Die Professoren II - Durchführung

Ruriro

Mitglied
Hier geht es zu Teil 1... : Die Professoren I - Versuchsaufbau

Die Professoren II – Durchführung

Kriminalkommissar Harald Esser setzte sich in den Zuschauerraum des Theaters und beobachtete die Probe mit Kostüm auf der Bühne. Betty Blue war eine hübsche junge Frau, passenderweise mit blauen Haaren und Augen, klein und schmal. Für die Julia bekam sie eine braune Perücke und lief mit ausschweifenden Gesten über die Bühne. Für Esser sah es recht planlos aus. Aber von Theater hatte er keine Ahnung.
Nach einer halben Stunde bemerkte Betty Blue, dass sie beobachtet wurde. Irritiert kam sie von der Bühne.
„Wer sind Sie denn?“
„Harald Esser, Kriminalkommissar“, sagte Esser, reichte ihr eine Visitenkarte und die Hand. „Ich habe ein paar Fragen zum Tod von Benedikt und Lisa Hauser.“
Sie wurde schlagartig kreidebleich und begann zu schwanken. „Benedikt und Lisa…?“
„… sind tot, ja“, sagte Esser, packte ihren Arm und setzte sie auf einen der Sessel.
„W-wann?“, stammelte sie.
„Vor zwei Wochen.“
„Aber – das ist völlig unmöglich!“, rief sie panisch und klammerte sich an Esser fest. „Benedikt ist doch keine dreißig! Wie kann er da tot sein?“
Esser tätschelte ungeschickt ihre Hand. „Sie haben doch bestimmt vom erweiterten Suizid gehört, das war ja gleich um die Ecke. Benedikt hat erst seine Frau und dann sich selbst umgebracht.“
Betty Blue alias Jennifer Winter brach ansatzlos in Tränen aus. Der Regisseur, der die Szene eher wütend als mitfühlend verfolgt hatte, brach resigniert die Probe ab und verließ den Raum. Esser und Jennifer Winter waren allein.
„Wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu Benedikt Hauser?“, fragte er nach einer Weile, als das krampfhafte Schluchzen langsam verebbte.
„Das muss schon Monate her sein“, antwortete sie mit tränenerstickter Stimme. „Wir hatten keinen besonders regelmäßigen Kontakt, sind ab und zu was trinken gegangen.“
Esser saß mit einem Schlag kerzengerade. „Monate?“
„Ja, zwei ungefähr“, sagte sie und schniefte. „Wenn Sie einen Moment warten, kann ich nachsehen. Mein Handy liegt in der Garderobe.“
„Ja, das wäre sehr hilfreich.“
Sie lief durch das Theater, quer über die Bühne und verschwand. Wenn sie vor zwei Monaten zuletzt Kontakt zu Benedikt Hauser hatte, dann stimmte hier etwas ganz und gar nicht. Konnte man die Identität einer Person so sehr fälschen?
Schritte in der Ferne kündigten ihre Rückkehr an. Als sie vor ihm stand, hielt sie ihm ihr Handy hin. „Da, sehen Sie? Das ist seine letzte Nachricht. Ziemlich genau zwei Monate alt.“
Esser sah auf den Bildschirm und konnte es kaum glauben. Er zückte sein eigenes Handy und rief Jochen Kircher an.
„Ja?“
„Kircher, ich stehe hier mit unserer Betty Blue und sie zeigt mir ihr Handy. Der letzte Kontakt zu Benedikt Hauser war vor zwei Monaten.“
Kircher schwieg. „Können wir ihr Handy zur Untersuchung haben?“
Esser leitete die Frage weiter.
Sie runzelte die Stirn. „Was ist denn überhaupt los?“
Er seufzte. „Kircher, ich ruf Sie später wieder an“, sagte er, legte auf und wandte sich der Schauspielerin zu.
Sie hörte zu, zunehmend entsetzt.
„Jemand hat unter meinem Namen mit Benedikt geschrieben und ihn dazu gebracht seine Frau zu ermorden?“ Sie schrie es fast.
„Das ist jedenfalls unsere Theorie“, nickte Esser. „Wir brauchen jetzt Beweise.“
Mit entschlossen zusammengepresstem Kiefer reichte sie ihm ihr Handy. „Machen Sie damit, was Sie wollen. Ich hoffe, es hilft Ihnen.“

Während Jochen Kircher versuchte, Betty Blues Handy alle möglichen Informationen zu entlocken, verfolgte Harald Esser die Spur zur Universität. Montag morgen stand er vor dem Hauptgebäude. In der Tasche hatte er ein Foto von Benedikt Hauser und einen Plan der Vorlesungen der Fachbereiche Psychologie und Informatik für die ganze Woche. Zusätzlich hatte er Termine mit den Leitern der jeweiligen Institute. Nicht, dass er sich Großartiges davon versprach. Bei diesen Rieseninstituten war es unwahrscheinlich, dass sie sich an einen konkreten Studenten erinnern konnten, der nicht mal auf irgendwelchen Namenslisten auftauchte.
Der Termin am Institut für Psychologie führte ihn zu Frau Professor Jäger, die ihn ziemlich ratlos ansah, nachdem er ihr sein Anliegen geschildert hatte.
„Von diesem Fall habe ich natürlich gehört. Dieses Foto ist aber leider nicht sehr aussagekräftig. Sie verstehen sicher, dass wir sehr viele Studierende haben, alleine in diesem Semester sind fünfhundert neue Erstsemester dazu gekommen.“ Sie überlegte eine Weile. „Beliebte Vorlesungen sind natürlich solche zur forensischen Fallanalyse und Einführungen in die Psychotherapie. Haben Sie den Plan gerade zur Hand?“
Esser reichte ihn über den wuchtigen Schreibtisch.
„Hmm… Ja, ich würde es in der Vorlesung von Herrn Schmidt versuchen, heute um 16 Uhr, Hörsaal acht. Die Veranstaltung richtet sich an Hörer aller Fakultäten, daher auch dieser reißerische Titel: ‚Einführung ins Profiling‘. Eigentlich geht es da um etwas ganz Anderes. Möchten Sie vielleicht Herrn Schmidt selbst auch sprechen?“
„Das wäre sehr gut“, sagte Esser.
Frau Jäger griff zum Telefon auf ihrem Schreibtisch und musste einige Male verbunden werden. Nach einem kurzen Wortwechsel legte sie auf.
„Herr Schmidt wartet in seinem Büro auf Sie“, sagte sie und lächelte. „Einfach den Gang runter, dritte Tür links.“
„Vielen Dank“, sagte Esser und erhob sich.
„Bitte lassen Sie es mich wissen, wenn ich sonst noch was tun kann“, sagte Frau Jäger und reichte ihm die Hand. „Viel Erfolg.“

Prof. Dr. Dr. med. Reiner Schmidt stand auf dem dezenten Messingschild an der angegebenen Tür. Mehr Titel hätten da auch nicht drauf gepasst, schoss es Esser durch den Kopf.
Er klopfte an und nach einer kurzen Pause ertönte ein leises „Herein“.
Reiner Schmidt war trotz der vielen Titel ein untersetzter, leicht korpulenter Mann mit angehender Glatze und einem wuchtigen Brillengestell auf der Nase.
„Sie müssen Herr Esser sein“, sagte er und erhob sich. „Ich hoffe, dass ich Ihnen behilflich sein kann.“
„Frau Jäger hat Ihnen ja gerade am Telefon schon erläutert, weswegen ich hier bin“, begann Esser. Er schob Benedikt Hausers Foto über den Tisch. „Können Sie sich zufällig an diesen Mann in einer Veranstaltung erinnern?“
Schmidt nahm das Foto in die Hand und betrachtete es lange. Eine nahezu unmerkliche, unwillkürliche Reaktion seiner Augen sagte Esser, dass er ihn erkannt hatte.
„Nein“, sagte Schmidt schließlich. „Bedaure. Es ist aber gut möglich, dass er trotzdem da war. Sie verstehen sicher, in jeder meiner Vorlesungen sitzen um die hundert Studierende.“
„Natürlich“, sagte Esser und steckte das Foto wieder ein.
„Geht es um diesen schrecklichen Fall von erweitertem Suizid?“
„Ja“, sagte Esser. „Wir versuchen die genauen Umstände zu rekonstruieren.“ Einer plötzlichen Eingebung folgend lenkte er die Unterhaltung auf eine andere Schiene, als er das ursprünglich vorgehabt hatte. „Wie Frau Jäger mir sagte, haben Sie die Professur für klinische Psychologie. Wir stehen bei diesen Ermittlungen vor einem Rätsel. Was können Sie mir zu dem Phänomen von erweitertem Suizid sagen?“
„Nun“, begann Schmidt und faltete die Hände über dem Bauch. „Dieses Verhalten ist selten und nur wenig erforscht. Prinzipiell gelten die gleichen Voraussetzungen, wie sie auch für einen Suizid Bestand haben: akute Verzweiflung, Depressionen, Sie kennen die einzelnen Ausprägungen ja sicher aus Ihrem Beruf. Hier ist lediglich die Perspektive vorherrschend, dass der- oder diejenige nicht alleine sterben will, sondern Menschen der näheren Umgebung ihm im Tod… gewissermaßen Gesellschaft leisten sollen. Populär ist beispielsweise die Umsetzung im Lied Alles aus Liebe von den Toten Hosen, Sie kennen das sicher.“
Esser nickte.
„Persönlich halte ich den erweiterten Suizid, oder welche Formulierung Sie dafür auch immer wählen wollen, für wahrscheinlicher, wenn die betreffende Person eine psychische Vorerkrankung hatte, wie es in diesem Fall ja auch war. Dabei ist dann der Erfolg der eingeschlagenen Therapie irrelevant. Rückfälle kann es gerade in der Psychotherapie in jedem Stadium und auch völlig überraschend geben.“
Esser gab sich Mühe, seine plötzliche Erregung zu verbergen. „Ich verstehe“, sagte er und erhob sich. „Vielen Dank für diese Einschätzung, Sie haben mir sehr geholfen. Ich will Ihnen nicht mehr von Ihrer Zeit stehlen.“
Sie schüttelten sich die Hände.
„Jederzeit“, sagte Schmidt und lächelte. „Sagen Sie mir Bescheid, wenn ich Ihnen noch anderweitig helfen kann.“
„Wiedersehen“, sagte Esser und schloss die Tür hinter sich.
Als er sicher war, dass er nicht beobachtet wurde, gestattete er sich ein breites Grinsen, gefolgt von einem verzweifelten Seufzen. Die Vorerkrankung von Benedikt Hauser war nirgendwo bekannt gegeben worden, darauf hatten die Ermittler strikt geachtet. Nur – was sollte er jetzt mit dieser Information anfangen?

Nachdem er sich einen Kaffee besorgt hatte, machte er sich auf die Suche nach dem Institut für Informatik. Die Beschilderung war schlecht und die meisten, die er fragte, konnten ihm auch nicht helfen. Schließlich wurde er im Keller des Nebengebäudes fündig. Der Direktor schien den Termin jedoch vergessen zu haben, nach Auskunft seiner Sekretärin war er an diesem Tag überhaupt nicht da. Sie verschob den Termin auf den nächsten Tag.
„Welche Vorlesungen in Informatik halten Sie denn für besonders beliebt?“, fragte Esser und hielt der Frau unaufgefordert den Institutsstundenplan unter die Nase.
„Oh, das ist leicht“, sagte sie sofort. „Das sind die Vorlesungen von Professor Kramer zur Künstlichen Intelligenz. Morgen Nachmittag, 14 Uhr. Es ist der größte Hörsaal, am anderen Ende vom Campus. Die Veranstaltungen sind für Hörer aller Fakultäten geöffnet, deswegen ist der Andrang immer sehr hoch. Wenn Sie sich das anhören wollen, müssen Sie früh da sein.“
„Danke“, sagte Esser und steckte den Zettel wieder ein. „Ist dieser Herr Kramer denn zu sprechen? Wo ich schon mal hier bin.“
„Moment, ich rufe an“, sagte die Frau und griff zum Telefon.
Professor Kramer war gerade in einer Besprechung, wurde jedoch in einer Stunde zurück erwartet. Zehn Minuten Platz hatte er in seinem Zeitplan, die er gerne dem Herrn Kommissar opfern werde. Aber allerhöchstens zehn, mehr war nicht drin.
„Nun denn, besser als nichts“, sagte Esser zur Sekretärin.
„Wenn Sie ihn gnädig stimmen wollen, können Sie ihm einen Kaffee mitbringen. Zweimal Milch, dreimal Zucker.“
„Danke für den Hinweis“, brummte er.
Er ging zurück zum Unicafé, holte sich eine Tageszeitung und einen weiteren Kaffee. „Kaffee mitbringen“, murmelte er vor sich hin. „Also ehrlich, ich bin doch keine Sekretärin!“
Nachdem er einen Artikel zu Datenschutz bei Messengerdiensten gelesen und nur die Hälfte verstanden hatte, wählte er die Nummer von Kircher.
Nach dem dritten Klingeln hob er ab.
„Hallo, Kircher, Esser hier. Ich bin in der Universität und habe gleich einen Termin mit so einem Informatikprofessor für Künstliche Intelligenz. Gibt es noch etwas Konkretes, was Sie für unseren Fall wissen müssten?“
„Nein“, sagte der, nachdem er kurz überlegt hatte. „Eher nicht. Brauchen Sie denn noch irgendwelche Hilfestellungen, bevor Sie mit einem Fachmann sprechen?“
„Wie weit sind Sie mit dem Handy von Betty Blue?“
„Nun, ich bin noch nicht fertig. Was ich bisher sagen kann, ist, dass es Spuren gibt, die darauf hindeuten, dass die Nachrichten auf dem Handy zwar eingegangen, aber weitergeleitet und gelöscht wurden. Es ist schon ordentlich Arbeit, sich in solche Apps zu hacken und die Daten ohne Spuren umzuleiten. Deswegen glaube ich, dass das Handy selbst genutzt wurde, um dieses Hintertürchen einzubauen. Betty Blue könnte es verloren haben und der Täter hat die Zeit genutzt. Alles natürlich unter Vorbehalt, bis ich mehr weiß. Aber gerade die App, die die Beiden benutzt haben, ist für solche leicht zu nutzenden Hintertürchen bekannt. Möglich ist es also auf jeden Fall. Trotzdem ist das ein riesiger Aufwand und erfordert sehr großes Fachwissen. Es ist möglich, aber derjenige müsste schon eine hohe Motivation haben, um da so viel Aufwand reinzustecken. Ich schätze mal, dieser Professor kann Ihnen Namen nennen, die die nötigen Fachkenntnisse besitzen. Mit wem haben Sie den Termin?“
„Ein Herr Kramer“, antwortete Esser.
„Der wird es auf jeden Fall wissen“, sagte Kircher sofort. „Kramer ist Experte in Sachen Kryptographie und Künstliche Intelligenz, der Chef von meinem Mann. Der kann Ihnen genau sagen, wie wahrscheinlich dieses Szenario ist.“
„Okay“, sagte Esser. „Haben Sie schon eine Ahnung, mit wem Benedikt sich stattdessen unterhalten hat?“
„Ich arbeite dran und habe einige Programme, die noch laufen müssen. Benedikts Laptop sieht bisher aber unverdächtig aus. Ich sage Ihnen Bescheid, sobald ich mehr finde.“ Kircher zögerte etwas.
„Gibt es mehr?“
„Nicht mehr als eine Vermutung“, sagte Kircher. „Und Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass ich damit furchtbar falsch liegen kann. Aber ich glaube, dass hier ein Chatroboter am Werk war. Ein Bot.“
„Was ist das denn jetzt schon wieder?“
„Nichts weiter als ein Roboter, mit dem man chatten kann wie mit einer Person auch. Die meisten sind noch nicht wirklich täuschend echt entwickelt, aber der hier war sehr gut gemacht. An einigen Stellen beängstigend gut. Wie gesagt, ich bin noch nicht fertig mit der Untersuchung und mein Mann soll da auch noch mal einen Blick drauf werfen, aber ich denke doch, dass ich Recht habe.“
Esser seufzte. „Das wird ja immer besser. Aber danke, Kircher. Sehr gute Arbeit. Viel Erfolg.“
„Ihnen auch“, antwortete er.
Esser fühlte sich nicht klüger als vorher, aber immerhin wusste er, dass er sich mit der Theorie nicht lächerlich machen würde.

Die vereinbarte Uhrzeit näherte sich und er machte sich auf den Weg zu Kramers Büro. Er erreichte es exakt pünktlich und klopfte sofort an.
„Herein“, kam es von drinnen.
Christoph Kramer war optisch das genaue Gegenteil von Herrn Schmidt: Er war groß, schlaksig und etwa zwanzig Jahre jünger. Er hatte noch dieses studentische, lausbubenhafte Aussehen und schüttelte Esser mit einem freundlichen Lächeln die Hand.
„Was kann ich für die Polizei tun?“, fragte Kramer, setzte sich und wies mit der Hand auf einen der Stühle vor seinem Schreibtisch.
„Ich ermittle im Fall des erweiterten Suizids“, sagte Esser. „Ich nehme an, Sie haben davon gehört?“
„Natürlich. Das war ja nicht weit von hier entfernt.“
Er reichte Benedikt Hausers Foto über den Tisch. „Haben Sie ihn schon mal in einer Ihrer Vorlesungen gesehen? Wir denken, dass er sich einige angehört hat, da er studieren wollte.“
Kramer blickte lange auf das Foto und wieder sagten Esser seine Augen, dass er ihn erkannt hatte. „Nein“, antwortete er schließlich. „Leider nicht. Aber er passt vom Aussehen her sehr gut zum Durchschnitt der Studierenden in der Informatik.“
„In Ordnung“, sagte Esser und packte das Foto wieder weg. „Wir sind auf seinem Handy auf einige Ungereimtheiten gestoßen. Ich hoffe, dass Sie mir da weiterhelfen können.“
„Ich will es gern versuchen. Worum geht es?“
„Erst mal war der Speicher vollständig leer“, begann Esser und behielt Kramer dabei genau im Auge. „Wir konnten einige Details rekonstruieren, unter Anderem Chatnachrichten, die Benedikt Hauser an eine Kollegin geschrieben hat. Gemeinsam kommen sie dahinter, dass Benedikts Frau ihn betrügt. Das ist allerdings eine glatte Lüge.“
Kramers Augenbrauen wanderten in die Höhe. „Abgesehen von den menschlichen Abgründen dahinter sehe ich nicht, wie ich Ihnen da helfen kann.“
„Nun, als wir die Dame befragten, kam heraus, dass sie seit Monaten nichts mehr von Benedikt Hauser gehört hatte und darüber auch sehr traurig war. Als wir uns ihr Handy ansahen, fanden wir ihre Behauptung bestätigt. Die Kriminaltechnik hat herausgefunden, dass seine Nachrichten umgeleitet wurden.“
Ein leises Zucken in Kramers Gesicht machte Esser stutzig. Aber gleich darauf hatte der Professor sich wieder im Griff.
„Das ist aber ein riesiger Aufwand“, gab Kramer zu bedenken. „Und ohne Spuren beim Empfänger zu hinterlassen gar nicht mal so trivial. Da war wohl ein Experte am Werk.“
„Davon gehen wir aus. Das ist aber noch nicht das Ende der Geschichte.“
„Nicht?“
„Nein.“ Esser beugte sich vor und setzte alles auf eine Karte. „Der entsprechende Techniker hat ebenfalls herausgefunden, dass die Nachrichten an einen hervorragend programmierten Chatroboter weitergeleitet wurden.“
„Ein Bot“, korrigierte Kramer automatisch. „Das heißt Bot.“
„Von mir aus.“
Kramer sah ihn nachdenklich an. „Da haben Sie aber ein verdammtes Genie in der Kriminaltechnik. Das ist verdammt aufwendig und hat in der Vorbereitung sicher einige Monate gedauert. Messengerdienste sind heutzutage ziemlich gut verschlüsselt, mir fallen nur einer oder zwei ein, die überhaupt solche Aktionen zulassen würden.“
„Mir wurde gesagt, es sei einer davon gewesen.“
„Nun, damit wird es immerhin wahrscheinlicher. Dieser Aufwand erscheint mir aber immer noch absurd. Was soll denn dahinter stecken?“
„Das weiß ich nicht. Das versuche ich gerade herauszufinden.“ Nach einer kurzen Pause sprach Esser weiter. „Können Sie sich ein passendes Szenario vorstellen? Wofür würden Sie sich solche Mühe machen?“
Kramer sah demonstrativ auf die Uhr. „Ich kann mir nur vorstellen, dass irgendwo eine ganze Menge Geld im Spiel sein muss. Konkrete Hinweise habe ich leider nicht für Sie.“
„Gibt es Experten auf diesem Gebiet, mit denen wir uns noch unterhalten können?“
Kramer überlegt. „Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter natürlich, aber außerhalb der Universität kenne ich persönlich keinen. Sie werden in den IT-Abteilungen aller größeren Firmen aber sicher sehr schnell fündig, was solche Experten angeht. Einige Firmen heuern für ihre eigene Sicherheit mittlerweile gezielt Hacker an.“
Das war nicht ganz das, was Esser hören wollte. Aber wo er schon mal hier war, konnte er auch gleich die Arbeit fortsetzen. „Wo kann ich Ihre Mitarbeiter denn finden?“
„Zwei Räume weiter haben sie ihren Aufenthaltsraum. Da könnten Sie es versuchen. Allerdings haben gerade drei von ihnen Urlaub.“
Esser nickte.
Kramer stand auf und reichte ihm die Hand. „Es tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann. Leider muss ich jetzt los, ich habe gleich eine Vorlesung.“
„Danke für Ihre Zeit“, sagte Esser und schüttelte sie.
Dann verließ er grußlos das Büro.

Prof. Dr. Christoph Kramer, Lehrstuhl für Angewandte Informatik, Schwerpunkt Künstliche Intelligenz, traf sich mit Prof. Dr. Dr. med. Reiner Schmidt, Lehrstuhl für klinische Psychologie, im Universitätscafé. Beide hatten eine Tasse Kaffee vor sich stehen.
„Wir haben ein Problem“, sagte Schmidt.
„Allerdings“, antwortete Kramer.
„Woher weiß der so viel?“, fragte Schmidt anklagend. „Ich dachte, das, was wir da machen, kann nicht zurückverfolgt werden! Du hast gesagt, dass das nicht auf uns zurückfällt!“
„Tut es ja auch nicht!“ Kramer trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „Ich habe herausgefunden, dass einer meiner geringfügig beschäftigten Mitarbeiter von der Kriminaltechnik ist. Meine Leute sind nun mal verdammt gut.“
„Großartig, Christoph, wirklich großartig.“
„Ich hab nicht gewusst, dass der bei der Polizei ist, okay? Ich hab es einfach nicht gewusst!“
„Liest du die Personalakten eigentlich nie?“
„Nicht, wenn ich es vermeiden kann.“
„Und was machen wir jetzt?“ Schmidt gelang es nicht, die Panik in seiner Stimme zu dämpfen.
„Abwarten“, sagte Kramer ruhig.


Weiter bei Teil 3
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:



 
Oben Unten