Der Weg zum Weihnschtsmann

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latluti

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Der Wind fegte durch die von Nebelschwaden durchzogene Straße. Besagte Straße war voller Schnee, denn bislang hat noch kein Schneepflug bei dem Sauwetter zum Räumen angefangen. Es war duster und kalt und nebelig und nass und glatt und verschneit und dennoch wanderte eine kleine Gestalt durch die geisterhafte Gegend. Zitternd und Hände reibend bewegte der Kleine sich vorwärts, während er stets pflegte nach rechts und links zu schauen. Aber so viel er auch schaute: Das, was er suchte, schien er nicht zu finden. Der Wind peitschte ihm den fallenden Schnee derart ins Gesicht, dass er sich kurzentschlossen von seiner Suche abwenden musste, um sich einen halbwegs wettergeschützten Platz in einer der zahlreichen Seitengassen zu suchen. Sobald er sich schnaufend an die Wand gelehnt hatte, entdeckte er einen Mann, der ihm gegenüber am Boden saß. Nach einer kurzen Musterung stellte der Junge fest, dass es sich bei seinem Gassenpartner wohl um einen Obdachlosen handeln musste. Wie sonst wären die vielen Decken, das ungepflegte Aussehen und der Becher mit dem Schild, auf dem um Geld gebeten wird, zu erklären? Der Mann räusperte sich und seine kratzige Stimme erschrickt den Jungen im ersten Moment. „Was treibst du dich bei solch einem ungestümen Wetter hier herum, mein Junge?“ Obwohl seine Mutter ihm in Endlosschleife eingetrichtert hat, nie auf Fremde einzugehen, verließ sich der Bub auf sein Bauchgefühl, das ihm versicherte, dass keine Gefahr von dem Herrn ausging und er ließ sich auf einer der Decken nieder. „Ach weißt du“, sprach der furchtlose Kleine, „ich suche den Weg zum Weihnachtsmann.“
Der Mann konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Du suchst also den Weihnachtsmann, na da sieh mal einer an.“
„Genau genommen suche ich gerade erst nach dem Weg, der zu ihm führt.“
„Ist das nicht ein und dasselbe mein Freund?“
„Nein. Woher willst du denn wissen, wo dein Ziel ist, wenn du den Weg noch nicht gefunden hast, den brauchst um überhaupt hinzugelangen?“
Das brachte den Mann zum Schweigen und eine Pause entstand, in der die beiden ihren Gedanken nachhingen. Schließlich sprang der Junge auf, er hatte bemerkt, dass der Schneefall sich eingestellt hatte.
„Du musst sicher wieder los, mein Junge.“, sagte der Mann bedächtig und er sah dem Jungen direkt in die Augen als er verkündete: „Du, mein Kleiner, hast den Sinn der Weihnacht verstanden.“ Verwirrt von den Worten des freundlichen Heimatlosen brach er nach einem höflichen Abschied wieder auf.
Nach einigen Metern rutschte er auf dem glatten Gehsteig aus und fiel mit voller Länge zu Boden. Der Sturz presste ihm sämtliche Luft aus den Lungen und ihm traten Tränen in die Augen. Zwei Burschen eilten aus einer der Gassen zu ihm. Sie mussten seinen überraschten Schrei gehört haben.
„Oh nein, hast du dich verletzt?“, fragte der eine Jugendliche ernsthaft besorgt. Fast wie ein Echo des einen, drang auch die Stimme des anderen an das Ohr des Kleinen: „Oh nein, bist du okay?“ Der Befragte nickte und hievte sich mit einiger Hilfe der beiden Älteren hoch.
Sie putzten ihm noch den Schnee von der Jacke und lächelten ihn an. „So jetzt bist du wieder aufgepäppelt. Sollen wir dich vielleicht noch heimfahren? In der Dunkelheit solltest du nicht so allein herumlaufen!“
„Nein, danke, aber ich suche den Weg zum Weihnachtsmann.“
„Du tust was? Das ist ja…“, weiter kam der Jugendliche nicht, denn in diesem Moment rannte ein Mann auf die kleine Gruppe zu und sofort rannten auch die älteren Burschen, aber von der kleinen Gruppe weg. Der kleine Junge blieb verwirrt zurück und starrte den älteren nach. „Haben dir die beiden Schwuchteln etwas angetan?“
„Nein, die beiden haben mir aufgeholfen und mich aufgepäppelt.“, erklärte der Kleine und wunderte sich über die harsche Art des Mannes, mit der er die hilfsbereiten Jungen ausrichtete.
„Na zum Glück. Die meisten von denen haben aber ganz anderes im Kopf, du solltest dich nicht ohne deine Eltern in der Finsternis herumtreiben. Komm, ich fahre dich nach Hause.“ Der Mann nahm den Jungen am Arm und wollte ihn zu seinem Auto befördern.
„Nein!“, rief der Junge und funkelte den Mann an. „Ich habe keine Ahnung, wer sie sind und bis jetzt haben sie mir weder aufgeholfen noch mich aufgepäppelt, woher soll ich also wissen, ob ich ihnen vertrauen kann?“
Ein schallendes Lachen brach aus der Kehle des Mannes. „Ach, und den beiden schwulen Mistkerlen vertraust du also?“
„Ja. Sie haben mir geholfen, damit ich weiter auf die Suche nach dem Weg zum Weihnachtsmann gehen kann.“ Der Kleine reckte sein Kinn vor und dadurch verstummte auch das Gelächter des Mannes.
„Ach den Weihnachtsmann suchst du also…“
„Nein den Weg zu ihm.“
„Ja das erklärt sich ja wohl von selbst.“ Der Mann verdrehte die Augen.
„Nein, das erklärt sich nicht von selbst. Denn ein Ziel erreicht man erst, wenn man den Weg gefunden hat und all seine Hindernisse überwunden hat.“ Mit den Worten stapfte der Junge durch den Schnee davon. Der Mann blickte ihm nur stumm hinterher- die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. Von hinten hörte man die Stimmen der beiden Verliebten. „Der Kleine hat verstanden, um was es bei Weihnachten geht.“
Frustriert bahnte sich der Junge einen Weg durch den immer höher werdenden Schnee. Langsam erschien ihm seine Suche aussichtslos. Er seufzte und vernahm auf einmal zwei aufgebrachte Stimmen. Er näherte sich lautlos und fing einzelne Wortfetzen auf wie: „Baby“, „mit 17“, „Abtreibung“ und das letzte hörte er überdeutlich, denn der eindeutig männliche Gesprächsteilnehmer schrie es aus vollem Hals heraus: „HURE!“ Dann setzte schlagartig Stille ein. Nur noch das dumpfe Geräusch von sich entfernenden Schritten durch den knarzenden Schnee waren zu hören. Und ein Schluchzer. Mehrere Schluchzer. Der Junge ertrug es nicht jemanden so kurz vor Weihnachten so aufgelöst stehen zu lassen und marschierte schnellen Schrittes auf die junge Frau zu. Als jene ihn bemerkte, zuckte sie kaum merklich zusammen und sagte zerknirscht: „Was willst du denn?“
„Ich will, dass du aufhörst zu weinen, weil es ist kurz vor Heiligabend und da soll man nicht weinen.“
Ein trauriges Lachen, das in ein Schluchzen überging, kam von dem Mädchen als Antwort.
„Weißt du ich hätte vorhin auch schon fast aufgegeben.“, gab der Kleine zu.
„Womit denn?“, das Mädchen wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Mit der Suche nach dem Weg zum Weihnachtsmann. Es war sehr kalt und dann bin ich auch noch hingefallen, aber da waren ein paar Menschen, die mir geholfen haben. Ohne sie wäre ich jetzt schon längst daheim. Doch ich bin es nicht und ich weiß ganz sicher, dass ich den Weg finden werde und dann, wenn ich ihn- so lang er auch sein mag- gegangen bin, schließlich auch den Weihnachtsmann!“ Nachdem er das ausgesprochen hatte, war er tatsächlich viel zuversichtlicher geworden. Das Mädchen musterte den Buben und lächelte auf einmal. „Ja genauso werde ich das auch machen. Du verstehst um was es bei Weihnachten geht. Danke.“
Sie drückte ihn noch einmal kurz an sich und verschwand dann im schier endlosen Nebel. Komplett durcheinander zog auch der Junge weiter. Suchte das Mädchen nun etwa auch den Weihnachtsmann?
In Gedanken versunken bemerkte er gar nicht, dass vor ihm ein Mann in roter Jacke und mit langem Bart stand, sondern er lief direkt in ihn hinein. Nach einer kurzen Schreckenssekunde lachte der bärtige Mann, „Na du hast mich aber erschreckt mein Junge.“
Der Bursche musterte den Alten eingehend. Ja konnte es denn sein, dass…
„Bist du es?“, fragte der Kleine mit ehrfürchtiger Stimme, „Ja aber ich dachte, ich hätte den Weg noch lange nicht gefunden!“
Wieder lachte der nette alte Mann und im Hintergrund glaubte der Junge, eine Glocke gehört zu haben. „Mein kleiner Freund, du hast den richtigen Weg schon lange gefunden, schau nur, dass du nie von ihm abweichst.“
Von dem einen auf den anderen Moment verschwand der Mann und zurück blieb der kleine Junge, der nun ungläubig in den Himmel starrte und der grellsten Sternschnuppe nachschaute, die er je gesehen hat.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo latluti, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Zwar ist momentan nicht der richtige Zeitpunkt für eine Weihnachtsgeschichte, diese jedoch hat mir gut gefallen und deshalb erhält sie eine Chance auch im Februar.


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 
Erster Eindruck

Hallo latluti,

deine Geschichte hat einen sympathischen Charakter und eine für eine Kurzgeschichte passende Handlung. Ich bin dem Jungen gerne durch den Schnee gefolgt.

Hier noch ein paar mögliche Tipps:
- Versuche, die Umgebung und die Stringenz des Textes dadurch zu steigern, dass du dem Leser durch etwas ausführliche Beschreibung einen besseren Eindruck der Umgebung geben kannst: Hier bin ich oft von den schnellen Personenwechseln überfordert gewesen

- An einigen Stellen kannst du noch den Satzbau/die Wortwahl/Orthografie verbessern, z.B. bei
"Zitternd und händereibend bewegte [blue]sich [/blue]der Kleine vorwärts, während er stets[blue] darauf achtete,[/blue] nach rechts und links zu schauen."
"Woher willst du denn wissen, wo dein Ziel ist, wenn du den Weg noch nicht gefunden hast, den [blue]du[/blue] brauchst, um überhaupt [blue]dort anzukommen[/blue]?“"

Die Idee, den Spruch "Der Weg ist das Ziel" und die natürliche Art eines Kindes als gelingende Lebensphilosophie darzustellen, gefällt mir. Wenn du das Konzept des Weihnachtsmannes damit verwebst, wirst du wahrscheinlich nicht überall auf Verständnis stoßen, was aber deine Geschichte eben individuell macht.

Viele Grüße
Weltenwandler
 



 
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