera empfand die Erscheinung des schlanken Mannes als angenehm. Er schien ihr freundlich und charismatisch zu sein. Diesen Eindruck hatte er auch seiner angenehmen Stimme zu verdanken, welche klar und melodisch klang.

„Ihr meint die Athener?“, fragte sie ihn.

Petros trat an den Wagen heran und half bereitwillig dabei, diesen anzuschieben.

„Selbstverständlich. Sie werden den bevorstehenden Krieg auch auf diese Insel bringen, wenn es uns nicht gelingt, sie schnell wieder loszuwerden.“

Deianiera half ebenfalls den Wagen zu bewegen, und wies Abraxas an, ihn auf die gegenüberliegende Seite der Agora zu lenken. Die Athener folgten ihr mit einigem Abstand nach, wobei der Kleinere von ihnen seine linke Hand gegen den Rücken presste und sich mit der Rechten auf seinen Speer abstützte. Sein Gesicht war von Schmerz gezeichnet, wie Bulis zufrieden beobachtete.

Er wandte sich den beiden noch einmal zu, Wut lag in seinen Zügen.

„Bewacht den Platz! Das war doch eure Aufgabe, oder irre ich?

Die Athener Soldaten blieben stehen, zögerten, dann liefen sie in die entgegengesetzte Richtung.

„Du hast sie ganz schön eingeschüchtert. Woher kommt dieser Respekt?“, fragte Deianiera.

„Ich komme aus Korinth. Wenn man dort hört, dass die Athener hier auf Kephallenia siedeln, wird die Stadt auf der Seite Spartas in den Krieg ziehen. Das möchte man verhindern, in dem man versucht mich von den guten Absichten Athens zu überzeugen.“

Deianiera verstand seine Worte nicht. Warum sprachen alle von einem bevorstehenden Krieg? Und was sollte sie damit zu schaffen haben? Ithes! Einfach nur die Nacht bei ihm liegen dürfen. Das war jetzt ihr größter Wunsch.


Sie erreichten den Tempel, wo sich der große Holzbau zum Berg Enos hin erstreckte, gestützt von steinernen Säulen. An beiden Seiten gab es Anbauten, welche von dem Priester und seinen Dienern genutzt wurde. Deianiera hatte dort schon Dieben aufgelauert, welche ihr Langfinger nach den Opfergaben der Gläubigen ausgestreckt hatten. Vier an der Zahl, hatte sie einen von ihnen getötet und die drei übrigen als Sklaven verkauft. Ein einträgliches Geschäft für sie, zusammen mit der Bezahlung.

„Schiebt den Karren unter diese Überdachung dort, ich warte auf der gegenüberliegenden Seite des Tempels auf euch. Das Haus, welches dort steht, wird euch und eure Männer ein Lager für die Nacht bieten. Morgen werden wir dann das Weitere besprechen.“

„Auf mich wartet jemand auf der Agora. Ich muss ihm Bescheid geben“, erwiderte Deianiera

Bulis zeigte sich besorgt.

„Bitte, Frau. Wenn ihr dorthin geht, werdet ihr die Athener erneut provozieren. Lasst es für heute gut sein.“

Deianiera zögerte, warf Darius einen nichtssagenden Blick zu, dann zeigte sie sich Bulis gegenüber einverstanden.

„Nun gut. Dann gehe du aber zu Lycidas und erkläre ihm, wo wir lagern.“

Bulis hob überrascht seine Hände.

„Was? Lycidas? Ihr seid mit diesem Schmierenkomödianten bekannt? Was zürnt ihr uns Götter, dass ihr diesen Spinner auf die Insel gelassen habt.“

Deianiera lachte.

„Gebt ihm dennoch Bescheid, ich möchte nicht, dass er sich im Regen den Tod holt.“


Die Lichter waren lange erloschen, als Deianiera sich leise von ihrem Lager erhob. Abraxas schnarchte, während Darius sich ruhelos von einer Seite auf die andere wälzte. Lycidas lag still und zufrieden auf seiner Matte, seine beiden Hände über den aufragenden Kugelbauch ineinandergreifen lassend. Er schien mit sich im Reinen zu sein und säuselte vor sich hin, ab und zu dabei schmatzend.

Deianiera betrachte die Männer der Reihe nach, ungläubig darüber, wie einige wenige Tage, Veränderungen in ihr Leben bringen konnten. Oft unter der Eintönigkeit ihrer Abgeschiedenheit leidend, fühlte sie sich jetzt von dieser Gesellschaft überfordert.

Draußen prasselte der Regen vom Himmel herab. Sie würde vom Wasser völlig durchgeweicht sein, wenn sie bei Ites eintraf. Egal! Sie wünschte sich seine Nähe, verband sie doch nur eine glückliche Zeit mit diesem Jungen.

So öffnete sie die Tür, blickte sich noch einmal um, sich den Schlaf ihrer Begleiter versichernd, dann trat sie, in einem einfachen Chiton und Hemation gekleidet, hinaus in die Dunkelheit.

Ein starker Wind peitschte den Regen auf und dessen Nässe, verwandelte den Boden in Schlamm, an vielen Stellen tiefe Pfützen bildend. Die junge Frau zeigte sich davon unbeeindruckt und eilte zurück in den Ort, um nach Ites zu suchen.

Sie fand ihn im Torbogen stehend, mit den Rücken gegen die Stämme der Palisadenmauer gelehnt. Dabei achtete er sie nicht und erschrak furchtbar, als sie an ihn herantrat.

„Mein Gott, möchtest du mich töten? Mein Herz hörte auf zu schlagen.“

Deianiera legte ihm lachend ihre Hand auf seine Brust, zog diese wieder weg und horchte, in dem sie ihr Ohr auf das Leder seiner Rüstung presste.

„Es schlägt ganz ruhig, so schlimm kann es nicht sein.“

Ites lächelte, legte seine Hand über ihre, von seinem Körper abgewandten Seite ihres Gesichts und streichelte vorsichtig über ihre Wange.

Welch wunderbares Gefühl, fand Deianiera. Eine Wärme und Geborgenheit schenkte er ihr, welche sie kaum in ihrem Leben hatte empfinden dürfen. Eine Weile hielten sie sich umarmt, dann brachte ihre Erregung und Freude aufeinander Rastlosigkeit über sie. Ihr Streicheln wurde fordernder, der gegenseitige Druck auf ihre Körper nahm zu, dann fühlte Deianiera seine Hände nach ihren Backen greifen. Mit einem Ruck hob Ites sie an, drehte sich auf der Stelle und drückte sie gegen das Holz der Palisadenwand.

Ihre Schenkel gegen seine Hüfte pressend, fühlte sie seine Männlichkeit an ihrer Scham, stöhnte auf, als er mit seinem Glied in ihr Einzug hielt und wimmerte leise, als der Lustschmerz sie auszufüllen begann. Ites zeigte wenig Zärtlichkeit in diesen Moment, doch war Deianiera nicht enttäuscht darüber. So intensiv, wie sie ihn jetzt spürte, mit der Reibung ihrer Körper Kälte und Nässe vertreibend, bildeten sie eine Einheit, welche ihr tief ins Herz hinein reichte. Könnte es einen Zukunft mit ihm geben? Mit jedem seiner Stöße, wurde dieses Verlangen in ihr stärker. Wie musste es schön sein, jede Nacht neben solch einem Mann liegen zu dürfen?

So stöhnte sie auf, keuchte ihre Lust heraus, dabei seine Schultern mit ihren Händen umklammernd, als sie seine Stimme mahnende Worte sagen hörte.

„Leise, phila (griech. Liebling)! Man wird uns hören.“

Deianiera standen Freudentränen in den Augen, als auch schon sein nächster Stoß tief in ihren Leib hineinfuhr. Sie wimmerte und vermochte es dennoch ihren Lustschrei zu unterdrücken.

„So ist es gut.“ Ites Stimme klang beherrscht, trozt der Anstrengung, mit welcher er sie liebte.

Die junge Frau verlor sich völlig in dem Gefühl ihrer Vereinigung. Sie hörte nicht das Heulen des Windes, dem Rauschen des Regens, welcher auf den Boden prasselte, die dicken Tropfen Wasser, welcher am Torrand heruntertropften. Es gab keine Fremde in diesen Moment für sie, sondern ein wohliges Haus, gebaut aus ihrem Verlangen und Zuneigung.

Als Ites sich aus ihrer Umklammerung zu lösen suchte, war ihr Gesicht für den Moment von Enttäuschung gezeichnet. Sie hatte den Gipfel ihres Lustempfindens fast erreicht, als er sich aus ihr zurückzog. Im ersten Augenblick ungehalten, wollte die Unzufriedenheit nicht lange in ihren Gedanken verweilen, trieb er diese doch mit seinem Streicheln und Küssen hinfort.

„Heiraten wir, Ites! Lass uns ein gemeinsames Leben führen“, schlug sie ihm unverwunden vor.

Der Milizsoldat hob seinen Kopf und blickte sie nachdenklich an. Es war nicht das erste Mal, dass sie diesen Wunsch ihm gegenüber äußerte.

„Ich kann nicht, Deianiera. Meine Eltern werden es mir nicht gestatten. Sie haben das Orakel befragt, du würdest mir Unglück bringen.“

„Welches Orakel? Das, welches von der Priesterin in Pale ausgerufen wird? Sie ist eine Hexe, nichts weiter. Glaube ihre Worten nicht! Es wäre nicht das erste Mal, dass sie lügt, lenken doch Münzen ihre Prophezeiungen in jede Richtung, aus der sie ihr geopfert werden. Komm mit! Wir gehen zu ihr, dann beweise ich es dir.“

„Mein Vater glaubt ihrer Weissagung, Deianiera und meine Mutter auch. Sie wünschen sich für mich keine Frau, welche in Waffen und Rüstung Menschen in den Hades stößt.“

„Und du? Was ist dein Wunsch?“, fragte sie ihn nach einigem Zögern.

Ites schien gehemmt, verzweifelt nach den richtigen Worten suchend. Er vermied ihren Blick, sah zur Seite, sich schließlich von ihr lösend.

„Meine Liebe gehört dir und meinen Eltern. Es zerreißt mich, verstehst du das nicht?“

„Und die Tochter des Hauptmanns würden sie akzeptieren?“

Ites nickte. „Ja, sie hat ein schönes Antlitz, ist eine fleißige Weberin und wohnt in einem großen Haus.“

„Dann wirbst du um sie?“, fragte sie ihn zornig.

„Ja, ich muss“, gestand er ihr kleinlaut ein.“

„MALAKES!“, herrschte sie ihn an. Er wollte sie halten, doch sie stieß so stark gegen seine Brust, dass er stürzte. Sie ließ ihn liegen, achtete seiner Rufe nicht, sonder lief durch den Regen hindurch zurück zum Tempel.
 
Die Verhandlung

Deianiera hatte in der Nacht kaum ein Auge zugetan. Ruhelos hatte sie wachgelegen und sich den letzten Moment mit Ites zu erklären versucht. Er wollte sie nicht! Sie, die von vielen Menschen der Insel als Halbgöttin gesehen wurde, war ihm nicht gut genug gewesen. Oder seinen Eltern? War es vielleicht ihre Bürde allein zu sein? Ihr Leben ohne Menschen bestreiten, welche ihr etwas bedeuten könnten, so wie es der Onkel ihr angedacht hatte?

Sie schloss die Augen. Der Regen hatte, zusammen mit dem Wind etwas nachgelassen. Vielleicht würde er mit dem Anbruch des Tages ganz aufhören und die Sonne etwas Licht in ihre Stimmung bringen.

Was ihr bei diesem Besuch der Stadt bevorstand, vermochte sie sich nicht auszumalen. Das der Bürgerrat sie jetzt erwartete und ein Korinther Händler sie in Empfang genommen hatte, mahnte sie davor, sich nicht vor einen Karren spannen zu lassen, der nicht der ihrige war. Auch davor hatte der Onkel sie gewarnt. Sich selbst und den eigenen Interessen treu bleiben. Wenn man sich die Probleme anderer auflud, dann nur der Drachmen wegen, die sich auf diese Weise verdienen ließen.

„Geht es euch gut, Afentra?“

Deianiera hatte Darius zuvor schlafend gefunden, sie war überrascht, dass sie nicht bemerkte, dass er inzwischen seine Augen geöffnet hatte.

„Schlaf! Es wird ein harter Tag für dich werden.“

„Lasst mich bei euch liegen, damit ich euch wärmen kann.“

Sie wollte ihn nicht zurechtweisen, war sich aber auch nicht sicher, ob sie sich seine Nähe wünschte. So kroch der Sklave an ihr Lager heran, legte sich neben ihrer Matte auf den Boden und hob seinen linken Arm über ihren Kopf hinweg, als Zeichen, dass sie diesen darauf betten sollte.

Sie ließ es geschehen! War sie wirklich von Ites so stark verletzt worden, dass sie bei ihrem Sklaven Schutz suchen musste? Tatsächlich hatte der Freund ihr wehgetan, mehr als es der Stock des Onkels früher vermocht hätte. Sie war oft von ihm geprügelt worden, um ihr die Flausen auszutreiben, welche als Kind und Jugendliche ihr innegewohnt hatten. Schmerz hatte wie die täglichen Mahlzeiten zu ihrem Lebe gehört.

Darius legte seine rechte Hand auf ihren Bauch, streichelte diesen sanft und ohne Ziel. Warum tat er das? Wollte er sie gütlich stimmen, damit er seinen Stand ihr gegenüber verbessern konnte? Oder mochte er sie wirklich?

Ein Sklave! Ein Knecht für jedermann, der über ihn herrschen wollte! Nein! Als Linderung für ihren Schmerz mochte diese Nähe angehen, vielleicht auch noch zum Stillen ihres Verlangens nach einem Mann, aber mehr durfte es mit ihm nicht geben. Er war zu schwach und wenig wert in ihren Augen.

Wenn sie es doch nur schaffen würde, ihren rastlosen Gedanken Einhalt zu gebieten. Sie fühlte sich von ihnen getrieben und um den Moment der Ruhe und des Schlafes betrogen.

Sie spürte das Streicheln Darius und suchte sich zu beruhigen. Vielleicht konnte sie loslassen, wenn sie für den Moment ihre Augen schloss?


„Ihr müsst aufstehen. Der Rat wartet, Deianiera!“

Die Kriegerin öffnete ihre Augen und schrak auf. Der Wolf, er hatte sie nicht gewarnt. Vielleicht weil er Bulis nicht als Bedrohung sah? Oder war sie selbst für ihn zu weit weg gewesen, dass sie sein Rufen nicht vernommen hatte?

Ites! Was hast du mir angetan?

Sie hob ihren Kopf, richtete ihren Oberkörper auf und nickte Darius zu, welcher ihr eilig Platz zu machen suchte.

„Leg dich wieder auf dein Lager! Lass die anderen schlafen, ich komme gleich zurück.“

Darius bestätigte ihren Befehl und kroch wieder vorsichtig zwischen den Leibern von Lycidas und Abraxas hindurch auf die andere Seite des Raumes. Deianiera war inzwischen aufgestanden, legte ihre Rüstung an und bereitete sich auf das Treffen mit dem Rat vor.

„Warte er draußen auf mich! Ich werde noch einiges an Zeit brauchen.“

Bulis war einverstanden und trat durch die Tür hindurch ins Freie. Es schien nicht mehr zu regnen, wie Deianiera erleichtert feststellte. Sie nahm sich Wasser aus einem Krug, um sich ihr Gesicht zu waschen, suchte Ordnung in ihren Haarknoten zu bringen und trat schließlich, Waffen und Schild bei sich führend, nach draußen ins Freie, wo der Korinther Händler auf sie wartete.

„Lasst uns rüber zum Haus des Thaletas gehen. Dort sind auch die anderen Mitglieder des Rates versammelt. Die Athener schlafen sicher noch, sodass sie von unserer Zusammenkunft nichts mitbekommen werden.“

Die Kriegerin ließ sich nicht treiben, streckte ihrem Körper und wandte sich zu dem Berg Enos um, welcher hinter ihr aufragte. Wie schön er um diese Tageszeit anzusehen war, sein Gipfel hinter den Wolken verborgen haltend.

Sie lächelte, überblickte den Ort vor sich und gähnte ungehemmt. Was immer die Männer beabsichtigten, sie wollte sich um ihre jetzt leichter gewordene Stimmung nicht betrügen lassen.


Dieben gleich, schlichen sie durch die Gassen. Bulis sah um jede Hausecke, wandte sich sorgenvoll um und schien überaus nervös zu sein.

„Es folgt uns keiner, bleibt ruhig!“

Der Korinther wandte sich ihr zu, seine Gesichtszüge entspannten etwas.

„Seht ihr das durch die Augen eures Geisterwolfes?“

„Ja, und durch die meinen.“ Sie lächelte. „Dort vorne ist das Haus, ihr dürft also durchatmen.“

Bulis schien ihr beleidigt zu sein.

„Spottet ruhig meiner Vorsicht, aber ich weiß, zu was die Athener in der Lage sind. Sie lächeln einem von vorne ins Gesicht, um bei der nächsten Gelegenheit einem das Messer in den Rücken zu stechen. Ihr werdet gleich selbst hören, welch unschöne Veränderungen es die Tage gegeben hat.“

Ein Diener ließ sie durch ein hohes Tor treten, welches in das Innere eines großen Vorgartens führte. Die Villa war der ganze Stolz des reichen Bürgers Thaletas, welcher sich extra einen Baumeister aus Patrai hatte kommen lassen, damit dieser den Bau für ihn errichtete. Kunstvoll bemalte Wände, reich verzierte Fresken und Säulenkapitell, Wasser welches aus den Wänden trat, um sich in Becken zu ergießen, schien dieses Haus einen unermesslichen Schatz darzustellen, dessen sich sein Besitzer nicht umsonst rühmte.

Bulis trat voraus und so gingen sie durch den Garten, um auf die andere Seite des Hauses zu gelangen. Dort angekommen, traten sie in einem großen von Säulen gestützten Saal, in welchem elf wohlgekleidete Würdenträger der Stadt auf sie warteten. Deianiera kannte sie alle vom Sehen her, aber nur mit drei von ihnen hatte sie in der Vergangenheit Worte gewechselt. Eine lautstarke Diskussion wurde zwischen den Mächtigen Kraniois geführt, so dass es dauerte, bis sie der Hinzugetretenen gewahr wurden.

Elpenor, der Sklavenhändler nickte Deianiera freundlich zu, während Machaon, der Bäcker sich im Gespräch mit einem anderen der Männer befand, sich sichtlich dabei erregend. Iobates, der Priester des Kefallos trat ihr entgegen, breitete seine Arme aus und hieß sie im Namen der anderen Willkommen.


„DIE GROßE DEIANIERA! Unsere mächtigste Waffe im Angesicht unserer Feinde kommt, um uns ihre Hilfe zu bringen. Sei gegrüßt, ich hoffe die Anstrengungen deiner Anreise wurden von der Ruhe der Nacht vergessen gemacht?“

Die gerüstete Frau dankte Iobates artig für die Unterkunft in seinem Tempel, hielt sich sonst aber zurück. Sie wollte erst einmal abwarten, welches Anliegen die Männer ihr beabsichtigten vorzutragen.

„Die Athener haben Iakobos Land gekauft, wie du sicher schon gehört haben wirst“, erklärte ihr Tiros, der Weinhändler. „Was du aber noch nicht weißt, ist, dass er all seinen Besitz hätte zurücklassen müssen, wollten die Athener doch nur ihn mit nach Sizilien nehmen, nicht aber sein Hab und Gut. Kannst du dir vorstellen, wie dieser Malakes geflucht und gezätert hat? Der Kapitän des Athener Schiffes hatte einen Preis für den Transport verlangt, welcher fast die Hälfte der Kaufsumme entsprach, welche er zuvor für sein Land bekommen hatte. Jetzt sitzt er hier im Ort und weiß nicht wohin mit sich, ist doch die Überfahrt für ihn zu kostspielig geworden.“

„Soll er doch ein anderes Schiff nehmen“, schlug Deianiera vor.

„Würde er, wenn es denn eines gäbe. Er wird es in Sami versuchen müssen, denn hier in Kranioi, haben die Athener den gesamten Hafen für ihre Schiffe in Beschlag genommen.“

„Was habe ich mit all dem zu schaffen?“

Tiros ging auf und ab, dabei konzentriert vor sich her blickend. Er war ein kleiner drahtiger Mann, dessen Kopf und Gesicht nur mit wenig Haar bedeckt, einen seltsamen Eindruck bei Deianiera erweckte.

„Diese arroganten Schnösel Attikas werden alles woran wir gewohnt sind und für selbstverständlich erachten verändern. Euch wird es genauso treffen, wie auch alle anderen Menschen der Stadt. Mit dem Handel Iakobos nimmt es den Anfang und so streckt der Oikist bereits seine Fühler nach den Gründen weiterer Bauern aus. Er wird versuchen immer mehr Besitz für Athen zu erwerben und unseren Ort so schnell wie möglich in seine Abhängigkeit zu bringen. Ein jeder Handwerker und Händler der Stadt wird betroffen sein, so auch du Deianiera.“

„Und was habt ihr vor dagegen zu unternehmen?“ Deianiera fühlte ein seltsames Brummen in ihren Bauch und wünschte sich weit weg von diesem Ort zu sein. Einem jeden dieser Männer würde sie zutrauen, dass er es gewesen war, welcher Abraxas, Telemach und Darius entsendet hatte, um sie zu töten. Zu oft war sie ihnen und ihren Interessen in die Quere gekommen.“

Die junge Frau bekam von einer hübschen Dienerin einen Becher gereicht. Sie nahm einen vorsichtigen Schluck daraus und schmeckte süßen Wein. Da sie an diesem Tage bisher nichts gegessen hatte, würde sie ihn vorsichtig zu sich nehmen müssen.

„Bisher sind nur die Siedler eingetroffen, nicht aber deren Hausstand. Wenn wir es schaffen die Schiffe, welche diesen transportieren ein Unglück zustoßen zu lassen, geraten die Athener in unsere Abhängigkeit und nicht umgekehrt.“

„Sie werden neue schicken“, gab Deianiera zu bedenken.

Tiros lächelte und blickte in die Runde.

„Vielleicht. Aber erst einmal ist es ein schlechtes Omen für sie. Wir haben das Orakel in Pale bezahlt, die Hexe wird ihre Weissagungen in die richtige Richtung lenken, sollten die Siedler sie befragen. Und wo das erste Schiff verschwunden ist, so kann es auch mit einem zweiten und dritten geschehen, richtig? Zumal viele Piraten um unsere Insel herum ihr Unwesen treiben, wir müssen sie nur auf die Athener aufmerksam machen. Sind die mächtigen Trieren (Kriegsruderschiffe der Antike) Athens hier erst einmal heimisch, werden sie mit ihren Schiffen keine Beute mehr finden.“

Deianiera glaubte zu erkennen, worauf der Mann abzielte.

„Ich soll nach Ithaka übersetzen, um mit ihnen zu verhandeln?“

Tiros nickte.

„Du hast ihre Bekanntschaft bereits gemacht und sie fürchten dich. Es wird dein Schaden nicht sein, wir alle haben Drachmen beigesteuert um deinen Dienst zu entlohnen.“

„Was wäre, wenn wir das Land Iakobos kaufen? Würden die Athener nicht wieder abziehen?“

Elpenor, der Sklavenhändler trat an Deianiera heran, ihr seine rechte Hand auf die linke Schulter ablegend.

„Sie würden anderswo Land kaufen, es wäre nichts gewonnen. Kefallenia liegt vor der Mündung des Golfs von Korinth, ebenso halten hier die Schiffe, welche zu den Kolonien im Westen unterwegs sind. Die Insel ist wichtig für die Athener und ihren Bund.“

Iobates gab dem Sklavenhändler Recht. „Beim Zeus und schon bald wird auch Korinth und Sparta die Bedeutung Kephallenias bewusst werden. Was das heißt, könnt ihr euch vorstellen. Wir werden zum Schlachtfeld ihrer Konflikte werden.“

Deianiera seufzte. Ihr war die Tragweite dieser Veränderung durchaus bewusst geworden und dennoch zögerte sie damit, sich von den Männern des Rates für deren Interessen einspannen zu lassen. Ihr Onkel hatte sie stets davor gewarnt, sich zu Unwägbares überreden zu lassen, wenn es einem von der Not nicht geboten wurde. Auch fühlte sie sich überfordert und sehnte sich nach ihrem einfachen Leben zurück, welches sie seit dem Tode ihres Onkels führte.

„Wie viel gebt ihr mir, würde ich mich auf euren Auftrag einlassen“, fragte sie aus Neugierde.

„Dreihundert Drachmen! Außerdem stellen wir dir ein Boot in Sami, was dich nach Ithaka bringt. Es muss nur schnell gehen, Deianiera, die Schiffe aus Athen könnten zu jeder Zeit hier eintreffen.“

Die Kriegerin ging nervös auf und ab, verzweifelt für sich nach dem besten Weg suchend. Die Männer des Ortes waren ihr nicht sonderlich wichtig, gehandelt hatte sie, abgesehen von Elpenor, zumeist mit den Bauern des Umlandes und Händlern aus anderen Städten.

„Nein! Ich bin hier, um meine Waren auf der Agora zu verkaufen. Wie auf jeden Markttag seit vielen Jahren. Solange das nicht geschehen ist, nehme ich keine Aufträge entgegen.“

„Frau!“, rief Tiros sie erschrocken an. „Ist euch die Gefahr nicht bewusst geworden, in welcher wir uns befinden? Die Attiker werden sich wie eine Seuche ausbreiten und unser Leben, wie wir es kennen und lieben tilgen. Das kann doch nicht in eurem Interesse sein.“

„Es geht hier vor allem um euer Wohl, haltet mich nicht für dumm! Es ist so, wie ich es sagte, schickt jemand anderen.“

„VIERHUNDERT DRACHMEN!“, rief Hemippos der Geldleiher.

Deianiera schüttelte ihren Kopf, trank den Becher leer und reichte diesem den ihr gegenüberstehenden Tiros. Sie wischte sich mit ihrem rechten Unterarm über den Mund, blickte den Männern in die Gesichter und wandte sich dann zum Gehen.

„Chiere!“

In den Mienen der Männer war Wut, Enttäuschung und Furcht zu lesen. Ein jedes dieser Gefühle weckte Unberechenbarkeit. Diese aber suchte die junge Frau unbedingt für sich und ihr Leben zu meiden.

Sie fand selbst den Weg nach draußen, ließ sich von dem Diener das Tor öffnen und eilte durch die Gassen des Ortes zurück zur Agora. Die ersten Bürger zeigten sich mit der Dämmerung des Tages. Stimmen drangen aus den Häusern heraus, Rufe gellten durch die Gassen. Deianiera überholte mit zügigen Schritten einen Ochsenkarren, auf dem ein hagerer Bauer saß. Er stammte aus dem Dorf Kausos, wie Deianiera sich zu erinnern glaubte.

„Sehen wir uns später, Deianiera? Ich brauche eine Axt und Messer für die Opfergabe.“

„Komm später zu mir, wir werden das Passende finden“, rief sie zurück.

„Gut.Dann sehen wir uns, gute Frau.“

Sie hob ihren Arm und eilte weiter. Sie durfte keine Zeit verlieren, sonst würde es ihr unmöglich werden, einen guten Stand für ihren Karren zu finden. So querte sie eilig den kleinen Marktplatz, auf dem bereits die ersten Stände ihre Vorbereitungen für den Handel trafen und lief den Tempelberg hinauf, um die Sklaven zur Arbeit zu treiben. Essen würden sie alle zu einer späteren Zeit. Es blieb ihnen später genug Müßiggang dafür, während sie auf Kundschaft warteten.

Ites! Er ging ihr voraus. Sie überlegte, ob sie dem Mann ausweichen sollte, doch wollte sie sich diese Schwäche nicht zugestehen. So trat sie an ihm vorbei, achtete ihn nicht weiter und bog ab, um den Aufstieg zum Tempel zu erreichen.

„DEIANIERA!“, rief er sie an, doch sie wandte sich nicht um und nahm weiter ihren Weg. Noch einmal Mal hörte sie ihn rufen, fühlte eine bleierne Schwere in ihrem Bauch und Tränen, welche in ihre Augen traten. Sie war eine Kriegerin! Warum zeigte sie nur diese Schwäche? Sie dachte an das schöne Gefühl in der Nacht zurück, welches er ihr geschenkt hatte. Liebe? Warum nur trieb Aphrodite ihren Spott mit ihr und schwächte sie dadurch? Vielleicht musste sie der Göttin ein Opfer bringen? Sie stöhnte bei diesem Gedanken. Der nächste Tempel, welcher der Göttin der Liebe geweiht worden war, befand sich in Pale. Sie würde diesen Weg gehen müssen, wenn der Schmerz nicht leichter für sie zu tragen war.


„Steht auf! Wir müssen aufbrechen. Sonst sind die besten Plätze auf der Agora vergeben. Eilt euch!“ Deianiera klatschte lautstark in ihre Hände, worauf das Leben in die tief schlafenden Körper der Männer Einzug hielt.

Abraxas rieb sich mit der linken Hand abwechselnd seine Augen. Die Ketten seiner Fesseln klirrten dabei und für einen Moment schien er Probleme damit zu haben sich zurechtzufinden. Deinaniera beobachtete den Sklaven dabei, wie dieser seinen rechten Arm zu bewegen suchte und schon richtete er seine Augen auf sie, in welchen sie deutlich seinen Hass auf sie zu erkennen vermochte, welchen er in ihre Richtung lenkte. Sie hatte ihm diese schwere Verwundung zugefügt, egal weshalb. Es spielte keine Rolle für ihn, ob sie sich im Recht befunden hatte oder nicht.

„Darius! Leg Abraxas sein Geschirr an. Lycidas! Packe unsere Sachen zusammen und lade sie auf den Karren. Vergesse nichts, rate ich dir. Sollte später etwas fehlen, wirst du es mir ersetzen.“

Lycidas ließ sich in seiner guten Stimmung nicht beirren, streckte sich dem Morgen entgegen und öffnete die Fensterläden.

„Das Morgenlicht! Die Geburt eines neuen Tages, Deianiera! Ein erster Akt unserer Geschichte von vielen weiteren, welche wir gemeinsam erleben werden. Wie gespannt bin ich zu erfahren, was für Abenteuer wir heute an deiner Seite erleben werden.“

Nackt wie er geschlafen hatte, warf er sich seinen Chiton über, griff nach dem kunstvoll bestickten Hermation und schob Deianiera beiseite, um zum Eingang zu gelangen. Er würde sich erst einmal waschen und den neuen Tag begrüßen, bevor er den Wünschen der Halbgöttin folgte.

Deianiera ließ ihn gewähren. Sie würden noch etwas Zeit brauchen, bis sie bereit zum Aufbruch waren. So trat auch sie vor die Tür und blickte auf den Ort herunter, wo ein Hornruf die morgendliche Ruhe durchschnitt. Er musste seinen Ursprung bei den Athener haben, kannte sie doch solch einen Brauch von den Bürgern Kraniois nicht.

Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen sich nicht auf den Handel des Rates eingelassen zu haben? Zweifel! Sie waren ihr so zuwider. Früher hatte es sie kaum in ihrem Leben gegeben, aber mit dem Tod des Onkels, war ihr auch dessen Fingerzeig verloren gegangen, welcher ihr stets die richtige Richtung aufgezeigt hatte.

Sie hörte Abraxas fluchen und Darius aufkreischen. Lycidas hatte sich gerade an einem Fass mit Regenwasser erfrischt und sah jetzt nach, was die beiden für einen Zwist miteinander austrugen.

„Jetzt beruhigt euch doch! Bevor die Afentra hinzutritt und euch mit einer Strafe belegt.“

Deianiera war Lycidas dankbar, dass er ihre Sklaven zur Ordnung rief. Sie hatte weder einen Stock noch eine Peitsche, um die Sklaven zurechtzuweisen. Notfalls würden es aber auch ihre Schläge und Tritte tun, würden die beiden ihren Worten keine Achtung zollen.

Die beiden Streithähne schienen sich wieder zu beruhigen und so konnte man, nach dem Lycidas ihr Hab und Gut mit Hilfe von Darius verladen hatte, endlich zum Markt aufbrechen.

„Deianiera! Gut, dass ich dich noch antreffe.“ Iobates stellte sich Abraxas in den Weg und wartete darauf, dass Deianiera ihm entgegentrat.

„Was willst du, Priester?“, fragte sie ihn tonlos. Ihren Blick auf den Karren gerichtet haltend.

„Hast du Kefallos deine Opfergabe gebracht? Du würdest ihn zusätzlich erzürnen, wenn du in seinem Haus wohnst, ihm aber keinerlei Achtung erweist.“

Die junge Frau seufzte, griff in einen kleinen Beutel, welchen sie an ihrem breiten Gürtel trug und suchte nach ein paar Silbermünzen, welche sie dem Priester gab. Dieser zeigte sich zufrieden mit der Gabe, schien aber noch ein weiteres Anliegen ihr gegenüber zu haben.

„Das, was in Taletas Haus besprochen wurde ..., behalte es für dich, Frau! Deine Untätigkeit schadet unserer Stadt schon genug, verstärke das Unheil nicht noch, in dem du im Ort darüber sprichst. Überall sind die Ohren Athens! Wir müssen vorsichtig sein, sind diese Leute doch zu allem fähig.“

„Ihr meint, so wie ihr versucht heimlich ihre Schiffe versenken zu lassen?“

Sie drückte den Priester wortlos aus dem Weg, nickte Abraxas zu, worauf dieser Darius und Lycidas anrief, damit sie zu schieben begannen. Iobates blickte ihnen nach, einen Ausdruck seines Zorns im Gesicht tragend. Halbgöttin? Dieses Weib war eine Anmaßung für jeden Mann und höchstens als Geißel der Götter zu sehen, welche zu den Menschen als Prüfung entsendet worden war.
 
Auf der Agora

Darius war völlig außer Atem, als er die Agora (griech. Markt) erreichte. Er war dem Wagen vorausgeeilt, wurde er doch für dessen Fortbewegung nicht mehr gebraucht. Der Hang war vom Tempel in Richtung Ortsmitte leicht abschüssig, sodass Abraxas ihn allein bewegen konnte. Zwar mussten Lycidas und Deianiera ihm beim Bremsen helfen, aber die damit verbundene Anstrengung hielt sich für die beiden dabei in Grenzen.

Aufgeregt blickte er sich um, auf der Suche nach einer geeigneten Stelle, auf welcher Deianieras Wagen Platz fand und nicht zu weit abseits gelegen, ihr einen guten Handel erlaubte. So drängte er sich zwischen all die Händler, Diener und Schaulustigen hindurch, wich einem Straßenhund aus, welcher verwirrt durch die Marktgassen lief und bat die Götter um Beistand. Wenn er ohne Erfolg blieb, würde er weiter in der Achtung der Afentra sinken. Etwas, dass er gerade nach der gemeinsamen Nacht mit ihr, unbedingt verhindert wollte. So fand er mit viel Glück einen letzten freien Stand nahe der Mitte des Platzes und so hockte er sich dort angekommen auf den Boden und wartete ungeduldig darauf, dass die Herrin und ihre Begleiter mit dem Wagen erschienen.

Drei Männer wurden auf ihn aufmerksam, traten an ihn heran und blickten geringschätzig auf ihn herunter.

„Er da! Hock dich woanders hin! Rexenor der Gewürzhändler will hier seinen Stand errichten.“

„So wie meine Herrin den ihrigen. Sie wird gleich hier sein, sucht euch also einen anderen!“

Die drei Männer schienen nicht gewillt zu sein, Darius gewähren zu lassen. „Wir werden bestraft, wenn wir keinen geeigneten Platz finden. Also steh auf, sonst tun wir dir Gewalt an“, drohten sie ihm, dabei mit ihren zu Fäusten geballten Hände in seine Richtung deutend.

Darius dachte nicht daran, blieb sitzen und suchte sich vor den dreien zu rechtfertigen.

„Meine Herrin würde mich gleichfalls strafen, wo also liegt der Unterschied?“

„Deine Herrin ist aber noch nicht zugegen. Drüben am Rand der Agora findest du noch freie Plätze, nimm einen von denen.“

Darius blieb hocken, verschränkte seine Arme und starrte demonstrativ vor sich auf den Boden. Um keinen Preis der Welt wollte er die Herrin enttäuschen.

„Geh, oder wir jagen dich vom Platz!“, drohte der Größte der drei Unfreien ihm. Sie hatten seinen Halsreif ausgemacht und ihn somit als ihresgleichen erkannt.

„Nein! Das werde ich nicht. Geht und folgt eurem eigenen Vorschlag, sonst kommt der Zorn meiner Herrin über euch.“

„Was will sie schon machen, Malakes? Zählt das Wort eines Weibes mehr als jenes unseres Herrn?“

Einer der in einfachen Wollchiton gekleideten Kerle beugte sich jetzt über Darius, packte dessen rechten Oberarm und suchte ihn von seinen Platz wegzuziehen. Doch dieser hielt sich an einem Pfahl fest, welcher für Vieh oder Sklaven bestimmt, in den Boden getrieben worden war.

„Las los, oder du wirst es bereuen!“, drohte der Mann Darius. Dieser aber schwieg und krallte sich regelrecht mit seinen Fingern im Rundholz fest.“

„Jetzt reicht es! Die anderen Händler werden schon auf uns aufmerksam“, mahnte der Kleinste der drei Sklaven. Der Große blickte sich unsicher um, fasste einen Entschluss, beugte sich über Darius und holte mit seinem rechten Arm aus, um den ihm fremden Sklaven mit seiner Faust zur Räson zu bringen. Doch eher er zuschlagen konnte, sah Darius den riesigen Wolf durch die Marktgänge streichen, begleitet von einem tiefen Brummen.“

„Hört ihr das? Was ist das?“, fragte der Kleine, sich dabei suchend umblickend.

Die drei Männer sahen sich ängstlich um, da bemerkten sie voller Entsetzen den Krieger, welcher auf sie zustürzend, einen Speer wurfbereit in seiner Rechten hielt. In dem Moment, in welchem der Angreifer erschrocken von Darius ablassen wollte, sprang der Bewaffnete im Lauf, schleuderte die Waffe, worauf deren Spitze in das Holz des Pflocks drang und dieses dabei spaltete.

Die drei Sklaven bekamen es jetzt mit der Angst und stürmten in verschiedenen Richtungen davon, während unter den umstehenden Händlern, Schaulustigen und Dienern ein Raunen laut wurde.

„DEIANIERA IST HIER!“, rief eine Marktfrau, woraufhin die Menge zu rufen begann und ein jeder die Halbgöttin zu berühren suchte. Diese zog ihren Helm vom Kopf, ließ das Treiben widerwillig über sich ergehen und drängte sich dabei durch die aufgeregte Masse.

„Geht es dir gut?“, fragte sie Darius, als sie diesen mit einiger Anstrengung erreicht hatte.“

„Ja, Afentra. Ich hätte den Platz für euch bewahrt, glaubt mir.“

Deianiera rang sich ein Lächeln für ihren Sklaven ab, half ihm auf und deutete auf den Karren, welcher in einiger Entfernung stehengeblieben war.

„Hilf den beiden. Dann können wir endlich aufbauen und ich mit meinem Handel beginnen.“


„Sie hat ihren Wolf voraus geschickt?“, fragte Lycidas ungläubig. „Ja, er ist mir erschienen. So wie am Haus damals, als ich Abraxas und Telemach befreien wollte. Sie sieht durch seine Augen und hört durch seine Ohren.“

„Mich überkommt die Angst, wenn ich an solch ein Wesen denke“, erwidert Lycidas voller Staunen. Ein Dämon als Gefährte einer Heldin. Wenn das keine gute Geschichte abgibt, was dann, frag ich dich?“

„Tummelt euch, Deianiera zeigt sich ungeduldig“, hörten die beiden die wütende Stimme Abraxas und so stemmten sie sich ein letztes Mal gegen den schweren Karren und schoben ihn an den Platz, welchen Darius für seine Herrin gefunden und verteidigt hatte. Ein paar Händler und Sklaven sprangen hinzu, in der Absicht sich der berühmten Schmiedin und Soldfrau anzudienen. Sie halfen auch beim Aufbau des Standes und so verging nicht viel Zeit, bis das erste Bündel geöffnet und sein Inhalt auf den Verkaufstisch ausgebreitet werden konnte.“

Darius verhielt sich geschickt beim Feilbieten der Ware und so verkaufte er bereits nach wenigen Augenblicken die ersten Werkzeuge an einem Fischer, während seine Afentra Abraxas Kette an den Pflock schmiedete, welcher zuvor von ihrem Speer geschädigt worden war. Auch der Bauer aus Kausos suchte den Stand Deianieras auf, um ihr gegenüber sein Versprechen einzulösen. So ging er mit ihr die Ware durch, nachdem diese ihren Sklaven zum Verkauf gekennzeichnet hatte, suchte ein paar ansehnliche Messer und eine Axt aus, um sie später im Zeustempel der Stadt zu opfern. Dieser stand vor der Palisade im Norden des Ortes und war von ähnlicher Größe, wie der Tempel des Kephalos, nur dass seine Säulen noch höher und reicher verziert worden waren. Sein Priester war ein stummer wie blinder Greis, der wohl schon bald von den Göttern gerufen werden würde, welchen er zeit seines Lebens gedient hatte.

„Dort sind meine Leute!“, rief Lycidas erfreut und deutete auf eine Gruppe Frauen und Männer, welche gekleidet in weißblauen Chitons zwischen den Ständen entlang bummelten und deren Auslagen neugierig in Augenschein nahmen. Sie schienen eifrig einzukaufen, sodass die benachbarten Händler die Siedler unbedingt auf sich aufmerksam zu machen suchten.

„Guter Linos! Tolia! Freunde, hier drüben!“, rief Lycidas. Die Angerufenen hoben ihre Arme und winkten zurück, sich sogleich auf den Weg machend Lycidas zu erreichen.

„Lycidas! Wir haben uns um euch gesorgt, nachdem ihr in der Nacht nicht bei uns im Zelt zum Ruhen kamt. Habt ihr die Göttin gefunden, nach welcher ihr gesucht habt?“, fragte eine hübsche goldhaarige Frau, welche neben einem kräftigen und hochgewachsenen Mann einherging. Gekleidet in feinen Gewändern, schienen sie zu dem wohlhabenden Teil der Expedition zu gehören.

„Ja, das habe ich, dank den Göttern. Kommt heran, damit ich euch mit der berühmten Deianiera bekannt machen kann.“

Deianiera betrachtete das Siedlerpaar mit Neugierde. Mann wie Frau wirkten selbstbewusst und ungemein ansehnlich auf sie. Nie zuvor hatte sie solch imposante Chitons, Fibeln und Himation gesehen, wie bei diesen beiden. Was für ein Reichtum musste man besitzen, um solch hübsche Dinge sein Eigen nennen zu dürfen? Sie dachte an ihre eigene Schatulle und fragte sich ernsthaft, ob deren Inhalt für solche Pretiosen ausreichen könnte.

Mann wie Frau näherten sich Deianiera mit einer gewissen Neugierde. Beide besaßen attraktive, scharf geschnittene Gesichter, so dass die Schmiedin eher bei deren Antlitz an die Götter zu denken bereit war, als bei ihrem eigenem.

„Nun, Lycidas, du hast nicht übertrieben. Eine Frau mit solch einem kraftvollen Körper sah ich nie zuvor, geschweige denn in einer solchen Größe. Ihr Gesicht möchte ich nicht schön nennen, aber sicher könnte Tolia Deianiera ihr den Glanz verschaffen, welcher einer Göttlichen zu Ehre gereicht.“

Deianiera fühlte sich zu den beiden hingezogen und ließ alle ihre Vorbehalte fahren. Sie fand diese Menschen besonders und wollte sie unbedingt näher kennenlernen.

„Nun, liebes Mädchen, woher habt ihr diese Waffen und Rüstung? Sie würden einem Ptolemarch (Soldatenführer) Spartas zur Ehre gereichen.“

Schüchtern antwortete die Angesprochene dem Athener, ihren Blick dabei auf dessen markantes Gesicht gerichtet haltend. Es war von jeglichem Bartwuchs befreit! Hatte sie etwas Derartiges bei einem Mann je beobachten können?

„Mein Onkel schenkte mir diese nach meiner Krypteia.“

Der Mann gab sich beeindruckt, ließ seinen Blick erneut über ihr Erscheinung hinwegschweifen und zeigte offen sein Staunen.

„Ein Mädchen wird nach der Agoge erzogen und hat die Prüfung abgelegt? Du bist wahrlich von den Göttern geschaffen worden, könnte dieses eine normale Frau nie erreichen. Es freut mich deine Bekanntschaft zu machen, Deianiera.“

Linos nickte ihr zu und betrachtete dann eingehend die ausliegenden Klingen und Werkzeuge, welche Deianiera gefertigt hatte.

„Sie machen einen guten Eindruck, wenn sie auch in der Güte nicht den Waren Athens gleichen. Darf ich eine deiner Schwertklingen prüfen?“

Deianiera ärgerte sich über seine Worte und gab ihm dennoch seiner Bitte statt. Aufmerksam verfolgte sie dabei sein Handeln, neugierig, wie seine Prüfung wohl angelegt sein könnte.

Linos schob die Schwertklinge unter das Karrenrad, suchte sie zu biegen, doch gelang es ihm nicht. Es gab zwar seinem Zug ein Stück weit nach, verbog sich aber nicht dabei.

„Erstaunlich, was du da gefertigt hast. Hart und belastbar wie die Frau, welche sie schmiedete hat, habe ich Recht? Nur fehlt auch der Klinge der Glanz, von dem ich zuvor gesprochen hatte. Was willst du für sie haben?“

Deianiera ärgerte sich nicht weiter über seine Worte und suchte Linos instinktiv zu gefallen. Wie wäre es wohl mit ihm das Lager zu teilen? War seine Männlichkeit ähnlich imposant, wie seine übrige Erscheinung? Ihr Blick wandte sich Tolia zu, welche ihr ein Lächeln entgegen sendete, sowie sie ihrer Aufmerksamkeit gewahr wurde.

„40 Drachmen will ich dafür haben.“

Linos warf seiner Begleiterin einen überraschten Blick zu. Dann nahm er die Klinge erneut in Augenschein.

„Du hast Wertvolles geschaffen, ich will dir 30 dafür geben.“

Deianiera zog ihr Stirn kraus. Dabei warf sie Darius einen ungehaltenen Blick zu, welcher sie auf sich aufmerksam zu machen suchte.

„Was mischt sich euer Sklave in unseren Handel?“, brummte Linos mit dunkler Stimme.

„Deianiera gebot Darius sich zurückzuziehen, dann wandte sie sich dem Athener zu und zeigte sich einverstanden.“

„Guter Handel, Frau. So will ich dann sogleich wissen, wie viel ihr für den ganzen Wagen wollt. Lasst mich nur zuvor sehen, was ihr in den Bünden habt, welche noch ungeöffnet auf eurem Wagen lagern.“

Deianieras Augen weiteten sich voller Staunen. Sie blickte unsicher zu Lycidas rüber, welcher ihr ein Lächeln schenkte.

„Achthundert Drachmen, das ist mein Preis.“

Linos überblickte den Karren und deutete Darius mit einer herablassenden Geste an, dass dieser ihm helfen sollte, auf die Ladefläche zu steigen. Der ließ seine Hände ineinandergreifen, worauf der vornehme Mann mit seinem rechten Fuß in diese hineinstieg, um auf den Wagen zu gelangen. Dort begann er die Bündel zu öffnen, begutachtete Werkzeug, Waffen, Schellen, Reifen, Beschläge und Ketten und zeigte sich zufrieden.

Deianiera beobachtete ihn dabei interessiert, von einer tiefen Unruhe beseelt. Er würde wieder mit ihr handeln, doch hatte sie dieses Mal den Preis höher angesetzt, um das von ihr Gewünschte zu erreichen.

„Gut, 700 Drachmen wäre ich bereit euch für all das zu geben“, rief Linos von oben herunter.

„Nein. Das ist zu wenig für meine Arbeit. Lege fünfzig drauf!“, forderte die Kriegerin sogleich.

Linos sprang behände vom Wagen herunter, suchte die Meinung seiner Frau, ging mit ihr ein Stück des Weges zurück und kehrte mit ihr, nach dem sie wenige Worte miteinander gesprochen hatten, wieder zu Deianiera zurück.

„Gut, unser Handel findet statt.“ Er bot ihr seine Hand zur Besiegelung ihres Geschäfts, worauf Deianiera seinen kräftigen Händedruck freudig erwiderte.“

„Ihr seid eine Frau von Ehre, das gefällt mir.“ Er nickte ihr zu, schüttelte ihre Hand, seine Linke dabei über ihre kräftige Schulter legend.

„Danke euch, Herr. Dann schickt mir jemanden, der eure Ware holen kommt, ich möchte nicht länger im Ort bleiben als nötig.“

„Warum, Frau? Der Preis galt doch für den Wagen nebst Ladung. Nichts anderes habe ich euch zuvor als mein Anliegen genannt. Lasst ihn einfach stehen, wo er ist. Ich hole sogleich die vereinbarte Summe.“

Deianiera blickte sich ungläubig zu ihrem Karren um. Sie hatte sein Ansinnen ganz anders verstanden.

„Du hast mir dein Wort gegeben und es per Handschlag besiegelt“, begann sie der Fremde zu drängen, als er ihren Zweifel bemerkte.

Der jungen Frau wurde es bleischwer um ihr Herz. Wie konnte sie jetzt noch von diesem unsäglichen Handel zurücktreten?

„Dann lasst mich wenigstens meine Habe herunterholen, dann will ich ihn euch überlassen.“

„Wir sprachen von dem GANZEN Wagen, Deianiera! Euch gehört nichts mehr davon.“

Deianiera spürte Wut in sich. Dieser Kerl hatte sie betrogen! Sie warf einen Blick auf Darius, welcher sie, im Nachhinein betrachtet, wohl zu warnen versuchte. Wie dumm sie gewesen war.

„Ihr wisst selbst, dass ich mein Hab und Gut damit nicht meinen konnte. Warum demütigt ihr mich und besteht darauf?“

„Es gilt das Wort, nicht eure Absicht, Frau. Oder handelt ihr hier anders, als in Athen?“

Deianiera antwortete voller Zorn.

„Man sucht nicht den zu betrügen, mit welchem man auch am nächsten Markttag Handel treiben möchte.“

„Jetzt geht eurer Wege, Deianiera, ich möchte an meinen Wagen.“

Sie zeigte keine Anstalten, den Weg für ihn frei zu geben.

„Nein. Ware und Wagen gehören euch, das sehe ich ein. Nicht aber meine persönliche Habe.“

Ein weiterer hochgewachsener Mann, begleitet von vier Bewaffneten trat an Deianieras Stand, woraufhin ihm die umstehenden Schaulustigen respektvoll Platz machten. Es handelte sich bei ihm um keinen der Würdenträger Kraniois und auch die Uniformen der ihn begleitenden Bewaffneten, zeigten nicht die Farben der Stadtwache.

„Gibt es Ärger Linos? Habt ihr meine Worte vergessen, welche ich gestern noch zu euch gesprochen hatte? Ihr sollt es unterlassen, die Menschen hier zu verärgern, diese Insel gehört nicht uns.“

Linos warf dem Hinzugekommenen einen geringschätzigen Blick zu.

„Ihr habt uns das Handeln nicht verboten, Oikist. Ich kaufte von der Frau den Wagen nebst Ladung und nun will sie etwas davon beiseite schaffen.“

„Stimmt das?“, wandte sich der Anführer der Athener Siedler an Deianiera.

Deren Gesicht sprach Bände und demonstrativ sah sie sich nach ihrem Speer und Schild um, welche von Darius gehalten wurden.

„Es galt für meine Ware, nicht aber für mein persönliches Gut. Das wäre jedem Händler Kephallenias klar, nicht aber diesem ...“

Lenos merkte auf und hob seine Brauen.

„Wage es nicht, Weib ...“

„Gemach! Gemach! Nimm deine Sachen Frau, ich schließ mich deiner Meinung an. Was sollte es in unserem Interesse sein, euch und die anderen Leute hier zu vergrätzen? Wir sind Freunde richtig? Lasst uns einig sein und diese Stadt gemeinsam zum Erblühen bringen.“

Deianiera griff nach ihrem Bündel und der Schatulle, welche von Lenos wohl lange zuvor entdeckt worden sein musste. Sie hatte sein eigentliches Ziel dargestellt, dessen war sie sich inzwischen sicher.

„Oh, jetzt verstehe ich, sprach der Oikist amüsiert. Nun da wollte euch Lenos wohl einen Streich spielen, richtig? Ihr hattet Recht, Frau, dieser Handel hätte nicht zur Ehre Athens gereicht.“

„Dann will ich wenigstens den Sklaven haben, welchen sie zum Verkauf preist.“ Gab sich der reiche Athener immer noch nicht zufrieden.

Petros wandte sich an Deianiera.

„Wollt ihr ihm das zugestehen? Als kleines Entgegenkommen?“

Die Kriegerin schloss ihre Augen, suchte ihre Wut zu zügeln und spottete sich selbst, ihres anfänglichen Interesses wegen, welches sie dem geckenhaften Paar entgegengebracht hatte. Inzwischen hatte sich deren ganze Hässlichkeit offenbart, auch wenn diese nur ihrem Handeln entsprang.

„Nimm er ihn ruhig. Ich wollte ihn eh loswerden“, seufzte sie. Ein Ende dieser Begegnung herbeisehnend.

Abraxas merkte auf und sah zu dem Athener hoch, welcher kritisch auf ihn herunterblickte.

„Du bist kräftig, wie ich sehen kann. Und die Narben auf deiner Haut zeigen mir, dass du einige Kämpfe überstanden hast. Weißt du eine Waffe zu führen?“

Abraxas nickte Linos zu. „Wohl, Herr. Ich und mein Freund, wir waren die besten Söldner Messeniens.“

„Waren?“

„Ja, Herr. Diese Frau hat ihn im Kampf getötet.“

„Und du? Wie kommt es, dass du als kräftiger Mann sie daran nicht hindern konntest.“

Abraxas wurde bleich.

„Wir haben lange miteinander gekämpft, aber es ist schwer sich mit einer Frau zu messen, der übernatürliche Kräfte innewohnen.“

„Na schön. Ich schicke dir einen meiner Sklaven, welcher dich von den Eisen befreien wird, dann bewachst du den Wagen. Ich möchte verhindern, dass hier jemand auf die Idee kommt, noch andere persönliche Habe darauf vergessen zu haben.“

Abraxas blickte zu Deianiera hinüber, die dem Gespräch zwischen den beiden aus einiger Entfernung gefolgt war. Dieser eitle Pfau hatte die Behinderung des Sklaven noch nicht bemerkt, eine Genugtuung für sie, fühlte sie sich doch nach wie vor von dem Mann betrogen. Zusammen mit dem Karren war ihre Ware um einiges wertvoller gewesen als das, was sie dafür bekommen hatte.

„Gehen wir! Ich muss einen neuen Wagen kaufen, und Vorräte für die nächsten Wochen anlegen. Beim nächsten Handel mit diesen Leuten will ich klüger sein.“

Sie blickte entschuldigend zu Darius rüber, dessen Gesicht in aller Deutlichkeit seine Enttäuschung offenbarte.

„Ich will dich das nächste Mal anhören, Sklave, sei dir dessen gewiss. Du scheinst diese Art Mensch besser zu verstehen als ich.“

Lycidas mühte sich, das Bild von seinen Landsleuten gerade zu rücken.

„Grämt euch nicht allzu sehr, Deianiera. Will man in den großen Städten unserer Welt Handel treiben, so muss man ständig auf der Hut sein und die Absichten seines Gegenübers gut abwiegen. Linos ist ein erfahrener Händler und seine Pläne für die Insel reichen weit. Du kannst froh sein, dass er sich im Streit mit dem Oikist befindet, sonst hätte dieser dir wohl kaum zum Recht verholfen.“

„Ich hätte seinen Zuspruch nicht gebraucht. Ich lebe seit vielen Jahren auf dieser Insel, diese Malakes sind dagegen nur Gäste. Das sollten sie nicht vergessen, rate ich ihnen.“

Lycidas zeigte sich betrübt.

„Kommt! Ich lade euch und Darius zu einem Morgenmahl ein, gehen wir zu einem der Stände, wo es warmen Brei und Früchte gibt.“ Deianiera zeigte sich nach kurzem Überlegen einverstanden und befahl ihrem Sklaven, sich ihrer Sachen anzunehmen, während sie selbst nach Speer und Schild griff. Der Handel mit dem Athener beschäftigte sie immer noch und dessen Skrupellosigkeit gab den Worten der Ratsmitglieder nun einen ganz anderen Wert, als noch am Morgen.

Deianiera und ihre beiden Begleiter hatten es schwer sich durch die Massen von Menschen zu bewegen, welche nun die kleine Agora bevölkerten. Überall wurde gehandelt, Angebote gebrüllt und Anweisungen gegeben. Sklaven trugen Ballen, Krüge und Pakete herum, Kinder tobten lachend zwischen den Ständen, hier und dort wurde mit einander gerechtet und Worte der Wut gesprochen. Dabei konnte sie die Athener leicht in der Menge erkennen, waren sie doch besser gekleidet, als die Bürger der Stadt. Auch traten sie deutlich selbstbewusster auf und schienen an allem interessiert zu sein, was ihnen von den Kaufleuten angeboten wurde.

„Setzen wir uns an eine der Bänke, dort“. Schlug Lycidas vor, auf einen Marktstand deutend, an welchem warmer Brei, Suppe und Fladenbrot feilgeboten wurden. Deianiera zeigte sich einverstanden, stellte den Helm vor sich auf einem der Tische ab und erlaubte auch Darius, sich zu setzen.

So aßen sie in Ruhe ihre Mahlzeit, beobachteten das Treiben um sie herum und Lycidas erzählte von den Märkten in Athen, welche so ungleich größer waren als dieser hier. Schon allein das es mehrere davon geben sollte, versetzte Deianiera in Staunen, aber als Lycidas ihr weismachen wollte, dass es dort Händler gab, welche eine schwarze Haut besaßen und wiederum andere mit Augen, welche geschlossen schienen und ihre Besitzer dennoch sehen ließen, glaubte sie ihm kein Wort.

„Und dennoch spreche ich die Wahrheit.“ Lycidas rieb sich zufrieden den Bauch, als die Wirtin ihnen Schüsseln mit warmen Brei reichte, dazu frisches Brot und Becher mit vergorener Milch.

„Ihr grämt euch immer noch, Deianiera. Ist das wirklich nur diesem Handel geschuldet? Oder liegt es an eurem nächtlichen Stelldichein mit dem Soldaten am Tor?“

Der Kopf der Angesprochenen wandte sich langsam Lycidas zu, womit sich ihr Unglauben, welcher sich in ihrer Miene widerspielgelte für ihn offenbarte. Er hatte also Recht mit seiner Annahme, wie es schien.

„Seid nicht enttäuscht, will ich euch raten. Wahrscheinlich fürchtet er sich vor einer Frau, welche stärker ist als er und lässt dadurch seine eigene Schwäche erkennen. Viele Männer begehen diesen Fehler und binden sich lieber an ein Weib, welches sie huldigt und wenig offene Forderungen an sie stellt.

Deianiera richtete ihre Augen wieder auf das Marktgeschehen und dennoch glaubte Lycidas, ein kaum merkliches Nicken bei ihr bemerkt zu haben. Wie einsam sie sein musste, allein und auf sich gestellt, in einem Haus wohnend, das sich fern von anderen Menschen an irgend einer Steilküste befinden soll.

„Wie kommt es, dass ihr, trotz der Abgeschiedenheit, in welcher ihr lebt, ein so gutes Wort zu führen versteht? Oft werdet ihr euch nicht mit anderen Menschen unterhalten haben, liege ich richtig?“, fragte Lycidas neugierig.

„Ich habe viel mit meinem Onkel gesprochen. Er brachte mir auch das Lesen und ein wenig Schreiben bei. Außerdem waren wir regelmäßig auf den Märkten der Insel unterwegs und haben unsere Schmiedearbeiten verkauft. Wir haben gut davon leben können.“

„Und wie bist du zur Söldnerin geworden? Wie kam es, dass die Menschen auf dich aufmerksam wurden?“

Deianiera warf ihm einen flüchtigen Blick zu, griff nach dem Becher und nahm einen herzhaften Schluck von der sauren Milch. Sie verzog das Gesicht, fühlte sich aber sogleich erfrischt von diesem Getränk.

„Während meiner Krypteia, der Kriegsführung gegen die stärksten Männer dieser Insel, habe ich etliche von ihnen im Kampf ohne Waffen schwer verletzt oder getötet. Irgendwann kam dann eine Bäuerin auf mich und meinen Onkel zu. Sie war verwitwet und der Bruder ihres verstorbenen Mannes, forderte einen Teil ihres Grundes als sein Erbe ein. Sie wollte ihm diesen nicht überlassen, stand doch das Recht auf ihrer Seite, woraufhin dieser Kerl sie immer wieder in der Nacht heimsuchte, alles zerschlug, was einen Wert für sie darstellte und sogar Hühner und Ziegen tötete. Auf ihre Bitte hin, schickte der Rat Soldaten aus Kranioi, doch der Kerl stritt alles ab und tat unschuldig. Man glaubte ihm gezwungener Maßen und so wandte sie sich, getrieben von ihrer Verzweiflung, an das Mädchen, welches Männer verprügeln konnte. Das ist jetzt fast vier Jahre her.“

„Und du hast den Mann getötet?“

Das harte Gesicht der jungen Frau wurde weicher. Es schien ihr gutzutun, dass sie aus ihrer Vergangenheit erzählen durfte.

„Ich habe eine Zeitlang bei der Frau gewohnt und auch auf dem Hof ausgeholfen. Wir haben viel zusammen bewerkstelligt und ich durfte von der Frau einiges lernen, was meinem Onkel nicht geläufig war. So empfand ich die Zeit als wertvoll für mich, gab es doch auch keine Pein, welche mir mein Onkel zuteilwerden lassen konnte, vor allem nach Augenblicken, in welchen ich ihn nicht zufriedengestellt hatte. Ganz im Gegenteil, die Witwe umarmte mich und gab mir Küsse, wenn ich meinen Dienst artig für sie geleistet hatte.

„Und der Bruder ihres verstorbenen Mannes? Was ist mit ihm geschehen?“, fragte Lycidas ungeduldig.

„Der Wolf! Er hörte ihn schon von weiten und ließ mich seine Absicht erkennen. Er wollte den Hof mit einer Fackel in Brand stecken, worauf ich aus dem Haus heraus schlich, mich ihm unbemerkt von hinten annäherte und mit einem Hammer niederschlug. Ich fesselte den Halunken mit einem Seil, holte ein Zweites aus dem Haus und hängte ihn an den Ast eines starken Baumes auf, solange, bis der Fährmann ihn holen kam. Die Frau erschrak furchtbar über meine Tat, zeigte fortan mir gegenüber ihre Angst, zahlte mich aus und so ließ ich die schöne Zeit bei ihr hinter mich und kehrte zu meinem Onkel zurück. Es dauerte nicht lange, da tauchte ein Bürger Kraniois auf, welcher mich um Hilfe bat, darauf folgend wieder eine Frau, dann ein Händler ... und so geht es seither in einem fort. Drachmen gab es reichlich für meinen Dienst und nur einige wenige Male musste ich für die Leute töten.“

„Und dennoch tust du es, wenn jemand danach verlangt?“, fragte der Theatermann interessiert.

Deianiera blickte ihm nachdenklich an.

„Ich muss mir seinen Tod selber wünschen, sonst gereicht er mir nicht zur Ehre.“

„Hat dir dein Onkel diesen Kodex vermittelt?“ Deianiera nickte.

„Gut! Iss in Ruhe auf, meine Liebe, ich will meine Sachen holen gehen, bevor wir zu deinem Haus aufbrechen. Wo wirst du dir einen neuen Wagen beschaffen?“

Deianiera seufzte.

„Wenn ich hier keinen kaufen kann, werde ich es in Pronoi versuchen müssen.“

„Es wird uns schon gelingen, Mädchen. Sei ohne Sorge.“ Lycidas strich mit seiner rechten Hand im Vorübergehen über den Schulterschutz ihres Körperpanzers, dessen mehrschichtiges Leder kunstvoll mit Metallbeschlägen verstärkt und verziert worden war. „Wartet hier auf mich, bitte ich euch. Ich bin gleich zurück.“

Deianiera hob ihre Hand zu seinem Abschied, da war der dicke Theatermann schon in der Menge verschwunden. Vielleicht war es jetzt an der Zeit sich mit Darius zu unterhalten? Sie fühlte, dass sie dem Mann zu wenig zutraute und er so seine Stärken ihr gegenüber nicht zu zeigen vermochte. Dabei trug sie den Verlust seiner Stärken und nicht mehr er selbst.

„Diesen Linos, was hältst du von ihm und seinen Handel mit mir?“

„Er ist ein verschlagener Mann, der euch mit süßen Worten vor seinen waren Absichten abzulenken suchte. Er hielt euch schon für dumm, als er das erste Wort in eure Richtung gesprochen hatte.“

Deianiera zog ihre Stirn kraus, es gefiel ihr gar nicht, was Darius da sagte. „Werde mir gegenüber ...“

Er schüttelte sofort seinen Kopf. „Es ist nicht meine Sicht, Afentra. Ihr habt bisher sehr überlegt gehandelt, von daher liegt mir nichts ferner, als euch für töricht zu halten.“

Solange die Ankunft ihrer Schiffe ungewiss ist, werden die Siedler alles zu kaufen suchen, was sie für ihr Leben hier auf der Insel unbedingt benötigen. Dazu gehören natürlich auch Waffen und Werkzeuge. Er wird jetzt seinen Landsleuten zu einem Wucher das verkaufen, was ihr selbst ihnen hättet verkaufen können. Mich würde es nicht wundern, wenn er das Dreifache an Drachmen verdient, was er euch zuvor gegeben hatte.

Deianiera wollte schon, getrieben von ihrer Wut aufspringen, da hielt sie der Sklave zurück, in dem er hastig in ihren Gürtel griff.

„Beruhigt euch, Afentra!“ Sie blickte wütend auf seine Hand herunter, schien aber abwarten zu wollen, was er ihr zu sagen hatte.

„Lernt von ihnen! Beobachtet sie und fühlt euch in ihre Köpfe hinein! Dann wird es nicht lange dauern und ihr seid es, welche einen Handel mit ihnen treibt, der sie reuen wird. Lycidas kann euch dabei helfen und merkt es nicht einmal.“

Sie blickte Darius erstaunt an. Ihr Onkel hatte einst ähnlich zu ihr gesprochen. Man erkennt die Absichten eines Feindes am besten dadurch, in dem man sich ihm als Freund zeigte.

„Möchtest du noch etwas Essen?“, fragte sie ihn wohlwollend.

Darius nickte ihr dankbar zu und deutete auf einen braungebrannten Leib Brot, welcher noch vor Hitze dampfte und auf einer Anrichte abkühlte. So nickte sie der gemütlichen Wirtin zu, welche daraufhin den Leib aufnahm, diesen gegen ihre mächtigen Brüste drückte und mit einem groben Messer aufschnitt.

Eine Gruppe junger Frauen schlenderte den Marktweg vor dem Stand entlang, aufgeregt miteinander tuschelnd. Mit hübsch bemalten Gesichtern und reich verzierten Chitons gekleidet, machten sie sich gegenseitig auf die Siedler aufmerksam, diesen dabei mit ihrer Neugierde begegnend. Ein paar junge Athener erwiderten ihren Blick, winkten ihnen zu, worauf die Mädchen mit einem aufgeregten Kichern reagierten, ihre Blicke aber sogleich von den gleichaltrigen Männern abwendeten.

„Gänse!“, ließ Deianiera abfällig hören, zu laut vielleicht, um von anderen Ohren überhört zu werden.

Sie wollte gerade nach einem neuen Becher rufen, als der Blick einer der Frauen auf sie fiel. Sie erwiderten diesen ahnungslos, zeigte sich aber erstaunt, als die ihr unbekannte Maid auf sie zugestürmt kam und mit erhobenem rechten Arm auf sie deutete.

„Du Pornai (griech. Hure)! Du warst in der Nacht mit Ites zusammen! Leugne es nicht, er hat es mir gestanden.“

Deianiera antwortete ihr nicht, zeigte sie sich doch völlig von dieser Begegnung überrumpelt.

„Schau nur wie ein dummes Rindvieh drein, du weißt genau wovon ich spreche. Hast ihm einen Antrag gemacht, streite es nicht ab. Die Frau, welche glaubt, eine Halbgöttin zu sein. Weißt du denn nicht, dass ich ihm bereits versprochen wurde? Wie lange habe ich um die Erlaubnis meines Paters betteln müssen, damit Ites mich endlich heiraten darf?“

Deianieras Gedanken verwandelten sich in Chaos. Ites musste ihr wirklich von ihrem Beisammensein berichtet haben, wie sonst konnte die Frau davon wissen? Sie zeigte sich verwirrt und konnte sich nicht erklären, wie es dazu gekommen sein könnte.

„Glaubst du, ich habe Angst vor dir?“ Die Fremde beugte sich über sie, strich sich beiläufig mit den Fingern ihrer linken Hand durch ihr schwarzes glänzendes Haar und ließ ihre braunen Augen auf sie herunter funkeln. Sie war hübsch, wie Deianiera nicht umhinkam ihr zuzugestehen.

„Ites wird sich niemals zu einer wie dir bekennen, sei dir dessen bewusst. Wie könnte er das auch, würdest du ihn doch zur Frau werden lassen, um selbst die Rolle eines Mannes einzunehmen. Sieh dich doch an! Gekleidet wie ein Krieger, besitzt du sogar dessen Körper. Keinerlei Weiblichkeit, welche dich zieren täte oder aufzeigt, ob du dich zum Gebären von Kindern überhaupt eignen würdest. Selbst deine Brüste verbirgst du, wahrscheinlich deshalb, weil auch sie denen eines Mannes gleichen.“

Höhnisches Gelächter wurde in der Gruppe der Frauen laut, eine von ihnen deutete dabei sogar mit ausgestreckten Arm auf sie.

Unfähig dazu die Worte der Frau zu parieren, ließ Deianiera deren Spott über sich ergehen. Sie fühlte sich wehrlos in diesen Moment, lag ihr doch nichts ferner, als einer unbewaffneten Frau Gewalt anzutun. Schon den Gedanken daran empfand sie als ehrlos und schändlich.

„Bist du wütend meiner Worte wegen? Du weißt, dass ich Recht habe. Du magst von den Göttern entsandt worden sein, doch deine Gestalt gleicht dem des Hephaistos, ein Krüppel, nur mit dem Unterschied, dass du zwischen den Geschlechtern wandelst und dich nicht zu entscheiden vermagst, zu welchem von ihen du gehören möchtest. Vielleicht hängt ja doch ein Schwanz zwischen deinen Schenkeln? Man könnte es glauben, betrachtet man dich genauer. “

„SCHWEIG! WER BIST DU, DASS DU GLAUBST, SO MIT MIR SPRECHEN ZU DÜRFEN?“, sprang Deianiera auf. Die Fremde schrak zurück und flüchtete sich in die Gruppe ihrer Begleiterinnen zurück.

„Ich bin Lydia, die Tochter des Thaletas. Ihm gehört die halbe Stadt und er gebietet über ihre Soldaten. Wage es nicht die Hand nach mir auszustrecken, es wäre dein Untergang, feiges Weib!“

Darius vermochte es nicht mehr sich zurückzuhalten und nahm seine Herrin in Schutz. Wie zuvor im Gespräch mit Lenos, schien sie auch jetzt, von den Schmährufen der Frau, völlig überrumpelt worden zu sein.
„Grämt euch nicht wegen der Worte dieser Frau, Herrin. So leicht wie diese in eurer Richtung gesprochen worden sind, so werden sie auch künftig andere Ziele finden.“

Deianiera schaffte es nur mit Anstrengung, ihren Blick von der Tochter des Thaletas abzuwenden. Wie gerne hätte sie in diesem Moment ihre Klinge gezogen und diese Malaka niedergestreckt. Doch Darius sprach ihr weitere beruhigende Worte zu und mahnte sie, den Schmähungen, keine Beachtung zu schenken.

Sie schien schließlich einverstanden zu sein, setzte sich wieder auf die Bank und ließ sich, ungeachtet der Anwesenheit der ihr feindlich gesonnenen Frauen, von der Wirtin einen weiteren Becher bringen.

„Möchtet auch ihr etwas?“, fragte Deianiera schließlich in Lydias Richtung. „Ich lade euch ein.“ Sie rang sich ein Lächeln ab, doch bewegten sich die Züge ihres Gesichtes kaum dabei.

„Wohl gesprochene Worte, Deianiera!“, trat Lycidas durch die Menge. „Welch Beherrschung im Angesicht von Beleidigung und Wut. Göttliche Kraft muss einem innewohnen, wenn man die Stärke besitzt, solch einem Hohn, welcher einem wütenden Monster gleicht, zu begegnen.“

Er legte sein Bündel neben der Kriegerin auf der Bank ab und tänzelte dann weiter in Richtung der Frauen, welche ihn entgeistert ansahen. Die Menge an Schaulustigen schien diese jetzt einzuschüchtern, zumal die Stimmung nicht auf ihrer Seite war. Einige Frauen und Männer in der Menge ließen Schimpfworte hören, welche ihnen galten.

„Lydia, richtig? Die Tochter des großen Thaletas. Euer Vater wird euch dankbar sein, dass ihr, auch noch in seinem Namen, wie ich selbst aus der Ferne hören durfte, einen Händler seiner Stadt beleidigt, welcher hier schon lange seinen Handel treibt. Zumal dieser auch noch als Soldfrau den einen oder anderen Auftrag für ihn erledigt haben dürfte? Wird künftig schwer für ihn werden, sollte er die Hilfe einer Halbgöttin benötigen, ist diese ihm doch nicht mehr wohlgesonnen, habe ich Recht?“ Er legte eine bedeutungsschwangere Pause ein. „Der Tochter wegen, wie ich hörte?“

Lydia wollte sich zum Gehen wenden, als Lycidas noch einmal an ihre Seite trat.

„Die Eifersucht sprach aus eurem Munde, nur sie kann solch eine Wut und Hass gebären. Doch wo wurde diese geboren, frage ich euch?“

Er deutete mit dem Finger auf den Schoß der Frau und lächelte schelmisch dabei.

„Selten, dass eine Unberührte solch Zorn gebiert, es sei denn sie hat ihrem Bräutigam das Geschenk der nächtlichen Freude bereits vor der Eheschließung gegeben? Vielleicht auch gar nicht ihm, sondern ...“

Er lächelte, drehte sich im Kreis und hüpfte in Richtung Deianieras Tisch zurück.

„Unbeantwortete Fragen, eine Macht, welche man nie unterschätzen sollte. Nun Weib, grämt euch nicht weiter der vergangenen Nacht wegen. Meine Freundin hat deinem Bräutigam Lust bereitet, sollte dieser Umstand nicht euch zur Zufriedenheit gereichen? Sein Glück sollte doch auch das eure sein.“

Die Menge lachte, während Lydia, getrieben von ihrer Wut, ihren Weg durch die Menge der Schaulustigen suchte. Ihre Freundinnen folgten ihr hastig nach, dabei immer wieder Blick in die Richtung Lycidas und Deianieras sendend.

„Dank dir für deinen Beistand. Dieses Aas, hätte mich beinahe dazu verleitet, sie niederzustrecken.“

Lycidas legte seine linke Hand über ihre Rechte.

„Lasst euch niemals von eurer Wut treiben. Sie ist der Schlechteste unter allen Ratgebern.“ Er nickte ihr zu, dann deutete er auf einen Mann, welcher sich bis dahin im Hintergrund gehalten hatte.

„Das ist Timm, der Schreiner. Er hat zwar keinen Wagen für euch, ist aber bereit dazu, euch einen zu bauen, wenn ihr ihm das nötige Holz und Weiteres darüber hinaus, verschaffen könnt. Aus dem Holzfällerlager am Fuße des Enos werden keine Stämme mehr in die Stadt geliefert. Vielleicht könnt ihr für ihn herausfinden, wo der Grund für diesen Mangel herrührt?“

Deianiera überlegte nicht lange.

„Gut, wir haben einen Handel. Nur muss er den Bau meines Wagens vor alles andere stellen, habe ich ihm das Nötige verschafft. Es soll auch sein Schaden nicht sein.“

Sie öffnete die Schatulle, suchte deren Inhalt vor anderen zu verbergen, in dem sie sich darüber beugte und schloss sie hastig wieder, nachdem sie ihr das Gesuchte entnommen hatte. Sie warf dem Schreiner einen Beutel zu, den dieser geschickt auffing, öffnete und dessen Inhalt abwog. Er schien zufrieden und besiegelte mit Deianiera per Handschlag den Handel.

„Gut, dann lasst uns in eurem Haus die Sachen abstellen, damit wir unseren Auftrag baldmöglichst erledigen können“, rieb Lycidas seine Hände.

Deianiera war einverstanden, auch sie wollte diesen unsäglichen Ort schnellstmöglich hinter sich lassen. Erst dann konnte sie all die kläglichen Eindrücke des Tages abstreifen, welche ihr hier auferlegt worden waren. Zumindest hoffte sie das.

„Begleite den Zimmermann, Darius und stelle unsere Sachen bei ihm unter. Wir warten am Tor zum Hafen auf dich.“

Darius raffte Lycidas und Deianieras Bündel zusammen und folgte sogleich dem Handwerker durch die Menge. Deianiera aber eilte zum Tor, froh diesem Trubel entkommen zu sein, welcher sonst eine willkommene Abwechslung für sie geboten hatte.
 
Gegenverkehr

Begleitet von Lycidas lief Deianiera durch die Gassen, Richtung Osten. Diese wirkten ungewohnt leer, war doch das meiste Volk an einem Markttag auf der Agora unterwegs. So nahmen sie den Hauptweg Richtung östliches Palisadentor, welcher zum Hafen führte, der tausend Schritte vom Ort entfernt, an einer geschützten Bucht lag. Dieser war schon vor langer Zeit von den Bürgern Kraniois errichtet worden und bot Zuflucht für ein Dutzend größere Schiffe. An zwei gemauerten Kais konnten die Waren über große Holzkräne entladen werden, woraufhin Sklaven und Tagelöhner diese dann unter einer großen Überdachung zwischenlagerten, von wo aus sie weiter in den Ort transportiert wurden.

Deianiera hatte dort in ihrer Vergangenheit oft die einlaufenden und abfahrenden Schiffe beobachten dürfen, wenn der Onkel länger in der Stadt verweilen musste. Ein Traum für sie, hatte es doch an diesem Ort so viel Interessantes für ihre Kinderaugen zu entdecken gegeben. Hin und wieder wurden Seeleute, Reisende oder Arbeiter auf sie aufmerksam, begannen ein Gespräch mit ihr und erzählten von der Arbeit, ihrer Heimat, oder Abenteuer, welche sie an fremde Gestade erlebt haben wollten. Einiges, was sie gehört hatte, stellte selbst die Abenteuer eines Odysseus in den Schatten und so musste Deianiera über sich selbst lachen, als sie sich an ihre kindliche Leichtgläubigkeit zurückerinnerte.

„Was amüsiert euch?“, wurde sie sogleich von Lycidas gefragt, welcher ihren Stimmungswechsel bemerkt hatte. Er trat aus dem Weg eines Bauern, welcher mit seinem Schubkarren ihm entgegenkam und weiter nicht beachtet hatte, galt dessen Aufmerksamkeit doch ganz und gar der Kriegerin.

„Ich erinnerte mich an meine Kindheit zurück. Mein Onkel ließ mich bei unseren Besuchen in der Stadt oft zum Hafen runterlaufen, wenn es für mich nichts zu tun gab und er beschäftigt war und von mir nicht gestört werden wollte. Ich habe dort viel gehört und gesehen, was mich begeistert hatte. Doch war beim Gehörten auch viele Märchen dabei, welchen ich damals voller Begeisterung glauben wollte. Mein Onkel prügelte mich wegen meiner Leichtgläubigkeit und dennoch träumte ich von dem Gehörten und ärgerte mich darüber, wenn der Morgen mich aus diesen fernen Welten wieder löste.“

Lycidas lächelte. „Bei all dieser Zucht deines Onkels, hoffe ich, dass du wenigstens ab und an auch mal ein Kind sein durftest. Für mich fühlt es sich wie ein Verbrechen an, wenn man einem jungen Kind die Agoge auferlegt und es zu etwas wie einem spartanischen Krieger erzieht. Und dann auch noch ein Mädchen.“

Er schüttelte ungläubig seinen Kopf, seufzte und winkte sogleich ab, als er ihren Unmut über seine Worte bemerkte.

„Ich weiß, dass du anderer Meinung bist und die Leistungen der Spartaner Hopliten sind legendär und vielfach besungen worden, doch erfreut es mich Kinder lachen zu hören und ihnen beim Spiel zuzusehen.“

Deianieras Gesicht härtete sofort wieder aus.

„Es sind die reichen Kinder gewesen, welche ihr beim Spielen beobachten konntet, habe ich Recht? Die Armen müssen ab den Tag mit ihrer Arbeit beginnen, an welchem sie allein stehen können.“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Und hättet ihr auch euer Lied über mich schreiben wollen, wenn ich von meinem Onkel zur Frau erzogen worden wäre? Sicher nicht!“

Lycidas seufzte und lud der Kriegerin seinen rechten Arm auf die Schultern.

„Es gibt nicht nur schwarz und weiß, Deianiera. So viele Farben liegen dazwischen. So ist nicht jedes Leben eines Heloten grausam und schwer, oder das eines vermögenden Händlers unkompliziert und leicht. Man sollte sich stets die Mühe machen nachzufragen und alles ganz genau betrachten, will man der Wahrheit zum Licht verhelfen.“

Er deutete mit seiner linken Hand zum Tor in der großen Palisadenmauer.

„Ah, da ist er ja.“

Deianiera folgte seinem Fingerzeig und erblasste.

„Abraxas? Was will er hier? Er müsste doch unlängst bei seiner neuen Herrschaft sein.“

Der Theatermann suchte ihren Ärger zu besänftigen, zumal sie ihren Speer anhob und ihren Schild zum Kampf bereit hielt.

„Ich habe den Mann gekauft, Mädchen. Lenos war wütend Abraxas Behinderung wegen und fühlte sich von dir betrogen. So wollte er Abraxas den Jüngern des Gottes Ares überlassen (Gott des Krieges), damit diese ihn in einem ihrer grausamen Rituale opfern konnten. Es hat mich eine riesige Summe Drachmen gekostet, Lenos von seinem Vorhaben abzubringen und Abraxas aus seinen Händen zu befreien.“

„Er wird uns nicht begleiten“, unterbrach Deianiera seinen Bericht.

Lycidas schüttelte seinen Kopf.

„Das ihr immer meinen Erklärungen zuvorkommen müsst. Lasst mich doch erst einmal das meinige sagen, bevor ihr mir euren Unmut aufzuladen sucht.“

Deianiera runzelte ihre Stirn und sah zu Abraxas rüber, der sich sichtlich unsicher zeigte. Man konnte ihm ansehen, dass er vor etwas Angst haben musste und zutiefst erschrocken war.

„Er hat mir einen Schwur geleistet, Deianiera. Für ein Jahr wird er auf jegliche Rache euch gegenüber verzichten und mir ein treuer Diener sein.“

„Und dannach?“, fragte Deianiera sogleich.

„Werden wir an einem weit entfernten Ort verweilen, so dass du dich um ihn nicht weiter sorgen musst.“

Sie zögerte noch immer.

„Er trägt kein Halseisen, welches ihn als deinen Sklaven ausweist. Lass ihn eins anlegen, erst dann stimme ich zu.“

Lycidas seufzte, willigte aber schließlich ein. Er ahnte den Hintergrund ihres Ansinnens, galt doch für einen Sklaven, welcher seine Herrschaft verletzte oder andere freie Bürger Schaden brachte, die Todesstrafe.

„Gut, so sei es dann. Wir sind zuvor am Stand eines Sklavenhändlers vorbeigekommen, er wird mir sicher in dieser Richtung helfen können. Wollt ihr mich begleiten?“

Deianiera zögerte, wollte aber Abraxas nun auch nicht mehr aus ihren Augen lassen. So deutete sie mit der Spitze ihres Speeres zurück auf die Ortsmitte, worauf Lycidas sich erfreut zeigte und Abraxas zuwinkte.

„Ihr wollt mich in Eisen schlagen?“ Der stämmige Mann blickte Lycidas ungläubig an. „Ja, Deianiera besteht darauf und nur so darfst du uns begleiten.“

Abraxas Gesichtshaut wurde weiß. Einzig der Gedanke daran, dass er fast dem Gott des Krieges geopfert worden wäre, ließ ihn von Widerworten Abstand nehmen.

„Ich wähle das Unauffälligste, welches wir finden können, ich verspreche es dir“, suchte Lycidas ihn zu trösten. „Auch freue ich mich schon auf unsere erste gemeinsame Nacht, welche wir nebeneinanderliegend verbringen werden. Ich bin ein zärtlicher Liebhaber und weiß dir zu gefallen, das verspreche ich dir.“

Abraxas schloss seine Augen. Die körperliche Nähe zu einem Mann widerstrebte ihn und selbst seinem Freund Telemach war er in diesem Punkt nie nahegekommen. Die Liebe unter Männern galt als die vollkommenste Form und man begegnete ihr allerorten, doch war ihm das Zusammenliegen mit einer Frau gefälliger.

So fuhr er zusammen, als er die Hand des Theatermannes auf seiner linken Backe spürte und suchte für sich einen Weg zu finden, sich seinem neuen Schicksal zu stellen. Eine List schien ihm dabei der einzige Ausweg.

„Hört mich bitte an, Herr!“

Lycidas wandte sich ihm freudig zu.

„Aber sicher Abraxas. Ich freue mich über jedes deiner Worte, sei dir darüber gewiss.“

„Ich habe meinem verstorbenen Freund die Treue geschworen. Wenn ich ihm gegenüber mein Wort breche, so muss ich mir mein Leben nehmen.“

Der dicke Athener sah ihn erschrocken an. „Ihr habt einen Liebesschwur geleistet?“

Abraxas bemerkte ein Grinsen in Deianieras Gesicht. Sie schien sich über das Entsetzen Lycidas köstlich zu amüsieren.

„Ja, das tat ich“, sprach der frühere Soldmann kleinlaut.

„Ihr schwört auf Apollon, dass ihr wirklich solch eine Dummheit getan habt und mich nicht zum Narren machen wollt?“

Abraxas zögerte für einen Moment. Es galt als schwerer Frevel, im Namen eines Gottes Lügen zu sprechen.

„Ich werde ihn gerne für euch erneuern, will ich doch meinen Freund auf diese Weise ehren.“ Der breitschultrige Mann senkte seinen Blick, trat nervös auf der Stelle, dann fuhr er fort. „Telemach, ich schwöre dir mich anderen Männern im Kampf entgegenzustellen, nie aber aus Liebe oder einem lustvollen Verlangen heraus. Meine Zuneigung gehört einzig dir, mein Freund, das schwöre ich auf die Götter“.

„Welch ein Jammer! Ich hatte mich so auf deine Wärme und Gesellschaft gefreut. Aber wer wäre ich, dass ich deinen Schwur auf die Götter nicht achten würde?“

Er streckte seine dicken Arme zum Himmel und schüttelte sie, worauf das Fett unter seiner Haut zu schwabbeln begann.

„Ihr zwölf Götter des Olymp, warum spottet ihr meiner nur immer wieder? Weshalb gestaltet ihr mir mein Leben so schwer?“ Lycidas wandte sich zu seinem neuen Sklaven um, ihm dabei eine mürrische Miene zeigend. „Nun komm dann auch, ich will dir deinen Reif anlegen lassen, bevor Deianiera noch ihre eigenen Wege geht.“

Es war Elpenors Stand, an welchen sie traten. Der Sklavenhändler war zugegen, wenn er auch nicht selbst den Handel führte, sondern seine Tochter Aleka. So war sie es auch, welche die Soldfrau zuerst bemerkte und ihren Vater sogleich auf diese aufmerksam zu machen suchte.

„Ich grüße dich, Deianiera. Wie geht es dir? Hast du wieder Gefangene gemacht und willst sie uns verkaufen?“, fragte die stämmige Frau mit ihren aufgeblähten Wangen. Ihre braunen Haare waren geölt und zu einem Haarkranz geflochten worden, welcher aber auf Deianiera keinen besonders ansehnlichen Eindruck erweckte. Sie verneinte und deutete auf Abraxas. „Ich habe ein anderes Ansinnen. Schmiedet dem Mann hier ein Halseisen, damit er fortan als Eigentum seines Herren gezeichnet ist.“

Lycidas gesellte sich zu Deianiera, grüßte die Sklavenhändlerin und deren Vater, warf dabei aber auch einen angewiderten Blick auf die Peitsche, welche die Frau in ihrer linken Hand hielt.

„Ihr habt euch mit einem Athener zusammengetan?“, fragte Elpenor verstört, nachdem er einen Handelspartner verabschiedet und diesem zwei junge unbekleidete Barbarinnen überlassen hatte.

„Das ist Lycidas, ein Mann, welcher Bühnenstücke schreibt. Er erzählte mir, dass man ihn überall in der griechischen Welt kennen würde“, klärte Deianiera den Sklavenhändler auf.

„Nie von einem solchen Mann gehört. Aber was schert mich auch das Treiben dieses fetten Atheners. Immerhin scheint sein Wanst ein Zeichen seines Erfolges zu sein, von daher glaube ich nicht, dass er euch zu betrügen sucht.“

Lycidas hörte die Schmähung nur allzu deutlich aus den Worten des kranioier Geschäftsmannes heraus, schien sich aber nicht weiter an diesen zu reiben.

„Elpenor ist euer Name? Interessant, vielleicht reserviere ich euch einen Platz in Deianieras Geschichte. Sehe ich euch ins Gesicht, fallen mir spontan die lustigsten Verse ein, welche ich über euch singen lassen werde. Ein Fest, welches euren Namen auch in die entferntesten Länder tragen wird. Elpenor, der Sklavenhändler! Ein schönes Geschenk, welches ihr mir gerade gemacht habt.

Elpenor runzelte seine Stirn und nahm Deianiera beiseite.

„Ich habe von dem Handel mit diesem Lenos gehört. Wie kommt es, dass du nach solch einem Betrug noch mit einem Athener verkehren willst?“

Deianiera konnte die Gedanken des Geschäftsfreundes nachvollziehen. Er machte sich wahrscheinlich Sorgen, dass sie ein paar falsche Worte in Lycidas Richtung verlieren könnte.

„Ich kannte ihn schon zuvor und er hatte mit diesem Handel nichts zu schaffen gehabt. Sorge dich nicht um ihn.“

Elpenors Augen blickten an ihrem Gesicht vorbei, dann zeigte er ihr ein Lächeln.

„Und du willst es dir nicht noch einmal überlegen? Wir brauchen dich, Deianiera. Lasse die Stadt nicht im Stich!“

Die Söldnerin wollte gerade antworten, als ein schlanker Mann auf Elpenor zutrat und dessen Aufmerksamkeit einforderte.

„Wende dich an meine Tochter, wenn du handeln möchtest. Ich spreche gerade mit der Söldnerin.“

Der Bürger zeigte sich einverstanden, winkte eine Frau zu sich, welche abseits gewartet hatte, und stellte diese Aleka als seine Sklavin vor.

Deianiera zeigte Interesse an diesen Handel und suchte somit das Gespräch mit Elpenor zu beenden.

„Ich diene der Stadt schon auf andere Weise. Hast du von dem Holzlager gehört?“

Elpenor nickte. „Ja, Thaletas hat ein paar seine Leute hingeschickt, doch sind diese noch nicht zurückgekehrt. Warum fragst du mich danach?“

Deianiera erzählte ihm von dem Schreiner, welcher sie beauftragt hatte, ihm Holz zu beschaffen.

„Einen Wagen? Es wäre uns ein Leichtes gewesen, ihn für dich zu besorgen. Erweise uns einfach den Gefallen und wir helfen dir nur allzu gerne. Ich würde ihn dir sogar persönlich zum Geschenk machen.“

Deianiera blickte an Elpenor vorbei. Dessen Tochter drückte der Sklavin ihre Finger zwischen deren Kiefer hinein, um in deren Mund hineinblicken zu können. Sie kannte den Hintergrund dieser Gepflogenheit. Roch der Atem faulig, galt der Sklave als minderwertig oder sogar krank und sein Preis verringerte sich erheblich.

„Kennst du die Frau?“ Wandte sich nun Elpenor gleichfalls um.

„Nein. Es wunderte mich nur, dass sie kein Zeichen ihres Besitzers trägt.“

„Sie hat sich ihm verkauft, nachdem sie das Geborgte nicht zurückgeben konnte. Er wird mit ihr beim Ratsoberen gewesen sein, welcher ihr das Bürgerrecht aberkannt und ihre Freiheit aufgehoben haben wird. Das passiert besorgniserregend oft in den letzten Tagen. Der Handel wird für viele Bürger immer schwerer, wer weiß, ob uns nicht selbst einmal dieses Schicksal ereilen wird.“

Er lachte, während seine Tochter der Frau ins Gesicht schlug, um dann sogleich mit ihrer Peitsche in ein Eck des Standes zu deuten, in welche andere Sklaven auf ihren Verkauf warteten. Es waren auch einige Kinder darunter.

„Gut, Elpenor. Erfüllt meinem Freund hier seinen Wunsch, damit ich der Stadt endlich ihr Holz verschaffen kann.“

Der Sklavenhändler seufzte. „Ich kann dich ja fast verstehen. Die Athener sind so umtriebig, dass man nicht weiß, wem man überhaupt noch trauen kann. Freunde sind rar geworden in diesen Zeiten, Deianiera. Von daher bin ich froh darüber, dich eine solche nennen zu dürfen.

Das Gesicht der Söldnerin blieb ausdruckslos. „Freundschaft muss man sich leisten können, Elpenor. Zu leichtfertig sollte man diesen Titel nicht vergeben.“

„Wohl gesprochen, Frau. Eine Weisheit eures Onkels? Die Götter mögen ihm im Elysion ein schönes Leben bereiten.“

„Ich weiß nicht, ob ein Lügner auch ein Held sein kann.“

Elpenor blickte fragend zu ihr auf, doch sie winkte ab, offensichtlich nicht gewillt sich ihm erklären zu wollen.

„Nun gut. Sag dem Sklaven er soll sich über den Ambos beugen, dann will ich ihm selbst den Reif seines Herren anlegen.“

Lycidas begleitete Abraxas zu dem viereckigen Eisenklotz, welcher auf einem Holzstumpf gebettet, darauf wartete, den Sklaven mit Hilfe von Ketten und Eisenringen die Freiheit zu nehmen und sie entsprechend vor anderen Menschen als unfrei zu zeichnen. Sie wurden damit jeglicher Rechte beraubt und völlig der Willkür ihrer Besitzer ausgeliefert.

Abraxas ließ dieses Ritual über sich ergehen, doch waren seine Augen dabei auf Deianiera gerichtet. Sie schien zu spüren, wem in diesen Moment seine Gedanken galten.

„Können wir dann? Darius wird schon am Tor nach uns suchen“, zeigte sich Deianiera ungeduldig.

Lycidas half indessen seinen Sklaven auf, deutete auf die Kriegerin, im Anschluss wandte er sich an den Sklavenhändler.

„Was schulde ich euch für euren Dienst?“

„Tretet mir einfach aus den Augen, das ist mir Gefallen genug.“

Lycidas lächelte den Händler frech ins Gesicht, dann tippelte er zurück zu der Kriegerin und seinen Sklaven.

„Nun denn, lasst uns aufbrechen. Wie weit müssen wir denn laufen, um das Lager zu erreichen?“

Die Kriegerin grinste boshaft und deutete auf den Gipfel des riesigen Berges. „Weit ist es nicht, aber wir müssen den Berg hinauf. Wollt ihr nicht lieber hier bleiben und warten? Ich kann euch gerne berichten, was mir dort widerfahren ist.

Lycidas schien sich mit den Gedanken anzufreunden, dann aber verwarf er ihn wieder.

„Es wäre nicht das Gleiche. Ich möchte euch taktieren und kämpfen sehen. Vielleicht bietet sich dort eine Gelegenheit für mich? Ich würde es mir nie verzeichen, würde ich sie verpassen.“

Deianiera blickte ihn ungläubig an.

„Bei Holzfällern und ihren Aufsehern?“

Lycidas ordnete seinen Chiton und sorgte sich, dass ein Himation als Bekleidung vielleicht zu wenig sein könnte. Es würde frisch für ihn werden, hoch auf dem Berg.

„Brauchst du zusätzliches Tuch, lieber Abraxas? Ich will es dir gerne besorgen“, wandte er sich an seinen Sklaven.

Dieser winkte ab, griff mit seiner rechten Hand nach dem Halsreif und schloss für den Moment seine Augen. Vor ein paar Tagen hatte er in diesem Ort noch als freier Mann gegolten.

„Dort vorne ist Darius!“

Deianiera rief ihren Sklaven an, welcher sich sofort ihr zuwandte und entgegengelaufen kam.

„Hast du alles bestellt, was ich dir aufgetragen habe?“

Darius nickte.

„Ja, Afentra.“

„Gut, wir werden auf dem Weg durch ein paar Dörfer kommen, von daher brauchen wir uns nicht um Wasser und Essen zu sorgen. Lasst uns dann aufbrechen, genug der Zeit vertrödelt.“

So traten die Kriegerin mit ihren drei Begleitern durch das Tor, warf einem der dort Wache stehenden Stadtsoldaten einen sehnsüchtigen Blick zu und nahm den Weg in Richtung Hafen. Sie würden diesen schon bald wieder verlassen und einen Abzweig nehmen, welcher in die Richtung des Berges führte.

„Stellt solch eine Wanderung nicht eine besondere Gelegenheit für euch dar, die Seele etwas baumeln zu lassen, Mädchen?“, gesellte sich Lycidas zu ihr. „In eurem Alter sollte man sein Leben genießen und fröhlich sein. Lass ein wenig Wärme und Glück in dein Herz, sonst kühlte es irgendwann zur Gänze aus und niemand mehr vermag es zu erhitzen.“

Deianiera antwortete ihm nicht, schüttelte ihren Kopf und stütze sich bei jedem zweiten Schritt auf ihren Speer ab, dessen Enden mit jeweils einer Stahlspitze bewährt waren. Am unteren Ende der Langwaffe war diese deutlich kürzer gehalten, damit diese im Wurf nicht kippte oder aus der Bahn geriet. Außerdem schützte sie das Holz vor Schaden, wenn sie, wie jetzt in diesem Augenblick, als Gehhilfe missbraucht wurde.

„Hört ihr die Vögel? Sie besingen den schönen Tag, Apollons Sonne bricht durch die Wolken. Endlich findet der Regen sein Ende“, mutmaßte Lycidas und streckte theatralisch seine Hände in die Richtung des Himmelskörpers aus.

Die Söldnerin sah kurz zu den Wolken auf, dann richtete sie ihren Augenmerk wieder auf den Weg.

„Ihr irrt. Das Wetter wird schon bald wieder rauer werden. Vielleicht zieht sogar ein Sturm auf? Der Wind, er kommt jetzt vom Meer her und die hellen Wolken werden bald auf dunkle stoßen.“

„Immer findet ihr etwas um eure Gedanken zu trüben, Kind. Lasst ab davon. Erfreut euch an eurer Jugend, an eurer Kraft und Gewandtheit. So wie ihr euch in der vergangenen Nacht an Ites gütlich getan habt. Genießt euer Leben, ihr habt doch alles, was es dafür bedarf.“

Deianiera achtete ihn nicht und so setzte Lycidas zu einer Frage an, in der Hoffnung so in ein Gespräch mit ihr zu finden.

„Was wisst ihr über euren Vater und eure Mutter? Hat euer Onkel etwas erzählt?“

Sie stöhnte und musste sich offensichtlich zu einer Antwort überwinden.

„Sie wollten mich die Klippe des Taygetos-Gebirges herunterstoßen lassen, weil ein Orakel prophezeite ich würde Menschen den Tod bringen.“ Mein Onkel suchte es zu verhindern und so verwarf er sich mit meiner Mutter und meinen Vater, raubte mich ihnen und floh aus Lakonien. Er hatte mir erzählt, dass ich der Grund für seine Flucht gewesen bin, fühlte er doch, dass mich die Götter zu etwas Höherem berufen haben.

„Und ihr hattet nie den Wunsch wieder zurückzukehren?“

Deianiera blickte nachdenklich zu ihm rüber.

„Ich würde Sparta einmal sehen wollen. All seine Krieger im Kampf beobachten, welche den Ruhm ihrer Stadt bewahren. Es wäre mein größter Wunsch.“

„Und deine Eltern? Was ist mit ihnen? Verlangt nicht ein jeder Mensch nach Vater und Mutter? Wirst du nicht von deiner Neugierde dazu getrieben, ihnen begegnen zu wollen?“

„Sie wollten mich töten lassen. Wie könnte ich da solch einen Wunsch in mir tragen?“

Lycidas seufzte.

„Die Priester sprechen gewichtige Wörter aus, denen wir uns fügen müssen. Deinen Eltern wird der Entschluss, ihr Kind den Göttern zu opfern, sicher nicht leicht gefallen sein. Und liegt nicht auch in der Vergebung ein Neuanfang?“

Er fühlte, dass die Frau über seine Worte nachdachte. Überhaupt schien sich in ihrem Kopf mehr zu regen, als es anfangs für ihn den Anschein hatte. Er hatte sie nie für dumm gehalten, aber beschränkt im Empfinden und Erleben.

„Was würde mir solch ein Neuanfang bringen“, fragte sie ihn schließlich. Es klang ehrliches Interesse aus ihren Worten heraus.

„Eine Mutter und einen Vater. Die treusten Verbündeten im Leben eines Menschen.“

Deianiera blickte ihn entgeistert an.

„Diese Treue haben sie mir nie entgegengebracht, warum sollte ich sie jetzt dafür belohnen, in denen ich ihnen ihre Tat vergebe?“

„Vielleicht weil sie nicht die Einzigen wären, welche dich Willkommen hießen? Auf dich wartet eine ganze Familie, Deianiera. Tanten, vielleicht weitere Onkel, Brüder und Schwestern?“

Die Kriegerin blieb stehen, betrachtete ihre drei Begleiter der Reihe nach, welche nun ebenfalls anhielten und sie erwartungsvoll ansahen.

„Mein Leben war bis vor wenigen Tagen einfach gewesen und ich glücklich damit. Ich wusste, was der Tag mir bringen würde, habe gut gegessen, meine Arbeit verrichtet und die verdiente Ruhe der Nacht gefunden. Seit dem aber die Malakes da ...“, sie deutete auf die beiden Sklaven, „... in mein Leben getreten sind, ist alles durcheinandergeraten und ein jeder scheint an den Stoff meiner Kleider zu zerren, wie es ihm beliebt.“

Lycidas lachte.

„Sei dankbar um die Abwechslung, will ich euch raten. Früher oder später wäre es auch ohne die beiden dazu gekommen, das bleibt nicht aus. Zumal du dir ja als Söldnerin gezwungenermaßen Feinden gemacht haben wirst. Früher oder später wären andere Männer an ihrer statt gekommen, das ist dir doch selbst klar, habe ich Recht?“

Deianiera ging weiter und Lycidas mühte sich damit, ihren weitausholenden Schritten zu folgen.

„Warum lauft ihr denn nicht gleich? Ich verstehe nicht, dass ihr es immer so eilig haben müsst. Schont doch eure Kräfte.“

Deianiera dachte nicht daran, eilte weiter den Weg entlang, sich über den Schatten der Bäume freuend, welche nun die Hänge säumten.

„Ich laufe nicht. Das würde ich nämlich tun, wenn ihr mich mit eurer Gesellschaft nicht daran hindern würdet.“

„Warum habt ihr kein Pferd? Auf dessen Rücken würdet ihr schon zum Nachmittag das Lager erreicht haben“, jammerte Lycidas.

„Weil dann nicht meine Muskeln wachsen würden, sondern seine. Diese aber brauche ich für die Arbeit und den Kampf. Ich kann es mir nicht leisten mich einzig auf mein Mundwerk zu verlassen, so wie ihr das tut.“

Lycidas stolperte und konnte sich nur fangen, weil er sich an den rechten Arm Deianieras festhielt. Die grinste unverschämt, schien sich aber an ihrer unfreiwilligen Hilfestellung für ihn nicht weiter zu stören.

„Dort vorne kommen Wagen!“, rief Darius und deutete mit seinem ausgestreckten Arm auf vier Fuhrwerke, welche von Ochsen gezogen ihnen entgegenkam. Sie befanden sich auf der ihnen gegenüberliegenden Seite eines Abgrundes, an dessen Rand der Weg entlanglief. Noch wurden sie immer wieder von Bäumen verdeckt gehalten, doch schon bald würden sie ihnen direkt entgegenkommen.

Deianiera befahl ihren Männern stehen zu bleiben, hob ihre rechte Hand an die Stirn, um ihr Augen vor den grellen Strahlen zu schützen und betrachtete den Transport genauer. Anscheinend waren sie selbst noch nicht bemerkt worden, klangen doch die Rufe der Fuhrknechte sorglos zu ihn rüber.

„Lasst uns vorsichtig sein, ich kann Bewaffnete erkennen“, riet Abraxas. „Und es sind keine Soldaten aus der Stadt.“

„Du hast Recht. Und Athener anscheinend auch nicht, nach dem was ich von ihnen bisher zu sehen bekam.“ Deianiera wartete noch einen Moment, dann deutete sie auf das Unterholz am Wegesrand.

„Versteckt euch dort“, zeigte sie auf eine gute geschützte Stelle. „Ich will sehen, ob ich nicht schon jetzt meinen Auftrag vollenden kann.“

Lycidas war damit nicht einverstanden, wollte er doch zugegen sein, wenn die Söldnerin den Männern an den Fuhrwerken entgegentrat. Doch er wurde einfach von Abraxas am rechten Arm gepackt und mitgezogen, woraufhin er seinem Sklaven mit einigem Gezeter folgte.

Deianiera ging unterdessen in die Knie, federte ein wenig auf der Stelle, den Transport dabei nicht aus ihren Augen lassend. So sprang sie schließlich auf und fiel in einen Lauf aus weitausholenden Schritten. Dabei schienen ihre Füße kaum den Boden zu berühren, so schnell bewegte sie sich fort. So erreichte sie schon nach wenigen Augenblicken den ersten Wagen, wo einer der Bewaffnete, völlig überrascht von ihrem plötzlichen Auftauchen, mit ausgestrecktem Arm auf sie deutete und durch einen kehligen, fremd klingenden Laut seine Kameraden zu warnen versuchte.

„Bleibt stehen, Soldat! Was wollt ihr von uns?“, wandte er sich an den Bewaffneten.

Deianiera verlangsamte ihren Lauf und blieb schließlich an der Seite des ersten Wagens stehen. Keine der Bewaffneten hielt seine Waffe auf sie gerichtet und so unterließ auch sie es, ihnen mit den ihren zu drohen.

„Das Holz! Wohin bringt ihr es?“, fragte sie direkt.

Ein stämmiger Kerl in Lederrüstung und vernarbten Gesicht trat ihr entgegen. Sein Bart reichte bis zur Brust herunter, während sein Kopf bar jeglichen Haarwuchses war. Er war um einiges älter als seine Begleiter und schien der Anführer der Gruppe zu sein.

„Du hast die Stimme einer Frau?“, wunderte sich der grobschlächtige Kerl. Woraufhin ein paar seiner Männer im Hintergrund abfällig lachten.

„Das könnte daran liegen, dass ich eine bin“, antwortete Deianiera schnippisch.

„Dann trete aus unseren Weg, Weib und trage die Rüstung und Waffen zu deinem Mann zurück, bevor sie dir noch jemand stiehlt“, riet ihr der Wagenführer und ließ erneut ein heiteres Lachen hören.

Einer der Arbeiter auf dem zweiten Wagen winkte einen der Bewaffneten zu sich heran, welcher widerwillig dessen Aufforderung nachkam. Ein paar Worte wurden gewechselt, da lief der Schwertkämpfer auch schon zu Deianieras Gegenüber, raunte ihm etwas ins Ohr, worauf dessen Gesicht deutlich an Farbe verlor.

„Du bist ..., du ..., die Soldfrau, die ganze Insel..., ich habe von euch gehört“, stotterte er. „Man sagt, dass ihr von den Göttern kommt.“

Deianiera nahm ihren Helm ab, schenkte dem Mann ein Lächeln und nickte dem Fuhrknecht zu, welcher sie erkannt hatte.

„Dann gebt mir jetzt Antwort, guter Mann. Dann trete ich auch aus eurem Weg.“

Der Mann kratzte sich an seinem Hinterkopf, wandte sich hilfesuchend an seine Kameraden, doch diese schienen genauso unsicher geworden zu sein, wie er selbst.

„Wir bringen das Holz zum Hafen herunter. Ein Händler namens Lenos hat es im Auftrag des Oikisten Petros gekauft. Ihm gehört nun auch das Lager, in welchem es geschlagen wurde.“

„Diese Malakes! Und wer seid ihr?“, fragte Deianiera sogleich weiter. „Ihr stammt nicht von der Insel, wie ich aus eurer Art zu sprechen heraushöre. Seid ihr auch aus Athen?“

„Nein! Wir sind Kämpfer aus Amantia und wurden von Athen angeworben, um die Siedler zu schützen.“

„Wie viele gibt es von euch?“

„Wir sind um die hundert Männer gewesen. Es waren auch Oriker unter uns, die aber auf einem der Schiffe nachfolgen, welche von den Athenern so dringend erwartet werden.“

„Was wollen die Athener mit all dem Holz?“, fragte Deianiera weiter. Sie überblickte dabei die Karren, welche mit ganzen Baumstämmen, aber auch zugeschnittenen Brettern beladen worden waren.“

„Sie brauchen das Holz um ihre Schiffe zu bauen. Es wird im Hafen von Kranioi verladen und zu den Werkstätten nach Piräus gebracht.“

„Der Ratsobere hat Männer geschickt, damit die Stadt mit Holz versorgt wird. Was ist mit ihnen geschehen?“, fragte Deianiera.

„Ich weiß es nicht, Frau. Tatsächlich sind Boten vor zwei Tagen in das Lager gekommen, doch habe ich keine Kenntnis darüber, was mit ihnen besprochen wurde. Es war zu später Stunde und ich weiß, dass der Athener mit Namen Lazaros sie zu Wein in sein Zelt geladen hatte.“

„Und dann?“

Der Kolonnenführer hob seine Schultern. „Ich weiß es wirklich nicht. Wir haben die Arbeiter und Sklaven bei ihrer Arbeit beaufsichtigt. Mein Auge galt ihnen.“

Deianiera nickte ihm zu.

„Gut, dann zieht weiter! Ich werde mit diesem Lazaros reden müssen.“

Der Amantiner winkte erleichtert seinen Männern zu. Die trieben jetzt die Arbeiter an, welche wiederum die Ochsen mit Rufen und Stöcken zum Antritt brachten. So setzte die Kolonne ihre Reise fort.

Die Kriegerin blickte ihnen nachdenklich nach, die Bewaffneten besonders eingehend musternd. Trotz all ihrer Waffen schienen die Wachen kein Interesse an einem Kampf zu haben, wichtig zu wissen, sollte es zum Äußersten kommen.

Deianiera wartete geduldig ab, bis auch der letzte Karren an ihr vorbeigerollt war, da winkte sie ihren Begleitern zu, welche sich bis dahin versteckt gehalten hatten. Lycidas begann sofort die Söldnerin auszufragen und ärgerte sich, dass er die Männer aus Amantia nicht über deren Heimat hatte befragen können. Die Bewohner Illyriens galten nicht als Barbaren und gerade die Ländereien im Norden wie Phokis und Malis, trieben regen Handel mit ihnen. Eine verpasste Gelegenheit für Lycidas dieses Volk näher kennenzulernen.

„Es gibt im Lager sicher noch mehr. Von daher werdet ihr noch eure Gelegenheit bekommen.“ Suchte Deianiera ihn zu trösten.

„Was habt ihr herausgefunden, Afentra?“, fragte Darius interessiert. Immer wieder seine Rolle gegenüber der Herrin vergessend. Die störte sich nicht daran und erzählte ihm, was sie herausgefunden hatte.

„Was glaubst du, haben die Athener vor?“, fragte sie ihn, nachdem sie geendet hatte.

„Der Mann wird wahr gesprochen haben, daran besteht kein Zweifel für mich. Die Athener haben die größte Flotte der Welt und werden sie versuchen weiter auszubauen. So können sie eine Insel nach der anderen in ihre Kontrolle zwingen und sich weitere Länder und Städte tributpflichtig machen.“

„So wie jetzt und hier mit Kephallenia?“, fragte sie besorgt.

Darius nickte, was Lycidas so nicht gelten lassen wollte.

„Ihr tut ja so, als ob wir in Feindschaft gekommen wären. Doch dem ist nicht so, wie ihr seht. Alles wird von meinen Leuten durch einen ehrlichen Handel erworben. Sicher ist dies auch mit dem Holzschlag passiert. Lenos ist reich, er hat viele Talente (griech. antike Silberwährung), welcher er auf der Insel anlegen kann, ohne dass diese für ihn ins Gewicht fallen.“

„Ihr werdet die ganze Insel leer saugen und die Bevölkerung in die Armut und Abhängigkeit treiben. Nichts anderes habt ihr vor.“, entgegnete Darius aggressiv.

„Ich? Lycidas zeigte sich entrüstet. Ganz sicher nicht, wie ich euch versichern kann. Und zu einem Handel gehören immer zwei, das solltet ihr nicht vergessen.“

„Ich habe Iakobos und meine Herrin nicht vergessen. Sie beide haben schon ganz deutlich zu spüren bekommen, was es heißt, mit Leuten wie euch Handel zu treiben. Erst versprecht und gebt ihr, später sucht ihr dann wieder alles durch Lüge und Betrug an euch zu reißen.“

Lycidas hob seine Hand gegen den Sklaven, als dieser ihn zurückstieß und sich nicht von ihm schlagen lassen wollte.

„Strafen darf mich meine Herrin, sonst keiner“, drohte er dem dicken Theatermann.

Diesem standen die Tränen im Gesicht, er schien wirklich von Darius Worten zutiefst verletzt worden zu sein.

„Wollt ihr ihm das durchgehen lassen? Er beleidigt einen Freien! Strafe ihn Mädchen, ich verlange es. Sein Hass kann nicht jedem Athener gelten, das muss er doch begreifen.“

„Schweigt! Alle beide!“

Deianiera unterband den Streit mit einer energischen Geste ihrer Rechten. Sie wandte sich an Abraxas, welcher ruhig dem Gespräch der beiden Männern gefolgt hatte.

„Was denkst du darüber?“, fragte sie ihn.

„Lasst uns mit diesem Lazaros sprechen. Ich habe kein gutes Gefühl, wenn ich an Thaletas Männer denke.“

Deianiera teilte seine Meinung.

„Gut, ich denke ähnlich. Seien wir also auf der Hut.“ Die junge Frau nickte Abraxas wohlwollend zu, dann setzte sie wieder ihren Helm auf. Vielleicht würde der Mann ihr noch ganz nützlich sein? Immerhin schien er sich an seinen Schwur, welchen er Lycidas gegeben hatte, halten zu wollen.
 



 
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