Die Nerven flossen aus dem Bettbezug (Sonett)

4,80 Stern(e) 6 Bewertungen

James Blond

Mitglied
Lieber Bernd,

schön, dass wir uns beim Thema Buback und auch beim Hoddis-Bezug einig sind: Es stört hier nur, auch wenn ich Parallelen zu "Weltenende" sehe.

Was den Staub, bzw. die Stäube anbelangt, bleibe ich dabei: Der Plural wirkt (für mich) hier deplatziert. Er hebt den Begriff von der subjektiven Erfahrung (einer längeren Gesundheitsbelastung) ins Technisch-analytische.

Überhaupt scheinen die Metaphern hier ihren metaphorischen Charakter durch den weitgehenden Verzicht auf Adjektive einzubüßen, bekommen eine unmittelbare Realität, was die groteske Wirkung hervorruft. Die geht allerdings auf Kosten einer melancholisch-tragischen Ausstrahlung, weil nun nicht mehr das leidende Subjekt im Vordergrund steht, sondern die hanebüchenen Ereignisse. Die groteske Wirkung entfaltet sich allerdings auch nur im kleinen Rahmen, weil die geschilderten Zustände andererseits sämtlich im Krankheitsumfeld konnotiert und somit erwartbar sind. Mit anderen Worten: Das Sonett ist (nach meiner Einschätzung) ein Hybrid, jedoch weder Fisch noch Fleisch.

Grüße
JB
 
Zuletzt bearbeitet:

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Er hebt den Begriff von der subjektiven Erfahrung (einer längeren Gesundheitsbelastung) ins Technisch-analytische.
Lieber James, danke für die Antwort.

Ich sehe es eher ins magisch-poetische geschoben ...

PS: Mir fiel der entscheidende Begriff wieder ein: Es ist ein absurdes Gedicht. (Hoddis' ist expressionistisch.)
 

James Blond

Mitglied
Lieber James, danke für die Antwort.

Ich sehe es eher ins magisch-poetische geschoben ...

PS: Mir fiel der entscheidende Begriff wieder ein: Es ist ein absurdes Gedicht. (Hoddis' ist expressionistisch.)
Lieber Bernd,
danke für deine Antwort. Natürlich habe ich dazu gleich wieder einige Rückfragen:

  • Magisch poetische Stäube - was sollte das sein? Vielleicht Blütenstäube? Es tut mir leid, aber an der Zusammenstellung mit der "dicken Luft und der genügenden Stäube" kann zumindest ich nichts Magisches entdecken.
  • Was das Absurde anbelangt, so zitiere ich mich ungern selbst, aber hier erwähnte ich es bereits:
Mein hauptsächlicher Kritikpunkt besteht in der ruhigen, sachlichen Sprache, mit der hier Haarsträubendes erzählt wird. Dadurch wird der Effekt des Absurden so weit verstärkt, ...
Wir sind insofern einer Meinung, als dass es sich hier um ein Sonett mit einem gewissen absurden Charakter handelt. Ob es damit zu einem absurden Gedicht wird, weiß ich nicht, weil mir der Begriff nur wenig sagt. Auch halte ich wenig von Kategorisierungen (expressionistisch oder absurd, surrealistisch oder avantgardistisch), sofern damit eine Aufwertung, Legitimierung oder Erläuterung verbunden sein soll.

Das Sonett ist das, was es ist. Ich schrieb bereits, dass es für mich weder Fisch (als ein melancholisch-lyrischer Blick auf die eigene Befindlichkeit) noch Fleisch (als eine sich steigernde Anhäufung unzusammenhängender Absurditäten) ist.

Mich würde interessieren, wie du dazu stehst und warum du für solch einen Text das Sonett als geeignete Form gewählt hast.
(Mich würde ferner interessieren, was die anderen zu ihrer Sternchenvergabe veranlasst hat. Ich will's nicht kritisieren, ich möchte es nur verstehen. )

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Linné spezifiziert es als Siebenauge, der vierzehn Kiemenspalten wegen. Dann ist es kein Fisch, sondern ein Kiefernloses.
 
Hallo Bernd,

wenn man sich inhaltlich einem absurden Gedicht zu nähern versucht, schlittert man wahrscheinlich wie die Kuh auf dem Glatteis herum. Ich gebe trotzdem einmal die Kuh.

Der in V1 auf der Brust des lyrischen Ichs hockende Alb ist ja ein gängiges und interessantes Motiv aus der Malerei. Zwei Bilder habe ich noch auf der Netzhaut, einmal der „Nachtmahr“ von Johann Heinrich Füssli und der „Mareridt“ von Nicolai Abraham Abildgaard. Für mich Bilder irrationaler Ängste, Ohnmachtsgefühle und Hilflosigkeit, an die hier im Gedicht angeknüpft wird. Ängste bezüglich Corona liegen nahe („dicke Luft“, „Stäube“, also Viren etc.) – aber natürlich könnte damit auch etwas ganz anderes gemeint sein – (die Klassifizierung „absurd“ lässt da ein wenig auf die Bremse drücken …).

In V2 scheint mir das lyrische Ich diesem Ohnmachtsgefühl entkommen zu wollen – es gibt sich Machtwünschen, die in archaischen Bildern geschildert werden, hin und dreht quasi den Spieß um. Die Gefahr, verkörpert durch die Allegorie des Riesen (auch hier ein Motiv aus der Malerei, z. B. bei Goyas Riesendarstellungen), wird durch einen kannibalistischen Akt gebannt – so, wie ein Kopfjäger durch das Verzehren seines Feindes auf neue „Power“ hoffte.

Im ersten Terzetten erwachsen dem lyrischen Ich dann offensichtlich Superkräfte kosmischen Ausmaßes, man erinnert sich an Marvells Comicwelten – allerdings schmunzelt das Lyrich an dieser Stelle schon über sich selbst, wie sich besonders in den letzten zwei Versen zeigt:

„Auch in Gedanken komme ich nicht weit./Im leeren Nebenzimmer sinnt mein Klon.“

Der Klon spiegelt dem Lyrich, dass sich an der eigentlichen Ausgangssituation, nach dem Akt der Wirklichkeitsflucht, nichts geändert hat.
Insgesamt also eine tragikomische Selbstbespiegelung, ein Kopfschütteln vielleicht über eigene Bewältigungsstrategien in einer Krisensituation…

So, jetzt aber schnell wieder runter vom Glatteis!

Gruß,
Artbeck
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Sehr schön, Artbeck. Und jetzt ist auch das bessere Wort da: "Maar" - das klingt an dieser Stelle viel imposanter. Danke sehr. Ja, die Selbstironie ist da. Auch die Ohnmacht angesichts des universellen Ausmaßes.


Die Nerven fließen aus dem Bettbezug,
doch ich bin wach und denke nicht dabei,
auf meinem Brustkorb hockt ein Maar wie Blei,
die Luft ist dick, der Stäube sind genug.

Dem Riesen, den ich in der Nacht erschlug,
als ich noch träumte, ist es einerlei,
er wandelt sich in einen Haferbrei,
ich schlinge, nehme gierig aus dem Krug

noch einen Schluck der neuen Ewigkeit,
ich bin so voll, es folgt die Explosion,
ein Feuerwerk erzeugt ein Funkenkleid

und alles brennt, es duftet nach Ozon,
Auch in Gedanken komme ich nicht weit.
Im leeren Nebenzimmer sinnt mein Klon.
 



 
Oben Unten