Die Frau, die Gedichte verschenkt

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sabine simon

Mitglied
Hektische Shopping-Mall: eine verlumpte Frau mit Rucksack und vielen Taschen spricht das nicht mehr ganz junge Ehepaar an: "Ein Gedicht für einen Kaffee?" Als die beiden verdutzt dreinschauen, noch einmal: "Sie kriegen ihr eigenes Gedicht für einen Kaffee." Die Dame lacht, und da ist auch ein Tisch im Café direkt frei.

Der Herr will für die Gedichteerzählerin sofort einen großen Kaffee bestellen, doch die Frau winkt ab: "Erst das Gedicht." Die Bedienung guckt dumm drein ob der Obdachlosen an ihrem Tisch, die sich dort mit ihrem schäbigem Gepäck niedergelassen hat, alles wird umständlich platziert, die abgerissene Frau selbst ist offensichtlich froh über die Sitzgelegenheit.

Sie lässt sich gemütlich und in aller Ruhe nieder und sortiert ihre schäbige Habe, auch wenn die Tischnachbarn mit großen Augen glotzen.
Es ist aufwändig, was sie vollführt: Hier wird eine Schnalle gerichtet, dort eine Lasche festgezogen, man merkt, dies ist für sie kein Lumpengepäck, obwohl es so aussieht, sondern einziges Besitztum. Auch die achtsame Art des Umgangs löst Respekt aus.

Das Ehepaar, das eigentlich eher an ein schnelleres Gedicht gedacht hatte, merkt, es dauert.
Die Frau in ihrem abgewetzten Mantel packt endlich ein dickes Heft aus: "Schau'n wir mal."

Der Herr denkt: "Mein Weib ist auch immer für eine Überraschung gut, nie hätte ich gedacht, dass sie sich so was antut und überhaupt zulässt." Neugierig mustert er die komische Frau mit den vielen Defiziten in ihrem Äußeren. "Die Idee, ein Gedicht für einen Kaffee anzubieten ist aber interessant." Er mustert sie von oben bis unten: "Wie konnte sie nur in eine so demütigende Situation kommen?"

Immer wieder neu ist die ungewöhnliche Frau bemüht, ihre abgehalfterte Kleidung zu richten, Löcher zu verdecken. Sie spricht mit leiser Stimme und ist höflich, weiß genau, was sie will, blättert in aller Ruhe in ihrer Kladde, und da wird das Paar langsam ungeduldig. Denn es zieht sich hin und irgendwie scheint die Frau das Gedicht aus den Augen verloren zu haben.

Auch das Ehepaar interessiert sich gar nicht mehr so sehr dafür.
Der Herr, jetzt langsam genervt, macht sich so seine Gedanken: "Was soll das? Warum haben wir die da jetzt am Hals? Die werden wir nicht mehr los. Und jedesmal, wenn wir wieder hier im Lieblingscafé sitzen, kommt sie wieder an. Ich wünsch ihr ja alles Gute, aber es reicht doch jetzt."

Die Dame will jetzt wieder in die ungestörte Vertrautheit mit ihrem Mann zurück, das Ganze beschleunigen, sie mutmaßt, dass das Anbieten des Gedichtes nur ein Trick war. Trotzdem will sie zu ihrem Angebot stehen: "Wir bestellen erst den Kaffee, ohne Stärkung geht doch kein Gedicht..." Doch die Obdachlose hat ihren eigenen Kopf: "Vielleicht haben Sie recht, dann geben Sie mir bitte zwei Euro, ich will lieber doch keinen Kaffee, ich hol mir eben was zu essen."

Die Gedichtefrau geht und lässt ihr Gepäck zurück. Es dauert einige Minuten, und sie kommt mit einer dicken Bratwurst zurück, in die sie genießerisch rein beißt. In aller Gemütsruhe futtert sie im feinen Café ihre fettige Wurst und ist keineswegs zurückhaltend mit Äußerungen zu ihrem Wohlbefinden. Genießerisch leckt sie ihre Finger ab, zusammen mit dem ekligen Bratfett, einen Kaffee will sie immer noch nicht.

Dann endlich wendet sich der seltsame Gast dann doch wieder der eselsohrigen Kladde zu, in aller Seelenruhe, sie wendet eng beschriebene Seiten um.

Die Ehefrau lässt inzwischen ihren Gedanken in einer kitschigen Phantasie freien Lauf, als würde sie gerade selbst einen Hollywood-Schinken inszenieren: " Als Regisseur suchte ich eine Obdachlose genauso aus, freundliches Gesicht, sentimentaler Blick, leicht rothaariger Teint, sanfte Stimme, abgerissen, aber an sich herumzupfend, um die Flecken zu verdecken, leicht verlebt und gezeichnet von ihrem zweifellos harten Leben, so könnte eine vom Schicksal bös gebeutelte Runtergekommene aussehen, der der Regisseur hinterher ein Happy-Ending spendiert..."

Die echte Obdachlose hier aber , im Café in der realen Welt, findet irgendwann schließlich, als es sich nicht mehr länger hinauszögern lässt, das, was sie sucht:

Mit einfacher Stimme liest sie etwas ohne Pathos, aber die Gedanken unseres Paares sind derweil weitergewandert. Das Gedicht ist unwichtig geworden, es bleibt nicht haften, sie vermissen es nicht, sind nicht mehr beim Kaffee, sondern viel weiter weg, hakeln sich an den Händen fest.
Als die Sprache verklingt und das Gedicht zu Ende ist, sieht das Paar wie aus einem Traum aufwachend hoch, und die Frau ist weg und der Platz ist leer, der Stuhl sorgfältig an den Tisch geschoben.

Sie sehen sich an, zurück bleibt Verwunderung: über die widersprüchliche Begegnung , die sie trotz aller Erstaunlichkeiten nachhaltig beeindruckt hat, die trotz Direktheit Achtung ausgelöst hat, beide sind froh, dass sie sie nicht einfach weggeschickt haben.
Der Mut der abgerissenen Frau, ihre Situation kreativ zu meistern, hat überrascht, trotz ihrer Unverblümtheit. Dass ein Mensch in Schwierigkeiten nicht auf die "Mitleidskarte" setzt, sondern sich selbstbewusst zeigt, hat so gewirkt, als ob die Gedichtefrau Spuren ihrer Anwesenheit wie Glitzer-Flitter in die Luft gestreut habe...
 
Zuletzt bearbeitet:

sabine simon

Mitglied
Hallo Silberne Delfine,
danke, das hör ich gern, vor allem, da ich sehr daran gebastelt habe, eigentlich hab ich die meiste Zeit gedacht, ich krieg es nicht hin...
Beste Grüße
Sabine Simon
 

molly

Mitglied
Liebe Sabine,

ich hatte bei Deiner Geschichte das Gefühl, mit am Tisch zu sitzen. Schön ist auch das Ende:
Die Frau schmunzelt, denn sie hat sich ja ein Happy-Ending gewünscht, und irgendwie hat die Obdachlose die Spuren ihrer Anwesenheit wie Glitzer-Flitter in die Luft gestreut...
Viele Grüße
molly
 

Languedoc

Mitglied
Hallo sabine simon,

Zu Deiner Geschichte:
Ich saß auch mit am Tisch und wartete auf das Gedicht der obdachlosen Frau. Was hat sie in ihre Kladde geschrieben? Wie würde es zur äußeren Erscheinung passen? Lerne ich gerade ein verkanntes Dichtergenie kennen?
Leider bekomme ich (im Gegensatz zum Ehepaar) das angekündigte Gedicht am Ende nicht zu lesen. Ich erfahre nur, dass es sich um bescheidene und naive Worte handelt, die melodisch klingen und in die Empfindungen des lauschenden Ehepaares eindringen. Saß ich also doch nicht mit am Tisch? Oder bin ich schwerhörig und empathielos? Zu neugierig gewesen?
Das Happy-Ending, das sich die Ehefrau gewünscht und erhalten hat, konnte ich dann nicht mehr nachvollziehen.

Den Inhalt des verschenkten Gedichtes kann ich mir jetzt selber denken. Dazu inspiriert mich der Text tatsächlich.


Zur Textqualität:
Du hast lange an dem Text gebastelt, schreibst Du im Kommentar. Ich fürchte, Du hast das Werk mit Adjektiven und Adverben zerbastelt. Manche von den gefühlt hundert Beiwörtern sind ja passend gesetzt und beschreiben anschaulich die obdachlose Frau und ihr Tun am Kaffeehaustisch, aber einiges wird doppelt und mehrfach geritten und das noch mit demselben Begriff. Du wolltest wahrscheinlich die Spannung steigern, aber mir, dem Leser, ist das zu viel Sahne auf der Torte.

Der Kommasetzung ist leider auch ein Thema.

Die Schlussmetapher ist hübsch: die Spuren ihrer Anwesenheit wie Glitzer-Flitter in die Luft gestreut...



Fazit:
Ein bildstarker Filmclip, dem die sprachliche Umsetzung nachhinkt.

Grüße von
Languedoc

P.S.
Falls Du jetzt den Impuls haben solltest, Dich auf den Text zu stürzen und erneut daran herumzubasteln – lass es lieber bleiben und warte ein Weilchen. Mit gewissem zeitlichem Abstand kannst Du beim Selbstlektorat die Schwächen und Fehler besser sehen und vermeidest die Gefahr der Verschlimmbesserung..
 

sabine simon

Mitglied
,
Hallo Languedoc,

das Gedicht erscheint nicht, weil der Focus auf der Frau liegt und zwingend bleiben soll...

Was ich nicht verstehe, wieso du glaubst, dass ich alles umschreibe????

Wir sprechen doch hier von subjektiv-kreativer 'Schreibe', und da sind andere Meinungen zweifelsfrei interessant,
aber ebenso immer abhängig von anderer ebenso subjektiver Erfahrung,
und das können wir dann doch einfach so stehen lassen, ohne in Aufregung zu geraten.....

Beste Grüße, danke für deine intensive Auseinandersetzung damit
sabine simon
 

Languedoc

Mitglied
Hallo Sabine Simon,

Ich habe erst jetzt gesehen, dass Dein Text schon seit Monaten hier steht. Mein P.S. von vornhin ist somit hinfällig.

Wenn Du mit Deinem Text zufrieden bist, dann passt ja alles.

Grüße von Languedoc
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Sabine Simon,

Deine Geschichte hat für mich zu viele Ungereimtheiten. Zudem ergehst Du Dich in unglaublich vielen detaillierten Beschreibungen, die den Lesefluss hemmen.

Mich störten besonders folgende Stellen:

eine verlumpte Frau, offensichtlich obdachlos
Was bedeutet das genau? Woran erkennt man denn, dass sie "obdachlos" ist?

abgewetzten fleckig-dreckigen Mantel
Hier hätte ein Adjektiv gereicht!


Abgeschabt aber sauber,

Wieso sauber? Sie ist doch verlumpt. Obdachlos und sauber geht eigentlich nicht gut zusammen.


goldbraunen Augen

Wieso spielt die Augenfarbe eine Rolle?

Freundliches Gesicht, hellbraune, sentimentale Augen, leicht rothaariger Teint, Haare, die so aussehen, als würde man sie gerne streicheln, wie bei einem Dackel, sanfte Stimme, saubere Haut, abgerissen, aber reinlich, leicht verlebt und verknittert, gerade genug nach obdachlos aussehend, aber trotzdem nicht und zwar überhaupt nicht eklig, so könnte eine wohnungslose, vom Schicksal bös und zu Unrecht gebeutelte Runtergekommene aussehen, der der Regisseur hinterher ein Happy-Ending spendiert, sie trifft einen Märchenprinzen, natürlich keinen Millionär, so knackig ist sie nicht mehr, vielleicht, das sähe glaubwürdig aus, sie käme schon an."

Sorry, aber das ist eine sehr unrealistische Beschreibung, die tatsächlich am besten zu einem Hollywood-Schinken mit Happy-End passt.


Die Begrifflichkeiten hinterlassen eine Melodiespur, die sich erhebt und schwebt und in ihre Empfindungen dringt. Sie sind nicht mehr beim Kaffee, sie sind viel weiter weg, hakeln sich an den Händen fest und sind sich sehr nah, und als die Sprache verklingt und das Gedicht zu Ende ist, sehen beide wie aus einem Traum aufwachend hoch, und die Frau ist weg und der Platz ist leer, der Stuhl sorgfältig an den Tisch geschoben.

Das Paar kuschelt sich aneinander, denkt daran, wie schön es ist, nicht obdachlos zu sein, und wie man so auf die Straße kommen kann mit so schönen braunen Augen.

Die Frau schmunzelt, denn sie hat sich ja ein Happy-Ending gewünscht, und irgendwie hat die Obdachlose die Spuren ihrer Anwesenheit wie Glitzer-Flitter in die Luft gestreut...

.... und das setzt sich leider am Ende fort, als Leser muss ich erstmal sortieren, wer jetzt genau gemeint ist und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Gedicht sie sich nähern lässt, denn vorher waren sie der Obdachlosen ja etwas gram. Und was hat die Obdachlosigkeit wieder mit den Augen zu tun?

Mich hat die Geschichte nicht mitgenommen.

Viele Grüße

DS
 
Sorry, aber das ist ein wirklich sehr langweiliger und kitschiger Text. So einen Satz wie "Die Begrifflichkeiten hinterlassen eine Melodiespur, die sich erhebt und schwebt und in ihre Empfindungen dringt" muss man erst mal schreiben, das ist wirklich heftig. Oder ein Wort wie "Stylingmankos". Dass einem als Leser das ja angeblich so tolle Gedicht vorenthalten wird, ist schon ein starkes Stück - kann man nicht machen, finde ich.
 

sabine simon

Mitglied
Hallo Doc Schneider,
hallo Jürgen Hoffmann,

eure Anregungen nehme ich gerne auf,
es geht mir auch oft so, dass ich zu einer Geschichte keinen Zugang finde,
glaube auch, dass da Begründungen oder Rechtfertigungen wenig "helfen"...

Trotzdem werden mich eure Anregungen beschäftigen,
auch wenn ich z. B, weiter der Meinung bin, dass jemand zerlumpt sein kann, man ihm aber trotzdem das Bemühen der Sauberkeit ansehen kann,
dass das Nennen des Gedichtes den Fokus von der Frau wegrücken würde.
Der Titel ist: "Die Frau, die Gedichte verschenkt", nicht "Das Gedicht der obdachlosen Frau".

Beste Grüße
sabine simon
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Sabine Simon,

Damals habe ich diese Geschichte nicht ganz verstanden und irgendwann später, habe ich sie nicht mehr gefunden. Jetzt, wo sie wieder aufgetaucht ist, habe ich sie nochmal gelesen. Also, die Idee, dass eine Frau ein Gedicht für einen Kaffee anbietet, fand ich lustig, eine originelle Idee. Aber so ganz, find ich die Geschichte dann doch ziemlich verworren. Ich notiere einfach mal meinen Lese-Eindruck:

Hektische Shopping-Mall: eine verlumpte Frau, offensichtlich obdachlos, spricht das nicht mehr ganz junge Ehepaar an: "Ein Gedicht für einen Kaffee?" Als die beiden verdutzt dreinschauen, noch einmal: "Sie kriegen ihr eigenes Gedicht für einen Kaffee." Die Dame lacht, und da ist auch ein Tisch im Café direkt frei.

(Hier wäre es vielleicht sinnvoll, gleich an dieser Stelle und nicht erst im nächsten Satz zu erwähnen, dass die Frau drei Taschen und einen Rucksack bei sich hat. Denn es ist ja schon ein kleiner Aufwand, sich mit all diesem Gepäck an einen Tisch im Café zu setzen. Ich war überrascht, erst später, nachdem sie sich bereits gesetzt hatten, davon zu erfahren).


Der Herr denkt: "Mein Weib ist auch immer für eine Überraschung gut, nie hätte ich gedacht, dass sie sich so was antut und überhaupt zulässt." Neugierig mustert er die komische Frau mit den vielen
Stylingmankos. (Ob das Wort Stylingmankos das geeignete für diese Frau ist? ) Abgeschabt aber sauber, eine sanfte Stimme und äußerst höflich, (wo kann man als Leser erkennen, dass sie äusserst höflich ist? Bis jetzt hat sie sich nur hingesetzt und die Schnallen , Laschen und Reissverschlüsse ihres Gepäcks geordnet)) bei den vielen Seiten in ihrem großen schwarzen Notizbuch scheint sie auch nicht ungebildet, wie kann sie nur in eine solche demütigende Situation kommen?
Aber die obdachlose Frau blättert und blättert mit aller geradezu gemütlichen Ruhe in ihrer Kladde, und da das Paar ungeduldig wird, bieten sie ihr einfach das Geld für den Kaffee an
(Das Ehepaar macht keine Anstalten zu gehen, sie sitzen alle am Tisch und sie bieten ihr das Geld für den Kaffee an?) , denn es dauert und dauert und irgendwie scheint die Frau mit den goldbraunen Augen das Gedicht aus den Augen verloren zu haben.

Und weil das Paar eigentlich alleine sein will, wie wohl immer, wenn sie zusammen unterwegs sind , würden sie jetzt, wo das mit dem Gedicht Zeit braucht, nur untereinander kommunikativ sein, sich nicht viel mit anderen befassen, halt allein zu zweit sein
. (Dieser Satz klingt für mich sehr seltsam….Sie wollen eigentlich alleine sein, so wie immer, wenn sie unterwegs sind, nur untereinander kommunikativ? sein… Vielleicht besser gleich am Anfang nur eine Zeile einsetzen, die man an dieser Stelle ja noch mal einsetzen könnte: Das Paar wäre lieber unter sich, zeigt sich jedoch bereit, mit der Frau einen kaffee zu trinken) Jeder andere, der die Zweisamkeit betritt und nicht bald wieder verlässt, stört, und sei es der Kaiser von China. (Damit wäre auch dieser komplizierte Satz überflüssig.)

Deshalb meint auch die Dame, sie will in die ungestörte Vertrautheit mit ihrem Mann zurück, das Ganze vorsichtig beschleunigen, sie will kein Lamento. "Wir bestellen erst den Kaffee, ohne Stärkung geht doch kein Gedicht..." Erleichtert will der Herr der Bedienung winken, doch die Obdachlose hat ihren eigenen Kopf: "Vielleicht haben Sie recht, dann geben Sie mir bitte zwei Euro, ich will lieber doch keinen Kaffee, ich hol mir eben was zu essen." (Ich fände das nicht mehr so äusserst höflich… ;) )

Sie geht und läßt ihr ganzes so wertvolles Gepäck zurück. Es dauert einige Minuten, und sie kommt mit einer dicken Bratwurst zurück, in die sie genießerisch reinbeißt. In aller Gemütsruhe futtert sie im feinen Café ihre fettige Wurst und ist keineswegs zurückhaltend mit Äußerungen zu ihrem Wohlbefinden. Wohlig und genießerisch leckt sie ihre Finger ab, zusammen mit dem eklig herabfließenden Bratfett, einen Kaffee will sie immer noch nicht.(Das ist schon starker Tobak…Und das Ehepaar äussert sich so garnicht dazu? Auch nicht unter sich?)

Aber endlich blättert die Gedichtefrau dann doch wieder in ihrer abgewetzten Kladde. Die Ehefrau denkt: "Eigentlich ist das wie im Film, wenn ich Regisseur wäre und eine Obdachlose darstellen wollte, sähe sie ganz genauso aus. Freundliches Gesicht, hellbraune, sentimentale Augen,(sentimentale Augen? Was ist das?) leicht rothaariger Teint, Haare, die so aussehen, als würde man sie gerne streicheln ( Wie müssen Haare denn aussehen, dass man sie streicheln will? Wie bei einem Dackel? ich weiss nicht, aber das ist schon eine seltsame Beschreibung) sanfte Stimme, saubere Haut, abgerissen, aber reinlich, leicht verlebt und verknittert, (Ich versuchte mir ein Bild zu machen: eine saubere Haut, abgerissen, reinlich, verlebt, und verknittert…. Aber bei soviel Beschreibungen hatte ich überhaupt kein Bild mehr dieser Frau) gerade genug nach obdachlos aussehend, aber trotzdem nicht und zwar überhaupt nicht eklig (aber trotzdem nicht und überhaupt nicht ekelig? (Geeigneter fände ich einen simplen Satz, der beschreibt, dass die Frau zwar Lumpen trägt, aber saubere Fingernägel und schönes lockiges gepflegtes Haar hat, oder ähnlich)

so könnte eine wohnungslose, vom Schicksal bös und zu Unrecht gebeutelte Runtergekommene aussehen, der der Regisseur hinterher ein Happy-Ending spendiert, sie trifft einen Märchenprinzen, natürlich keinen Millionär, so knackig ist sie nicht mehr, vielleicht, das sähe glaubwürdig aus, sie käme schon an.

( Dieser letzte Satz kling ziemlich wirr. Ich hab ihn für mich so gelesen: So könnte eine, vom Schicksal bös und zu Unrecht, gebeutelte Runtergekommene aussehen, der der Regisseur noch ein Happy Ending spendiert. Er liesse sie einen Märcheprinzen treffen, natürlich keinen Millionär, denn so knackig ist sie nicht mehr. Aber irgendwie käme sie schon an.)


Auch der Herr macht sich so seine Gedanken: "Was soll das? Warum haben wir die da jetzt am Hals? Die werden wir nicht mehr los. Und jedesmal, wenn wir wieder hier im Lieblingscafé sitzen, kommt sie wieder an. Ich wünsch ihr ja alles Gute, aber es reicht doch jetzt." (Diesen Satz hätte ich gleich nach der fettigen Bratwurst, die sie sich an den Tisch geholt hat, geeingnet gefunden)

Die Obdachlose blättert in aller Seelenruhe weiter, wendet eng beschriebene um eng beschriebene Seite um. Und irgendwann, als es sich nicht mehr länger hinauszögern lässt, findet sie schließlich, was sie sucht:

Mit einfacher Stimme liest sie ohne Pathos, und die Gedanken unseres Paares wandern durch diese bescheidenen und naiven Worte wieder weiter.
Die Begrifflichkeiten hinterlassen eine Melodiespur, die sich erhebt und schwebt und in ihre Empfindungen dringt. (Das klingt für mich irgendwie um acht Ecken: Ich versuche mir eine Melodie vorzustellen, die sich erhebt und dann schwebt....) Sie sind nicht mehr beim Kaffee, sie sind viel weiter weg, hakeln sich an den Händen fest und sind sich sehr nah, und als die Sprache verklingt und das Gedicht zu Ende ist, sehen beide wie aus einem Traum aufwachend hoch (muss schon ein tolles Gedicht gewesen sein, aber leider erfahren wir davon nichts) , und die Frau ist weg (Einfach so, blitzschnell hat sie ihre drei Taschen und den Rucksack gegriffen und ist verschwunden?) und der Platz ist leer, der Stuhl sorgfältig an den Tisch geschoben.

Das Paar kuschelt sich aneinander, denkt daran, wie schön es ist, nicht obdachlos zu sein, und wie man so auf die Straße kommen kann mit so schönen braunen Augen
.( Wie man so auf die Strasse kommen kann mit so schönen braunen Augen? Will heissen: Es sei unverständlich, dass jemand mit schönen Augen auf der Strasse landen kann? Ich verstehe sehr oft die Gründe nicht, warum manche Leute auf der Strasse landen. Aber bei keinem Einzigen wäre mir jemals die Augenfarbe als Grund in den Sinn gekommen. Sorry….)

Aufgrund all dieser für mich, leicht schiefen Bilder und weit hergeholten Beschreibungen, habe ich überhaupt keinen Zugang gefunden, weder zu einer dieser drei Figuren – noch zu dieser Geschichte. Die Grundidee, wie gesagt, finde ich gut. Und der Text hat seine Leser ja auch gefunden und das ist ja auch gut so: Jeder nimmt ihn eben anders auf. :)

Mit Gruss, Ji



 

sabine simon

Mitglied
Hallo Ji Rina,

ich bin beeindruckt mit welcher Akribie du diesen Text untersuchst... Danke dafür.

Nach und nach setzt sich bei mir ein Eindruck durch,
dass ich möglicherweise genauso an diese Geschichte kritisch herangehen würde,
wenn ich nicht etwas Entscheidendes wüsste:

Diese Geschichte ist keine von mir ausgedachte.
Sondern sie ist exakt so passiert, mit ihren Widersprüchlichkeiten.

Natürlich habe ich mir überlegt, ob ich gegebenenfalls etwas anders konstruieren würde,
als es tatsächlich stattgefunden hat.

Ich habe davon Abstand genommen, die Entscheidung habe ich nun so getroffen,
ich selber habe das Gefühl, dass es Wort für Wort eigentlich so richtig ist,
habe bewusst stehengelassen, dass ich drei, vier Adjektive zusammensetze,
um möglichst treffend zu sein, die mögliche Schwergängigkeit für den Leser in Kauf genommen.

Das mag falsch sein, nur wäre es eine komplett andere Geschichte, wenn ich sie auf ihre Wirkungsmöglichkeiten abklopfen würde, och glaube fast gar nicht, dass ich mir so eine Geschichte ausdenken würde.

Ich habe sehr den Eindruck, dass du sehr tief in diese Geschichte eingestiegen bist,
beispielsweise an der Stelle mit der fettigen Bratwurst,
ich habe mich oft gefragt, wieso ich da nix gesagt habe,
da hast du die Authentizität genau getroffen....

Beste Grüße Sabine
 

sabine simon

Mitglied
Lieber DocSchneider,

kritische Arbeit find ich gut, kenn ich, mag ich. Aber dann, wenn die Geschichte gerade eingestellt ist.
Aber an "kaltem Kaffee"?
Diese Geschichte steht seit dem 2.2.20 im Netz, seit Februar bekam ich ausschließlich positive Rückmeldungen.
Und jetzt seit einigen Tagen ist alles falsch?

Beste Grüße Sabine
 

Languedoc

Mitglied
Hallo sabine simon,

Es gab am 5.2. eine Rückmeldung auf diese Geschichte, die war freundlich und eine halbe Zeile kurz, daher gewiss keine "Textkritik".

Molly hat neulich die Geschichte nach vor geholt und daraufhin war ich die Erste in einer Reihe längerer substanzieller Kommentare, an die Du offenbar nicht im Sinne einer Textarbeit anknüpfen kannst. So what.

Bevor ich mich aus dem Thread hier verabschiede, noch ein Punkt, anschließend an DocSchneider:

Ob eine Geschichte wahr ist, sich tatsächlich so zugetragen hat, genauso passiert ist oder nicht, ist absolut kein Kriterium für einen literarischen Text und seine Qualität.

Grüße von
Languedoc
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber DocSchneider,

kritische Arbeit find ich gut, kenn ich, mag ich. Aber dann, wenn die Geschichte gerade eingestellt ist.
Aber an "kaltem Kaffee"?
Diese Geschichte steht seit dem 2.2.20 im Netz, seit Februar bekam ich ausschließlich positive Rückmeldungen.
Und jetzt seit einigen Tagen ist alles falsch?

Beste Grüße Sabine

Die Leselupe ist eine riesige Online-Bibliothek, in der man lesen und kritisieren kann, was und wann man will.

Kalten Kaffee gibt es hier nicht.

Es ist nicht alles falsch, sondern Du hast kritische (im Sinne von hinterfragend) Kommentare bekommen - und sei gewiss, nur sie bringen Dich wirklich weiter!

Goethes Kaffee ist übrigens noch kochend heiß ...
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Ji Rina,

ich bin beeindruckt mit welcher Akribie du diesen Text untersuchst... Danke dafür.
Nö… Ich habe den Text einfach nur gelesen und als ich merkte, dass ich nicht ganz mitkam, habe ich die Stellen markiert. Hat 15 Minuten gedauert.
Nach und nach setzt sich bei mir ein Eindruck durch,
dass ich möglicherweise genauso an diese Geschichte kritisch herangehen würde,
wenn ich nicht etwas Entscheidendes wüsste:
Diese Geschichte ist keine von mir ausgedachte.
Sondern sie ist exakt so passiert, mit ihren Widersprüchlichkeiten.
Zum einen, ist es fast immer schlecht, wenn man eine Geschichte genauso schreibt, wie sie wirklich passiert ist. Zum anderen, hätte ich meinen Kommentar zu dieser Geschichte kein bisschen anders geschrieben, wenn ich das vorher gewusst hätte.
habe bewusst stehengelassen, dass ich drei, vier Adjektive zusammensetze,
um möglichst treffend zu sein, die mögliche Schwergängigkeit für den Leser in Kauf genommen.
Ja, denn es ist wohl schwieriger “nach dem treffendsten Adjektiv zu suchen” der alle anderen überflüssig macht. Genau das wäre aber die Aufgabe eines Autors. Nö, da setzt man einfach vier Adjektive hintereinander und hofft, der treffendste wird beim Leser schon ankommen, gell? ;)

Das mag falsch sein, nur wäre es eine komplett andere Geschichte, wenn ich sie auf ihre Wirkungsmöglichkeiten abklopfen würde,
Wenn du die überflüssigen Adjektive wegliessest, sowie die unzähligen Wiederholungen, oder Ausdrücke wie “Sentimentale Augen” “Haare wie ein Dackel, die man streicheln möchte”… etc…dann bliebe es immer noch die gleiche Geschichte, mit dem Unterschied, dass man sie besser verstehen / nachvollziehen könnte.
Lieber DocSchneider,
kritische Arbeit find ich gut, kenn ich, mag ich.
Das freut mich....
Lieber DocSchneider,

Diese Geschichte steht seit dem 2.2.20 im Netz, seit Februar bekam ich ausschließlich positive Rückmeldungen.
Und jetzt seit einigen Tagen ist alles falsch?
Tja, sowas soll es geben. Fünf positive Meldungen sagen nicht umbedigt aus, dass ein Text bestens geschrieben ist. Fünf negative Meldungen sagen auch nicht umbedingt aus, dass der Text miserabel geschrieben ist. Aber Gedanken über beide Kommentare, negative wie positive, sollte man sich als Autor vielleicht doch mal machen. Es sei denn, man wünscht sich nur die positiven Kommentare. Dann kann man die negativen natürlich mit X Ausreden ausblenden.:cool:

Lieber DocSchneider,

kritische Arbeit find ich gut, kenn ich, mag ich. Aber dann, wenn die Geschichte gerade eingestellt ist.
Und hier bin ich dann auch schon wieder raus....Diese Aussage bestätigt, wieviel Interesse du an deinem eigenen Text hast. Wieviel Interesse, eventuell etwas zu überdenken oder gar zu verbessern. Nö. Wozu? Hab doch fünf Positive Meldungen – und wenn noch vier weitere Meldungen kommen, die negativ sind…. Och nö...der Text ist doch schon vier Monate alt….

Ich wünsch noch viel Glück!

Gruss, Ji
 



 
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