Die Professoren III - Evaluation

Ruriro

Mitglied
Hier geht es zu Teil 1: Die Professoren I - Versuchsaufbau
und hier zu Teil 2: Die Professoren II - Durchführung

Die Professoren III – Evaluation

Die Versammlung im Konferenzraum der Kriminalpolizei war ungewöhnlich. Esser hatte seine Kollegin Sabine Anselm einbestellt und Jochen Kircher mitsamt Ehemann dazu geordert.
„Also“, begann Esser, stand auf und holte ein Flipchart zum Tisch. „Sabine, du hast meine Berichte ja gelesen.“
Sie nickte.
„Gut. Kircher ist ja sowieso eingeweiht, und Herr…?“
„Das ist Jens Günter, mein Mann“, stellte Kircher vor. „Er arbeitet Teilzeit in der Kriminaltechnik und nebenher an der Uni für Professor Kramer. Zusätzlich zum Studium. Wir haben das gemeinsam bearbeitet.“
Esser nickte. „Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen.“
„Kein Problem“, antwortete Günter und warf Kircher einen schnellen Blick zu.
„Ich muss Sie alle darauf aufmerksam machen, dass das, was wir hier besprechen, unbedingt innerhalb dieses Raumes zu bleiben hat. Nichts davon darf nach außen dringen, ist das klar? Wir dürfen unsere Zielpersonen auf gar keinen Fall warnen“, sagte Esser eindringlich und erst, nachdem alle genickt hatten und er allen böse in die Augen gesehen hatte, sprach er weiter.
„Ich bin davon überzeugt, dass die Herren Professoren Kramer und Schmidt irgendwie Benedikt Hauser dahingehend manipuliert haben, dass er seine Frau umbringt und anschließend Selbstmord begeht. Bei meiner Befragung haben beide Hauser auf dem Foto erkannt, es aber geleugnet. Beide verfügen über das relevante Fachwissen, um diesen Chat-Dings zu programmieren und beim Ehepaar Hauser einzuschleusen. Das wäre Beihilfe zu Mord und Selbstmord. Das Problem: Wir haben keinerlei Beweise“, schloss er und ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen.
„Das ist nicht ganz richtig“, sagte Kircher. „Jens und ich können nachweisen, dass der Angriff auf Benedikts Handy und Lisas Computer von einer IP-Adresse aus gestartet wurde, die zur Universität gehört. Das heißt, Kramer ist verdächtig.“
„Na, wenigstens etwas“, sagte Esser und schrieb den Punkt „IP-Adresse Uni“ auf das Flipchart. „Gibt es sonst noch irgend etwas?“
„Kramer und Schmidt haben öfter gemeinsame Projekte“, sagte Günter. „Meistens irgendwelche KIs, die mit dem menschlichen Gehirn zu tun haben. Das letzte Projekt ist abgelehnt worden, soweit ich weiß. Genauer bin ich da leider nicht im Bilde, das ist nicht mein Bereich. Ich kann mich umhören, wenn Sie möchten.“
„Ja bitte“, sagte Esser. „Was kann ich mir unter diesen KIs vorstellen?“
„Ganz vereinfacht gesagt, wollen Kramer und Schmidt ein künstliches Gehirn entwickeln“, sagte Günter. „Ihr letztes Projekt war ein ziemlich hoch entwickelter Pflegeroboter, der Herzinfarkte oder Zuckerschocks bemerkt, bevor sie den Patienten voll erwischen. Es gab wohl ein paar technische Probleme, aber in der Theorie funktioniert diese Maschine perfekt. In solchen Fällen gibt es natürlich immer wieder ethische Bedenken, von wegen künstliche Menschen und solche Sachen. Beide haben da schon massiven Beschuss der Öffentlichkeit einstecken müssen. Findet man sehr leicht im Internet.“
„Kann ich gar nicht nachvollziehen“, murmelte Esser und schrieb als weiteren Punkt „KI-Projekte“ auf das Flipchart.
„Der Witz ist, dass die Chinesen solche Techniken schon seit Jahren entwickeln, verfeinern und auch einsetzen“, sagte Günter. „Dabei kann von ‚künstlichen Menschen‘ überhaupt keine Rede sein. So weit ist die Technik nicht. Diese Roboter sind letzten Endes nichts anderes als medizinische Geräte – wie künstliche Hüftgelenke oder künstliche Herzklappen.“
„Aber das, was die beiden vorhaben, ist schon mehr als nur medizinisches Hilfswerk, oder?“, schaltete sich Sabine Anselm zum ersten Mal ein. „Künstliche Gehirne und solche Sachen – hat da Alan Turing nicht auch schon dran gearbeitet? Um sich endlich einen Freund zu basteln, der ihn versteht?“ Sie errötete ein wenig. „Ich habe gerade diesen Film gesehen, The Imitation Game.
Anerkennend wanderten Kirchers Augenbrauen in die Höhe. „Vollkommen richtig. Wenn man der Analyse seines Biographen folgt. Solche Experimente gibt es immer noch, wenn auch technisch wesentlich weiter fortgeschritten. Tatsache ist aber, dass wir von einer wirklichen Imitation der Natur noch Lichtjahre weit entfernt sind.“
„Aber was ist dann mit diesem Chatding, das andere Menschen so manipulieren kann, dass sie sich umbringen?“, wandte Esser ungeduldig ein. „Ist das dann auch Lichtjahre von unserem heutigen Technikstand entfernt?“
„Ja und nein“, sagte Günter. „Chatbots sind im Prinzip das, was Sie als Alexa von Amazon oder als Siri von Apple kennen: Sie können einen Befehl geben und das System reagiert. Wenn man das Ganze mit einer künstlichen Intelligenz koppelt, maschinelles Lernen und solche Dinge, kann das zur Selbstoptimierung führen. Es gibt auch Apps, die menschliche Chatpartner imitieren können. Aber ein so krasser Fall ist mir bisher nicht bekannt. Die technischen Möglichkeiten dafür sind auf jeden Fall gegeben.“
„Denken Sie, dass Kramer das kann?“
„Ja“, sagte Günter und Kircher nickte ebenfalls. „Wenn das einer kann, dann er.“
„Wie stellen Sie sich das Szenario vor?“
Günter überlegte eine Weile. Anselm hing ihm sichtlich an den Lippen. „Ich denke, dass Kramer den Chatbot programmiert und entwickelt hat. Aber so eine KI braucht ausreichende Materialgrundlagen. Die findet man im Internet, klar, Cybermobbing gibt es ja genug. Aber für so etwas braucht man feineres Material. Das ist psychologische Kriegsführung und zudem vermutlich stark personalisiert, damit es auch funktioniert. Ich glaube, dass Schmidt die KI trainiert hat. Vermutlich auf Basis von ärztlichen Gutachten über Benedikt Hauser, ansonsten würde es schwierig, zielgerichtet zu arbeiten. Wie er an die Unterlagen gekommen ist – keine Ahnung. Zusätzlich bräuchte man noch aktuelle Text- und Sprachbeispiele, am besten von Betty Blue persönlich und solche Sachen.“
„Wer hat Benedikt Hauser damals behandelt?“, fragte Esser seine Kollegin.
„Ein ambulanter Therapeut in der Uniklinik“, antwortete sie. „Ich werde den Namen gleich raussuchen.“
„Und finde auch raus, ob die Unterlagen kürzlich weitergegeben wurden. ‚Kürzlich‘ meint den Zeitraum vom letzten Jahr. Und ich will wissen, an wen!“
„Ich sehe zu, was ich tun kann“, sagte sie und verließ den Raum.
Esser ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen. „Okay, ich stimme Ihrer Theorie zu, soweit ich das völlig ohne Fachkenntnisse beurteilen kann. Sprach- und Textbeispiele von Betty Blue sollten ja nicht schwer zu beschaffen sein, immerhin ist sie Schauspielerin. Was wir brauchen, sind handfeste Beweise. Besteht noch eine Chance, da irgendwie heran zu kommen?“
„Schwierig“, sagte Kircher. „Wir tun alles, was wir können, aber da irgendetwas zu finden, das eine konkrete Signatur von Kramer trägt… die Wahrscheinlichkeit geht unter Null, denke ich.“
„Wir könnten versuchen, eine solche Maschine nachzubauen“, sagte Günter. „Um die Schwierigkeiten und Hindernisse festzustellen. Viel wird das nicht bringen, höchstens den Grad an Fachwissen deutlich machen, den es dafür braucht.“
„Gute Idee“, sagte Esser. „Machen Sie das. Gibt es noch andere Ideen, wie wir die zwei in die Enge treiben können?“
„Schmidt ist zwar Therapeut, aber es gibt einen guten Grund, weswegen er nicht mehr praktiziert, sondern nur noch unterrichtet. Er ist ein unsteter, unsicherer Charakter. Der Flurfunk ist da ganz deutlich. Kramer ist zwar selbstsicher, aber verwundbar“, sagte Günter langsam. „Sie könnten versuchen, beide ins Kreuzverhör zu nehmen. Versuchen Sie es mit einem Fehler in Kramers Arbeit. Er ist ein verdammt eitler Pinsel. Was meinst du, Jochen?“
Kircher nickte. „Kommt hin. Aber das ist ja wieder Ihr Spezialgebiet, Esser. Da können wir Ihnen nicht helfen.“
In diesem Moment flog die Tür zum Konferenzraum auf und Sabine Anselm kam keuchend hereingestürmt. Sie knallte einen Zettel auf den Tisch.
„Die behandelnde Therapeutin“, brachte sie schnaufend heraus, „war Schmidts Schwester.“

Prof. Dr. Dr. med. Reiner Schmidt saß mit einem gehetzten Gesichtsausdruck und leicht grauer Hautfarbe im hell verputzten, kargen Verhörraum der Kriminalpolizei. Seit einer halben Stunde. Esser beobachtete ihn durch einen Einwegspiegel aus dem Nebenraum, neben ihm der Staatsanwalt.
„Der bricht in zehn Minuten einfach so zusammen“, brummte der. „Kollaps. Einfach so, da können Sie gar nichts machen. Hat er keinen Anwalt?“
Esser schüttelte den Kopf. „Er hat erklärt, dass er keinen braucht. Er hat das sogar schriftlich festgehalten.“
„Na dann“, sagte der Staatsanwalt. „Gehen Sie alleine rein?“
„Nein“, sagte Esser. „Jochen Kircher von der Kriminaltechnik begleitet mich.“
„Dann hoffe ich, dass Sie mich jetzt endgültig von Ihrer Theorie überzeugen können. Erst dann stelle ich den Vernehmungsbefehl für Kramer aus. Erst danach! Haben Sie verstanden?“
Esser nickte, dann verließ er das Kabuff, traf draußen auf Kircher und betrat mit ihm gemeinsam den Verhörraum.
„Tag, Herr Schmidt“, begann Esser jovial und knallte eine dicke, hauptsächlich mit leerem Druckerpapier gefüllte Aktenmappe auf den Tisch zwischen Ihnen. „Schön, Sie wiederzusehen. Und schön, dass Sie es einrichten konnten.“
„Der Brief, den ich erhalten habe, klang nicht so, als hätte ich wirklich eine Wahl“, sagte Schmidt und bemühte sich vergeblich, seine Stimme fest klingen zu lassen.
„Das war ja auch völlig richtig so“, fuhr Esser munter fort. „Das ist der Kollege Kircher von der Kriminaltechnik. Er hilft mir mit den Details ein bisschen aus.“
„Was wird mir denn überhaupt vorgeworfen?“, rief Schmidt mit leicht hysterischem Unterton.
„Beihilfe zu Mord und Selbstmord“, fauchte Kircher, wie zuvor abgesprochen.
Der graue Ton von Schmidts Hautfarbe wandelte sich in wachsweiß.
„Wir glauben“, sagte Esser sachlich und mit einem freundlichen Lächeln, „dass Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen Herrn Kramer einen Chatbot entwickelt haben, der Hausers Kollegin imitiert hat. Dieser Bot hat ihm erfolgreich eingeredet, dass seine frisch angetraute Ehefrau Lisa“, hier legte er die beiden Fotos der Toten auf den Tisch, „eine Affäre hatte. Über mehrere Monate hat Hauser dann mit diesem Roboter seine Ehekrise diskutiert und ist nach und nach in eine immer tiefere Sinnkrise gerutscht. Dabei behilflich waren vermutlich die illegalen Psychopharmaka, die wir in erstaunlicher Menge in seinem Körper gefunden haben. Dann hat er seine Frau erwürgt und ist anschließend vom Hochhaus gesprungen.“
Schmidt klappte während des gesamten Vortrags ständig den Mund auf und zu wie ein stummer Fisch.
„Ihre Rolle, Herr Schmidt“, fuhr Kircher mit einer Verachtung fort, die er nicht mal simulieren musste, „bestand im vorbereitenden Trainieren der KI, sowie in der Beschaffung der erforderlichen Medikamente und medizinischen Unterlagen. Wir haben mit Ihrer Schwester gesprochen, die erzählte, dass sie Sie in diesem speziellen Fall um Hilfe ersucht hat, da die bisherigen Therapien nicht angeschlagen hatten. Erst die neue, von Ihnen entwickelte und empfohlene Therapie konnte Benedikt Hauser helfen. Sie kannten den Fall genau.“
Schmidt begann zu zittern.
„Weiterhin glauben wir, dass Sie diese widerwärtigen Psychopharmaka mit diesen horrenden Nebenwirkungen beschafft haben. Uns würde allerdings noch interessieren, wie Sie es geschafft haben, Benedikt diese Substanzen unterzujubeln.“
Kircher und Esser verschränkten die Arme vor der Brust.
„Was für Medikamente?“, fragte Schmidt und wirkte ehrlich verdutzt. Esser und Kircher tauschten einen Blick. Dann sah Esser im Obduktionsbericht nach.
„Es handelt sich um zwei nicht zugelassene Medikamente, die in Kombination Verhaltensstörungen und emotionales Ungleichgewicht verursachen. Beide befinden sich in der Testphase an Tieren. Diese Phase werden sie wohl auch nicht überwinden.“
Schmidt sackte auf seinem Stuhl zusammen. „Dann hat dieses Experiment mal wieder nicht funktioniert?“
„Wie bitte?“, fragte Kircher völlig perplex.
Schmidt seufzte tief. „Es war meine Idee und ich hatte gehofft, dass es wirklich funktioniert, aber bisher hat noch nie etwas funktioniert, was wir in der Richtung entwickelt haben – nie! Christoph hat das durchgezogen und nicht aufgehört. Ich hab keine Ahnung, wo diese Medikamente herkommen! Als ich die Nachrichten gelesen habe, hatte ich wirklich gedacht, dass es funktioniert hat, aber wenn der Proband wirklich Medikamente bekommen hat, war doch alles für die Katz! Wir wollten einfach nur die Genehmigung für ein Forschungsprojekt, das einen therapeutischen Roboter entwickeln sollte, nichts weiter! Alles für die Katz“, schloss er resigniert.
Kircher und Esser sahen sich an. Dann gingen sie stumm aus dem Raum.

Prof. Dr. Christoph Kramer wurde in einer filmreifen Aktion mitten in seiner Vorlesung verhaftet. Nur wenig nach Prof. Dr. Dr. med. Reiner Schmidt saß er auf dem gleichen Stuhl und bemühte sich um eine Art arrogante Lässigkeit.
Das Verhör würde dieses Mal Sabine Anselm führen, die als kleine, zierliche Frau häufig unterschätzt wurde, und Jens Günter, der zuvor bereits mehrfach als Kriminalbeamter an solchen Verhören teilgenommen und eindeutig ein Händchen dafür hatte – und natürlich, weil er für Kramer arbeitete und zusätzlich irritierend wirken musste. Sie mussten nur noch auf Kramers Anwalt warten.
Der kam schließlich, betrat gleichzeitig mit Anselm und Günter den Verhörraum und schloss die Tür hinter sich.
„Was genau werfen Sie meinem Mandanten vor?“, verlangte er barsch zu wissen.
„Beihilfe zu Mord und Selbstmord“, sagte Sabine Anselm freundlich.
„Das ist lächerlich“, fauchte Kramer und fixierte Jens Günter wütend. „Und was machst du hier?“
„Ich war bei den Ermittlungen behilflich“, antwortete der. „Das waren komplexe Arbeiten und damit habe ich ja reichlich Erfahrung.“
„Sie müssen hier nichts sagen, womit Sie sich in irgendeiner Form belasten“, sagte der Anwalt an Kramer gewandt. „Aber wir sollten uns anhören, was die Polizei zu sagen hat.“
Kramer nickte.
Anselm öffnete die Mappe vor sich auf dem Tisch und überflog ihre Notizen. „Nun, wir glauben, dass Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen Herrn Schmidt einen Chatroboter entwickelt haben, der eine Kollegin von Benedikt Hauser imitiert hat, diesem eine Affäre seiner Frau vorgegaukelt hat, was ihn psychisch so sehr angegriffen hat, dass er seine Frau getötet und Selbstmord begangen hat.“
„Das ist lächerlich!“
Anselm fuhr fort, als hätte sie nichts gehört. „Dabei waren auch die großen Mengen illegaler Psychopharmaka behilflich, die wir in seinem Körper nachweisen konnten und die völlig zu Recht illegal sind und bleiben werden.“
Sie zog ein Blatt Papier mit einer ausladenden Unterschrift hervor. „Das ist das Protokoll der Vernehmung Ihres Kollegen, der vollumfänglich gestanden hat. Lediglich die Herkunft der Psychopharmaka liegt noch im Dunkeln, aber er hat darauf hingewiesen, dass Sie da vermutlich behilflich sein können.“
Kramer und sein Anwalt lasen das Schriftstück aufmerksam.
„Sie müssen jetzt gar nichts mehr sagen!“, warnte letzterer eindringlich.
„Die technischen Möglichkeiten sind gar nicht so weit fortgeschritten, dass ein Chatbot zu so etwas in der Lage wäre“, sagte Kramer gereizt. „Was Sie da behaupten, ist Unsinn!“
„Herr Günter, was sagen Sie dazu?“, fragte Anselm geziert.
„Nun, Christoph“, begann der an Kramer gewandt. „Da muss ich dich leider korrigieren. Du bist, seit ich für dich arbeite, in der Lage Bots zu programmieren, die einen Menschen besser imitieren können als die meisten Apps. Das ist lediglich sehr aufwendig, aber mit der Menge an Informationen, die du zur Verfügung hattest, wäre das für dich überhaupt kein Problem. Dumm war nur, dass du das über einen Server der Universität getan hast. Die Verschlüsselung ist sehr gut und von außen nicht zu knacken. Von einem Uni-internen Server aus kann man das aber nachverfolgen und in das System durchaus einbrechen. Aufwendig, aber machbar. Das war dein erster Fehler.“
Kramer sah ihn völlig entgeistert an, unfähig einzuhaken.
„Dein zweiter Fehler war der Angriff auf Lisa Hausers Computer“, fuhr Günter unbeirrt fort. „Das musste ja allerdings sein, um diese wirre Theorie von der Affäre zu untermauern. Du hast es zwar geschickt angestellt und einen Trojaner installiert, über eine E-Mail, vermute ich. Die Fotos kamen erst später auf die Festplatte, weil der Trojaner sie aus einer Cloud heruntergeladen hat. Der Ordner mit den belastenden Fotos sollte sich löschen, nachdem alle Bilder angesehen worden waren, aber leider hast du einen sehr dummen Fehler gemacht und den falschen Ordner angegeben. Deswegen war der Ordner, den du eigentlich löschen wolltest, noch da. Und ein völlig belangloser Ordner ist verschwunden.“
„Ich habe keinen Fehler gemacht!“, schrie Kramer außer sich und sprang auf. „Ich mache keine Fehler!“
„Diesen Fehler hast du immer schon gemacht“, sagte Günter sehr ruhig. „Krankhafte Selbstüberschätzung.“ Er schüttelte den Kopf. „Das weiß jeder.“
Anselm sah ihn überrascht an. Sie hatte sich aber rasch gefangen und übertönte mühelos Kramers Gezeter, das sein Anwalt nicht unter Kontrolle bringen konnte. „Dann wurde auch noch Ihr Forschungsantrag zum Therapieroboter abgelehnt, Herr Kramer.“
„Das war völlig bigotter Schwachsinn!“, brüllte der mit krebsroter Gesichtsfarbe. „Keinerlei sachliche Begründung, nur diese ewige Panik, dass die Technik den Menschen abschafft, das ist lächerlich! Ich wollte denen einfach mal zeigen, wie das aussieht, wenn Technik die Menschen tatsächlich abschafft! Und geschafft hab ich es, geschafft! Das sind doch keine Beweise, was du da hast, das sind bestenfalls Indizien!“
„Woher kommen die Psychopharmaka aus Benedikt Hausers Blut?“, hakte Anselm ein.
„Vermutlich aus einer Testreihe bei der Uniklinik, was weiß denn ich?!“, fauchte Kramer und lief im Zimmer auf und ab. „Der hat ja alles mit sich machen lassen, der Idiot. Einfach eine ganze Karaffe blaues Wasser trinken, nur weil man ihm das sagt. Alberne Psycho-Spielchen! Und alles hat funktioniert! Alles!“
„Wollen Sie damit sagen“, sagte Anselm und traute ihren Ohren nicht, „dass Sie Benedikt Hauser vorgegaukelt haben, er sei Teil einer wissenschaftlichen Studie?“
„Mein Mandant sagt jetzt gar nichts mehr!“, warf der Anwalt ein.
Die beiden Polizisten saßen auf ihren Stühlen und warteten ab, bis Kramer sich schließlich erschöpft auf seinem Stuhl niederließ.
„Diese Psychopharmaka wurden nicht an der hiesigen Uniklinik in die Testphase aufgenommen, sondern an einer Universität in Michigan in den USA“, sagte Günter.
„Wie sind Sie an die Präparate herangekommen?“, fragte Anselm.
„Sie müssen die Frage nicht beantworten“, sagte der Anwalt, aber Kramer winkte ab.
„Ist doch jetzt auch egal“, murmelte er. Dann fuhr er etwas lauter fort. „Ich kenne den Kollegen, der die Versuchsreihe leitet. Wir sind seit Jahren befreundet. Ich musste ihm nur sagen, dass ich an der Zusammensetzung der Medikamente für meine technischen Studien interessiert sei, weil ich gerade an einer Maschine arbeite, die die Bestandteile von Medikamenten erkennen und identifizieren soll. Er hat mir gerne ein paar Proben geschickt. Und Schmidt hat dem Probanden vorgegaukelt, er solle im Institut immer nur das blaue Wasser trinken, da er Teil einer Studie sein könne und entsprechenden Lohn erhalten würde.“ Er schnaubte. „Ein unglaublicher Naivling.“
Anselm klopfte mit ihrem Kugelschreiber auf die Mappe. „Ich verstehe nicht, wieso Sie die Medikamente gebraucht haben, um Benedikt Hauser zu manipulieren. Sie wollten doch eigentlich beweisen, dass dafür allein eine Maschine ausreicht.“
Kramer lächelte traurig. „Die Maschine allein hat eben nicht ausgereicht. Das ging über Monate und Hauser ist nicht angesprungen. Wir mussten improvisieren. Das war die einzige Möglichkeit, die uns eingefallen ist.“
„Sie haben demnach gezielt auf den Tod zweier Menschen hingearbeitet?“, fragte Sabine Anselm fassungslos.
„Mein Mandant hat nichts dergleichen getan!“, fuhr der Anwalt dazwischen.
„Keine weiteren Fragen“, sagte Anselm und verließ gemeinsam mit Jens Günter den Raum.

Harald Esser hatte es noch nie erlebt, dass Haftbefehle dermaßen schnell ausgestellt wurden. Die Schlagzeilen waren gewaltig und sorgten bundesweit für Aufsehen. Die Professoren hatten eher nicht dazu beigetragen, den Argwohn gegen künstliche Intelligenz abzubauen.
Wenn sie es auch geschafft hatten, den Nachweis zu erbringen, dass die Technik noch nicht so weit fortgeschritten war, wie sie es selbst gehofft hatten.
 



 
Oben Unten