Tim Weber
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Distanzen – Im synchronen Dasein, der digitalen Zeit, muten Distanzen an wie Hirngespinste aus vergangenen Epochen. Gedankliche Verortung verschwindet. Die in Summe wohl eher spärlich verteilten Zwischenräume, die Platz für potentiell neue Eindrücke und Denkmuster bereithalten, mehr und mehr ersetzt durch Dejavus Erlebnisse. Wer kenne nicht das Gefühl, wenn im Radio ein brandneuer Song angekündigt wird, der das progressive Lebensgefühl zum Ausdruck bringen soll, und man sich beim Zuhören nur denkt: Die Melodie kennst du doch schon von woanders. Nietzsche schreibt: „Dieser Berg macht die ganze Gegend, die er beherrscht, auf alle Weise reizend und bedeutungsvoll. Nachdem wir dies uns zum hundertsten Male gesagt haben, sind wir so unvernünftig und so dankbar gegen ihn gestimmt, dass wir glauben, er, der Geber dieses Reizes, müsse selber das Reizvollste der Gegend sein, und so steigen wir auf ihn hinauf und sind enttäuscht. Plötzlich ist er selber, und die ganze Landschaft um uns, unter uns wie entzaubert; wir hatten vergessen, dass manche Größen, wie manche Güte, nur auf eine gewisse Distanz hin gesehen werden will, und durchaus von unten, nicht von oben, so allein wirkt sie. Vielleicht kennst du Menschen in deiner Nähe, die sich selber nur aus einer gewissen Ferne ansehen dürfen, um sich überhaupt erträglich oder anziehend und kraftgebend zu finden; die Selbsterkenntnis ist ihnen zu widerraten. (aus den fröhlichen Wissenschaften)“ Kühn leiten wir daraus ab, dass das Streben nach einer fortwährenden Mehrung des Wissens und des Wohlstandes, nach immer mehr vorgetragener Identität und Eigenem, sein eigener Totengräber ist.