sabine simon
Mitglied
Hektische Shopping-Mall: eine verlumpte Frau mit Rucksack und vielen Taschen spricht das nicht mehr ganz junge Ehepaar an: "Ein Gedicht für einen Kaffee?" Als die beiden verdutzt dreinschauen, noch einmal: "Sie kriegen ihr eigenes Gedicht für einen Kaffee." Die Dame lacht, und da ist auch ein Tisch im Café direkt frei.
Der Herr will für die Gedichteerzählerin sofort einen großen Kaffee bestellen, doch die Frau winkt ab: "Erst das Gedicht." Die Bedienung guckt dumm drein ob der Obdachlosen an ihrem Tisch, die sich dort mit ihrem schäbigem Gepäck niedergelassen hat, alles wird umständlich platziert, die abgerissene Frau selbst ist offensichtlich froh über die Sitzgelegenheit.
Sie lässt sich gemütlich und in aller Ruhe nieder und sortiert ihre schäbige Habe, auch wenn die Tischnachbarn mit großen Augen glotzen.
Es ist aufwändig, was sie vollführt: Hier wird eine Schnalle gerichtet, dort eine Lasche festgezogen, man merkt, dies ist für sie kein Lumpengepäck, obwohl es so aussieht, sondern einziges Besitztum. Auch die achtsame Art des Umgangs löst Respekt aus.
Das Ehepaar, das eigentlich eher an ein schnelleres Gedicht gedacht hatte, merkt, es dauert.
Die Frau in ihrem abgewetzten Mantel packt endlich ein dickes Heft aus: "Schau'n wir mal."
Der Herr denkt: "Mein Weib ist auch immer für eine Überraschung gut, nie hätte ich gedacht, dass sie sich so was antut und überhaupt zulässt." Neugierig mustert er die komische Frau mit den vielen Defiziten in ihrem Äußeren. "Die Idee, ein Gedicht für einen Kaffee anzubieten ist aber interessant." Er mustert sie von oben bis unten: "Wie konnte sie nur in eine so demütigende Situation kommen?"
Immer wieder neu ist die ungewöhnliche Frau bemüht, ihre abgehalfterte Kleidung zu richten, Löcher zu verdecken. Sie spricht mit leiser Stimme und ist höflich, weiß genau, was sie will, blättert in aller Ruhe in ihrer Kladde, und da wird das Paar langsam ungeduldig. Denn es zieht sich hin und irgendwie scheint die Frau das Gedicht aus den Augen verloren zu haben.
Auch das Ehepaar interessiert sich gar nicht mehr so sehr dafür.
Der Herr, jetzt langsam genervt, macht sich so seine Gedanken: "Was soll das? Warum haben wir die da jetzt am Hals? Die werden wir nicht mehr los. Und jedesmal, wenn wir wieder hier im Lieblingscafé sitzen, kommt sie wieder an. Ich wünsch ihr ja alles Gute, aber es reicht doch jetzt."
Die Dame will jetzt wieder in die ungestörte Vertrautheit mit ihrem Mann zurück, das Ganze beschleunigen, sie mutmaßt, dass das Anbieten des Gedichtes nur ein Trick war. Trotzdem will sie zu ihrem Angebot stehen: "Wir bestellen erst den Kaffee, ohne Stärkung geht doch kein Gedicht..." Doch die Obdachlose hat ihren eigenen Kopf: "Vielleicht haben Sie recht, dann geben Sie mir bitte zwei Euro, ich will lieber doch keinen Kaffee, ich hol mir eben was zu essen."
Die Gedichtefrau geht und lässt ihr Gepäck zurück. Es dauert einige Minuten, und sie kommt mit einer dicken Bratwurst zurück, in die sie genießerisch rein beißt. In aller Gemütsruhe futtert sie im feinen Café ihre fettige Wurst und ist keineswegs zurückhaltend mit Äußerungen zu ihrem Wohlbefinden. Genießerisch leckt sie ihre Finger ab, zusammen mit dem ekligen Bratfett, einen Kaffee will sie immer noch nicht.
Dann endlich wendet sich der seltsame Gast dann doch wieder der eselsohrigen Kladde zu, in aller Seelenruhe, sie wendet eng beschriebene Seiten um.
Die Ehefrau lässt inzwischen ihren Gedanken in einer kitschigen Phantasie freien Lauf, als würde sie gerade selbst einen Hollywood-Schinken inszenieren: " Als Regisseur suchte ich eine Obdachlose genauso aus, freundliches Gesicht, sentimentaler Blick, leicht rothaariger Teint, sanfte Stimme, abgerissen, aber an sich herumzupfend, um die Flecken zu verdecken, leicht verlebt und gezeichnet von ihrem zweifellos harten Leben, so könnte eine vom Schicksal bös gebeutelte Runtergekommene aussehen, der der Regisseur hinterher ein Happy-Ending spendiert..."
Die echte Obdachlose hier aber , im Café in der realen Welt, findet irgendwann schließlich, als es sich nicht mehr länger hinauszögern lässt, das, was sie sucht:
Mit einfacher Stimme liest sie etwas ohne Pathos, aber die Gedanken unseres Paares sind derweil weitergewandert. Das Gedicht ist unwichtig geworden, es bleibt nicht haften, sie vermissen es nicht, sind nicht mehr beim Kaffee, sondern viel weiter weg, hakeln sich an den Händen fest.
Als die Sprache verklingt und das Gedicht zu Ende ist, sieht das Paar wie aus einem Traum aufwachend hoch, und die Frau ist weg und der Platz ist leer, der Stuhl sorgfältig an den Tisch geschoben.
Sie sehen sich an, zurück bleibt Verwunderung: über die widersprüchliche Begegnung , die sie trotz aller Erstaunlichkeiten nachhaltig beeindruckt hat, die trotz Direktheit Achtung ausgelöst hat, beide sind froh, dass sie sie nicht einfach weggeschickt haben.
Der Mut der abgerissenen Frau, ihre Situation kreativ zu meistern, hat überrascht, trotz ihrer Unverblümtheit. Dass ein Mensch in Schwierigkeiten nicht auf die "Mitleidskarte" setzt, sondern sich selbstbewusst zeigt, hat so gewirkt, als ob die Gedichtefrau Spuren ihrer Anwesenheit wie Glitzer-Flitter in die Luft gestreut habe...
Der Herr will für die Gedichteerzählerin sofort einen großen Kaffee bestellen, doch die Frau winkt ab: "Erst das Gedicht." Die Bedienung guckt dumm drein ob der Obdachlosen an ihrem Tisch, die sich dort mit ihrem schäbigem Gepäck niedergelassen hat, alles wird umständlich platziert, die abgerissene Frau selbst ist offensichtlich froh über die Sitzgelegenheit.
Sie lässt sich gemütlich und in aller Ruhe nieder und sortiert ihre schäbige Habe, auch wenn die Tischnachbarn mit großen Augen glotzen.
Es ist aufwändig, was sie vollführt: Hier wird eine Schnalle gerichtet, dort eine Lasche festgezogen, man merkt, dies ist für sie kein Lumpengepäck, obwohl es so aussieht, sondern einziges Besitztum. Auch die achtsame Art des Umgangs löst Respekt aus.
Das Ehepaar, das eigentlich eher an ein schnelleres Gedicht gedacht hatte, merkt, es dauert.
Die Frau in ihrem abgewetzten Mantel packt endlich ein dickes Heft aus: "Schau'n wir mal."
Der Herr denkt: "Mein Weib ist auch immer für eine Überraschung gut, nie hätte ich gedacht, dass sie sich so was antut und überhaupt zulässt." Neugierig mustert er die komische Frau mit den vielen Defiziten in ihrem Äußeren. "Die Idee, ein Gedicht für einen Kaffee anzubieten ist aber interessant." Er mustert sie von oben bis unten: "Wie konnte sie nur in eine so demütigende Situation kommen?"
Immer wieder neu ist die ungewöhnliche Frau bemüht, ihre abgehalfterte Kleidung zu richten, Löcher zu verdecken. Sie spricht mit leiser Stimme und ist höflich, weiß genau, was sie will, blättert in aller Ruhe in ihrer Kladde, und da wird das Paar langsam ungeduldig. Denn es zieht sich hin und irgendwie scheint die Frau das Gedicht aus den Augen verloren zu haben.
Auch das Ehepaar interessiert sich gar nicht mehr so sehr dafür.
Der Herr, jetzt langsam genervt, macht sich so seine Gedanken: "Was soll das? Warum haben wir die da jetzt am Hals? Die werden wir nicht mehr los. Und jedesmal, wenn wir wieder hier im Lieblingscafé sitzen, kommt sie wieder an. Ich wünsch ihr ja alles Gute, aber es reicht doch jetzt."
Die Dame will jetzt wieder in die ungestörte Vertrautheit mit ihrem Mann zurück, das Ganze beschleunigen, sie mutmaßt, dass das Anbieten des Gedichtes nur ein Trick war. Trotzdem will sie zu ihrem Angebot stehen: "Wir bestellen erst den Kaffee, ohne Stärkung geht doch kein Gedicht..." Doch die Obdachlose hat ihren eigenen Kopf: "Vielleicht haben Sie recht, dann geben Sie mir bitte zwei Euro, ich will lieber doch keinen Kaffee, ich hol mir eben was zu essen."
Die Gedichtefrau geht und lässt ihr Gepäck zurück. Es dauert einige Minuten, und sie kommt mit einer dicken Bratwurst zurück, in die sie genießerisch rein beißt. In aller Gemütsruhe futtert sie im feinen Café ihre fettige Wurst und ist keineswegs zurückhaltend mit Äußerungen zu ihrem Wohlbefinden. Genießerisch leckt sie ihre Finger ab, zusammen mit dem ekligen Bratfett, einen Kaffee will sie immer noch nicht.
Dann endlich wendet sich der seltsame Gast dann doch wieder der eselsohrigen Kladde zu, in aller Seelenruhe, sie wendet eng beschriebene Seiten um.
Die Ehefrau lässt inzwischen ihren Gedanken in einer kitschigen Phantasie freien Lauf, als würde sie gerade selbst einen Hollywood-Schinken inszenieren: " Als Regisseur suchte ich eine Obdachlose genauso aus, freundliches Gesicht, sentimentaler Blick, leicht rothaariger Teint, sanfte Stimme, abgerissen, aber an sich herumzupfend, um die Flecken zu verdecken, leicht verlebt und gezeichnet von ihrem zweifellos harten Leben, so könnte eine vom Schicksal bös gebeutelte Runtergekommene aussehen, der der Regisseur hinterher ein Happy-Ending spendiert..."
Die echte Obdachlose hier aber , im Café in der realen Welt, findet irgendwann schließlich, als es sich nicht mehr länger hinauszögern lässt, das, was sie sucht:
Mit einfacher Stimme liest sie etwas ohne Pathos, aber die Gedanken unseres Paares sind derweil weitergewandert. Das Gedicht ist unwichtig geworden, es bleibt nicht haften, sie vermissen es nicht, sind nicht mehr beim Kaffee, sondern viel weiter weg, hakeln sich an den Händen fest.
Als die Sprache verklingt und das Gedicht zu Ende ist, sieht das Paar wie aus einem Traum aufwachend hoch, und die Frau ist weg und der Platz ist leer, der Stuhl sorgfältig an den Tisch geschoben.
Sie sehen sich an, zurück bleibt Verwunderung: über die widersprüchliche Begegnung , die sie trotz aller Erstaunlichkeiten nachhaltig beeindruckt hat, die trotz Direktheit Achtung ausgelöst hat, beide sind froh, dass sie sie nicht einfach weggeschickt haben.
Der Mut der abgerissenen Frau, ihre Situation kreativ zu meistern, hat überrascht, trotz ihrer Unverblümtheit. Dass ein Mensch in Schwierigkeiten nicht auf die "Mitleidskarte" setzt, sondern sich selbstbewusst zeigt, hat so gewirkt, als ob die Gedichtefrau Spuren ihrer Anwesenheit wie Glitzer-Flitter in die Luft gestreut habe...
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