Der Termin
von Ann-Brit Daan
Wie vereinbart bahnte sie sich ihren Weg zwischen den Müllcontainern hindurch zur spärlich beleuchteten Hintertür und betrat den Gasthof, wo eine junge Kellnerin sie zu einem schmalen Raum brachte, über der Tür stand „Privat“. Die Einrichtung war karg und bot einen erschreckenden Kontrast zu der glänzenden Fassade: ein Tisch mit einer Platte aus braunem Resopal, an den Seiten abgesplittert, alte Stühle, in einer Ecke ein Schränkchen mit einem Abwaschbecken, daneben Haken für Handtücher, an der Wand ein kleiner Spiegel. Eine Reihe grauer Metallspinde und über allem das erbarmungslose Licht der Neonröhren.
Die untere Hälfte des einzigen Fensters war mit einer gemusterten Folie verklebt. Aber ihr war es so recht und sie stellte ihren Korb auf den Tisch, legte Parka und Mütze auf einen Stuhl und stülpte sich hastig die Perücke über, ein teures Stück, schwarz und gelockt. Dann holte sie tief Luft, begann langsam, sich auszuziehen, nahm aus dem Korb die Sachen, die sie zu Beginn tragen würde. Ihr erster Auftritt zwischen Vorspeise und Hauptgang war immer ein langsames Stück, der Schleier gab ihr Sicherheit und den Zuschauern freundliche Neugier, sie wollten mehr, meistens mehr nackte Haut sehen. Diese Art Auftritte mochte sie lieber als andere,
sie war heute Abend der Star einer Geburtstagsfeier, Opa wurde 90, und sie war die Überraschung. So hatte man ihr den Anlass beschrieben, und der brachte ein festes Honorar für drei Tänze, aber kein Trinkgeld, das begeisterte und häufig betrunkene Männer ihr ins Kostüm stecken würden. Sei\'s drum, Geld war ihr nicht mehr wichtig. Sie kontrollierte im Spiegel ihr Make-up, zu Hause war es einfacher, die falschen Wimpern anzukleben. Da klopfte es an der Tür, die gleich darauf von einem sehr jungen Mann aufgerissen wurde: „Hi, können wir noch kurz paar Sachen besprechen?“
Sie nickte und stellte dann die beiden wichtigsten Fragen: „Wo sitzt der Jubilar? Wer bedient die Anlage?“
Der junge Mann grinste: „Opa sitzt gleich vorn an dem Tisch, wenn Sie reinkommen, ich habe einen Spot, den ich auf Sie richten werde, und vorher mach ich das Licht im Saal aus. Ich zeig es Ihnen.“ Mit diesen Worten ging er vor ihr her durch den dunklen Gang an den Toiletten vorbei bis zu einer schmalen Tür mit einem kleinen milchigen Glasfenster. Sie ignorierte die Enttäuschung, die sie in seinem Blick gesehen hatte, ihr ägyptisches Kostüm mit dem Netz zwischen Rock und Oberteil war ihm zu bieder, obwohl es von den Farben her an eine verführerische Nixe erinnerte. Aber die meisten Leute pflegten ihre Klischees und die lauteten: orientalische Tänzerin = Bauchtänzerin = Nackttänzerin = Stripperin. Sie
hatte es aufgegeben, daran etwas zu ändern.
Durch die einen Spalt breit geöffnete Tür blickte sie in den großen Saal, in dem gerade Jagdhornbläser loslegten, und ja, der Jubilar war gut auszumachen.
„Nach den Bläsern kommt die Suppe, und dann sind Sie dran“, informierte sie der junge Mann.
Sie nickte ihm zu: „Die CDs sind nummeriert, auf jeder ist immer ein Tanz, das erste Stück kann schon laufen, wenn das Licht noch aus ist. Aber warten Sie nicht zu lange. Und wenn die Teller abgeräumt werden, rufen Sie mich an, ich warte dann hinter der Tür, bis ich sehe, dass das Licht im Saal aus ist. Die Handy-Nummer steht auf der Hülle.“ Sie drückte ihm die kleine Mappe in die Hand und ging zurück.
Es lief gut, Opa freute sich, er war sichtlich gerührt, dass seine Enkel für seine Geburtstagsfeier eine Bauchtänzerin engagiert hatten. Sie tanzte gern für ihn, denn sie liebte diese Musik, und auch der zweite Tanz im traditionell hoch geschlossenen Kostüm eines Bauernmädchens, das Wasser holt, wurde ebenfalls freundlich beklatscht, mehr nicht. Aber sie wusste, dass sich das gleich ändern würde, ihr letzter Auftritt nach dem Dessert riss die Gäste von den Stühlen, sie trug eine fast durchsichtige Haremshose in Feuerfarben mit sehr knappem Oberteil, stampfte mit den bloßen Füßen, die Münzen und Perlen klirrten, sie wiegte sich vor dem Jubilar in den Hüften und setzte zu einem langen Shimmy an, in dem das Kostüm glitzerte und funkelte.
Schließlich endete sie in einer Sultansbrücke, ein bisschen atemlos, und Opa half ihr galant auf die Füße. Einige Verwegene brüllten „Zugabe“. Sie knickste, lachte und drückte Opa ein Küsschen auf die Wange, wartete auf das Trommelsolo nach der kurzen Pause, tanzte mit viel Hüftschwung, vielleicht zum letzten Mal. Damit brachte sie sich in die Nähe der Tür und verschwand.
Sie war umgezogen, hatte das Make-up bereits entfernt und die Perücke verstaut, als der junge Mann wieder hereinkam, diesmal ohne anzuklopfen. Das war oft so, manch einer dachte, mit dem Honorar habe er sie gleich mitbezahlt und könnte sich alles herausnehmen. Er hatte die Mappe mit den CDs in der Hand und ein Bündel Hunderteuroscheine, zunächst stutzte er, als er die kurzen grauen Haare sah und das nackte Gesicht.
„Das war ja super!“, seine Augen glänzten, „wo ist die Tänzerin?“
Sie lächelte, ihm war sie zu alt, nun ja, aus der Nähe und ungeschminkt zeichnete sich jede Falte ab und jetzt erkannte er sie und wand sich vor Verlegenheit.
„Was hatten Sie gedacht?“, sie musterte ihn ironisch, „Tanz ist harte Arbeit und entweder kann man was oder nicht, das Alter spielt dabei keine Rolle, aber Sie haben Ihre Sache mit der Beleuchtung gut gemacht.“
Er zählte das Geld auf den Tisch und während sie die Scheine
einsammelte und die Mappe mit den CDs in ihren Korb legte, meinte er: „Am nächsten Samstag feiert ein Freund seinen Junggesellenabschied, auch hier, und Sie wären der Knüller, so in Geschenkpapier.“
Sie schüttelte den Kopf: „Am Freitag habe ich einen Termin, das wird nichts.“
„Ist doch erst am Sonnabend, wir zahlen das Doppelte!“
„Glauben Sie mir, das wird nichts“, sie setzte ihre Mütze auf, zog den Parka an und nahm ihren Korb, ließ den jungen Mann stehen, ging hinaus und dachte an den nächsten Freitag. Sie hatte einen Termin, auf sie wartete die nächste Chemotherapie.
von Ann-Brit Daan
Wie vereinbart bahnte sie sich ihren Weg zwischen den Müllcontainern hindurch zur spärlich beleuchteten Hintertür und betrat den Gasthof, wo eine junge Kellnerin sie zu einem schmalen Raum brachte, über der Tür stand „Privat“. Die Einrichtung war karg und bot einen erschreckenden Kontrast zu der glänzenden Fassade: ein Tisch mit einer Platte aus braunem Resopal, an den Seiten abgesplittert, alte Stühle, in einer Ecke ein Schränkchen mit einem Abwaschbecken, daneben Haken für Handtücher, an der Wand ein kleiner Spiegel. Eine Reihe grauer Metallspinde und über allem das erbarmungslose Licht der Neonröhren.
Die untere Hälfte des einzigen Fensters war mit einer gemusterten Folie verklebt. Aber ihr war es so recht und sie stellte ihren Korb auf den Tisch, legte Parka und Mütze auf einen Stuhl und stülpte sich hastig die Perücke über, ein teures Stück, schwarz und gelockt. Dann holte sie tief Luft, begann langsam, sich auszuziehen, nahm aus dem Korb die Sachen, die sie zu Beginn tragen würde. Ihr erster Auftritt zwischen Vorspeise und Hauptgang war immer ein langsames Stück, der Schleier gab ihr Sicherheit und den Zuschauern freundliche Neugier, sie wollten mehr, meistens mehr nackte Haut sehen. Diese Art Auftritte mochte sie lieber als andere,
sie war heute Abend der Star einer Geburtstagsfeier, Opa wurde 90, und sie war die Überraschung. So hatte man ihr den Anlass beschrieben, und der brachte ein festes Honorar für drei Tänze, aber kein Trinkgeld, das begeisterte und häufig betrunkene Männer ihr ins Kostüm stecken würden. Sei\'s drum, Geld war ihr nicht mehr wichtig. Sie kontrollierte im Spiegel ihr Make-up, zu Hause war es einfacher, die falschen Wimpern anzukleben. Da klopfte es an der Tür, die gleich darauf von einem sehr jungen Mann aufgerissen wurde: „Hi, können wir noch kurz paar Sachen besprechen?“
Sie nickte und stellte dann die beiden wichtigsten Fragen: „Wo sitzt der Jubilar? Wer bedient die Anlage?“
Der junge Mann grinste: „Opa sitzt gleich vorn an dem Tisch, wenn Sie reinkommen, ich habe einen Spot, den ich auf Sie richten werde, und vorher mach ich das Licht im Saal aus. Ich zeig es Ihnen.“ Mit diesen Worten ging er vor ihr her durch den dunklen Gang an den Toiletten vorbei bis zu einer schmalen Tür mit einem kleinen milchigen Glasfenster. Sie ignorierte die Enttäuschung, die sie in seinem Blick gesehen hatte, ihr ägyptisches Kostüm mit dem Netz zwischen Rock und Oberteil war ihm zu bieder, obwohl es von den Farben her an eine verführerische Nixe erinnerte. Aber die meisten Leute pflegten ihre Klischees und die lauteten: orientalische Tänzerin = Bauchtänzerin = Nackttänzerin = Stripperin. Sie
hatte es aufgegeben, daran etwas zu ändern.
Durch die einen Spalt breit geöffnete Tür blickte sie in den großen Saal, in dem gerade Jagdhornbläser loslegten, und ja, der Jubilar war gut auszumachen.
„Nach den Bläsern kommt die Suppe, und dann sind Sie dran“, informierte sie der junge Mann.
Sie nickte ihm zu: „Die CDs sind nummeriert, auf jeder ist immer ein Tanz, das erste Stück kann schon laufen, wenn das Licht noch aus ist. Aber warten Sie nicht zu lange. Und wenn die Teller abgeräumt werden, rufen Sie mich an, ich warte dann hinter der Tür, bis ich sehe, dass das Licht im Saal aus ist. Die Handy-Nummer steht auf der Hülle.“ Sie drückte ihm die kleine Mappe in die Hand und ging zurück.
Es lief gut, Opa freute sich, er war sichtlich gerührt, dass seine Enkel für seine Geburtstagsfeier eine Bauchtänzerin engagiert hatten. Sie tanzte gern für ihn, denn sie liebte diese Musik, und auch der zweite Tanz im traditionell hoch geschlossenen Kostüm eines Bauernmädchens, das Wasser holt, wurde ebenfalls freundlich beklatscht, mehr nicht. Aber sie wusste, dass sich das gleich ändern würde, ihr letzter Auftritt nach dem Dessert riss die Gäste von den Stühlen, sie trug eine fast durchsichtige Haremshose in Feuerfarben mit sehr knappem Oberteil, stampfte mit den bloßen Füßen, die Münzen und Perlen klirrten, sie wiegte sich vor dem Jubilar in den Hüften und setzte zu einem langen Shimmy an, in dem das Kostüm glitzerte und funkelte.
Schließlich endete sie in einer Sultansbrücke, ein bisschen atemlos, und Opa half ihr galant auf die Füße. Einige Verwegene brüllten „Zugabe“. Sie knickste, lachte und drückte Opa ein Küsschen auf die Wange, wartete auf das Trommelsolo nach der kurzen Pause, tanzte mit viel Hüftschwung, vielleicht zum letzten Mal. Damit brachte sie sich in die Nähe der Tür und verschwand.
Sie war umgezogen, hatte das Make-up bereits entfernt und die Perücke verstaut, als der junge Mann wieder hereinkam, diesmal ohne anzuklopfen. Das war oft so, manch einer dachte, mit dem Honorar habe er sie gleich mitbezahlt und könnte sich alles herausnehmen. Er hatte die Mappe mit den CDs in der Hand und ein Bündel Hunderteuroscheine, zunächst stutzte er, als er die kurzen grauen Haare sah und das nackte Gesicht.
„Das war ja super!“, seine Augen glänzten, „wo ist die Tänzerin?“
Sie lächelte, ihm war sie zu alt, nun ja, aus der Nähe und ungeschminkt zeichnete sich jede Falte ab und jetzt erkannte er sie und wand sich vor Verlegenheit.
„Was hatten Sie gedacht?“, sie musterte ihn ironisch, „Tanz ist harte Arbeit und entweder kann man was oder nicht, das Alter spielt dabei keine Rolle, aber Sie haben Ihre Sache mit der Beleuchtung gut gemacht.“
Er zählte das Geld auf den Tisch und während sie die Scheine
einsammelte und die Mappe mit den CDs in ihren Korb legte, meinte er: „Am nächsten Samstag feiert ein Freund seinen Junggesellenabschied, auch hier, und Sie wären der Knüller, so in Geschenkpapier.“
Sie schüttelte den Kopf: „Am Freitag habe ich einen Termin, das wird nichts.“
„Ist doch erst am Sonnabend, wir zahlen das Doppelte!“
„Glauben Sie mir, das wird nichts“, sie setzte ihre Mütze auf, zog den Parka an und nahm ihren Korb, ließ den jungen Mann stehen, ging hinaus und dachte an den nächsten Freitag. Sie hatte einen Termin, auf sie wartete die nächste Chemotherapie.