Der Literat
Seine sinnlichen Exzesse ließen eine triebhafte Natur vermuten, doch in Wahrheit war er ein disziplinierter, bis zur Zwanghaftigkeit auf ein Ziel ausgerichteter Mensch. Die Ausschließlichkeit, mit der er sich der Literatur verschrieb, offenbarte sich nach der Orgie: die Suche nach verwertbarem Material war für mehrere Wochen, oft Monate abgeschlossen, er verharrte in seinem Kabinett - Tag und Nacht bei zugezogenen schweren Vorhängen und elektrischem Licht – und sezierte seine Erinnerung. Er legte einzelne Gemütsregungen frei, seine und die des Opfers, ordnete sie systematisch, suchte nach präzisen und prägenden Begriffen. Erst dann, als die Realität in Worte gesetzt war, ließ er der Phantasie freien Lauf und begann an einer Geschichte zu arbeiten. Immer wieder glaubte er, dass sein Vorrat des Erlebten nun endlos weiterreichen könne, und verabschiedete sich innerlich von der Realität. Doch immer wieder versiegte der Schreibstrom und er musste erneut auf die Jagd.
Die Ehegattin hat sich mit seinem Lebenswandel abgefunden. Sie war eine kluge Frau und begriff, dass es schlicht lächerlich wäre, auf den Rohstoff seiner Geschichten eifersüchtig zu werden, auch wenn es lebende Kreaturen waren, aus Fleisch und Blut, mit festen Brüsten und pfirsichfrischer Haut. Sie lernte es, ihn niemals am Arbeiten zu stören, - auch wenn sie ihm Tee brachte oder beim Abtippen ein schwer verständliches Kürzel in seinem Manuskript vorfand.
Er schrak auf von Zugluft und jähem Kreischen seiner Frau. Sie schrie rum und hielt ihm ein Blatt seines Manuskriptes vor die Nase. „Was will sie bloß?“ Dachte er und versuchte sich mühsam auf ihre Worte zu konzentrieren. „Reichen dir deine verdammten Models nicht? Wie konntest du mich! – Unser verborgenes, unser ganz intimes Leben hier nach außen drehen wie einen Handschuh! Ist dir denn nichts mehr heilig, wenn du deinen Text schmücken musst?“
Der Autor staunte: er hat das „Intime und Verborgene“ seiner Frau nur als Muster benutzt und verpackte es in ein exotisches Sujet, - er dachte gar nicht daran, dass sie sich erkennt und noch weniger, dass sie sich echauffiert. Inzwischen heulte sie aber: „Du bist so leer, du bist so schrecklich leer. Was bist du selber? Ein Nichts, - kein Freund, kein Liebhaber; nicht mal ein böser Mensch, - kein wirklicher Ehebrecher, kein echter Betrüger. Du kannst nur sammeln und niederschreiben, sammeln und niederschreiben. Nicht mal unsere Liebesnächte hast du verschont… Wie soll ich bloß weiter neben dir leben?“
„Nun, ich bin eben ein Schriftsteller“, wollte er entgegnen, doch plötzlich beschlich ihn ein seltsamer Gedanke, sie könne Recht haben. Er empfand ein stechend schmerzhaftes Mitleid für sich selber, - einen so leeren und unwirklichen hilflosen Parasiten am Seelenleben der Anderen. Diese Empfindung war neu und durchaus interessant. Er konzentrierte sich darauf, das Klagen der Frau verschwamm zu einer störenden Geräuschkulisse.
„Sie muss auf jeden Fall hier weg“, beschloss er. Seine Augen füllten sich mit Tränen. „Es tut mir so leid, meine Liebe! Es schmerzt mich so sehr, dir weh getan zu haben! Glaube mir, ich leide in diesem Augenblick mehr als du! Siehe her, - ich weine! Und hast du mich oft weinen gesehen? Ich leide wirklich. Ich muss jetzt ein wenig allein sein, - bitte, nur eine kleine Stunde, dann komme ich ins Wohnzimmer und wir werden über alles reden. Bitte!“
Erschüttert von seinem Gefühlsausbruch, schlich sich die Frau aus dem Kabinett. Er warf hinter ihr die Tür zu und hetzte zum Schreibtisch. „Welches Wunder“, dachte er zärtlich, „so aus dem nichtigen Anlass heraus entsteht gerade eine Novelle.“ Sie war schon da, er brauchte bloß niederschreiben. Er setzte sich hin, nahm einen fetten schwarzen Bleistift und setzte die Überschrift:
Der Literat
Seine sinnlichen Exzesse ließen eine triebhafte Natur vermuten, doch in Wahrheit war er ein disziplinierter, bis zur Zwanghaftigkeit auf ein Ziel ausgerichteter Mensch. Die Ausschließlichkeit, mit der er sich der Literatur verschrieb, offenbarte sich nach der Orgie: die Suche nach verwertbarem Material war für mehrere Wochen, oft Monate abgeschlossen, er verharrte in seinem Kabinett - Tag und Nacht bei zugezogenen schweren Vorhängen und elektrischem Licht – und sezierte seine Erinnerung. Er legte einzelne Gemütsregungen frei, seine und die des Opfers, ordnete sie systematisch, suchte nach präzisen und prägenden Begriffen. Erst dann, als die Realität in Worte gesetzt war, ließ er der Phantasie freien Lauf und begann an einer Geschichte zu arbeiten. Immer wieder glaubte er, dass sein Vorrat des Erlebten nun endlos weiterreichen könne, und verabschiedete sich innerlich von der Realität. Doch immer wieder versiegte der Schreibstrom und er musste erneut auf die Jagd.
Die Ehegattin hat sich mit seinem Lebenswandel abgefunden. Sie war eine kluge Frau und begriff, dass es schlicht lächerlich wäre, auf den Rohstoff seiner Geschichten eifersüchtig zu werden, auch wenn es lebende Kreaturen waren, aus Fleisch und Blut, mit festen Brüsten und pfirsichfrischer Haut. Sie lernte es, ihn niemals am Arbeiten zu stören, - auch wenn sie ihm Tee brachte oder beim Abtippen ein schwer verständliches Kürzel in seinem Manuskript vorfand.
Er schrak auf von Zugluft und jähem Kreischen seiner Frau. Sie schrie rum und hielt ihm ein Blatt seines Manuskriptes vor die Nase. „Was will sie bloß?“ Dachte er und versuchte sich mühsam auf ihre Worte zu konzentrieren. „Reichen dir deine verdammten Models nicht? Wie konntest du mich! – Unser verborgenes, unser ganz intimes Leben hier nach außen drehen wie einen Handschuh! Ist dir denn nichts mehr heilig, wenn du deinen Text schmücken musst?“
Der Autor staunte: er hat das „Intime und Verborgene“ seiner Frau nur als Muster benutzt und verpackte es in ein exotisches Sujet, - er dachte gar nicht daran, dass sie sich erkennt und noch weniger, dass sie sich echauffiert. Inzwischen heulte sie aber: „Du bist so leer, du bist so schrecklich leer. Was bist du selber? Ein Nichts, - kein Freund, kein Liebhaber; nicht mal ein böser Mensch, - kein wirklicher Ehebrecher, kein echter Betrüger. Du kannst nur sammeln und niederschreiben, sammeln und niederschreiben. Nicht mal unsere Liebesnächte hast du verschont… Wie soll ich bloß weiter neben dir leben?“
„Nun, ich bin eben ein Schriftsteller“, wollte er entgegnen, doch plötzlich beschlich ihn ein seltsamer Gedanke, sie könne Recht haben. Er empfand ein stechend schmerzhaftes Mitleid für sich selber, - einen so leeren und unwirklichen hilflosen Parasiten am Seelenleben der Anderen. Diese Empfindung war neu und durchaus interessant. Er konzentrierte sich darauf, das Klagen der Frau verschwamm zu einer störenden Geräuschkulisse.
„Sie muss auf jeden Fall hier weg“, beschloss er. Seine Augen füllten sich mit Tränen. „Es tut mir so leid, meine Liebe! Es schmerzt mich so sehr, dir weh getan zu haben! Glaube mir, ich leide in diesem Augenblick mehr als du! Siehe her, - ich weine! Und hast du mich oft weinen gesehen? Ich leide wirklich. Ich muss jetzt ein wenig allein sein, - bitte, nur eine kleine Stunde, dann komme ich ins Wohnzimmer und wir werden über alles reden. Bitte!“
Erschüttert von seinem Gefühlsausbruch, schlich sich die Frau aus dem Kabinett. Er warf hinter ihr die Tür zu und hetzte zum Schreibtisch. „Welches Wunder“, dachte er zärtlich, „so aus dem nichtigen Anlass heraus entsteht gerade eine Novelle.“ Sie war schon da, er brauchte bloß niederschreiben. Er setzte sich hin, nahm einen fetten schwarzen Bleistift und setzte die Überschrift:
Der Literat