die Liebe in der Physik

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Arcos

Mitglied
wenn die Abstände
immer kleiner werden
bis die Raumzeit
ihre Bedeutung verliert
und unsere Realität in viele
Wahrscheinlichkeiten zersplittert
versagen unsere Gleichungen

doch diese Winzigkeit
spannt das ganze Universum auf
Galaxien auf der Oberfläche
eines Regenschirms

es ist wie mit der Liebe:
sie entzieht sich allen Berechnungen
unsichtbar und nicht zu fassen
und doch bestimmt sie
das ganze Leben
 

Arcos

Mitglied
Vielen Dank wirena und Aniella für die Sterne.
Der letztendliche Urgrund unserer Existenz scheint nicht von dieser Welt zu sein.

Grüße
Önder
 

wirena

Mitglied
Guten Morgen Arcos
ich habe das Gedicht "die Liebe in der Physik" kopiert und ausgedruckt, damit ich es "en papier", geschützt in einem Klarsichtmäppchen, in den Händen halten kann, vor Augen habe, wann immer ich dies will und brauche. Ich hoffe, Du hast nichts dagegen -

besten Dank und schönen, guten, möglichst freudvollen Tag :)

LG wirena/verena
 

Arcos

Mitglied
Hallo verena,

schön, dass dir das Werk ein wenig Freude bereitet.
Damit hat es seinen Zweck erfüllt.
Das freut mich.

Grüße
Önder
 

Tula

Mitglied
Hallo arcos
Die Parallele von Liebe und Physik ist durchaus einleuchtend und witzig. Ein Vorschlag: Da diese Idee bereits aus dem Titel ersichtlich ist, würde ich Verse wie "es ist wie mit der Liebe" vermeiden und es bei hintersinnigen Vergleichen belassen, die sich die Leser ja selbst erarbeiten und weiterspinnen können.

LG Tula
 

Arcos

Mitglied
Vielen Dank Tula für die Sterne und deinen Eindruck.
Es ist interessant, das Werk aus verschiedenen Blickrichtungen und mit verschiedenen Augen zu betrachten.
Dadurch lernen und entwickeln wir uns immer weiter. Und es ist sehr wertvoll.

Grüße
Önder
 

sufnus

Mitglied
Hey Önder!
Eigentlich "versagen" im Bereich atomarer und ggf. subatomarer Dimensionen nur die Gleichungen der klassischen Physik.
Demgegenüber bietet ja die Quantenphysik nach meinem laienhaften Verständnis recht brauchbare mathematische Beschreibungen für diesen Wirklichkeitsausschnitt an.
Wobei es mir lieb wäre, wenn wir jetzt nicht in einen ggf. unfundierten Austausch über Unschärferelationen oder untote Katzen verfallen ;) - will meinen: Wenn Du "vom Fach" bist und uns jenseits eines "populärwissenschaftlichen" Niveaus über Zustandsvektoren aufklären möchtest: Feuer frei! Auf Weniger-als-Halbwissenniveau wirken sonst "Diskussionen" nach meinem Empfinden eher geistverdunkelnd. :)
Und irgendwie wirkt für mich der Sprung vom atomaren Mikrokosmos in den galaktischen Makrokosmos auch etwas unmotiviert und reduktionistisch. Ein Regenschirmmodell ist mir jetzt (wie gesagt: Laie) nicht geläufig, aber soweit ich das (Laie!) mitbekommen habe, sind aktuell eher mehr oder weniger euklidische Geometrien zur Beschreibung des Universums in der Diskussion (ich glaube, deshalb heißt auch dieses aufregende Weltraumteleskop "Euclid") und ein euklidisches Modell des Universums wäre ja dann eher ein Stapel Pfannkuchen als ein Regenschirm. Und jetzt wird's auch schon wieder reichlich unfundiert. Ich hör hier mal lieber auf. ;)
Schließlich bin ich auch mit der Beschreibung der "Liebe" nicht so recht glücklich. Nach meinen Beobachtungen ist im Leben der meisten Menschen zwar eine mehr oder weniger ausgeprägte Liebes-Sehnsucht (genauer: Geliebtwerde-Sehnsucht) zu konstatieren, aber auf der Ebene des dann realisierten Lebens findet sich, jedenfalls in den modernen Leistungsgesellschaften eine beachtliche Lieblosigkeit.
Vielleicht hat dieses Gedicht ja tatsächlich vor allem Gültigkeit für eine Welt, in der Gleichungen "versagen" und das Betrachter-Ich unter Regenschirmgalaxien unterschlüpfen kann. Ich fürchte nur (und das ist wirklich eine Befürchtung!), das Gedicht hat mit unserer Welt nicht allzuviel zu tun.
LG!
S.
 

Arcos

Mitglied
Hallo sufnus,

vielen Dank für deine ausführliche Rückmeldung – ich habe sie mit Interesse gelesen.

Du schreibst, dass nur die Gleichungen der klassischen Physik im Bereich des Allerkleinsten versagen. Das ist so pauschal nicht korrekt. In extremen Gravitationsfeldern, wie im Inneren eines Schwarzen Lochs, versagen auch die etablierten quantenmechanischen Beschreibungen – schlicht deshalb, weil es uns bisher nicht gelungen ist, eine konsistente Theorie der Quantengravitation zu formulieren. In solchen Singularitätsnähen kollidieren Relativitätstheorie und Quantenphysik fundamental – keine unserer „gültigen“ Gleichungen lässt sich dort widerspruchsfrei anwenden. Insofern war die Formulierung im Gedicht („unsere Gleichungen versagen“) durchaus wörtlich – nicht nur metaphorisch – gemeint.

Auch der „Regenschirm“ ist kein beliebig poetisches Bild, sondern eine bewusste Anspielung auf das holographische Prinzip, wie es etwa von Gerard ’t Hooft und Leonard Susskind entwickelt wurde. Die Idee, dass die physikalische Information eines Raumes vollständig auf dessen Randfläche beschrieben werden kann, hat nicht nur philosophische, sondern auch tief poetische Implikationen. Dass du dieses Bild nicht sofort zugeordnet hast, zeigt nur, wie offen solche Metaphern für Interpretation sind – und das ist durchaus gewollt.

Was die Liebe betrifft – ja, die gelebte Realität in modernen Gesellschaften ist oft lieblos. Aber gerade deshalb erscheint sie mir als etwas, das sich – wie die Quantennatur der Realität – den üblichen Berechnungen und Kontrollen entzieht. Nicht, weil sie irrational wäre, sondern weil sie tiefer liegt als das, was sich modellieren lässt. Das Gedicht will genau darauf hinweisen: Dass es Dinge gibt, die unser gesamtes Leben bestimmen, obwohl wir sie mit keiner Formel exakt fassen können.

Danke jedenfalls für deine ausführliche Auseinandersetzung – ich finde es immer bereichernd, wenn Gedichte Diskussionen anstoßen, auch kontroverse.

Grüße
Önder
 

sufnus

Mitglied
Hey Önder!
Vielen Dank für die Infos! Beim Stichwort der Raumzeit, "die ihre Bedeutung verliert" hätte es bei mir Klick machen können, die "vielen Wahrscheinlichkeiten" bekomme ich hier aber noch nicht so ganz einsortiert. Und wenn ich zur zweiten Strophe wechsele, scheinst Du Dich nicht ausschließlich auf die üblichen Krümmungssingularitäten zu beziehen, da Du da ja doch eine ziemlich makrokosmologische Brille aufsetzt. Oder ist das eine Anspielung auf das frühembryonale Universum vor der Planck-Ära?
Wenn ich Deine Ausführungen richtig deute, bist Du ja einigermaßen in dieser Materie "drin" - da würde ich mir dann wünschen, dass von diesem Hintergrundwissen noch ein bisschen mehr in den Zeilen aufscheint wird, gerade für physikalische Laien wie ich es einer bin, würde die dadurch aufgebaute, "solide" Verständnisgrenze einen (sozusagen transverständlichen) poetischen Raum erfahrbar machen (das passt sogar, bei leichter Überbeanspruchung des Bildes, ein bisschen zur Idee der Raumoberfläche als informationstragender Entität).
In der jetzigen Form wirken die "physikalischen Passagen" für mich immer noch ein bisschen "raunig", was durch etwas mehr "grundlagige" Substanz eigentlich behebbar sein müsste.
Wobei ich dann immer noch das Problem sehe, dass beim Sprung von der Physik zur "Liebe" wieder viel von dieser Substanz verloren ginge, bei diesem Transfer-Schritt droht m. E. wirklich ein gewisser Absturz ins Triviale und da wüsste ich jetzt - außer einem kräftigen Schuss Ironie auf Anhieb kein so rechtes Gegenmittel (glaube aber auch, dass Ironie Deine Intentionen nicht treffen würde). Das ist knifflig.
LG!
S.
 

Arcos

Mitglied
Hallo sufnus,

vielen Dank für deine erneute Rückmeldung – ich freue mich ehrlich darüber, wie genau du liest und wie ernsthaft du dich mit dem Text auseinandersetzt.

Zu den „vielen Wahrscheinlichkeiten“: Gemeint ist hier vor allem das quantenmechanische Bild, in dem ein Zustand nicht eine definierte Eigenschaft hat, sondern als Superposition mehrerer möglicher Zustände beschrieben wird – jede mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit. Sobald Beobachtung (bzw. Wechselwirkung mit der Umgebung) ins Spiel kommt, „kollabiert“ diese Superposition zu einer konkreten Realität. Dieses Bild, das z. B. auch hinter Konzepten wie der Dekohärenz steckt, ist für mich ein poetisch reiches Feld: Eine Welt, die nicht „ist“, sondern in Möglichkeiten schwingt – bis ein Ereignis, eine Begegnung, eine Entscheidung sie „realisiert“. Das ist zumindest das letzte kohärente Bild unserer eigenen Realität, bevor wir – in der Singularität des Schwarzen Loches oder im unendlich dichten Ursprungspunkt des Universums – endgültig den Faden verlieren und unsere Mathematik verstummt. Vielleicht ist genau das auch eine Parallele zur Liebe. Der Verstand versagt im Sturm der Gefühle. Nach einem gewissen Punkt existiert nur noch das Erleben ohne Worte und Gedanken.

Was den Makrokosmos betrifft: Der Mikrokosmos gebärt den Makrokosmos. Die gesamte Struktur, wie wir sie heute erleben – Galaxien, Raumzeit, Information – ist aus einer extrem dichten, unanschaulichen, raumlosen Phase hervorgegangen. Die Gesetze und Strukturen in diesem unendlich dichten Punkt waren aber entscheidend für die Entwicklung und Anordnung im Universum, nach der Inflationsphase. Das Bild eines winzigen Bakteriums, das mit einem Elektronenmikroskop erzeugt wurde, ist auf eine riesige Leinwand projiziert. Das wäre vielleicht die Analogie.

Dein Wunsch, dass sich etwas mehr vom physikalischen Fundament in den Zeilen „zeigt“, finde ich spannend – und nachvollziehbar. Gleichzeitig ringe ich mit genau dem Spannungsfeld, das du am Ende ansprichst: Wie kann man eine Brücke schlagen zwischen dem Abstrakten und dem Erlebbaren, zwischen Formeln und Gefühlen, ohne in Banalisierung oder Ironie zu kippen? Vielleicht ist Poesie ja gerade deshalb nötig, weil sie einen Raum eröffnet, in dem diese Dinge sich begegnen dürfen – jenseits von Nachweisbarkeit, aber nicht jenseits von Wahrheit.

Grüße
Önder
 

trivial

Mitglied
Lieber Arcos,

Verzeih mir bitte, falls meine Kritik in Ermangelung einer besseren Wortwahl etwas harsch rüberkommt.
Eventuell liegt das auch einfach nur an meinem begrenzten Verständnis des Themas.
Aber wenn man quantenmechanische Theorien ins Poetische überträgt, legitimiert man sie, setzt sie als Fundament – und nimmt ihnen damit das demütig Fragende.

Ein so fundamentales Gefühl wie die Liebe, so unerklärlich es auch ist, mit einer Theorie der Wahrscheinlichkeiten in Beziehung zu setzen, scheint mir in diesem Zusammenhang unglücklich. Denn so wird aus Wahrscheinlichkeit Wahrheit geformt, und die dahinterstehende Physik dient lediglich als Platzhalter für eine romantisch mystifizierte Entität.

Etwas Göttliches, eine transzendente Größe, wäre da deutlich tragfähiger – doch so wird entweder aus der Liebe bloß popkultureller Kitsch, um der Theorie emotionale Legitimität zu verleihen,
oder aber umgekehrt: Die Theorie der Unbestimmbarkeiten wird zum Fundament des vermeintlich Gewussten, zum Ausgangspunkt einer Sightseeingtour des Erlebbaren.

Beiden, so scheint mir, wird damit nicht gedient.

Wie gesagt, ich hoffe es kommt nicht kritischer rüber, als es gemeint war – diese wirren Gedanken gingen mir nur beim Lesen durch den Kopf, und wie ebenfalls gesagt, vielleicht ärgerte mich auch nur meine eigenes Unverständnis der Materie.

Liebe Grüße
Rufus
 

wirena

Mitglied
sorry, muss aber ebenfalls schreiben:


Vielleicht ist Poesie ja gerade deshalb nötig, weil sie einen Raum eröffnet, in dem diese Dinge sich begegnen dürfen – jenseits von Nachweisbarkeit, aber nicht jenseits von Wahrheit.
…grundsätzliche stimme ich da Arcos vollkommen bei – anderseits mit der Formulierung:

«jenseits von Nachweisbarkeit, aber nicht jenseits von Wahrheit»

steht schon die Frage im Raum:

welche Wahrheit?

Doch Arcos Aussage,

dass die Poesie einen Raum eröffnet, in dem dieses Erleben sich begegnen darf

stimmt vollkommen mit Wikipedia überein.

Zitat Wikipedia.

….Der Begriff bedeutet im übertragenen Sinn ferner eine bestimmte Qualität. So spricht man etwa von der „Poesie eines Moments“ oder einem „poetischen Film“[1] und meint damit in der Regel, dass von dem Bezeichneten eine sich der Sprache entziehende oder über sie hinausgehende Wirkung ausgeht, etwas Stilles, ähnlich wie von einem Gedicht, das eine sich der Alltagssprache entziehende Wirkung entfaltet.

Ja, und dann kommen wir zur Frage, was ist und soll Kunst? Poesie ist in ihr beheimatet. Ich hoffe, dass da ein weites Feld von Toleranz und gegenseitigem Respekt und Wohlwollen zu finden ist.

…hmm soviel zu meinen Gedanken, die geschrieben werden wollten… LG wirena
 

Arcos

Mitglied
Hallo Rufus,

Vielen Dank für deine ehrliche und differenzierte Rückmeldung – gerade weil du sie mit so viel Vorsicht formulierst, nehme ich sie umso ernster.

Was du ansprichst, ist tatsächlich ein heikler Punkt: Wenn man die Begriffe der Physik ins Poetische überführt, läuft man Gefahr, sie zu „romantisieren“ – oder, schlimmer noch, zu banalisieren. Ich sehe das genauso. Und doch ist es gerade diese Spannung, die mich interessiert: die Begriffe der Physik nicht als fertige Erklärungen zu benutzen, sondern als Metaphern für das, was sich dem Erklären entzieht.

Ich wollte die Quantenphysik nicht als Fundament der Liebe einsetzen – eher umgekehrt: Die Unschärfe, die Vieldeutigkeit, die Nicht-Lokalität… das alles ist für mich ein Bild dafür, wie sehr sich bestimmte Dimensionen unseres Erlebens – wie etwa die Liebe – der Sprache der Gewissheiten entziehen. Die Physik steht hier nicht als Erklärungsmodell, sondern als Spiegel des Nicht-Erklärbaren.

Du hast recht: Es ist ein schmaler Grat zwischen poetischer Tiefe und mystifizierender Behauptung. Aber gerade deshalb finde ich Poesie so spannend – weil sie riskant ist. Sie behauptet keine Wahrheit, sondern stellt Resonanzräume her. Und manchmal entstehen dabei Reibungen wie die, die du jetzt sehr eindrücklich benennst.

Deine Kritik ist keine „wirre“ Gedankenfolge, sondern eine sehr feine ethisch-poetische Reflexion. Ich danke dir dafür – und für deine Bereitschaft, dich mit dem Text so ernsthaft auseinanderzusetzen.

Kurz gesagt: Der Urgrund unserer Existenz ist nicht fassbar und berechenbar. Und doch bestimmt er unsere gesamte Wirklichkeit, wie die Liebe.
Noch kürzer formuliert: Der Verstand ist zwar sehr nützlich, aber nicht das universelle Werkzeug. Er sitzt auf den Schultern eines Riesen und ist sehr laut. Der Riese jedoch ist sehr leise, einfühlsam, akzeptierend, verständnisvoll, hingebungsvoll…



Hallo wirena,

vielen Dank für deine Worte.
Es ist wohltuend zu lesen, dass du dem poetischen Raum, den ich zu eröffnen versuche, nicht nur mit Toleranz, sondern mit echtem Verstehen begegnest.

Du stellst zu Recht die Frage: Welche Wahrheit? Und genau darin liegt für mich der poetische Kern. Es geht nicht um Wahrheit im Sinne von Beweisbarkeit oder Objektivität – sondern um eine Art resonierende Wahrheit, eine, die sich nicht festnageln lässt, aber dennoch spürbar ist. Vielleicht eine Wahrheit im Moment, im Erleben, im Dazwischen.

Ich finde es auch sehr schön, dass du die Definition aus Wikipedia aufgegriffen hast – der Hinweis auf das „sich der Alltagssprache Entziehende“ trifft sehr gut, was ich beim Schreiben gespürt habe. Genau dort beginnt für mich Poesie – nicht als Behauptung, sondern als Möglichkeit.

Und ja: Kunst ist ein weites Feld. Aber sie braucht – wie du sagst – Toleranz, Respekt und Wohlwollen. Auch und gerade im Gespräch über sie. Danke, dass du daran erinnerst.

Grüße
Önder
 
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