Die Küche ist bei ihm

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Scal

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Glucksen im Trüben.
Die Türen überm Abwaschbecken sind zu, die Gläser glitzern. Kein kling kling kling.
Ungeöffnet haltbar bis siebzehnter September vierundzwanzig. Jemand wars. Hat gepresst, gedrückt.

Er legt die Kunststoffpackung langsam hin, leise.
Und jetzt?

Tatsächlich ist da irgendwie ein Leib, der macht bei allem mit.

Das Gegenüberfenster und sein Licht.
Dort klingen die Gitarren, die er nie gehört. Dort eilen sie und weilen sie. Ein Vorhang meldet Schatten.
Sie schnarchen wohl auch.

Haltbar bis September.
Und jetzt?
 
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Eine großartig gemachte intime Momentaufnahme, lieber Scal.

Eine Großtstadtgeschichte unter vielen - so scheint's.
Spannend, wie aus dem anfänglich leisen Glucksen im Trüben im Schein des reflektierten Lichts des Gegenüberfensters (was für eine herrliche Metapher!) etwas Großes, Gewichtiges wird. Ich mag, wie du die Geräusche-Welt mit hereinbringst - so kann ich auch den typischen Lärm des Innenhofs im Gemeindebau hören. Da rumpelt ein Mülltonnendeckel, dort weint der alleingelassene Hund...die Welt dreht sich weiter.

So weit, so gut.

Du hast gestern in einem Kommentar zu einem meiner Texte die Diagnose erwähnt. Hier plötzlich ergibt sie für mich Sinn.

Haltbar bis September.
Und jetzt?
Meine Mutter ist noch vor der ihr bekanntem "Ablauffrist" von "noch ca. 14 Monaten" in einem September gestorben. Im September davor hatte sie ihre Diagnose erhalten.
Tatsächlich ist da irgendwie ein Leib, der macht bei allem mit.
Vielleicht liege ich auch falsch in meiner Interpretation. Ihr Leib hat so viel mehr mitgemacht, als ich ihm je hätte zumuten wollen, wäre er meiner gewesen.
Dein Text findet und trifft mich genau da. Und tut weh. Vor allem, weil er so schmerzhaft gelungen ist.

LG,
fee
 
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Scal

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Liebe fee,

ich bewundere die Kraft Deiner Einfühlsamkeit.
Lieben Dank für diesen berührenden Kommentar!
 

Anni123

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eine gute Kurzprosa, Scal. Starke Bilder bis hin zum Haltbarkeistdatum und der Frage: Wie lange hält ein Mensch ( das aus)? Traurig, aber poetisch. So soll Kurzprosa sein...LG von Anni
 

Rachel

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Echt schön, Scal, mit "deinem" Gegenüberfenster in der LL (mit leuchtendem Bildschirm) einen ausbalancierten Text plus Reaktionen lesen zu können.

Scal schreibt: "Tatsächlich ist da irgendwie ein Leib, der macht bei allem mit."

Das klingt wie Gewahren durch Abstandnehmen, sich näher ... nähern. Den Leib entfremden und da-durch Leben und sein Werkeln bewohnen. Die Stelle ist besonders gelungen ... LG, Rachel
 

Scal

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O danke, Rachel, für den feinsinnigen Kommentar!
Ja, das Bemerken, Gewahren des Leibes ... schön wie Du das formulierst.

LG
 



 
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