Die Magie des Augenblicks

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rainer Genuss

Mitglied
Ich war auf dem Weg nach Südfrankreich. Es war 2 Uhr nachts auf der Autobahn "Route du soleil".
Meine Familie schlief tief und fest in den Autositzen. Müdigkeit überfiel mich, deshalb beschloss ich sicherheitshalber eine Rast einzulegen.
Gedankenfetzen kreisten in meinem Kopf:


Pausenstopp einlegen. Runter von der Autobahn. Gas wegnehmen. Die Hand bewegt mechanisch das Lenkrad. Gehört sie zu mir?. Langsamer werden und ausrollen lassen. Der Motor dröhnt beim Runterschalten. „Airie de St. Ambroil“ lese ich auf dem Abfahrtschild.
Also schnell die Beine vertreten und frische Luft schnappen.
Nach ein paar Schritten hocke ich wie ein Farmer auf dem Holzgatter der Rasenabtrennung vor den parkenden Autos, die hektisch vorbei eilenden Tankstellenbesucher beobachtend. Alle müde, manche lachen und freuen sich über die Ablenkung. Mit schnellen Schritten strömen sie, wie magisch angezogen, den großen, warm leuchtenden Fenstern der Raststätte entgegen.
Den leeren Parkplatz vor mir steuert ein alter, roter Familien-Van an. Der Renault rollt verbeult, verstaubt und klappernd in die Parkbucht. Die Innenbeleuchtung schaltet sich ein und ein mattes Licht, das die Dunkelheit nicht beleidigen will, beleuchtet die Szene. Im Fond des Wagens erkenne ich schemenhaft einen jungen Mann, hager, müde mit unrasierten Gesichtszügen. Trotz aller Tristesse wirkt er sympatisch und gelassen auf mich. Er steigt mühsam aus. Seine Bewegungen sind seltsam starr, disharmonisch und ungelenk. „Wieder einer, der zu lange gefahren ist und jetzt mit seinen steifen Knochen kämpft“, denke ich.

Dann sehe ich, wie der jungen Mann bei jedem Schritt mit seiner rechten Hand am Auto Halt sucht, während er sich mühsam von der Fahrertür zur Beifahrerseite hangelt. Er muss sich festhalten, denn seine Beine gehorchen ihm nicht. Sie behindern ihn. Ich erkenne den typisch ausholenden Gang, bei dem die Beine aus der Hüfte nach vorne geworfen werden, weil alle Gelenke steif und unbeweglich sind. Seine Schritte sind eine einzige Anstrengung. Die Beine wackeln unkontrolliert und tragen den gesunden Oberkörper nur widerwillig. Jeder Schritt, absetzen, Gleichgewicht suchen, anheben, nach vorne schleudern, absetzen…
Dennoch schafft er es zu den hinteren Kindersitzen, öffnet die Tür und reicht eine Hand nach innen.
Ein kleines Mädchen, vielleicht 8 Jahre alt, mit schulterlangen, kastanienbraunen Zöpfen ergreift seine Hand. Beide lachen sich an. In einem roten Sommerkleid mit weißen Tupfen springt es flink aus dem Wageninneren, immer die Hand des Vaters haltend.
Sie wirken untrennbar miteinander verbunden. Der Anblick lässt mich staunen.

Alles, alles ringsumher verschwindet. Die Dunkelheit, die Behinderung, die Fahrzeuge, die Autobahn, alles bedeutungslos. Ihre Gesichter leuchten vor Freude. Ich sehe ein vollkommenes Bild. Beide schlendernd lachend, Hand in Hand an mir, den sie gar nicht wahrnehmen, vorbei.
 
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Bellador

Mitglied
Hallo Rainer,

da das ganze in Frankreich abläuft, hat deine Erzählung meine Interesse geweckt (habe dort 5 Jahre gelebt).
Die Geschichte hat mich mitgenommen und ich fühlte Freude bei dem Moment Vater-Tochter. Die Aussage am Anfang ist damit nachvollziehbar.

Mir wurde durch diesen vollkommenen Augenblick tiefster Zuneigung klar, dass die Botschaft der Liebe uns nicht immer dann und dort erreicht, wo und wenn wir sie erwarten.
Im ersten Teil wären ein Paar Kleinigkeiten zu korrigieren.

"Es war 2 Uhr nachts auf der Route du soleil"
Hier fehlt ein Punkt am Ende. Warum danach so viel Abstand zu dem nächsten Abschnitt?

Und fehlt hier etwas?
"Gedanken, versunken in meinem Kopf:"

Allgemein finde ich die leere Abstände zu groß.

Sehr gerne gelesen!

LG Bella
 
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Vagant

Mitglied
Allgemein finde ich die leere Abstände zu groß.
Die Abstände sind nicht nur zu groß, sie ergeben überhaupt keinen Sinn. Es spielt alles zu einer Zeit und an einem Set, somit gehört alles zu einer Szene. Diese Absatzarbeit mag für denen einen oder anderen gefällig daherkommen, mir vermiest das nur den Lesefluss.
 

rainer Genuss

Mitglied
Hallo Vagant
Das mit den Abständen ist eine gute Kritik.
Aber die von mir beschriebene Behinderung des Vaters, die Folgen einer Kinderlähmung als Slapstickeinlage zu bezeichnen, erinnert mich an die Clownerie, Verhornballung des Hr. Trumps, der sich bei einer Pressekonferenz über die Körperbehinderung eines Journalisten lustig machte.
Vielleicht ist Dir auch entgangen, dass ich diesen Augenblick wirklich erlebte.
Nun, Deine Bewertung gefällt mir. Dein Bewertungskommentar nicht. Ich stelle mir gerade vor, wie es auf einen, für sein ganzes Leben körperbehinderten Menschen wirken würde, wenn man sein beschwerliches Gangbild als Slapstickeinlage bezeichnen würde.....
Absatz und Abstand

Dennoch danke für Deine Betrachtungen
Gruß Rainer
 
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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Rainer,

eine kleine gelungene Szene, ich lasse sie mal bei den KG stehen!

Mir fiel nur auf: Die spastische Lähmung erschwert dem jungen Vater das Gehen. Wie geht er dann mit einem Kind an der Hand? Da muss er ja fast eher seine Tochter stützen ?
Beide schlendernd lachend,

Diese Stelle meine ich. Dass beide schlendern, passt m.E. nicht.

Viele Grüße

DS
 

rainer Genuss

Mitglied
Hallo Doc
danke für den Hinweis, stimmt.
Gehen reicht hier. Ich weiß auch gar nicht mehr, wie die Beiden das hinbekommen haben, weil ich einfach von ihrer Erscheinung geblendet war.
LG Rainer
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Hallo @rainer Genuss, dieses Blitzlicht macht Deinem Nick alle Ehre: Für mich wars ein reiner Genuss, zu lesen.
Nur ein Vorschlag: Hier würde ich das "tiefster Zuneigung" weglassen. Weil ein vollkommener Augenblick meiner Ansicht nach keine Erklärung braucht - oder zumindest nicht nur diese eine Zuschreibung "tiefste Zuneigung", denn es war ja viel mehr als nur diese Zuneigung dieser beiden Reisenden, es war die Reise, die besondere Situation, Deine Verfassung, der Ort, die Szene ... und Deine absichtslose, offene und teilnehmende Beobachtung, durch die diese unerwartete Anrührung erst möglich wurde.


Mir wurde durch diesen vollkommenen Augenblick klar, dass die wichtigsten Botschaften uns nicht immer dann und dort erreichen, wo und wenn wir sie erwarten.
 

rainer Genuss

Mitglied
Hallo Isbahan,
vielen Dank für Deine Betrachtung, Sichtweise und Anregung.
Ich hab es weggelassen, so kommt es nüchterner und besser
LG Rainer
 



 
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