Lokterus
Mitglied
Der Wolf
Als die Schatten länger wurden, schloss sich die große Gemeinschaft in sich zusammen und suchte eine große Lichtung auf, um ein Lager für die Nacht herzurichten. Ich spürte, wie die Luft zunehmend klammer wurde. Die Kälte kroch gegen mich heran und ließ mich wahrhaftig schaudern. Durch die rege Betriebsamkeit der Menschen hinweg suchte ich meinen Vater, der aber nirgends aufzufinden war.
Ich konnte recht unbehelligt durch die Reihen der beschäftigten Männer gehen. Sie waren zur Wolfsjagd hier herausgekommen und der Tag des erfolglosen Treibens hatte sie reizbar gemacht. Es wurde überall gehadert und es fielen kräftige Ausdrücke, die ich nicht wiederholen möchte. Alsbald standen jedenfalls die ersten Zelte und man begann zahlreiche Feuer zu entzünden, da die Nacht endgültig hereinbrach.
Der Große sprach mit drei anderen Männern, als ich dazu kam. Als er mich sah, nahm er mich beiseite und fragte, wo mein Vater sei. Sein Gesicht war derb und Furchen zogen sich durch seine lederne Haut. Der Rinde einer alten Eiche gleich war sein Gesicht, doch gleichsam ruhig und mit geduldigen Augen. Ich wusste auf seine Frage hin nichts zu sagen und so schickte er mich zu den Feuern. Es würde Essen geben.
Ich gehorchte, denn man gehorchte immer dem Großen, wenn mein Vater nicht in der Nähe war. Der Große und mein Vater gehörten zu den Männern, die bei den anderen ihrer Art Achtung hervorriefen. Deswegen waren so viele hier herausgekommen. Und wegen der Wölfe.
Man gab mir einen Teller Suppe und alle fragten nach meinem Vater. Ich machte mir keine großen Sorgen, denn mein Vater würde mit allem fertig werden, was der dunkle Wald für ihn bereithalten mochte. Das wusste ich sehr genau. Ich hielt meinen Suppenteller und er war heiß und dampfend in meinen Händen. Noch durch die Handschuhe hindurch konnte ich die Hitze spüren und ich pustete in die Suppe hinein, während der Dampf meine kalten Wangen feucht machte.
Mein Vater kam, als ich mit der Suppe fast fertig war und er stellte eine große Tasse Tee auf den Stamm eines umgefallenen Baumes. Sein Gesicht war sehr ernst und da waren Schatten unter seinen Augen. Er sagte, es wäre ihm unangenehm mich so lange allein zu lassen, aber es mussten wichtige Dinge besprochen werden. Ich verstand nicht alle seine Worte, aber er wies mich an bei den Feuern zu bleiben und auf ihn zu warten. Er wandte sich an die Männer, die an den Feuern saßen. Sie sollen Acht auf mich geben, sagte er und sie nickten, weil mein Vater es war, der das zu ihnen sagte. Mir war jetzt nicht mehr kalt und ich machte mir keine Gedanken, als er ging.
Ich saß am Feuer und trank den Tee. Ich fühlte, wie stark der Tee war und trank ihn sehr gierig, weil ich durstig war. Dabei schaute ich den Männern zu, welche jetzt ihre Pfeifen herausholten, um zu rauchen und zu reden. Einige tranken aus kleinen silbernen Fläschchen, obwohl sie wussten, dass mein Vater das nicht duldete.
Es kümmerte sich keiner um mich am Feuer, als ich nach einer langen Zeit aufstand. Der Tee war sehr kräftig gewesen und verfehlte seine Wirkung nicht bei mir. Ich entfernte mich also von den Feuern und den Männern, die jetzt in ein Kartenspiel vertieft waren und ich ging eine Weile in das Holz. Immer weiter ging ich, bis ich mich allein genug fühlte. Vor einem niedrigen Buschwerk versuchte ich umständlich den Verschluss meiner Hose zu öffnen, während mein Atem sich in kalten Dampfschwaden gegen den blassen Mond abzeichnete.
Und als es mir am Ende gelang, meine Hose aufzubekommen, sah ich die gelben Augen des Wolfes im Dickicht.
Seine Gegenwart war so deutlich, als würden wir uns berühren. Es war ein großes Tier. Ich spürte seine Stärke und die Anspannung seiner zähen Muskeln. Ich spürte seine Bereitschaft zu springen. Ich war ein Kind, aber ich verstand es sofort. Wir standen uns gegenüber und wussten umeinander. Ich war hier herausgekommen, in das raue Geäst und die Kälte der Nacht, die sein Zuhause war. Alles war richtig in meiner wehrlosen Ohnmacht und in seiner Absicht diese auszunutzen. Ein ehrliches Einverständnis, wie es nur zwischen Jäger und Beute geben kann. Und als ich nach Sekunden Gelegenheit fand, endlich Angst zu empfinden und zu schreien, war der Wolf verschwunden.
Das ganze Lager kam angerannt, mich mit heruntergelassener Hose im Wald schreien zu sehen. Mein Vater und der Große waren beide gleichzeitig bei mir und alles schrie und gellte durcheinander. Ich erinnere mich nicht mehr an die Worte dieser Nacht. Es waren viele Worte und ich war nur ein Kind.
Aber ich erinnere mich an den Wolf. Und daran, dass wir keine Worte gebraucht hatten.
Als die Schatten länger wurden, schloss sich die große Gemeinschaft in sich zusammen und suchte eine große Lichtung auf, um ein Lager für die Nacht herzurichten. Ich spürte, wie die Luft zunehmend klammer wurde. Die Kälte kroch gegen mich heran und ließ mich wahrhaftig schaudern. Durch die rege Betriebsamkeit der Menschen hinweg suchte ich meinen Vater, der aber nirgends aufzufinden war.
Ich konnte recht unbehelligt durch die Reihen der beschäftigten Männer gehen. Sie waren zur Wolfsjagd hier herausgekommen und der Tag des erfolglosen Treibens hatte sie reizbar gemacht. Es wurde überall gehadert und es fielen kräftige Ausdrücke, die ich nicht wiederholen möchte. Alsbald standen jedenfalls die ersten Zelte und man begann zahlreiche Feuer zu entzünden, da die Nacht endgültig hereinbrach.
Der Große sprach mit drei anderen Männern, als ich dazu kam. Als er mich sah, nahm er mich beiseite und fragte, wo mein Vater sei. Sein Gesicht war derb und Furchen zogen sich durch seine lederne Haut. Der Rinde einer alten Eiche gleich war sein Gesicht, doch gleichsam ruhig und mit geduldigen Augen. Ich wusste auf seine Frage hin nichts zu sagen und so schickte er mich zu den Feuern. Es würde Essen geben.
Ich gehorchte, denn man gehorchte immer dem Großen, wenn mein Vater nicht in der Nähe war. Der Große und mein Vater gehörten zu den Männern, die bei den anderen ihrer Art Achtung hervorriefen. Deswegen waren so viele hier herausgekommen. Und wegen der Wölfe.
Man gab mir einen Teller Suppe und alle fragten nach meinem Vater. Ich machte mir keine großen Sorgen, denn mein Vater würde mit allem fertig werden, was der dunkle Wald für ihn bereithalten mochte. Das wusste ich sehr genau. Ich hielt meinen Suppenteller und er war heiß und dampfend in meinen Händen. Noch durch die Handschuhe hindurch konnte ich die Hitze spüren und ich pustete in die Suppe hinein, während der Dampf meine kalten Wangen feucht machte.
Mein Vater kam, als ich mit der Suppe fast fertig war und er stellte eine große Tasse Tee auf den Stamm eines umgefallenen Baumes. Sein Gesicht war sehr ernst und da waren Schatten unter seinen Augen. Er sagte, es wäre ihm unangenehm mich so lange allein zu lassen, aber es mussten wichtige Dinge besprochen werden. Ich verstand nicht alle seine Worte, aber er wies mich an bei den Feuern zu bleiben und auf ihn zu warten. Er wandte sich an die Männer, die an den Feuern saßen. Sie sollen Acht auf mich geben, sagte er und sie nickten, weil mein Vater es war, der das zu ihnen sagte. Mir war jetzt nicht mehr kalt und ich machte mir keine Gedanken, als er ging.
Ich saß am Feuer und trank den Tee. Ich fühlte, wie stark der Tee war und trank ihn sehr gierig, weil ich durstig war. Dabei schaute ich den Männern zu, welche jetzt ihre Pfeifen herausholten, um zu rauchen und zu reden. Einige tranken aus kleinen silbernen Fläschchen, obwohl sie wussten, dass mein Vater das nicht duldete.
Es kümmerte sich keiner um mich am Feuer, als ich nach einer langen Zeit aufstand. Der Tee war sehr kräftig gewesen und verfehlte seine Wirkung nicht bei mir. Ich entfernte mich also von den Feuern und den Männern, die jetzt in ein Kartenspiel vertieft waren und ich ging eine Weile in das Holz. Immer weiter ging ich, bis ich mich allein genug fühlte. Vor einem niedrigen Buschwerk versuchte ich umständlich den Verschluss meiner Hose zu öffnen, während mein Atem sich in kalten Dampfschwaden gegen den blassen Mond abzeichnete.
Und als es mir am Ende gelang, meine Hose aufzubekommen, sah ich die gelben Augen des Wolfes im Dickicht.
Seine Gegenwart war so deutlich, als würden wir uns berühren. Es war ein großes Tier. Ich spürte seine Stärke und die Anspannung seiner zähen Muskeln. Ich spürte seine Bereitschaft zu springen. Ich war ein Kind, aber ich verstand es sofort. Wir standen uns gegenüber und wussten umeinander. Ich war hier herausgekommen, in das raue Geäst und die Kälte der Nacht, die sein Zuhause war. Alles war richtig in meiner wehrlosen Ohnmacht und in seiner Absicht diese auszunutzen. Ein ehrliches Einverständnis, wie es nur zwischen Jäger und Beute geben kann. Und als ich nach Sekunden Gelegenheit fand, endlich Angst zu empfinden und zu schreien, war der Wolf verschwunden.
Das ganze Lager kam angerannt, mich mit heruntergelassener Hose im Wald schreien zu sehen. Mein Vater und der Große waren beide gleichzeitig bei mir und alles schrie und gellte durcheinander. Ich erinnere mich nicht mehr an die Worte dieser Nacht. Es waren viele Worte und ich war nur ein Kind.
Aber ich erinnere mich an den Wolf. Und daran, dass wir keine Worte gebraucht hatten.
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