Der Weg zu dir

Michele.S

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Aus Hoffen ist ein Mensch geworden
Du warst in allem: Schweigen, Dunkelheit und Licht
Du warst in jedem neuen Morgen
Du warst bei mir und warst es nicht.

Jetzt streif ich durch die leeren Flure
In allem seh ich noch dein Bild
Mal ist da eine schwere Ruhe
Und Mal ein Feuer, groß und blind

Die Autos rauschen in der Ferne
als flüsterten sie: Einsamkeit
Während das kalte Licht der Sterne
sowas wie Tod!, unendlich! schreit.

Nun treib ich durch die große Welt
und such in jedem Ding nach dir
Auch wenn kein Stern mehr meine Nacht erhellt,
auf dass der Weg nach Hause führ.
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

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Hey Michele!
Durch die erste Zeile legt sich Dein Klagelied thematisch deutlich auf die Geburt eines Kindes fest, so dass der Text sich dann im Verlauf als Kindertotenlied darstellt. Ich hoffe wirklich sehr, dass das nicht autobiographisch ist.
Tatsächlich höre ich aber, schwer greifbar, eher zwischen den Zellen, in den folgenden Strophen so etwas wie eine klassische romantische Liebesklage heraus, also die lyrisch vergleichsweise gut etablierte Trauerarbeit nach dem Ende einer romantischen Beziehung (ob es nun eine ein- oder beidseitige war).
Falls Du tatsächlich das letztgenannte Thema bearbeiten wolltest, würde ich die erste Zeile etwas anpassen, um Missverständnisse zu vermeiden. Falls es hier aber wirklich um die elterliche Trauer nach dem Verlust eines Kindes geht, will ich mich mit Ideen zu möglichen Anpassungen lieber zurückhalten.
LG!
S.
 

Michele.S

Mitglied
Hey sufnus, es ist tatsächlich ein ganz klassisches Gedicht über Liebeskummer, hat also nichts mit einer Fehlgeburt zu tun. Wäre es deutlicher, wenn ich die erste Zeile in "Aus Sehnsucht ist ein Mensch geworden" umwandeln würde? Du hast Recht, "hoffen" verbindet man mit Schwangerschaft, es gibt ja auch den etwas altmodischen Ausdruck "In der Hoffnung sein"
 

sufnus

Mitglied
Hey Michele,
ah - dann hab ich den Liebeskummer-Aspekt doch richtig herausgehört. Das erlaubt es mir dann auch, mich in die hier auf der Lupe (besonders) großgeschrieben sein sollende "Textarbeit" zu stürzen.

Ich glaube, so lange die Formulierung lautet: "aus X ist ein Mensch geworden", kommt man an der Assoziation Schwangerschaft und Geburt kaum vorbei, zumindest fällt mir kein zweisilbiges Wort ein, das ich für X einsetzen könnte (und das dann noch einen sinnvollen Satz ergibt) welches stattdessen auf Verliebtheit verweist; der Mensch in diesem Satz setzt sich assoziativ m. E. auch gegen typische Wörter aus dem Romantik-Umfeld durch.
Du willst ja vermutlich betonen, dass es bei den Zeilen nicht um eine relativ "binnenromantische" Verliebtheit in die Verliebtheit geht, sondern dass ein sehr konkretes "Du" zum Hoffnungsziel des verliebten Herzens wurde. Hier würde ich mir an Deiner Stelle mehr Formulierungsfreiheiten schaffen, indem ich den "geworden/Morgen"-Reim aufgebe. Die Wendung mit "jedem neuen Morgen" ist sowieso ein bisschen abgenutzt, wie ich finde und "geworden" ist grundsätzlich kein besonders "starkes" Reimwort.

Insgesamt finde ich übrigens, dass sich ein bisschen "Herumpuzzelei" an dem Gedicht sehr lohnen würde, denn der grundsätzliche melodische "Flow" ist schon sehr schön und das Thema ist ja nun auch (jede statistische Analyse von Gedicht-Themen kommt hier zum gleichen Ergebnis) DAS Paradethema der Lyrik. :)

Was - neben der etwas irreführenden "Einleitung" - m. E. noch ein bisschen gefälliger "bebildert" sein könnte, das sind die Strophen 2 und 3: Hier wechseln sich etwas willkürlich optische und akustische Eindrücke ab und sind teilweise sogar miteinander vermischt, wenn die Ruhe von einem Feuer abgelöst wird und das Sternenlicht einen Schrei "formuliert".
Grundsätzlich kann man natürlich in Gedichten Sinnesleistungen, sozusagen synästhetisch, unfallfrei zusammenmixen; es gibt sowas sogar in der Alltagssprache, wenn man etwa von "schreienden Farben" spricht, aber so ein Sinnesmischmasch will klug serviert werden.
Im Fall der Strophen 2 und 3 werden die sinnesphysiologischen Perspektivwechsel relativ stark von den Reimwörtern getragen: Die Ruhe in Strophe 2 ist eingetreten, weil sie mit dem Wort "Flure" korrespondiert und das Licht in Strophe 3 "schreit", weil sich das auf "Einsamkeit" reimt. Dieses "Ich-war-auf-der-Suche-nach-einem-Reimwort" hört man etwas aus den Formulierungen heraus, sie wirken also nicht so, als seien sie durch inhaltlichen Gestaltungswillen zustande gekommen, sondern scheinen eher der Reimnot zu gehorchen.
Hier würde ich die Bildersprache also etwas angleichen, ggf. soweit nötig, verbunden mit der Suche nach neuen Reimwörtern.

Ich mach jetzt mal bewusst keine konkreten "Verbesserungsvorschläge", ich habe mir auch ad hoc noch keine zurechtgelegt - aber ich kann natürlich bei Interesse welche nachreichen. Muss aber wirklich nicht sein, wenn Du selbst an dem Text arbeiten willst.
Oder - unerhörte Variante! ;) - Du lässt den Text einfach so, wie er ist; wenn Du damit zufrieden bist, dann ist damit der alles entscheidenden Hauptsache mehr als Genüge getan. :)

LG!

S.
 



 
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