Der Blick des Fisches (Haiku?)

fee_reloaded

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Eine sehr hübsche Idee für ein Haiku, liebe Delfine,

aber der berühmte "Nachhall", das Spiel mit einem Gedanken, den der Leser noch vollenden kann, fehlt, um's zu einem richtig guten Haiku zu machen.
Etwas wie - um dein schönes Bild und die Stimmung aufzugreifen - zum Beispiel:


Erstarrt!
Durch das Loch im Eis
der kalte Blick des Fisches


Die etwas gar "sachlichen" Minusgrade wären dann nicht nötig, weil durch das "kalte" und das Eis ohnehin schon Kälte genug vorhanden ist - und die im doppelten Sinne (ein "kalter Blick"). Das Spiel mit Mehrdeutigkeit, Parallelismus (wer ist denn jetzt eigentlich alles erstarrt in diesem kurzen Text und warum?) und eben die Offenheit des Textes, die den Leser mit hereinholt, um ihn zu "vollenden" - das wären Merkmale für ein Haiku. Den Blick des Fisches hast du ja schon ganz richtig gesetzt...den spürt man als Leser durchaus, wie er "bohrt", aber das Ganze ist noch ein bisschen zu unentschlossen - da geht noch mehr!... wenn du verstehst, was ich meine.

Auf jeden Fall bin ich schon sehr angetan!

LG,
fee
 
Auf jeden Fall bin ich schon sehr angetan!
Vielen Dank, liebe fee, das freut mich.

Allerdings war es von mir anders gedacht als kalt und erstarrt (ich wollte eine ganz andere Stimmung transportieren):

die im doppelten Sinne (ein "kalter Blick
Der Blick war gar nicht kalt gemeint - eigentlich schaut einen ein Fisch doch eher freundlich an :) Vor allen Dingen, wenn er unter der ansonsten zugefrorenen Fläche mal auftauchen kan.

.Das Spiel mit Mehrdeutigkeit, Parallelismus (wer ist denn jetzt eigentlich alles erstarrt in diesem kurzen Text und warum?)

Es war ganz anders gemeint: der Fisch lebt ja unter dem Eis.

Nachdem anbas mich unter meinem letzten Haiku darauf hingewiesen hat, dass Gefühle im Haiku besser nicht vorkommen sollten oder jedenfalls nicht so oft, habe ich mir hier absichtlich jedes Gefühl verkniffen.

Also: Es sollte tatsächlich vollkommen sachlich sein.

LG SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:

molly

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Hallo SilberneDelfine,

"Es sollte tatsächlich vollkommen sachlich sein." Das ist es auch. "Kalter Blick" gehört eher zu "Gefühlen".

Viele GRüße
molly
 

fee_reloaded

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Allerdings war es von mir anders gedacht als kalt und erstarrt (ich wollte eine ganz andere Stimmung transportieren)
Lach...dann war ich da wohl völlig auf der falschen Spur, liebe Delfine,

aber das war offensichtlich meine erste Assoziation (vielleicht bestimmt durch einen persönlichen Tages-Eindruck davor oder meine Grundstimmung, wer weiß das schon...) und die war so deutlich, dass ich gar nicht mehr auf die Idee gekommen bin, es hätte anders gemeint sein können. Aber letztlich war mein Dreizeiler ja auch nicht als konkreter "Vorschlag" gemeint, sondern eher Mittel zur Veranschaulichung - also inhaltlich ohnehin losgelöst, denn deine Idee kennst du schließlich selbst am besten. Da sollte auch kein anderer reinpfuschen. ;)

Molly hat schon recht - der "kalte" Blick in meinem Beispiel ist schon zu deutlich an der Gefühlsäußerung bzw. Interpretation. Und das "kalt" bräuchte es ja auch gar nicht explizit, da die Kälte durch das Eis ohnehin vorhanden ist.

"Vollkommen sachlich
" trifft es aber nicht ganz. Denn das Spiel mit dem Leser, dieses Offenhalten des Textes für einen Gedanken am Ende, den dieser weiterführen kann, hat mit Sachlichkeit ja nichts zu tun. Viele Haikus gehen da sogar sehr verschmitzt damit um oder sorgen am Ende für einen nachdenklich stimmenden Nachhall, indem sie einen Gegenpol zum Geschilderten setzen, einen kleinen Widerspruch oder etwas in der Art. Das ist das eigentliche Hauptmerkmal eines guten Haikus. Die neutrale Naturbeschreibung, die dem Leser sein eigenes Naturerlebnis lässt beim Lesen, ist zwar ganz in der alten Tradition des Haikus, aber da wären wir dann im übertragenen Sinne dabei, heute noch exakt wie Goethe und mit den exakt selben Zielen schreiben zu wollen...und im Gendai Haiku geht ja inzwischen - weil bewusst als Gegenströmung zur klassischen Tradition verstanden - so gut wie alles: Gesellschaftskritik ist das vorderste Ziel, aber eben auch allgemein der Bruch mit dem klassischen Haiku an sich, das Gefühle, Interpretationen, Personalisierung etc. ausklammert.
Wie auch in der Dichtung der westlichen Welt hat sich in Japan diese Form des Gedichtes weiterentwickelt und es existieren mehrere Haiku-Schulen nebeneinander (die natürlich alle die jeweils anderen für völlig falsch und fehlgeleitet oder im Umkehrzug festgefahren und altmodisch ansehen). ;)

Mach dir also nicht zu viele Gedanken, ob Haiku oder nicht, will ich damit sagen. Hab lieber Freude am Spiel mit den Dreizeilern, die so viel mehr können und leisten sollten, als man ihnen auf den ersten Blick zutraut.

Liebe Grüße,
fee

PS: jetzt geh ich nochmal in mich und lese dein Haiku ganz frei von meiner ersten, fehlgeleiteten Interpretation. Mal sehen, wo ich da hinkomme. ;)
 
Liebe fee,

es ist immer wieder schön, eine solch ergiebige Antwort zu lesen :).

Das ist das eigentliche Hauptmerkmal eines guten Haikus. Die neutrale Naturbeschreibung, die dem Leser sein eigenes Naturerlebnis lässt beim Lesen, ist zwar ganz in der alten Tradition des Haikus, aber da wären wir dann im übertragenen Sinne dabei, heute noch exakt wie Goethe und mit den exakt selben Zielen schreiben zu wollen...und im Gendai Haiku geht ja inzwischen - weil bewusst als Gegenströmung zur klassischen Tradition verstanden - so gut wie alles: Gesellschaftskritik ist das vorderste Ziel, aber eben auch allgemein der Bruch mit dem klassischen Haiku an sich, das Gefühle, Interpretationen, Personalisierung etc. ausklammert.
Hm ... Ja, aber ich habe festgestellt, dass mir die klassischen Haiku dann doch mehr zusagen... Womit ich gegen die modernen gar nichts sagen will.

LG SilberneDelfine
 
Liebe fee,

es ist immer wieder schön, eine solch ergiebige Antwort zu lesen :).

Das ist das eigentliche Hauptmerkmal eines guten Haikus. Die neutrale Naturbeschreibung, die dem Leser sein eigenes Naturerlebnis lässt beim Lesen, ist zwar ganz in der alten Tradition des Haikus, aber da wären wir dann im übertragenen Sinne dabei, heute noch exakt wie Goethe und mit den exakt selben Zielen schreiben zu wollen...und im Gendai Haiku geht ja inzwischen - weil bewusst als Gegenströmung zur klassischen Tradition verstanden - so gut wie alles: Gesellschaftskritik ist das vorderste Ziel, aber eben auch allgemein der Bruch mit dem klassischen Haiku an sich, das Gefühle, Interpretationen, Personalisierung etc. ausklammert.
Hm ... Ja, aber ich habe festgestellt, dass mir die klassischen Haiku dann doch mehr zusagen... Womit ich gegen die modernen gar nichts sagen will.

Mach dir also nicht zu viele Gedanken, ob Haiku oder nicht, will ich damit sagen. Hab lieber Freude am Spiel mit den Dreizeilern, die so viel mehr können und leisten sollten, als man ihnen auf den ersten Blick zutraut.
Ja, das ist wahr - Freude macht es schon allein deshalb, weil man nicht so viel schreiben, dafür aber mehr tüfteln muss.

LG SilberneDelfine
 

fee_reloaded

Mitglied
dass mir die klassischen Haiku dann doch mehr zusagen
Mir auch.
Bzw. fühle ich mich bei denen vorerst ohnehin schon genug gefordert. Und Regeln sollte man erst zu brechen versuchen, wenn man sie auch wirklich beherrscht - insofern ist Gendai Haiku jetzt auch noch lange nicht das, was ich verfolgen werde. Und als Ausrede "alles ist erlaubt und ich darf es Haiku nennen" soll es ja nun auch nicht missverstanden und missbraucht werden.

Ich habe auch mit der Naturbeschreibung an sich begonnen und das ist anfangs gar nicht so leicht, wie es aussieht. Es rutscht uns Europäern eben doch immer dieser Hang zum Interpretieren oder Befrachten mit Bedeutung rein. ;)
Inzwischen versuche ich, mich ein wenig weiter zu wagen und reiche ab und zu welche bei "Haiku heute" ein - dort werden aber reine Naturbeschreibungen gar nicht mehr in die monatlichen Veröffentlichungen aufgenommen, weil eben nicht mehr "heute" genug, wie ich erkannt habe. Von zehn bis zwölf meiner eingereichten Versuche, schaffen es ein bis zwei in die Monatsausgabe auf deren Seite. Das sind allerdings meistens nicht die, die ich selbst als meine gelungensten betrachte und daher lerne ich dabei viel dazu. ;)

Auch das Buch "Der Ruf des Hototogisu - Grundbausteine des Haiku. Band 1" kann ich nur wärmstens empfehlen als Orientierungshilfe und für ein schrittweises Lernen und Üben. Und das macht wirklich Freude - egal, wie langsam man meint, sich weiterzuentwickeln. Einfach, weil es eine wunderbar lohnende Beschäftigung ist. Auch nach Jahren noch. ;)

LG,
fee
 



 
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