japakl_schreibt
Mitglied
Deianiera
Abenteuer im alten Griechenland
von
Japakl
Bloß eine Frau
Abraxas, ein mittelgroßer stämmiger Geselle, schlich vorsichtig an das Gatter heran, durch welches man den Flechtzaun durchqueren musste. Vorsichtig lugt er über die Pforte hinweg, rüber zu dem fünfzig Schritt weit entfernten Häuschen. Schon schickte er sich an, das Gatter zu öffnen, als sich eine feingliedrige Hand über seine linke Schulter legte.
„Hältst du es für klug, Abraxas, das Haus zu betreten, ohne zuvor unser Ziel entdeckt zu haben?“
Der Angesprochene wandte sich seinem hageren Begleiter zu, welcher, wie schon so oft in ähnlichen Situationen, ihm deutlich seine Angst offenbarte. Sein vom Vollbart geprägtes, rundes Gesicht zeigte ein breites Grinsen.
„Ich habe schon darauf gewartet, das dir vor lauter Angst die Scheiße zwischen die Füße fällt. Du wirst vorgehen und die Schlange in ein Gespräch verwickeln, dann wissen wir genau, womit wir zu rechnen haben.“
Sein Kumpan wich ein Schritt zurück und blickte Abraxas entgeistert an.
„Du schickst mich vor? Nach allem, was wir in Kranioi von dieser Frau gehört haben?“
Abraxas schüttelte seinen Kopf und zeigte sich bemüht dem Komplizen seine Sorge zu nehmen.
„Glaubst du wirklich, diese Frau könnte eine furchtbare Kriegerin sein? Wie, bei Zeus, sollte das möglich sein? Frauen haben weder genug Kraft, noch Geschicklichkeit, es mit einem entschlossenen Mann aufzunehmen.“
„Und warum hat sie dann schon so viele Aufträge abgeschlossen? Sie gilt als die mächtigste Söldnerin der ganzen Insel.“
„Und wir in Messenien. Außerdem kennst du doch das Gefasel der Leute. Sie reden viel und sagen wenig. Interessant gemacht haben sie sich. Uns Märchen aufgetischt, an welche sie vielleicht selbst glauben wollen, weit entfernt von der Wahrheit. Nimm nicht immer alles für bare Münze Darius! Vertrau mir! Wir erledigen den Auftrag, holen in zwei Tagen die Belohnung ab und nehmen das nächste Schiff. Auf dieser Geröllinsel mag ich nicht länger aushalten, als es unbedingt nötig ist.“
Kurz entschlossen griff er in die Zugschlaufe der Pforte, um diese aufzuziehen, doch diese hing nur noch an einer Angel, worauf sie mit einem lauten Krachen zur Seite kippte.
Nicht nur Darius Körper fuhr vor Schreck zusammen, auch Abraxas zeigte sich nervös und blickte besorgt zu dem Haus hinüber. Dort bemerkten sie jetzt den Schein einer Fackel, welcher immer deutlicher in der hereinbrechenden Dunkelheit erkennbar wurde. Diese musste irgendwo an der Rückseite des Hauses brennen, konnten die beiden sie doch nicht ausmachen.
„Geh jetzt und verwickel die Frau in ein Gespräch. Ich werde mich anschleichen und sie hinterrücks niederschlagen.“
Darius verneinte zum Erstaunen seines Kameraden und weigerte sich, den ihm fremden Boden zu betreten.
„Hast du an den Wolf gedacht, welchen sie besitzen soll? Er wird dich wittern und reißen, ehe du seine Besitzerin erreicht hast.“
Abraxas seufzte, blickte zu seinem hochgewachsenen, dünnen Freund auf und schlug diesem dann, wie aus dem Nichts kommend, kraftvoll seine Rechte ins Gesicht. Es klatschte laut und beide Männer duckten sich hektisch hinter den Zaun.
Darius stiegen Tränen in die Augen, während er sich seine Wange rieb. Es war nicht das erste Mal, dass ihm Abraxas auf diese Weise zu ermuntern suchte. Sollte er dessen Einschätzung Vertrauen schenken? Schließlich waren sie bisher mit allem fertig geworden, warum sollte es dieses Mal anders sein?
Noch ehe er seinen Gedanken abschließen konnte, fühlte er einen Stoß in seinem Rücken. Er taumelte nach vorne, stolperte über eine Wurzel und schlug der Länge nach auf den ausgetrampelten Pfad, welcher zur Hütte führte.
„Telemach und ich sind bei dir. Vergiß das nicht! Du bist ein Wanderer und kennst deine Geschichte. Besinn dich auf deine Gabe, Kerl, dann wird es klappen.“
Darius wünschte sich, er könnte den Worten des Freundes Glauben schenken. Vorsichtig raffte er sich auf, kam auf seinen beiden zittrigen Beinen zum Stehen und näherte sich langsam der ihm fremden Hütte an. Die Sonne war nun fast vollständig untergegangen, nur ein kleiner Teil ihres Halbrundes war noch über dem Horizont des Meeres zu sehen, welcher durch die Bäume und Sträucher des Anwesens nur lückenhaft zu erkennen war.
Ein Fuß vor den anderen setzend, ging er unsicheren Schrittes den Pfad entlang, über eine kleine Brücke hinweg, welche einen tiefen Graben überspannte. Abraxas, welcher ihm abseits des Weges folgte, stieß nun ebenfalls auf dieses Hindernis und zeigte sich nicht dazu in der Lage, über dieses hinwegzusteigen. Zumal dieses mit Wasser gefüllt worden war. So musste er ihm nachfolgen und passierte, ein paar Schritte hinter ihm, ebenfalls die Brücke.
Darius blickte sich ängstlich zu ihm um und deutete auf eine Vielzahl von Holzpuppen und aufgehängten Säcken, die er in ähnlicher Form vom Gymnasion in Theben her kannte. Dort hatte er als kleiner Junge oft, zusammen mit seinem Vater, stattlichen Männern dabei zugesehen, wie diese sich körperlich ertüchtigt hatten, um sich gemeinsam auf künftige kriegerische Auseinandersetzungen vorzubereiten.
Abraxas hob seine Schultern, um sie sogleich wieder fallen zu lassen. Mit seiner ausgestreckten rechten Hand deutete er auf das einfache Haus und zeigte Darius eine grimmige Miene. Dazu ballte er seine Faust und zog sich dann, diese wieder zur flachen Hand geöffnet, unterhalb seines Kinns an seinem Hals entlang. Getrieben von dieser Drohgebärde, wandte sich Darius wieder dem Haus zu und schritt zaghaft voran.
In diesen Moment waren alle Sinne des Lockvogels darauf ausgerichtet, dessen Bewohnerin zu entdecken. Die Furcht kam immer stärker über ihn, hatte er doch im Ort den Anwohnern Glauben geschenkt, welche die Frau, die sie zum Ziel hatten, als gottgleich schilderten. So näherte er sich vorsichtig der Türöffnung, welche offen stand und lugte vorsichtig in das kaum ausgeleuchtete Innere des einfachen Baus.
„Hallo! Ist da wer? Jemand zuhause?“
Niemand antwortete ihm und dennoch traute er sich nicht, den Raum zu betreten. Er wandte sich um, doch von seinem Kameraden fehlte jede Spur. Hatte dieser vielleicht etwas gesehen, was ihm selbst entgangen war? Er entschloss sich dazu, erst einmal eine Runde, um das Haus zu gehen. Nichts lag ihm ferner, als die Unbekannte zu provozieren, in dem er für sie als Räuber oder Dieb gelten könnte.
So ging er links an der mit Lehm verputzten Mauer entlang, stellte sich an die Hausecke und blickte vorsichtig an ihr vorbei. Eine Kletterpflanze gab ihm dabei Deckung, welche die Seite einer Außentreppe emporgewachsen war. Weiter links befand sich ein kleiner Verschlag, in dem die Frau Brennholz lagerte, sowie ein Bock, auf welchem ein kräftiger Stamm darauf wartete, zu Scheiten verarbeitet zu werden. Unter einem vor ihm liegenden Vordach fand er nichts Auffälliges und so tat er ein paar entschlossen Schritte, um sich dem nächsten Eck anzunähern.
Neben einer Töpferscheibe, vor welcher ein grob gehauener Schemel stand und einer Außentreppe zum Dach, wurde er nun einer weiteren Überdachung gewahr, unter welcher Säcke, Amphoren und große Krüge untergebracht worden waren, um sie vor groben Witterungseinflüssen zu schützen.
Getrieben von seiner Neugierde schritt er weiter voraus, und sah den Schein einer Feuerstelle nun deutlich vor sich. Sorge überkam ihn und dennoch wollte er nun sehen, wo es herrührte. Zuvor blickte er sich noch einmal um und fand keinen seiner Freunde hinter sich. Hatten sie sich wirklich so gut vor ihm und dem Ziel ihres Handelns verborgen gehalten?
Er hörte jetzt das sonore Hackgeräusch eines Messers, sowie eine leise Melodie, welche gesummt wurde.
Darius fand sich nun auf gleicher Höhe mit einer Esse, deren Wandung jedoch keinerlei Wärme ausstrahlte. Wahrscheinlich war sie am Tage nicht genutzt worden.
„Er da! Setze er sich zu mir, hat er doch sicher Hunger von seiner Reise“, rief ihn eine herbe Frauenstimme an.
Die Augen des Angesprochenen weiteten sich. Erschrocken verharrte er auf der Stelle. Wie hatte sie ihn hören können? War es vielleicht der Wolf gewesen, von dem ihnen die Bewohner Kraniois berichteten und welcher ihn schon lange gehört oder gewittert haben musste?
„Was zögert er?“, fragte ihn die Fremde. Kam er in feindlicher Absicht?“
„Nein! Nein! Entschuldigt.“
Darius fühlte sich von der Stimme getrieben, kam um das nächste Hauseck herum und stand vor einer in etwa gleich großen Frau, mit derben braunen Haaren. Diese waren von ihr zu einem einfach geflochtenen Zopf gebunden worden, welcher über ihrer linken Schulter hing.
Sie stand mit dem Rücken zu ihm und schnitt an etwas herum, was vor ihr auf dem Tisch liegen musste. Dabei konnte er nicht sehen, um was es sich genau handelte, wurde es doch von ihrem kräftigen Leib verborgen gehalten. Dieser hätte einem Mann zur Ehre gereicht und wollte nicht zu dem zarten Geschlecht einer Frau passen.
„Einen schönen Abend, Frau. Verzeiht, wenn ich gestört haben sollte“, gab sich Darius betont freundlich. Die riesenhafte Frau stand indessen weiter mit dem Rücken zu ihm und schien sich nicht weiter von ihm gestört zu fühlen.
„Hat er nicht, ganz im Gegenteil. Während er als Gast gekommen ist, habe ich zwei Spießgesellen dingfest machen können, welche um mein Haus herumgeschlichen sind. Im Gegensatz zu ihm, schienen sie arges im Schilde geführt zu haben.“
Sie schob mit der Klinge ihres Messers Mohrenstücke in eine Schale und gab diese wiederum in einen Topf, welcher über der Feuerstelle hing.
Darius blickte sich indessen ängstlich um, mit der Hoffnung seine gefangen Freunde entdecken zu können. Wie war es dieser unbewaffneten und in einem einfachen hellen Leinenchiton gekleideten Frau möglich gewesen, seine bewaffneten Begleiter zu überwältigen? Noch dazu, ohne dass er dies mitbekommen hatte?
„Isst er mit?“, fragte sie und wandte sich das erste Mal zu ihm um.
Darius zeigte sich verlegen, blickte sich ein weiteres Mal unsicher um und erklärte der Fremden sogleich seine Stimmung.
„Seid ihr sicher, dass es keine weiteren Übeltäter gibt? Ich habe schon das Geheul der Wölfe vernommen und reute mich, den letzten Ort verlassen zu haben.“
„Sei er ruhig und setze sich hin!“
Sie deutete auf einen niedrigen Schemel, welcher in der Nähe der Feuerstelle stand.
„Und ihr? Worauf wollt ihr Platz nehmen?“
Sie musterte ihn eindringlich mit ihren braunen Augen, die dichten Brauen auf ihrer hohen Stirn dabei zusammenziehend. Sie schien ihm nicht zu trauen, weshalb er sich mühte, sie von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen.
„Das soll nicht seine Sorge sein.“
Sie blieb stehen und blickte auf ihn herunter, nachdem er sich gesetzt hatte.
„Wo sind die Männer, welche ihr gefangen habt? Sind sie zu Schaden gekommen?“
Deianiera deutete mit ihrer linken Hand auf die Hütte und rührte mit einem hölzernen Löffel in der Rechten in dem, über das Feuer aufgehängten Topf.
„Ein wenig. Aber nichts, was die Zeit nicht zu heilen in der Lage wäre.“
Darius sah ihr dabei zu, die Gestalt der an Jahren junge Frau näher in Augenschein nehmend. Ihre Beine, welche von der Hälfte ihres Oberschenkels ab, unter dem Stoff des Chitons hervorragten, wirkten massiv und sehr kräftig auf ihn. Sie war eine Athletin, daran bestand für ihn kein Zweifel. Ihr Gesicht wirkte einfach geschnitten und durchschnittlich attraktiv auf ihn. Eher neutral, als einladend oder abstoßend. Zwei kleine Narben zeichneten es, eine lief der Länge nach über ihren Nasenrücken, die zweite streifte ihren rechten Mundwinkel.
„Und? Was zieht er durchs Land, welches von Dieben und wilden Tieren unsicher gemacht wird? Weshalb ist er nicht in Kranioi geblieben und stattdessen im Anbruch der Nacht noch unterwegs?“
„Ich wollte eine Tante besuchen, welche in Pale wohnt.“
„Wie ist sein Name?“, fragte die Hünin mit rauchiger Stimme.
„Darius. Darf ich mich nach eurem erkundigen?“ Nur mit Mühe, hielt er den eindringlichen Blick der Frau stand.
„Ich kenne Pale gut, wie heißt seine Tante?“, überging sie seine Frage.
„Makarie“, log Darius ohne Umschweife. Tatsächlich trug die Schwester seines Vaters diesen Namen.
Ihre Augen blieben auf seinem Gesicht gerichtet und für den Moment blieb sie ohne Regung. Wahrscheinlich überlegte sie, ob sie diesen Namen mit dem Ort, welchen sie kannte, in Verbindung bringen konnte.
„Schön habt ihr es hier. Den Blick über das Meer, die vorbeifahrenden Schiffe ..“
Sie folgte seinem Blick.
„Was glaubt er, warum zwei bewaffnete Männer um das Haus einer Frau schleichen? Sollte ich sie nicht besser töten, damit sie niemanden Schaden bringen? Es wären nicht die Ersten, welche ich die Klippe herabstürzen lasse.“
Sie wandte sich nun dem Topf zu, beugte sich über ihn, tauchte den Löffel in die darin befindliche Suppe ein und kostete.
„Sie schmeckt nicht, wird uns aber satt machen.“
Sie zeigte dem Mann neben sich ein Lächeln, ging rüber zu dem groben Holztisch, welcher ihr wohl als Anrichte dienen musste und kehrte mit zwei Schalen zurück. Anschließend griff sie in den Henkel des Topfs, hob diesen vom Feuer herunter und verteilte dessen Inhalt in die beiden Gefäße.
„Nun? Was denkt er?“ Fragte sie ihn erneut, ihm unterdessen seine Mahlzeit reichend.
„Man könnte sie fragen? Vielleicht haben sie die Hütte für einen Banditenunterschlupf gehalten? Vielleicht kommen sie ebenfalls aus Kranioi?“
Die Frau hob die Schale an ihre Lippen und schlürfte vorsichtig an der heißen Suppe.
„Er meint den Ort, in welchem jeder mich und mein Haus kennt? So wie jeder Bewohner dieser Insel?“
Darius zeigte sich verlegen und suchte Zeit zu gewinnen, in dem er nun ebenfalls von der Suppe kostete. Die Frau hatte Recht, sie roch ekelhaft und schmeckte salzig und fischig zugleich. Hoffentlich verdarb er sich seinen Magen nicht mit diesem Gebräu. Am liebsten hätte er die Flüssigkeit sofort wieder ausgespuckt und musste sich zusammenreißen, damit er nicht zu würgen anfing.
„Dann waren es Fremde?“, mutmaßte er, nachdem er sich einigermaßen vom Geschmack dieses seltsamen Gebräus erholt hatte.
„Er meint, so wie er selbst?“ Sie wendete mit diesen Worten ihren Blick vom Feuer ab und richtete ihre Augen auf ihn.
Darius fühlte sich ertappt und seine Angst sorgte dafür, dass er trotz der aufkommenden Kühle der Dunkelheit zu schwitzen begann.
„Äh ja? Vielleicht?“
Die Hausherrin nickte und blickte wieder auf die tanzenden Flammen herunter, welche das Holz knacken ließen, das sie nährte.
„Woher kommt er?“, fragte sie ihn beiläufig.
„Theben. Eine große Stadt, welche weit entfernt gen Osten liegt.“
„Und seine Tante? Warum besucht er sie?“
Darius fühlte sich durch ihre Frage an seine Mutter erinnert, welche während seiner Geburt gestorben war. Er hatte nie jemanden aus ihrer Familie kennengelernt.
„Ich wollte sie kennenlernen. Meinte Marta hat mir viel von ihr erzählt.“
Er war glücklich über diese Lüge, denn selbst wenn herauskam, dass es seine Tante nicht gab, würde er sich durch diese Erklärung retten können, kannte er die Frau doch offensichtlich nur vom Hörensagen.
„Iss!“, forderte sie ihn auf.
Darius zeigte sich sogleich einverstanden und schlürfte die Suppe, dabei seine Luft anhaltend. Er hoffte, so deren widerlichen Geschmack für sich erträglicher werden zu lassen.
Überrascht setzte er die Schale ab, als ein deutlich hörbarer Darmwind dem Hinterteil der Frau entfuhr, so heftig, dass dieser sogar den Stoff ihres Chitons aufblähte, ähnlich einem Windstoß, welcher in ein Segel griff.
„Komme er mit! Wir sehen nach den Gefangenen.“
Darius schloss für den Moment seine Augen. Wenn Telemach oder Abraxas ihn jetzt verrieten, war es um ihn geschehen, dessen war er sich sicher.
„Worauf wartet er?“ Ihre Stimme klang misstrauisch.
„Ich wollte den Rest Suppe ...“
Vor lauter Angst schaffte er es nun auch das Übriggebliebene des ekelhaften Mahls herunterzuwürgen.
Sie nickte gnädig, ließ ihre Schale achtlos zu Boden fallen und wartet auf ihn, ihre kräftigen Hände dabei in die schmale Taille stemmend. So bekam ihre Figur doch etwas Weibliches und für einen kurzen Moment blieb Darius Blick an ihrem Körper haften.
Sie schritt voran, doch wagte er es auch jetzt nicht, seine Hände in ihre Richtung auszustrecken. Muskelbepackt und selbstbewusst wirkend, würde es ihm schwerfallen, die Oberhand über sie zu gewinnen. So trat sie durch das niedrige Tor eines Innenhofes und deutete auf ein links von ihr stehendes Metallbecken.
„Hole er Feuer, dann haben wir Licht.“
Darius hatte schon die Leiber seiner Freunde ausgemacht, welche gefesselt, mit ihrem Rücken gegen die Mauer gelehnt, am Boden hockten. Geschwind trat er noch einmal aus dem winzigen Innenhof heraus, eilte zur Feuerstelle und zog einen kurzen Scheit aus den Flammen heraus, mit welchem er zu der Hausherrin zurückkehrte. Er schob ihn zwischen Holzreste, welche er in der Schale aufgehäuft fand.
Mit dem Licht der Feuerschale wurde noch einmal das Dunkel der Nacht aus dem Hof vertrieben, welche inzwischen die ganze Landschaft umhüllt hatte.
„Und? Kennst er sie? Vielleicht aus Kranioi?“
„Nein, ich sehe sie zum ersten Mal. Was wollt ihr mit ihnen machen?“
Deianiera hielt ihre Rechte Hand unter das Kinn und blickte auf die gefesselten Kerle herunter, welche mit Stofffetzen im Mund geknebelt, besorgt zu ihnen aufblickten. Darius war erleichtert, seinen Freunden schien bewusst zu sein, dass sie ihn nicht verraten durften, sollte er ihnen Hilfe bringen.
Sie wandte sich zu Darius um und blickte fragend in dessen Gesicht.
„Nun? Was hält er von den beiden?“
Darius musste die Frau unbedingt davon überzeugen, dass Abraxas und Telemach ihr nicht feindlich gesonnen waren. Doch würde er sich jetzt zu sehr für sie einsetzen, könnte es sein, dass die Frau zu der Überzeugung kam, dass er ein eigenes Interesse an ihnen hatte. Und wohin sie dann von ihren Gedanken geführt wurde, erschien ihm zu ungewiss.
„Ein Fehler ist schwer wieder gut zu machen. Wir sollten niemanden richten, von dem wir nicht wissen, ob er schuldig ist. Ein jeder, welcher sich den Gefahren dieser Insel stellt, rechnet mit dem Schlimmsten. Wer weiß, was die beiden zum Einbruch der Nacht ins Freie trieb, sie können es uns sicher erklären.“
Deianiera lauschte seinen Worten nach und grübelte weiter, ihren Blick wieder den beiden Männern auf den Boden zuwendend.
„Und wenn er sich irrt? Was, wenn meine Vermutung die Richtige ist? Lass ich sie frei, so laufe ich Gefahr, dass sie mir aufs Neue versuchen aufzulauern.“ Mit diesen Worten drehte sie sich zu ihm um, betrachtete ihn nachdenklich und schien bemüht, endlich einen Entschluss zu fassen.
„Wartet die Nacht ab, Frau! Vielleicht fällt euch, ausgeruht von den Anstrengungen des Vortages, eine Entscheidung am Morgen leichter.“
Sie nickte und legte ihre rechte Hand auf seine linke Schulter ab.
„Gut gesprochen. Dann sehe ich noch einmal nach ihren Fesseln und wenn sie folgsam bleiben, werden sie die Nacht lebend überstehen. Am Morgen will ich dann entscheiden, ob sie Leben oder Sterben sollen.“
Darius sah die Frau sich über seinen Freund Telemach beugen, dessen Augen in diesen Moment auf ihn gerichtet blieben. Er ahnte, was dieser ihm mit seinem Blick zu sagen suchte, hockte sie doch nun, mit ihren Rücken ihm zugewandt, direktvor ihm.
Das Schwert Abraxas fand er auf den Tisch neben sich liegend, genauso wie den Bogen Telemachs. Er braucht nur nach einer dieser Waffen greifen. Den Blick darauf gerichtet, fand er nicht genügend Mut, sich zu einem Handeln zu entschließen. Zu ungewiss war ihm der Ausgang einer solchen Tat.
Auch Abraxas suchte jetzt seine Aufmerksamkeit und knurrte in seinen Knebel hinein. Die Hünin beugte sich nun über dessen Körper, zog die Fesseln um seine Handgelenke und Knöchel straff und sorge sich um die Knoten. Sie schien zufrieden und blickte, über ihre rechte Schulter hinweg, zu Darius auf.
„Schläft er bei mir! So schützen wir uns vor der Kühle der Nacht.“ Forderte sie ihn ohne Umschweife auf, während ein seltsamer Glanz in ihren braunen Augen sichtbar wurde.
„Es wäre mir eine Ehre, Frau“, zeigte sich Darius wieder unterwürfig, streckte seinen rechten Arm aus, woraufhin sie nach seiner Hand griff und sich von ihm aufhelfen zu lassen. Ihr Körper war überraschend schwer und hätte ihn beinahe aus seinem Gleichgewicht gebracht.
„Wir gehen aufs Dach hinauf, dort habe ich mein Schlaflager. Folge er mir, er wird sicher müde von seiner Reise sein.“
Sie griff nach seiner Hand und zog ihn hinter sich her. Darius mühte sich, ihr zu folgen, sah verwirrt auf seine beiden Freunde herunter, welche ihn, sichtlich verstört, nachblickten. Er konnte, glaubte er sich einzubilden, ihre Vorwürfe schmecken.
„Wie konntet ihr sie überwältigen, Frau? Diese Kerle sehen groß und kräftig aus“, fragte er sie, während sie an der der kleinen Schmiedewerkstatt vorbei traten.
„Im Gegensatz zu den Zweien bewege ich mich leise. Auch scheinen sie keine Pankratiasten zu sein, wer weiß, ob sie überhaupt mit den Waffen umzugehen wissen, welche sie bei sich trugen.“
„Und ihr versteht euch darauf?“, fragte er ungläubig.
„Nun, ich bin Spartanerin. Mein Onkel hat mich alles gelehrt, was er über das Handwerk eines Kriegers wusste.“
Sie zeigte ihm ein Lächeln und griff mit ihrer freien Hand nach einer Fackel, die in einer Halteöse hing, welche in der lehmverputzten Außenwand ihrer Hütte eingelassen worden war. Kurz hielt sie deren Kopf ins Feuer und wandte sich dann zur Treppe um, die über zweit Hausseiten hinweg, nach oben aufs Dach führte.
„Und glaube er mir, das Wissen des Alten hätte für mehrere Leben gereicht.“
Er zeigte sich beeindruckt und stolperte fast, als sie ihn weiter die Treppe hinauf zog. Doch was hatte sie, oben auf dem Dach angekommen mit ihm vor? Hatte er sich vielleicht doch verraten und sie wollte ihn von dort aus in den Tod stürzen? Er verwarf diesen Gedanken. Aus der niedrigen Höhe des Daches und zusammen mit dem staubigen Boden, hätte er sich wahrscheinlich nicht einmal einen Knochen gebrochen.
Auf dem flachen Dach angekommen, fand er tatsächlich einen Schlafplatz aus Decken und Kissen vor, welcher unter einem Baldachin aus Stoffdecken ausgebreitet worden war. Sie deutete darauf und forderte von ihm, sich darauf auszustrecken.
„Es wird ihm guttun, die Wärme einer Frau zu spüren.“
Darius merkte bei ihren Worten auf. Suchte sie ihn etwa zu verführen?
„Worauf wartet er?“, drängte sie ihn und legte ihr rechte Hand auf seine linke Schulter. „Ruhen wir uns aus, es war ein anstrengender Tag.“
Darius ging in die Hocke und streckte sich auf den Decken aus. Die muskulös und sehnig wirkende Frau folgte ihm sogleich, nach dem sie die Fackel in die Feuerschale fallengelassen hatte, legte sich an seine Seite und ließ dann ihren Blick über seinen schlanken schmächtigen Körper wandern. Es lag Verlangen in ihrem Blick, wie er überrascht feststellte.
„Hat er ein stattliches Schwert?“ Sie führte ihre Rechte an seinen Schritt, worauf er zusammenzuckte und ihrer Hand auszuweichen suchte.
„Warum so aufgeregt? Er sollte sich freuen“, wollte sie ihn dazu ermuntern, ihr Handeln zuzulassen.
Würde sie ihn benutzen und nach dem Stillen ihres Verlangens genauso behandeln wie seine beiden Freunde? Er hielt das für möglich, hatte er doch schon mehr als einmal die Lust einer Frau verspürt, auch wenn diese selten ihm gegolten hatte.
„Es war ein anstrengender Tag, ich weiß nicht, ob es ...“
„Lass es mich versuchen! Sollte ich es nicht zur vollen Größe schmieden können, verdiene ich es nicht Meisterin genannt zu werden, habe ich Recht.“
Sie lächelte und hob ihre Augenbrauen.
Dieses Mal packte sie so schnell zu, dass er ihre Hand nicht mehr entkommen konnte. Sie war nicht gerade zärtlich zu ihm, als sie an seiner gesamten Männlichkeit zog und sich ihm mit dem eigenen Leib näherte. Sie legte ihr rechtes Bein über seinen linken Oberschenkel, es war schwer und würde ihn nun nicht mehr aus ihrer Umklammerung entkommen lassen.
Die junge Frau lächelte, als sie mit ihrer Hand tätig wurde und das Zentrum seiner Lust zu massieren begann. Noch schien seine Furcht übermächtig, doch drängte das sinnliche Gefühl, welches ihr forderndes Reiben bei ihm weckte, diese immer weiter hinfort.
„Ich denke der Stahl ist hart genug, glaubst du nicht?“, fragte sie spöttisch.
Er blickte sie verwundert an.
„Ihr sprecht auf einmal zu mir, wie es ein Bewohner dieser Insel tun würde.“
„Ich vereine mich nicht mit einem Unbekannten. Fühl dich geehrt, das passiert nicht all zu häufig.“
Sie schob ihren Körper über den seinen, worauf er ihre festen jungen Brüste auf seine Haut drücken fühlte. Ab diesem Moment hatte es für ihn keine Bedeutung, dass der helle Stoff ihres Kleides, diese Schätze für ihn verborgen hielt.
Sie näherte sich seinem Mund mit ihren Lippen und schob ihre linke Hand zeitgleich zwischen ihren und seinen Schoß. Er konnte ihre Finger fühlen, wie diese nach seinem Gemächt tasten, es packten und gegen ihren Schoß drückten. Sogleich wurde er von einer engen Feuchte festgehalten, welche ihm einen Reiz schenkte, der ungemein erregend, ihm alles andere an ähnlichen Erfahrungen vergessen machte. In dem Moment, in welchem sie sich zum Kuss vereinten, drückte sie ihren Leib auf den seinen. Ein verhaltenes Stöhnen wurde laut, dann begann sie sich auf ihm zu bewegen.
Mit der weitausholenden Bewegung ihres Körpers, äußerte sie ungehemmt ihre Lust. Darius reute es in diesen Moment, dass seine Freunde seinen Liebestanz mit dieser Frau hören könnten. Seine Freude, würde ihnen eine zusätzliche Qual bereiten.
Es verstrich nicht viel Zeit, als er ihren Körper zu entkommen suchte. Sie zeigte sich enttäusch, ließ von ihm ab und legte sich an seine Seite. Ihr Blick wanderte dabei seinen Körper entlang, wahrscheinlich ärgerte sie sich darüber, dass er für sie nicht länger durchgehalten hatte.
„War es dir schon genug?“
Darius fühlte, wie die Sorgen in ihm aufs Neue wach wurde. Ihr Blick verhieß nichts Gutes, glaubte er zu erkennen.
„Wartet ein wenig. Dann geht es wieder, dessen bin ich mir sicher.“
Sie nickte ihm zu, schob ihre Rechte erneut unter den Stoff seines Chitons, unterdessen mit ihrer linken Hand den eigenen Kopf stützend. Ihr Handeln war dabei verhalten und verschaffte ihm ein erträgliches und wohliges Gefühl.
Würde sie bei einer Wiederholung auf ihre Kosten kommen? Für ihn war das gerade Erlebte gottgleich gewesen. Ihr junges Geschlecht hatte sich für ihn angefühlt, als ob es von einem versteckten Geist gelenkt wurde, oder einem eigenen Verlangen folgte. Nie hatte er Ähnliches bei einer Frau erlebt, mit welcher er, in der körperlichen Liebe vereint, zusammenlag.
Ihr Mühen trug schneller Früchte als gedacht, nur wollte er ihr zuvorkommen und bat sie darum, sich auf ihren Körper legen zu dürfen. Sie zögerte, ging aber schließlich dieses Zugeständnis an ihn ein. So öffnete sie ihren Schoß für ihn, hieß seinen Körper mit ihren breit gespreizten Schenkeln willkommen und nahm diesen sogleich wieder gefangen, in dem sie ihre Unterbeine über seinem Po kreuzen ließ.
Sein erster harter Stoß ließ den Leib der Frau beben, Darius küsste ihren Hals, saugte an ihrer Haut, während er sich ihrem Schoß ein Stück weit entzog, um erneut in ihren Unterleib hinein zu drängen. Ein heiseres Röcheln entfuhr der jungen Frau, während ihre Beine sich immer enger, Würgeschlangen gleich, um seinen Körper legten. Der von ihren Gliedmaßen ausgeübte Druck schmerzte ihn genauso, wie die Nägel ihrer Finger, welche sich in seine Schultern gruben. Darius löste seine Lippen von ihrer Haut, worauf ein tiefes Stöhnen sein Mund verließ, mit welchem er seine Fleischeslust ihr gegenüber zum Ausdruck brachte. Dieses Mal dauerte es, bis er gewillt war, sich von ihrem Körper zu lösen und auch das zuvor so beherrscht wirkende Gesicht seiner Gastgeberin wirkte auf einmal weiblich und weich auf ihn.
Ein abschließender Kuss, welchen er ihr auf die Lippen drückte, dann rollte er sich von ihrem stämmigen Leib ab, legte sich an ihre Seite und schob seinen rechten Arm unter ihren Kopf, um diesen darauf zu betten.
„Hat es ...“, er war noch völlig außer Atem, „... euch gefallen?“, fragte er sie voller Hoffnung.
Sie nickte, während ihre Augen zu dem Sternen am Himmel aufblickten, welche im Dunkel der Nacht hingen und auf sie herunter blitzten.
„Du darfst schlafen! Morgen wird es viel zu bestellen geben.“
In der Nacht
Darius fühlte das Verlangen sich zu erleichtern, gepaart mit einem heftigen Brennen, welches ihn und sein „Schwert“ plagte. Neben sich hörte er das tiefe Schnarchen der jungen Maid, welche sich auf solch eindrucksvolle Weise mit ihm vereint hatte. Für ihn gab es in diesen Moment keinen Zweifel, sie schlief tief und fest, am Nachtlager gebunden durch Morpheus Mächte.
Vorsichtig suchte Darius seinen Arm unter ihrem Haupt hervorzuziehen, was ein kurzes Knurren ihrerseits zur Folge hatte, mit welchem sie auf die Störung ihres Schlafes reagierte. Er schrak zusammen und blieb ruhig, darauf wartend, dass sie erwachte oder im Schlaf gefangen blieb.
Behutsam schlug er die dicke Wolldecke beiseite, erhob sich langsam und vorsichtig aus dem Nachtlager, kam mit Bedacht zum Stehen und wandte sich der Treppe zu. Wenn er bloß etwas sehen könnte. Das Feuer war erloschen, es hatte sich, neben dem Fackelstiel, nur wenig Holz in der Schale befunden.
Seine Augen brauchten Zeit, um sich an die Finsternis der Nacht zu gewöhnen. So schlich er langsam die Treppe hinunter, mit seiner rechten Hand nach der Hauswand tastend. Er erschrak furchtbar, als er das klagende Heulen eines Wolfes vernahm, welcher nicht weit vom Haus entfernt sein konnte.
Er lauschte angestrengt. Doch abgesehen vom Schnarchen der Hausherrin und dem Zirpen der Zikaden, herrschte Stille. So setzte er umsichtig seine Schritte, näherte sich dem Eck des Hauses und blickte am Vorratsverschlag vorbei, zur Feuerstelle rüber, die sich links hinter dem Amboss der kleinen Schmiede befand.
Es blieb ruhig und so schlich er weiter, kam um die nächste Ecke herum und trat durch das kleine Tor hindurch in den winzigen Innenhof. Seine beiden Freunde hockten nach wie vor gefesselt auf dem Boden, und suchten sich, trotz ihrer Knebel, lautstark bemerkbar zu machen.
Wieder horchte Darius. Es blieb nach wie vor ruhig. So trat er schließlich an Abraxas heran, ging neben dessen Leib in die Hocke und entfernte vorsichtig den Stoffknebel aus dessen Mund. Sofort legte Darius seinen Finger über dessen Lippen, als Zeichen, dass er schweigen sollte. Er deutete über sich und der Freund schien zu verstehen.
„Seid ja leise!“, flüsterte er dennoch.
Abraxas nickte und zog an seinen Fesseln. Die Kriegerin hatte seine Hand- und Fußfesseln miteinander verbunden, so dass er nicht einmal hätte aufstehen können.
„Mach uns los! Worauf wartest du? Wenn sie schläft, bietet sich uns eine einmalige Gelegenheit.“
Darius wirkte nach wie vor unsicher. Würde er seine Kameraden befreien, griffen diese sofort die Frau auf dem Dach an und wie das Enden würde, war ihm ungewiss. Abraxas und auch Telemach würden sie nach wie vor unterschätzen, das wusste Darius von den gemeinsamen Reisen und Abenteuern her.
„Du sollst uns losbinden, habe ich befohlen!“, herrschte ihn Abraxas an.
Darius erschrak. Der Gesichtsausdruck, seines Anführers offenbarten dessen Zorn. Er fühlte sich in diesem Moment an die Ohrfeige erinnert, welche dieser ihm gesetzt hatte. Und auch an den schmerzhaften Tritt, mit welchem Abraxas ihn in den Staub gestoßen hatte.
Getrieben von seiner Angst, welche nun sowohl der Kriegerin als auch seinen Freunden galt, schickte er sich an den ersten Riemenknoten zu lösen. Dies war im Dunkel der Nacht alles andere als einfach, selbst jetzt, wo der Schein des Mondes ein wenig die Nacht erhellte.
Sein Herz blieb stehen, nachdem er ein verhaltenes Knurren hinter sich vernommen hatte. Abraxas Augen starrten an ihm vorbei und blankes Entsetzen zeigte sich in dessen Gesichtszügen. So wandte sich auch Darius langsam zum Tor um, in welchem ein riesiger Wolf stand und seine Zähne fletschte. Seine leuchtend gelben Augen schienen wie jene eines Dämons und das tiefe Grollen seines Knurrens warnte den schlanken hageren Mann, vor jeglicher Bewegung.
„Er wird uns reißen, wenn ich dich befreie“, jammerte Darius.
Ehe Abraxas etwas antworten konnte, stopfte Darius ihm auch schon wieder den Fetzen Stoff in den Mund. Wieder wandte er sich um, doch wie von Geisterhand, war das riesige Tier verschwunden. Langsam stand er aus der Hocke auf, trat an das Tor heran und blickte ängstlich hinaus ins Freie. Doch von dem ihm so mystisch erscheinenden Monstrum war nichts mehr zu sehen.
So wandte er sich noch einmal zu seinen Freunden um, die ihn mit Knurren und Ächzen versuchten zurückzuhalten. Sollte er sie wirklich in Stich lassen? Wie würden die beiden an seiner Stelle handeln?
Darius fühlte sich an etliche Momente und Situationen erinnert, in welchen beide ihn, immer wieder aufs Neue, enttäuscht hatten. Doch gab es auch einige Erlebnisse, in welchen er ihren Beistand erfuhr. So auch während einer wilden Keilerei in einer Taverne, wo Telemach ihm beherzt beigesprungen, Rettung vor einer Messerklinge gebracht hatte. Jetzt noch, glaubte er zu hören, wie das Holz des Schemels, auf dem Kopf des Unbekannten, barst. Wahrscheinlich wäre er jetzt nicht mehr am Leben, hätte sein Freund ihm nicht in seiner Not beigestanden.
Doch anderseits, hätte er sich ohne die beiden in solche Gefahren begeben? Nein, er war sich sicher. Sie schickten ihn immer wieder aufs Neue vor und riskierten sein Leben, um das ihre reicher zu machen. Vor zwei Jahren hatten sie ihn angerufen, nach dem sie ihn, tief schlafend, unter einer Akazie liegend gefunden hatten. Seine Kräfte hatten ihn zu diesem Zeitpunkt verlassen und selbst die Furcht vor der Knute des Herrn, hatte ihn nicht dazu antreiben können, sich wieder zu erheben. Er hatte für jedes Stück Brot und jeden Schluck Wein, einem Sklaven gleich schuften müssen. Oft durch Schläge und Tritte des Patrons getrieben, welcher auf seinen riesigen Ländereien ein brutales Regiment geführt hatte. So war dieser Mann auch das Ziel der beiden Ungekannten gewesen und er zum ersten Mal zu dem Lockvogel geworden, welchen er fortan für sie zu spielen hatte.
In dem Moment, wo er wieder auf die beiden zugehen wollte, hörte er das tiefe Brummen des Tieres. Erschrocken drehte er sich auf der Stelle, doch war nur der Tisch zu sehen, welcher der jungen Frau als Anrichte für ihre Speisen diente.
So ließ er jetzt vollends das wenige an Mut fahren, welchen er noch in sich getragen hatte. Ein letzter Blick auf seine verzweifelten Freunde, da trat er schon durch das Tor hinaus, eilte um das Hauseck herum und schlich die Treppe hinauf, um sich an der Seite der Hausherrin auszustrecken, welche er friedlich schlafend fand.
Am nächsten Morgen
Darius hatte nur schwer in seinen Schlaf zurückgefunden. Auf der einen Seite reute es ihn, dass er Abraxas und Telemach keine Hilfe bringen konnte, auf der anderen fühlte er sich durch seine Angst vor der Kriegerin und deren Wolf gelähmt. Er spürte, dass diese Frau besonders war und er, wie auch seine Freunde sich in große Gefahr befanden, sollte er sich ihren Willen widersetzen. Irgendwann hatte ihn der Gott des Schlafes doch noch in sein Traumreich geführt und zusammen mit seinen Brüdern einen unruhigen und wenig erholsamen Schlaf bereitet.
„STEH AUF!“
Er schrak hoch und hätte seinen Hals beinah in die Spitze eines Speeres gerammt, im Begriff aufzuspringen. Ein ihm völlig fremd erscheinender Krieger hielt die Langwaffe auf ihn gerichtet, gekleidet in einem roten, mit stählernen Beschlägen verstärkten Panzer. Dieser besaß einen breiten Schulterschutz und kunstvoll stilisierten Bauchmuskeln. Ein mächtiger Gürtel mit dem Lambda Spartas schütze zusätzlich den Unterbauch des Gewappneten, während ein bis zu den stählernen Beinschienen herunterreichender Rock aus Lederstreifen und Ketten, den Oberschenkel Schutz bot. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, war dieses doch von einem goldglänzenden Helm verborgen gehalten worden, welcher von einem mächtigen Kamm aus schwarzem Rosshaar gekrönt wurde. Die Kammspitze zeigte einen Wolf, welcher im Angriffssprung auf den Gegenüber des Schwerbewaffneten zustürzte.
Darius vermochte es nicht, trotz der tödlichen Gefahr, in welcher er schwebte, seinen Blick von dieser stattlichen Erscheinung abzuwenden. Wie viel lakonische Drachmen musste man aufwenden, um solch ein Meisterwerk zu bezahlen? Wahrscheinlich mehr, als er jemals in seinem Leben zu verdienen in der Lage war.
„Na? Fürchtet er sich vor mir? Mir scheint meine Waffe länger zu sein, als die seinige.“
Der jetzt in einem deutlich weniger aggressiv klingenden Ton Angesprochene, erkannte sofort die Stimme der Frau wieder, mit welcher er das Lager der Nacht geteilt hatte. Es kam ihm wie ein Wunder vor, dass diese nun in dieser einzigartigen Montur stecken sollte. Dabei schien diese auch noch perfekt auf ihre Statur zugeschnitten worden zu sein.
„Ja, das kann ich nicht abstreiten“, stammelte Darius und mühte sich damit vor ihr auf seine Füße zu kommen.
„So hat deine Angst vor mir nicht nachgelassen durch die Ehre, welche dir zuteil wurde?“
Er nickte, auch wenn er sich dafür schämte, dass seine Furcht so präzise von ihr ermessen worden war.
„Gut! Denn nur deshalb bist du frei.“
Sie zeigte mit der Spitze ihres Speeres auf ein Gepäckbündel, welches er nur all zu gut kannte. Schließlich war es seine Aufgabe gewesen, dieses auf den langen Wegen zu tragen, welche er mit Abraxas und Telemach zurückgelegt hatte.
„Drei Decken, drei Teller, drei Schalen ...“
Darius begriff sofort, worauf sie hinaus wollte.
„Ihr glaubt, es könnte noch ein Dritter in der Nähe sein?“
Unter dem Helm wurde ein heiteres Lachen laut, welches gedämpft und ein wenig blechern klang.
„Nein, Malakes. Lüg mich an und du teilst das Schicksal, welches ich heute deinen Freunden zuteil werden lasse. Sprichst du aber die Wahrheit, will ich sehen, ob ich dir gegenüber Gnade kenne. Vielleicht dem Wohlgefühl der Nacht geschuldet, welches du mir gegeben hast.“
„Herrin! Ich bitte euch. Ich bin nur der Diener der beiden. Sie schicken mich vor, um die Gefahren einzuschätzen, welche im Verborgenen auf sie lauern könnten. Mein Vorgänger kam dabei ums Leben. Das Bündel welches ihr gefunden habt, ich trug es den ganzen Weg hierher. Ich habe ihnen gesagt, dass sie euch in Ruhe lassen sollten, habe ich doch den Geschichten glauben geschenkt, welche man sich über euch erzählt. Doch sie wollten auf die Leute in Kranioi und Pronnoi nicht hören und hielten sich für die besseren Kämpfer.“
„Gut, dann werde ich sie eines besseren belehren. Komm! Befreien wir sie! Hattest du doch in der Nacht nicht den Mut dazu gehabt.“
Darius schwindelte. Woher konnte sie das wissen? Hatte sie sich nur schlafen gestellt? Oder war es der Wolf, welcher ihn verraten hatte? Doch wie konnte das möglich sein?
Die Kriegerin bückte sich vor, mit ihrer rechten Hand auf den Speer gestützt, mit ihrer Linken nach einem großen Rundschild greifend. Dabei fiel Darius Blick auf ein Schwert, welches in einer rotledernen Scheide verborgen, an ihrer linken Seite hing. Zu gerne hätte er es in Augenschein genommen, wirkte doch schon dessen Schaft reich verziert und aus seltenem Material gefertigt.
„Eile dich, oder soll ich dir Beine machen?“, drohte sie ihm.
Sie ging zum Treppenabsatz und deutet mit dem Speer zur Seite.
„Los! Los! Ich freue mich schon darauf, deine Krieger kennenzulernen. Auf der Insel gibt es kaum noch welche, die sich mit mir messen wollen.“ Spott klang in ihrer Stimme mit, sie schien sich ihrer Sache sicher zu sein. Kein Wunder, denn wie sonst, hätte sie diese Schätze an ihrem Leib für sich bewahren können?
Er ging besorgt die Treppe hinunter, gefolgt von der gerüsteten Frau. Auch wenn Abraxas und Telemach ihn nie wirklich gut behandelt hatten, so war es für ihn, abgesehen von einer unbeschwerten Kindheit, noch die erträglichste Zeit seines Lebens gewesen. Selten gab es Tage, an welchen er Hunger gelitten hatte, oder sich um einer nahen Not Sorgen musste. Dafür hatte er mit seiner Würde zahlen müssen und wurde immer wieder aufs Neue Gefahren ausgesetzt, welche kaum für ihn zu überschauen waren. Vielleicht war jetzt einfach der Zeitpunkt gekommen, an welchem sie von Tyche (griech. Göttin des Glücks) verlassen worden sind?
„Nimm ihnen ihre Knebel ab, dann gib ihnen Wasser und bringe ihnen Obst. Ich möchte nicht als feige erscheinen, in dem sie mir geschwächt gegenübertreten müssen.“
Darius bestätigte der Kriegerin, dass er ihren Weisungen folgen wollte, und löste den beiden Männern die Knebel aus den Mündern. Doch die beiden schwiegen, blickten zu der Kriegerin auf und mühten sich ihre Beherrschung zu wahren. Darius fühlte die Angst seiner Freunde, sie schienen jetzt selbst zu ahnen, in welche Gefahr sie sich bei diesem Auftrag begeben hatten.
„Nimm eine Kanne und hole frisches Wasser aus dem Brunnen! Obst und Gemüse, sowie etwas Brot und Olivenöl findest du im Haus. Eile dich! Ich will nicht lange auf meinen Spaß warten müssen.“
Die braunen Augen der großen Frau blickten, durch die Sehschlitze ihres Helms hindurch, auf die beiden Söldner herunter.
„Warum zwingt ihr uns zu einem Kampf? Wir haben euch nichts getan“, wurde sie nun von Abraxas angeklagt. „Wir wussten nicht, mit wem wir es in diesem Haus zu tun haben würden und wollten vorsichtig die Lage erkunden.“
Deianiera lachte lauthals auf.
„Du brauchst mich nicht anlügen, Mann. Dein Kumpan hat mir von eurem Auftrag erzählt. Außerdem schleichen nur Mörder, Räuber oder Diebe um ein Haus herum, niemals dagegen rechtschaffene Leute.“
Telemach, der bisher die Bewaffnete schweigend gemustert hatte, äußerte sich nun ebenfalls.
„Darius lügt. Wir wollten dir nichts böses. Er trägt seine Schuld bei uns ab, wir sind einfache Soldbrüder und wollten auf der Insel nach einer Anstellung suchen. In unserer Heimat ziehen die dunklen Wolken eines sich nahenden Krieges auf, welchen wir zu entkommen suchen.“
„Söldner fliehen vor einem Krieg? Ungewöhnlich, findet ihr nicht?“, zeigte sich die Hünin interessiert.
„Nicht, wenn man das Gut seines Lebens zu schätzen weiß“, erklärte Abraxas sogleich.
„Warum sollte Darius mich anlügen?“, fragte die Frau weiter.
„Er ist gerissen und verschlagen, glaubt ihm kein Wort! Warum sonst sollten wir ihn vorschicken? Er wirkt harmlos und hat eine flinke Zunge in seinem klugen Kopf. Er wird schnell gemerkt haben, dass wir uns mit euch übernommen haben.“
Die Kriegerin lachte abermals. Was für ein Malakes (Vollidiot).
„Merkst du nicht, dass du uns verraten hast?“, herrschte Abraxas seinen Waffenbruder an. „Gerade in dem Moment, in welchem sie zu zweifeln begann.“
Deianiera schüttelte ihren Kopf, das Gespräch hatte ihr bis jetzt einigen Spaß bereitet.
„Er hat recht. Ich war wirklich kurz davor, deine Worte ernst zu nehmen.“ Sie deutete mit der Spitze ihrer Lanze auf den nahenden Darius, welcher in diesen Moment den Wohn- und Schlafraum ihres kleinen Hauses durchquerte. Flüchtig sah sich der Mann dabei um, in seiner Hand den Krug und eine Schale tragend.
„Wollt ihr euch nicht ebenfalls stärken?“, fragte der schmächtige Mann die Hausherrin.
„Ich esse nach dem Kampf. Mein Hunger nimmt sich nicht all zu groß aus im Vergleich zur Vorfreude, welche mich erfüllt.“
Darius beugte sich über seine bisherigen Kumpane und flößte ihnen vorsichtig Wasser ein. Die beide tranken gierig von dem dargebrachten Nass und ließen sich auch von ihm bereitwillig mit Obst, Gemüse und Brot füttern.
„Das reicht jetzt! Binde sie los, gib ihnen ihre Waffen, ich warte vor dem Haus auf sie.“
Darius blickte zu der Kriegerin auf, welche sich in diesen Moment umwandte und durch den Torbogen des kleinen Innenhofs hinaus ins Freie trat.
„Mögen dir die Moiren gewogen sein, Darius. Wenn wir mit ihr fertig sind, fangen wir mit dir an“, drohte Abraxas, kaum dass sie alleine waren.
Nachdem Darius den Männern die aneinandergefesselten Handgelenke gelöst hatte, schlug auch schon Telemachs rechte Faust in sein Gesicht. Ein brutaler Schmerz schien seinen Kopf zum Bersten zu bringen, während ein dichter Schleier vor seine Augen trat. Er konnte kaum noch etwas sehen, ihm schwindelte und nur mit Mühe, mit beiden Händen nach einem Stützpfeiler der Überdachung greifend, vermochte er es, auf seinen Beinen stehenzubleiben.
Abraxas indessen warf Telemach den Bogen zu. Dieser war nicht mehr gespannt, die Kriegerin musste diesen, nach dem sie die beiden Männer überwältigt hatte, entlastet haben, um dessen Zugkraft zu erneuern. Der Schütze brauchte Abraxas Hilfe, um ihn erneut für den Kampf präparieren zu können. Doch wie hatte dieses Mädchen allein dessen Sehne zu lösen vermocht?
„Hier! Dein Köcher und der Speer.“
Telemach dankte Abraxas, nickte ihm zu, bemüht seine Sorge vor dem Freund zu verbergen. Sie waren zu zweit, die Frau allein. Wenn sie es geschickt anstellten, würden sie beide ihr schon den Garaus machen können. Die beiden umfassten mit ihrer Rechten den Unterarm des anderen, dabei ihre Linke auf der Schulter des Gegenübers ablegend.
„Bist du bereit?“, fragte Abraxas seinen Freund. Dieser nickte, löste sich von ihm und legte einen ersten Pfeil in seinen Bogen ein, den Wurfspeer, mit Hilfe eines Tragriemens, auf seinem Rücken tragend.
„Ja. Gib mir die nötige Zeit auf das Dach zu steigen, dann kannst du ihr gegenübertreten“, schlug er vor.
Der Schwertkämpfer war einverstanden. Sein Kopis in der rechten Hand, ein Langmesser in der Linken, würde er die Kriegerin solange abzulenken suchen, wie Telemach an Zeit benötigte, um sie mit seinen Pfeilen zu schwächen. Es lag dann an ihm, dem Weib den finalen Stoß zu versetzen.
„Halte dich wacker, Freund. Noch ist es nicht an der Zeit für uns, dass wir dem Fährmann die Münzen zahlen“, suchte er Telemach anzufeuern.
Darius indessen hockte am Fuß des Pfahls und stöhnte unter der Last seiner Schmerzen. Die Pein in seinem Gesicht war kaum für ihn zu ertragen.
Die beiden Männer blickte verächtlich auf ihren Begleiter herunter, während sie an ihm vorbei aus dem Innenhof traten. Telemach eilte links um das Haus herum, Abraxas schlich nach rechts.
Der Kampf
Abraxas lugte vorsichtig um das letzte Hauseck herum. Er fand die Kriegerin inmitten ihres Übungsparcours, zwischen aufgehängten Sandsäcken und einer Vielzahl, deutlich ramponierter Holzpuppen. Sie dehnte ihren Körper in einem Ausfallschritt, streckte ihre Arme gen Himmel, streckte sich und griff schließlich nach ihren Waffen.
„Theios (griech. Onkel)! Führe mich in diesem Kampf und lasse mich über meine Feinde triumphieren! Lenke mich! Behüte mich! Schütze den Menschen, welcher dich immer lieben und deiner gedenken wird!“
Abraxas trat aus dem Schutz des Hauses heraus. Er näherte sich langsam der Frau, nach einem Punkt im Gelände suchend, welcher ihm im Notfall Deckung bot. Er musste diese Furie aus dem Übungsbereich herauslocken, damit sein Freund sie mit seinen Pfeilen beschießen konnte.
„Ah! Da bist du ja!“ Die Kriegerin wandte sich dem stämmigen Mann zu, welcher ihr zögerlich entgegentrat. Seine Miene wirkte ausdruckslos, der Blick seiner Augen galt einzig ihr.
Er begann um sie herumzuzirkeln, verkürzte langsam die Entfernung und suchte in die Seite der Kämpferin zu gelangen, welche nicht vom Schild geschützt wurde. Diese hielt die Spitze ihres Speeres auf ihn gerichtet und den Schild in einer merkwürdigen horizontalen Haltung, welche so keinerlei Schutz für sie bieten würde. Noch immer war sie durch die Puppen und Säcke gedeckt. Telemach würde es schwerfallen, einen Pfeil auf sie zu lösen.
Abraxas einzige Möglichkeit, nahe genug an sein Ziel heranzukommen, war es ihren Speer zu unterlaufen. Dieser hatte eine hohe Reichweite, wurde aber nutzlos, wenn man sich in unmittelbarer Nähe des Gegners befand. Ab diesem Moment würde er mit seinem Messer und Schwert dieser Soldfrau überlegen sein. Doch egal wie er um sie herumtanzte, in Ausfallschritten auf sie zusprang, die Speerspitze blieb drohend auf ihn gerichtet und die gerüstete Frau wich geschickt seinen Angriffen aus. Raum bot sich hierzu genug für sie, zumal sie sich auskannte.
Abraxas stand der Schweiß auf der Stirn. Lange durfte dieses Spiel nicht andauern. Zwar war er deutlich leichter gekleidet, als die Frau in ihrer Rüstung, doch schien diese einen längeren Atem zu haben, zumal sie ja nur reagierte und mit ihrer Kraft auf diese Weise haushaltete. Mit jedem Augenblick, der verstrich, vergrößerte sich die Gefahr, dass er zusehends an Kraft und Geschwindigkeit verlor.
Warum griff sie ihn nicht an? Warum drang sie nicht auf ihn ein? Sie hatte schon mehrere Gelegenheiten dazu gehabt, zweimal hatte er sie sogar zu provozieren gesucht und sich ihr, kaum durch seine Waffen gedeckt, angenähert. Doch die Frau hielt weiterhin Abstand, die Spitze ihrer Stangenwaffe auf seine Brust gerichtet haltend. Diese schien durch ein Band mit seinem Körper verbunden zu sein. Egal wie abrupt er sich bewegte, die Eisenspitze zeigte auf seine Brust.
Sollte er eine Ermüdung vortäuschen? Schwer fiel es ihm nicht, denn sein Handeln hatte schon einiges von seiner Kraft gefordert. Doch zuvor wollte er einen Angriff wagen, schlug mit seiner Schwertklinge nach dem Schaft der gegnerischen Waffe, drehte sich im Vollkreis und stach mit dem Messer in seiner linken Hand zu.
Sie war stehen geblieben! Diese Erkenntnis kam für ihn zu spät. Wäre sie zurückgewichen, hätte seine Attacke fruchten können, so aber prallte er gegen die auf ihn gerichtete Kante des Rundschilds, welche mit einem dumpfen Ton auf seine Brust drückte. Die Luft wich aus seiner Lunge, Sterne traten vor seine Augen, für den Augenblick schien er unfähig, nach Luft zu ringen.
Verzweiflung kam über ihn, erwartete er doch jeden Moment den Lanzenstoß, welcher ihn aus dem Leben riss. Hatte er Münzen dabei, welche man für den Fährmann auf seine geschlossenen Augen legen konnte?
Es gelang ihm gerade so auf seinen Beinen stehen zu bleiben. Taumelnd, die messerführende Hand gegen seine Brust drückend, blickte er zu der Kriegerin auf, welche ihn, mit der Speerspitze auf ihn zeigend, erwartete. Sie schien völlig ruhig zu sein und ihn nicht wirkliche als Bedrohung anzusehen.
Doch wer schlich da hinter ihr durch die Büsche? Abraxas wollte seinen Augen nicht trauen. Telemach hatte seine Position auf dem Dach verlassen und suchte jetzt nach einer Möglichkeit, seinen Pfeil aus nächster Nähe auf das Weib zu lösen. Diese schien den Bogenschützen nicht bemerkt zu haben, waren doch ihre Augen nach wie vor auf ihn gerichtet. So spielte sie mit ihm ihr böses Spiel und würde gleich ihren Hochmut bereut haben.
Abraxas war erfahren im Kampf. Er hatte schon eine Vielzahl an Aufträgen abgeschlossen und war stets mit auftretenden Überraschungen fertig geworden. So würde es auch jetzt sein, schien sich doch dieses Frauenzimmer ihrer Sache zu sicher. Nie sollte man seinen Gegner unterschätzen. Selbst dann nicht, wenn man glaubte, ihn bereits geschlagen zu haben.
Abraxas suchte auf Abstand zu gehen, worauf ihm die Kriegerin zum ersten Mal folgte. So trat sie aus der Deckung eines aufgehängten Leinensacks heraus, woraufhin Telemach einen Pfeil auf sie schoss. Gleichzeitig bot der Schwertkämpfer all seine Kräfte auf und stürmte auf die Kriegerin los, welche dem Pfeil durch eine seitliche Drehung auszuweichen suchte.
„KLONG!“
Welch banaler Ton, wenn die Klinge auf ein Schild schmetterte. Abraxas Handgelenk schmerzte wegen des abrupten Widerstands, so hart hatte er seinen Hieb zu führen gesucht.
„SCHIEß WEITER!“, schrie Abraxas, woraufhin Telemach hastig seinen nächsten Pfeil bereitzumachen suchte.
Der Kopf der amazonengleichen Frau richtete sich auf einen Punkt, welcher genau zwischen den beiden Männern lag. Diese suchten den Winkel zu vergrößern, damit zumindest einer von ihnen in ihren Rücken gelangen konnte. Die schien sich dieser Gefahr bewusst zu sein und wich in die Richtung ihres Hauses aus. Für die beiden Söldner ein ungünstiger Umstand, würde sie doch dessen Mauern, als Deckung nutzen können. Wieder schoss der Schütze einen Pfeil ab, welcher mit einem surrenden Geräusch auf die Frau zuraste. Diese aber brachte ihren Schild rechtzeitig zwischen sich und dem Geschoss, gleichzeitig mit dem Speer nach Abraxas stechend, der wieder auf sie einzudringen suchte.
Sie stand unter Druck und reagierte. Dessen waren sich die beiden Männer klar geworden. „WEITER!“, rief Abraxas, worauf Telemach hastig einen neuen Pfeil in die Sehne seines starken Bogens einzulegen begann.
Darius hatte aus sicherer Entfernung den Kampf der drei verfolgt. Sollte er darauf Einfluss nehmen? Oder abwarten, welche Seite den Streit für sich entschied? Rasend schnell schossen ihm die Gedanken durch den Kopf. Die Erinnerung an Abraxas Warnung, die für ihn folgenlos gebliebene Erkenntnis der Kriegsfrau. Wenn er jetzt handelte und sich richtig entschied, würde vielleicht sein Schicksalsfaden künftig von den Moiren mit Tyches Segen geflochten werden.
Er würde der Frau beistehen und sich so aus der Abhängigkeit der beiden Schergen lösen. Selbst dann, wenn dies deren Tod bedeuten sollte. Vorsichtig seine Schritte setzend, schlich er die Mauer entlang, vorbei an dem Hauseingang. Die Kriegerin hatte indessen erneut einen Pfeil Telemachs mit ihrem Schild abgewehrt und den Schwertkämpfer mit ihrem Speer auf Abstand gehalten, welcher neuerlich auf sie einzuschlagen versuchte. Sie stand jetzt mit ihrem Gesicht ihm zugewandt, doch keine ihrer Reaktionen deuteten darauf hin, dass sie ihm Beachtung schenkte.
Darius ging in die Hocke, hob mit beiden Händen einen schweren Stein auf und näherte sich weiter dem Bogenschützen an, nachdem er mühsam wieder auf seine Beine zum Stehen gekommen war. Trotz seiner Furcht wollte er jetzt keinesfalls von seinem Plan ablassen, denn Telemach hielt, ein Dutzend Schritte entfernt, seinen schussbereiten Bogen auf die Kriegerin gerichtet. Viele Pfeile steckten nicht mehr in seinem Köcher. So oder so, würde die Entscheidung nicht mehr lange auf sich warten lassen.
„SCHIEß AUF SIE! DAS MUSS EIN ENDE HABEN!“, brüllte Abraxas, der nach wie vor verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, seine Gegnerin anzugreifen. Doch die ließ sich nicht beirren und blieb in der Mitte der beiden, immer wieder Bäume, Felsen und Übungsgeräte zwischen sich und den Bogenschützen bringend.
Telemach, getrieben durch die wütenden Worte seines Freundes, fand dennoch eine Möglichkeit und wollte den Pfeil gerade auf sein Ziel abschießen, als er hinter sich ein Knacken vernahm. So riss er seinen Bogen herum, mit dem eingelegten Geschoss auf die Brust Darius zielend, welcher einen großen Stein mit beiden Händen über seinen Kopf stemmte. Doch in dem Moment, in welchem der Bogenschütze die Sehne seiner Waffe vorschnellen lassen wollte, traf ein gewaltiger Stoß seinen Körper. Er bekam keine Luft mehr, und sein Hals schien sich mit Flüssigkeit zu füllen, welche in seinem Innersten aufstieg. Erschrocken blickte er an seinem Leib herunter, während ein Nebel vor seine Augen trat, welcher zusehends dichter wurde. So konnte er die Spitze des Speeres noch erkennen, welche seinen Leib durchdrungen haben musste, fühlte seine Beine dem Gewicht seines Körpers nachgeben, als die Finsternis über ihm kam. Tod! Diese Erkenntnis war seine Letzte.
Ein Schrei durchdrang die Luft. Abraxas war außer sich, stürmte auf die Kriegerin zu und schlug mit seinem Schwert nach deren rechte Schulter. Doch diese tänzelte auf der Stelle, drehte sich um die Hälfte eines Kreises, wich ihm aus und ließ erneut den Rand ihres Schildes gegen seinen rechten Oberarm prallen. Zeitgleich hatte sie mit der Rechten nach dem Schwertschaft gegriffen und zog jetzt die Hieb- und Stichwaffe aus deren Scheide heraus.
Jetzt war Abraxas derjenige, welcher sich ihrer Angriffe erwehren musste. Immer wieder drang die Schwerbewaffnete auf ihn ein, sowohl den Schild als auch ihr Schwert bei ihren Angriffen nutzend. Anfangs ihre Hiebe und Stiche noch parierend, fiel es dem Kämpfer immer schwerer, der zunehmenden Geschwindigkeit ihres Handelns zu folgen. Ein intensiver Schmerz legte sich über die linke Seite seines Körpers, gefolgt von einem heißen Brand, welcher in seine rechte Schulter fuhr. Dabei öffnete sich wie von selbst seine Hand, in der er sein Schwert gehalten hatte, woraufhin die Waffe mit einem klirrenden Ton zu Boden fiel.
Tränen der Verzweiflung in seinen Augen, suchte er ihren Angriffen mit dem Messer zu begegnen, der Aussichtslosigkeit seiner Lage gewiss. Doch seine Gegnerin schien ihren Spaß mit ihm zu haben und verwundete ihn, mit einem gewaltigen Schildstoß gegen seinen linken Schenkel.
Abraxas kippte zur Seite, fiel mit dem Oberkörper voran zu Boden und schien in diesen Moment erleichtert. Gleich würde es vorbei sein und er von all den Anstrengungen dieses Kampfes, aber auch denen seines Lebens befreit werden.
„Telemach! Ich folge dir nach, mein Freund“, flüsterte er kaum hörbar.
Abraxas überlebt
Doch anstatt ihm die Klinge ihres Kopis in sein Leib zu treiben, trat die Frau mit ihrem Fuß nach seinem Messer, worauf dieses über den Boden schnellte. Abraxas bemerkte jetzt die von stählernen Beinschienen geschützten Unterbeine der Kriegerin direkt neben seiner rechten Schulter, welche sich zur Hocke anwinkelten. Sie wollte ihn wohl näher in Augenschein nehmen, bevor sie ihn in den Hades schickte.
„Du!“ Wandte sich die Kriegerin an Darius. „Hol mir Wasser und eine Schale mit Wundwerkzeug, welche auf dem Tisch im Haus steht. Gleich zu deiner Linken, wenn du durch die Tür getreten bist.“
Darius zeigte ihr an, dass er verstanden hatte, eilte zum Haus und sah, wie die Frau ihren mächtigen Helm von ihrem Kopf herunter zog. Sie schien sich um Abraxas sorgen zu wollen und das, obwohl dieser noch vor wenigen Augenblicken sie zu Tode bringen wollte. Ihr Vorhaben gefiel Darius nicht, fürchtete er doch den Zorn Abraxas noch immer, was dem Umstand geschuldet war, dass er Telemach in einem entscheidenden Moment von der Kriegerin abgelenkt hatte.
Sein Blick fiel auf die Schale, griff nach ihr und nahm einen großen Krug zur Hand. Beides trug er nun zu der Frau zurück, welche sich über ihren verwundeten Gegner gebeugt hatte. Sie tastete den Körper Abraxas ab, lösten den Stoff von dessen Umhangs aus einer weit aufklaffenden Wunde und wandte sich Darius zu, welcher in diesen Moment an ihre Seite trat.
„Erhitze das Wasser über dem Feuer, bis es kocht! Dann komm mit ihm wieder zu mir. Beeile dich. Wir haben nicht viel Zeit.“
Er folgte wie von selbst ihren Befehlen, haderte nicht damit und fühlte sich von einer Last befreit, welche er bis zu diesen Morgen getragen hatte. Das Zusammenleben mit Abraxas und Telemach war für ihn demütigend und beschwerlich gewesen. Auch wenn sie ihn einen Kameraden genannt hatten, so hatten sie ihn dennoch geschunden und geschlagen, wenn er gezögert hatte, ihren Anordnungen Folge zu leisten. Oft war er sich vorgekommen wie der schwächste Tier in einem Rudel Wölfe.
Nervös wartete der hagere Mann neben der Feuerstelle. Es war beschwerlich gewesen das vom Morgentau feuchte Holz zum Brennen zu bringen und beißender Rauch war dabei in seine Augen gestiegen. Er fürchtete sich, die Herrin zu verärgern, in dem er zu viel Zeit verstreichen ließ. Doch was half es? Nur mit Mühe fanden die Flammen im feuchten Holz ihre Nahrung und es gab nicht genug Hitze, welche das Wasser im Krug zum Kochen bringen konnte.
„Wo bleibst du? Er wird sterben, wenn ich nicht bald die Wunde säubern kann.“
„Entschuldigt, aber das Holz ist nass geworden“, rief Darius zurück.
„Dann hole Trockenes aus der Hütte, Malakes!“
Röte stieg in Darius Gesicht. Er hätte von selbst auf diese Möglichkeit kommen müssen. So eilte er durch den Hinterhof zurück in die Kammer, nahm dort etliche Scheite von einem Stapel herunter und hastete mit diesen zu der Feuerstelle zurück. Sorgsam schichtete er dabei das Holz zur Pyramide und endlich wuchsen die Flammen zur gewünschten Größe an.
„Hier, Frau!“
Darius kniete sich neben der Kriegerin auf den Boden, welche mit ihrer linken Hand in die Wunde des Verletzten hinein gegriffen hatte. Warum sie das tat, konnte er nicht verstehen.
Abraxas blieb stumm, sein Gesicht hielt er von ihnen abgewendet. Hatte er sein Bewusstsein verloren? War er überhaupt am Leben?
„Mach das Messer glühend. Schnell!“, herrschte die Kriegerin ihn an.
Auch aus dem Mund der Frau schien es nur Befehle für ihn zu geben. War es sein Schicksal, dass er anderen Menschen zu folgen hatte? In diesen Moment verlor er die zuvor empfundene Unbeschwertheit. Vielleicht dämmerte es ihn jetzt, dass sie nicht anders war, als diejenigen, welche bisher über sein Leben bestimmt hatten.
„Los, eile dich! Wenn er stirbt, werde ich dir die Schuld an seinen Tod geben, sei dir dessen gewiss.“
Angst überkam ihn. Hastig raffte er sich auf, suchte nach dem Messer, welches irgendwo vor ihm liegen musste und fand es schließlich im niedergetrampelten vertrockneten Gras. Er hob es auf und eilte zurück zur Feuerstelle, wo er die Klinge zwischen die Scheite schob. Ungeduldig wartete er darauf, dass das Metall seine Farbe veränderte, doch dies geschah nur langsam, und mit der verstreichenden Zeit wuchs seine Furcht vor der Drohung der Kämpferin.
„WIE LANGE BRAUCHST DU NOCH? ICH KANN NICHT EWIG DIE ADER GESCHLOSSEN HALTEN.“
„ES WILL NICHT GLÜHEN“, suchte sich Darius zu rechtfertigen.
„KOMM HER! ES WIRD SCHON GEHEN!“
Er zögerte keinen Wimpernschlag, riss die Klinge aus dem Feuer heraus und lief zu der Frau zurück, welche eine wundersame Wandlung von einer Söldnerin zur Wundheilerin vollzogen hatte. Eine Veränderung, deren Geheimnis er für sich unbedingt zu lüften beabsichtigte.
Sie nahm in einer hastigen Bewegung das Messer aus seiner Hand und hielt die heiße Klinge über die Wunde.
„Halte sie auf!“, forderte sie von ihm. Erst begriff er nicht, was sie von ihm verlangte, doch dann zog er dieWundränder auseinander
Rauch stieg auf, sowie der Duft versengten Fleisches.
Darius fragte sich in diesen Moment, wie Menschenfleisch schmecken könnte, so deutlich stieg ihm der Bratengeruch in die Nase. Er schämte sich sogleich dafür und suchte umgehend nach anderen Gedanken in seinem Kopf.
Die Frau indessen ließ von dem Verletzten ab und blickte zu ihm rüber.
„Gut, vielleicht schafft er es. Ich werde noch ein paar Kräuter suchen, dann sollte er es mit Asklepios (griech. Gott der Heilkunst) Segen schaffen.“
Die Frau stand auf und deutete auf die Füße des Verletzten.
„Tragen wir ihn in die Hütte und betten ihn auf mein Schlaflager. Du wirst bei ihm bleiben, bis ich wiederkomme!“
Sie hoben den Verletzten gemeinsam an, umfasste dessen Oberkörper, während er nach Abraxas leicht zu tragenden Fußgelenken griff. Vielleicht war sie gar keine irdische Frau? Die ihr innewohnende Kraft kam ihm nicht mehr natürlich vor.
„Führe ihm immer wieder Wasser zu! Tauche am besten dazu ein Tuch in den Krug und benetzte anschließend seine Lippen damit. Lege ihm die Hand auf die Stirn, sollte er fiebern, müssen wir ihm kühle Wickel anlegen.“
„Woher wisst ihr, wie man ihm helfen kann?“
„Mein Onkel war ein gebildeter Mann, er lehrte es mich“, beantwortete sie für ihn überraschend seine Frage.
Das grobe Gesicht der Frau zeigte ihm ein Lächeln. Dann wandte sie sich um, trat aus der Tür heraus und eilte den Weg entlang, in Richtung des kleinen Steges, welcher über den Graben führte. Darius folgte ihr mit seinem Blick, bis sie hinter der Einfriedung verschwunden war und widmete sich dann Abraxas. Jetzt, in diesen Moment, würde es ihm ein Leichtes sein, ihn aus der Welt zu schaffen.
Doch ihm fehlte es jetzt an Mut. Immer dann, wenn er alles auf eine Karte zu setzen suchte, mangelte es an dem letzten Quäntchen Entschlossenheit. Kein Wunder, dass er es nicht vermochte seinem Leben eine Wendung zu geben.
So tat er das, was die Kriegerin ihm aufgetragen hatte, kühlte die Stirn des Verletzten und führte diesem, in kleinen Mengen, Wasser zu. Es verstrich einiges an Zeit, bis Abraxas zu sich kam und sofort unter der Last seiner Schmerzen zu stöhnen anfing.
„Warum ...“, Abraxas kämpfte um jedes Wort. Er war stark geschwächt und sein rechter Arm zitterte. „ ... warum?“ Er blickte zu Darius auf, doch dieser wusste nicht, welche Frage ihm Abraxas zu stellen suchte.
„Bleibe ruhig! Du brauchst Kraft, willst du diese Wunde überleben.“
Abraxas blickte verständnislos zu ihm auf, dann zog er seine Brauen zusammen.
„Duuuuh!“, stöhnte er leise. „Schuld!“ Er hob seinen linken Arm und versuchte damit auf Darius Brust zu deuten.
Darius stand von der Seite Abraxas auf und blickte sich in der dunklen Kammer suchend um. Trotz des wolkenlosen Himmels und einer fleißigen Sonne, drangen nur wenige Lichtstrahlen in das Innere des Häuschens. So hielt man die Hitze daraus fern und es herrschte jetzt, trotz der sommerlichen Hitze, darin eine wohlige Kühle.
Wieder dachte er an die Decke. Würde er Abraxas die Atemluft nehmen, konnte er der Hausherrin erklären, dass dieser aus seiner Ohnmacht nicht mehr erwacht sei. Doch in dem Moment, in welchem er nach dem Wolltuch greifen wollte, trat aus seiner Erinnerung der Wolf. Wenn dieser in der Nähe war, würde sie sein Handeln durch dessen Augen beobachten. So und nicht anders musste es in der Nacht geschehen sein.
Anstatt dem Mann, welchen er gestern noch Freund und Kamerad genannt hatte, zu ersticken, legte er das Tuch über dessen vom Kampf so schwer verwundeten Körper. Nicht auszudenken, wenn sie ihn bei solch einer ruchlosen Tat beobachtet hätte.
Unsicher blickte er sich um, jetzt, in diesen Moment, fühlte er sich durch sie überwacht. War sie ein sterbliches Wesen? Und was hatte es mit ihrem Onkel auf sich? War dieser ein Bote des Olymps? Gab es nicht viele Halbgötter? Herakles? Achilleus? Auch Perseus kam ihm sofort in den Sinn. Doch gab es eine Frau unter ihnen? Er konnte sich nicht darin erinnern, jemals von einer Halbgöttin gehört zu haben. Aber vielleicht war es gerade deshalb wahrscheinlich? Könnte es den Göttern langweilig geworden sein, ausschließlich Männer in die irdische Welt hineinzugebären? Oder eine der Götterfrauen wollte ihrerseits eine Abgesandte zu den Sterblichen entsenden.
Er hörte Schritte vor dem Haus und sah die Soldatin sogleich durch die Tür treten. Sie drückte ihm wortlos ein Fläschchen in die Hand, dann beugte sie sich über den Verwundeten. Geschickt löste sie die Verbände, bedeckte die Wunde mit einer schwarzen Paste und blickte dann auf das vom Schmerz gezeichnete Gesicht Abraxas herunter.
„Hat er etwas gesagt?“
Darius nickte.
„Ja, er hält mich für einen Verräter.“
Sie wandte sich ihm zu, betrachtete ihn aufmerksam, dann hörte er ihr heiseres Lachen.
„Was ja auch stimmt. Du bist feige, Darius. Eine Eigenschaft, welches einem nicht zur Ehre gereicht, aber zumindest überleben lässt. Und du hast erkannt, wer den Kampf gewinnen würde und dich für die richtige Seite entschieden. Von daher sei glücklich über diesen Ausgang.“
Darius nickte zaghaft.
„Wie ist euer Name, Frau?“
Sie hatte sich wieder über den Verwundeten gebeugt, senkte ihren Kopf auf dessen Brust ab und schien zu horchen.
„Sein Herz schlägt langsam aber stetig. Ich denke er wird wieder gesund.“
Sie drehte sich erneut zu ihm um und ließ sich von ihm das Fläschchen reichen.
„Deianiera ist mein Name. Doch dürfen nur freie Menschen mich so anrufen. Dieser Mann hier und auch du, Darius, seid fortan meine Sklaven. Von daher wirst du mich ab jetzt Afentra nennen.“
Darius blickte sie erschrocken an. Selbst der Patron, welcher von Abraxas und Telemach so schwer verstümmelt worden war, hatte es nicht gewagt, ihn so zu nennen.
„Aber mit welchem Recht? Ich habe euch doch geholfen. Ohne mich ..., der Pfeil.“, stammelte er.
„Und du glaubst wirklich, ich hätte den Kampf ohne deine Hilfe nicht für mich entscheiden können? Sei kein Narr! Es hätte ein paar Wimpernschläge angedauert, bis ihr drei im Sand verblutet wärt. Füge dich deinem Schicksal, rate ich dir. Ich behandel das, was ich besitze, gut.“
„Aber ich bin als freier Mann geboren. Das Gesetz ...“
Die Frau lachte auf, so laut, dass es ihm in den Ohren schmerzte.
„Gesetz? Welches? Das Kraniois? Das von Pale? Oder meinst du jenes der Polis Athen oder Sparta? Ich gebiete über dich, weil du dich auf meinem Land bewegst, mir schaden wolltest und meinem Willen unterliegst. Also kein Wort mehr, oder ich strafe dich.“
Darius sah Sterne vor seine Augen treten. Er glaubte, der Sinn seines Lebens hätte sich vollständig verflüchtigt.
Darius, der Sklave
Den Blick zum Himmel gerichtet, betrachtete Darius den Mond. Dieser war voll geworden, seit der Nacht, in welcher er zum ersten Mal auf diesem Dach genächtigt hatte. Die Afentra hatte ihn am gestrigen Abend an ihrer Seite einschlafen lassen, ohne dass sie das Schwert, wie sie sein Gemächt nannte, zu ihrem Vergnügen verwendet hätte. Er war voller Zweifel deshalb, fürchtete er doch, das ihr Interesse an ihm nachgelassen haben könnte.
Seine Hand tastete nach seinem Hals, an welcher er fortan einen Kupferring zu tragen hatte. Es stand ihr Name darauf, zum Zeichen, dass er ihr gehörte. Sklave! Noch immer konnte er nicht glauben, dass ein Mensch, über alles was sein Leben ausmachte, bestimmen durfte. Noch dazu eine Frau!
Darius glaubte, die Hammerschläge zu hören, welche in sein Ohr drangen, während die Afentra den heißen Niet durch die Ösen des metallenen Halsbandes trieb. Ein jeder der Schläge schien ihn zu verhöhnen und die Last seines neuen Lebens zu verdeutlichen. Dabei fühlte er den Druck ihrer Sandalensohle in seinem Genick mit welcher sie ihn auf den Ambos herunter gedrückt hatte.
„Schlaf jetzt!“, hörte er leise ihre Stimme.
Darius schloss sofort wieder seine Augen. Es war nicht das erste Mal, dass sie in seine Gedanken sah, wie er glaubte. Er fürchtete ihre Macht, fühlte sich ihr gegenüber ohnmächtig und sorgte sich über jeden kommenden Tag.
„Stehe auf! Stärke dich, dann hacke Holz und bereite mir mein Essen. Ich gehe solange ans Meer und bade im Wasser meinen Körper.“
Darius bestätigte, dass er ihre Weisungen vernommen hatte, und erhob sich sofort aus dem Nachtlager.
„Darf ich auch Abraxas eine Morgenmahl bereiten, Afentra?“
Es ärgerte Darius, dass er mittlerweile wie selbstverständlich dieses Wort benutzte.
„Tue das. Wir versuchen, später mit ihm ein paar Schritte zu gehen, gelingt es uns, lege ich ihn in Ketten. Ich bin mir, anders als bei dir, seiner nicht sicher. Besser ich verkaufe ihn, bevor er meine Sorge um ihn mit einer Dummheit zu vergelten sucht.“
„Wohl, Afentra.“ Erwiderte Darius erleichtert. Es würde ihm leichter werden, wenn er seinen ehemaligen Kumpan nicht mehr in seiner unmittelbaren Nähe wusste.
„Und seine Hand? Schmälert sie nicht seinen Wert als Sklave?“
Darius erinnerte sich an die Vielzahl klagender Worte, welche ihn Abraxas ständig zugerufen hatte. Der einst so kräftige Mann konnte seine Rechte nicht mehr schließen und seinen Arm nur mit äußerster Anstrengung bewegen. Er war im Kampf mit Deianiera zum Krüppel geworden.
„Auch deshalb die Ketten. Wenn ich ihn darin einschließe, wird der Käufer seinen Makel nicht bemerken“, erklärte ihm die Herrin bereitwillig.
„Ist das nicht Betrug?“, gab Darius zu bedenken.
„Ich behaupte ja nicht, dass er gesund ist.“
Sie lachte und eilte, fröhlich pfeifend, die Treppen herunter. Darius Augen folgten ihr, dann wandte er sich zu den Bergen um, hinter deren Kamm, die Sonne als Halbrund sichtbar wurde. Er streckte sich, tastete gedankenverloren nach seinem Sklavenreif, dann raffte er sich auf, um seinen beschwerlichen Tag zu beginnen. Sie würde ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, solange bis er endlich wieder die Augen zur Nacht schließen durfte.
Deianiera besaß ein rastloses Wesen. So schwamm sie am Morgen im Meer, trotzte dabei spielerisch den Gefahren Poseidons, lief den Strand entlang und kletterte einen Fels empor, der an dem Anwesen, auf welchem ihr Haus stand, angrenzte. Von dort aus blicke sie, nackt wie die Göttinnen sie erschaffen hatten, ins Land hinaus, rekelte sich in den Strahlen der Sonne und sprang hinab in den Hof, dessen Boden sich vier Meter unter ihr befand. Jeder andere Mensch hätte sich schwer verletzt, doch sie kam sofort wieder zum Stehen und störte sich nicht an dem Staub, welcher ihre noch feuchte Haut bedeckte.
Nackt wie sie war, kam sie um das Haus herum, gesellte sich zu ihrem neuen Diener und linste über dessen rechte Schulter hinweg nach ihrer Mahlzeit. Er verstand sich auf diese Aufgabe ganz gut, viel besser, als sie es von ihm erwartet hatte.
So wanderten ihre Augen über pralle Oliven, leckeren Ziegenkäse, einen am Vortag gebackenen Leib Brot und einer Vielzahl Obst, welches Darius sorgsam für sie zugeschnitten hatte. Dazu reichte er ihr geröstetes Fleisch vom Schwein.
Ihr linker Arm legte sich über seine schmächtigen Schultern, während ihre nackte Brust gegen seinen Rücken drückte. Gierig griff sie nach ein paar Feigen und führte eine von ihnen an ihren Mund.
Darius blieb, wo er war, wusste er doch, dass die Afentra seine Nähe in solch einem Moment wünschte.
„Würde ich nicht bluten, ich hätte Lust auf dich.“ Sie lächelte und biss gierig in die Feige, dann wandte sie sich auch schon ab, blickte auf die Bucht herunter, welche sich gen Norden unterhalb ihres Hauses erstreckte und blieb in Gedanken, während sie weitere Früchte zu sich nahm.
„Iss selbst, dann schaffe Ordnung. Später werden wir mit Abraxas einen ersten Versuch wagen.“
„Das will ich tun, Afentra“, gab sich Darius devot, griff nach einem Stück Brot und etwas Käse und setzte sich auf dem Schemel an der Feuerstelle. Dieser war zu seinem Platz geworden, während seine Herrin geschickt an einem neuen Sitzmöbel zu arbeiten begann. Es sollte ein bequemer Stuhl werden und Darius hatte damit aufgehört, sich darüber zu wundern, dass sie sich auch auf dieses Handwerk verstand.
„Afentra?“
Die Frau brauchte einen Moment, um sich aus ihren Gedanken zu lösen, strich mit ihrer Hand über ihren Schoß, dann blickte sie zu ihm rüber.
„Was willst du?“
Darius reute es, dass er es gewagt hatte eine Frage an sie zu richten. Doch jetzt war das Verbrechen begangen und so konnte er nicht mehr zurück.
„Wenn ich euch fleißig diene, lasst ihr mich dann frei?“
Sie blickte ihn verdutzt an, dann brach auch schon ein heiteres Lachen aus ihr heraus.
„Du glaubst, dass du entscheidest, ob du fleißig bist oder nicht? Du bist ein Sklave, eine Sache, ein Werkzeug, nichts sonst. Ich treibe dich an, solltest du meinen Ansprüchen nicht genügen und wenn ich deiner überdrüssig bist, verkaufe ich dich. Hast du das verstanden?“
Tränen standen dem hageren Mann in den Augen, jedes einzelne Wort aus ihren Mund hatte ihn wie ein Peitschenhieb getroffen.
Sie sah es, dann wandte sie sich auch schon wieder von ihm ab. Ihr Blick war wieder auf das Meer gerichtet und ihre Gedanken nahmen ihren Lauf.
„Nur mal aus Interesse. Wenn ich dich frei lassen würde, was glaubst du würde mit dir passieren?“
„Ich könnte selbst darüber entscheiden, wohin ich gehen möchte“, wimmerte er.
Wieder lachte sie schallend auf. Sie hielt sich sogar ihren Bauch dabei und beugte sich vor, vergebens um ihre Fassung kämpfend.
„Du entscheidest?“ Meinte sie schließlich zu ihm. „Nein, Sklave. Dein Hunger entscheidet, dein Durst. Du besitzt kein Land, also wirst du zu jemanden gehen, der welches besitzt. Dort verdingst du dich bei einem Bauer, vielleicht auch einem Handwerker in einem der Orte, um genau diese Verlangen zu stillen. Bist du aber dann frei, frage ich dich?“
Er zögerte. Ihre Worte begannen bei ihm Wirkung zu zeigen, egal wie sehr er sich auch gegen ihre Bedeutung zu wehren suchte.
Weißt du, Sklave, Freiheit besitzen diejenigen, welche ihr Leben selbst bestreiten können. Menschen die stark, gesund und dazu in der Lage sind, ihre Bedürfnisse selbst zu befriedigen. Von daher bin selbst ich nicht frei, brauche ich doch das Liebesschwert meines Sklaven, um mein Verlangen nach einem Mann zu stillen, habe ich Recht? Sie lachte heiser.
Ich weiß mich zu verteidigen, jage Beute, fange Fisch und baue Obst und Gemüse an. Ich brauche niemanden zum Leben, im Gegensatz zu dir. Deshalb bin ich frei und du mein Sklave. Verstehst du jetzt? Sei froh, dass es so gekommen ist, rate ich dir. Denn ich biete dir Schutz und Auskommen an. Ein Gut welches auf dieser Insel nicht selbstverständlich ist.
Er nickte, zu einer anderen Entgegnung war er nicht im Stande.
Sie störte sich nicht daran, er würde sich schon an seinen Stand gewöhnen. Freiheit? Was für ein Malakes.
„Was, wenn ihr mich das alles lehren würdet? Dann wäre ich doch frei.“
Deianiera schüttelte ihren Kopf, eilte zu ihm rüber, griff mit ihrer Linken in sein langes dichtes Haar und schmetterte ihm ihre Rechte in sein Gesicht.
„Gib dich zufrieden, rate ich dir! Verliere nicht den Respekt. Es herrscht eine Ordnung zwischen uns, welche ich zu wahren weiß.“
Darius weinte wieder, senkte seinen Kopf, wagte es nicht, seine getroffene Wange zu reiben. Diese brannte furchtbar und ein starker Schwindel vernebelte seine Sinne. Eine so heftige Ohrfeige, hatte selbst Abraxas ihm nicht schlagen können.
„Geh an deine Arbeit, du hast genug!“, herrschte sie ihn an.
Darius nickte, raffte sich auf und legte sein Brett mit dem Essen auf den Boden ab. Sie hingegen trat an die Esse, blickte sich um und traf Vorbereitungen für ihr Tagwerk.
Abenteuer im alten Griechenland
von
Japakl
Bloß eine Frau
Abraxas, ein mittelgroßer stämmiger Geselle, schlich vorsichtig an das Gatter heran, durch welches man den Flechtzaun durchqueren musste. Vorsichtig lugt er über die Pforte hinweg, rüber zu dem fünfzig Schritt weit entfernten Häuschen. Schon schickte er sich an, das Gatter zu öffnen, als sich eine feingliedrige Hand über seine linke Schulter legte.
„Hältst du es für klug, Abraxas, das Haus zu betreten, ohne zuvor unser Ziel entdeckt zu haben?“
Der Angesprochene wandte sich seinem hageren Begleiter zu, welcher, wie schon so oft in ähnlichen Situationen, ihm deutlich seine Angst offenbarte. Sein vom Vollbart geprägtes, rundes Gesicht zeigte ein breites Grinsen.
„Ich habe schon darauf gewartet, das dir vor lauter Angst die Scheiße zwischen die Füße fällt. Du wirst vorgehen und die Schlange in ein Gespräch verwickeln, dann wissen wir genau, womit wir zu rechnen haben.“
Sein Kumpan wich ein Schritt zurück und blickte Abraxas entgeistert an.
„Du schickst mich vor? Nach allem, was wir in Kranioi von dieser Frau gehört haben?“
Abraxas schüttelte seinen Kopf und zeigte sich bemüht dem Komplizen seine Sorge zu nehmen.
„Glaubst du wirklich, diese Frau könnte eine furchtbare Kriegerin sein? Wie, bei Zeus, sollte das möglich sein? Frauen haben weder genug Kraft, noch Geschicklichkeit, es mit einem entschlossenen Mann aufzunehmen.“
„Und warum hat sie dann schon so viele Aufträge abgeschlossen? Sie gilt als die mächtigste Söldnerin der ganzen Insel.“
„Und wir in Messenien. Außerdem kennst du doch das Gefasel der Leute. Sie reden viel und sagen wenig. Interessant gemacht haben sie sich. Uns Märchen aufgetischt, an welche sie vielleicht selbst glauben wollen, weit entfernt von der Wahrheit. Nimm nicht immer alles für bare Münze Darius! Vertrau mir! Wir erledigen den Auftrag, holen in zwei Tagen die Belohnung ab und nehmen das nächste Schiff. Auf dieser Geröllinsel mag ich nicht länger aushalten, als es unbedingt nötig ist.“
Kurz entschlossen griff er in die Zugschlaufe der Pforte, um diese aufzuziehen, doch diese hing nur noch an einer Angel, worauf sie mit einem lauten Krachen zur Seite kippte.
Nicht nur Darius Körper fuhr vor Schreck zusammen, auch Abraxas zeigte sich nervös und blickte besorgt zu dem Haus hinüber. Dort bemerkten sie jetzt den Schein einer Fackel, welcher immer deutlicher in der hereinbrechenden Dunkelheit erkennbar wurde. Diese musste irgendwo an der Rückseite des Hauses brennen, konnten die beiden sie doch nicht ausmachen.
„Geh jetzt und verwickel die Frau in ein Gespräch. Ich werde mich anschleichen und sie hinterrücks niederschlagen.“
Darius verneinte zum Erstaunen seines Kameraden und weigerte sich, den ihm fremden Boden zu betreten.
„Hast du an den Wolf gedacht, welchen sie besitzen soll? Er wird dich wittern und reißen, ehe du seine Besitzerin erreicht hast.“
Abraxas seufzte, blickte zu seinem hochgewachsenen, dünnen Freund auf und schlug diesem dann, wie aus dem Nichts kommend, kraftvoll seine Rechte ins Gesicht. Es klatschte laut und beide Männer duckten sich hektisch hinter den Zaun.
Darius stiegen Tränen in die Augen, während er sich seine Wange rieb. Es war nicht das erste Mal, dass ihm Abraxas auf diese Weise zu ermuntern suchte. Sollte er dessen Einschätzung Vertrauen schenken? Schließlich waren sie bisher mit allem fertig geworden, warum sollte es dieses Mal anders sein?
Noch ehe er seinen Gedanken abschließen konnte, fühlte er einen Stoß in seinem Rücken. Er taumelte nach vorne, stolperte über eine Wurzel und schlug der Länge nach auf den ausgetrampelten Pfad, welcher zur Hütte führte.
„Telemach und ich sind bei dir. Vergiß das nicht! Du bist ein Wanderer und kennst deine Geschichte. Besinn dich auf deine Gabe, Kerl, dann wird es klappen.“
Darius wünschte sich, er könnte den Worten des Freundes Glauben schenken. Vorsichtig raffte er sich auf, kam auf seinen beiden zittrigen Beinen zum Stehen und näherte sich langsam der ihm fremden Hütte an. Die Sonne war nun fast vollständig untergegangen, nur ein kleiner Teil ihres Halbrundes war noch über dem Horizont des Meeres zu sehen, welcher durch die Bäume und Sträucher des Anwesens nur lückenhaft zu erkennen war.
Ein Fuß vor den anderen setzend, ging er unsicheren Schrittes den Pfad entlang, über eine kleine Brücke hinweg, welche einen tiefen Graben überspannte. Abraxas, welcher ihm abseits des Weges folgte, stieß nun ebenfalls auf dieses Hindernis und zeigte sich nicht dazu in der Lage, über dieses hinwegzusteigen. Zumal dieses mit Wasser gefüllt worden war. So musste er ihm nachfolgen und passierte, ein paar Schritte hinter ihm, ebenfalls die Brücke.
Darius blickte sich ängstlich zu ihm um und deutete auf eine Vielzahl von Holzpuppen und aufgehängten Säcken, die er in ähnlicher Form vom Gymnasion in Theben her kannte. Dort hatte er als kleiner Junge oft, zusammen mit seinem Vater, stattlichen Männern dabei zugesehen, wie diese sich körperlich ertüchtigt hatten, um sich gemeinsam auf künftige kriegerische Auseinandersetzungen vorzubereiten.
Abraxas hob seine Schultern, um sie sogleich wieder fallen zu lassen. Mit seiner ausgestreckten rechten Hand deutete er auf das einfache Haus und zeigte Darius eine grimmige Miene. Dazu ballte er seine Faust und zog sich dann, diese wieder zur flachen Hand geöffnet, unterhalb seines Kinns an seinem Hals entlang. Getrieben von dieser Drohgebärde, wandte sich Darius wieder dem Haus zu und schritt zaghaft voran.
In diesen Moment waren alle Sinne des Lockvogels darauf ausgerichtet, dessen Bewohnerin zu entdecken. Die Furcht kam immer stärker über ihn, hatte er doch im Ort den Anwohnern Glauben geschenkt, welche die Frau, die sie zum Ziel hatten, als gottgleich schilderten. So näherte er sich vorsichtig der Türöffnung, welche offen stand und lugte vorsichtig in das kaum ausgeleuchtete Innere des einfachen Baus.
„Hallo! Ist da wer? Jemand zuhause?“
Niemand antwortete ihm und dennoch traute er sich nicht, den Raum zu betreten. Er wandte sich um, doch von seinem Kameraden fehlte jede Spur. Hatte dieser vielleicht etwas gesehen, was ihm selbst entgangen war? Er entschloss sich dazu, erst einmal eine Runde, um das Haus zu gehen. Nichts lag ihm ferner, als die Unbekannte zu provozieren, in dem er für sie als Räuber oder Dieb gelten könnte.
So ging er links an der mit Lehm verputzten Mauer entlang, stellte sich an die Hausecke und blickte vorsichtig an ihr vorbei. Eine Kletterpflanze gab ihm dabei Deckung, welche die Seite einer Außentreppe emporgewachsen war. Weiter links befand sich ein kleiner Verschlag, in dem die Frau Brennholz lagerte, sowie ein Bock, auf welchem ein kräftiger Stamm darauf wartete, zu Scheiten verarbeitet zu werden. Unter einem vor ihm liegenden Vordach fand er nichts Auffälliges und so tat er ein paar entschlossen Schritte, um sich dem nächsten Eck anzunähern.
Neben einer Töpferscheibe, vor welcher ein grob gehauener Schemel stand und einer Außentreppe zum Dach, wurde er nun einer weiteren Überdachung gewahr, unter welcher Säcke, Amphoren und große Krüge untergebracht worden waren, um sie vor groben Witterungseinflüssen zu schützen.
Getrieben von seiner Neugierde schritt er weiter voraus, und sah den Schein einer Feuerstelle nun deutlich vor sich. Sorge überkam ihn und dennoch wollte er nun sehen, wo es herrührte. Zuvor blickte er sich noch einmal um und fand keinen seiner Freunde hinter sich. Hatten sie sich wirklich so gut vor ihm und dem Ziel ihres Handelns verborgen gehalten?
Er hörte jetzt das sonore Hackgeräusch eines Messers, sowie eine leise Melodie, welche gesummt wurde.
Darius fand sich nun auf gleicher Höhe mit einer Esse, deren Wandung jedoch keinerlei Wärme ausstrahlte. Wahrscheinlich war sie am Tage nicht genutzt worden.
„Er da! Setze er sich zu mir, hat er doch sicher Hunger von seiner Reise“, rief ihn eine herbe Frauenstimme an.
Die Augen des Angesprochenen weiteten sich. Erschrocken verharrte er auf der Stelle. Wie hatte sie ihn hören können? War es vielleicht der Wolf gewesen, von dem ihnen die Bewohner Kraniois berichteten und welcher ihn schon lange gehört oder gewittert haben musste?
„Was zögert er?“, fragte ihn die Fremde. Kam er in feindlicher Absicht?“
„Nein! Nein! Entschuldigt.“
Darius fühlte sich von der Stimme getrieben, kam um das nächste Hauseck herum und stand vor einer in etwa gleich großen Frau, mit derben braunen Haaren. Diese waren von ihr zu einem einfach geflochtenen Zopf gebunden worden, welcher über ihrer linken Schulter hing.
Sie stand mit dem Rücken zu ihm und schnitt an etwas herum, was vor ihr auf dem Tisch liegen musste. Dabei konnte er nicht sehen, um was es sich genau handelte, wurde es doch von ihrem kräftigen Leib verborgen gehalten. Dieser hätte einem Mann zur Ehre gereicht und wollte nicht zu dem zarten Geschlecht einer Frau passen.
„Einen schönen Abend, Frau. Verzeiht, wenn ich gestört haben sollte“, gab sich Darius betont freundlich. Die riesenhafte Frau stand indessen weiter mit dem Rücken zu ihm und schien sich nicht weiter von ihm gestört zu fühlen.
„Hat er nicht, ganz im Gegenteil. Während er als Gast gekommen ist, habe ich zwei Spießgesellen dingfest machen können, welche um mein Haus herumgeschlichen sind. Im Gegensatz zu ihm, schienen sie arges im Schilde geführt zu haben.“
Sie schob mit der Klinge ihres Messers Mohrenstücke in eine Schale und gab diese wiederum in einen Topf, welcher über der Feuerstelle hing.
Darius blickte sich indessen ängstlich um, mit der Hoffnung seine gefangen Freunde entdecken zu können. Wie war es dieser unbewaffneten und in einem einfachen hellen Leinenchiton gekleideten Frau möglich gewesen, seine bewaffneten Begleiter zu überwältigen? Noch dazu, ohne dass er dies mitbekommen hatte?
„Isst er mit?“, fragte sie und wandte sich das erste Mal zu ihm um.
Darius zeigte sich verlegen, blickte sich ein weiteres Mal unsicher um und erklärte der Fremden sogleich seine Stimmung.
„Seid ihr sicher, dass es keine weiteren Übeltäter gibt? Ich habe schon das Geheul der Wölfe vernommen und reute mich, den letzten Ort verlassen zu haben.“
„Sei er ruhig und setze sich hin!“
Sie deutete auf einen niedrigen Schemel, welcher in der Nähe der Feuerstelle stand.
„Und ihr? Worauf wollt ihr Platz nehmen?“
Sie musterte ihn eindringlich mit ihren braunen Augen, die dichten Brauen auf ihrer hohen Stirn dabei zusammenziehend. Sie schien ihm nicht zu trauen, weshalb er sich mühte, sie von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen.
„Das soll nicht seine Sorge sein.“
Sie blieb stehen und blickte auf ihn herunter, nachdem er sich gesetzt hatte.
„Wo sind die Männer, welche ihr gefangen habt? Sind sie zu Schaden gekommen?“
Deianiera deutete mit ihrer linken Hand auf die Hütte und rührte mit einem hölzernen Löffel in der Rechten in dem, über das Feuer aufgehängten Topf.
„Ein wenig. Aber nichts, was die Zeit nicht zu heilen in der Lage wäre.“
Darius sah ihr dabei zu, die Gestalt der an Jahren junge Frau näher in Augenschein nehmend. Ihre Beine, welche von der Hälfte ihres Oberschenkels ab, unter dem Stoff des Chitons hervorragten, wirkten massiv und sehr kräftig auf ihn. Sie war eine Athletin, daran bestand für ihn kein Zweifel. Ihr Gesicht wirkte einfach geschnitten und durchschnittlich attraktiv auf ihn. Eher neutral, als einladend oder abstoßend. Zwei kleine Narben zeichneten es, eine lief der Länge nach über ihren Nasenrücken, die zweite streifte ihren rechten Mundwinkel.
„Und? Was zieht er durchs Land, welches von Dieben und wilden Tieren unsicher gemacht wird? Weshalb ist er nicht in Kranioi geblieben und stattdessen im Anbruch der Nacht noch unterwegs?“
„Ich wollte eine Tante besuchen, welche in Pale wohnt.“
„Wie ist sein Name?“, fragte die Hünin mit rauchiger Stimme.
„Darius. Darf ich mich nach eurem erkundigen?“ Nur mit Mühe, hielt er den eindringlichen Blick der Frau stand.
„Ich kenne Pale gut, wie heißt seine Tante?“, überging sie seine Frage.
„Makarie“, log Darius ohne Umschweife. Tatsächlich trug die Schwester seines Vaters diesen Namen.
Ihre Augen blieben auf seinem Gesicht gerichtet und für den Moment blieb sie ohne Regung. Wahrscheinlich überlegte sie, ob sie diesen Namen mit dem Ort, welchen sie kannte, in Verbindung bringen konnte.
„Schön habt ihr es hier. Den Blick über das Meer, die vorbeifahrenden Schiffe ..“
Sie folgte seinem Blick.
„Was glaubt er, warum zwei bewaffnete Männer um das Haus einer Frau schleichen? Sollte ich sie nicht besser töten, damit sie niemanden Schaden bringen? Es wären nicht die Ersten, welche ich die Klippe herabstürzen lasse.“
Sie wandte sich nun dem Topf zu, beugte sich über ihn, tauchte den Löffel in die darin befindliche Suppe ein und kostete.
„Sie schmeckt nicht, wird uns aber satt machen.“
Sie zeigte dem Mann neben sich ein Lächeln, ging rüber zu dem groben Holztisch, welcher ihr wohl als Anrichte dienen musste und kehrte mit zwei Schalen zurück. Anschließend griff sie in den Henkel des Topfs, hob diesen vom Feuer herunter und verteilte dessen Inhalt in die beiden Gefäße.
„Nun? Was denkt er?“ Fragte sie ihn erneut, ihm unterdessen seine Mahlzeit reichend.
„Man könnte sie fragen? Vielleicht haben sie die Hütte für einen Banditenunterschlupf gehalten? Vielleicht kommen sie ebenfalls aus Kranioi?“
Die Frau hob die Schale an ihre Lippen und schlürfte vorsichtig an der heißen Suppe.
„Er meint den Ort, in welchem jeder mich und mein Haus kennt? So wie jeder Bewohner dieser Insel?“
Darius zeigte sich verlegen und suchte Zeit zu gewinnen, in dem er nun ebenfalls von der Suppe kostete. Die Frau hatte Recht, sie roch ekelhaft und schmeckte salzig und fischig zugleich. Hoffentlich verdarb er sich seinen Magen nicht mit diesem Gebräu. Am liebsten hätte er die Flüssigkeit sofort wieder ausgespuckt und musste sich zusammenreißen, damit er nicht zu würgen anfing.
„Dann waren es Fremde?“, mutmaßte er, nachdem er sich einigermaßen vom Geschmack dieses seltsamen Gebräus erholt hatte.
„Er meint, so wie er selbst?“ Sie wendete mit diesen Worten ihren Blick vom Feuer ab und richtete ihre Augen auf ihn.
Darius fühlte sich ertappt und seine Angst sorgte dafür, dass er trotz der aufkommenden Kühle der Dunkelheit zu schwitzen begann.
„Äh ja? Vielleicht?“
Die Hausherrin nickte und blickte wieder auf die tanzenden Flammen herunter, welche das Holz knacken ließen, das sie nährte.
„Woher kommt er?“, fragte sie ihn beiläufig.
„Theben. Eine große Stadt, welche weit entfernt gen Osten liegt.“
„Und seine Tante? Warum besucht er sie?“
Darius fühlte sich durch ihre Frage an seine Mutter erinnert, welche während seiner Geburt gestorben war. Er hatte nie jemanden aus ihrer Familie kennengelernt.
„Ich wollte sie kennenlernen. Meinte Marta hat mir viel von ihr erzählt.“
Er war glücklich über diese Lüge, denn selbst wenn herauskam, dass es seine Tante nicht gab, würde er sich durch diese Erklärung retten können, kannte er die Frau doch offensichtlich nur vom Hörensagen.
„Iss!“, forderte sie ihn auf.
Darius zeigte sich sogleich einverstanden und schlürfte die Suppe, dabei seine Luft anhaltend. Er hoffte, so deren widerlichen Geschmack für sich erträglicher werden zu lassen.
Überrascht setzte er die Schale ab, als ein deutlich hörbarer Darmwind dem Hinterteil der Frau entfuhr, so heftig, dass dieser sogar den Stoff ihres Chitons aufblähte, ähnlich einem Windstoß, welcher in ein Segel griff.
„Komme er mit! Wir sehen nach den Gefangenen.“
Darius schloss für den Moment seine Augen. Wenn Telemach oder Abraxas ihn jetzt verrieten, war es um ihn geschehen, dessen war er sich sicher.
„Worauf wartet er?“ Ihre Stimme klang misstrauisch.
„Ich wollte den Rest Suppe ...“
Vor lauter Angst schaffte er es nun auch das Übriggebliebene des ekelhaften Mahls herunterzuwürgen.
Sie nickte gnädig, ließ ihre Schale achtlos zu Boden fallen und wartet auf ihn, ihre kräftigen Hände dabei in die schmale Taille stemmend. So bekam ihre Figur doch etwas Weibliches und für einen kurzen Moment blieb Darius Blick an ihrem Körper haften.
Sie schritt voran, doch wagte er es auch jetzt nicht, seine Hände in ihre Richtung auszustrecken. Muskelbepackt und selbstbewusst wirkend, würde es ihm schwerfallen, die Oberhand über sie zu gewinnen. So trat sie durch das niedrige Tor eines Innenhofes und deutete auf ein links von ihr stehendes Metallbecken.
„Hole er Feuer, dann haben wir Licht.“
Darius hatte schon die Leiber seiner Freunde ausgemacht, welche gefesselt, mit ihrem Rücken gegen die Mauer gelehnt, am Boden hockten. Geschwind trat er noch einmal aus dem winzigen Innenhof heraus, eilte zur Feuerstelle und zog einen kurzen Scheit aus den Flammen heraus, mit welchem er zu der Hausherrin zurückkehrte. Er schob ihn zwischen Holzreste, welche er in der Schale aufgehäuft fand.
Mit dem Licht der Feuerschale wurde noch einmal das Dunkel der Nacht aus dem Hof vertrieben, welche inzwischen die ganze Landschaft umhüllt hatte.
„Und? Kennst er sie? Vielleicht aus Kranioi?“
„Nein, ich sehe sie zum ersten Mal. Was wollt ihr mit ihnen machen?“
Deianiera hielt ihre Rechte Hand unter das Kinn und blickte auf die gefesselten Kerle herunter, welche mit Stofffetzen im Mund geknebelt, besorgt zu ihnen aufblickten. Darius war erleichtert, seinen Freunden schien bewusst zu sein, dass sie ihn nicht verraten durften, sollte er ihnen Hilfe bringen.
Sie wandte sich zu Darius um und blickte fragend in dessen Gesicht.
„Nun? Was hält er von den beiden?“
Darius musste die Frau unbedingt davon überzeugen, dass Abraxas und Telemach ihr nicht feindlich gesonnen waren. Doch würde er sich jetzt zu sehr für sie einsetzen, könnte es sein, dass die Frau zu der Überzeugung kam, dass er ein eigenes Interesse an ihnen hatte. Und wohin sie dann von ihren Gedanken geführt wurde, erschien ihm zu ungewiss.
„Ein Fehler ist schwer wieder gut zu machen. Wir sollten niemanden richten, von dem wir nicht wissen, ob er schuldig ist. Ein jeder, welcher sich den Gefahren dieser Insel stellt, rechnet mit dem Schlimmsten. Wer weiß, was die beiden zum Einbruch der Nacht ins Freie trieb, sie können es uns sicher erklären.“
Deianiera lauschte seinen Worten nach und grübelte weiter, ihren Blick wieder den beiden Männern auf den Boden zuwendend.
„Und wenn er sich irrt? Was, wenn meine Vermutung die Richtige ist? Lass ich sie frei, so laufe ich Gefahr, dass sie mir aufs Neue versuchen aufzulauern.“ Mit diesen Worten drehte sie sich zu ihm um, betrachtete ihn nachdenklich und schien bemüht, endlich einen Entschluss zu fassen.
„Wartet die Nacht ab, Frau! Vielleicht fällt euch, ausgeruht von den Anstrengungen des Vortages, eine Entscheidung am Morgen leichter.“
Sie nickte und legte ihre rechte Hand auf seine linke Schulter ab.
„Gut gesprochen. Dann sehe ich noch einmal nach ihren Fesseln und wenn sie folgsam bleiben, werden sie die Nacht lebend überstehen. Am Morgen will ich dann entscheiden, ob sie Leben oder Sterben sollen.“
Darius sah die Frau sich über seinen Freund Telemach beugen, dessen Augen in diesen Moment auf ihn gerichtet blieben. Er ahnte, was dieser ihm mit seinem Blick zu sagen suchte, hockte sie doch nun, mit ihren Rücken ihm zugewandt, direktvor ihm.
Das Schwert Abraxas fand er auf den Tisch neben sich liegend, genauso wie den Bogen Telemachs. Er braucht nur nach einer dieser Waffen greifen. Den Blick darauf gerichtet, fand er nicht genügend Mut, sich zu einem Handeln zu entschließen. Zu ungewiss war ihm der Ausgang einer solchen Tat.
Auch Abraxas suchte jetzt seine Aufmerksamkeit und knurrte in seinen Knebel hinein. Die Hünin beugte sich nun über dessen Körper, zog die Fesseln um seine Handgelenke und Knöchel straff und sorge sich um die Knoten. Sie schien zufrieden und blickte, über ihre rechte Schulter hinweg, zu Darius auf.
„Schläft er bei mir! So schützen wir uns vor der Kühle der Nacht.“ Forderte sie ihn ohne Umschweife auf, während ein seltsamer Glanz in ihren braunen Augen sichtbar wurde.
„Es wäre mir eine Ehre, Frau“, zeigte sich Darius wieder unterwürfig, streckte seinen rechten Arm aus, woraufhin sie nach seiner Hand griff und sich von ihm aufhelfen zu lassen. Ihr Körper war überraschend schwer und hätte ihn beinahe aus seinem Gleichgewicht gebracht.
„Wir gehen aufs Dach hinauf, dort habe ich mein Schlaflager. Folge er mir, er wird sicher müde von seiner Reise sein.“
Sie griff nach seiner Hand und zog ihn hinter sich her. Darius mühte sich, ihr zu folgen, sah verwirrt auf seine beiden Freunde herunter, welche ihn, sichtlich verstört, nachblickten. Er konnte, glaubte er sich einzubilden, ihre Vorwürfe schmecken.
„Wie konntet ihr sie überwältigen, Frau? Diese Kerle sehen groß und kräftig aus“, fragte er sie, während sie an der der kleinen Schmiedewerkstatt vorbei traten.
„Im Gegensatz zu den Zweien bewege ich mich leise. Auch scheinen sie keine Pankratiasten zu sein, wer weiß, ob sie überhaupt mit den Waffen umzugehen wissen, welche sie bei sich trugen.“
„Und ihr versteht euch darauf?“, fragte er ungläubig.
„Nun, ich bin Spartanerin. Mein Onkel hat mich alles gelehrt, was er über das Handwerk eines Kriegers wusste.“
Sie zeigte ihm ein Lächeln und griff mit ihrer freien Hand nach einer Fackel, die in einer Halteöse hing, welche in der lehmverputzten Außenwand ihrer Hütte eingelassen worden war. Kurz hielt sie deren Kopf ins Feuer und wandte sich dann zur Treppe um, die über zweit Hausseiten hinweg, nach oben aufs Dach führte.
„Und glaube er mir, das Wissen des Alten hätte für mehrere Leben gereicht.“
Er zeigte sich beeindruckt und stolperte fast, als sie ihn weiter die Treppe hinauf zog. Doch was hatte sie, oben auf dem Dach angekommen mit ihm vor? Hatte er sich vielleicht doch verraten und sie wollte ihn von dort aus in den Tod stürzen? Er verwarf diesen Gedanken. Aus der niedrigen Höhe des Daches und zusammen mit dem staubigen Boden, hätte er sich wahrscheinlich nicht einmal einen Knochen gebrochen.
Auf dem flachen Dach angekommen, fand er tatsächlich einen Schlafplatz aus Decken und Kissen vor, welcher unter einem Baldachin aus Stoffdecken ausgebreitet worden war. Sie deutete darauf und forderte von ihm, sich darauf auszustrecken.
„Es wird ihm guttun, die Wärme einer Frau zu spüren.“
Darius merkte bei ihren Worten auf. Suchte sie ihn etwa zu verführen?
„Worauf wartet er?“, drängte sie ihn und legte ihr rechte Hand auf seine linke Schulter. „Ruhen wir uns aus, es war ein anstrengender Tag.“
Darius ging in die Hocke und streckte sich auf den Decken aus. Die muskulös und sehnig wirkende Frau folgte ihm sogleich, nach dem sie die Fackel in die Feuerschale fallengelassen hatte, legte sich an seine Seite und ließ dann ihren Blick über seinen schlanken schmächtigen Körper wandern. Es lag Verlangen in ihrem Blick, wie er überrascht feststellte.
„Hat er ein stattliches Schwert?“ Sie führte ihre Rechte an seinen Schritt, worauf er zusammenzuckte und ihrer Hand auszuweichen suchte.
„Warum so aufgeregt? Er sollte sich freuen“, wollte sie ihn dazu ermuntern, ihr Handeln zuzulassen.
Würde sie ihn benutzen und nach dem Stillen ihres Verlangens genauso behandeln wie seine beiden Freunde? Er hielt das für möglich, hatte er doch schon mehr als einmal die Lust einer Frau verspürt, auch wenn diese selten ihm gegolten hatte.
„Es war ein anstrengender Tag, ich weiß nicht, ob es ...“
„Lass es mich versuchen! Sollte ich es nicht zur vollen Größe schmieden können, verdiene ich es nicht Meisterin genannt zu werden, habe ich Recht.“
Sie lächelte und hob ihre Augenbrauen.
Dieses Mal packte sie so schnell zu, dass er ihre Hand nicht mehr entkommen konnte. Sie war nicht gerade zärtlich zu ihm, als sie an seiner gesamten Männlichkeit zog und sich ihm mit dem eigenen Leib näherte. Sie legte ihr rechtes Bein über seinen linken Oberschenkel, es war schwer und würde ihn nun nicht mehr aus ihrer Umklammerung entkommen lassen.
Die junge Frau lächelte, als sie mit ihrer Hand tätig wurde und das Zentrum seiner Lust zu massieren begann. Noch schien seine Furcht übermächtig, doch drängte das sinnliche Gefühl, welches ihr forderndes Reiben bei ihm weckte, diese immer weiter hinfort.
„Ich denke der Stahl ist hart genug, glaubst du nicht?“, fragte sie spöttisch.
Er blickte sie verwundert an.
„Ihr sprecht auf einmal zu mir, wie es ein Bewohner dieser Insel tun würde.“
„Ich vereine mich nicht mit einem Unbekannten. Fühl dich geehrt, das passiert nicht all zu häufig.“
Sie schob ihren Körper über den seinen, worauf er ihre festen jungen Brüste auf seine Haut drücken fühlte. Ab diesem Moment hatte es für ihn keine Bedeutung, dass der helle Stoff ihres Kleides, diese Schätze für ihn verborgen hielt.
Sie näherte sich seinem Mund mit ihren Lippen und schob ihre linke Hand zeitgleich zwischen ihren und seinen Schoß. Er konnte ihre Finger fühlen, wie diese nach seinem Gemächt tasten, es packten und gegen ihren Schoß drückten. Sogleich wurde er von einer engen Feuchte festgehalten, welche ihm einen Reiz schenkte, der ungemein erregend, ihm alles andere an ähnlichen Erfahrungen vergessen machte. In dem Moment, in welchem sie sich zum Kuss vereinten, drückte sie ihren Leib auf den seinen. Ein verhaltenes Stöhnen wurde laut, dann begann sie sich auf ihm zu bewegen.
Mit der weitausholenden Bewegung ihres Körpers, äußerte sie ungehemmt ihre Lust. Darius reute es in diesen Moment, dass seine Freunde seinen Liebestanz mit dieser Frau hören könnten. Seine Freude, würde ihnen eine zusätzliche Qual bereiten.
Es verstrich nicht viel Zeit, als er ihren Körper zu entkommen suchte. Sie zeigte sich enttäusch, ließ von ihm ab und legte sich an seine Seite. Ihr Blick wanderte dabei seinen Körper entlang, wahrscheinlich ärgerte sie sich darüber, dass er für sie nicht länger durchgehalten hatte.
„War es dir schon genug?“
Darius fühlte, wie die Sorgen in ihm aufs Neue wach wurde. Ihr Blick verhieß nichts Gutes, glaubte er zu erkennen.
„Wartet ein wenig. Dann geht es wieder, dessen bin ich mir sicher.“
Sie nickte ihm zu, schob ihre Rechte erneut unter den Stoff seines Chitons, unterdessen mit ihrer linken Hand den eigenen Kopf stützend. Ihr Handeln war dabei verhalten und verschaffte ihm ein erträgliches und wohliges Gefühl.
Würde sie bei einer Wiederholung auf ihre Kosten kommen? Für ihn war das gerade Erlebte gottgleich gewesen. Ihr junges Geschlecht hatte sich für ihn angefühlt, als ob es von einem versteckten Geist gelenkt wurde, oder einem eigenen Verlangen folgte. Nie hatte er Ähnliches bei einer Frau erlebt, mit welcher er, in der körperlichen Liebe vereint, zusammenlag.
Ihr Mühen trug schneller Früchte als gedacht, nur wollte er ihr zuvorkommen und bat sie darum, sich auf ihren Körper legen zu dürfen. Sie zögerte, ging aber schließlich dieses Zugeständnis an ihn ein. So öffnete sie ihren Schoß für ihn, hieß seinen Körper mit ihren breit gespreizten Schenkeln willkommen und nahm diesen sogleich wieder gefangen, in dem sie ihre Unterbeine über seinem Po kreuzen ließ.
Sein erster harter Stoß ließ den Leib der Frau beben, Darius küsste ihren Hals, saugte an ihrer Haut, während er sich ihrem Schoß ein Stück weit entzog, um erneut in ihren Unterleib hinein zu drängen. Ein heiseres Röcheln entfuhr der jungen Frau, während ihre Beine sich immer enger, Würgeschlangen gleich, um seinen Körper legten. Der von ihren Gliedmaßen ausgeübte Druck schmerzte ihn genauso, wie die Nägel ihrer Finger, welche sich in seine Schultern gruben. Darius löste seine Lippen von ihrer Haut, worauf ein tiefes Stöhnen sein Mund verließ, mit welchem er seine Fleischeslust ihr gegenüber zum Ausdruck brachte. Dieses Mal dauerte es, bis er gewillt war, sich von ihrem Körper zu lösen und auch das zuvor so beherrscht wirkende Gesicht seiner Gastgeberin wirkte auf einmal weiblich und weich auf ihn.
Ein abschließender Kuss, welchen er ihr auf die Lippen drückte, dann rollte er sich von ihrem stämmigen Leib ab, legte sich an ihre Seite und schob seinen rechten Arm unter ihren Kopf, um diesen darauf zu betten.
„Hat es ...“, er war noch völlig außer Atem, „... euch gefallen?“, fragte er sie voller Hoffnung.
Sie nickte, während ihre Augen zu dem Sternen am Himmel aufblickten, welche im Dunkel der Nacht hingen und auf sie herunter blitzten.
„Du darfst schlafen! Morgen wird es viel zu bestellen geben.“
In der Nacht
Darius fühlte das Verlangen sich zu erleichtern, gepaart mit einem heftigen Brennen, welches ihn und sein „Schwert“ plagte. Neben sich hörte er das tiefe Schnarchen der jungen Maid, welche sich auf solch eindrucksvolle Weise mit ihm vereint hatte. Für ihn gab es in diesen Moment keinen Zweifel, sie schlief tief und fest, am Nachtlager gebunden durch Morpheus Mächte.
Vorsichtig suchte Darius seinen Arm unter ihrem Haupt hervorzuziehen, was ein kurzes Knurren ihrerseits zur Folge hatte, mit welchem sie auf die Störung ihres Schlafes reagierte. Er schrak zusammen und blieb ruhig, darauf wartend, dass sie erwachte oder im Schlaf gefangen blieb.
Behutsam schlug er die dicke Wolldecke beiseite, erhob sich langsam und vorsichtig aus dem Nachtlager, kam mit Bedacht zum Stehen und wandte sich der Treppe zu. Wenn er bloß etwas sehen könnte. Das Feuer war erloschen, es hatte sich, neben dem Fackelstiel, nur wenig Holz in der Schale befunden.
Seine Augen brauchten Zeit, um sich an die Finsternis der Nacht zu gewöhnen. So schlich er langsam die Treppe hinunter, mit seiner rechten Hand nach der Hauswand tastend. Er erschrak furchtbar, als er das klagende Heulen eines Wolfes vernahm, welcher nicht weit vom Haus entfernt sein konnte.
Er lauschte angestrengt. Doch abgesehen vom Schnarchen der Hausherrin und dem Zirpen der Zikaden, herrschte Stille. So setzte er umsichtig seine Schritte, näherte sich dem Eck des Hauses und blickte am Vorratsverschlag vorbei, zur Feuerstelle rüber, die sich links hinter dem Amboss der kleinen Schmiede befand.
Es blieb ruhig und so schlich er weiter, kam um die nächste Ecke herum und trat durch das kleine Tor hindurch in den winzigen Innenhof. Seine beiden Freunde hockten nach wie vor gefesselt auf dem Boden, und suchten sich, trotz ihrer Knebel, lautstark bemerkbar zu machen.
Wieder horchte Darius. Es blieb nach wie vor ruhig. So trat er schließlich an Abraxas heran, ging neben dessen Leib in die Hocke und entfernte vorsichtig den Stoffknebel aus dessen Mund. Sofort legte Darius seinen Finger über dessen Lippen, als Zeichen, dass er schweigen sollte. Er deutete über sich und der Freund schien zu verstehen.
„Seid ja leise!“, flüsterte er dennoch.
Abraxas nickte und zog an seinen Fesseln. Die Kriegerin hatte seine Hand- und Fußfesseln miteinander verbunden, so dass er nicht einmal hätte aufstehen können.
„Mach uns los! Worauf wartest du? Wenn sie schläft, bietet sich uns eine einmalige Gelegenheit.“
Darius wirkte nach wie vor unsicher. Würde er seine Kameraden befreien, griffen diese sofort die Frau auf dem Dach an und wie das Enden würde, war ihm ungewiss. Abraxas und auch Telemach würden sie nach wie vor unterschätzen, das wusste Darius von den gemeinsamen Reisen und Abenteuern her.
„Du sollst uns losbinden, habe ich befohlen!“, herrschte ihn Abraxas an.
Darius erschrak. Der Gesichtsausdruck, seines Anführers offenbarten dessen Zorn. Er fühlte sich in diesem Moment an die Ohrfeige erinnert, welche dieser ihm gesetzt hatte. Und auch an den schmerzhaften Tritt, mit welchem Abraxas ihn in den Staub gestoßen hatte.
Getrieben von seiner Angst, welche nun sowohl der Kriegerin als auch seinen Freunden galt, schickte er sich an den ersten Riemenknoten zu lösen. Dies war im Dunkel der Nacht alles andere als einfach, selbst jetzt, wo der Schein des Mondes ein wenig die Nacht erhellte.
Sein Herz blieb stehen, nachdem er ein verhaltenes Knurren hinter sich vernommen hatte. Abraxas Augen starrten an ihm vorbei und blankes Entsetzen zeigte sich in dessen Gesichtszügen. So wandte sich auch Darius langsam zum Tor um, in welchem ein riesiger Wolf stand und seine Zähne fletschte. Seine leuchtend gelben Augen schienen wie jene eines Dämons und das tiefe Grollen seines Knurrens warnte den schlanken hageren Mann, vor jeglicher Bewegung.
„Er wird uns reißen, wenn ich dich befreie“, jammerte Darius.
Ehe Abraxas etwas antworten konnte, stopfte Darius ihm auch schon wieder den Fetzen Stoff in den Mund. Wieder wandte er sich um, doch wie von Geisterhand, war das riesige Tier verschwunden. Langsam stand er aus der Hocke auf, trat an das Tor heran und blickte ängstlich hinaus ins Freie. Doch von dem ihm so mystisch erscheinenden Monstrum war nichts mehr zu sehen.
So wandte er sich noch einmal zu seinen Freunden um, die ihn mit Knurren und Ächzen versuchten zurückzuhalten. Sollte er sie wirklich in Stich lassen? Wie würden die beiden an seiner Stelle handeln?
Darius fühlte sich an etliche Momente und Situationen erinnert, in welchen beide ihn, immer wieder aufs Neue, enttäuscht hatten. Doch gab es auch einige Erlebnisse, in welchen er ihren Beistand erfuhr. So auch während einer wilden Keilerei in einer Taverne, wo Telemach ihm beherzt beigesprungen, Rettung vor einer Messerklinge gebracht hatte. Jetzt noch, glaubte er zu hören, wie das Holz des Schemels, auf dem Kopf des Unbekannten, barst. Wahrscheinlich wäre er jetzt nicht mehr am Leben, hätte sein Freund ihm nicht in seiner Not beigestanden.
Doch anderseits, hätte er sich ohne die beiden in solche Gefahren begeben? Nein, er war sich sicher. Sie schickten ihn immer wieder aufs Neue vor und riskierten sein Leben, um das ihre reicher zu machen. Vor zwei Jahren hatten sie ihn angerufen, nach dem sie ihn, tief schlafend, unter einer Akazie liegend gefunden hatten. Seine Kräfte hatten ihn zu diesem Zeitpunkt verlassen und selbst die Furcht vor der Knute des Herrn, hatte ihn nicht dazu antreiben können, sich wieder zu erheben. Er hatte für jedes Stück Brot und jeden Schluck Wein, einem Sklaven gleich schuften müssen. Oft durch Schläge und Tritte des Patrons getrieben, welcher auf seinen riesigen Ländereien ein brutales Regiment geführt hatte. So war dieser Mann auch das Ziel der beiden Ungekannten gewesen und er zum ersten Mal zu dem Lockvogel geworden, welchen er fortan für sie zu spielen hatte.
In dem Moment, wo er wieder auf die beiden zugehen wollte, hörte er das tiefe Brummen des Tieres. Erschrocken drehte er sich auf der Stelle, doch war nur der Tisch zu sehen, welcher der jungen Frau als Anrichte für ihre Speisen diente.
So ließ er jetzt vollends das wenige an Mut fahren, welchen er noch in sich getragen hatte. Ein letzter Blick auf seine verzweifelten Freunde, da trat er schon durch das Tor hinaus, eilte um das Hauseck herum und schlich die Treppe hinauf, um sich an der Seite der Hausherrin auszustrecken, welche er friedlich schlafend fand.
Am nächsten Morgen
Darius hatte nur schwer in seinen Schlaf zurückgefunden. Auf der einen Seite reute es ihn, dass er Abraxas und Telemach keine Hilfe bringen konnte, auf der anderen fühlte er sich durch seine Angst vor der Kriegerin und deren Wolf gelähmt. Er spürte, dass diese Frau besonders war und er, wie auch seine Freunde sich in große Gefahr befanden, sollte er sich ihren Willen widersetzen. Irgendwann hatte ihn der Gott des Schlafes doch noch in sein Traumreich geführt und zusammen mit seinen Brüdern einen unruhigen und wenig erholsamen Schlaf bereitet.
„STEH AUF!“
Er schrak hoch und hätte seinen Hals beinah in die Spitze eines Speeres gerammt, im Begriff aufzuspringen. Ein ihm völlig fremd erscheinender Krieger hielt die Langwaffe auf ihn gerichtet, gekleidet in einem roten, mit stählernen Beschlägen verstärkten Panzer. Dieser besaß einen breiten Schulterschutz und kunstvoll stilisierten Bauchmuskeln. Ein mächtiger Gürtel mit dem Lambda Spartas schütze zusätzlich den Unterbauch des Gewappneten, während ein bis zu den stählernen Beinschienen herunterreichender Rock aus Lederstreifen und Ketten, den Oberschenkel Schutz bot. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, war dieses doch von einem goldglänzenden Helm verborgen gehalten worden, welcher von einem mächtigen Kamm aus schwarzem Rosshaar gekrönt wurde. Die Kammspitze zeigte einen Wolf, welcher im Angriffssprung auf den Gegenüber des Schwerbewaffneten zustürzte.
Darius vermochte es nicht, trotz der tödlichen Gefahr, in welcher er schwebte, seinen Blick von dieser stattlichen Erscheinung abzuwenden. Wie viel lakonische Drachmen musste man aufwenden, um solch ein Meisterwerk zu bezahlen? Wahrscheinlich mehr, als er jemals in seinem Leben zu verdienen in der Lage war.
„Na? Fürchtet er sich vor mir? Mir scheint meine Waffe länger zu sein, als die seinige.“
Der jetzt in einem deutlich weniger aggressiv klingenden Ton Angesprochene, erkannte sofort die Stimme der Frau wieder, mit welcher er das Lager der Nacht geteilt hatte. Es kam ihm wie ein Wunder vor, dass diese nun in dieser einzigartigen Montur stecken sollte. Dabei schien diese auch noch perfekt auf ihre Statur zugeschnitten worden zu sein.
„Ja, das kann ich nicht abstreiten“, stammelte Darius und mühte sich damit vor ihr auf seine Füße zu kommen.
„So hat deine Angst vor mir nicht nachgelassen durch die Ehre, welche dir zuteil wurde?“
Er nickte, auch wenn er sich dafür schämte, dass seine Furcht so präzise von ihr ermessen worden war.
„Gut! Denn nur deshalb bist du frei.“
Sie zeigte mit der Spitze ihres Speeres auf ein Gepäckbündel, welches er nur all zu gut kannte. Schließlich war es seine Aufgabe gewesen, dieses auf den langen Wegen zu tragen, welche er mit Abraxas und Telemach zurückgelegt hatte.
„Drei Decken, drei Teller, drei Schalen ...“
Darius begriff sofort, worauf sie hinaus wollte.
„Ihr glaubt, es könnte noch ein Dritter in der Nähe sein?“
Unter dem Helm wurde ein heiteres Lachen laut, welches gedämpft und ein wenig blechern klang.
„Nein, Malakes. Lüg mich an und du teilst das Schicksal, welches ich heute deinen Freunden zuteil werden lasse. Sprichst du aber die Wahrheit, will ich sehen, ob ich dir gegenüber Gnade kenne. Vielleicht dem Wohlgefühl der Nacht geschuldet, welches du mir gegeben hast.“
„Herrin! Ich bitte euch. Ich bin nur der Diener der beiden. Sie schicken mich vor, um die Gefahren einzuschätzen, welche im Verborgenen auf sie lauern könnten. Mein Vorgänger kam dabei ums Leben. Das Bündel welches ihr gefunden habt, ich trug es den ganzen Weg hierher. Ich habe ihnen gesagt, dass sie euch in Ruhe lassen sollten, habe ich doch den Geschichten glauben geschenkt, welche man sich über euch erzählt. Doch sie wollten auf die Leute in Kranioi und Pronnoi nicht hören und hielten sich für die besseren Kämpfer.“
„Gut, dann werde ich sie eines besseren belehren. Komm! Befreien wir sie! Hattest du doch in der Nacht nicht den Mut dazu gehabt.“
Darius schwindelte. Woher konnte sie das wissen? Hatte sie sich nur schlafen gestellt? Oder war es der Wolf, welcher ihn verraten hatte? Doch wie konnte das möglich sein?
Die Kriegerin bückte sich vor, mit ihrer rechten Hand auf den Speer gestützt, mit ihrer Linken nach einem großen Rundschild greifend. Dabei fiel Darius Blick auf ein Schwert, welches in einer rotledernen Scheide verborgen, an ihrer linken Seite hing. Zu gerne hätte er es in Augenschein genommen, wirkte doch schon dessen Schaft reich verziert und aus seltenem Material gefertigt.
„Eile dich, oder soll ich dir Beine machen?“, drohte sie ihm.
Sie ging zum Treppenabsatz und deutet mit dem Speer zur Seite.
„Los! Los! Ich freue mich schon darauf, deine Krieger kennenzulernen. Auf der Insel gibt es kaum noch welche, die sich mit mir messen wollen.“ Spott klang in ihrer Stimme mit, sie schien sich ihrer Sache sicher zu sein. Kein Wunder, denn wie sonst, hätte sie diese Schätze an ihrem Leib für sich bewahren können?
Er ging besorgt die Treppe hinunter, gefolgt von der gerüsteten Frau. Auch wenn Abraxas und Telemach ihn nie wirklich gut behandelt hatten, so war es für ihn, abgesehen von einer unbeschwerten Kindheit, noch die erträglichste Zeit seines Lebens gewesen. Selten gab es Tage, an welchen er Hunger gelitten hatte, oder sich um einer nahen Not Sorgen musste. Dafür hatte er mit seiner Würde zahlen müssen und wurde immer wieder aufs Neue Gefahren ausgesetzt, welche kaum für ihn zu überschauen waren. Vielleicht war jetzt einfach der Zeitpunkt gekommen, an welchem sie von Tyche (griech. Göttin des Glücks) verlassen worden sind?
„Nimm ihnen ihre Knebel ab, dann gib ihnen Wasser und bringe ihnen Obst. Ich möchte nicht als feige erscheinen, in dem sie mir geschwächt gegenübertreten müssen.“
Darius bestätigte der Kriegerin, dass er ihren Weisungen folgen wollte, und löste den beiden Männern die Knebel aus den Mündern. Doch die beiden schwiegen, blickten zu der Kriegerin auf und mühten sich ihre Beherrschung zu wahren. Darius fühlte die Angst seiner Freunde, sie schienen jetzt selbst zu ahnen, in welche Gefahr sie sich bei diesem Auftrag begeben hatten.
„Nimm eine Kanne und hole frisches Wasser aus dem Brunnen! Obst und Gemüse, sowie etwas Brot und Olivenöl findest du im Haus. Eile dich! Ich will nicht lange auf meinen Spaß warten müssen.“
Die braunen Augen der großen Frau blickten, durch die Sehschlitze ihres Helms hindurch, auf die beiden Söldner herunter.
„Warum zwingt ihr uns zu einem Kampf? Wir haben euch nichts getan“, wurde sie nun von Abraxas angeklagt. „Wir wussten nicht, mit wem wir es in diesem Haus zu tun haben würden und wollten vorsichtig die Lage erkunden.“
Deianiera lachte lauthals auf.
„Du brauchst mich nicht anlügen, Mann. Dein Kumpan hat mir von eurem Auftrag erzählt. Außerdem schleichen nur Mörder, Räuber oder Diebe um ein Haus herum, niemals dagegen rechtschaffene Leute.“
Telemach, der bisher die Bewaffnete schweigend gemustert hatte, äußerte sich nun ebenfalls.
„Darius lügt. Wir wollten dir nichts böses. Er trägt seine Schuld bei uns ab, wir sind einfache Soldbrüder und wollten auf der Insel nach einer Anstellung suchen. In unserer Heimat ziehen die dunklen Wolken eines sich nahenden Krieges auf, welchen wir zu entkommen suchen.“
„Söldner fliehen vor einem Krieg? Ungewöhnlich, findet ihr nicht?“, zeigte sich die Hünin interessiert.
„Nicht, wenn man das Gut seines Lebens zu schätzen weiß“, erklärte Abraxas sogleich.
„Warum sollte Darius mich anlügen?“, fragte die Frau weiter.
„Er ist gerissen und verschlagen, glaubt ihm kein Wort! Warum sonst sollten wir ihn vorschicken? Er wirkt harmlos und hat eine flinke Zunge in seinem klugen Kopf. Er wird schnell gemerkt haben, dass wir uns mit euch übernommen haben.“
Die Kriegerin lachte abermals. Was für ein Malakes (Vollidiot).
„Merkst du nicht, dass du uns verraten hast?“, herrschte Abraxas seinen Waffenbruder an. „Gerade in dem Moment, in welchem sie zu zweifeln begann.“
Deianiera schüttelte ihren Kopf, das Gespräch hatte ihr bis jetzt einigen Spaß bereitet.
„Er hat recht. Ich war wirklich kurz davor, deine Worte ernst zu nehmen.“ Sie deutete mit der Spitze ihrer Lanze auf den nahenden Darius, welcher in diesen Moment den Wohn- und Schlafraum ihres kleinen Hauses durchquerte. Flüchtig sah sich der Mann dabei um, in seiner Hand den Krug und eine Schale tragend.
„Wollt ihr euch nicht ebenfalls stärken?“, fragte der schmächtige Mann die Hausherrin.
„Ich esse nach dem Kampf. Mein Hunger nimmt sich nicht all zu groß aus im Vergleich zur Vorfreude, welche mich erfüllt.“
Darius beugte sich über seine bisherigen Kumpane und flößte ihnen vorsichtig Wasser ein. Die beide tranken gierig von dem dargebrachten Nass und ließen sich auch von ihm bereitwillig mit Obst, Gemüse und Brot füttern.
„Das reicht jetzt! Binde sie los, gib ihnen ihre Waffen, ich warte vor dem Haus auf sie.“
Darius blickte zu der Kriegerin auf, welche sich in diesen Moment umwandte und durch den Torbogen des kleinen Innenhofs hinaus ins Freie trat.
„Mögen dir die Moiren gewogen sein, Darius. Wenn wir mit ihr fertig sind, fangen wir mit dir an“, drohte Abraxas, kaum dass sie alleine waren.
Nachdem Darius den Männern die aneinandergefesselten Handgelenke gelöst hatte, schlug auch schon Telemachs rechte Faust in sein Gesicht. Ein brutaler Schmerz schien seinen Kopf zum Bersten zu bringen, während ein dichter Schleier vor seine Augen trat. Er konnte kaum noch etwas sehen, ihm schwindelte und nur mit Mühe, mit beiden Händen nach einem Stützpfeiler der Überdachung greifend, vermochte er es, auf seinen Beinen stehenzubleiben.
Abraxas indessen warf Telemach den Bogen zu. Dieser war nicht mehr gespannt, die Kriegerin musste diesen, nach dem sie die beiden Männer überwältigt hatte, entlastet haben, um dessen Zugkraft zu erneuern. Der Schütze brauchte Abraxas Hilfe, um ihn erneut für den Kampf präparieren zu können. Doch wie hatte dieses Mädchen allein dessen Sehne zu lösen vermocht?
„Hier! Dein Köcher und der Speer.“
Telemach dankte Abraxas, nickte ihm zu, bemüht seine Sorge vor dem Freund zu verbergen. Sie waren zu zweit, die Frau allein. Wenn sie es geschickt anstellten, würden sie beide ihr schon den Garaus machen können. Die beiden umfassten mit ihrer Rechten den Unterarm des anderen, dabei ihre Linke auf der Schulter des Gegenübers ablegend.
„Bist du bereit?“, fragte Abraxas seinen Freund. Dieser nickte, löste sich von ihm und legte einen ersten Pfeil in seinen Bogen ein, den Wurfspeer, mit Hilfe eines Tragriemens, auf seinem Rücken tragend.
„Ja. Gib mir die nötige Zeit auf das Dach zu steigen, dann kannst du ihr gegenübertreten“, schlug er vor.
Der Schwertkämpfer war einverstanden. Sein Kopis in der rechten Hand, ein Langmesser in der Linken, würde er die Kriegerin solange abzulenken suchen, wie Telemach an Zeit benötigte, um sie mit seinen Pfeilen zu schwächen. Es lag dann an ihm, dem Weib den finalen Stoß zu versetzen.
„Halte dich wacker, Freund. Noch ist es nicht an der Zeit für uns, dass wir dem Fährmann die Münzen zahlen“, suchte er Telemach anzufeuern.
Darius indessen hockte am Fuß des Pfahls und stöhnte unter der Last seiner Schmerzen. Die Pein in seinem Gesicht war kaum für ihn zu ertragen.
Die beiden Männer blickte verächtlich auf ihren Begleiter herunter, während sie an ihm vorbei aus dem Innenhof traten. Telemach eilte links um das Haus herum, Abraxas schlich nach rechts.
Der Kampf
Abraxas lugte vorsichtig um das letzte Hauseck herum. Er fand die Kriegerin inmitten ihres Übungsparcours, zwischen aufgehängten Sandsäcken und einer Vielzahl, deutlich ramponierter Holzpuppen. Sie dehnte ihren Körper in einem Ausfallschritt, streckte ihre Arme gen Himmel, streckte sich und griff schließlich nach ihren Waffen.
„Theios (griech. Onkel)! Führe mich in diesem Kampf und lasse mich über meine Feinde triumphieren! Lenke mich! Behüte mich! Schütze den Menschen, welcher dich immer lieben und deiner gedenken wird!“
Abraxas trat aus dem Schutz des Hauses heraus. Er näherte sich langsam der Frau, nach einem Punkt im Gelände suchend, welcher ihm im Notfall Deckung bot. Er musste diese Furie aus dem Übungsbereich herauslocken, damit sein Freund sie mit seinen Pfeilen beschießen konnte.
„Ah! Da bist du ja!“ Die Kriegerin wandte sich dem stämmigen Mann zu, welcher ihr zögerlich entgegentrat. Seine Miene wirkte ausdruckslos, der Blick seiner Augen galt einzig ihr.
Er begann um sie herumzuzirkeln, verkürzte langsam die Entfernung und suchte in die Seite der Kämpferin zu gelangen, welche nicht vom Schild geschützt wurde. Diese hielt die Spitze ihres Speeres auf ihn gerichtet und den Schild in einer merkwürdigen horizontalen Haltung, welche so keinerlei Schutz für sie bieten würde. Noch immer war sie durch die Puppen und Säcke gedeckt. Telemach würde es schwerfallen, einen Pfeil auf sie zu lösen.
Abraxas einzige Möglichkeit, nahe genug an sein Ziel heranzukommen, war es ihren Speer zu unterlaufen. Dieser hatte eine hohe Reichweite, wurde aber nutzlos, wenn man sich in unmittelbarer Nähe des Gegners befand. Ab diesem Moment würde er mit seinem Messer und Schwert dieser Soldfrau überlegen sein. Doch egal wie er um sie herumtanzte, in Ausfallschritten auf sie zusprang, die Speerspitze blieb drohend auf ihn gerichtet und die gerüstete Frau wich geschickt seinen Angriffen aus. Raum bot sich hierzu genug für sie, zumal sie sich auskannte.
Abraxas stand der Schweiß auf der Stirn. Lange durfte dieses Spiel nicht andauern. Zwar war er deutlich leichter gekleidet, als die Frau in ihrer Rüstung, doch schien diese einen längeren Atem zu haben, zumal sie ja nur reagierte und mit ihrer Kraft auf diese Weise haushaltete. Mit jedem Augenblick, der verstrich, vergrößerte sich die Gefahr, dass er zusehends an Kraft und Geschwindigkeit verlor.
Warum griff sie ihn nicht an? Warum drang sie nicht auf ihn ein? Sie hatte schon mehrere Gelegenheiten dazu gehabt, zweimal hatte er sie sogar zu provozieren gesucht und sich ihr, kaum durch seine Waffen gedeckt, angenähert. Doch die Frau hielt weiterhin Abstand, die Spitze ihrer Stangenwaffe auf seine Brust gerichtet haltend. Diese schien durch ein Band mit seinem Körper verbunden zu sein. Egal wie abrupt er sich bewegte, die Eisenspitze zeigte auf seine Brust.
Sollte er eine Ermüdung vortäuschen? Schwer fiel es ihm nicht, denn sein Handeln hatte schon einiges von seiner Kraft gefordert. Doch zuvor wollte er einen Angriff wagen, schlug mit seiner Schwertklinge nach dem Schaft der gegnerischen Waffe, drehte sich im Vollkreis und stach mit dem Messer in seiner linken Hand zu.
Sie war stehen geblieben! Diese Erkenntnis kam für ihn zu spät. Wäre sie zurückgewichen, hätte seine Attacke fruchten können, so aber prallte er gegen die auf ihn gerichtete Kante des Rundschilds, welche mit einem dumpfen Ton auf seine Brust drückte. Die Luft wich aus seiner Lunge, Sterne traten vor seine Augen, für den Augenblick schien er unfähig, nach Luft zu ringen.
Verzweiflung kam über ihn, erwartete er doch jeden Moment den Lanzenstoß, welcher ihn aus dem Leben riss. Hatte er Münzen dabei, welche man für den Fährmann auf seine geschlossenen Augen legen konnte?
Es gelang ihm gerade so auf seinen Beinen stehen zu bleiben. Taumelnd, die messerführende Hand gegen seine Brust drückend, blickte er zu der Kriegerin auf, welche ihn, mit der Speerspitze auf ihn zeigend, erwartete. Sie schien völlig ruhig zu sein und ihn nicht wirkliche als Bedrohung anzusehen.
Doch wer schlich da hinter ihr durch die Büsche? Abraxas wollte seinen Augen nicht trauen. Telemach hatte seine Position auf dem Dach verlassen und suchte jetzt nach einer Möglichkeit, seinen Pfeil aus nächster Nähe auf das Weib zu lösen. Diese schien den Bogenschützen nicht bemerkt zu haben, waren doch ihre Augen nach wie vor auf ihn gerichtet. So spielte sie mit ihm ihr böses Spiel und würde gleich ihren Hochmut bereut haben.
Abraxas war erfahren im Kampf. Er hatte schon eine Vielzahl an Aufträgen abgeschlossen und war stets mit auftretenden Überraschungen fertig geworden. So würde es auch jetzt sein, schien sich doch dieses Frauenzimmer ihrer Sache zu sicher. Nie sollte man seinen Gegner unterschätzen. Selbst dann nicht, wenn man glaubte, ihn bereits geschlagen zu haben.
Abraxas suchte auf Abstand zu gehen, worauf ihm die Kriegerin zum ersten Mal folgte. So trat sie aus der Deckung eines aufgehängten Leinensacks heraus, woraufhin Telemach einen Pfeil auf sie schoss. Gleichzeitig bot der Schwertkämpfer all seine Kräfte auf und stürmte auf die Kriegerin los, welche dem Pfeil durch eine seitliche Drehung auszuweichen suchte.
„KLONG!“
Welch banaler Ton, wenn die Klinge auf ein Schild schmetterte. Abraxas Handgelenk schmerzte wegen des abrupten Widerstands, so hart hatte er seinen Hieb zu führen gesucht.
„SCHIEß WEITER!“, schrie Abraxas, woraufhin Telemach hastig seinen nächsten Pfeil bereitzumachen suchte.
Der Kopf der amazonengleichen Frau richtete sich auf einen Punkt, welcher genau zwischen den beiden Männern lag. Diese suchten den Winkel zu vergrößern, damit zumindest einer von ihnen in ihren Rücken gelangen konnte. Die schien sich dieser Gefahr bewusst zu sein und wich in die Richtung ihres Hauses aus. Für die beiden Söldner ein ungünstiger Umstand, würde sie doch dessen Mauern, als Deckung nutzen können. Wieder schoss der Schütze einen Pfeil ab, welcher mit einem surrenden Geräusch auf die Frau zuraste. Diese aber brachte ihren Schild rechtzeitig zwischen sich und dem Geschoss, gleichzeitig mit dem Speer nach Abraxas stechend, der wieder auf sie einzudringen suchte.
Sie stand unter Druck und reagierte. Dessen waren sich die beiden Männer klar geworden. „WEITER!“, rief Abraxas, worauf Telemach hastig einen neuen Pfeil in die Sehne seines starken Bogens einzulegen begann.
Darius hatte aus sicherer Entfernung den Kampf der drei verfolgt. Sollte er darauf Einfluss nehmen? Oder abwarten, welche Seite den Streit für sich entschied? Rasend schnell schossen ihm die Gedanken durch den Kopf. Die Erinnerung an Abraxas Warnung, die für ihn folgenlos gebliebene Erkenntnis der Kriegsfrau. Wenn er jetzt handelte und sich richtig entschied, würde vielleicht sein Schicksalsfaden künftig von den Moiren mit Tyches Segen geflochten werden.
Er würde der Frau beistehen und sich so aus der Abhängigkeit der beiden Schergen lösen. Selbst dann, wenn dies deren Tod bedeuten sollte. Vorsichtig seine Schritte setzend, schlich er die Mauer entlang, vorbei an dem Hauseingang. Die Kriegerin hatte indessen erneut einen Pfeil Telemachs mit ihrem Schild abgewehrt und den Schwertkämpfer mit ihrem Speer auf Abstand gehalten, welcher neuerlich auf sie einzuschlagen versuchte. Sie stand jetzt mit ihrem Gesicht ihm zugewandt, doch keine ihrer Reaktionen deuteten darauf hin, dass sie ihm Beachtung schenkte.
Darius ging in die Hocke, hob mit beiden Händen einen schweren Stein auf und näherte sich weiter dem Bogenschützen an, nachdem er mühsam wieder auf seine Beine zum Stehen gekommen war. Trotz seiner Furcht wollte er jetzt keinesfalls von seinem Plan ablassen, denn Telemach hielt, ein Dutzend Schritte entfernt, seinen schussbereiten Bogen auf die Kriegerin gerichtet. Viele Pfeile steckten nicht mehr in seinem Köcher. So oder so, würde die Entscheidung nicht mehr lange auf sich warten lassen.
„SCHIEß AUF SIE! DAS MUSS EIN ENDE HABEN!“, brüllte Abraxas, der nach wie vor verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, seine Gegnerin anzugreifen. Doch die ließ sich nicht beirren und blieb in der Mitte der beiden, immer wieder Bäume, Felsen und Übungsgeräte zwischen sich und den Bogenschützen bringend.
Telemach, getrieben durch die wütenden Worte seines Freundes, fand dennoch eine Möglichkeit und wollte den Pfeil gerade auf sein Ziel abschießen, als er hinter sich ein Knacken vernahm. So riss er seinen Bogen herum, mit dem eingelegten Geschoss auf die Brust Darius zielend, welcher einen großen Stein mit beiden Händen über seinen Kopf stemmte. Doch in dem Moment, in welchem der Bogenschütze die Sehne seiner Waffe vorschnellen lassen wollte, traf ein gewaltiger Stoß seinen Körper. Er bekam keine Luft mehr, und sein Hals schien sich mit Flüssigkeit zu füllen, welche in seinem Innersten aufstieg. Erschrocken blickte er an seinem Leib herunter, während ein Nebel vor seine Augen trat, welcher zusehends dichter wurde. So konnte er die Spitze des Speeres noch erkennen, welche seinen Leib durchdrungen haben musste, fühlte seine Beine dem Gewicht seines Körpers nachgeben, als die Finsternis über ihm kam. Tod! Diese Erkenntnis war seine Letzte.
Ein Schrei durchdrang die Luft. Abraxas war außer sich, stürmte auf die Kriegerin zu und schlug mit seinem Schwert nach deren rechte Schulter. Doch diese tänzelte auf der Stelle, drehte sich um die Hälfte eines Kreises, wich ihm aus und ließ erneut den Rand ihres Schildes gegen seinen rechten Oberarm prallen. Zeitgleich hatte sie mit der Rechten nach dem Schwertschaft gegriffen und zog jetzt die Hieb- und Stichwaffe aus deren Scheide heraus.
Jetzt war Abraxas derjenige, welcher sich ihrer Angriffe erwehren musste. Immer wieder drang die Schwerbewaffnete auf ihn ein, sowohl den Schild als auch ihr Schwert bei ihren Angriffen nutzend. Anfangs ihre Hiebe und Stiche noch parierend, fiel es dem Kämpfer immer schwerer, der zunehmenden Geschwindigkeit ihres Handelns zu folgen. Ein intensiver Schmerz legte sich über die linke Seite seines Körpers, gefolgt von einem heißen Brand, welcher in seine rechte Schulter fuhr. Dabei öffnete sich wie von selbst seine Hand, in der er sein Schwert gehalten hatte, woraufhin die Waffe mit einem klirrenden Ton zu Boden fiel.
Tränen der Verzweiflung in seinen Augen, suchte er ihren Angriffen mit dem Messer zu begegnen, der Aussichtslosigkeit seiner Lage gewiss. Doch seine Gegnerin schien ihren Spaß mit ihm zu haben und verwundete ihn, mit einem gewaltigen Schildstoß gegen seinen linken Schenkel.
Abraxas kippte zur Seite, fiel mit dem Oberkörper voran zu Boden und schien in diesen Moment erleichtert. Gleich würde es vorbei sein und er von all den Anstrengungen dieses Kampfes, aber auch denen seines Lebens befreit werden.
„Telemach! Ich folge dir nach, mein Freund“, flüsterte er kaum hörbar.
Abraxas überlebt
Doch anstatt ihm die Klinge ihres Kopis in sein Leib zu treiben, trat die Frau mit ihrem Fuß nach seinem Messer, worauf dieses über den Boden schnellte. Abraxas bemerkte jetzt die von stählernen Beinschienen geschützten Unterbeine der Kriegerin direkt neben seiner rechten Schulter, welche sich zur Hocke anwinkelten. Sie wollte ihn wohl näher in Augenschein nehmen, bevor sie ihn in den Hades schickte.
„Du!“ Wandte sich die Kriegerin an Darius. „Hol mir Wasser und eine Schale mit Wundwerkzeug, welche auf dem Tisch im Haus steht. Gleich zu deiner Linken, wenn du durch die Tür getreten bist.“
Darius zeigte ihr an, dass er verstanden hatte, eilte zum Haus und sah, wie die Frau ihren mächtigen Helm von ihrem Kopf herunter zog. Sie schien sich um Abraxas sorgen zu wollen und das, obwohl dieser noch vor wenigen Augenblicken sie zu Tode bringen wollte. Ihr Vorhaben gefiel Darius nicht, fürchtete er doch den Zorn Abraxas noch immer, was dem Umstand geschuldet war, dass er Telemach in einem entscheidenden Moment von der Kriegerin abgelenkt hatte.
Sein Blick fiel auf die Schale, griff nach ihr und nahm einen großen Krug zur Hand. Beides trug er nun zu der Frau zurück, welche sich über ihren verwundeten Gegner gebeugt hatte. Sie tastete den Körper Abraxas ab, lösten den Stoff von dessen Umhangs aus einer weit aufklaffenden Wunde und wandte sich Darius zu, welcher in diesen Moment an ihre Seite trat.
„Erhitze das Wasser über dem Feuer, bis es kocht! Dann komm mit ihm wieder zu mir. Beeile dich. Wir haben nicht viel Zeit.“
Er folgte wie von selbst ihren Befehlen, haderte nicht damit und fühlte sich von einer Last befreit, welche er bis zu diesen Morgen getragen hatte. Das Zusammenleben mit Abraxas und Telemach war für ihn demütigend und beschwerlich gewesen. Auch wenn sie ihn einen Kameraden genannt hatten, so hatten sie ihn dennoch geschunden und geschlagen, wenn er gezögert hatte, ihren Anordnungen Folge zu leisten. Oft war er sich vorgekommen wie der schwächste Tier in einem Rudel Wölfe.
Nervös wartete der hagere Mann neben der Feuerstelle. Es war beschwerlich gewesen das vom Morgentau feuchte Holz zum Brennen zu bringen und beißender Rauch war dabei in seine Augen gestiegen. Er fürchtete sich, die Herrin zu verärgern, in dem er zu viel Zeit verstreichen ließ. Doch was half es? Nur mit Mühe fanden die Flammen im feuchten Holz ihre Nahrung und es gab nicht genug Hitze, welche das Wasser im Krug zum Kochen bringen konnte.
„Wo bleibst du? Er wird sterben, wenn ich nicht bald die Wunde säubern kann.“
„Entschuldigt, aber das Holz ist nass geworden“, rief Darius zurück.
„Dann hole Trockenes aus der Hütte, Malakes!“
Röte stieg in Darius Gesicht. Er hätte von selbst auf diese Möglichkeit kommen müssen. So eilte er durch den Hinterhof zurück in die Kammer, nahm dort etliche Scheite von einem Stapel herunter und hastete mit diesen zu der Feuerstelle zurück. Sorgsam schichtete er dabei das Holz zur Pyramide und endlich wuchsen die Flammen zur gewünschten Größe an.
„Hier, Frau!“
Darius kniete sich neben der Kriegerin auf den Boden, welche mit ihrer linken Hand in die Wunde des Verletzten hinein gegriffen hatte. Warum sie das tat, konnte er nicht verstehen.
Abraxas blieb stumm, sein Gesicht hielt er von ihnen abgewendet. Hatte er sein Bewusstsein verloren? War er überhaupt am Leben?
„Mach das Messer glühend. Schnell!“, herrschte die Kriegerin ihn an.
Auch aus dem Mund der Frau schien es nur Befehle für ihn zu geben. War es sein Schicksal, dass er anderen Menschen zu folgen hatte? In diesen Moment verlor er die zuvor empfundene Unbeschwertheit. Vielleicht dämmerte es ihn jetzt, dass sie nicht anders war, als diejenigen, welche bisher über sein Leben bestimmt hatten.
„Los, eile dich! Wenn er stirbt, werde ich dir die Schuld an seinen Tod geben, sei dir dessen gewiss.“
Angst überkam ihn. Hastig raffte er sich auf, suchte nach dem Messer, welches irgendwo vor ihm liegen musste und fand es schließlich im niedergetrampelten vertrockneten Gras. Er hob es auf und eilte zurück zur Feuerstelle, wo er die Klinge zwischen die Scheite schob. Ungeduldig wartete er darauf, dass das Metall seine Farbe veränderte, doch dies geschah nur langsam, und mit der verstreichenden Zeit wuchs seine Furcht vor der Drohung der Kämpferin.
„WIE LANGE BRAUCHST DU NOCH? ICH KANN NICHT EWIG DIE ADER GESCHLOSSEN HALTEN.“
„ES WILL NICHT GLÜHEN“, suchte sich Darius zu rechtfertigen.
„KOMM HER! ES WIRD SCHON GEHEN!“
Er zögerte keinen Wimpernschlag, riss die Klinge aus dem Feuer heraus und lief zu der Frau zurück, welche eine wundersame Wandlung von einer Söldnerin zur Wundheilerin vollzogen hatte. Eine Veränderung, deren Geheimnis er für sich unbedingt zu lüften beabsichtigte.
Sie nahm in einer hastigen Bewegung das Messer aus seiner Hand und hielt die heiße Klinge über die Wunde.
„Halte sie auf!“, forderte sie von ihm. Erst begriff er nicht, was sie von ihm verlangte, doch dann zog er dieWundränder auseinander
Rauch stieg auf, sowie der Duft versengten Fleisches.
Darius fragte sich in diesen Moment, wie Menschenfleisch schmecken könnte, so deutlich stieg ihm der Bratengeruch in die Nase. Er schämte sich sogleich dafür und suchte umgehend nach anderen Gedanken in seinem Kopf.
Die Frau indessen ließ von dem Verletzten ab und blickte zu ihm rüber.
„Gut, vielleicht schafft er es. Ich werde noch ein paar Kräuter suchen, dann sollte er es mit Asklepios (griech. Gott der Heilkunst) Segen schaffen.“
Die Frau stand auf und deutete auf die Füße des Verletzten.
„Tragen wir ihn in die Hütte und betten ihn auf mein Schlaflager. Du wirst bei ihm bleiben, bis ich wiederkomme!“
Sie hoben den Verletzten gemeinsam an, umfasste dessen Oberkörper, während er nach Abraxas leicht zu tragenden Fußgelenken griff. Vielleicht war sie gar keine irdische Frau? Die ihr innewohnende Kraft kam ihm nicht mehr natürlich vor.
„Führe ihm immer wieder Wasser zu! Tauche am besten dazu ein Tuch in den Krug und benetzte anschließend seine Lippen damit. Lege ihm die Hand auf die Stirn, sollte er fiebern, müssen wir ihm kühle Wickel anlegen.“
„Woher wisst ihr, wie man ihm helfen kann?“
„Mein Onkel war ein gebildeter Mann, er lehrte es mich“, beantwortete sie für ihn überraschend seine Frage.
Das grobe Gesicht der Frau zeigte ihm ein Lächeln. Dann wandte sie sich um, trat aus der Tür heraus und eilte den Weg entlang, in Richtung des kleinen Steges, welcher über den Graben führte. Darius folgte ihr mit seinem Blick, bis sie hinter der Einfriedung verschwunden war und widmete sich dann Abraxas. Jetzt, in diesen Moment, würde es ihm ein Leichtes sein, ihn aus der Welt zu schaffen.
Doch ihm fehlte es jetzt an Mut. Immer dann, wenn er alles auf eine Karte zu setzen suchte, mangelte es an dem letzten Quäntchen Entschlossenheit. Kein Wunder, dass er es nicht vermochte seinem Leben eine Wendung zu geben.
So tat er das, was die Kriegerin ihm aufgetragen hatte, kühlte die Stirn des Verletzten und führte diesem, in kleinen Mengen, Wasser zu. Es verstrich einiges an Zeit, bis Abraxas zu sich kam und sofort unter der Last seiner Schmerzen zu stöhnen anfing.
„Warum ...“, Abraxas kämpfte um jedes Wort. Er war stark geschwächt und sein rechter Arm zitterte. „ ... warum?“ Er blickte zu Darius auf, doch dieser wusste nicht, welche Frage ihm Abraxas zu stellen suchte.
„Bleibe ruhig! Du brauchst Kraft, willst du diese Wunde überleben.“
Abraxas blickte verständnislos zu ihm auf, dann zog er seine Brauen zusammen.
„Duuuuh!“, stöhnte er leise. „Schuld!“ Er hob seinen linken Arm und versuchte damit auf Darius Brust zu deuten.
Darius stand von der Seite Abraxas auf und blickte sich in der dunklen Kammer suchend um. Trotz des wolkenlosen Himmels und einer fleißigen Sonne, drangen nur wenige Lichtstrahlen in das Innere des Häuschens. So hielt man die Hitze daraus fern und es herrschte jetzt, trotz der sommerlichen Hitze, darin eine wohlige Kühle.
Wieder dachte er an die Decke. Würde er Abraxas die Atemluft nehmen, konnte er der Hausherrin erklären, dass dieser aus seiner Ohnmacht nicht mehr erwacht sei. Doch in dem Moment, in welchem er nach dem Wolltuch greifen wollte, trat aus seiner Erinnerung der Wolf. Wenn dieser in der Nähe war, würde sie sein Handeln durch dessen Augen beobachten. So und nicht anders musste es in der Nacht geschehen sein.
Anstatt dem Mann, welchen er gestern noch Freund und Kamerad genannt hatte, zu ersticken, legte er das Tuch über dessen vom Kampf so schwer verwundeten Körper. Nicht auszudenken, wenn sie ihn bei solch einer ruchlosen Tat beobachtet hätte.
Unsicher blickte er sich um, jetzt, in diesen Moment, fühlte er sich durch sie überwacht. War sie ein sterbliches Wesen? Und was hatte es mit ihrem Onkel auf sich? War dieser ein Bote des Olymps? Gab es nicht viele Halbgötter? Herakles? Achilleus? Auch Perseus kam ihm sofort in den Sinn. Doch gab es eine Frau unter ihnen? Er konnte sich nicht darin erinnern, jemals von einer Halbgöttin gehört zu haben. Aber vielleicht war es gerade deshalb wahrscheinlich? Könnte es den Göttern langweilig geworden sein, ausschließlich Männer in die irdische Welt hineinzugebären? Oder eine der Götterfrauen wollte ihrerseits eine Abgesandte zu den Sterblichen entsenden.
Er hörte Schritte vor dem Haus und sah die Soldatin sogleich durch die Tür treten. Sie drückte ihm wortlos ein Fläschchen in die Hand, dann beugte sie sich über den Verwundeten. Geschickt löste sie die Verbände, bedeckte die Wunde mit einer schwarzen Paste und blickte dann auf das vom Schmerz gezeichnete Gesicht Abraxas herunter.
„Hat er etwas gesagt?“
Darius nickte.
„Ja, er hält mich für einen Verräter.“
Sie wandte sich ihm zu, betrachtete ihn aufmerksam, dann hörte er ihr heiseres Lachen.
„Was ja auch stimmt. Du bist feige, Darius. Eine Eigenschaft, welches einem nicht zur Ehre gereicht, aber zumindest überleben lässt. Und du hast erkannt, wer den Kampf gewinnen würde und dich für die richtige Seite entschieden. Von daher sei glücklich über diesen Ausgang.“
Darius nickte zaghaft.
„Wie ist euer Name, Frau?“
Sie hatte sich wieder über den Verwundeten gebeugt, senkte ihren Kopf auf dessen Brust ab und schien zu horchen.
„Sein Herz schlägt langsam aber stetig. Ich denke er wird wieder gesund.“
Sie drehte sich erneut zu ihm um und ließ sich von ihm das Fläschchen reichen.
„Deianiera ist mein Name. Doch dürfen nur freie Menschen mich so anrufen. Dieser Mann hier und auch du, Darius, seid fortan meine Sklaven. Von daher wirst du mich ab jetzt Afentra nennen.“
Darius blickte sie erschrocken an. Selbst der Patron, welcher von Abraxas und Telemach so schwer verstümmelt worden war, hatte es nicht gewagt, ihn so zu nennen.
„Aber mit welchem Recht? Ich habe euch doch geholfen. Ohne mich ..., der Pfeil.“, stammelte er.
„Und du glaubst wirklich, ich hätte den Kampf ohne deine Hilfe nicht für mich entscheiden können? Sei kein Narr! Es hätte ein paar Wimpernschläge angedauert, bis ihr drei im Sand verblutet wärt. Füge dich deinem Schicksal, rate ich dir. Ich behandel das, was ich besitze, gut.“
„Aber ich bin als freier Mann geboren. Das Gesetz ...“
Die Frau lachte auf, so laut, dass es ihm in den Ohren schmerzte.
„Gesetz? Welches? Das Kraniois? Das von Pale? Oder meinst du jenes der Polis Athen oder Sparta? Ich gebiete über dich, weil du dich auf meinem Land bewegst, mir schaden wolltest und meinem Willen unterliegst. Also kein Wort mehr, oder ich strafe dich.“
Darius sah Sterne vor seine Augen treten. Er glaubte, der Sinn seines Lebens hätte sich vollständig verflüchtigt.
Darius, der Sklave
Den Blick zum Himmel gerichtet, betrachtete Darius den Mond. Dieser war voll geworden, seit der Nacht, in welcher er zum ersten Mal auf diesem Dach genächtigt hatte. Die Afentra hatte ihn am gestrigen Abend an ihrer Seite einschlafen lassen, ohne dass sie das Schwert, wie sie sein Gemächt nannte, zu ihrem Vergnügen verwendet hätte. Er war voller Zweifel deshalb, fürchtete er doch, das ihr Interesse an ihm nachgelassen haben könnte.
Seine Hand tastete nach seinem Hals, an welcher er fortan einen Kupferring zu tragen hatte. Es stand ihr Name darauf, zum Zeichen, dass er ihr gehörte. Sklave! Noch immer konnte er nicht glauben, dass ein Mensch, über alles was sein Leben ausmachte, bestimmen durfte. Noch dazu eine Frau!
Darius glaubte, die Hammerschläge zu hören, welche in sein Ohr drangen, während die Afentra den heißen Niet durch die Ösen des metallenen Halsbandes trieb. Ein jeder der Schläge schien ihn zu verhöhnen und die Last seines neuen Lebens zu verdeutlichen. Dabei fühlte er den Druck ihrer Sandalensohle in seinem Genick mit welcher sie ihn auf den Ambos herunter gedrückt hatte.
„Schlaf jetzt!“, hörte er leise ihre Stimme.
Darius schloss sofort wieder seine Augen. Es war nicht das erste Mal, dass sie in seine Gedanken sah, wie er glaubte. Er fürchtete ihre Macht, fühlte sich ihr gegenüber ohnmächtig und sorgte sich über jeden kommenden Tag.
„Stehe auf! Stärke dich, dann hacke Holz und bereite mir mein Essen. Ich gehe solange ans Meer und bade im Wasser meinen Körper.“
Darius bestätigte, dass er ihre Weisungen vernommen hatte, und erhob sich sofort aus dem Nachtlager.
„Darf ich auch Abraxas eine Morgenmahl bereiten, Afentra?“
Es ärgerte Darius, dass er mittlerweile wie selbstverständlich dieses Wort benutzte.
„Tue das. Wir versuchen, später mit ihm ein paar Schritte zu gehen, gelingt es uns, lege ich ihn in Ketten. Ich bin mir, anders als bei dir, seiner nicht sicher. Besser ich verkaufe ihn, bevor er meine Sorge um ihn mit einer Dummheit zu vergelten sucht.“
„Wohl, Afentra.“ Erwiderte Darius erleichtert. Es würde ihm leichter werden, wenn er seinen ehemaligen Kumpan nicht mehr in seiner unmittelbaren Nähe wusste.
„Und seine Hand? Schmälert sie nicht seinen Wert als Sklave?“
Darius erinnerte sich an die Vielzahl klagender Worte, welche ihn Abraxas ständig zugerufen hatte. Der einst so kräftige Mann konnte seine Rechte nicht mehr schließen und seinen Arm nur mit äußerster Anstrengung bewegen. Er war im Kampf mit Deianiera zum Krüppel geworden.
„Auch deshalb die Ketten. Wenn ich ihn darin einschließe, wird der Käufer seinen Makel nicht bemerken“, erklärte ihm die Herrin bereitwillig.
„Ist das nicht Betrug?“, gab Darius zu bedenken.
„Ich behaupte ja nicht, dass er gesund ist.“
Sie lachte und eilte, fröhlich pfeifend, die Treppen herunter. Darius Augen folgten ihr, dann wandte er sich zu den Bergen um, hinter deren Kamm, die Sonne als Halbrund sichtbar wurde. Er streckte sich, tastete gedankenverloren nach seinem Sklavenreif, dann raffte er sich auf, um seinen beschwerlichen Tag zu beginnen. Sie würde ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, solange bis er endlich wieder die Augen zur Nacht schließen durfte.
Deianiera besaß ein rastloses Wesen. So schwamm sie am Morgen im Meer, trotzte dabei spielerisch den Gefahren Poseidons, lief den Strand entlang und kletterte einen Fels empor, der an dem Anwesen, auf welchem ihr Haus stand, angrenzte. Von dort aus blicke sie, nackt wie die Göttinnen sie erschaffen hatten, ins Land hinaus, rekelte sich in den Strahlen der Sonne und sprang hinab in den Hof, dessen Boden sich vier Meter unter ihr befand. Jeder andere Mensch hätte sich schwer verletzt, doch sie kam sofort wieder zum Stehen und störte sich nicht an dem Staub, welcher ihre noch feuchte Haut bedeckte.
Nackt wie sie war, kam sie um das Haus herum, gesellte sich zu ihrem neuen Diener und linste über dessen rechte Schulter hinweg nach ihrer Mahlzeit. Er verstand sich auf diese Aufgabe ganz gut, viel besser, als sie es von ihm erwartet hatte.
So wanderten ihre Augen über pralle Oliven, leckeren Ziegenkäse, einen am Vortag gebackenen Leib Brot und einer Vielzahl Obst, welches Darius sorgsam für sie zugeschnitten hatte. Dazu reichte er ihr geröstetes Fleisch vom Schwein.
Ihr linker Arm legte sich über seine schmächtigen Schultern, während ihre nackte Brust gegen seinen Rücken drückte. Gierig griff sie nach ein paar Feigen und führte eine von ihnen an ihren Mund.
Darius blieb, wo er war, wusste er doch, dass die Afentra seine Nähe in solch einem Moment wünschte.
„Würde ich nicht bluten, ich hätte Lust auf dich.“ Sie lächelte und biss gierig in die Feige, dann wandte sie sich auch schon ab, blickte auf die Bucht herunter, welche sich gen Norden unterhalb ihres Hauses erstreckte und blieb in Gedanken, während sie weitere Früchte zu sich nahm.
„Iss selbst, dann schaffe Ordnung. Später werden wir mit Abraxas einen ersten Versuch wagen.“
„Das will ich tun, Afentra“, gab sich Darius devot, griff nach einem Stück Brot und etwas Käse und setzte sich auf dem Schemel an der Feuerstelle. Dieser war zu seinem Platz geworden, während seine Herrin geschickt an einem neuen Sitzmöbel zu arbeiten begann. Es sollte ein bequemer Stuhl werden und Darius hatte damit aufgehört, sich darüber zu wundern, dass sie sich auch auf dieses Handwerk verstand.
„Afentra?“
Die Frau brauchte einen Moment, um sich aus ihren Gedanken zu lösen, strich mit ihrer Hand über ihren Schoß, dann blickte sie zu ihm rüber.
„Was willst du?“
Darius reute es, dass er es gewagt hatte eine Frage an sie zu richten. Doch jetzt war das Verbrechen begangen und so konnte er nicht mehr zurück.
„Wenn ich euch fleißig diene, lasst ihr mich dann frei?“
Sie blickte ihn verdutzt an, dann brach auch schon ein heiteres Lachen aus ihr heraus.
„Du glaubst, dass du entscheidest, ob du fleißig bist oder nicht? Du bist ein Sklave, eine Sache, ein Werkzeug, nichts sonst. Ich treibe dich an, solltest du meinen Ansprüchen nicht genügen und wenn ich deiner überdrüssig bist, verkaufe ich dich. Hast du das verstanden?“
Tränen standen dem hageren Mann in den Augen, jedes einzelne Wort aus ihren Mund hatte ihn wie ein Peitschenhieb getroffen.
Sie sah es, dann wandte sie sich auch schon wieder von ihm ab. Ihr Blick war wieder auf das Meer gerichtet und ihre Gedanken nahmen ihren Lauf.
„Nur mal aus Interesse. Wenn ich dich frei lassen würde, was glaubst du würde mit dir passieren?“
„Ich könnte selbst darüber entscheiden, wohin ich gehen möchte“, wimmerte er.
Wieder lachte sie schallend auf. Sie hielt sich sogar ihren Bauch dabei und beugte sich vor, vergebens um ihre Fassung kämpfend.
„Du entscheidest?“ Meinte sie schließlich zu ihm. „Nein, Sklave. Dein Hunger entscheidet, dein Durst. Du besitzt kein Land, also wirst du zu jemanden gehen, der welches besitzt. Dort verdingst du dich bei einem Bauer, vielleicht auch einem Handwerker in einem der Orte, um genau diese Verlangen zu stillen. Bist du aber dann frei, frage ich dich?“
Er zögerte. Ihre Worte begannen bei ihm Wirkung zu zeigen, egal wie sehr er sich auch gegen ihre Bedeutung zu wehren suchte.
Weißt du, Sklave, Freiheit besitzen diejenigen, welche ihr Leben selbst bestreiten können. Menschen die stark, gesund und dazu in der Lage sind, ihre Bedürfnisse selbst zu befriedigen. Von daher bin selbst ich nicht frei, brauche ich doch das Liebesschwert meines Sklaven, um mein Verlangen nach einem Mann zu stillen, habe ich Recht? Sie lachte heiser.
Ich weiß mich zu verteidigen, jage Beute, fange Fisch und baue Obst und Gemüse an. Ich brauche niemanden zum Leben, im Gegensatz zu dir. Deshalb bin ich frei und du mein Sklave. Verstehst du jetzt? Sei froh, dass es so gekommen ist, rate ich dir. Denn ich biete dir Schutz und Auskommen an. Ein Gut welches auf dieser Insel nicht selbstverständlich ist.
Er nickte, zu einer anderen Entgegnung war er nicht im Stande.
Sie störte sich nicht daran, er würde sich schon an seinen Stand gewöhnen. Freiheit? Was für ein Malakes.
„Was, wenn ihr mich das alles lehren würdet? Dann wäre ich doch frei.“
Deianiera schüttelte ihren Kopf, eilte zu ihm rüber, griff mit ihrer Linken in sein langes dichtes Haar und schmetterte ihm ihre Rechte in sein Gesicht.
„Gib dich zufrieden, rate ich dir! Verliere nicht den Respekt. Es herrscht eine Ordnung zwischen uns, welche ich zu wahren weiß.“
Darius weinte wieder, senkte seinen Kopf, wagte es nicht, seine getroffene Wange zu reiben. Diese brannte furchtbar und ein starker Schwindel vernebelte seine Sinne. Eine so heftige Ohrfeige, hatte selbst Abraxas ihm nicht schlagen können.
„Geh an deine Arbeit, du hast genug!“, herrschte sie ihn an.
Darius nickte, raffte sich auf und legte sein Brett mit dem Essen auf den Boden ab. Sie hingegen trat an die Esse, blickte sich um und traf Vorbereitungen für ihr Tagwerk.
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