Der Mann, der seinen Mops liebte
„Es bleibt uns keine andere Wahl“. Der knapp 40-Jährige schaute mir traurig ins Gesicht, doch man musste nicht besonders scharfsinnig sein um ihm anzusehen, dass ihm das Ganze eigentlich völlig egal war. Er hatte größere Sorgen als einen alten Mann und seinen Hund und ich konnte es ihm nicht verdenken. Wen interessierte schon die Tatsache, dass ein Mops, der bereits 15 Jahre auf dem Buckel hatte, was eine recht lange Zeit für einen Mops ist, nun nicht mehr sein würde? Wem würde das fröhliche Bellen beim Klingeln der Tür fehlen? Wem die stundenlangen Spaziergänge durch sämtliche Parks der Stadt und das freudige Tapsen der kleinen Pfoten über die Kieswege? Niemandem natürlich. Außer mir. Niemand kannte Jack außer mir. Nicht mal meine Tochter wusste von ihm. Ich hatte nie viel von Menschen gehalten, hatte tierische Gesellschaft vorgezogen. Ich hatte es irgendwie geschafft 15 Jahre ohne jegliche Freunde außer meinem Hund auszuhalten. Wobei „mein Hund“ bei uns wohl nicht der richtige Ausdruck war. Jack war für mich schon immer mehr gewesen als bloß ein Haustier. Von dem Moment an als ich ihn im Tierheim gesehen hatte, herrschte zwischen uns beiden eine Art seelische Verbindung. Und ihr könnt mir noch so oft erzählen, dass Tiere nicht so denken und fühlen wie wir Menschen, Jack war sich dieser Verbindung ebenso bewusst wie ich. Aber das war im Endeffekt doch bedeutungslos. Die Zeit nagt an allem, solange bis sie es frisst. Und Jack war nun Futter. Wie alle Möpse hatte er schon immer schwere Atemprobleme. Sie waren nun mal das Ergebnis menschlichen Perfektionismus, frei nach dem Motto „Wer schön sein will muss leiden“, sein Leben lang, selbst wenn er gar nicht schön sein will, sondern wir nur ein schönes Schoßhündchen haben wollen. Grausam. Manche könnten es unmenschlich nennen. Ich wünschte das wäre gerechtfertigt, aber leider sind nun mal genau solche Dinge menschlich. Aber ich schweife ab. Fakt ist jedenfalls, dass er sein ganzes Leben in Leiden verbringen musste und diese wurden mit zunehmendem Alter natürlich nicht weniger. Jack begann immer weniger herumzutollen, war kaum noch so ausgelassen wie früher. Meist trottete er bei den Spaziergängen nur noch hinterher, bei denen er früher vorgerannt und um mich herumgesprungen war, um mich zur Eile anzutreiben. Schließlich beschloss ich nach mehreren Tierarztbesuchen, die alle dasselbe ergaben, dass ich es nicht mit mir verantworten könne, wenn das so weiterging. Denn alle Tierärzte sagten folgendes: „Das arme Tier leidet nur noch. Sie sollten ernsthaft darüber nachdenken es einschläfern zu lassen“. Wer könnte schon damit leben, wenn der einzige Freund, den man sein ganzes Leben über hatte, jeden Tag schreckliche Qualen erleiden musste? Qualen, außerhalb unserer Vorstellungskraft, viel schlimmer, als die, die mein Vater verspürte bevor er an Altersschwäche starb. Denn er konnte zumindest atmen. Und dann die Panik. Das kennt ja jeder, wenn man keine oder nur kaum Luft kriegt, selbst wenn das nur kurz der Fall ist, bekommt einen leichten Panikanfall. Oder gewöhnte man sich nach einiger Zeit an das kaum Luft kriegen? Eigentlich eine noch viel schlimmere Vorstellung. Und so gab es für mich am Ende nur eine klare Möglichkeit, egal wie sehr es schmerzte Abschied zu nehmen. Denn alles andere schmerzte nur noch schlimmer. Womit wir wieder am Anfang wären. „Tun Sie es“. Meine Stimme brach noch während mir die Worte über die Lippen kamen und Tränen rannen meine Wangen hinunter. Ich hatte so leise gesprochen, es kaum über mich gebracht, dass ich fast sicher war, dass der Arzt mich nicht gehört hatte. Aber er verstand. Langsam senkte er die Nadel einer Spritze an Jacks dünnes Fell. Ich strich noch einmal darüber. „Und er wird wirklich auf keinen Fall leiden?“. Der Arzt schüttelte den Kopf. „Das Tier spürt den Eintritt des Todes nicht. Ihm wird ein Narkosemittel in einer Überdosis verabreicht. Es schläft ein und in der Narkose wirkt die Überdosis und sorgt für einen Herzstillstand. Den bemerkt es nicht. Keine Sorge“. Leichter gesagt als getan. Zitternd beobachtete ich wie sich die Nadel sanft in das Fleisch des kleinen Hund bohrte. Noch atmete er und schaute mich an. Doch in seinem Blick schien etwas Wissendes zu liegen. Als wüsste er, dass er nun sanft in den ewigen Schlaf übergehen würde und als sei er erleichtert. Die Flüssigkeit in der Spritze verschwand im Inneren des Hundes. Dieser sank einfach in sich zusammen. Das war Alles. So ging das Beste, das einzig Gute was in meinem Leben je passiert war von uns. Doch ich war nicht traurig. Auch nicht glücklich oder erleichtert, dass er so schmerzfrei gehen durfte. Ich fühlte nichts. Mein Kopf war einfach leer. Ich hatte keine Ängste und Sorgen mehr, dachte an nichts. Fast hätte ich den Arzt gebeten mir die Spritze ebenfalls zu verpassen. Um Jack zu folgen, wo auch immer er nun hin reiste. Angst davor hatte ich nicht. Der Arzt überreichte mir den leblosen Hundekörper und ich schmiegte mich noch einmal an ihn, vergrub mein Gesicht in seinem Fell wie ich es schon so oft getan hatte. Und dann kamen sie. Die Tränen. Flossen meine Wangen herunter und befeuchteten das Fell meines einzigen Freundes, der immer so treu zu mir gehalten hatte. Und plötzlich konnte ich mich kaum noch halten. Immer mehr und mehr Tränen flossen aus meinen Augen in das weiche Fell vor meinem Gesicht. Irgendjemand leitete mich zu einem Stuhl und ich setzte mich, eine weiche Stimmer redete auf mich ein, alles sei gut, er sei doch ruhig und friedlich gegangen. Doch ich hörte sie kaum. Sie kam wie aus unendlicher Ferne, als wäre ich Unterwasser, als ertränke ich in meinen eigenen Tränen. Er war weg. Alles war weg. Plötzlich hatte ich gar nichts mehr. Wie gesagt, ich hatte nie viel von menschlicher Gesellschaft gehalten und so blieb mir nun nichts als materielle Dinge. Nun wertlose Dinge. Ich würde ihn begraben. Das war das Letzte was ich noch für ihn tuen konnte. Ich würde ihn vor dem See begraben in dem er am Sommer immer so fröhlich geplanscht hatte, in dem Park in dem er am liebsten gewesen war, mit den vielen bunten Blumen an denen er jedes Mal aufs Neue so neugierig geschnüffelt hatte. Ich würde täglich Blumen dorthin bringen und ich würde mich daneben beerdigen lassen, in der Hoffnung, dass ich an denselben Ort gelangen würde wie er. Lange würde das wohl nicht mehr dauern, nun da ich allen Grund zu Leben verloren hatte. Mit einem Mal spürte ich alle Schmerzen die einem das Alter bereitete. Mein Rücken begann zu schmerzen und mein Herz stach. Und ich dachte nur „Jack, ich komme bald nach..“
„Es bleibt uns keine andere Wahl“. Der knapp 40-Jährige schaute mir traurig ins Gesicht, doch man musste nicht besonders scharfsinnig sein um ihm anzusehen, dass ihm das Ganze eigentlich völlig egal war. Er hatte größere Sorgen als einen alten Mann und seinen Hund und ich konnte es ihm nicht verdenken. Wen interessierte schon die Tatsache, dass ein Mops, der bereits 15 Jahre auf dem Buckel hatte, was eine recht lange Zeit für einen Mops ist, nun nicht mehr sein würde? Wem würde das fröhliche Bellen beim Klingeln der Tür fehlen? Wem die stundenlangen Spaziergänge durch sämtliche Parks der Stadt und das freudige Tapsen der kleinen Pfoten über die Kieswege? Niemandem natürlich. Außer mir. Niemand kannte Jack außer mir. Nicht mal meine Tochter wusste von ihm. Ich hatte nie viel von Menschen gehalten, hatte tierische Gesellschaft vorgezogen. Ich hatte es irgendwie geschafft 15 Jahre ohne jegliche Freunde außer meinem Hund auszuhalten. Wobei „mein Hund“ bei uns wohl nicht der richtige Ausdruck war. Jack war für mich schon immer mehr gewesen als bloß ein Haustier. Von dem Moment an als ich ihn im Tierheim gesehen hatte, herrschte zwischen uns beiden eine Art seelische Verbindung. Und ihr könnt mir noch so oft erzählen, dass Tiere nicht so denken und fühlen wie wir Menschen, Jack war sich dieser Verbindung ebenso bewusst wie ich. Aber das war im Endeffekt doch bedeutungslos. Die Zeit nagt an allem, solange bis sie es frisst. Und Jack war nun Futter. Wie alle Möpse hatte er schon immer schwere Atemprobleme. Sie waren nun mal das Ergebnis menschlichen Perfektionismus, frei nach dem Motto „Wer schön sein will muss leiden“, sein Leben lang, selbst wenn er gar nicht schön sein will, sondern wir nur ein schönes Schoßhündchen haben wollen. Grausam. Manche könnten es unmenschlich nennen. Ich wünschte das wäre gerechtfertigt, aber leider sind nun mal genau solche Dinge menschlich. Aber ich schweife ab. Fakt ist jedenfalls, dass er sein ganzes Leben in Leiden verbringen musste und diese wurden mit zunehmendem Alter natürlich nicht weniger. Jack begann immer weniger herumzutollen, war kaum noch so ausgelassen wie früher. Meist trottete er bei den Spaziergängen nur noch hinterher, bei denen er früher vorgerannt und um mich herumgesprungen war, um mich zur Eile anzutreiben. Schließlich beschloss ich nach mehreren Tierarztbesuchen, die alle dasselbe ergaben, dass ich es nicht mit mir verantworten könne, wenn das so weiterging. Denn alle Tierärzte sagten folgendes: „Das arme Tier leidet nur noch. Sie sollten ernsthaft darüber nachdenken es einschläfern zu lassen“. Wer könnte schon damit leben, wenn der einzige Freund, den man sein ganzes Leben über hatte, jeden Tag schreckliche Qualen erleiden musste? Qualen, außerhalb unserer Vorstellungskraft, viel schlimmer, als die, die mein Vater verspürte bevor er an Altersschwäche starb. Denn er konnte zumindest atmen. Und dann die Panik. Das kennt ja jeder, wenn man keine oder nur kaum Luft kriegt, selbst wenn das nur kurz der Fall ist, bekommt einen leichten Panikanfall. Oder gewöhnte man sich nach einiger Zeit an das kaum Luft kriegen? Eigentlich eine noch viel schlimmere Vorstellung. Und so gab es für mich am Ende nur eine klare Möglichkeit, egal wie sehr es schmerzte Abschied zu nehmen. Denn alles andere schmerzte nur noch schlimmer. Womit wir wieder am Anfang wären. „Tun Sie es“. Meine Stimme brach noch während mir die Worte über die Lippen kamen und Tränen rannen meine Wangen hinunter. Ich hatte so leise gesprochen, es kaum über mich gebracht, dass ich fast sicher war, dass der Arzt mich nicht gehört hatte. Aber er verstand. Langsam senkte er die Nadel einer Spritze an Jacks dünnes Fell. Ich strich noch einmal darüber. „Und er wird wirklich auf keinen Fall leiden?“. Der Arzt schüttelte den Kopf. „Das Tier spürt den Eintritt des Todes nicht. Ihm wird ein Narkosemittel in einer Überdosis verabreicht. Es schläft ein und in der Narkose wirkt die Überdosis und sorgt für einen Herzstillstand. Den bemerkt es nicht. Keine Sorge“. Leichter gesagt als getan. Zitternd beobachtete ich wie sich die Nadel sanft in das Fleisch des kleinen Hund bohrte. Noch atmete er und schaute mich an. Doch in seinem Blick schien etwas Wissendes zu liegen. Als wüsste er, dass er nun sanft in den ewigen Schlaf übergehen würde und als sei er erleichtert. Die Flüssigkeit in der Spritze verschwand im Inneren des Hundes. Dieser sank einfach in sich zusammen. Das war Alles. So ging das Beste, das einzig Gute was in meinem Leben je passiert war von uns. Doch ich war nicht traurig. Auch nicht glücklich oder erleichtert, dass er so schmerzfrei gehen durfte. Ich fühlte nichts. Mein Kopf war einfach leer. Ich hatte keine Ängste und Sorgen mehr, dachte an nichts. Fast hätte ich den Arzt gebeten mir die Spritze ebenfalls zu verpassen. Um Jack zu folgen, wo auch immer er nun hin reiste. Angst davor hatte ich nicht. Der Arzt überreichte mir den leblosen Hundekörper und ich schmiegte mich noch einmal an ihn, vergrub mein Gesicht in seinem Fell wie ich es schon so oft getan hatte. Und dann kamen sie. Die Tränen. Flossen meine Wangen herunter und befeuchteten das Fell meines einzigen Freundes, der immer so treu zu mir gehalten hatte. Und plötzlich konnte ich mich kaum noch halten. Immer mehr und mehr Tränen flossen aus meinen Augen in das weiche Fell vor meinem Gesicht. Irgendjemand leitete mich zu einem Stuhl und ich setzte mich, eine weiche Stimmer redete auf mich ein, alles sei gut, er sei doch ruhig und friedlich gegangen. Doch ich hörte sie kaum. Sie kam wie aus unendlicher Ferne, als wäre ich Unterwasser, als ertränke ich in meinen eigenen Tränen. Er war weg. Alles war weg. Plötzlich hatte ich gar nichts mehr. Wie gesagt, ich hatte nie viel von menschlicher Gesellschaft gehalten und so blieb mir nun nichts als materielle Dinge. Nun wertlose Dinge. Ich würde ihn begraben. Das war das Letzte was ich noch für ihn tuen konnte. Ich würde ihn vor dem See begraben in dem er am Sommer immer so fröhlich geplanscht hatte, in dem Park in dem er am liebsten gewesen war, mit den vielen bunten Blumen an denen er jedes Mal aufs Neue so neugierig geschnüffelt hatte. Ich würde täglich Blumen dorthin bringen und ich würde mich daneben beerdigen lassen, in der Hoffnung, dass ich an denselben Ort gelangen würde wie er. Lange würde das wohl nicht mehr dauern, nun da ich allen Grund zu Leben verloren hatte. Mit einem Mal spürte ich alle Schmerzen die einem das Alter bereitete. Mein Rücken begann zu schmerzen und mein Herz stach. Und ich dachte nur „Jack, ich komme bald nach..“