Der Kotzbrocken

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Label

Mitglied
Hallo James Blond

Dein Bekenntnis zur lyrischen Kotze
Das klingt irgendwie unfreundlich, decidedly more condescending als “ Mittel zum Auskotzen“ vermuten ließe.

Da wäre wohl zunächst einmal zu umreißen was ich mit auskotzen verstanden habe.
Ein loswerden,
etwas das man zunächst geschluckt hat, aber wieder hochkommt,
etwas unbekömmliches erbrechen
so in etwa,.... das läßt nach meiner Ansicht keinen Hang für das Erbrochene erkennen, sondern für den Umgang mit Unverdaulichem und den Vorgang des Loswerdens.

Mir fällt auf, dass du deine Ansichten und Meinungen als Behauptungen formulierst.
Ich behaupte daher, dass die Spiegelfunktion, wie überhaupt die ganze Katharsishypothese nur vorgeschoben sind
Wie jedem gefallen dir bevorzugt/nur die Dinge, die sich innerhalb selbst definierter Grenzen bewegen. Damit komme ich gut zurecht.
Was ich hingegen als problematisch empfinde ist, wenn die eigene Meinung wie eine allgemeingültige physikalische Konstante präsentiert wird.

_\V/

lebe lange in Frieden
derdiedas Label
 
D

Die Dohle

Gast
Mal angenommen ...

Mal angenommen ich kommentierte, den Duktus des Textes aufgreifend, durchaus Teilen meines Ego´s entsprechend etwa so:

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Ich, der Brocken kotz
ich piss´ auf deine Leier
da staunst du, was

Ich, der Brocken sag
halt´s Maul
Du gehst mir auf die Eier

Ich bin der ...
ätz dir ein Grinsen
in deine Fresse

Mein Kotzbrocken, du
Arschgesicht
ich liebe dich!

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Formal soweit ok, es steht präzise, wie ich das haben will. Das dröhnt. Das gehört so.
Aber hallo, sagt Meta, was ist denn das? Was soll denn das ... Lyrik? Gewagt? Unverschämt? Das Stichwort ist die respektvolle Distanz aus meiner Sicht, die den gegenseitigen Besuch der Universen erlaubte ...

... mal sehen, ob die Abstraktion in diesem Fall ebenso reibungslos gelingt.

lg
die dohle


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... das ist möglicherweise Böse, ich weiß. Was ich nicht weiß: Wie geht lernen. So jedenfalls nicht. Das ist sicher. Zunächst aus meiner Sicht.
 

James Blond

Mitglied
Lehrbeispiel

Hmm, liebe Dohle,

ich gebe Dir in allem Recht, was Du über die respektvolle Distanz schreibst, die es in der Lyrik zu wahren gilt und finde Dein Lehrbeispiel entsprechend gelungen. :)

Und doch - das ist es nicht unbedingt, was mich am 'Kotzbroken' vor allem ankotzt. Ich kenne Autoren, die schreiben grundsätzlich in der Fäkalsprache, gebrauchen unentwegt Kraftwörter, dass einem beim Lesen ganz schlecht oder schwindelig wird, aber sie schreiben, Deinem Beispiel nicht unähnlich, vor allem eines: aufrichtig!

Die Wut aus Deinen Versen dringt ungefiltert heraus, und mit ihrem unmittelbaren Ausdruck hat sie, so scheint es mir jedenfalls, bereits ihr Ziel erreicht. Sie will nichts anderes sein, als Ausdruck, als Mitteilung, als Emotion und Provokation.

Der 'Kotzbrocken' dagegen vermeidet diese Direktheit, die Offenheit, spart sich die Flüche und Kraftwörter, bleibt trotz des empörten Duktus bei einer angemessenen Wortwahl und behauptet sich im Gestus eines moralischen Besserungsanspruches: Er gibt vor, ein Spiegel allgemeiner menschlicher Unzulänglichkeiten zu sein. Es ist diese Unaufrichtigkeit, die mich vor allem schreckt.

Als Vergleich fällt mir dazu die Kinohits des 'Schulmädchenreport' ein, ein Sexfilm Anfang der 70er, der vorgab, mittels schockierender Bilder Eltern über die sittliche Verwahrlosung der Jugend aufzuklären und als 13teiliger Kassenfüller eine Dekade lang Besucherrekorde aufstellte. :)

Ich traue keinen Moralkeulen, die unter lautstarkem Empörungsgeheul geschwungen werden. Denn sie zielen auf nichts, sie sammeln lediglich die Ressentiments und andere Triebstaus der Umstehenden ein, um eine grölende Horde zu formen, die danach mit genügend moralischer Legitimation ausgerüstet womöglich loszieht, 'den Sauladen mal gehörig auszumisten'.

In der Politik nennt man so etwas bekanntlich 'Propaganda', in der Lyrik könnte man es 'angewandte Dichtung' nennen, ich nenne es hier 'aufhetzen' und damit ziemlich genau das Gegenteil einer Katharsis. Eine Läuterung, aus der Einsicht des Geistes über die eigene Unzulänglichkeit heraus, geht anders: Sie bedarf der Schärfe des inneren Auges, der Selbstironie und der Fähigkeit zu humorvollem Spott.
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Wir kommen hier allerdings in das breite Fahrwasser der Sprachästhetik und ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass dazu andernorts schon Texte existieren, die in diesem Zusammenhang interessant sein könnten: Geliebte Sprache in: Lyrik, das unbekannte Wesen. Der Respekt vor den Universen der Anderen mag bei einer Veröffentlichung zwar maßgeblich sein. Doch zählt für mich die Verantwortung im Gebrauch der eigenen Talente und der Respekt vor der Geliebten 'Sprache' zu den entscheidenderen Dingen.

Damit verabschiede ich mich aus diesem Faden.

Grüße

JB
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo James Blond,
... brauch nur wenig noch zu sagen, du hast bereits das wesentliche zum ausdruck gebracht. übrigens, nach überwindung anfänglicher startschwierigkeiten meinerseits, kann ich text und faden als ganzes durchaus als auf eine bühne transponiert betrachten.

nur soviel noch, das ist mir wichtig:

Hallo Walther,
ich denk, der faden hier ist möglicherweise ein ziemlich harter brocken für dich. jedenfalls, das wünsche ich mir, hoff ich, dass zu erkennen ist: es geht um den text.
meinerseits ist es der versuch, den zu durchleuchten und zu verstehen in seiner wirkung, auch in seiner politischen dimension, auf mich, auf andere. ein ausgezeichnetes lehrstück in dieser hinsicht, meine meinung. sehr gut gefällt mir die kritikfähige nebeneinanderstellung der verschiedenen lesarten. danken möchte ich dir für deine zurückhaltung, die ist in dem fall hier, glaub ich, goldrichtig gewesen, da die verknüpfung text-autor sich hier in einem, sag mer mal wenigstens heiklen fahrwasser bewegte.

insofern: ich habe dir zu danken.

lg
die dohle
 

Walther

Mitglied
Hi Dohle, hi Bernd,

danke für die ausführliche debatte dieses gedichts, das einen kotzbrocken karikiert, nicht mehr und auch nicht weniger.

es wäre schön, wenn sich in diesem forum nicht immer gleich irgendjemand persönlich aufgespießt sähe, wenn jemand in einem werk menschliches verhalten überspitzt darstellt. den leser den spiegel vorzuhalten ist wesentliches element von lyrik und poesie. wer sich dort abgebildet sieht, sollte sich einmal selbst an die nase fassen und nicht den autor attackieren. häufig nimmt man sich nämlich in einem solchen fall einfach nur zu wichtig.

niemand bestreitet, daß die meisten der einträge, egal von welchem autor, keine "kunst" im eigentlichen sinn sind. das gilt auch für den obigen beitrag. als autor nehme ich nicht für mich in anspruch, nur gutes zu schreiben. das könnte ich auch gar nicht, weil man sich selbst aus einsichtigen gründen selbst schlecht beurteilen kann.

es gibt daraüberhinaus, das stelle ich in dieser debatte erneut fest, inkompatible vorstellungen von dem, was literatur im allgemeinen und lyrik im besonderen ist. in solchen fällen gehe ich einer diskussion inzwischen aus dem weg, weil es keinen sinn hat, konträre, nicht zusammen zu bringende sichtweisen zu besprechen. das führt nur zu einem unabwendbaren streit ohne jeden nutzen, weil am ende nur festgestellt werden kann, daß man nicht zusammenkommt.

ich habe mich hier verleiten lassen, mich auf das niveau eines der mitstreiter zu begeben. das bedauere ich inzwischen. um die löschung des eintrags habe ich die moderation bereits gebeten. es wäre schön, wenn sie diesem wunsch nun zeitnah nachkäme.

lg w.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Walther, den letzten Teil verstehe ich nicht ganz. Ich habe das Gedicht immer als Kunst bewertet.

Zufällig habe ich noch eine weitere Rechtfertigung für den Löffel gefunden:

"Sein Haar wird grau, er stirbt und sinnt noch immer:
Solch eine Rune steht ihr im Gesicht!"

Die Rune, ein Stab, ist in Hebbels Nibelungen-Tragödie http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-nibelungen-2669/4 ebenso ein symbolisches Zeichen, wie in Deinem Kotzbrocken-Gedicht der silberne Löffel.

Natürlich stand ihr keine "reale" Rune im Gesicht.


Morgenstern schrieb dereinst https://www.buechergilde.de/leseprobe/items/alle-galgenlieder_166526.html
in seinem Gedicht "Auf der Bühne"

"Im Stehparkett der kleine Cohn
zerbirst vor lauter Illusion.

Der kleine Cohn ward zum Gericht
für das, was Kunst ist und was nicht."

Ja, wir sollten nicht richten.
 

Walther

Mitglied
lb Bernd,

deine position ist klar. dennoch kann man jeden text auch als gescheitert betrachten. das ist in diesem faden geschehen.

Label und du haben diese position nicht unterstützt. Dohle sieht das differenziert. da jeder seine ansicht hat, die er gut vertreten kann und darf, habe ich selbst darauf verwiesen, daß ich nicht alle meine einträge hier als "kunst" betrachte. ob dieses gedicht entsprechenden qualitätsmaßstäben entspricht, kann ich selbst am wenigsten beurteilen.

jedenfalls spaltet der eintrag, was solch zugespitzte text häufig tun.

lg w.


lb Label, lb Bernd, lb Dohle,

ganz herzlichen dank für das textarbeiten. es hat mich in einigen punkten weitergeführt, dafür bin ich sehr dankbar. auch danke ich für die erfahrene unterstützung!

lg w.
 



 
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