Mit einem leisen Rauschen wechselte der Wind. Der seichte Hauch ließ die Blätter in der Luft tanzen und streichelte sanft Marloes Antlitz. Gedankenverloren versuchte der Hauptmann sein Pferd zu beruhigen. Er wusste, was diese Botschaft verhieß. Es ist nicht die erste, die sie an diesem Tag erhalten hatten. Kopfschüttelnd verzog er das Gesicht und winkte seinen Freund und Leutnant Uktarol herbei.
„Wir werden durch den Wald gehen. Die Wege dort dürften schmal sein. Ab sofort, reiten wir immer nur zu zweit nebeneinander. Sag den Männern, dass sie absitzen sollen. Wir machen eine kurze Rast, dann brechen wir auf.“
„Haltest du das wirklich für so eine gute Idee, Marleos? Du weißt, was es heißt wenn der Wind schlagartig die Richtung ändert. Gefahr ist im Anzug! Es wäre nicht klug den Zeichen der Götter zu trotzen und einfach einen Wald zu betreten, der nahezu zu einem Hinterhalt einlädt.“
„Aus dir wird einmal ein guter Kommandant, alter Freund.“ Es freute Marleos, solch einen fähigen zweiten Mann zu haben. „Auch wenn du eine Tatsache, bei deiner Hitzigkeit, anscheinend vergessen haben solltest. Der Krieg ist längst vorbei. Wer würde uns dort schon auflauern? Etwa Füchse und Mäuse? Nein, ich denke nicht, dass es irgendetwas zu befürchten gibt. Und selbst wenn uns Gefahr bevorstehen mag, würde es uns mindestens drei Wochen kosten, den Wald zu umgehen. Drei Wochen in denen deine Füchse mehr als genug Gelegenheiten haben, uns zu stellen.“
„Es geht um diese Schriftrolle, nicht wahr?“ Uktarol deutete viel sagend auf das aufgerollte Papier, das auf Marloes Pferd geschnallt war. „Deswegen willst du so schnell an unser Ziel gelangen. Ich erkenne doch wie du sie ansiehst. Etwas belastet dich, mein Freund und ich wette es hat irgendetwas mit dieser verfluchten Schriftrolle zu tun. Du hättest sie nicht annehmen sollen, als diese Magier sie dir aufgebürdet haben. Niemand nimmt etwas von diesen zwielichtigen Gestalten an.“
Geduldig blickte Marleos seinen Freund in die Augen. „Du verstehst nicht, Uktarol. Diese Schriftrolle ist der Schlüssel zu meiner Ruhe. Dies ist meine letzte Aufgabe und bei Kremoll, General der Generäle und Streiter der Götter, schwöre ich, ich werde sie erfolgreich zu Ende führen!“
Uktarols Mime blieb immer noch zweifelhaft. „Ich verstehe, dass dieser Auftrag dir sehr wichtig ist, ebenso verstehe ich deine Vorfreude auf deine lang ersehnte Ruhe. Dennoch rate ich dir, deine Entscheidung zu überdenken. Es wäre nicht weise durch einen Ort zu reisen, an dem, dem Feind alle Möglichkeiten der Tarnung offen stehen. Sie könnten hinter jedem Baum und Stein auf uns lauern! Denkt noch einmal nach, Hauptmann, und handelt behutsam.“
Es überraschte Marloes, dass sein alter Freund mitten im Gespräch auf einmal einen sehr formalen Ton anschlug. Uktrarols Augen funkelten fieberhaft. Ihm war es offenbar viel Wert, einen Bogen um diesen Wald zu machen. „Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen, Uktarol, oder wagst du es etwa deinem Befehlshaber zu widersprechen?“ Marloes wartete kurz eine Antwort ab. Als diese nicht kam fuhr er fort. „Denkst du nicht, ich hätte es nicht so weit geschafft, wenn ich mich von meinen Empfindungen jedes Mal beeinflussen lassen hätte? Denkst du, ich schaffe es nicht, Gefühle und Gedanken erfolgreich zu trennen? Wenn das der Fall ist, dann habe ich dich wohl sehr falsch eingeschätzt... Freund.“
Uktarols Augen richteten sich auf den Boden. Er wirkte etwas beschämt. „Nein, so ist es nicht, Marloes“, stieß er schließlich leise aus seinem Mund hervor. „Es ist nur... diese Zeichen. Es ist schon das Dritte auf unsere Reise gewesen, das Unheil verkünden soll. Und ich nehme nicht einfach die Warnungen der Götter auf die leichte Schulter. Deswegen bitte ich dich erneut, Marloes. Nicht als Leutnant, sondern als Freund. Überdenke noch ein letztes Mal deine Entscheidung! Es könnte von großer Wichtigkeit sein.“
Marloes senkte den Kopf. Auch ihn belasteten die Warnungen. Vielleicht hatte sein Freund ja auch Recht und es wäre ein fataler Fehler, den Weg durch den Wald zu wählen. Vielleicht lauert dort tatsächlich der Feind und kann es nicht mehr abwarten, bis sie in seine Falle tappen werden.
Nachdenklich kratzte sich der Hauptmann an dem Hinterkopf. Feinde, dachte er, wer sollte dort auf uns warten?
Langsam hob Marloes seinen Kopf und blickte mit leeren Augen nach vorne. Schließlich sprach er mit klarer Stimme: „Wir reiten durch den Wald. Tu wie ich dir befohlen habe und übernimm die Nachhut.“ Dann blickte er seinen Leutnant mit einem warmen Lächeln an. „Keine Sorge. Es wird alles gut gehen. Du machst dir viel zu viel Gedanken. Und außerdem...“, fügte er noch mit verträumten Blick hinzu, „mag ich es durch Wälder zu ziehen.“
Zuerst schien Uktrarol ein wenig verwirrt, doch dann entspannten sich seine Gesichtszüge und er konnte seinem Hauptmann erleichtert zunicken.
„Jawohl, Hauptmann. Ich sage den Männern, dass sie aufmerksam sein sollen. Lieber hin und wieder ein Fehlalarm, als plötzlich aus dem Nichts überrumpelt zu werden.“
„Gut gesprochen, mein Freund. In 40 Minuten brechen wir auf.“
Vorsichtig betraten sie eine große Lichtung. Eine Stunde liefen sie nun durch den Wald und bis dorthin war ihre Reise ohne unangenehme Unterbrechungen verlaufen. Marloes atmete tief durch. Anscheinend würden sie die hölzernen Riesen ohne weitere Zwischenfälle hinter sich lassen. Er schmunzelte. Es war töricht gewesen, zu denken, nach dem großen Sieg im gewaltigen Krieg, würde jemand auf die Idee kommen eine Schar aus gut fünf Dutzend bewaffneten Kriegern zu überfallen. Was für ein alberner Gedanke.
„Hauptmann!“
Aus seinen Überlegungen gerissen, drehte Marloes sich in die Richtung, woher er die Stimme vernommen hatte und blickte in ein kantiges Gesicht, das von Unruhe nur so strotzte.
„Einige Soldaten berichten, sie hätten schattenhafte Gestalten hinter einigen Bäumen beobachtet“, verkündete der junge Krieger aufgeregt. „Es könnte der Feind sein!“
So viel zu der unbeschwerten Reise. „Nun gut“, antwortete Marloes. „Gib den Männern bescheid sie sollen anhalten und ihre Schwerter ziehen. Wollen wir doch mal sehen, ob es tatsächlich unsere Füchse sind, die sich dort verstecken.“
Kurz darauf waren alle in Position. Mit einer kurzen Handbewegung gab Marloes dreien seiner Männer den Befehl sich an den Baum heranzuschleichen, von dem sie ausgingen, dort warte der Feind. Blitzschnell stürmten sie mit erhobenen Klingen voran und verschwanden prompt hinter dem Stamm. Ein leises Piepsen erklang und sogleich kehrten die drei Krieger mit einem breiten Grinsen im Gesicht zurück.
„Nur ein Eichhorn, das sich vor uns erschreckt hat“, gab einer von ihnen bekannt. „Kein Grund zu Sorge. Wir können beruhigt weiterziehen.“
Erleichtert stieß Marloes einen Seufzer aus. „Ihr habt es gehört, Männer. Steckt die Schwerter wieder ein, wir brechen...“
Ein lautes Rascheln neben ihm, ließ den Heerführer verstummen. Es folgte ein ohrenbetäubendes Gebrüll und Marloes wusste, dass Uktarols Befürchtungen sich bewahrheitet hatten. Hektisch warf der Hauptmann einen Blick auf seine erschrockenen Krieger. Plötzlich sprang ein schattenhafter Umriss aus den Bäumen hervor, landete mitten unter den Kriegern und war blitzartig mit einem lauten Aufschrei und einigen Männern wieder verschwunden. Unruhe brach unter den Reihen aus.
„Haltet die Formation!“, schrie Marloes. „Lasst euch nicht von eurer Furcht zerfressen und behaltet die Augen offen!“
Soeben hatte er das letzte Wort ausgesprochen, verschwanden zwei weitere Krieger.
Marloes spürte, wie das Zittern in den Armen und Beinen seiner Gefährten immer mehr zunahm. Auch ihm war nicht ganz wohl in seiner Haut. Verdammt! Was ist das bloß?
Mit klarem Kopf, wandte der Heerführer sich zu einem Trupp aus gut 20 Männern, deren Bögen bebend in alle Himmelsrichtungen schwankten. „Bogenschützen, zielt auf die Bäume zu eurer linken Seite und sobald sich irgendetwas bewegt, sei es auch nur das Rauschen der Blätter im Wind, feuert ihr!“
Die Männer taten wie geheißen und richteten ihre Bögen auf die großen dunklen Bäume vor ihnen. Sogleich rührte sich auf einmal etwas. „Schießt!“
Ein Pfeilhagen prasselte auf die Schatten hinter den Stämmen ein. Es war ein gurgelndes Geräusch zu hören, dann sprang pfeilschnell etwas aus einem anderen Baum hervor und stürzte sich auf einen der Bogenschützen. Diesem aber gelang noch ein verzweifelter Schuss, der glücklicherweise sein Ziel in dem Bauch seines Feindes fand. Weitere Pfeile schlugen in das Fleisch des Angreifers ein. Mit einem lauten Brüllen fiel der leblose Körper um und blieb zwischen all den Bogenschützen liegen. Alle nun sahen sie mit was sie es zu tun hatten. Marloes riss die Augen auf. So etwas hatte er noch nie zuvor gesehen! Die Kreatur war etwa zweieinhalb Schritt lang, hatte grau-schwarze Haut und war kräftig, wie ein Bulle. Ein riesiger Kiefer zierte ihr entsetzliches Gesicht, der zum Zerspalten von Knochen wie geschaffen war. Die leeren schwarzen Augen, die spitzen Ohren, die enorme Anzahl an mörderische Zähnen und die schwarze Klinge, die sie fest umschlossen in Händen hielt, verlieh dieser Kreatur etwas Furcht einflößendes.
„Was zum...“ Erneut sprangen ihnen schattenhafte Umrisse entgegen. Diesmal war es nicht mehr einer alleine, sie griffen nun alle zugleich an. Wie ein endloser dunkler Fluss, strömten diese Scheusale von allen Seiten auf sie ein. Es schien kein Ende zu nehmen.
Weitere Aufschreie seiner Männer erklangen. Marleos blieb keine Zeit weiterhin Befehle auszurufen, ihm selbst standen nun drei dieser Ungetüme gegenüber. Mit einer gewaltigen Geschwindigkeit stürmten sie sich plötzlich auf ihn. Hastig duckte der Heerführer sich unter einen ihrer Schwerthieben hinweg, parierte einen anderen und wich haarscharf einer weiteren dunklen Klinge aus. Mit ausgehobenem Arm lies Marloes kniend sein Schwert kreisen und jedem der Bestien, die dumm genug waren sich ihm zu nähren, wurde mit einem knackenden Laut die Beine abgeschlagen. Kreischend gingen sie zu Boden. Eine dunkle Flüssigkeit strömte aus der Wunde heraus. Angewidert beendete der Kriegsherr die Qualen seiner Feinde. Sie alle warfen ihn noch einem letzten hasserfüllten Blick zu, ehe ihr Herz für immer aussetzte.
Ohne sein Schwert wäre diese Tat ihm wohl vergönnt gewesen. Das wusste er. Gewiss, er war ein mehr als achtbarer Kämpfer, ja gar ein Schwertmeister unter seines gleichen, aber mit einer normalen Klinge hätte er erbärmlich wenig gegen diese Ungeheuer ausrichten können. Wie um seine Gedanken zu bestätigen fiel ein Krieger nach dem anderen um. Dennoch gab es noch Hoffnung. Neben zahlreichen leblosen Körpern seiner Kameraden, ragte auch hin und wieder einer der Feinde heraus. Auch sein Angriff bewies, dass diese Bestien nicht unverwundbar waren.
Eine schwarze Klinge lies dem Hauptmann wieder seine volle Aufmerksamkeit seinen Gegnern zu Teil werden. Gewand parierte er einen Schlag, der auf seinen Rücken zielte, und bohrte mit einer schnellen Drehung, sein magisches Schwert Nara in den Bauch seines Widersachers. Einen weiteren griff er mit einem ausfahrenden Hieb auf dem Hals an, wechselte aber dann blitzartig die Schwertrichtung und schlug, mit einem dumpfen Geräusch, der Kreatur den Arm ab. Hastig stieß er Nara in die offene Brust und zog es mit einer schwarzen Blutspur wieder aus der klaffenden Wunde. Mit einem Reflex, wich er geschwind drei weiteren Klingen aus und schlug mit einer einzigen Drehung zwei Köpfe seiner Feinde auf einmal ab.
Egal wie oft er unter den Hieben seiner Feinde hinwegtauchte, egal wie viele er leblos auf dem Boden schickte, es hörte nie auf. Immer mehrere von diesen abstoßenden Kreaturen griffen sie an. Es war wahrlich, wie ein düsterer Strom, der kein Ende nahm.
Ein klirrendes Geräusch erklang und mit einem heftigen Ruck, das er an seiner Schwerthand spürte, wurde der Heerführer für seine Unachtsamkeit bestraft. In einer Schlacht durfte man an nichts anderes als den Feind und seine Bewegungen denken, andernfalls könnte man gleich, anstatt mit einem Schwert, mit einer Feder in den Kampf ziehen. Nun sah Marloes seiner Klinge hinterher, die so langsam durch die Gegend flog, als hätte Luthan die Zeit verlangsamt. Entsetzt wollte der Hauptmann seinem Schwert hinterher springen, doch ein gewaltiger Schulterstoß in den Magen, presste ihn jegliche Luft aus dem Körper und ließ ihn schmerzlich gegen einen Baumstamm knallen. Verzweifelt rang Marloes nach Luft, doch wie durch einen hinterhältigen Zauber, verweigerte sie sich seinen Lungen. Der Hauptmann bemerkte, wie es schwarz um seine Augen wurde. Alles war auf einmal verschwommen und der um Nebel das Schlachtfeld herum, wurde immer größer. Undeutlich konnte er eine widerliche Grimasse erkennen, die entschlossen auf ihn zukam. Die Kreatur blieb vor ihm stehen und erhob ihr nachtschwarzes Schwert zu einem tödlichen Stoß. Das ist also das Ende.
Mit angespannten Muskeln schloss Marloes seine Augen und machte sich auf dem letzten Hieb bereit, der ihn durchbohren sollte. Doch entgegen all seinen Erwartungen geschah nichts. Bin ich etwa schon tot? Vernehme ich deswegen keinen Schmerz?
Mit aller Kraft versuchte er seine schweren Lieder zu öffnen. Wie eine schwere Last, drückten sie sich nach unten. Schließlich gelang es den Heerführer, sie einen spaltbreit aufzumachen. Matt blickte er in die warmen Augen seines Freundes Uktarol. Ja, dies ist das Ende. Er wartet bereits auf mich. Mit diesem Gedanken fielen dem Kriegsherrn die Augen zu.
Verwirrt blickte Marloes sich um. Alles um ihn herum war dunkel. Achtsam wagte er einen Schritt in die Finsternis und war erstaunt, dass sich unter ihm ein heller Boden auftat. Der schmale Weg führte durch die Dunkelheit und endete in ein grelles Licht. Dies also ist der goldene Pfad Tandruiels. Die letzte Reise.
Entschlossen schritt Marloes den strahlenden Weg entlang.
Hauptmann. Er wusste woher diese Stimme kam. Es war Tandruiel persönlich. Der Wächter der zwei Welten, wollte nun sein Urteil über ihn fällen. Hauptmann.
„Schon gut“, sprach Marloes mit klarer Stimme, „ich kann dich hören, o heiliger Tandruiel.“
Hauptmann!
Etwas stimmte nicht. Dies war nicht die wunderschöne Stimme des Hüters, sie klang schrill, ja fast panisch. Plötzlich brach der goldene Boden unter seinen Füßen zusammen. Sein Magen kribbelte, als er durch die Dunkelheit fiel. Immer tiefer schoss er nach unten. Kein Grund, der ihn grässlich zerschmettern würde, tat sich ihm auf. Er fiel und fiel und fiel...
„Hauptmann, so wacht doch auf!“
Marloes blinzelte. Das grelle Licht ließ ihm die Augen zusammenkneifen. Nach kurzer Zeit aber, konnte er auch schon wage Umrisse seiner Umgebung erkennen. Vor ihm kniete sich ein schmächtiger Soldat. Seine klaren grünen Augen sahen ihn nun besorgt an. Nur wenige Falten schmückten sein schmales Gesicht. Gewiss hatte er seit kurzem erst das Mannesalter erreicht. Marloes bemerkte eine tiefe Schnittwunde, die sich lang durch seinen rechten Arm zog, außerdem noch etliche Kratzer auf Gesicht und Körper.
„Seid ihr verwundet?“, fragte der junge Mann seinen Hauptmann. Marloes sah auf sich herab. Schließlich ließ er seine Arme Kreisen und hob seine Beine. Ein leichtes Stechen war die Antwort. Er hatte Glück gehabt, der Aufprall gegen den Baum hätte mit Leichtigkeit einige seiner Knochen brechen können. Marloes wollte gerade seinem Wecker etwas erwidern, als er sich sogleich seiner Umgebung bewusst war. Lautes Kampfgetöse ertönte um sie herum und mit einem Schlag fiel Marloes alles wieder ein.
„Die Schlacht!“, stieß es aus ihm aus.
„Wir sind in Unterzahl, Hauptmann“, erklärte der junge Krieger. „Unser Feind ist zu mächtig. Wir können nicht länger standhalten!“
So steht es nun also. Nachdenklich kratzte sich Marloes an dem Hinterkopf. Also war das letzte was er sah, nicht die Erscheinung eines Verstorbenen, sondern sein alter Freund, wie er ihm das Leben rettete.
\"Hauptmann?\" Marloes wurde aus seinen Gedanken gerissen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Gegenüber zu. „Was ist mit Leutnant Uktarol?“, fragte er unruhig. „Lebt er noch?“
Sein Retter wandte den Kopf ab. „Ich weiß es nicht, Herr. Es ist ein Wunder, dass ich es noch zu euch vor geschaffen habe. Ich wusste ihr seid nicht tot. Jetzt werden die Anderen neuen Mut fassen, wenn sie sehen, dass ihr Hauptmann an ihrer Seite noch entschlossen weiterkämpft.“
Marloes blickte den jungen Krieger verständnisvoll an. „Du hast Recht.“ Schlapp versuchte der Kriegsherr sich aufzurichten. „Wir müssen weiterkämpfen! Wir dürfen diesen Bestien nicht kampflos den Sieg überlassen. Diese Ehre gebührt aber nicht mir, denn es gibt’s etwas anderes, etwas Wichtigeres, das es noch zu erledigen gilt.“ Sein Blick ging in die Richtung seines toten Pferdes, auf das die wertvolle Schriftrolle angebunden war.
Verwirrt blickte der Krieger ihn an. „Keine Bange, ich muss noch etwas zu Ende führen. Vorher möchte ich mich aber noch bei dir Bedanken. Wärst du nicht gewesen würde ich nun mit großer Sicherheit unter den Toten weilen. Dafür hast du meine Annerkennung.“ Marloes klopfte den jungen Burschen sanft auf die Schulter. In dessen Zügen zeichnete sich zuerst Überraschung, dann jedoch Stolz. „Geh nun aber wieder zurück zu deinen Posten und nehme den Kampf wieder auf. Kämpfe heldenhaft, auf das Tandruiel gütig über dich entscheiden mag!“
Mit einem energischen Nicken und einen respektvollen Gruß wandte der junge Krieger sich von seinem Hauptmann ab und stürmte den Horden der Feinde erneut entgegen. Marloes bewunderte den Mut diesen Krieger. Gewiss war er noch zu jung gewesen, die Wärme einer Frau zu spüren und trotzdem gab er ohne großes Zögern für seine Kameraden das Leben.
Stechender Schmerz zuckte wie Blitze durch Marloes Körper. Anscheinend hatte er seine Verletzungen unterschätzt. Dennoch. Trotz aller Qualen stand er. Träge blickte der Heerführer auf seine Beine hinab und zwang sich zu einem sarkastischen Lächeln. Wenn er solch Schwierigkeiten hatte, nur um sich zu erheben, welch Leiden würde er dann erst spüren, wenn er in höchsten Tempo rennen müsste? Und das musste er, andernfalls würde er es nicht schaffen seine Aufgabe zielsicher zu erfüllen. Ja, noch gab es einen Weg die Schriftrolle an ihrem rechtmäßigen Ort zu bringen.
Entschlossen hielt Marloes auf die lauten Schreie zu und hob seinen Schwertarm zum Kriegergruß. Doch da stimmte was nicht! Etwas fehlte! Entsetzt blickte der Heerführer auf seine nackten Hände. Wo in Kremolls Namen war sein Schwert? Er hatte kaum Gelegenheit weiter über sein Problem nachzudenken, als schon einer dieser wilden Bestien auf ihn zu stürmte. Panisch blickte Marloes sich um. Hier musste doch irgendetwas sein, dass als Waffe diente. Und tatsächlich. Nach kurzer Zeit wurde er für seine Suche belohnt. Hastig beugte er sich zu einem der Ungetüme, der tot vor ihm auf dem Boden lag und entriss ihm die dunkle Klinge aus den leblosen Händen. Ein fürchterliches Stechen in seiner Faust, ließ Marloes das schwarze Schwert fast wieder loslassen, doch mit all seiner Willenskraft überwand er den Schmerz und es gelang ihm, die Waffe zu einer geschickten Parade anzuwenden. Angewidert stieß er die dunkle Klinge in den freien Bauch seines Angreifers, der mit einem abscheulichen Stöhnen zusammenbrach. Der Heerführer machte nicht einmal Anstalten, dieses verfluchte Schwert wieder herauszuziehen. Stattdessen wandte er sich um, und hielt Ausschau nach einer prächtigen Klinge mit feuerrotem Griff.
Schon alleine der Gedanke an Nara ließ angenehm seinen Körper mit neuer Kraft durchströmen. Glücklich einen Teil seiner alten Stärke wieder erlangt zu haben, suchte des Königs bester Krieger weiter nach seinem Schwert... und wurde fündig. Etwa 10 Schritt von ihm entfernt, lag es dort neben zwei tote Bogenschützen. Hastig spurtete er dorthin. Wenn er sein Schwert erreicht hatte, war er auch wieder bereit weiter zu kämpfen und seine Aufgabe, so gut wie es ging, zu erfüllen. Auch wenn es Aussichtslos erscheinen mag, die Schriftrolle muss in Sicherheit gebracht werden. Alles hing nun von seinen Fähigkeiten ab... Scharfer Stahl zerrte ihn aus seinen Gedanken heraus. Pfeilschnell schoss etwas genau auf seinem Kopf zu. Instinktiv konnte er gerade noch soeben der tödlichen Klinge, einer dieser fürchterlichen Kreatur ausweichen und ihn ins leere laufen lassen. Eifrig humpelte der Kriegsherr zu seinem Schwert zu, das wenige Fuß vor ihm lag. Nach jedem Schritt zuckte er qualvoll zusammen. Doch es war nicht die Zeit in Selbstmitleid zu versinken. Sein Angreifer, der soeben nach seinem raschen Angriff zum Stillstand gekommen war und sich nun geschwind umdrehte um seinen Opfer hinterher zujagen, war nur wenige Schritte von ihm entfernt und mit jedem Atemzug, den er tat, wurde die Distanz immer kürzer. Gerade als der Schwertmeister das Kampfgeschrei, seines Gegners, das mehr einem tiefen Bellen eines Hundes gleichkam, vernahm, wirbelte er Nara mit einer raschen Fußbewegung in die Luft, griff nach dem reich verzierten Schwert und wandte es mit einer schnellen Drehung an, um den todbringenden Schlag zu parieren. Mit einem gezielten Tritt im Liegen auf das Schienbein dieser Kreatur, brachte er sie zu Fall und gab ihr mit einem kurzen Stöhnen den Gnadenstoß. Zeit blieb dem Heerführer nicht, sich über den glücklichen Ausgang dieses Kampfes zu freuen, denn schon eilte eine weitere Kreatur mit erhobener Klinge und wutverzerrten Gesicht auf ihn zu. Statt den heftigen Schlag abzuwehren, der auf seinen Hals zielte, schnellte er abermals nach vorne und riss dem Scheusal in der Luft die Beine um. Doch durfte er jetzt nicht mehr länger Zögern. Weswegen er seinen Gegner überrascht auf dem Boden liegen ließ.
Es tat gut, Nara wieder in Händen zu halten. Marloes fühlte wie ihm seine Kraft langsam wieder durch den Körper strömte. Plötzlich stolperte er. Hart fiel er neben zwei seiner toten Kameraden zu Boden. Der Feldherr verfluchte seine Füße, die ihn nun bei der ungünstigsten Gelegenheit einen Streich zu spielen schienen. Fluchend machte er Anstalten sich schon wieder zu erheben, doch da bemerkte er, dass er von der tobenden Schlacht ausgeschlossen wurde. Anscheinend übersah man ihn zwischen den beiden Leichen und hielt ihn selber für Tod. Auf die Idee einen Toten zu erschlagen würden sogar diese Bestien nicht kommen. Jetzt da er es sich noch einmal überlegte, war er sich nicht gewiss, ob er hier doch noch in Sicherheit liegen würde. Wer weiß zu was diese Kreaturen zu Stande waren? Ein abstoßender Fluch entwich leise seinen Lippen. Dennoch erkannte er die große Möglichkeit, die ihm jetzt bot. Er musste nur noch den richtigen Augenblick abwarten. Eine kleine Lücke zwischen ihm, seinen Pferd und den Weg nach draußen müsste genügen, um von hier mehr oder weniger unbemerkt zu verschwinden. Dann würde er weiter in den Wald hineinlaufen und nach einem günstigen Ort für sein Vorhaben Ausschau halten. Jetzt erst erkannte er, dass nicht etwa seine Füße an dem scheinbar unglücklichen Sturz schuld waren, sondern sein Schwert Nara ihn in solch einer günstigen Position fallen ließ. Der Schwertmeister erkannte schon früher die unglaubliche Macht Naras. Wie ein Marionettenspieler, der im Dunkeln die Fäden zieht, lenkte es manchmal in aussichtslosen Situationen seinen Körper, um ihn von der Gefahr wegzuzerren. Wieder einmal verdankte er seinem Schwert das Leben.
Darauf achtend, so wenig Körperteile wie Möglich nur zu Bewegen, um ja nicht aufzufallen, wandte der Kriegsherr seinen Kopf, um einen guten Blick auf das Geschehen zu haben. Seine Männer würden nicht mehr lange gegen die gewaltige Übermacht ankämpfen können, das wusste er. Nichtsdestotrotz galt es nun geduldig zu bleiben. Verdammt! Warum musste das Pferd, das die Schriftrolle trug nur so weit weg liegen?
Begleitet mit einem dumpfen Geräusch ging ein Körper nach dem anderen zu Boden. Jeder Schlag, jeder Hieb der seine Kameraden durchbohrte, war wie ein Stich in seinem Körper. Jeden von seinen Kriegern hatte im Laufe der Wanderung zu schätzen gelernt. Die meisten waren alte Kriegsveteranen und haben schon bei vielen seiner Schlachten gewirkt. Mit Hochachtung ließen sie sich respektvoll von ihm führen. Sie haben sich viele Heldengeschichte von früher ausgetauscht und wie sie gelacht haben!
Am liebsten hätte er nach seinem Schwert gegriffen und mit einem fürchterlich lauten Kriegsgeschrei seinen Leuten zu Hilfe geeilt. Aber nein, stattdessen lag des Königs treuem Heerführer wie ein Feigling versteckt zwischen den toten Körper zweier Männer, die für ihn bereits das Leben ließen. Erneut ertönte ein markerschütternder Schrei. Es waren einfach zu viele. Unmöglich nach einem Spalt in der Menge Ausschau zu halten. Wie lange möchten sie wohl noch Stand halten können? Vielleicht wenige Augenblicke bestenfalls, danach gäbe es keine Hoffnung mehr.
Es war aussichtslos. Wie will er seine Aufgabe jetzt noch erfolgreich erfüllen. Selbst wenn sie mit dreimal so vielen Männern aufgebrochen wären, bezweifelte er, dass sie einen würdigen Gegner für diese Bestien abgegeben hätten. Zwar verspürte der Schwertmeister keine Angst, wenn er in ihr grässliches Gesicht blickte, dennoch wollte er nicht unter der gewaltigen Faust solch einer Kreatur stehen. Jeder von ihnen war mindestens so stark wie zwei Männer. Besäße er nicht ein magisches Schwert, wäre er trotz all seinem Kampgeschick wahrscheinlich nicht einmal in der Lage gewesen mehr als drei von ihnen zu Fall zu bringen. Es war aussichtslos. Zu wenige sind noch übrig geblieben. Vielleicht wenn er nur lange genug wartet, würden diese Kreaturen nach dem Gemetzel weiterziehen und er könnte dann seine Aufgabe doch noch erfüllen... „Argh!“ Ein entsetzlicher Laut ertönte. Wie um seine Worte zu untermalen und ihm dem letzten Lebensfunken zu nehmen, vernahm der Heerführer nun von überall qualvolle Schreie. Abermals ließ er seinen Blick durch die Reihen gleiten. Er konnte nicht glauben, was sich dort zutrug. Gleich Tiere, sah er die Geschöpfe, um die Körper seiner Kameraden beugen. Grässliche Fresslaute und Bilder ließen ihn den Kopf wieder abwenden. Was sind das nur für Wesen? Augenblicklich wurde ihm bewusst, dass es kein Entrinnen mehr gab. Er würde hier sterben. Er würde es nicht schaffen die Schriftrolle in Sicherheit zu bringen. Schade eigentlich. Er hätte gern noch einmal das Gesicht Lannas, seiner Schwester gesehen, wie sie ihm zulächelt, wann immer er ihr ein Kompliment über ihre Kochkünste machte. Arme Lanna. Muss nun für sich selbst kochen. Zu blöd, dass sie nie einen Mann für sich finden konnte.
Müde blickte Marloes zu Nara. Wenigstens blieb ihm noch sein Schwert, an das er sich nun schon so sehr gewöhnt hatte, als wäre es ein neues Glied an seinem Körper. Moment mal! Das Schwert strahlte! Es war ein roter Schimmer der nach jedem Liedschlag verging, nur um beim nächsten wieder zu erleuchten. Das war ein Zeichen! Schnell blickte er zu seinem Pferd, das gut 30 Schritt entfernt auf dem Boden lag. Er konnte seinen Augen kaum trauen. Dort war tatsächlich eine Lücke im Getümmel. Wäre das Schwert nicht gewesen, so hätte er seine letzte Möglichkeit hier herauszukommen buchstäblich verschlafen. Nun galt es keine Zeit mehr zu verlieren. Er sammelte all seine Kraft, stand blitzschnell auf und preschte wie ein wilder Wolf, der frische Beute gewittert hatte, davon.
Gerade war der Feldherr einige Schritte hinausgerannt, sah er auch schon aus dem Augenwinkel heraus, einen wuchtigen Schwerthieb auf seinem Bauch zukommen. Seiner Reaktion hatte er es zu verdanken, dass er sich plötzlich auf dem Boden warf, um so Schlimmeres zu verhindern. Ohne zurückzublicken rannte er weiter. Zu viel Zeit würde es kosten, den letzten Schlag gegen diese Ungeheuer zu verrichten.
Nun blieben nur noch wenige Fuß zwischen ihm und seinem Pferd. Plötzlich erblickte er einen weiteren Gegner, um den er sich momentan nicht kümmern konnte, ihm den Weg versperren. Mutig trat der er dem Scheusal entgegen. Doch ob das Ungetüm mit Wahnsinn oder mit einem hervorragend denkenden Hirn ausgestattet war, vermochte er nicht zu sagen, als es mit einem lauten Kampfschrei und offenem Kiefer ihm hastig entgegen sprang. Ein normaler Krieger wäre in dieser Situation wohl den Zähnen dieses Monster zu Opfer gefallen, doch mit einem magischen Schwert ausgestattet, gelang es dem Schwertmeister mit übermenschlicher Geschwindigkeit auszuweichen. Sein Schwert lenkte sich wie von selbst als es diese Bestie noch in seinem Sprung den Kopf abschlug. Wenigstens müsste er jetzt nicht mehr befürchten dieses Ungeheuer würde ihn beim Losbinden der Schriftrolle in den Rücken fallen. Er riskierte noch einen letzten Blick auf den regungslosen Körper dieses Scheusals, dann wandte er seine Augen wieder weiter nach vorne.
Er hatte sein Ziel erreicht. Rasch griff er nach der Schriftrolle, die auf das tote Pferd geschnallt war, nahm sie in seine freie linke Hand, und spurtete ohne weitere kostbare Zeit zu verstreichen weiter.
Jetzt musste er nur noch aus diesem Blutbad verschwinden. Zum Glück hatte die Lücke zwischen all den Körpern sich noch nicht geschlossen, so musste er sich nur noch mit drei weiteren Ungeheuern auseinandersetzten, die dank seiner Jahre langen Erfahrung als Kriegsherr und Kämpfer und dank einem magischen Schwert keinerlei Hindernis für ihn stellten, um endlich aus dieser blutigen Lichtung hinaus zu treten
Müde seufzte er. Er hatte es geschafft! Er hatte das vollbracht, was anderen unmöglich schien. Dennoch. Trotz all dem Glücksgefühl, das er nun verspürte, kam er sich wie ein jämmerlicher Feigling vor. Erschöpft warf er einen schnellen Blick nach hinten. Die meisten seiner Männer lagen schon hilflos auf dem Boden und die paar die noch standen, waren in aussichtslose Kämpfe verwickelt. Doch einer von ihnen hatte ihn entdeckt und sah ihn kurz an. Es war Uktarol. Verflucht! Er darf diese Bestien nicht auf mich aufmerksam machen! Rasch machte der Heerführer mit einer kurzen Geste Uktrarol auf die Tasche, in der sich die Schriftrolle befand aufmerksam. Dieser nickte verständig, deutete mit seinem Schwert einen Salut an und stürzte sich wieder ins Gefecht. Er war froh, dass sein Leutnant mit einem scharfen Verstand ausgestattet war, den er wohl nie wieder benutzen würde, andernfalls hätten diese Bestien ihn entdeckt und dann wäre alles vorbei gewesen. Zwar hatte der Schwertmeister sich geschworen niemals einen seiner treuen Männer kaltherzig zu opfern, aber genau das tat er in diesem Moment. Er musste mit ansehen, wie einer seiner teuersten Freunde für ihn in den Tod zog. Dennoch wusste der Heerführer, dass er ihm sein Schicksal überlassen sollte. Zuviel hing von dieser Schriftrolle ab. Aber er schwor sich, dafür zu sorgen, dass es Uktarols Frau und seinen Kindern an nichts mangeln und jeder von seiner Tapferkeit erfahren würde.
Seine Männer kämpften zwar ehrenhaft, dennoch würden sie der massigen Übermacht schon bald nicht mehr weiter standhalten können.
Keine Zeit mehr war zu verlieren! Doch das hier war nicht der richtige Ort um es zu tun. Er musste einen besseren finden. Einen an dem er sich völlig Konzentrieren konnte. Zuerst aber durfte er keinen Augenblick länger hier verweilen.
Schwach und verwundet wie der Kriegsherr war, machte er sich mit leisem Stöhnen auf, soweit wie möglich von hier zu verschwinden. Lange würde er es nicht mehr aushalten können. Jeder Schritt war wie ein heftiges Stechen in seinem Körper. Jeder Atemzug brannte in seinen Lungen und jeder Herzschlag war wie ein kräftiger Schlag in den Magen. Daran vermochte auch sein magisches Schwert nichts zu ändern. Weiter! Immer nur weiter! Nur noch wenige Schritte und ich habe es geschafft! Quälerisch setzte er einen Fuß nach dem anderen.
Er hatte den Eindruck, als bewege er sich nicht von der Stelle. Die Bäume vor ihn sahen genauso weit weg aus, wie vor wenigen Atemzügen. Ungeachtet dessen, zwang er sich schon fast, nach jedem Schritt nicht entkräftet zusammenzubrechen. Wie weich das Laub auf den Boden nur aussah... Nein! Er musste sich zusammenreißen! Noch durfte er sich nicht ausruhen. Weiterzugehen war die einzige Möglichkeit, die ihm noch blieb. Todmüde richtete der Schwertmeister also seinem Blick wieder nach vorne.
Langsam verklang das Kampfgetöse. Wenigstens wusste er jetzt, dass er sich entfernte. Mit neuer Zuversicht, hinkte der Heerführer weiter.
Er hatte es schon immer gemocht durch die Wälder zu ziehen. Es hatte immer etwas Befreiendes an sich. Das Rascheln der Blätter im Winde, die leisen Tiergeräusche, das seichte Plätschern eines entfernten Baches, all das brachte ihn die Ruhe und den inneren Frieden, den er nirgends sonst zu finden vermochte. Als Kind waren die riesigen Wälder, die er allzeit wieder betrat, wie gigantische Abenteuer, die es zu durchleben galt. Die Sträucher links herum waren Zwerge mit denen er sich verbündet hatte, die Bäume ihre Feinde und deren Blätter die Pfeile, die sie auf sie herab schossen. Viele Stunde verbrachte er an seinen Schlachten und schon früh schmiedete er Pläne, wie er aus ihnen siegreich hervortreten mochte. Vielleicht verdankte er dem Spielen im Wald seine heute überaus geschickten Fähigkeiten als Heerführer. Aber nicht nur um seine fantasievollen Schlachten zu schlagen kam er in den Wald. Vor allem liebte er Tiere. Besonders Rehe. Die Zuversicht, die sie ausstrahlten und die Anmut mit denen sie sich bewegten, faszinierten ihn. Wie oft hatte er schon versucht, sich an eines anzuschleichen und sein weiches, braunes Fell zu streicheln. Und wie oft misslang es ihm. Jedes Mal, als er dachte, er hätte es nun endlich geschafft, raste das Tier wie vom Blitz getroffen davon. Ihm ärgerte es, dass sie nicht genügend Vertrauen ihn fanden, obwohl er fast täglich den Wald betrat, und er ihnen eigentlich nicht mehr Fremd sein durfte. Er wusste aber, dass er gegen der Schüchternheit dieser Tiere nichts zu tun vermochte, deswegen gab er sich mit der Zeit zufrieden, nur aus der Ferne und im Stillen ihre Pracht zu bewundern.
Ein Schatten, der sich vor ihm auftat, riss ihm aus seinen Gedanken. Etwas entfernt stand ein riesiger Eichenbaum. Er war so hoch, dass sein Schatten ihm schon Schritte voraus auf sein Gesicht traf. Er übertrumpfte alle anderen in seiner Nähe an Größe und Eindruck. Blätter, aus hellem Grün zierten die kräftigen Äste des Baumes. Es waren so viele, dass ein zufällig vorbeilaufender Wanderer, nicht einmal die Krone erspäht hätte, hätte er hinauf geblickt. Auch wenn er fünf Männer schicken würde, hätten sie nicht gereicht, um den Stamm mit ausgebreiteten Armen zu umfangen.
Völlig verausgabt brach er vor dem riesigen Baum in die Knie zusammen. Mit vor Erschöpfung zitternden Händen berührte er die ungewöhnliche Rinde der gewaltigen Eiche. Sie war glatt wie die ruhige See. Dies ist der richtige Ort. Unter diesem Baum sollte es nun also geschehen.
Träge legte er die Schriftrolle vor sich hin. Er war zu müde um sich noch länger auf den Beinen zu halten. Wie ein Stein fiel er auf einmal auf dem Boden. Fürchterliche Qualen ließen ihn Laut aufschreien, als er versuchte sich hinzuknien. Sein Atem war rasend, wie der eines Bullen, nach dem es nach einer langen Jagd erschöpft auf dem Boden zusammenbrach. Mit verkrampften Händen auf den Knien versuchte er sich zu beruhigen. Nach kurzen Augenblicken bekam er wieder die Fassung. Sogleich wurde dem Heerführer bewusst, dass er viel zu viel Lärm gemacht hatte. Ich Narr! Ich hätte mich besser im Zaum halten müssen! Still lauschte er dem Rauschen des Windes. Nichts. Kein wilder Aufschrei, keine lärmenden Schritte, die Verrieten dass diese Furcht einflößenden Kreaturen seinen qualvollen Aufschrei zu Kenntnis genommen haben. Beruhigt blickte er wieder zu seiner Schriftrolle. Er öffnete seinen Mund für einen kräftigen Atemzug. Dann schloss er seine Augen und begann. Wie waren noch mal die Worte?
Dieser Zauber verlangte von ihm seine höchste Konzentration. Er wusste, dass er kein Magier, sondern ein Krieger war, deshalb sei der Zauber den er nun zu ausüben versuchte, für ihn erheblich schwieriger. Selbst die Tatsache, dass er nur diesen einen Zauber ausüben konnte, machte die Sache nicht einfacher. Die Magie, die er dafür aber verwenden würde, war keine gewöhnliche Magie. Anders als die anderen Magier, die ihre Macht aus dem Inneren ihres Körpers nahmen, bezog er seine Kraft von seinem mächtigen Schwert Nara. In seinem Köper selbst war keine Magie zu finden, wie es eben bei einem Krieger üblich war. Dennoch, trotz der magischen Quelle, die in seinem Schwert ruhte, war dies ein äußerst schwierig zu wirkender Zauber. Doch versagen duldete der Heerführer nicht. Zu viel Stand auf dem Spiel, nur um durch einen flüchtigen Fehler seinerseits, verloren zu gehen. Nein. Er durfte nicht versagen.
Erneut zog er sämtliche Luft in sich hinein, nur um sie dann wieder langsam aus sich hinaus zu stoßen. Als er sich ein wenig entspannt hatte, kamen ihm auch jetzt wieder die magischen Worte in den Sinn, die er nun leise in einem Sprechgesang vor sich hinmurmelte. „Armak. Tudal armenia ok, sanflon zudaramal.“ Er spürte die Magie von seinem Schwert aus in ihm hineinfließen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Wie ein sanftes Kribbeln durchströmte es nun seinen ganzen Körper. „Ast zuverder nak darai...“
Ein tiefer, entsetzlicher Schrei, ließ ihn beinahe von seinem Vorhaben abringen. Anscheinend war der letzte Widerstand gebrochen worden und diesen Ungeheuern war wohl aufgefallen, dass etwas fehlte und zwar das, wofür sie hergekommen waren. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie nach ihm suchen würden, oder viel eher, nach der wertvollen Schriftrolle, die nun vor seinen Knien auf dem Boden lag.
Seine Krieger waren jetzt höchstwahrscheinlich schon alle tot. Das hieße ihn blieben nur noch wenige Augenblicke bis diese Ungeheuer ihn fänden. Ein süßer Schmerz brach in seinem Herzen aus. Zu viele waren für ihn gestorben. Er hätte weniger mitnehmen sollen, dann würden sie jetzt noch ihr friedliches Leben führen. Nein! Er durfte sich jetzt nicht ablenken lassen. Der Tod seiner Männer durfte nicht umsonst geschehen sein!
Mit einem langen Atemzug, zwang der Schwertmeister sich seine Gedanken erneut seinem Zauber zu widmen. Ihm war es nicht gestatten an etwas anderes, als an seiner Magie zu denken. Langsam tauchten auch schon wieder die magischen Worte in seinem Kopf auf. „Ost zu karamal vende kus narmu dar ik ...“
Jedes Wort, jede Silbe war richtig zu betonen. Ansonsten verblasse der Zauber und ihm fehle es an Zeit und Kraft für einen neuen Versuch. Das war das Letzte, was er geschehen lassen wollte.
Bald war er am Ende angekommen. Nur noch ein bisschen. Er spürte schon wie die Magie sich in ihm sammelte, um in wenigen Liedschlägen, mit einem kräftigen Stoß aus seinem Körper zu schießen. Erst wenn er dann völlig entkräftet auf dem Boden läge, besäße er die Gewissheit, dass ihm der Zauber gelungen ist.
Der bellende Lärm, den diese Bestien bei seiner Suche unweigerlich veranstalten, wurde immer lauter. Schon bald würden sie ihn gefunden haben.
„...Akna!“ Soeben hatte er das letzte Wort ausgesprochen. Ein magischer Wind ließ seine langen, schwarzen Haare nach Hinten wehen. Darauf folgte ein greller Lichtblitz, der so hell war, dass er ihm die Augen schließen ließ. Er fühlte wie jegliche Energie seinem Körper entwich. Selbst um gerade dazusitzen hatte er kaum genügend Kraft mehr. Als der Feldherr wieder seine Augen öffnete, war der Lichtblitz verschwunden, ebenso der Wind ... und die Schriftrolle.
Glücklich von dem Ergebnis seines Zaubers, ließ er sich schlaff, aber zufrieden mit sich selbst auf dem Boden fallen. Das Versprechen zu seinen Kriegern hatte er gehalten. Sie waren nicht umsonst gestorben. Er wusste, dass die wertvolle Schriftrolle sich nun in den sicheren Hallen der Magier befand. Auch wusste er welchen Preis er dafür gezahlt hatte. Nie wieder würde er ein Schwert schwingen können. Bediene er sich der Macht, verlor er all seine Fähigkeiten als Schwertkämpfer, so hatten es ihm die Magier damals erklärt. Sie warnten ihn den Zauber mit Bedacht zu gebrauchen. Und das hat der Heerführer getan. Unter diesen Umständen war es nicht von Bedeutung, ob er wie ein ausgebildeter Schwertkämpfer oder wie ein kleiner Stallbursche gegen diese Übermacht kämpfte. So tat er wenigstens noch etwas äußerst Wichtiges. Es war von Nöten gewesen, die Schriftrolle in Sicherheit zu bringen. Zwar kannte er nicht deren Inhalt, aber man hatte sie ihn mit solch Bedacht und unzähligen Warnungen, sie dürfe keines Weges verloren gehen, überreicht, dass er um den unschätzbaren Wert ihres Inhalt nicht mehr zweifelte. Er war froh seine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen zu haben.
Das Gebrüll seiner Verfolger kam näher. Schon bald hätten sie den Feldherrn erreicht. Sollen sie nur kommen. Es gab hier nichts mehr für sie zu holen, außer seinem Kopf. Ein Schauder ergriff ihn als er zurückdachte, was sie mit den toten Körpern seiner Kameraden angestellt hatten. Schon allein dafür versuchte er so viele von ihnen wie möglich mit in den Tod zu schicken. Zwar hatte er jegliches Kampfgeschick verloren, dennoch hielt er immer noch ein magisches Schwert in Händen. Mit einem müden Lächeln, blickte er zu Nara. Es leuchtete wieder! War es wegen der tödlichen Gefahr, die ihm unausweichlich immer näher kam? Erkannte sein Schwert vielleicht, das es kein Entrinnen mehr gab? Oder war es etwas anderes? Völlig verausgabt versuchte er angestrengt nachzudenken. Ich Dummkopf! Das ist es! Das Schwert selbst ist die Lösung! Sie waren nicht etwa hinter der Schriftrolle alleine her, sondern auch hinter das magische Schwert! Er wusste zwar nicht, was sie sich mit ihm zu gebrauchen vorstellten, doch war ein magisches Schwert gewiss immer zu etwas gut. Wie geblendet er nur war! Es war doch offensichtlich, dass so etwas Wertvolles nicht einfach davonkommen würde, ohne von einem habgierigen Blick, durchbohrt zu werden. Und jetzt hatte er nicht einmal genügend Kraft mehr, um sich aufzusetzen, geschweige denn einen erneuten schwierigen Zauber zu üben, der ihm alle Kraft abverlangte. Doch was sollte er nur tun? Die dumpfen Geräusche dieser Ungeheuer wurden immer lauter und seine Zuversicht immer kleiner. Wenn doch nur dieser riesige Baum vor ihm sprechen könnte. Dieser wüsste sicher in seiner Jahrhunderte lange Lebzeit einen passenden Weg, aus dieser misslichen Lage... Moment mal! Da stimmt doch was nicht! Etwa vier Fuß über ihm, sah die Rinde anders aus, als am restlichen Stamm. Könnte es sein...
All seine verbliebenen Kräfte zusammenkratzend hievte er sich auf. Der Heerführer musste sich auf die Zähne beißen, als der Schmerz ihn zu übermannen drohte. Letztendlich hatte er es geschafft. Nun stand er mit wackligen Beinen vor der mächtigen Eiche. Sein Kopf schwirrte. Um ihn herum drehte sich alles, wie wenn er einige Runden rennend um einen kleinen Brunnen gedreht hätte und dann jäh stehen blieb. Ihm war schwindelig. Die drehenden Bäume und Sträucher vergessend, schwankte er zur Eiche, um dann schmerzlichen gegen ihren Stamm zu knallen. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen. Laut hörte er die wütenden Schreie der Ungetüme. Gleich hatten sie ihn eingeholt.
Schnell öffnete er wieder seine Augen. Das Schwindelgefühl war vergangen. Er richtete seinen Blick eilig auf den hellen Kreis am Stamm des gewaltigen Baumes. Sanft klopfte er dagegen. Es war hohl! Mit wackligen Händen, griff er nach dem Rand des Kreises. Er schob daran ein wenig, dann als ihm ein kleiner Spalt am Rand auftat, legte er seine blutigen Finger hinein und nahm das Holzstück heraus. Tatsächlich. Im Inneren der Eiche war ein kleiner, hohler Raum. Sechs große Bierkrüge hätten dort mühelos Platz gefunden, ein erwachsener Mann aber nicht. Zu schade. Wäre der Hohlraum nur ein Hauch größer gewesen, so hätte er sich dort drinnen verstecken können und müsste nur noch warten bis diese Kreaturen ihre Suche abgebrochen hätten. Dann würde er wieder sich hinauszwängen und hätte somit überlebt.
Wahrscheinlich galt dieser Platz früher Banditen oder Räubern, die sich hier heimlich gestohlene Gegenstände austauschten. Das musste aber schon lange her sein. Überall war Moos um den Hohlraum. Selbst einige Spinnennetze konnte er dort erkennen. Es hatte den Anschein, als wäre dieses Versteck seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden. Wenigstens brauchte er sich keine Sorgen zu machen, irgendein forscher Räuber besuche eines Tages mit einem magischen Schwert in Händen und einem breiten Grinsen auf seinem Gesicht, seine treuen Kameraden. Bei der Vorstellung verformten sich die Mundwinkel des Kriegsherrn. Einst sollte dies ein Lächeln gewesen sein.
Nun war der Lärm seiner Verfolger ganz nah. Hastig schnallte er sich die Scheide los und schob sie mitsamt seinem Schwert, das ihn so lange begleitet hatte beinahe zärtlich in die Öffnung hinein. Traurig blickte er ihm nach. Es war für ihn, als müsste er einen Arm zurück lassen. Doch er durfte jetzt nicht an zurückgebliebenen Armen oder Räuber, mit magischen Schwertern ausgestattet denken! Geschwind hob er den runden Holzkreis vom Boden auf und verschloss damit wieder die Öffnung.
Nun vernahm der Feldherr auch schon erste Schatten von der Ferne auf ihn zu laufen. Einer von ihnen rief etwas in seiner brummigen Sprache und deutete mit dem Finger in seine Richtung. Daraufhin beschleunigten die Bestien ihr Tempo und rasten nun wild auf ihn zu. Er wollte ihnen wenigstens einen letzten guten Kampf liefern. Auch ohne Kampfgeschickt und magisches Schwert sollten sie es trotzdem nicht leicht haben! Etwas traurig war es schon zu Wissen, dass er nie wieder Lannas Lächeln sehen würde, dass er der Frau und den Kindern Uktarols nie das geben würde, was sie eigentlich verdienten, dass jetzt alles vorbei sein würde. Alles vorbei sein. Wie oft hatte er sich das herbeigesehnt. Weg von all den Bürden und Aufgaben, die er schon oft genug ertragen musste. Endlich wieder ein normales, ruhiges Leben zu führen. Keinen Heerführer mehr zu mimen. Aber er hätte nie geträumt, dass dieser Tag schon so bald und unter diesen Umständen ihn widereilen würde.
Trotzig blickte er der Schar von Ungetümen entgegen, die nur noch wenige Schritt vor ihm, immer näher kamen. Endlich würde alles vorbei sein. All die blutigen Kämpfe, all die endlosen Kriege, aus denen immer nur weniger als halb so viele zurück kamen, wie gegangen sind, all die Verantwortung als Heerführer und das schlechte Gewissen, das nach einem misslungen Angriff und zahlreichen Opfern auf ihn, wie eine schweres Gewicht, lastete. All dies würde in wenigen Augenblicken vorbei sein. Ein wenig vermissen würde er all die Tage als Heerführer schon, aber selbst wenn er alles hier lebend überstehen würde, könnte er wohl kaum ohne jegliche Fähigkeiten, die in großen Schlachten von Nöten waren und ohne jegliches Kampfgefühl, wieder sein altes Leben führen. Wenigstens sei er nicht umsonst gestorben. Er hatte eine wertvolle Aufgabe verrichtet. Zuckersüße Lobeslieder würde man von ihm singen, doch keines davon würde er lauschen können. Alle Barden und Erzähler würden sich selbst in den Haaren fallen, nur um Klar zu machen, dass ihre weit ausgeschmückten Geschichten über ihn auch die Wahren seien. Von dem großen Sieg aus dem Krieg der Wette, bis hin zu seinem würdevollen Opfer, würde man ihm preisen. Er war ein richtiger Held. Und wie alle Helden, so würde auch er gleich, im Kampfe den Tod finden. Er konnte stolz sein auf all das, was er verrichtet hatte. Ein letztes müdes Lächeln zierte sein würdevolles Gesicht.
Mit einem lauten Kampfschrei stürmte er nach vorne in die tödliche Menge hinein, doch war nicht das Letzte was er sah, die abscheuliche Fratzen der grässlichen Kreaturen. Ein stiller Beobachter hatte weit entfernt, im Schutz der Bäume das Geschehen mitverfolgt.
Mit seinem letzten Atemzug blickte der Schwertmeister in den braunen Augen eines Rehs.
Dies war seine Legende. Die Legende des glorreichen Kriegsherrn Marloes.
„Wir werden durch den Wald gehen. Die Wege dort dürften schmal sein. Ab sofort, reiten wir immer nur zu zweit nebeneinander. Sag den Männern, dass sie absitzen sollen. Wir machen eine kurze Rast, dann brechen wir auf.“
„Haltest du das wirklich für so eine gute Idee, Marleos? Du weißt, was es heißt wenn der Wind schlagartig die Richtung ändert. Gefahr ist im Anzug! Es wäre nicht klug den Zeichen der Götter zu trotzen und einfach einen Wald zu betreten, der nahezu zu einem Hinterhalt einlädt.“
„Aus dir wird einmal ein guter Kommandant, alter Freund.“ Es freute Marleos, solch einen fähigen zweiten Mann zu haben. „Auch wenn du eine Tatsache, bei deiner Hitzigkeit, anscheinend vergessen haben solltest. Der Krieg ist längst vorbei. Wer würde uns dort schon auflauern? Etwa Füchse und Mäuse? Nein, ich denke nicht, dass es irgendetwas zu befürchten gibt. Und selbst wenn uns Gefahr bevorstehen mag, würde es uns mindestens drei Wochen kosten, den Wald zu umgehen. Drei Wochen in denen deine Füchse mehr als genug Gelegenheiten haben, uns zu stellen.“
„Es geht um diese Schriftrolle, nicht wahr?“ Uktarol deutete viel sagend auf das aufgerollte Papier, das auf Marloes Pferd geschnallt war. „Deswegen willst du so schnell an unser Ziel gelangen. Ich erkenne doch wie du sie ansiehst. Etwas belastet dich, mein Freund und ich wette es hat irgendetwas mit dieser verfluchten Schriftrolle zu tun. Du hättest sie nicht annehmen sollen, als diese Magier sie dir aufgebürdet haben. Niemand nimmt etwas von diesen zwielichtigen Gestalten an.“
Geduldig blickte Marleos seinen Freund in die Augen. „Du verstehst nicht, Uktarol. Diese Schriftrolle ist der Schlüssel zu meiner Ruhe. Dies ist meine letzte Aufgabe und bei Kremoll, General der Generäle und Streiter der Götter, schwöre ich, ich werde sie erfolgreich zu Ende führen!“
Uktarols Mime blieb immer noch zweifelhaft. „Ich verstehe, dass dieser Auftrag dir sehr wichtig ist, ebenso verstehe ich deine Vorfreude auf deine lang ersehnte Ruhe. Dennoch rate ich dir, deine Entscheidung zu überdenken. Es wäre nicht weise durch einen Ort zu reisen, an dem, dem Feind alle Möglichkeiten der Tarnung offen stehen. Sie könnten hinter jedem Baum und Stein auf uns lauern! Denkt noch einmal nach, Hauptmann, und handelt behutsam.“
Es überraschte Marloes, dass sein alter Freund mitten im Gespräch auf einmal einen sehr formalen Ton anschlug. Uktrarols Augen funkelten fieberhaft. Ihm war es offenbar viel Wert, einen Bogen um diesen Wald zu machen. „Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen, Uktarol, oder wagst du es etwa deinem Befehlshaber zu widersprechen?“ Marloes wartete kurz eine Antwort ab. Als diese nicht kam fuhr er fort. „Denkst du nicht, ich hätte es nicht so weit geschafft, wenn ich mich von meinen Empfindungen jedes Mal beeinflussen lassen hätte? Denkst du, ich schaffe es nicht, Gefühle und Gedanken erfolgreich zu trennen? Wenn das der Fall ist, dann habe ich dich wohl sehr falsch eingeschätzt... Freund.“
Uktarols Augen richteten sich auf den Boden. Er wirkte etwas beschämt. „Nein, so ist es nicht, Marloes“, stieß er schließlich leise aus seinem Mund hervor. „Es ist nur... diese Zeichen. Es ist schon das Dritte auf unsere Reise gewesen, das Unheil verkünden soll. Und ich nehme nicht einfach die Warnungen der Götter auf die leichte Schulter. Deswegen bitte ich dich erneut, Marloes. Nicht als Leutnant, sondern als Freund. Überdenke noch ein letztes Mal deine Entscheidung! Es könnte von großer Wichtigkeit sein.“
Marloes senkte den Kopf. Auch ihn belasteten die Warnungen. Vielleicht hatte sein Freund ja auch Recht und es wäre ein fataler Fehler, den Weg durch den Wald zu wählen. Vielleicht lauert dort tatsächlich der Feind und kann es nicht mehr abwarten, bis sie in seine Falle tappen werden.
Nachdenklich kratzte sich der Hauptmann an dem Hinterkopf. Feinde, dachte er, wer sollte dort auf uns warten?
Langsam hob Marloes seinen Kopf und blickte mit leeren Augen nach vorne. Schließlich sprach er mit klarer Stimme: „Wir reiten durch den Wald. Tu wie ich dir befohlen habe und übernimm die Nachhut.“ Dann blickte er seinen Leutnant mit einem warmen Lächeln an. „Keine Sorge. Es wird alles gut gehen. Du machst dir viel zu viel Gedanken. Und außerdem...“, fügte er noch mit verträumten Blick hinzu, „mag ich es durch Wälder zu ziehen.“
Zuerst schien Uktrarol ein wenig verwirrt, doch dann entspannten sich seine Gesichtszüge und er konnte seinem Hauptmann erleichtert zunicken.
„Jawohl, Hauptmann. Ich sage den Männern, dass sie aufmerksam sein sollen. Lieber hin und wieder ein Fehlalarm, als plötzlich aus dem Nichts überrumpelt zu werden.“
„Gut gesprochen, mein Freund. In 40 Minuten brechen wir auf.“
Vorsichtig betraten sie eine große Lichtung. Eine Stunde liefen sie nun durch den Wald und bis dorthin war ihre Reise ohne unangenehme Unterbrechungen verlaufen. Marloes atmete tief durch. Anscheinend würden sie die hölzernen Riesen ohne weitere Zwischenfälle hinter sich lassen. Er schmunzelte. Es war töricht gewesen, zu denken, nach dem großen Sieg im gewaltigen Krieg, würde jemand auf die Idee kommen eine Schar aus gut fünf Dutzend bewaffneten Kriegern zu überfallen. Was für ein alberner Gedanke.
„Hauptmann!“
Aus seinen Überlegungen gerissen, drehte Marloes sich in die Richtung, woher er die Stimme vernommen hatte und blickte in ein kantiges Gesicht, das von Unruhe nur so strotzte.
„Einige Soldaten berichten, sie hätten schattenhafte Gestalten hinter einigen Bäumen beobachtet“, verkündete der junge Krieger aufgeregt. „Es könnte der Feind sein!“
So viel zu der unbeschwerten Reise. „Nun gut“, antwortete Marloes. „Gib den Männern bescheid sie sollen anhalten und ihre Schwerter ziehen. Wollen wir doch mal sehen, ob es tatsächlich unsere Füchse sind, die sich dort verstecken.“
Kurz darauf waren alle in Position. Mit einer kurzen Handbewegung gab Marloes dreien seiner Männer den Befehl sich an den Baum heranzuschleichen, von dem sie ausgingen, dort warte der Feind. Blitzschnell stürmten sie mit erhobenen Klingen voran und verschwanden prompt hinter dem Stamm. Ein leises Piepsen erklang und sogleich kehrten die drei Krieger mit einem breiten Grinsen im Gesicht zurück.
„Nur ein Eichhorn, das sich vor uns erschreckt hat“, gab einer von ihnen bekannt. „Kein Grund zu Sorge. Wir können beruhigt weiterziehen.“
Erleichtert stieß Marloes einen Seufzer aus. „Ihr habt es gehört, Männer. Steckt die Schwerter wieder ein, wir brechen...“
Ein lautes Rascheln neben ihm, ließ den Heerführer verstummen. Es folgte ein ohrenbetäubendes Gebrüll und Marloes wusste, dass Uktarols Befürchtungen sich bewahrheitet hatten. Hektisch warf der Hauptmann einen Blick auf seine erschrockenen Krieger. Plötzlich sprang ein schattenhafter Umriss aus den Bäumen hervor, landete mitten unter den Kriegern und war blitzartig mit einem lauten Aufschrei und einigen Männern wieder verschwunden. Unruhe brach unter den Reihen aus.
„Haltet die Formation!“, schrie Marloes. „Lasst euch nicht von eurer Furcht zerfressen und behaltet die Augen offen!“
Soeben hatte er das letzte Wort ausgesprochen, verschwanden zwei weitere Krieger.
Marloes spürte, wie das Zittern in den Armen und Beinen seiner Gefährten immer mehr zunahm. Auch ihm war nicht ganz wohl in seiner Haut. Verdammt! Was ist das bloß?
Mit klarem Kopf, wandte der Heerführer sich zu einem Trupp aus gut 20 Männern, deren Bögen bebend in alle Himmelsrichtungen schwankten. „Bogenschützen, zielt auf die Bäume zu eurer linken Seite und sobald sich irgendetwas bewegt, sei es auch nur das Rauschen der Blätter im Wind, feuert ihr!“
Die Männer taten wie geheißen und richteten ihre Bögen auf die großen dunklen Bäume vor ihnen. Sogleich rührte sich auf einmal etwas. „Schießt!“
Ein Pfeilhagen prasselte auf die Schatten hinter den Stämmen ein. Es war ein gurgelndes Geräusch zu hören, dann sprang pfeilschnell etwas aus einem anderen Baum hervor und stürzte sich auf einen der Bogenschützen. Diesem aber gelang noch ein verzweifelter Schuss, der glücklicherweise sein Ziel in dem Bauch seines Feindes fand. Weitere Pfeile schlugen in das Fleisch des Angreifers ein. Mit einem lauten Brüllen fiel der leblose Körper um und blieb zwischen all den Bogenschützen liegen. Alle nun sahen sie mit was sie es zu tun hatten. Marloes riss die Augen auf. So etwas hatte er noch nie zuvor gesehen! Die Kreatur war etwa zweieinhalb Schritt lang, hatte grau-schwarze Haut und war kräftig, wie ein Bulle. Ein riesiger Kiefer zierte ihr entsetzliches Gesicht, der zum Zerspalten von Knochen wie geschaffen war. Die leeren schwarzen Augen, die spitzen Ohren, die enorme Anzahl an mörderische Zähnen und die schwarze Klinge, die sie fest umschlossen in Händen hielt, verlieh dieser Kreatur etwas Furcht einflößendes.
„Was zum...“ Erneut sprangen ihnen schattenhafte Umrisse entgegen. Diesmal war es nicht mehr einer alleine, sie griffen nun alle zugleich an. Wie ein endloser dunkler Fluss, strömten diese Scheusale von allen Seiten auf sie ein. Es schien kein Ende zu nehmen.
Weitere Aufschreie seiner Männer erklangen. Marleos blieb keine Zeit weiterhin Befehle auszurufen, ihm selbst standen nun drei dieser Ungetüme gegenüber. Mit einer gewaltigen Geschwindigkeit stürmten sie sich plötzlich auf ihn. Hastig duckte der Heerführer sich unter einen ihrer Schwerthieben hinweg, parierte einen anderen und wich haarscharf einer weiteren dunklen Klinge aus. Mit ausgehobenem Arm lies Marloes kniend sein Schwert kreisen und jedem der Bestien, die dumm genug waren sich ihm zu nähren, wurde mit einem knackenden Laut die Beine abgeschlagen. Kreischend gingen sie zu Boden. Eine dunkle Flüssigkeit strömte aus der Wunde heraus. Angewidert beendete der Kriegsherr die Qualen seiner Feinde. Sie alle warfen ihn noch einem letzten hasserfüllten Blick zu, ehe ihr Herz für immer aussetzte.
Ohne sein Schwert wäre diese Tat ihm wohl vergönnt gewesen. Das wusste er. Gewiss, er war ein mehr als achtbarer Kämpfer, ja gar ein Schwertmeister unter seines gleichen, aber mit einer normalen Klinge hätte er erbärmlich wenig gegen diese Ungeheuer ausrichten können. Wie um seine Gedanken zu bestätigen fiel ein Krieger nach dem anderen um. Dennoch gab es noch Hoffnung. Neben zahlreichen leblosen Körpern seiner Kameraden, ragte auch hin und wieder einer der Feinde heraus. Auch sein Angriff bewies, dass diese Bestien nicht unverwundbar waren.
Eine schwarze Klinge lies dem Hauptmann wieder seine volle Aufmerksamkeit seinen Gegnern zu Teil werden. Gewand parierte er einen Schlag, der auf seinen Rücken zielte, und bohrte mit einer schnellen Drehung, sein magisches Schwert Nara in den Bauch seines Widersachers. Einen weiteren griff er mit einem ausfahrenden Hieb auf dem Hals an, wechselte aber dann blitzartig die Schwertrichtung und schlug, mit einem dumpfen Geräusch, der Kreatur den Arm ab. Hastig stieß er Nara in die offene Brust und zog es mit einer schwarzen Blutspur wieder aus der klaffenden Wunde. Mit einem Reflex, wich er geschwind drei weiteren Klingen aus und schlug mit einer einzigen Drehung zwei Köpfe seiner Feinde auf einmal ab.
Egal wie oft er unter den Hieben seiner Feinde hinwegtauchte, egal wie viele er leblos auf dem Boden schickte, es hörte nie auf. Immer mehrere von diesen abstoßenden Kreaturen griffen sie an. Es war wahrlich, wie ein düsterer Strom, der kein Ende nahm.
Ein klirrendes Geräusch erklang und mit einem heftigen Ruck, das er an seiner Schwerthand spürte, wurde der Heerführer für seine Unachtsamkeit bestraft. In einer Schlacht durfte man an nichts anderes als den Feind und seine Bewegungen denken, andernfalls könnte man gleich, anstatt mit einem Schwert, mit einer Feder in den Kampf ziehen. Nun sah Marloes seiner Klinge hinterher, die so langsam durch die Gegend flog, als hätte Luthan die Zeit verlangsamt. Entsetzt wollte der Hauptmann seinem Schwert hinterher springen, doch ein gewaltiger Schulterstoß in den Magen, presste ihn jegliche Luft aus dem Körper und ließ ihn schmerzlich gegen einen Baumstamm knallen. Verzweifelt rang Marloes nach Luft, doch wie durch einen hinterhältigen Zauber, verweigerte sie sich seinen Lungen. Der Hauptmann bemerkte, wie es schwarz um seine Augen wurde. Alles war auf einmal verschwommen und der um Nebel das Schlachtfeld herum, wurde immer größer. Undeutlich konnte er eine widerliche Grimasse erkennen, die entschlossen auf ihn zukam. Die Kreatur blieb vor ihm stehen und erhob ihr nachtschwarzes Schwert zu einem tödlichen Stoß. Das ist also das Ende.
Mit angespannten Muskeln schloss Marloes seine Augen und machte sich auf dem letzten Hieb bereit, der ihn durchbohren sollte. Doch entgegen all seinen Erwartungen geschah nichts. Bin ich etwa schon tot? Vernehme ich deswegen keinen Schmerz?
Mit aller Kraft versuchte er seine schweren Lieder zu öffnen. Wie eine schwere Last, drückten sie sich nach unten. Schließlich gelang es den Heerführer, sie einen spaltbreit aufzumachen. Matt blickte er in die warmen Augen seines Freundes Uktarol. Ja, dies ist das Ende. Er wartet bereits auf mich. Mit diesem Gedanken fielen dem Kriegsherrn die Augen zu.
Verwirrt blickte Marloes sich um. Alles um ihn herum war dunkel. Achtsam wagte er einen Schritt in die Finsternis und war erstaunt, dass sich unter ihm ein heller Boden auftat. Der schmale Weg führte durch die Dunkelheit und endete in ein grelles Licht. Dies also ist der goldene Pfad Tandruiels. Die letzte Reise.
Entschlossen schritt Marloes den strahlenden Weg entlang.
Hauptmann. Er wusste woher diese Stimme kam. Es war Tandruiel persönlich. Der Wächter der zwei Welten, wollte nun sein Urteil über ihn fällen. Hauptmann.
„Schon gut“, sprach Marloes mit klarer Stimme, „ich kann dich hören, o heiliger Tandruiel.“
Hauptmann!
Etwas stimmte nicht. Dies war nicht die wunderschöne Stimme des Hüters, sie klang schrill, ja fast panisch. Plötzlich brach der goldene Boden unter seinen Füßen zusammen. Sein Magen kribbelte, als er durch die Dunkelheit fiel. Immer tiefer schoss er nach unten. Kein Grund, der ihn grässlich zerschmettern würde, tat sich ihm auf. Er fiel und fiel und fiel...
„Hauptmann, so wacht doch auf!“
Marloes blinzelte. Das grelle Licht ließ ihm die Augen zusammenkneifen. Nach kurzer Zeit aber, konnte er auch schon wage Umrisse seiner Umgebung erkennen. Vor ihm kniete sich ein schmächtiger Soldat. Seine klaren grünen Augen sahen ihn nun besorgt an. Nur wenige Falten schmückten sein schmales Gesicht. Gewiss hatte er seit kurzem erst das Mannesalter erreicht. Marloes bemerkte eine tiefe Schnittwunde, die sich lang durch seinen rechten Arm zog, außerdem noch etliche Kratzer auf Gesicht und Körper.
„Seid ihr verwundet?“, fragte der junge Mann seinen Hauptmann. Marloes sah auf sich herab. Schließlich ließ er seine Arme Kreisen und hob seine Beine. Ein leichtes Stechen war die Antwort. Er hatte Glück gehabt, der Aufprall gegen den Baum hätte mit Leichtigkeit einige seiner Knochen brechen können. Marloes wollte gerade seinem Wecker etwas erwidern, als er sich sogleich seiner Umgebung bewusst war. Lautes Kampfgetöse ertönte um sie herum und mit einem Schlag fiel Marloes alles wieder ein.
„Die Schlacht!“, stieß es aus ihm aus.
„Wir sind in Unterzahl, Hauptmann“, erklärte der junge Krieger. „Unser Feind ist zu mächtig. Wir können nicht länger standhalten!“
So steht es nun also. Nachdenklich kratzte sich Marloes an dem Hinterkopf. Also war das letzte was er sah, nicht die Erscheinung eines Verstorbenen, sondern sein alter Freund, wie er ihm das Leben rettete.
\"Hauptmann?\" Marloes wurde aus seinen Gedanken gerissen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Gegenüber zu. „Was ist mit Leutnant Uktarol?“, fragte er unruhig. „Lebt er noch?“
Sein Retter wandte den Kopf ab. „Ich weiß es nicht, Herr. Es ist ein Wunder, dass ich es noch zu euch vor geschaffen habe. Ich wusste ihr seid nicht tot. Jetzt werden die Anderen neuen Mut fassen, wenn sie sehen, dass ihr Hauptmann an ihrer Seite noch entschlossen weiterkämpft.“
Marloes blickte den jungen Krieger verständnisvoll an. „Du hast Recht.“ Schlapp versuchte der Kriegsherr sich aufzurichten. „Wir müssen weiterkämpfen! Wir dürfen diesen Bestien nicht kampflos den Sieg überlassen. Diese Ehre gebührt aber nicht mir, denn es gibt’s etwas anderes, etwas Wichtigeres, das es noch zu erledigen gilt.“ Sein Blick ging in die Richtung seines toten Pferdes, auf das die wertvolle Schriftrolle angebunden war.
Verwirrt blickte der Krieger ihn an. „Keine Bange, ich muss noch etwas zu Ende führen. Vorher möchte ich mich aber noch bei dir Bedanken. Wärst du nicht gewesen würde ich nun mit großer Sicherheit unter den Toten weilen. Dafür hast du meine Annerkennung.“ Marloes klopfte den jungen Burschen sanft auf die Schulter. In dessen Zügen zeichnete sich zuerst Überraschung, dann jedoch Stolz. „Geh nun aber wieder zurück zu deinen Posten und nehme den Kampf wieder auf. Kämpfe heldenhaft, auf das Tandruiel gütig über dich entscheiden mag!“
Mit einem energischen Nicken und einen respektvollen Gruß wandte der junge Krieger sich von seinem Hauptmann ab und stürmte den Horden der Feinde erneut entgegen. Marloes bewunderte den Mut diesen Krieger. Gewiss war er noch zu jung gewesen, die Wärme einer Frau zu spüren und trotzdem gab er ohne großes Zögern für seine Kameraden das Leben.
Stechender Schmerz zuckte wie Blitze durch Marloes Körper. Anscheinend hatte er seine Verletzungen unterschätzt. Dennoch. Trotz aller Qualen stand er. Träge blickte der Heerführer auf seine Beine hinab und zwang sich zu einem sarkastischen Lächeln. Wenn er solch Schwierigkeiten hatte, nur um sich zu erheben, welch Leiden würde er dann erst spüren, wenn er in höchsten Tempo rennen müsste? Und das musste er, andernfalls würde er es nicht schaffen seine Aufgabe zielsicher zu erfüllen. Ja, noch gab es einen Weg die Schriftrolle an ihrem rechtmäßigen Ort zu bringen.
Entschlossen hielt Marloes auf die lauten Schreie zu und hob seinen Schwertarm zum Kriegergruß. Doch da stimmte was nicht! Etwas fehlte! Entsetzt blickte der Heerführer auf seine nackten Hände. Wo in Kremolls Namen war sein Schwert? Er hatte kaum Gelegenheit weiter über sein Problem nachzudenken, als schon einer dieser wilden Bestien auf ihn zu stürmte. Panisch blickte Marloes sich um. Hier musste doch irgendetwas sein, dass als Waffe diente. Und tatsächlich. Nach kurzer Zeit wurde er für seine Suche belohnt. Hastig beugte er sich zu einem der Ungetüme, der tot vor ihm auf dem Boden lag und entriss ihm die dunkle Klinge aus den leblosen Händen. Ein fürchterliches Stechen in seiner Faust, ließ Marloes das schwarze Schwert fast wieder loslassen, doch mit all seiner Willenskraft überwand er den Schmerz und es gelang ihm, die Waffe zu einer geschickten Parade anzuwenden. Angewidert stieß er die dunkle Klinge in den freien Bauch seines Angreifers, der mit einem abscheulichen Stöhnen zusammenbrach. Der Heerführer machte nicht einmal Anstalten, dieses verfluchte Schwert wieder herauszuziehen. Stattdessen wandte er sich um, und hielt Ausschau nach einer prächtigen Klinge mit feuerrotem Griff.
Schon alleine der Gedanke an Nara ließ angenehm seinen Körper mit neuer Kraft durchströmen. Glücklich einen Teil seiner alten Stärke wieder erlangt zu haben, suchte des Königs bester Krieger weiter nach seinem Schwert... und wurde fündig. Etwa 10 Schritt von ihm entfernt, lag es dort neben zwei tote Bogenschützen. Hastig spurtete er dorthin. Wenn er sein Schwert erreicht hatte, war er auch wieder bereit weiter zu kämpfen und seine Aufgabe, so gut wie es ging, zu erfüllen. Auch wenn es Aussichtslos erscheinen mag, die Schriftrolle muss in Sicherheit gebracht werden. Alles hing nun von seinen Fähigkeiten ab... Scharfer Stahl zerrte ihn aus seinen Gedanken heraus. Pfeilschnell schoss etwas genau auf seinem Kopf zu. Instinktiv konnte er gerade noch soeben der tödlichen Klinge, einer dieser fürchterlichen Kreatur ausweichen und ihn ins leere laufen lassen. Eifrig humpelte der Kriegsherr zu seinem Schwert zu, das wenige Fuß vor ihm lag. Nach jedem Schritt zuckte er qualvoll zusammen. Doch es war nicht die Zeit in Selbstmitleid zu versinken. Sein Angreifer, der soeben nach seinem raschen Angriff zum Stillstand gekommen war und sich nun geschwind umdrehte um seinen Opfer hinterher zujagen, war nur wenige Schritte von ihm entfernt und mit jedem Atemzug, den er tat, wurde die Distanz immer kürzer. Gerade als der Schwertmeister das Kampfgeschrei, seines Gegners, das mehr einem tiefen Bellen eines Hundes gleichkam, vernahm, wirbelte er Nara mit einer raschen Fußbewegung in die Luft, griff nach dem reich verzierten Schwert und wandte es mit einer schnellen Drehung an, um den todbringenden Schlag zu parieren. Mit einem gezielten Tritt im Liegen auf das Schienbein dieser Kreatur, brachte er sie zu Fall und gab ihr mit einem kurzen Stöhnen den Gnadenstoß. Zeit blieb dem Heerführer nicht, sich über den glücklichen Ausgang dieses Kampfes zu freuen, denn schon eilte eine weitere Kreatur mit erhobener Klinge und wutverzerrten Gesicht auf ihn zu. Statt den heftigen Schlag abzuwehren, der auf seinen Hals zielte, schnellte er abermals nach vorne und riss dem Scheusal in der Luft die Beine um. Doch durfte er jetzt nicht mehr länger Zögern. Weswegen er seinen Gegner überrascht auf dem Boden liegen ließ.
Es tat gut, Nara wieder in Händen zu halten. Marloes fühlte wie ihm seine Kraft langsam wieder durch den Körper strömte. Plötzlich stolperte er. Hart fiel er neben zwei seiner toten Kameraden zu Boden. Der Feldherr verfluchte seine Füße, die ihn nun bei der ungünstigsten Gelegenheit einen Streich zu spielen schienen. Fluchend machte er Anstalten sich schon wieder zu erheben, doch da bemerkte er, dass er von der tobenden Schlacht ausgeschlossen wurde. Anscheinend übersah man ihn zwischen den beiden Leichen und hielt ihn selber für Tod. Auf die Idee einen Toten zu erschlagen würden sogar diese Bestien nicht kommen. Jetzt da er es sich noch einmal überlegte, war er sich nicht gewiss, ob er hier doch noch in Sicherheit liegen würde. Wer weiß zu was diese Kreaturen zu Stande waren? Ein abstoßender Fluch entwich leise seinen Lippen. Dennoch erkannte er die große Möglichkeit, die ihm jetzt bot. Er musste nur noch den richtigen Augenblick abwarten. Eine kleine Lücke zwischen ihm, seinen Pferd und den Weg nach draußen müsste genügen, um von hier mehr oder weniger unbemerkt zu verschwinden. Dann würde er weiter in den Wald hineinlaufen und nach einem günstigen Ort für sein Vorhaben Ausschau halten. Jetzt erst erkannte er, dass nicht etwa seine Füße an dem scheinbar unglücklichen Sturz schuld waren, sondern sein Schwert Nara ihn in solch einer günstigen Position fallen ließ. Der Schwertmeister erkannte schon früher die unglaubliche Macht Naras. Wie ein Marionettenspieler, der im Dunkeln die Fäden zieht, lenkte es manchmal in aussichtslosen Situationen seinen Körper, um ihn von der Gefahr wegzuzerren. Wieder einmal verdankte er seinem Schwert das Leben.
Darauf achtend, so wenig Körperteile wie Möglich nur zu Bewegen, um ja nicht aufzufallen, wandte der Kriegsherr seinen Kopf, um einen guten Blick auf das Geschehen zu haben. Seine Männer würden nicht mehr lange gegen die gewaltige Übermacht ankämpfen können, das wusste er. Nichtsdestotrotz galt es nun geduldig zu bleiben. Verdammt! Warum musste das Pferd, das die Schriftrolle trug nur so weit weg liegen?
Begleitet mit einem dumpfen Geräusch ging ein Körper nach dem anderen zu Boden. Jeder Schlag, jeder Hieb der seine Kameraden durchbohrte, war wie ein Stich in seinem Körper. Jeden von seinen Kriegern hatte im Laufe der Wanderung zu schätzen gelernt. Die meisten waren alte Kriegsveteranen und haben schon bei vielen seiner Schlachten gewirkt. Mit Hochachtung ließen sie sich respektvoll von ihm führen. Sie haben sich viele Heldengeschichte von früher ausgetauscht und wie sie gelacht haben!
Am liebsten hätte er nach seinem Schwert gegriffen und mit einem fürchterlich lauten Kriegsgeschrei seinen Leuten zu Hilfe geeilt. Aber nein, stattdessen lag des Königs treuem Heerführer wie ein Feigling versteckt zwischen den toten Körper zweier Männer, die für ihn bereits das Leben ließen. Erneut ertönte ein markerschütternder Schrei. Es waren einfach zu viele. Unmöglich nach einem Spalt in der Menge Ausschau zu halten. Wie lange möchten sie wohl noch Stand halten können? Vielleicht wenige Augenblicke bestenfalls, danach gäbe es keine Hoffnung mehr.
Es war aussichtslos. Wie will er seine Aufgabe jetzt noch erfolgreich erfüllen. Selbst wenn sie mit dreimal so vielen Männern aufgebrochen wären, bezweifelte er, dass sie einen würdigen Gegner für diese Bestien abgegeben hätten. Zwar verspürte der Schwertmeister keine Angst, wenn er in ihr grässliches Gesicht blickte, dennoch wollte er nicht unter der gewaltigen Faust solch einer Kreatur stehen. Jeder von ihnen war mindestens so stark wie zwei Männer. Besäße er nicht ein magisches Schwert, wäre er trotz all seinem Kampgeschick wahrscheinlich nicht einmal in der Lage gewesen mehr als drei von ihnen zu Fall zu bringen. Es war aussichtslos. Zu wenige sind noch übrig geblieben. Vielleicht wenn er nur lange genug wartet, würden diese Kreaturen nach dem Gemetzel weiterziehen und er könnte dann seine Aufgabe doch noch erfüllen... „Argh!“ Ein entsetzlicher Laut ertönte. Wie um seine Worte zu untermalen und ihm dem letzten Lebensfunken zu nehmen, vernahm der Heerführer nun von überall qualvolle Schreie. Abermals ließ er seinen Blick durch die Reihen gleiten. Er konnte nicht glauben, was sich dort zutrug. Gleich Tiere, sah er die Geschöpfe, um die Körper seiner Kameraden beugen. Grässliche Fresslaute und Bilder ließen ihn den Kopf wieder abwenden. Was sind das nur für Wesen? Augenblicklich wurde ihm bewusst, dass es kein Entrinnen mehr gab. Er würde hier sterben. Er würde es nicht schaffen die Schriftrolle in Sicherheit zu bringen. Schade eigentlich. Er hätte gern noch einmal das Gesicht Lannas, seiner Schwester gesehen, wie sie ihm zulächelt, wann immer er ihr ein Kompliment über ihre Kochkünste machte. Arme Lanna. Muss nun für sich selbst kochen. Zu blöd, dass sie nie einen Mann für sich finden konnte.
Müde blickte Marloes zu Nara. Wenigstens blieb ihm noch sein Schwert, an das er sich nun schon so sehr gewöhnt hatte, als wäre es ein neues Glied an seinem Körper. Moment mal! Das Schwert strahlte! Es war ein roter Schimmer der nach jedem Liedschlag verging, nur um beim nächsten wieder zu erleuchten. Das war ein Zeichen! Schnell blickte er zu seinem Pferd, das gut 30 Schritt entfernt auf dem Boden lag. Er konnte seinen Augen kaum trauen. Dort war tatsächlich eine Lücke im Getümmel. Wäre das Schwert nicht gewesen, so hätte er seine letzte Möglichkeit hier herauszukommen buchstäblich verschlafen. Nun galt es keine Zeit mehr zu verlieren. Er sammelte all seine Kraft, stand blitzschnell auf und preschte wie ein wilder Wolf, der frische Beute gewittert hatte, davon.
Gerade war der Feldherr einige Schritte hinausgerannt, sah er auch schon aus dem Augenwinkel heraus, einen wuchtigen Schwerthieb auf seinem Bauch zukommen. Seiner Reaktion hatte er es zu verdanken, dass er sich plötzlich auf dem Boden warf, um so Schlimmeres zu verhindern. Ohne zurückzublicken rannte er weiter. Zu viel Zeit würde es kosten, den letzten Schlag gegen diese Ungeheuer zu verrichten.
Nun blieben nur noch wenige Fuß zwischen ihm und seinem Pferd. Plötzlich erblickte er einen weiteren Gegner, um den er sich momentan nicht kümmern konnte, ihm den Weg versperren. Mutig trat der er dem Scheusal entgegen. Doch ob das Ungetüm mit Wahnsinn oder mit einem hervorragend denkenden Hirn ausgestattet war, vermochte er nicht zu sagen, als es mit einem lauten Kampfschrei und offenem Kiefer ihm hastig entgegen sprang. Ein normaler Krieger wäre in dieser Situation wohl den Zähnen dieses Monster zu Opfer gefallen, doch mit einem magischen Schwert ausgestattet, gelang es dem Schwertmeister mit übermenschlicher Geschwindigkeit auszuweichen. Sein Schwert lenkte sich wie von selbst als es diese Bestie noch in seinem Sprung den Kopf abschlug. Wenigstens müsste er jetzt nicht mehr befürchten dieses Ungeheuer würde ihn beim Losbinden der Schriftrolle in den Rücken fallen. Er riskierte noch einen letzten Blick auf den regungslosen Körper dieses Scheusals, dann wandte er seine Augen wieder weiter nach vorne.
Er hatte sein Ziel erreicht. Rasch griff er nach der Schriftrolle, die auf das tote Pferd geschnallt war, nahm sie in seine freie linke Hand, und spurtete ohne weitere kostbare Zeit zu verstreichen weiter.
Jetzt musste er nur noch aus diesem Blutbad verschwinden. Zum Glück hatte die Lücke zwischen all den Körpern sich noch nicht geschlossen, so musste er sich nur noch mit drei weiteren Ungeheuern auseinandersetzten, die dank seiner Jahre langen Erfahrung als Kriegsherr und Kämpfer und dank einem magischen Schwert keinerlei Hindernis für ihn stellten, um endlich aus dieser blutigen Lichtung hinaus zu treten
Müde seufzte er. Er hatte es geschafft! Er hatte das vollbracht, was anderen unmöglich schien. Dennoch. Trotz all dem Glücksgefühl, das er nun verspürte, kam er sich wie ein jämmerlicher Feigling vor. Erschöpft warf er einen schnellen Blick nach hinten. Die meisten seiner Männer lagen schon hilflos auf dem Boden und die paar die noch standen, waren in aussichtslose Kämpfe verwickelt. Doch einer von ihnen hatte ihn entdeckt und sah ihn kurz an. Es war Uktarol. Verflucht! Er darf diese Bestien nicht auf mich aufmerksam machen! Rasch machte der Heerführer mit einer kurzen Geste Uktrarol auf die Tasche, in der sich die Schriftrolle befand aufmerksam. Dieser nickte verständig, deutete mit seinem Schwert einen Salut an und stürzte sich wieder ins Gefecht. Er war froh, dass sein Leutnant mit einem scharfen Verstand ausgestattet war, den er wohl nie wieder benutzen würde, andernfalls hätten diese Bestien ihn entdeckt und dann wäre alles vorbei gewesen. Zwar hatte der Schwertmeister sich geschworen niemals einen seiner treuen Männer kaltherzig zu opfern, aber genau das tat er in diesem Moment. Er musste mit ansehen, wie einer seiner teuersten Freunde für ihn in den Tod zog. Dennoch wusste der Heerführer, dass er ihm sein Schicksal überlassen sollte. Zuviel hing von dieser Schriftrolle ab. Aber er schwor sich, dafür zu sorgen, dass es Uktarols Frau und seinen Kindern an nichts mangeln und jeder von seiner Tapferkeit erfahren würde.
Seine Männer kämpften zwar ehrenhaft, dennoch würden sie der massigen Übermacht schon bald nicht mehr weiter standhalten können.
Keine Zeit mehr war zu verlieren! Doch das hier war nicht der richtige Ort um es zu tun. Er musste einen besseren finden. Einen an dem er sich völlig Konzentrieren konnte. Zuerst aber durfte er keinen Augenblick länger hier verweilen.
Schwach und verwundet wie der Kriegsherr war, machte er sich mit leisem Stöhnen auf, soweit wie möglich von hier zu verschwinden. Lange würde er es nicht mehr aushalten können. Jeder Schritt war wie ein heftiges Stechen in seinem Körper. Jeder Atemzug brannte in seinen Lungen und jeder Herzschlag war wie ein kräftiger Schlag in den Magen. Daran vermochte auch sein magisches Schwert nichts zu ändern. Weiter! Immer nur weiter! Nur noch wenige Schritte und ich habe es geschafft! Quälerisch setzte er einen Fuß nach dem anderen.
Er hatte den Eindruck, als bewege er sich nicht von der Stelle. Die Bäume vor ihn sahen genauso weit weg aus, wie vor wenigen Atemzügen. Ungeachtet dessen, zwang er sich schon fast, nach jedem Schritt nicht entkräftet zusammenzubrechen. Wie weich das Laub auf den Boden nur aussah... Nein! Er musste sich zusammenreißen! Noch durfte er sich nicht ausruhen. Weiterzugehen war die einzige Möglichkeit, die ihm noch blieb. Todmüde richtete der Schwertmeister also seinem Blick wieder nach vorne.
Langsam verklang das Kampfgetöse. Wenigstens wusste er jetzt, dass er sich entfernte. Mit neuer Zuversicht, hinkte der Heerführer weiter.
Er hatte es schon immer gemocht durch die Wälder zu ziehen. Es hatte immer etwas Befreiendes an sich. Das Rascheln der Blätter im Winde, die leisen Tiergeräusche, das seichte Plätschern eines entfernten Baches, all das brachte ihn die Ruhe und den inneren Frieden, den er nirgends sonst zu finden vermochte. Als Kind waren die riesigen Wälder, die er allzeit wieder betrat, wie gigantische Abenteuer, die es zu durchleben galt. Die Sträucher links herum waren Zwerge mit denen er sich verbündet hatte, die Bäume ihre Feinde und deren Blätter die Pfeile, die sie auf sie herab schossen. Viele Stunde verbrachte er an seinen Schlachten und schon früh schmiedete er Pläne, wie er aus ihnen siegreich hervortreten mochte. Vielleicht verdankte er dem Spielen im Wald seine heute überaus geschickten Fähigkeiten als Heerführer. Aber nicht nur um seine fantasievollen Schlachten zu schlagen kam er in den Wald. Vor allem liebte er Tiere. Besonders Rehe. Die Zuversicht, die sie ausstrahlten und die Anmut mit denen sie sich bewegten, faszinierten ihn. Wie oft hatte er schon versucht, sich an eines anzuschleichen und sein weiches, braunes Fell zu streicheln. Und wie oft misslang es ihm. Jedes Mal, als er dachte, er hätte es nun endlich geschafft, raste das Tier wie vom Blitz getroffen davon. Ihm ärgerte es, dass sie nicht genügend Vertrauen ihn fanden, obwohl er fast täglich den Wald betrat, und er ihnen eigentlich nicht mehr Fremd sein durfte. Er wusste aber, dass er gegen der Schüchternheit dieser Tiere nichts zu tun vermochte, deswegen gab er sich mit der Zeit zufrieden, nur aus der Ferne und im Stillen ihre Pracht zu bewundern.
Ein Schatten, der sich vor ihm auftat, riss ihm aus seinen Gedanken. Etwas entfernt stand ein riesiger Eichenbaum. Er war so hoch, dass sein Schatten ihm schon Schritte voraus auf sein Gesicht traf. Er übertrumpfte alle anderen in seiner Nähe an Größe und Eindruck. Blätter, aus hellem Grün zierten die kräftigen Äste des Baumes. Es waren so viele, dass ein zufällig vorbeilaufender Wanderer, nicht einmal die Krone erspäht hätte, hätte er hinauf geblickt. Auch wenn er fünf Männer schicken würde, hätten sie nicht gereicht, um den Stamm mit ausgebreiteten Armen zu umfangen.
Völlig verausgabt brach er vor dem riesigen Baum in die Knie zusammen. Mit vor Erschöpfung zitternden Händen berührte er die ungewöhnliche Rinde der gewaltigen Eiche. Sie war glatt wie die ruhige See. Dies ist der richtige Ort. Unter diesem Baum sollte es nun also geschehen.
Träge legte er die Schriftrolle vor sich hin. Er war zu müde um sich noch länger auf den Beinen zu halten. Wie ein Stein fiel er auf einmal auf dem Boden. Fürchterliche Qualen ließen ihn Laut aufschreien, als er versuchte sich hinzuknien. Sein Atem war rasend, wie der eines Bullen, nach dem es nach einer langen Jagd erschöpft auf dem Boden zusammenbrach. Mit verkrampften Händen auf den Knien versuchte er sich zu beruhigen. Nach kurzen Augenblicken bekam er wieder die Fassung. Sogleich wurde dem Heerführer bewusst, dass er viel zu viel Lärm gemacht hatte. Ich Narr! Ich hätte mich besser im Zaum halten müssen! Still lauschte er dem Rauschen des Windes. Nichts. Kein wilder Aufschrei, keine lärmenden Schritte, die Verrieten dass diese Furcht einflößenden Kreaturen seinen qualvollen Aufschrei zu Kenntnis genommen haben. Beruhigt blickte er wieder zu seiner Schriftrolle. Er öffnete seinen Mund für einen kräftigen Atemzug. Dann schloss er seine Augen und begann. Wie waren noch mal die Worte?
Dieser Zauber verlangte von ihm seine höchste Konzentration. Er wusste, dass er kein Magier, sondern ein Krieger war, deshalb sei der Zauber den er nun zu ausüben versuchte, für ihn erheblich schwieriger. Selbst die Tatsache, dass er nur diesen einen Zauber ausüben konnte, machte die Sache nicht einfacher. Die Magie, die er dafür aber verwenden würde, war keine gewöhnliche Magie. Anders als die anderen Magier, die ihre Macht aus dem Inneren ihres Körpers nahmen, bezog er seine Kraft von seinem mächtigen Schwert Nara. In seinem Köper selbst war keine Magie zu finden, wie es eben bei einem Krieger üblich war. Dennoch, trotz der magischen Quelle, die in seinem Schwert ruhte, war dies ein äußerst schwierig zu wirkender Zauber. Doch versagen duldete der Heerführer nicht. Zu viel Stand auf dem Spiel, nur um durch einen flüchtigen Fehler seinerseits, verloren zu gehen. Nein. Er durfte nicht versagen.
Erneut zog er sämtliche Luft in sich hinein, nur um sie dann wieder langsam aus sich hinaus zu stoßen. Als er sich ein wenig entspannt hatte, kamen ihm auch jetzt wieder die magischen Worte in den Sinn, die er nun leise in einem Sprechgesang vor sich hinmurmelte. „Armak. Tudal armenia ok, sanflon zudaramal.“ Er spürte die Magie von seinem Schwert aus in ihm hineinfließen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Wie ein sanftes Kribbeln durchströmte es nun seinen ganzen Körper. „Ast zuverder nak darai...“
Ein tiefer, entsetzlicher Schrei, ließ ihn beinahe von seinem Vorhaben abringen. Anscheinend war der letzte Widerstand gebrochen worden und diesen Ungeheuern war wohl aufgefallen, dass etwas fehlte und zwar das, wofür sie hergekommen waren. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie nach ihm suchen würden, oder viel eher, nach der wertvollen Schriftrolle, die nun vor seinen Knien auf dem Boden lag.
Seine Krieger waren jetzt höchstwahrscheinlich schon alle tot. Das hieße ihn blieben nur noch wenige Augenblicke bis diese Ungeheuer ihn fänden. Ein süßer Schmerz brach in seinem Herzen aus. Zu viele waren für ihn gestorben. Er hätte weniger mitnehmen sollen, dann würden sie jetzt noch ihr friedliches Leben führen. Nein! Er durfte sich jetzt nicht ablenken lassen. Der Tod seiner Männer durfte nicht umsonst geschehen sein!
Mit einem langen Atemzug, zwang der Schwertmeister sich seine Gedanken erneut seinem Zauber zu widmen. Ihm war es nicht gestatten an etwas anderes, als an seiner Magie zu denken. Langsam tauchten auch schon wieder die magischen Worte in seinem Kopf auf. „Ost zu karamal vende kus narmu dar ik ...“
Jedes Wort, jede Silbe war richtig zu betonen. Ansonsten verblasse der Zauber und ihm fehle es an Zeit und Kraft für einen neuen Versuch. Das war das Letzte, was er geschehen lassen wollte.
Bald war er am Ende angekommen. Nur noch ein bisschen. Er spürte schon wie die Magie sich in ihm sammelte, um in wenigen Liedschlägen, mit einem kräftigen Stoß aus seinem Körper zu schießen. Erst wenn er dann völlig entkräftet auf dem Boden läge, besäße er die Gewissheit, dass ihm der Zauber gelungen ist.
Der bellende Lärm, den diese Bestien bei seiner Suche unweigerlich veranstalten, wurde immer lauter. Schon bald würden sie ihn gefunden haben.
„...Akna!“ Soeben hatte er das letzte Wort ausgesprochen. Ein magischer Wind ließ seine langen, schwarzen Haare nach Hinten wehen. Darauf folgte ein greller Lichtblitz, der so hell war, dass er ihm die Augen schließen ließ. Er fühlte wie jegliche Energie seinem Körper entwich. Selbst um gerade dazusitzen hatte er kaum genügend Kraft mehr. Als der Feldherr wieder seine Augen öffnete, war der Lichtblitz verschwunden, ebenso der Wind ... und die Schriftrolle.
Glücklich von dem Ergebnis seines Zaubers, ließ er sich schlaff, aber zufrieden mit sich selbst auf dem Boden fallen. Das Versprechen zu seinen Kriegern hatte er gehalten. Sie waren nicht umsonst gestorben. Er wusste, dass die wertvolle Schriftrolle sich nun in den sicheren Hallen der Magier befand. Auch wusste er welchen Preis er dafür gezahlt hatte. Nie wieder würde er ein Schwert schwingen können. Bediene er sich der Macht, verlor er all seine Fähigkeiten als Schwertkämpfer, so hatten es ihm die Magier damals erklärt. Sie warnten ihn den Zauber mit Bedacht zu gebrauchen. Und das hat der Heerführer getan. Unter diesen Umständen war es nicht von Bedeutung, ob er wie ein ausgebildeter Schwertkämpfer oder wie ein kleiner Stallbursche gegen diese Übermacht kämpfte. So tat er wenigstens noch etwas äußerst Wichtiges. Es war von Nöten gewesen, die Schriftrolle in Sicherheit zu bringen. Zwar kannte er nicht deren Inhalt, aber man hatte sie ihn mit solch Bedacht und unzähligen Warnungen, sie dürfe keines Weges verloren gehen, überreicht, dass er um den unschätzbaren Wert ihres Inhalt nicht mehr zweifelte. Er war froh seine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen zu haben.
Das Gebrüll seiner Verfolger kam näher. Schon bald hätten sie den Feldherrn erreicht. Sollen sie nur kommen. Es gab hier nichts mehr für sie zu holen, außer seinem Kopf. Ein Schauder ergriff ihn als er zurückdachte, was sie mit den toten Körpern seiner Kameraden angestellt hatten. Schon allein dafür versuchte er so viele von ihnen wie möglich mit in den Tod zu schicken. Zwar hatte er jegliches Kampfgeschick verloren, dennoch hielt er immer noch ein magisches Schwert in Händen. Mit einem müden Lächeln, blickte er zu Nara. Es leuchtete wieder! War es wegen der tödlichen Gefahr, die ihm unausweichlich immer näher kam? Erkannte sein Schwert vielleicht, das es kein Entrinnen mehr gab? Oder war es etwas anderes? Völlig verausgabt versuchte er angestrengt nachzudenken. Ich Dummkopf! Das ist es! Das Schwert selbst ist die Lösung! Sie waren nicht etwa hinter der Schriftrolle alleine her, sondern auch hinter das magische Schwert! Er wusste zwar nicht, was sie sich mit ihm zu gebrauchen vorstellten, doch war ein magisches Schwert gewiss immer zu etwas gut. Wie geblendet er nur war! Es war doch offensichtlich, dass so etwas Wertvolles nicht einfach davonkommen würde, ohne von einem habgierigen Blick, durchbohrt zu werden. Und jetzt hatte er nicht einmal genügend Kraft mehr, um sich aufzusetzen, geschweige denn einen erneuten schwierigen Zauber zu üben, der ihm alle Kraft abverlangte. Doch was sollte er nur tun? Die dumpfen Geräusche dieser Ungeheuer wurden immer lauter und seine Zuversicht immer kleiner. Wenn doch nur dieser riesige Baum vor ihm sprechen könnte. Dieser wüsste sicher in seiner Jahrhunderte lange Lebzeit einen passenden Weg, aus dieser misslichen Lage... Moment mal! Da stimmt doch was nicht! Etwa vier Fuß über ihm, sah die Rinde anders aus, als am restlichen Stamm. Könnte es sein...
All seine verbliebenen Kräfte zusammenkratzend hievte er sich auf. Der Heerführer musste sich auf die Zähne beißen, als der Schmerz ihn zu übermannen drohte. Letztendlich hatte er es geschafft. Nun stand er mit wackligen Beinen vor der mächtigen Eiche. Sein Kopf schwirrte. Um ihn herum drehte sich alles, wie wenn er einige Runden rennend um einen kleinen Brunnen gedreht hätte und dann jäh stehen blieb. Ihm war schwindelig. Die drehenden Bäume und Sträucher vergessend, schwankte er zur Eiche, um dann schmerzlichen gegen ihren Stamm zu knallen. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen. Laut hörte er die wütenden Schreie der Ungetüme. Gleich hatten sie ihn eingeholt.
Schnell öffnete er wieder seine Augen. Das Schwindelgefühl war vergangen. Er richtete seinen Blick eilig auf den hellen Kreis am Stamm des gewaltigen Baumes. Sanft klopfte er dagegen. Es war hohl! Mit wackligen Händen, griff er nach dem Rand des Kreises. Er schob daran ein wenig, dann als ihm ein kleiner Spalt am Rand auftat, legte er seine blutigen Finger hinein und nahm das Holzstück heraus. Tatsächlich. Im Inneren der Eiche war ein kleiner, hohler Raum. Sechs große Bierkrüge hätten dort mühelos Platz gefunden, ein erwachsener Mann aber nicht. Zu schade. Wäre der Hohlraum nur ein Hauch größer gewesen, so hätte er sich dort drinnen verstecken können und müsste nur noch warten bis diese Kreaturen ihre Suche abgebrochen hätten. Dann würde er wieder sich hinauszwängen und hätte somit überlebt.
Wahrscheinlich galt dieser Platz früher Banditen oder Räubern, die sich hier heimlich gestohlene Gegenstände austauschten. Das musste aber schon lange her sein. Überall war Moos um den Hohlraum. Selbst einige Spinnennetze konnte er dort erkennen. Es hatte den Anschein, als wäre dieses Versteck seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden. Wenigstens brauchte er sich keine Sorgen zu machen, irgendein forscher Räuber besuche eines Tages mit einem magischen Schwert in Händen und einem breiten Grinsen auf seinem Gesicht, seine treuen Kameraden. Bei der Vorstellung verformten sich die Mundwinkel des Kriegsherrn. Einst sollte dies ein Lächeln gewesen sein.
Nun war der Lärm seiner Verfolger ganz nah. Hastig schnallte er sich die Scheide los und schob sie mitsamt seinem Schwert, das ihn so lange begleitet hatte beinahe zärtlich in die Öffnung hinein. Traurig blickte er ihm nach. Es war für ihn, als müsste er einen Arm zurück lassen. Doch er durfte jetzt nicht an zurückgebliebenen Armen oder Räuber, mit magischen Schwertern ausgestattet denken! Geschwind hob er den runden Holzkreis vom Boden auf und verschloss damit wieder die Öffnung.
Nun vernahm der Feldherr auch schon erste Schatten von der Ferne auf ihn zu laufen. Einer von ihnen rief etwas in seiner brummigen Sprache und deutete mit dem Finger in seine Richtung. Daraufhin beschleunigten die Bestien ihr Tempo und rasten nun wild auf ihn zu. Er wollte ihnen wenigstens einen letzten guten Kampf liefern. Auch ohne Kampfgeschickt und magisches Schwert sollten sie es trotzdem nicht leicht haben! Etwas traurig war es schon zu Wissen, dass er nie wieder Lannas Lächeln sehen würde, dass er der Frau und den Kindern Uktarols nie das geben würde, was sie eigentlich verdienten, dass jetzt alles vorbei sein würde. Alles vorbei sein. Wie oft hatte er sich das herbeigesehnt. Weg von all den Bürden und Aufgaben, die er schon oft genug ertragen musste. Endlich wieder ein normales, ruhiges Leben zu führen. Keinen Heerführer mehr zu mimen. Aber er hätte nie geträumt, dass dieser Tag schon so bald und unter diesen Umständen ihn widereilen würde.
Trotzig blickte er der Schar von Ungetümen entgegen, die nur noch wenige Schritt vor ihm, immer näher kamen. Endlich würde alles vorbei sein. All die blutigen Kämpfe, all die endlosen Kriege, aus denen immer nur weniger als halb so viele zurück kamen, wie gegangen sind, all die Verantwortung als Heerführer und das schlechte Gewissen, das nach einem misslungen Angriff und zahlreichen Opfern auf ihn, wie eine schweres Gewicht, lastete. All dies würde in wenigen Augenblicken vorbei sein. Ein wenig vermissen würde er all die Tage als Heerführer schon, aber selbst wenn er alles hier lebend überstehen würde, könnte er wohl kaum ohne jegliche Fähigkeiten, die in großen Schlachten von Nöten waren und ohne jegliches Kampfgefühl, wieder sein altes Leben führen. Wenigstens sei er nicht umsonst gestorben. Er hatte eine wertvolle Aufgabe verrichtet. Zuckersüße Lobeslieder würde man von ihm singen, doch keines davon würde er lauschen können. Alle Barden und Erzähler würden sich selbst in den Haaren fallen, nur um Klar zu machen, dass ihre weit ausgeschmückten Geschichten über ihn auch die Wahren seien. Von dem großen Sieg aus dem Krieg der Wette, bis hin zu seinem würdevollen Opfer, würde man ihm preisen. Er war ein richtiger Held. Und wie alle Helden, so würde auch er gleich, im Kampfe den Tod finden. Er konnte stolz sein auf all das, was er verrichtet hatte. Ein letztes müdes Lächeln zierte sein würdevolles Gesicht.
Mit einem lauten Kampfschrei stürmte er nach vorne in die tödliche Menge hinein, doch war nicht das Letzte was er sah, die abscheuliche Fratzen der grässlichen Kreaturen. Ein stiller Beobachter hatte weit entfernt, im Schutz der Bäume das Geschehen mitverfolgt.
Mit seinem letzten Atemzug blickte der Schwertmeister in den braunen Augen eines Rehs.
Dies war seine Legende. Die Legende des glorreichen Kriegsherrn Marloes.