Der Trauerwinter kommt und frisst das Grün - Sonett

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Walther

Mitglied
Der Trauerwinter kommt und frisst das Grün


Der Krug, der brach, ging nicht zur Neige, nein,
Er ließ den Brunnen linkswärts lässig liegen.
Die Scherben selbst, man glaubt es kaum, sie siegen,
In Krieg und Liebe: Ja, so muss es sein.

Erschöpft der Brunnen, nach den vielen Kriegen
Der Quell versiegt: Der Mensch kriegt alles klein
Und kurz, was lang war, und er stirbt allein.
Was irden ist, geerdet, wird nicht lange fliegen.

Die Tropfen sammeln sich im Kelch der Blüten.
Wo gestern sich die Hummeln laut bemühten,
Wird heute nur ein letztes Glitzern glühn.

Wer fängt es auf, das Blut, das fließt und rötet,
Wenn Jugend sich und alle Hoffnung tötet:
Der Trauerwinter kommt und frisst das Grün.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Der Schlüsselvers in diesem Gedicht ist "Was irden ist, geerdet, wird nicht lange fliegen.", besonders hervorgehoben durch einen extra Takt.
Damit klingt er anders, als die restlichen, eher lakonischen Verse.

"Fliegen": wenn Irdenes in dieser Umgebung fliegt, fliegt es im Sinne des Fluges nach einem Wurf, es entstehen Scherben. Eine Warnung und Drehpunkt des Sonetts.
 

Label

Mitglied
Lieber Walther

dein Gedicht berührt mich mehr als mir lieb sein kann

elegisch, deprimierend

und doch leider so wahr

Der Trauerwinter kam und frass das Grün.

mit einem lieben Gruß
Label
 

Walther

Mitglied
Lieber Bernd,

danke, das hast du genau erkannt. ich habe dort 6 hebungen verwendet, das fällt aber wegen der rhythmik des verses kaum auf. es kann nichts gestrichen werden, da sonst die brechung der bilder davor nicht funktioniert.

das ist ein experiment, aber bei dir und Label scheint es funktioniert zu haben.

lieber gruß W.
 

Walther

Mitglied
lb Label,

manche texte berühren besonders, weil sie einen seelenzustand reflektieren, den man gerade selbst erfährt. ich wünsche dir alles beste, wofür auch immer dir das helfen möge.

lieber gruß W.
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Walther,

ich finde diesen Text auch sehr anrührend.
Einzig das 'lässig' will mir nicht recht gefallen, es klingt für mich flapsig - und es hat keine Entsprechung im Rest des Textes. Damit wirkt es umso dominanter. Eigentlich könnte es auch ein anderes zweisilbiges Wort sein wie 'dunkel' oder 'achtlos'.

Gruß
Petra
 

Walther

Mitglied
lb. Petrasmiles,

danke für deinen eintrag und den berechtigten hinweis. das "lässig" kann man in der tat diskutieren. allerdings habe ich zwei, wie ich meine, gute gründe, warum ich es nach vielem hin und her dann doch genommen habe.

der eine ist der stabreim im vers:
Er ließ den Brunnen linkswärts lässig liegen.
der zweite liegt darin, daß das verb "lassen" (hier in der vergangenheit: "ließ") sich in "lässig" verzerrt reflektiert, vom wortstamm her, aber auch in der bedeutung.

lieber gruß W.
 



 
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