Die Frage aller Fragen

4,00 Stern(e) 4 Bewertungen

Klaus K.

Mitglied
Die Frage aller Fragen

"Robert, liebst du mich eigentlich noch?"
"Was soll die Frage?"
"Wir sind sechs Jahre verheiratet. Sie ist normal, sie ist berechtigt."
"Und? Was soll ich sagen?"
"Das will ich von dir wissen. Halten wir mal fest: Du antwortest nicht direkt, nicht ja oder nein, du antwortest mit einer Gegenfrage. Damit weichst du einer Antwort aus."
"Nein!"
"Ist das jetzt deine Antwort auf meine Feststellung oder die Antwort auf meine ursprüngliche Frage?"
"Such' es dir aus!"
"Ich hatte hierbei nicht an ein Spiel gedacht, Robert. Die Konversation mit dir ist schwierig, wenn du blockst. Sag' einfach, ob du mich noch liebst!"
"Hör zu, Angelika. Ich beantworte jetzt die ursprüngliche Frage mit nein. Zufrieden?"
"Zumindest hast du endlich geantwortet, das ist immerhin etwas."
"Gefällt dir die Antwort etwa?"
"Sagen wir mal, ich habe sie eventuell erwartet, ja auch befürchtet. Sie erscheint mir zumindest ehrlich."
"Aber du hättest lieber ein ja gehört, oder?"
"Im Prinzip ja, das hätte mir natürlich besser gefallen."
"Und du hättest dann nicht weiter gebohrt, nicht weiter insistiert?"
"Das weiß ich nicht. Ich hätte die Antwort so angenommen. Aber dann vielleicht später, wirklich viel später, nachgehakt. Mit einer weiteren Frage an dich, woran ich hätte merken können, ob diese Antwort der Wahrheit entspricht und nicht nur eine Schutzbehauptung darstellt."
"Da ich das wußte, habe ich vorsorglich mit nein geantwortet. Dadurch erspare ich dir und mir weitere Nachfragen. Bist du nun zufrieden? Es hat ja wohl keinen Sinn, bei dieser Antwort nach dem Warum zu fragen. Nein ist so glasklar, so präzise, präziser geht es nicht. Nein, ich liebe dich nicht mehr. Da ist nichts daran zu ändern."
"Du bist eindrucksvoll offen, Robert! Verletzend offen. Brutal offen."
"Du wolltest es doch so. Du wolltest es wissen. Und ich habe dir und mir eine unehrliche Antwort erspart."
"Willst du jetzt auch noch gelobt werden? Weißt du eigentlich, kannst du dir überhaupt vorstellen, was diese Antwort für mich bedeuten könnte?"
"Angelika, hör' auf! Du bist diejenige, die mich gefragt hat! Du musstest mit dieser Antwort rechnen. Keine Frage zu stellen bedeutet im Gegenzug auch keine Antwort zu erhalten, die dir dann nicht gefällt. So einfach ist das."
"Einfach für dich!"
"Gut, dann drehen wir die Sache um. Liebst du mich denn noch?"
"Warum willst du das denn jetzt noch wissen?"
"Merkst du nichts?"
"Was soll ich merken, Robert?"
"Du beantwortest meine Frage mit einer Gegenfrage!"
"Jetzt haben wir aber andere Voraussetzungen! Bei mir war es noch neutraler Boden, jetzt haben wir durch deine Antwort doch einseitig vorbelastete Verhältnisse!"
"Du weichst aus. Antworte einfach!"
"Ja, ich liebe dich noch!"
"Und das soll ich glauben?"
"Robert, du bekommst eine klare Antwort und beginnst dann daran zu zweifeln? Warum fragst du dann?"
"Vielleicht, weil ich es dir nicht glaube?"
"Dann finde es heraus! Du hast zwar jetzt bei mir alle persönlichen Chancen zwischen und mit uns verspielt, aber möglicherweise fällt dir ja noch eine Alternative ein?"
"Angelika, sag' doch einfach lieber nein! Das erleichert die Sache und ich muss weder nachhaken noch mir etwas einfallen lassen!"
"Dann müsste ich lügen. Damit wäre dein Problem gelöst, aber ich hätte dann zusätzlich eine Lüge zu verarbeiten. Nein, Robert!"
"Du hast den Test bestanden, mein Engel! Wenn deine Antwort ob du mich noch liebst falsch gewesen wäre, dann hättest du soeben sofort eingewilligt. Ich bin beruhigt!"
"Test bestanden? Wie meinst du das?"
"Na, von Beginn an als du mich zuerst gefragt hast. Was meinst du wohl, warum ich da so vehement und trocken mit nein geantwortet habe? Engelhafte, ich liebe dich! Unverändert, was dachtest du denn?"
 
Welch wunderbarer Beziehungsknatsch!

Aber ich muss diesen Robert tadeln. Er rennt anscheinend sehenden Auges ins offene Messer. Er hätte doch sagen können: Kommt darauf an. - Worauf? - Was es heute zu Mittag gibt. Oder: Lasst es uns austesten. Wie? - Wir gehen einfach ins Bett. Wenn es Spaß macht ...
Aber vielleicht will er nur demonstrieren, wie er die Situation meistert. Und ihr einen kleinen Schreck einjagen. Sie für eine dumme Frage bestrafen. (Nur Pech, wenn sie dann antworten würde: Na Gott sei Dank - dann brauch' ich ja kein schlechtes Gewissen zu haben) - usw., usw.
Wie Du siehst, Klaus K, bietet Deine Geschichte einige Anregung, darüber zu räsonieren, wie Männer und Frauen verschiedene Sprachen sprechen und sich eigentlich nicht verstehen können.

Hat mir gut gefallen, dieser Dialog.

MfG,
Binsenbrecher
 

Klaus K.

Mitglied
Hallo, verehrte Kommentatoren Binsenbrecher und Haselblatt,

Ja, es ist eine Miniatur, ein Blick auf die gelebte Realität zweier kultivierter Menschen mit intellektueller Vorbelastung. Da die Situation mir persönlich doch irgendwie sehr bekannt vorkam - es droht bewusst das "verflixte siebte Jahr" - wurde der weibliche Part als Initialzündung gewählt. Dazu eine für mich völlig andere Form, ein sofort beginnender Dialog, ohne Einstimmung in irgendein "Ambiente".- Ich hätte also auch Experimentalphysiker werden können, aber zu mehr als der Entwicklung für Knallfrosch-Pulvermischungen hat es halt bei mir auch nie gelangt.
 
Hallo Klaus,

Fragen über Fragen. Vor lauter Fragerei weiß man gar nicht mehr, was man antworten soll.
Solche Dialoge gibt es sicherlich öfter, als man glauben mag. Und da wundert man sich noch, dass sich Frau und Mann nicht verstehen? ;) Das ist manchmal wie Wahrscheinlichkeitsrechnung, nix Genaues weiß man nicht. Aber es funktioniert trotzdem. Man muss nur die Grundlagen beherrschen.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Hallo Klaus,
da beginnt man doch gleich zu grübeln. Was war wohl der Grund, die Frage zu stellen? Gab es Veränderungen in der Alltagswelt der beiden?
Gab es Erschütterungen? War die Frage saismografischer Art?
Oder hat Angelika diese Frage in Abständen immer wieder mal gestellt und Robert wusste, wie er damit umzugehen hatte?
Auf jeden Fall ein interessanter Dialog. Es wird euch vermutlich nicht anders gehen, man beginnt sofort über das eigene Leben nachzudenken.
Hat mir gut gefallen.
Gruß
Et contra nubes
 

Aledi

Mitglied
Hallo Klaus,

ein interessanter Dialog. Aber ein Dialog auf höchsten Niveau kann ich nicht behaupten. Robert und Angelika sollten ihre Beziehung überdenken. Das Paar befindet sich in einer tiefen Krise.

Liebe Grüße Aledi
 

Klaus K.

Mitglied
Aledi,

hervorragend (ernst gemeint)! Wenn hier die von dir geschilderte Sichtweise gleichfalls möglich ist (warum nicht?), dann hat die Geschichte doch ihren Zweck voll erfüllt. Denn dann regt sie zum Nachdenken an und bietet dem Leser eine Alternative. Und ob der gesamte Dialog nun wie bezeichnet auf "höchstem Niveau" stattfindet oder nicht, das tut der Sache keinen Abbruch. Mit Gruß, Klaus
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
In der Tat ein Beziehungsdialog, dem der Leser genau folgen muss, um zu verstehen, was und wie sich das Ganze entwickelt, um auf entlarvende Weise das Verhältnis der beiden Protagonisten zueinander zu demonstrieren.

Gern gelesen!
 



 
Oben Unten