Die Sache mit dem Ami

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MicM

Mitglied
Hallo Blumenberg,

der Text gefällt mir auch gut. Da vieles schon geschrieben wurde, schließe ich mich mal pauschal den lobenden Worten an. Mir geht es noch um einen Punkt, mit dem ich vielleicht etwas hadere:

Ich finde, die große Stärke des Textes ist es, dass ich als Leser sehr gut die Situation mitfühlen kann - ich sitze quasi dabei und höre zu, wie der Großvater versucht, „die Sache mit dem Ami“ zu erzählen. Nun erzählt der Großvater seine Geschichte aber nicht wirklich. Das ist natürlich einerseits der Clou der Geschichte, weil das erratische Erzählen dem Zuhörer so „schmerzt“. Andererseits wird man als Leser auch „aufs Glatteis“ geführt. Denn ich meine, das „Hauptthema“ des Textes ist (verkürzt) „Alter und Demenz“ (jedenfalls konnte ich mich zwei Wochen nach Lektüre des Textes nur daran wirklich erinnern, während die vermeintliche Ami-Geschichte fast vergessen war). Insoweit weckt die Überschrift aus meiner Sicht (bewusst?) eine Erwartungshaltung, die nicht erfüllt wird. Obwohl ich das einerseits schlau finde, blieb auch ein kleines Störgefühl. Vielleicht sollte ich nur der Überschrift keine so große Bedeutung beimessen...

Und dann noch eine sehr „kleine“ Anmerkung: du schreibst zweimal „Mamma“ und zweimal „Mamm“. Ich kenne die Schreibweise nicht. Soll das so?

Sehr schöner Text!

Auf bald,
MicM
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Mic,

Danke für die lobenden Worte. Der Text behandelt ja nicht nur ein, sondern gleich zwei schwere Themen. Ich freue mich, dass er trotzdem überzeugen kann.

Zunächst zu deiner "sehr kleinen Anmerkung": Du hast den Text wirklich aufmerksam gelesen. Die unterschiedliche Schreibweise ist Absicht. Sie trennt einerseits die Protagonisten: Der Enkel sagt Mamma und der Großvater sagt Mamm. Andererseits ist "Mamm" im Kölner Raum die gebäuchliche Form, bei den älteren Generationen, die noch Kölsch sprechen. Ich wollte, obwohl ich auf ein Schreiben im Dialekt verzichtet habe, trotzdem lokale Sprachformen aufnehmen.

Was die Überschrift angeht hast du Recht, dass die Sache mit dem Ami am Ende offen bleibt. Nicht nur die Überschrift, sondern auch der Erzählteil der Geschichte wecken eine Erwartungshaltung weckt, die am Ende enttäuscht, nicht nur für den Leser, auch für der Enkel. Allerdings ist das Erzählen des Großvaters im zweiten Teil, obwohl es dann plötzlich abbricht, gar nicht so erratisch. Es ist eher das stockende Wiederkehren von etwas lange Verschüttetem. Alle Elemente des Fortgangs sind ja angelegt die Geschichte selbst weiterzuspinnen.

Ich finde es immer interessant zu sehen, dass jeder Leser einen anderen Fokus hat. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, die Demenz und das Alter sind der Grund, warum der Großvater die Geschichte überhaupt erzählt. Im Text heißt es: "Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals über diese Zeit gesprochen hat." An dieser Stelle versuche ich ein weiteres Merkmal einer Demenzerkrankung aufzugreifen, sie kann mitunter dafür sorgen, dass Hemmschwellen einfach verschwinden. Aber zurück zur Überschrift, die habe ich deswegen gewählt, weil das plötzliche Aufkommen dieser Erinnerung den Bruch in der Geschichte markiert. Ich habe ihr aber selbst keine so große Bedeutung zugemessen.

Vielen Dank für deine aufmerksame Lektüre und die beiden hellsichtigen Anmerkungen.

Liebe Grüße

Blumenberg
 

anbas

Mitglied
Moin Blumenberg,

eine wirklich gut erzählte Geschichte, gern gelesen! (Ich hatte beim Lesen etwas "Angst", dass es eine Auflösung gibt - gibt es nicht, und das ist gut so!).

Liebe Grüße

Andreas
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Andreas,

Vielen Dank für das Lob! Ich hatte über eine Auflösung nachgedacht, die Idee aber wieder verworfen. Eine verschüttete Erinnerung drängt sich plötzlich und unerwartet in den Vordergrund, durchbricht die Routine und verblasst dann mit derselben Plötzlickeit wieder. Das schien mir ein rundes Gesamtpaket.

Vielen Dank für das Feedback und die freundliche Bewertung.

Blumenberg

p.s. Ich hoffe euer Bremer Auftritt ist gut gelaufen.
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Andreas,

das freut mich. Nichts zu danken! Ist doch spannend zu sehen, was andere Mitglieder hier so alles auf die Beine stellen.

Liebe Grüße

Blumenberg
 

fion

Mitglied
Sehr verehrter Blumenberg,

Chapeau!

Ich beginne einfach mit dem (für mich) stärksten Moment.
Die Angst um den Mann im Baum.
Erst presste sich etwas um mein Herz, damm um meine Kehle, dann Tränen in meine Augen. Ich wusste sofort, was Opa auf der Seele brannte. (Und es ist so oft passiert. Dem Joppich sinne Frau, hatte in der Woche danach wahrscheinlich ein neues Kleid aus Ballonseide, ne?)

Er, als kleiner Junge, er hat es geahnt, was sie machen würden. Dem Linkens hat er doch extra das mit seinem Vogel erzählt und wie er damit umgegangen ist. Und Linkens hat es ihm versprochen. (Stell dir vor, ich heule schon wieder.)
Blumenberg, diese Szene da im Wald, hast du geschrieben ohne ein Wort davon getippt zu haben.

In manchen Kommentaren wird deiner Geschichte ein glaubwürdiges Ende zugesprochen - oder - das man sich kein besseres Ende hätte vorstellen können.
Ich möchte sagen, danke, dass du es nicht geschrieben hast.

Und bitte lass Deutz drinn.
Ich mag es, wenn ich Koordinaten habe. Nur mit dieser Erwähnung, kommt der/das Lokalkolorit.

Nur, bitte sag mal, warum der doppelte Zeilenabstand dazwischen?

Ich bin so geflasht, dass mir beim besten Willen nix aufgefallen ist, was ich dir als Verbesserung anbieten kann.

Ganz ganz liebe Grüße
Fion
 

Blumenberg

Mitglied
Liebe/r Fion,

vielen Dank für dein freundliches Feedback. Wenn ein Text etwas auslöst, eine Reaktion produziert, die über das reine gelesen werden hinausgeht, ist das als Autor natürlich schön zu hören. Auch wenn´s hier zugegebener weise eher ein schweres Thema ist.

Ich fand es spannend, das plötzliche Auftauchen einer verschütteten Erinnerung als Ausgangspunkt zu nehmen, dabei aber gleichzeitig mit einem unzuverlässigen Erzähler zu arbeiten. Eine für voranschreitende Altersdemenz typische Spannung ist die zwischen einem, man könnte sagen impulsiven Erinnern und dem sprunghaft werden der eignen Gedankengänge, die sich von einer Sekunde zur nächsten wieder etwas ganz anderem zuwenden können. Deswegen auch das offene Ende.

Außerdem überlasse ich es gerne dem Leser, ob Joppens Frau demnächst ein schickes Kleid aus Ballonseide trägt oder ob der Joppens und der Linksens ahnen, dass sie da gerade einem zukünftigen Sieger über das tausendjährige Reich begegnen und sich ihnen hier ein unverhoffter Ausweg jenseits des zukünftigen Heldentods im Volkssturm eröffnet.

Der Bahnhof Deutz bleibt in jedem Fall drin, da ich die Ortsangabe ebenfalls wichtig finde.

„Nur, bitte sag mal, warum der doppelte Zeilenabstand dazwischen?“

Welcher doppelte Zeilenabstand?

Liebe Grüße und noch einmal ganz herzlichen Dank für das große Lob.
Blumenberg
 

fion

Mitglied
Hi Blumenberg,

schön von dir zu hören.

Und das mit dem Lob, kam von ganzem Herzen.

Da ist nur die eine Frage offen:
Doppelter-Zeilenabstand

z.B. Da ist ein etwas dickerer Textblock (mir fehlt leider das Fachwort dafür), dann sprichst zu deinem Opa - dann wieder Opa zu dir.
Und genau da zwischen - es zieht sich durch den ganzen Text.

ich merke an dem Zucken im Gesicht, dass er konzentriert ist. „Na, das mit dem Ami“, sagt er nach einer Pause und schweigt danach.

„Mit welchem Ami?“, hake ich nach, ohne große Hoffnung, wirklich verstehen zu können, wo sein Gedächtnis nun wieder ist.

„Na mit dem, der im Baum hing. Ich hab ihn beim Spielen im Wald gefunden, gar nicht weit von der Erft weg. Der Fallschirm hatte sich in den Ästen
LG
Fion
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Fion,

jetzt weiß ich, was du meinst. Der Absatz soll dazu dienen, den Sprecherwechsel optisch deutlich zu machen. Ein paar mal geht es sich so aus, dass der Wechsel recht weit am Ende der Zeile kommt und mir vorkam als könne man ihn überlesen.

Liebe Grüße

Blumenberg
 

Kayl

Mitglied
Eine Kurzgeschichte wie sie sein soll: den Leser berührend, mitnehmend, nicht zu lang, mit überraschender Schlusspointe, die sie einrahmt.
Angenehm auffallend der fehlerlose Text.
Zu FrankK: Dass sich der Erzähler die Mühe macht, mit der S-Bahn zum Großvater zu fahren, sollte nicht entfallen.
 

Blumenberg

Mitglied
Lieber Horst,

vielen Dank für die freundlichen Worte und das Lob.
Ich finde es wichtig, dass hier eingestellte Texte so fehlerlos wie möglich sind. Man "veröffentlicht" seinen Text ja und da sollte er zumindest eine präsentable Form haben. Ich muss aber gestehen, bei Kommentaren bin ich aus Faulheit häufig selbst nicht so gründlich.

Liebe Grüße

Blumenberg
 



 
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