dem dichter ist alles dichtung (sonett)

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mondnein

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dem dichter ist alles dichtung


der komponist des alle-welten-schwalls
baut straszenbahn-crescendi vor den tusch
bricht cannyon-kanons durch den hindukusch
zerrauscht im weiszen rausch des regenfalls

fünf tausende verschmausten ihn als brot
er schlüpfte in der jungfrau schosz als fisch
das heiszt: der herr der zeit wird zeitlos frisch
gezeugt und aufgebäumt - zehn sephirot

die seine namen sind verschweigen still
das was er ist und denkt und spricht und will
in ihrer schrift liest sich die melodie

nur nicht was dichter dichten - davon stirbt
er den sekunden-schlaf und -tod und zirpt
ein grillen-seufz und fällt in agonie
 

mondnein

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herzliches Dankeschön für die 25 Punkte!
grusz, hansz

P.S.: die hyperbolische "agonie" im Schlußvers dauert (gedichtimmanent) so punktuell-kurz wie ein Grillenzirpen, ein Sekundenschlaf; ich nehme an, daß der Dichter des Ganzen, "dem alles dichtung" ist, das, was wir für "Dichtung" halten, in einem kaum merklichen Augenblick schon verschmerzt hat.
 
Zuletzt bearbeitet:

Bernd

Foren-Redakteur
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Für mich erscheint es eine kritisch-sarkastische Metapher zu sein, eine Metapher auf die Kriegslüsternheit, die Kriegstüchtigkeit.
Das liegt auch am Schlüsselwort Hindukusch.
Der Sekundenschrei am Ende, der Untergang der Zivilisation.
Der letzte Seufzer einer letzten Bombe. Im Namen einer Religion, die überall anders ist und überall gleich.
Es ist die Religion: "Wir sind die Guten".
 

mondnein

Mitglied
war zwar nicht meine Grundidee, aber, lieber Bernd,

aber der Leser macht das Lied. Du denkst wahrscheinlich bei "Hindukusch" an den Ort, wo Deutschland verteidigt wird, aber mir käme eher das "Dach der Welt" in den Sinn, hohe Berge mit tief eingeschnittenen Tälern.

Der Grillenseufzer, kurz und schon vorbei, ist unser Dichtergesang. Im Vergleich mit dem Gesang, der durch Natur und "die zehn Sephirot" die Namen Gottes formuliert, im Vergleich mit dem alles übertönenden Schweigen, ist unser Silbensilber ein Geschwätz, von dem der Dichter des Alls einen Anflug von Müdigkeit bekommt, aber nur ganz kurz, Ein Seufzer, und schon vorbei.

Noch viel kürzer, ein kaum merklicher Bruchteil einer Sekunde, wäre wohl das Religionengewühle, die Rechthaberei der Philosophen und der Narzißmus, unser aller Grundsubstanz. Das Leben als kleine Sekunden-Rückung, eine winzige Verschiebungs-Welle im Nichts-Kontinuum. Kaum geboren, schon vorbei. Kaum bewußt, schon vergessen.

grusz, hansz
 

sufnus

Mitglied
Hey hansz!
Ein wirklich schöne kabbalistisch-gnostische Gemengelage mit neuzeitlichen Echopunkten. Indem Du den Demiurgen (Komponist) mit dem Menschensohn resp. dem Hl. Geist gleichsetzt (wenn ich das richtig verstehe) hättest Du Dich in der Spätantike wohl schmerzhaft zwischen alle Stühle gesetzt und Ur-Christen, Manichäer und jüdische Gelehrte gleichermaßen erschreckt. :)
Wie gut wir es doch hierzulande und -zutage haben, dass auf geistige Lockerungsübungen, welche die Sphäre des Religiösen berühren, (üblicherweise) (noch) keine drastischen Sanktionen stehen - in evangelikal-fundamentalistisch oder gar kalifatös-steinzeitlich influenzierten Zonen wird das dann schon ungemütlich... der Struck'sche Hindukusch (auf den ich damit irgendwie zurückkomme, auch wenn Dein Sonett natürlich über dieser Sphäre steht) ist doch ein schwer zu lokalisierendes Gebilde.
LG!
S.
 



 
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