Von Spiegeln und Bildern
der, dem der spiegel, das gesicht (ist)
immer greift der mensch
den toten teil
der zeit. wo der weg
an einer ecke endet.
das gesicht
das schmiere steht
im spiegel.
über den haaren
kreist das jetzt -
- sticht nieder
wenn du blinzelst.
Patrick Schuler
Hallo Patrick,
war lange weg, weil es mir die Sprache verschlagen hat. Fühle mich so als hätte ich ( fürs Erste alles gesagt). Hm...
Wie immer ein Gedicht, das mich anspricht.Da ist immer etwas, das mich greift in deiner Lyrik. Vielleicht dunkle Gedankengänge die den Meinen ähnlich sind.
Und es ist immer auch die Komplexität deiner Satzstrukturen, die kryptische, also verschlüsselte Art,
mit der du Bot und Wort-schaften herüberträgst, die mich fasziniert.
Hier beginnt es schon mit dem Titel:
sperrig ist er, mit seltsamer Interpunktion „der, dem der Spiegel, das Gesicht“
Das ist komplex, und erregt nach einigen Überlegungen meinerseits: Widerspruch.
Ich halte den Titel für unvollendet. Ich schriebe:
„der, dem der Spiegel das Gesicht ist.
Mir erschließt sich nicht das zweite Komma nach Spiegel. Es ist für mich uninterpretierbar.
Also komme ich zu meiner Lesart: „der, dem der Siegel das Gesicht ist“
Hier bin ich dann voller Elan im Thema, und gerate über meine Gedanken zu Benns Ausspruch:
„das was lebt ist etwas anderes, als das was denkt“
Es ist die für mich fundamentale Erkenntnis über den Widerspruch zwischen Ego und Fleisch. Nur folgt der von mir in deinem Gedicht geänderte Titel der gegensätzlichen Spur. Er sieht den Widerspruch, aber formuliert ihn aus der Sicht des Spiegelbilds.
Das finde ich dann hoch seriös und bedenkenswert:
Das Siegelbild, das Abbild als „ich- Behältnis“. Das „Sein“ im Spiegel. Nicht greifbar, etwas das an den falschen Ort aufgehoben wurde.
Von hier aus dann zu:
immer greift der mensch
den toten teil
der zeit. wo der weg
an einer ecke endet.
das gesicht
das schmiere steht
im spiegel.
„Der tote Teil der Zeit“
Das könnte die Vergangenheit als solche sein. Auf jeden Fall eine Sackgasse. Sie stheht im Widerspruch zum „Jetzt“ das später von dir genannt wird. Und der Mensch „greift“ diesen Teil.
Ist es Versuchung? Es ist tatsächlich ein „Versuchen“. Aber der Weg endet an einer Ecke.
Erinnert mich spontan an Kafkas „du mußt nur die Laufrichtung ändern“
(„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du mußt nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie. )
Vielleicht weit hergeholt? Aber so ist mein Denken.
Immerhin der tote Teil der Zeit könnte auch die Zukunft sein. Sie ist zwar dem Worte nicht tot, aber sie ist eben auch noch nicht lebendig. Der Griff nach ihr führt auch in eine Ecke.
Dann der Dreh und Angelpunkt in deinem Gedicht:
das gesicht
das schmiere steht
im spiegel.
Sicherlich das Gesicht des lyrischen Ichs. Also beobachtet sich das „lyrische ich“ selbst bei dieser Tat. Es steht Schmiere, sichert also eine verbotene Handlung, nämlich den Griff nach der toten Zeit, ab. Das Spiegelbild sichert ab vor fremder hier nicht genannter Beobachtung durch einen Dritten.
Im klassischen Bild sichert der Schmiere stehende den Rückzug, gibt ein vereinbartes Signal falls zum Beispiel ein Dieb bei seiner Tat droht entdeckt zu werden, oder entdeckt worden ist.
Ich sehe hier ein Soiegelbild mit einem eigenartigen Eigenleben. Es ist beim Schmiere stehen nicht mehr das Abbild seiner selbst, sondern lugt mal rechts mal links um das eigentliche „Ich“ zu decken.
Für mich bis hierhin,- und Aufgrund meiner kleinen Änderung des Titels(aber von fundamentaler Bedeutung für mich) ein äußerst bemerkenswertes Stück Lyrik.
Nun zu:
über den haaren
kreist das jetzt -
- sticht nieder
wenn du blinzelst.
Hier schließe ich mich ansatzweise meinem Vorredner an. Jetzt wird es dialektisch. Eine leichte Schieflage, nicht weil ich den Inhalt nicht in Einklang mit der ersten Strophe bekomme, sondern
weil es mir einen Interpretationsspielraum nimmt. Vielleicht würde ich hier umstellen.
Das kreisende Jetzt ist angesagt.Es darf hier nicht fehlen. Aber die Haare bekomme ich in der hier geschrieben Form nur schwer in den Text.
Spontan setzte ich auf das Sprichwort: „An den Haaren herbeigeholt“ und änderte hier ab von:
über den haaren
kreist das jetzt -
- sticht nieder
wenn du blinzelst.
zu:
an den Haaren herbeigezogen
kreist das Jetzt -
sticht nieder
wenn du blinzelst
Aber da bin ich sehr unschlüssig. Letztlich ist es hier das „Jetzt“ und das „Blinzeln“, das den Wert dieser Strophe beinhaltet.
Ich und Abbild sind „wieder“ vereint. Wenn das eine blinzelt – also kurz die Augen schließt - blinzeln beide – und das „Jetzt“ sticht nieder. Gleichsam ein Falke, der das Schmiere stehende Abbild unerkannt die ganze Zeit beobachtet hat, und nur darauf gewartet hat das es, wenn auch nur für eine kurze Sekunde, die Augen schließt.
Insgesamt wieder einmal ein Stück Lyrik, das mich sehr berührt und dessen Metaphorik ich gerne gefolgt bin.
Dir einen lieben Gruß
Ralf
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