Der Unterschied

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Inge. B

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Die Klassenfahrt war für Eleonore ein großer Traum. Mal nicht verzichten müssen. Sie bettelte lange und ihre Mutter schaffte es, dass sie mitfahren konnte. Eleonore besaß keine Stiefel, die kaufte Mutter für 5,-€ im Secondhandshop. Sie waren arm, kein Makel, bedeutete aber den Unterschied.
Der Alptraum begann am am zweiten Wandertag, der zu einem Wasserfall führen sollte.
Dicke Schneeflocken hinderten den Lehrer nicht mit seiner Gruppe ohne Gnade zu marschieren. Alle waren nass und tiefgefroren.
Eleonore war für ihre Klassenkameraden mit den Stiefeln, die nicht geeignet waren für die Berge, ein Hindernis, hemmte sie schnell vorwärts zu kommen.
Sie schlitterte ständig, sie hörte nur höhnisches Lachen. Das verstärkte ihre Angst, hallte in ihren Ohren. Ihre Scham war riesengroß wie die Furcht in die Tiefe zu stürzen. Welches Kind versteht Spott oder Ausgrenzen?
Beim Wasserfall, der sich in eine Eislandschaft verwandelt hatte, rutschte sie dem Abhang entgegen, da standen nur dünne Balken. Eleonore sah nur die Tiefe, das Gleichgewicht tanzte, ihre Füße hielten sie nicht mehr, Panik ließ sie heftig atmen, erstarren.
Plötzlich war sie allein. Die Anderen spazierten mit einem Lachen und dummen Worten weiter.
Und sie glitt dem Abgrund entgegen. Wie ein Häufchen Elend zitterte sie ihrem Ende entgegen. Egal.
 
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Ixolotl

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Ja, solche Erlebnisse klingen schlimm, liebe Inge. Man kann sie heute, wenn sie hinter einem liegen, freilich bequemer als damals zu Gehör bringen und hoffen, dass man mit derlei Betroffenheit eher auf verständnisvolle Zuhörer trifft als seinerzeit.

Aber das ist Wunschdenken. Man bleibt mit seiner Vergangenheit heute genau so einsam wie damals mit seiner Gegenwart, denn die Gesellschaften ändern sich nicht - Opfer werden gemieden wie Kranke, geradeso als ob sie ansteckend wären. Darüber darf man sich nicht grämen, sondern sollte auf dem Schirm behalten, dass der Mensch für gewöhnlich nicht nur im Glück baden, sondern ebenso oft mitten im Dreck stecken kann, verdient ebenso wie unverdient.

Kindliches Leid hat jeder erfahren, jeder. Es gibt wohl keinen, der als Kind nicht darunter litt, dass er nicht das sein oder werden konnte wie andere. Gewiss, die einen haben mehr Glück als die anderen, sagt man gern, und es treffen nicht alle die gleiche Schicksalsschläge. Kismet?

In jedem Fall liegt es oft auch an einem selbst, wenn man mit Situationen wie den beschriebenen so schwer fertig wird. Warum hat das Mädchen denn nicht zu dem Lehrer gesagt, dass es nicht so schnell kann? Warum hat es sich geschämt, das zuzugeben? Warum hatte es keine Freunde, die ihm halfen? Wovor hat es sich gefürchtet? Es scheint kein besonderes Selbstbewusstsein gehabt zu haben. Gab es denn niemanden, der es ihm hätte beibringen können? Die Mutter, die ja, wie wir lesen, in der Armut keinen Makel erkannte? Vielleicht sollte man besser da den literarischen Hebel ansetzen, als gleich wieder dem ganzen Rest der Welt die Schuld an den Umständen zuzuschreiben?

lg

Ixo
 
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Hallo Inge,

ein interessanter und zugleich verstörender Text, über den ich gestern schon nachgegrübelt habe. Ich setze den Autor nie mit dem Ich-Erzähler gleich, und ich glaube auch nicht, dass der Text auch nur den Hauch eines autobiographischen Hintergrundes hat, sondern erfunden ist. Allerdings dachte ich über das Du nach, das hier angesprochen wird. Ist das für den Text notwendig? Ich finde es eher hinderlich, der erste Satz klingt so freundschaftlich: „Weßt du noch?" das passt irgendwie nicht.

Die Protagonistin ist allein; alle anderen sind Feinde. Es geht - sinnbildlich wie auch praktisch (am Abgrund, kurz vor dem Fallen) um das nackte Überleben. So verstehe ich es.

Der Unterschied ist, dass zu wenig Geld da war, um vernünftige Stiefel zu kaufen. Ein rein praktischer Unterschied, der an einem Abgrund über Leben und Tod entscheiden kann.

LG SilberneDelfine
 

Inge. B

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Hallo Ixo,
das ist schon interessant, was Dir alles so einfällt, wenn Du eine Geschichte liest.
Ich wäre neugierig, wie dein literarischer Hebel aussehen würde.
LG
Inge
 

Inge. B

Mitglied
Hallo Silberne Delfine,
das muss ich mir überlegen, ob es notwendig ist. Vielleicht sollte ich meinen Figuren Namen geben.
Ja, es geht um das Überleben.
Ich möchte mit meinen Texten zum nachdenken anregen.
Vielen Dank
Inge
 

Ixolotl

Mitglied
Ich wäre neugierig, wie dein literarischer Hebel aussehen würde.
Wirklich, liebe Inge? Dann guck doch mal da: Die Verheißung

Da hab ich unlängst schon mal versucht, zu erklären, dass nicht alles hoffnungslos wäre. Man muss nicht nur immer den anderen die Schuld in die Schuhe schieben, wenn man nicht als Sieger durchs Ziel laufen kann. Irgendeinen Weg gibt's immer, ganz egal, ob man ein Onkel, ein Elefant oder ein süßes Mädchen ist.

Nicht jeder hat die kleine Geschichte damals verstanden. Aber das macht nichts. Wer versteht schon alles?

lg

Ixo
 

Inge. B

Mitglied
Hallo Ixo,
mit einfachen Worten ausgedrückt. Wer an etwas glaubt, der kann alles schaffen.

Wer versteht schon alles?
Niemand, kann man auch nicht verlangen.
Inge
 
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Bornstein

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Ich sehe die Sache anders als Ixo: Dem ganzen Rest der Welt die Schuld an den Umständen zuzuschreiben?

Erstens, ist im Text keine Rede von Schuld. Dieses Wort erscheint gar nicht im Text. Zweitens muss man bedenken dass das Mädchen eingeschüchtert war. Es hatte Angst, es schämte sich wegen des Stiefels, wegen der Armut und deswegen hat sie nicht um Hilfe gesucht. Furcht hat man. Man fragt dann nicht warum man Furcht hat, besonders bei einem kleinen Kind.

Mir hat die Geschichte sehr gefallen.

Vorschläge:
...versteht den Spott, das Ausgrenzen
... trotz dem Wetter.
...mein Gleichgewicht(ohne e) tanzte.
 

Ixolotl

Mitglied
Wer nicht erkennen will, lieber Bornstein, dass die Autorin nichts im Sinn hatte, als die mit dem unzureichenden Schuhwerk ausgestattete Schülerin als das arme Hascherl herüberzubringen, dass in der grausamen Welt der "anderen" nur mit Aufbietung der letzen Kraft überleben kann, macht sich's recht einfach. Dass Kinder von buchstäblich allen abgelehnt werden, weil sie "anders" sind, hat in aller Regel überhaupt nichts mit Geld zu tun .

Nein, das Leben ist doch - gottlob - nicht so simpel aufgebaut, vor allem nicht in Klassengemeinschaften. Mag schon sein, dass nicht nur der gegenständliche Lehrer ein Trottel ist, der nicht merkt, dass eine seiner Schülerinnen nicht mitkommt - wie doof ist denn eine Mutter, die Ihr Kind mit Filzpantoffeln ins Hochgebirge schickt? Die gehört doch genauso eingesperrt wie der beschränkte "Pädagoge".

Dass eine Schülerin nur deshalb gar keine Freundinnen und Freunde haben kann, weil bei ihr das Geld knapp sitzt, darf man heutzutage getrost als Gerücht beschmunzeln. In einer Schulklasse kann man sich vielleicht denen einen oder anderen "Freund" kaufen - echte Kameradinnen und Kameraden und findet man aber ganz ohne Geld. Es sei denn, man ist eine so unangenehme Zeitgenossin, dass man wirklich niemanden hat, der an einem teilnimmt.

Ich halte bemühte schwarz-weiß-Geschichten wie die gegenständliche nicht für literarisch, sondern für oberflächlichen Betroffenheitskitsch. Die Frage, wie man's anders machen könnte, habe ich ich an anderer Stelle bereits ausführlich beantwortet.

lg

Ixo
 

Inge. B

Mitglied
Hallo Ixo,
da hätte ich mich beinahe vor Lachen verschluckt.
Ich wusste gar nicht, was so ein kleiner Betroffenheitskitsch auslösen kann.
Wenn es nicht so wäre, würden wir Alle mit Tarnkappen durch die Welt laufen.
Wir stellen hier Texte aus, manche lösen Begeisterungstürme aus. Andere Abneigung. Damit muss man rechnen.
Wir müssen doch nicht das Gleiche denken oder jemanden zwingen es zu tun.
Gruß
Inge
 
Ich möchte mit meinen Texten zum nachdenken anregen
Hallo Inge,

das ist dir mit diesem Text auf jeden Fall gelungen. Ich finde es auch gut, dass du nicht aufklärst, ob es nun einen autobiographischen Hintergrund hat oder nicht - das tut für den Text nämlich gar nichts zur Sache.

Hallo Ixolotl,


Dass eine Schülerin nur deshalb gar keine Freundinnen und Freunde haben kann, weil bei ihr das Geld knapp sitzt, darf man heutzutage getrost als Gerücht beschmunzeln
In der Gegend, wo ich früher wohnte, schrien sich die Fünft- bis Sechstklässler „Hartz IV-Empfänger" als Schimpfwort zu. Soviel dazu...


Mag schon sein, dass nicht nur der gegenständliche Lehrer ein Trottel ist, der nicht merkt, dass eine seiner Schülerinnen nicht mitkommt - wie doof ist denn eine Mutter, die Ihr Kind mit Filzpantoffeln ins Hochgebirge schickt? Die gehört doch genauso eingesperrt wie der beschränkte "Pädagoge".
Hier hast du recht - deshalb schrieb ich auch in meiner Bewertung, dass die Schülerin von Mutter, Lehrer und Klassenkameraden verlassen ist.
Trotzdem halte ich es nicht für unwahrscheinlich, dass eine Mutter das fertigbringen würde - sei es aus Geldmangel, Unkenntnis oder Gedankenlosigkeit.


Ich halte bemühte schwarz-weiß-Geschichten wie die gegenständliche nicht für literarisch, sondern für oberflächlichen Betroffenheitskitsch
Ich halte die Geschichte nicht für bemüht. Auch nicht für schwarz-weiß, denn hier wird niemand als "gut" oder "schlecht" dargestellt.

Die Frage, wie man's anders machen könnte, habe ich ich an anderer Stelle bereits ausführlich beantwortet.
Sicher könnte man es anders machen. Aber deswegen ist „anders" nicht besser oder schlechter.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 

Inge. B

Mitglied
Guten Morgen Binsenbrecher,
das Wort "Betroffenheitskitsch", habe ich von Ixo übernommen und vergessen zu zitieren
Ich fürchte mich davor nicht
Gruß
Inge
 

ArneSjoeberg

Mitglied
Guten Morgen,

Ich wusste gar nicht, was so ein kleiner Betroffenheitskitsch auslösen kann
Er war immerhin kurz genug, dass ich, der mit so etwas überhaupt nichts anfangen mag, sowohl ihn als auch die Diskussion gelesen habe. Beides hat mich nachdenken lassen. Über die Autorin, die Diskutierenden und das, worum es geht. Es war keine vergeudete Zeit. Ist es nicht das, was Texte "anrichten" sollen - zum Nachdenken anregen?

Danke dafür
Arne
 



 
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