Die Bekehrung (Limerick)

lietzensee

Mitglied
Ein sehr weiser Hindu aus Nauen
begann jüngst, den Mormonen zu trauen
und er sagt polyglott:
maybe there’s just one god
doch der gönnt mir zahlreiche Frauen.



Ich habe mich etwas an Limericks herangetastet und wage jetzt mal den Sprung ins kalte Foren-Wasser. Besonders Interessieren mich Rückmeldungen zum Metrum, betonten Silben usw. Setzt man bei Gedichten eigentlich Satzzeichen?

Viele Grüße
lietzensee
 

anbas

Mitglied
Moin litzensee,

zunächst zu den Satzzeichen: Es ist beides möglich, hängt vom Gedicht und z.T. von der Form ab. Bei Limericks werden i.d.R. schon Satzzeichen genutzt. Bei ungereimten Gedichten häufig nicht.

Das Metrum haut weitgehend hin. Die zweite Strophe finde ich etwas unglücklich, da sie im Gegensatz zu den Strophen eins und fünf mit zwei unbetonten Silben beginnt. Aus meiner Sicht ist es schöner, wenn Strophen 1,2 und 5 in der Metrik gleich sind, wie auch Strophe 3 und 4 (Fettdruck = betonte Silbe):

Ein sehr weiser Hindu aus Nauen
begann jüngst, den Mormonen zu trauen (Vorschlag: fängt an, den Mormonen zu trauen)
und er sagt polyglott:
maybe there’s just one god
doch der gönnt mir zahlreiche Frauen.
Ich persönlich versuche allerdings zu vermeiden, dass eine Strophe mit zwei unbetonten Silben beginnt - aber das ist wohl eher Geschmackssache (und ich konnte es auch nicht immer vermeiden ;)).

Insgesamt ist es ein recht guter "Erstlings-Limerick", wie ich finde.

Liebe Grüße

Andreas
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Anbas,
sorry für die späte Antwort und vielen Dank für die genau Erklärung! Die hilft wirklich weiter. Im Augenblick ist leider wenig Schreibzeit, aber vielleicht fällt mir ja für die zweite Zeile auch noch was Besseres ein.

Viele Grüße
lietzensee
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein leichtes Problem beim Gedicht ist, dass man zwar die Limericksprechweise leicht erreicht, aber es einen auch schnell auf den Holzweg führen kann. Damit meine ich: Am Anfang des Verses wird die Betonung erst klar, wenn man weiterliest.


Ein sehr weiser Hindu aus Nauen
begann jüngst, den Mormonen zu trauen
und er sagt polyglott:
maybe there’s just one god (erst beim Weiterlesen wird hier klar, wie zu betonen ist.)
doch der gönnt mir zahlreiche Frauen.

Die Sprachmelodie ist etwas schwierig und teilweise gegen die Intuition. Das macht aber nichts.
Beim Limerick darf jedenfalls der Auftakt unterschiedlich lang sein. Es ist taktgesteuert, nicht silbenzahlgesteuert.

Möglich wäre also:


Ein sehr weiser Hindu aus Nauen
begann jüngst, den Mormonen zu trauen
und er sagt polyglott:
maybe there’s just one god
doch der gönnt mir zahlreiche Frauen.

Man kann leicht kürzen, dann spricht es sich leichter:


Ein sehr weiser Hindu aus Nauen
begann jüngst, den Mormonen zu trauen
und sprach polyglott:
maybe there’s one god (mit Trick: Betonung von one)
doch der gönnt mir zahlreiche Frauen.
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Bernd,
vielen Dank für die Erklärung und die Beispiele.

Es ist taktgesteuert, nicht silbenzahlgesteuert.
Ehrlich gesagt dachte ich tatsächlich, dass man beim Limerick die Silben zählen kann. Ist das eine Sache, wo es mehrere Denkschulen gibt? Gibt es für den Takt dann feste Regeln oder sollte er einfach aus der natürlichen Betonung der Worte kommen?

und sprach polyglott:
maybe there’s one god (mit Trick: Betonung von one)
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Beispiel verstehe. Man betont dann nur "one" oder betont man "one god" (wie der Fettdruck andeutet) ? Für die Pointe wäre eine Betonung auf "one" natürlich besser.

seit wann sind Hindus polygam?
Hallo mondnein,
die Pointe soll nicht darauf abzielen, dass Hindus polygam wären. Im Gegenteil, darin steckt ja gerade der Hebel zur Bekehrung ;-) Aber natürlich baut der Witz auf Klischees auf, die zumeist schon lange nicht mehr stimmen.

Viele Grüße
lietzensee
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Lietzensee,

es folgen aufeinander im Inneren der Verse eine betonte und 2 unbetonte Silben. Die unbetonten Silben sind zugleich kürzer als betonte Silben. Im 1., 2. und 5. Vers sind es drei betonte Silben (Takte), im 3. und 4. nur zwei betonte Silben (Takte).
Im Auftakt und am Versende stehen null, eine oder zwei unbetonte Silben. Am Versende stimmen sie im 1., 2. und 3. Vers in der Silbenzahl überein, wegen des Reimes.
Im Auftakt sind Variationen möglich, meist sind es aber eine oder zwei unbetonte Silben am Versanfang.
Zwei unbetonte Silben im Auftakt haben dann meist die Länge einer unbetonten Silbe im Auftakt.
Ohne unbetonte Silbe im Auftakt: das ist selten, aber nicht unmöglich. Drei unbetonte Silben im Auftakt sind sehr selten.

Es ist ein großer Unterschied zu silbenzählenden Sprachen.

Englische Beispiele gibt es bereits bei den Limericks von Edward Lear.
Beispiel: The Book of Nonsense/There was a Young Lady of Clare - Wikisource, the free online library
(Komplettzitat und Übersetzung sind hier möglich, weil das Urheberrecht abgelaufen ist.)


There was a Young Lady of Clare,
Who was sadly pursued by a bear;
⁠When she found she was tired,
⁠She abruptly expired,
That unfortunate Lady of Clare.

DeepL-Übersetzung ohne Reime:

Es war einmal eine junge Frau aus Clare,
die traurig von einem Bären verfolgt wurde;
Als sie merkte, dass sie müde war,
starb sie abrupt,
Das unglückliche Fräulein von Clare.




Man sieht im Auftakt Variation der unbetonten Silbenzahl. Der erste Vers hat nur eine Silbe.
1
2
2
2
2

Aus diesem Grund sind bei Deinem Limerick alle Verse korrekt.
Ich schreibe in Klammer die unbetonte Silbenzahl im Auftakt.)

Ein sehr weiser Hindu aus Nauen (1)
begann jüngst, den Mormonen zu trauen (2)
und er sagt polyglott: (2)
maybe there’s just one god (2)
doch der gönnt mir zahlreiche Frauen. (1)
 

lietzensee

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Hallo Bernd,
vielen Dank für die genaue Antwort! Ich denke, jetzt habe ich verstanden. Ein Takt ist eine Einheit, die dann jeweils aus zwei unbetonten und einer betonten Silbe besteht.
Mein Problem ist wohl noch, die natürlichen Betonungen der Worte zu treffen, damit der Takt richtig flutscht. Übung macht den Meister usw. :)

Viele Grüße und schönes Wochenende
lietzensee
 

anbas

Mitglied
Mein Problem ist wohl noch, die natürlichen Betonungen der Worte zu treffen, damit der Takt richtig flutscht.
Hallo lietzensee,
trotz jahrzehntelanger Übung habe ich diese Schwierigkeit hin und wieder immer noch. Ich schaue dann in den Online-Duden. Dort ist die Betonung entweder gekennzeichnet oder wird per Sprachbeispiel deutlich gemacht.
Vielleicht hilft Dir das ja weiter.
Liebe Grüße
Andreas
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es gibt regionale und umgangssprachliche Unterschiede, die sind beim Limerick normalerweise erlaubt.
 

Agnete

Mitglied
Ein Limerick ist eine Herausforderung. Er wirkt so klein, wenn er aber gut gemacht ist, ist er ein Kunstwerk. Lies mal bei Schobert und Black, die waren da Spitze.
Der Limerick wird am galantesten im Anapäst geschrieben. der natürlichen Wortbetonung folgend - unbetont / betont
-/--/--/-

Zeilen 1 und 2 und 3 haben je 3 Hebungen.(Betonungen)
Zeilen 3 un4 haben nur 2 Hebungen.

Die Schlusspointe muss knackig sein. Gerne benutzt man Wortspiele. Ein lahmer Schluss ruiniert den Lim.

Üben macht den Meister. den Witz aber muss man selbst haben GGG

Zum allseits berühmten Lim von Raiga kenne ich noch einen sehr guten:

There once was a lady in Lynn
who was so uncommonly thin,
that when she essayed
to drink lemonade,
she slipped through the straw and fell in.

Dies gegen die allgemeine Dünnseinmüssen-Kultur.

Ich such mal ein paar von mir raus. Vielleicht kannst du daran Orientierung finden.
Die hiesige Pointe könnte man eingängiger ausbauen. Sie zündet noch nicht so richtig.
lG von Agnete
 

Agnete

Mitglied
Ich sag's noch mal genauer:
- / - - / - - /( -)
nennt sich Anapäst mit Vortakt , manche nennen es auch Amphibrachis. ein echter Anapäst ist --/

das kann man auch machen, verlansamt aber...
Ich füge es nur zu, weil es sonst vielleicht für einen Metrik-Neuling verwirrend ist.
:)
Was im Wiki und im Netz kursiert, ist oft fasch. es geht nicht um Silben, sondern um Hebungen.
lG von Agnete

Es ging einst ein Hindu von Nauen,
um bei den Mormonen zu schauen...
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Limerick ist die schwierigste Gedichtform, die ich kenne, denn sie verzeiht keine Ungenauigkeiten. Rhythmik und Geschichte und Pointe, alles muss stimmen.
 

mondnein

Mitglied
und er sagt polyglott:
x x X x x X
maybe there’s just one god
x x X x x X
so könnte es ohne große Verrenkungen klappen:
"maybe thére's" Anapäst,​
die Unbetonten am Anfang sind bloßer Auftakt, wie im Limerick üblich,
sie sind "schneller" als die beiden Unbetonten des dann folgenden Anapästs
"just one gód"

diesen Vers iambisch mit drei Hebungen zu lesen
may there's júst one gód
klänge zwar glatt, aber nicht limerickregelgemäß

grusz, hansz
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Kollegen,
vielen Dank für eure Antworten und Hinweise. Ich bin aus dem Thema jetzt schon wieder etwas raus. Aber ich werde bei Zeit noch einmal drüber nachdenken.

Viele Grüße
lietzensee
 

Agnete

Mitglied
jaaa. :) Mondnein - das würd gehen. Man kann immer irgendwie fast alles auch jambisch lesen, aber der Fluss ergibt sich ja aus dem Vorgängerzeilen.
Und da one ja inhaltich wichtig ist um den Gegensatz zu den vielen Frauen aufzubauen, würde es niemand jambisch lesen.
Ja Bernd, da stimme ich dir vollkommen zu. Wer gute Limericks schreiben kann, der kann eigentlich alles Klassische schreiben. :)
Man könnte aich schreiben:
I only know one god - / --/-

Maybe there's just one god

xX xxXx hier haben wir einen Amphi
lG von Agnete
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich habe nochmal die Betonung untersucht:


Ein sehr weiser Hindu aus Nauen
begann jüngst, den Mormonen zu trauen
und er sagt polyglott:
maybe there’s just one god
doch der gönnt mir zahlreiche Frauen.

Ich habe die Hauptbetonungen markiert, sie haben zugleich volle Länge.


Ein sehr weiser Hindu aus Nauen
begann jüngst, den Mormonen zu trauen
und er sagt polyglott:
maybe there’s just one god
doch der gönnt mir zahlreiche Frauen.

Hier habe ich noch Nebenbetonungen kursiv markiert. Die fallen beim Limerick nicht ins Gewicht, ich meine, sie passen zur Form.

Im Auftakt können 0, 1, 2 oder sogar in Ausnahmefällen manchmal 3 unbetonte Silben stehen, sie haben zusammen die Länge einer betonten Silbe. Meist sind es 1 oder 2.
Nebenbetonungen spielen keine Rolle.
Unbetonte und nebenbetonte Silben sind zusammen etwa so lang wie eine Hauptbetonung.
Kleine Unterschiede können hier Spannung erzeugen.

Es liegt an zwei Teilen:

1. Der Limerick ist eine musikalisch geeignete Form und es gibt mehrere Melodien. Deshalb auch Auftakt.
2. Deutsch ist eine taktzählende, keine silbenzählende Sprache.
Ein Takt besteht aus im Wesentlichen zwei kurzen unbetonten Silben und einer betonten Silbe. kurz kurz lang, kurz kurz lang, kurz kurz lang ....
Die unbetonten Takte sind immer kurz. Der Auftakt kann unterschiedlich aussehen, auch innerhalb eines Limericks. In Deutscher Literatur steht manchmal etwas anderes, das liegt aber an speziellen Auffassungen.
Im Reim: Er kann betont enden oder mit ein oder zwei unbetonten Silben. Hier stimmt aber die Silbenzahl überein, wegen des Reims.

Es gibt auch hier Ausnahmen, sie sind immer durch den Limerick selbst bedingt.

Hier mal ein Beispiel zur Illustration:

Unvollendet
Einst besprühte ein Kerl namens Jan
ein Gleis, und es kam eine Bahn.
"Die Zeit ist zu knapp,
mein Kopf ist gleich ab,
,,,
 



 
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