Die Ballade vom Wrack am Roten Sande

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James Blond

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In der Bucht zum Roten Sande
ruht ein altes Segelboot,
brachte Menschen in die Lande
sah ihr Glück und sah die Not.

Kreuzte weithin durch die Meere,
trotzte Sturmwind, Gischt und Eis,
hörte viel von Stolz und Ehre,
kämpfte auch um Sieg und Preis.

Als ein Sturm zur Küste rollte,
warfen Wogen es an Land,
Blitze zuckten, Donner grollte,
bis die letzte Hoffnung schwand.

Brecher schlugen krachend Wunden,
rissen Ruder, Rah und Rigg,
fetzten Segel in Sekunden,
brachen Masten das Genick.

Planken flogen aus den Wellen,
rammten gegen Rumpf und Deck,
an der Bordwand zu zerschellen,
trieb die Ladung aus dem Leck.

Was auf See den Kräften trotzte,
ward am Strand kein Spiel der Zeit,
der hier mit der Herrschaft protzte,
war zu schnellem Schlag bereit.

Brach Gebein in wilder Rage,
schlug den Rumpf mit Wucht entzwei,
rieb noch Tuch und Takelage
faserfein zu Wellenbrei.

Jetzt, nach elendslanger Weile
ist das Wrack kaum mehr zu sehn,
nur die Ebbe lüftet Teile,
die dem Schlick noch widerstehn.

Tangverhangenes Gerippe,
schwarzer Glitsch im Muschelsud,
ist nun Fischlein eine Wippe,
eine Wiege ihrer Brut.

Würmer ringeln sich in Lachen,
Pocken rastern das Gebälk,
Sterne wandern über Brachen,
Anemonen blühen welk.

Krebse entern die Kombüse,
krabbeln kielwärts in die Plicht,
am Besan grünt Seegemüse,
doch geerntet wird hier nicht.

Nur in manchen dunklen Nächten,
wenn die Zeit selbst Atem holt,
tönt der Sang aus Seegefechten,
wird noch mal ein Sieg bejohlt.

Und es gleitet über Kanten
grünes Licht bis an den Bug,
dazu seufzen leise Spanten,
bald verschwindet auch der Spuk.

Denn im Wechsel der Gezeiten
malt die Zeit nicht nur, sie mahlt,
wird so still das Grab bereiten,
schweigt man jetzt auch oder prahlt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo James,

diese Ballade könnte ich hundertmal lesen und es gäbe immer wieder etwas Neues zu entdecken und zu assoziieren, so reichhaltig ergänzen sich hier die detailliert geschilderte maritime Szenerie mit viel Fauna und Flora, die sprachlichen Bilder, die wehmütige Wracksymbolik voller Anspielungen auf ein gelebtes Leben, das gekonnte Durchweben der Verse mit Seemannssprache und Nautikbegriffen ... vieles mehr blitzt noch im Mikro und Makro durch: Seeringelwürmer und Anemonen geben sich im glitschigen Schlick ein Stelldichein, Stormscher Seemannsspuk trifft auf fliegenden Holländer, Master and Commander und Fluch der Karibik. Schön auch die Unterscheidung von Malen und Mahlen sowie Bilder der (Un)Vergänglichkeit, alles wird mit offensichtlich großer Freude ausgemalt.

Sehr gerne gelesen.

Gruß,
Artbeck
 

James Blond

Mitglied
Liebe Balladiner und Balladinas !

Auf so viel Resonanz hatte ich nicht zuhoffen gewagt und bin nun selbst fast sprachlos angesichts der überschwänglichen Rückmeldungen, die offensichtlich von einem großen Lesespaß herrühren und wortreich belegen, dass die Zeit für Balladen längst noch nicht abgelaufen ist.

Vielen Dank für eure großartige Unterstützung! Und meinen besonderen Dank an Tula, der durch sein "Elms-Geflüster" mich dazu inspirieren konnte!
Möge auch dieses Gedicht Anlass und Quelle der Inspiration zu weiteren balladesken Exkursionen sein – es wäre mir eine große Freude.

Liebe Grüße
JB
 



 
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