Des Schicksals Advokaten
"Hier muß es sein", murmelte Malte Tüll und trat auf die Bremse. Sein asthmatischer "Polo" kam genau vor der protzig breiten Einfahrt zum Stehen. Während Malte sich eine Strähne seines strubbeligen Haares aus der verschwitzten Stirn strich, starrte er auf das wuchtige schmiedeeiserne Tor, dessen mit unzähligen Schnörkeln versehene Flügel weit geöffnet waren.
"Ja, hier muß es sein", wiederholte er fast schon ein wenig ehrfürchtig und blickte den mit schwarz glänzendem Basalt gepflasterten Weg entlang, der leicht geschwungen bis zu dem reich verzierten Portal einer wuchtig hingeklotzten Villa führte. Malte fühlte, wie sich eine leichte Beklemmung auf seine Brust legte. Er stammte aus dieser Stadt, hatte mehr als 40 Jahre in ihr gelebt, aber in diese stinkvornehme Gegend hatte es ihn bisher ganz selten verschlagen. Und noch nie hatte er eine dieser luxuriösen Villen betreten. Am liebsten hätte er Gas gegeben, um zurück in seine Einraumwohnung zu fahren, wo er gemütlich bei ein paar Bierchen dem Abend entgegen dösen würde. Aber da war ja noch der Brief in seiner Jackentasche.
"... bitte ich Sie, in dieser dringenden Angelegenheit am Freitag den 13. September um 16.00 Uhr in meiner Kanzlei vorzusprechen.
Hochachtungsvoll Dr. Schnitter
Rechtsanwalt"
In Malte kämpften Neugier und Unbehagen. Neugier deshalb, weil die angeblich so dringende Angelegenheit nur vage umschrieben worden war. Aber einiges schien darauf hinzudeuten, dass es sich wohl um eine Erbschaftsangelegenheit handeln könnte. Malte war alles andere als vermögend. Und die paar Pimperlinge, die er mühsam beiseite gebracht hatte, würden für die Scheidungskosten drauf gehen. Oh ja - da käme so eine kleine Erbschaft - woher sie auch immer stammen möge - sehr gelegen. Mit diesem Gedanken ließ er die Kupplung kommen, und nahm die Auffahrt rasanter als gewollt.
An einem der Seitenflügel der Villa entdeckte er einen kleinen von mächtigen Blutbuchen gesäumten Platz, auf dem bereits zwei Nobelkarossen parkten.
Malte stellte sein klappriges Gefährt mit gebührendem Abstand daneben, und während er den Wagen abschloß, besaß er Gelegenheit, die Lungen noch einmal so richtig mit frühherbstlich warmer Luft voll zu pumpen, bevor er die paar Schritte bis zur klobigen Eingangstür ging. Der altmodische Klingelknopf, der unter dem goldglänzendem Firmenschild mit dem Schriftzug "Kanzlei Dr. Schnitter & Partner" angebracht war, löste, nachdem Malte mit klopfendem Herzen drauf gedrückt hatte, einen dezenten Gong aus. Keine drei Sekunden später öffnete sich das schwere Portal. Nach weiteren drei Sekunden unwillkürlichen Zögerns trat er schließlich ein. Während sich die Tür mit sanftem Klack wieder hinter ihm schloss, wagte er einen ersten Rundblick.
Er stand in einem mehrere Stockwerke hohem und von einer gläsernen Kuppel überspanntem Atrium, von dem eine breite, sich auf halber Höhe teilende Treppe zu einer Galerie führte. Vielleicht hätte Malte hier und da noch einen Blick auf all die in düsteren Farben gehaltenen Gemälde an den Wänden geworfen, wenn da nicht diese Frau oben am Treppenansatz gewesen wäre.
"Kommen Sie hier herauf. Man erwartet Sie schon."
Allein der Klang ihrer Stimme besaß etwas ungemein Anziehendes. Während Malte langsam die uralte Holztreppe empor stieg, ließ er keinen Blick von dieser Frau. Sie mochte etwa Ende dreißig sein - eine reife Schönheit. Dichtes tizianrotes Haar floß ihr mit sanften Wellen bis auf die Schultern und bildete einen bezaubernden Kontrast zu ihrem moosgrünen Kostüm. Grün blitzten auch die lebhaften Augen, die sie mit einem aus Neugier und Distanz gepaarten Blick auf den Besucher gerichtet hielt. Es konnte wohl nicht nur am Treppensteigen gelegen haben, dass Malte so außer Atem war, als er oben angekommen, dieser außergewöhnlichen Schönheit gegenüber stand.
"Tüll", sagte er mit trockenem Mund und reichte ihr die leicht feucht gewordene Hand. Die Schöne verzog die vollen, aber kaum geschminkten Lippen zu einem zurückhaltend freundlichen Lächeln.
"Ich weiß. Sie sind der Letzte. Herzlich willkommen in unserem Hause."
Während sie immer noch lächelnd sprach, entblößte sie hin und wieder ihre akkurat ausgerichteten schneeweißen Zähne. Zwei- dreimal huschte dabei ihre Zungenspitze spielerisch darüber hinweg.
"Übrigens, mein Name ist Rose."
Malte vermochte seinen Blick einfach nicht von diesem faszinierenden Mund zu lösen. Erst als die Frau auf eine der von der Galerie abgehenden Türen wies und ein dunkles "Darf ich voran gehen" raunte, fiel die sekundenlange Starre von ihm ab. Er folgte ihr und besaß nun Gelegenheit, ihre in ihrer ausgereiften Weiblichkeit kaum zu übertreffende Figur zu bewundern. Vom biegsamen Nacken, über den schmalen Rücken, die angenehm leicht ausladenden Hüften und den sich straff unter dem Stoff abzeichnenden Po bis hin zu den makellosen Beinen stimmte einfach alles an ihr. Auf dem dicken Läufer schritt sie fast geräuschlos dahin, und für einen Moment gewann Malte den Eindruck, sie würde schweben. Doch schon öffnete sie die bezeichnete Tür und blieb seitlich im Rahmen stehen. Er mußte so dicht an ihr vorbei, dass er sie für einen winzigen Moment mit dem Oberarm berührte. Er atmete den intensiv schweren Duft, der ihrem Dekolletee zu entströmen schien und wäre am liebsten stehen geblieben, nur um dieses Odeur länger genießen zu können.
'Was für eine Frau!' dachte er und mußte sich regelrecht zum Weitergehen zwingen. Mehr stolpernd als gehend betrat er ein großes mit schweren Teppichen ausgelegtes Zimmer.
"Ah, da sind Sie ja", hörte er eine unangenehm kratzende Stimme aus der Tiefe dieses im leichten Halbdunkel liegenden Raumes. Malte schaute blinzelnd in die Richtung, aus der die Worte gekommen waren und gewahrte hinter einem Ungetüm von Schreibtisch einen älteren sehr hageren Mann. Der Alte saß leicht vorgebeugt in einem nicht weniger gewaltigen Ledersessel und fuhr mit den knochigen Händen unentwegt über die auf Hochglanz polierte Tischplatte.
"Setzen Sie sich!" Kam es kurz und knapp aus dem dünnlippigen Mund, und es klang eher nach einem Befehl, als nach einer höflichen Einladung.
Inzwischen hatten sich Maltes Augen an das Dämmerlicht gewöhnt. Als er sich umschaute, entdeckte er dem Schreibtisch gegenüber eine Sesselgruppe, wo bereits zwei Männer Platz genommen hatten. Der eine mochte etwa im gleichen Alter wie Malte sein. Er war schlank, besaß markante Gesichtszüge und präsentierte sich in einem tadellos sitzendem Maßanzug. Er lümmelte mit arrogant gelangweilter Miene und lässig übereinander geschlagenen Beinen im dem dicken Polster und hatte für Malte nur ein kurzes Kopfnicken. Der andere war ein ziemlich beleibter Mitsechziger. Kurzatmig hockte er auf der äußersten Sesselkante und knetete nervös seine kurzen Wurstfinger. Den runden kahlgeschorenen Kopf hielt er dabei tief zwischen die massigen Schultern gezogen. Die kleinen Schweinsaugen irrten fahrig von einer Zimmerecke in die andere. Nur einen Moment lang blieben sie ausdruckslos an Malte haften, ehe sie wieder ihre Wanderung aufnahmen. Das Knarren des Leders, das entstand, als sich Malte in den noch freien Sessel setzte, klang übernatürlich laut in dem ansonsten totenstillen Raum. Die bedrückende Atmosphäre in diesem Zimmer ließ Malte frösteln. Der Alte hinter seinem Schreibtisch gefiel ihm nicht. Von ihm ging etwas aus, das Unbehagen hervor rief. Fast schon verzweifelt suchte er nach einem Punkt, der beruhigend auf seine Sinne wirken könnte. Den fand er erst, als er den Kopf schräg nach hinten drehte. Rose! Wie sie so mit nachlässiger Eleganz leicht gegen die Wand gelehnt neben der Tür stand, wirkte sie wie ein funkelnder Edelstein, den man in einer staubig grauen Holzkiste vergessen hatte. Einen Moment lang kreuzten sich ihre Blicke. Täuschte er sich, oder hatte sie wirklich zu ihm herüber gelächelt? Nein - da war er wohl seinem Wunschdenken aufgesessen. Solche Frauen halten sich gewöhnlich nur in der Umgebung ausgesprochen wohlhabender Männer auf. Wie käme die schöne und sicherlich ausgesprochen verwöhnte Rose dazu, ihm Malte "Niemand" ein vertrauliches Lächeln zu schenken? Er besaß in diesem ungleichen Duell der Augen weiter nichts als seinen Stolz, mit dessen Hilfe er Roses Ausstrahlung lediglich den Anschein völliger Gleichgültigkeit entgegen zu setzen vermochte. Doch dieser sonst so hervorragend funktionierende Selbstschutz versagte hier kläglich. Er fühlte, wie ihre Aura seinen ohnehin dünnen Panzer zum Schmelzen brachte und er immer wieder den Blickkontakt mit ihr suchte. Er hätte nicht sagen können, wie lange dieses kribbelnde Spiel gedauert hatte, als sich in der Wand hinter dem Schreibtisch eine bis dahin verborgene Tür öffnete und ein schwarzhaariger Mann von ausgesprochen kräftiger Statur den Raum betrat. Er setzte sich an die Stirnseite des Schreibtisches, nickte dem Hageren flüchtig zu und begann dann mit fast schon schmerzhaft stechenden Augen die Gäste zu mustern.
"Das ist mein Partner, Dr. Belz", krächzte der Alte. "Ich schlage vor, dass wir beginnen."
Malte, der nur widerwillig den Blick von der schönen Rose zu lösen bereit war, sah, wie der Dicke neben ihm den Oberkörper straffte. Auch in den Augen des arrogant Gelangweilten blitzte so etwas wie Interesse auf.
"Aus unserem Schriftsatz, den wir Ihnen zugeschickt haben, geht nichts hervor, was Ihnen konkreten Aufschluß über die Angelegenheit, um die es hier geht, gegeben hätte. Ich freue mich trotzdem, dass Sie vollzählig unserer Einladung gefolgt sind. Das war klug von Ihnen, denn Sie hätten womöglich die Chance Ihres Lebens verpaßt. Ja - Sie haben richtig gehört. Die Chance Ihres Lebens - besser gesagt Ihre letzte Chance."
Malte fühlte, wie plötzlich eine eigentümliche Kälte seine Beine erfasste. Einen Moment lang hatte er die wässrig gelben Augen des Alten auf sich gerichtet gefühlt.
"Wir führen hier nämlich keine gewöhnliche Anwaltskanzlei mit ebenso gewöhnlichen Mandanten. Unser einziger - ich betone - einziger Klient ist das Schicksal, das uns damit beauftragt hat, mit gebotener Umsicht in seinem Sinne zu wirken. Und eben dieses Schicksal ist zu dem Entschluß gekommen, Ihre..." Der Alte ließ den Blick sehr eindringlich über die drei Besucher gleiten. "...Ihre Lebensuhr binnen kürzester Frist ablaufen zu lassen."
Die Kälte kroch höher, umklammerte den Brustkorb, hinderte am Atmen.
"Wir sind nicht irgendwelche Wald- und Wiesenanwälte, nein, wir sind die Erfüllungsgehilfen des Schicksals. Die Menschen haben sich die verschiedensten Bezeichnungen für uns ausgedacht. Die Gebräuchlichsten sind wohl 'der Tod'" - Mit dem knochigen Finger wies der Alte auf sich, bevor er ihn auf seinen Partner richtete. - "Und der Teufel". So, meine Herren - jetzt wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben."
Malte hörte, wie der Dicke aufstöhnte und den Kopf nach hinten warf. Der Schlaksige dagegen ließ ein unwilliges Knurren hören und federte aus seinem Sessel.
"Hören Sie! Ich bin hierher gekommen, weil ich irgendein seriöses Geschäft erwartet hatte. Meine Zeit ist zu schade, um mich von zwei senilen Spinnern verarschen zu lassen."
"Setzen!" donnerte Dr. Belz. Es war das erste Mal, dass er das Wort ergriff. Seine Stimme sowie die plötzlich rot aufglühenden Augen ließen Malte das Blut in den Adern gefrieren. Auch auf den Schlaksigen schien der Befehl einen spürbaren Eindruck zu hinterlassen. Mit aschfahlem Gesicht sank er zurück in den Sessel.
"Senile Spinner?“ zog der Alte mit krächzender Stimme die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Meinen Sie wirklich? Vielleicht sehe ich tatsächlich aus wie ein verwirrter Greis. Nun gut. Aber vielleicht überzeugt Sie das!" Der Alte kicherte und richtete sich kerzengerade hinter dem Schreibtisch auf. Er blinzelte ein paarmal, schloß dann die Lider, und als er sie endlich wieder hob, waren da nur noch zwei leere Höhlen. Malte fühlte das blanke Entsetzen in sich hoch kriechen. Fassungslos sah er zu, wie sich das ohnehin schon ledrig wirkende Antlitz des Alten gänzlich entfleischte, bis schließlich nur noch ein böse grinsender Totenschädel übrig blieb. Sein Partner hatte sein teuflisches Feixen aufgesetzt, mit dem er das Grauen in den Gesichtern der drei Delinquenten quittierte. Während der Dicke winselnd die Hände vor das Gesicht schlug, riß der Schlaksige die Augen weit auf und schien die Szene am Schreibtisch nur noch mit ungläubigem Staunen zu verfolgen.
"Doch nun zur Sache!" dröhnte es mit unvermutet kräftiger Stimme aus dem Totenkopf. "Das Schicksal hat beschlossen, Ihnen noch eine Frist zu geben, bis ich Sie zu mir holen darf. Wie lang diese Frist ist hängt von Ihnen bzw. von den Wünschen ab, die Sie in der verbleibenden Zeit noch erfüllt sehen möchten. Das ist weiter nichts als ein Experiment, vielleicht auch ein Spiel, welches sich das Schicksal hin und wieder gönnt."
Während er sprach, war der Teufel in Person des Dr. Belz aufgestanden, und indem seine glühenden Augen an den unter lähmender Furcht regelrecht ächzenden Männer vorbei starrten, machte er eine auffordernde Handbewegung. Malte gewahrte aus den Augenwinkeln, wie sich die schöne Rose darauf hin vom Türrahmen löste und vor zum Schreibtisch ging. Aus den knöchernen Fingern des Todes empfing sie Papier und Stifte, die sie dann an die drei immer noch wie erstarrt wirkenden Auserwählten verteilte. Malte schaute zu ihr auf, als sie ihm die Schreibutensilien reichte. Selbst in dieser vom Grauen beherrschten Situation, fühlte er erneut, wie sich seine Bewunderung für diese Frau erneut Bahn brach. Er registrierte ihr feines Lächeln, und für einen Moment schien dies die dumpfe Angst zu verdrängen. Wenn das dort vorn der Tod war - und nichts ließ ihn daran mehr zweifeln - dann war Rose das Leben. Leben? Malte kamen Zweifel. Nein - sie verkörperte wohl eher das Schicksal. Sein Schicksal?
Malte kam nicht dazu, diesen Gedanken weiter zu spinnen, denn kaum hatte Rose ihren Platz an der Tür wieder eingenommen, da dröhnte auch schon des Todes Stimme wieder durch den Raum.
"Schreiben Sie jetzt auf, welchen bisher unerfüllten Wunsch Sie unbedingt noch verwirklicht sehen möchten. Gehen Sie davon aus, bereits jetzt auf dem Sterbebett zu liegen. Mich schon spürend, mußten bereits unendlich viele Menschen plötzlich feststellen, wieviel sie eigentlich in ihrem Leben verpasst, nicht wahrgenommen oder nicht erledigt hatten. Oft reduziert sich das dann, je näher ich trete, auf eine ganz konkrete Sache. Dieses panische Gefühl, etwas furchtbar Wichtiges in diesem nur einmal geschenkten Leben unwiderruflich versäumt zu haben, wollen wir Ihnen nehmen. Empfinden Sie das als eine ganz besondere Auszeichnung, eine Laune des Schicksal, die nur ganz wenigen Sterblichen widerfährt. Denken Sie aber daran, ich bin unvermeidlich, und ich werde vor der Tür stehen, sobald Ihr Wunsch in Erfüllung gegangen ist."
In Maltes Kopf rauschten tosende Gefühlsbäche. Nur im Unterbewusstsein nahm er wahr, wie der Dicke neben ihm aufschluchzte und mit sabberndem Mund wirre Satzfetzen formulierte.
"Und als eine zusätzliche Gnade geben wir Ihnen die Möglichkeit, die Todesart selbst zu wählen", ergänzte der Teufel und grinste dabei sichtlich amüsiert.
Und nun - schreiben Sie. Dringlichster Wunsch und...Todesart. Sie haben genau fünf Minuten Zeit. "
Malte hockte apathisch auf seinem Sessel. Er merkte nicht, wie sehr das Papier in seinen Händen zitterte. Er achtete nicht auf seine beiden Gefährten, von denen der eine kreidebleich auf die leeren Blätter starrte und der andere in wilder Hast den Stift gebrauchte. Malte fühlte instinktiv, dass ihn die Lähmung auch nach Ablauf der Frist noch gefangen halten würde. Die panische Angst, nicht nur den Tod vor Augen zu haben, sondern obendrein ein völlig leeres Blatt abgeben zu müssen, ließ ihn unwillkürlich keuchen. Was sollte er schreiben? Was konnte noch in Erfüllung gehen, wovon man sagen durfte, dafür hat es sich gelohnt zu sterben? Gedanken kamen und gingen. Keiner ließ sich festhalten.
"Noch drei Minuten!"
Nun begann auch der Arrogante, hastig zu schreiben. Malte ließ entnervt das Blatt sinken. Sinnlos.
"Noch zwei Minuten!"
Immer noch kein Gedanke, keine Idee - im Kopf weiter nichts als sich steigernde Panik.
"Noch eine Minute!"
Malte fühlte Resignation in sich aufsteigen. Mit was für einer Miene würde Rose sein leeres Blatt entgegen nehmen? Würde wenigstens sie so etwas wie Mitgefühl...?
Es gelang ihm, den Kopf zu wenden und zu ihr zu schauen. Wieder kreuzten sich ihre Blicke. Und sie lächelte. Ein Lächeln nur für ihn. Ein Lächeln, das Hoffnung - nein - Gewissheit vermittelte. Und blitzartig wurde ihm bewusst: Da war sie, die Chance, die ihn im letzten Moment zu retten vermochte.
Er zückte den Stift und schrieb nur einen einzigen Satz, von dem er wusste, dass er ihm noch Jahrzehnte bescheren könnte.
"Mein sehnlichster Wunsch - 3.000 kleine Tode in den Armen von Rose."
"Hier muß es sein", murmelte Malte Tüll und trat auf die Bremse. Sein asthmatischer "Polo" kam genau vor der protzig breiten Einfahrt zum Stehen. Während Malte sich eine Strähne seines strubbeligen Haares aus der verschwitzten Stirn strich, starrte er auf das wuchtige schmiedeeiserne Tor, dessen mit unzähligen Schnörkeln versehene Flügel weit geöffnet waren.
"Ja, hier muß es sein", wiederholte er fast schon ein wenig ehrfürchtig und blickte den mit schwarz glänzendem Basalt gepflasterten Weg entlang, der leicht geschwungen bis zu dem reich verzierten Portal einer wuchtig hingeklotzten Villa führte. Malte fühlte, wie sich eine leichte Beklemmung auf seine Brust legte. Er stammte aus dieser Stadt, hatte mehr als 40 Jahre in ihr gelebt, aber in diese stinkvornehme Gegend hatte es ihn bisher ganz selten verschlagen. Und noch nie hatte er eine dieser luxuriösen Villen betreten. Am liebsten hätte er Gas gegeben, um zurück in seine Einraumwohnung zu fahren, wo er gemütlich bei ein paar Bierchen dem Abend entgegen dösen würde. Aber da war ja noch der Brief in seiner Jackentasche.
"... bitte ich Sie, in dieser dringenden Angelegenheit am Freitag den 13. September um 16.00 Uhr in meiner Kanzlei vorzusprechen.
Hochachtungsvoll Dr. Schnitter
Rechtsanwalt"
In Malte kämpften Neugier und Unbehagen. Neugier deshalb, weil die angeblich so dringende Angelegenheit nur vage umschrieben worden war. Aber einiges schien darauf hinzudeuten, dass es sich wohl um eine Erbschaftsangelegenheit handeln könnte. Malte war alles andere als vermögend. Und die paar Pimperlinge, die er mühsam beiseite gebracht hatte, würden für die Scheidungskosten drauf gehen. Oh ja - da käme so eine kleine Erbschaft - woher sie auch immer stammen möge - sehr gelegen. Mit diesem Gedanken ließ er die Kupplung kommen, und nahm die Auffahrt rasanter als gewollt.
An einem der Seitenflügel der Villa entdeckte er einen kleinen von mächtigen Blutbuchen gesäumten Platz, auf dem bereits zwei Nobelkarossen parkten.
Malte stellte sein klappriges Gefährt mit gebührendem Abstand daneben, und während er den Wagen abschloß, besaß er Gelegenheit, die Lungen noch einmal so richtig mit frühherbstlich warmer Luft voll zu pumpen, bevor er die paar Schritte bis zur klobigen Eingangstür ging. Der altmodische Klingelknopf, der unter dem goldglänzendem Firmenschild mit dem Schriftzug "Kanzlei Dr. Schnitter & Partner" angebracht war, löste, nachdem Malte mit klopfendem Herzen drauf gedrückt hatte, einen dezenten Gong aus. Keine drei Sekunden später öffnete sich das schwere Portal. Nach weiteren drei Sekunden unwillkürlichen Zögerns trat er schließlich ein. Während sich die Tür mit sanftem Klack wieder hinter ihm schloss, wagte er einen ersten Rundblick.
Er stand in einem mehrere Stockwerke hohem und von einer gläsernen Kuppel überspanntem Atrium, von dem eine breite, sich auf halber Höhe teilende Treppe zu einer Galerie führte. Vielleicht hätte Malte hier und da noch einen Blick auf all die in düsteren Farben gehaltenen Gemälde an den Wänden geworfen, wenn da nicht diese Frau oben am Treppenansatz gewesen wäre.
"Kommen Sie hier herauf. Man erwartet Sie schon."
Allein der Klang ihrer Stimme besaß etwas ungemein Anziehendes. Während Malte langsam die uralte Holztreppe empor stieg, ließ er keinen Blick von dieser Frau. Sie mochte etwa Ende dreißig sein - eine reife Schönheit. Dichtes tizianrotes Haar floß ihr mit sanften Wellen bis auf die Schultern und bildete einen bezaubernden Kontrast zu ihrem moosgrünen Kostüm. Grün blitzten auch die lebhaften Augen, die sie mit einem aus Neugier und Distanz gepaarten Blick auf den Besucher gerichtet hielt. Es konnte wohl nicht nur am Treppensteigen gelegen haben, dass Malte so außer Atem war, als er oben angekommen, dieser außergewöhnlichen Schönheit gegenüber stand.
"Tüll", sagte er mit trockenem Mund und reichte ihr die leicht feucht gewordene Hand. Die Schöne verzog die vollen, aber kaum geschminkten Lippen zu einem zurückhaltend freundlichen Lächeln.
"Ich weiß. Sie sind der Letzte. Herzlich willkommen in unserem Hause."
Während sie immer noch lächelnd sprach, entblößte sie hin und wieder ihre akkurat ausgerichteten schneeweißen Zähne. Zwei- dreimal huschte dabei ihre Zungenspitze spielerisch darüber hinweg.
"Übrigens, mein Name ist Rose."
Malte vermochte seinen Blick einfach nicht von diesem faszinierenden Mund zu lösen. Erst als die Frau auf eine der von der Galerie abgehenden Türen wies und ein dunkles "Darf ich voran gehen" raunte, fiel die sekundenlange Starre von ihm ab. Er folgte ihr und besaß nun Gelegenheit, ihre in ihrer ausgereiften Weiblichkeit kaum zu übertreffende Figur zu bewundern. Vom biegsamen Nacken, über den schmalen Rücken, die angenehm leicht ausladenden Hüften und den sich straff unter dem Stoff abzeichnenden Po bis hin zu den makellosen Beinen stimmte einfach alles an ihr. Auf dem dicken Läufer schritt sie fast geräuschlos dahin, und für einen Moment gewann Malte den Eindruck, sie würde schweben. Doch schon öffnete sie die bezeichnete Tür und blieb seitlich im Rahmen stehen. Er mußte so dicht an ihr vorbei, dass er sie für einen winzigen Moment mit dem Oberarm berührte. Er atmete den intensiv schweren Duft, der ihrem Dekolletee zu entströmen schien und wäre am liebsten stehen geblieben, nur um dieses Odeur länger genießen zu können.
'Was für eine Frau!' dachte er und mußte sich regelrecht zum Weitergehen zwingen. Mehr stolpernd als gehend betrat er ein großes mit schweren Teppichen ausgelegtes Zimmer.
"Ah, da sind Sie ja", hörte er eine unangenehm kratzende Stimme aus der Tiefe dieses im leichten Halbdunkel liegenden Raumes. Malte schaute blinzelnd in die Richtung, aus der die Worte gekommen waren und gewahrte hinter einem Ungetüm von Schreibtisch einen älteren sehr hageren Mann. Der Alte saß leicht vorgebeugt in einem nicht weniger gewaltigen Ledersessel und fuhr mit den knochigen Händen unentwegt über die auf Hochglanz polierte Tischplatte.
"Setzen Sie sich!" Kam es kurz und knapp aus dem dünnlippigen Mund, und es klang eher nach einem Befehl, als nach einer höflichen Einladung.
Inzwischen hatten sich Maltes Augen an das Dämmerlicht gewöhnt. Als er sich umschaute, entdeckte er dem Schreibtisch gegenüber eine Sesselgruppe, wo bereits zwei Männer Platz genommen hatten. Der eine mochte etwa im gleichen Alter wie Malte sein. Er war schlank, besaß markante Gesichtszüge und präsentierte sich in einem tadellos sitzendem Maßanzug. Er lümmelte mit arrogant gelangweilter Miene und lässig übereinander geschlagenen Beinen im dem dicken Polster und hatte für Malte nur ein kurzes Kopfnicken. Der andere war ein ziemlich beleibter Mitsechziger. Kurzatmig hockte er auf der äußersten Sesselkante und knetete nervös seine kurzen Wurstfinger. Den runden kahlgeschorenen Kopf hielt er dabei tief zwischen die massigen Schultern gezogen. Die kleinen Schweinsaugen irrten fahrig von einer Zimmerecke in die andere. Nur einen Moment lang blieben sie ausdruckslos an Malte haften, ehe sie wieder ihre Wanderung aufnahmen. Das Knarren des Leders, das entstand, als sich Malte in den noch freien Sessel setzte, klang übernatürlich laut in dem ansonsten totenstillen Raum. Die bedrückende Atmosphäre in diesem Zimmer ließ Malte frösteln. Der Alte hinter seinem Schreibtisch gefiel ihm nicht. Von ihm ging etwas aus, das Unbehagen hervor rief. Fast schon verzweifelt suchte er nach einem Punkt, der beruhigend auf seine Sinne wirken könnte. Den fand er erst, als er den Kopf schräg nach hinten drehte. Rose! Wie sie so mit nachlässiger Eleganz leicht gegen die Wand gelehnt neben der Tür stand, wirkte sie wie ein funkelnder Edelstein, den man in einer staubig grauen Holzkiste vergessen hatte. Einen Moment lang kreuzten sich ihre Blicke. Täuschte er sich, oder hatte sie wirklich zu ihm herüber gelächelt? Nein - da war er wohl seinem Wunschdenken aufgesessen. Solche Frauen halten sich gewöhnlich nur in der Umgebung ausgesprochen wohlhabender Männer auf. Wie käme die schöne und sicherlich ausgesprochen verwöhnte Rose dazu, ihm Malte "Niemand" ein vertrauliches Lächeln zu schenken? Er besaß in diesem ungleichen Duell der Augen weiter nichts als seinen Stolz, mit dessen Hilfe er Roses Ausstrahlung lediglich den Anschein völliger Gleichgültigkeit entgegen zu setzen vermochte. Doch dieser sonst so hervorragend funktionierende Selbstschutz versagte hier kläglich. Er fühlte, wie ihre Aura seinen ohnehin dünnen Panzer zum Schmelzen brachte und er immer wieder den Blickkontakt mit ihr suchte. Er hätte nicht sagen können, wie lange dieses kribbelnde Spiel gedauert hatte, als sich in der Wand hinter dem Schreibtisch eine bis dahin verborgene Tür öffnete und ein schwarzhaariger Mann von ausgesprochen kräftiger Statur den Raum betrat. Er setzte sich an die Stirnseite des Schreibtisches, nickte dem Hageren flüchtig zu und begann dann mit fast schon schmerzhaft stechenden Augen die Gäste zu mustern.
"Das ist mein Partner, Dr. Belz", krächzte der Alte. "Ich schlage vor, dass wir beginnen."
Malte, der nur widerwillig den Blick von der schönen Rose zu lösen bereit war, sah, wie der Dicke neben ihm den Oberkörper straffte. Auch in den Augen des arrogant Gelangweilten blitzte so etwas wie Interesse auf.
"Aus unserem Schriftsatz, den wir Ihnen zugeschickt haben, geht nichts hervor, was Ihnen konkreten Aufschluß über die Angelegenheit, um die es hier geht, gegeben hätte. Ich freue mich trotzdem, dass Sie vollzählig unserer Einladung gefolgt sind. Das war klug von Ihnen, denn Sie hätten womöglich die Chance Ihres Lebens verpaßt. Ja - Sie haben richtig gehört. Die Chance Ihres Lebens - besser gesagt Ihre letzte Chance."
Malte fühlte, wie plötzlich eine eigentümliche Kälte seine Beine erfasste. Einen Moment lang hatte er die wässrig gelben Augen des Alten auf sich gerichtet gefühlt.
"Wir führen hier nämlich keine gewöhnliche Anwaltskanzlei mit ebenso gewöhnlichen Mandanten. Unser einziger - ich betone - einziger Klient ist das Schicksal, das uns damit beauftragt hat, mit gebotener Umsicht in seinem Sinne zu wirken. Und eben dieses Schicksal ist zu dem Entschluß gekommen, Ihre..." Der Alte ließ den Blick sehr eindringlich über die drei Besucher gleiten. "...Ihre Lebensuhr binnen kürzester Frist ablaufen zu lassen."
Die Kälte kroch höher, umklammerte den Brustkorb, hinderte am Atmen.
"Wir sind nicht irgendwelche Wald- und Wiesenanwälte, nein, wir sind die Erfüllungsgehilfen des Schicksals. Die Menschen haben sich die verschiedensten Bezeichnungen für uns ausgedacht. Die Gebräuchlichsten sind wohl 'der Tod'" - Mit dem knochigen Finger wies der Alte auf sich, bevor er ihn auf seinen Partner richtete. - "Und der Teufel". So, meine Herren - jetzt wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben."
Malte hörte, wie der Dicke aufstöhnte und den Kopf nach hinten warf. Der Schlaksige dagegen ließ ein unwilliges Knurren hören und federte aus seinem Sessel.
"Hören Sie! Ich bin hierher gekommen, weil ich irgendein seriöses Geschäft erwartet hatte. Meine Zeit ist zu schade, um mich von zwei senilen Spinnern verarschen zu lassen."
"Setzen!" donnerte Dr. Belz. Es war das erste Mal, dass er das Wort ergriff. Seine Stimme sowie die plötzlich rot aufglühenden Augen ließen Malte das Blut in den Adern gefrieren. Auch auf den Schlaksigen schien der Befehl einen spürbaren Eindruck zu hinterlassen. Mit aschfahlem Gesicht sank er zurück in den Sessel.
"Senile Spinner?“ zog der Alte mit krächzender Stimme die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Meinen Sie wirklich? Vielleicht sehe ich tatsächlich aus wie ein verwirrter Greis. Nun gut. Aber vielleicht überzeugt Sie das!" Der Alte kicherte und richtete sich kerzengerade hinter dem Schreibtisch auf. Er blinzelte ein paarmal, schloß dann die Lider, und als er sie endlich wieder hob, waren da nur noch zwei leere Höhlen. Malte fühlte das blanke Entsetzen in sich hoch kriechen. Fassungslos sah er zu, wie sich das ohnehin schon ledrig wirkende Antlitz des Alten gänzlich entfleischte, bis schließlich nur noch ein böse grinsender Totenschädel übrig blieb. Sein Partner hatte sein teuflisches Feixen aufgesetzt, mit dem er das Grauen in den Gesichtern der drei Delinquenten quittierte. Während der Dicke winselnd die Hände vor das Gesicht schlug, riß der Schlaksige die Augen weit auf und schien die Szene am Schreibtisch nur noch mit ungläubigem Staunen zu verfolgen.
"Doch nun zur Sache!" dröhnte es mit unvermutet kräftiger Stimme aus dem Totenkopf. "Das Schicksal hat beschlossen, Ihnen noch eine Frist zu geben, bis ich Sie zu mir holen darf. Wie lang diese Frist ist hängt von Ihnen bzw. von den Wünschen ab, die Sie in der verbleibenden Zeit noch erfüllt sehen möchten. Das ist weiter nichts als ein Experiment, vielleicht auch ein Spiel, welches sich das Schicksal hin und wieder gönnt."
Während er sprach, war der Teufel in Person des Dr. Belz aufgestanden, und indem seine glühenden Augen an den unter lähmender Furcht regelrecht ächzenden Männer vorbei starrten, machte er eine auffordernde Handbewegung. Malte gewahrte aus den Augenwinkeln, wie sich die schöne Rose darauf hin vom Türrahmen löste und vor zum Schreibtisch ging. Aus den knöchernen Fingern des Todes empfing sie Papier und Stifte, die sie dann an die drei immer noch wie erstarrt wirkenden Auserwählten verteilte. Malte schaute zu ihr auf, als sie ihm die Schreibutensilien reichte. Selbst in dieser vom Grauen beherrschten Situation, fühlte er erneut, wie sich seine Bewunderung für diese Frau erneut Bahn brach. Er registrierte ihr feines Lächeln, und für einen Moment schien dies die dumpfe Angst zu verdrängen. Wenn das dort vorn der Tod war - und nichts ließ ihn daran mehr zweifeln - dann war Rose das Leben. Leben? Malte kamen Zweifel. Nein - sie verkörperte wohl eher das Schicksal. Sein Schicksal?
Malte kam nicht dazu, diesen Gedanken weiter zu spinnen, denn kaum hatte Rose ihren Platz an der Tür wieder eingenommen, da dröhnte auch schon des Todes Stimme wieder durch den Raum.
"Schreiben Sie jetzt auf, welchen bisher unerfüllten Wunsch Sie unbedingt noch verwirklicht sehen möchten. Gehen Sie davon aus, bereits jetzt auf dem Sterbebett zu liegen. Mich schon spürend, mußten bereits unendlich viele Menschen plötzlich feststellen, wieviel sie eigentlich in ihrem Leben verpasst, nicht wahrgenommen oder nicht erledigt hatten. Oft reduziert sich das dann, je näher ich trete, auf eine ganz konkrete Sache. Dieses panische Gefühl, etwas furchtbar Wichtiges in diesem nur einmal geschenkten Leben unwiderruflich versäumt zu haben, wollen wir Ihnen nehmen. Empfinden Sie das als eine ganz besondere Auszeichnung, eine Laune des Schicksal, die nur ganz wenigen Sterblichen widerfährt. Denken Sie aber daran, ich bin unvermeidlich, und ich werde vor der Tür stehen, sobald Ihr Wunsch in Erfüllung gegangen ist."
In Maltes Kopf rauschten tosende Gefühlsbäche. Nur im Unterbewusstsein nahm er wahr, wie der Dicke neben ihm aufschluchzte und mit sabberndem Mund wirre Satzfetzen formulierte.
"Und als eine zusätzliche Gnade geben wir Ihnen die Möglichkeit, die Todesart selbst zu wählen", ergänzte der Teufel und grinste dabei sichtlich amüsiert.
Und nun - schreiben Sie. Dringlichster Wunsch und...Todesart. Sie haben genau fünf Minuten Zeit. "
Malte hockte apathisch auf seinem Sessel. Er merkte nicht, wie sehr das Papier in seinen Händen zitterte. Er achtete nicht auf seine beiden Gefährten, von denen der eine kreidebleich auf die leeren Blätter starrte und der andere in wilder Hast den Stift gebrauchte. Malte fühlte instinktiv, dass ihn die Lähmung auch nach Ablauf der Frist noch gefangen halten würde. Die panische Angst, nicht nur den Tod vor Augen zu haben, sondern obendrein ein völlig leeres Blatt abgeben zu müssen, ließ ihn unwillkürlich keuchen. Was sollte er schreiben? Was konnte noch in Erfüllung gehen, wovon man sagen durfte, dafür hat es sich gelohnt zu sterben? Gedanken kamen und gingen. Keiner ließ sich festhalten.
"Noch drei Minuten!"
Nun begann auch der Arrogante, hastig zu schreiben. Malte ließ entnervt das Blatt sinken. Sinnlos.
"Noch zwei Minuten!"
Immer noch kein Gedanke, keine Idee - im Kopf weiter nichts als sich steigernde Panik.
"Noch eine Minute!"
Malte fühlte Resignation in sich aufsteigen. Mit was für einer Miene würde Rose sein leeres Blatt entgegen nehmen? Würde wenigstens sie so etwas wie Mitgefühl...?
Es gelang ihm, den Kopf zu wenden und zu ihr zu schauen. Wieder kreuzten sich ihre Blicke. Und sie lächelte. Ein Lächeln nur für ihn. Ein Lächeln, das Hoffnung - nein - Gewissheit vermittelte. Und blitzartig wurde ihm bewusst: Da war sie, die Chance, die ihn im letzten Moment zu retten vermochte.
Er zückte den Stift und schrieb nur einen einzigen Satz, von dem er wusste, dass er ihm noch Jahrzehnte bescheren könnte.
"Mein sehnlichster Wunsch - 3.000 kleine Tode in den Armen von Rose."