Gernot Jennerwein
Mitglied
Der Drachenjunge
Es ist etwas still in mir und ich denke an den Jungen, der im Büffelgras am Rande der Klippen steht. Der Junge hat keinen Namen, ich habe es versäumt, ihm einen zu geben. Niemand kümmert sich um das Verbleiben des Jungen. Er steht alleine da. Ich gebe ihm einen Würfelzucker zum Zeitvertreib. Mit fast geschlossenen Augen sieht er auf das Meer hinaus. Kühle Luft schlägt an seine Stirn, hebt das Haar und senkt es wieder. Er wartet auf ein Ereignis, aber es geschieht nichts, so sagt er bald ungeduldig:
„Haben Sie Mitleid, mein Herr, und lassen Sie mich nach Hause gehen.“
„Nein“, rufe ich hinunter auf das Blatt Papier, „du hast kein zu Hause.“
Da sagt er: „Ach lieber Herr, Sie haben doch eine lebhafte Fantasie und können mir mit Leichtigkeit ein schönes zu Hause schaffen.“
„Gut“, sage ich, „aber zuvor musst du ein Abenteuer bestehen, um dem Leser eine Freude zu bereiten, und der gemeine Leser hat einen einsamen Jungen lieber, als einen mit einem schönen Haus.“
Das leuchtet ihm ein und er verlangt nach einem weiteren Würfelzucker. Ich werfe den nächsten in die Geschichte hinein.
„Was für ein Erlebnis soll es für dich sein?“, frage ich und zähle heimlich die Würfelzucker in meinem Gedächtnis. Er setzt sich auf einen Stein und sagt, die Süßigkeit von einer Backe in die andere schiebend: „Ich möchte Raumschiffpilot sein.“
„Das ist unmöglich“, lasse ich ihn etwas grob wissen, „ich schreibe eine Fantasygeschichte.“
„Was sagt Ihr da“, ruft er viel zu laut für seine Kleinwüchsigkeit.
„Ich verlange von dir, dass du auf einem Drachen fliegst“, fordere ich, „zehn Würfelzucker bekommst du für deinen Einsatz.“
„Na gut, aber nur wenns ein kleiner Drache ist und keiner mit Feuer im Mund, so wie ein wildes Tier in den Tropen.“
„Einverstanden“, sage ich, packe ihn am Kragen und hebe ihn hoch über die Klippen hinaus. Er strampelt hilflos mit den Füßen, als wäre er ein Frosch ohne Halt. So erfunden kommt der Drache im Aufwind von links daher. Platsch, und mein Held sitzt auf dem Tier.
Daraufhin wird der Junge mutig. Er legt die Hände um den Hals des Transporteurs und tritt ihm mit den Stiefeln fortwährend in die Seite. Erschrocken flattert der Drache wie eine Fledermaus dreimal um die Welt. „Hey, Hey“, jauchzt der Junge wild geworden.
Er reitet den Transporteur noch zu Tode, denke ich und schnappe mir den Bengel am Rockzipfel, als er an der Küste vorbei fliegt.
„Genug ist es“, sage ich, „der Drache wird noch tot.“
Der erdachte Junge, welcher mir gegenüber steht, lächelt. Dann setzt er sich wieder auf den Stein nieder und erzählt mit nachdenklicher Grimasse: „Es hat niemals eine Zeit gegeben, in der ich durch mich selbst von meinem Leben überzeugt war. Ich erfasse die Dinge um mich nur in so hinfälligen Vorstellungen einiger Autoren, die sich meiner bedienen. Sie glauben immer, die Dinge hätten einmal gelebt, jetzt aber seien sie vorbei. Immer, lieber Herr, habe ich eine so quälende Lust, die Dinge so zu sehn, wie sie für mich erfunden wurden. Ich vergesse keine Geschichte, in der ich vorkam. Aber die Menschen vergessen mich, es muss wohl so sein und doch macht es mich traurig. Ich möchte leben und nicht sterben. Ich möchte, dass sich die Menschen an mich erinnern. Ich bin der Junge aus den Geschichten, die sich die Menschen erzählen. Wirst du mich auch vergessen, mein lieber Herr?“
„Nein, ich vergesse dich nicht, denn ich bin wie du, und nun komm, ich bau dir ein schönes Haus, dort hinterm Hügel im Büffelgras.
Es ist etwas still in mir und ich denke an den Jungen, der im Büffelgras am Rande der Klippen steht. Der Junge hat keinen Namen, ich habe es versäumt, ihm einen zu geben. Niemand kümmert sich um das Verbleiben des Jungen. Er steht alleine da. Ich gebe ihm einen Würfelzucker zum Zeitvertreib. Mit fast geschlossenen Augen sieht er auf das Meer hinaus. Kühle Luft schlägt an seine Stirn, hebt das Haar und senkt es wieder. Er wartet auf ein Ereignis, aber es geschieht nichts, so sagt er bald ungeduldig:
„Haben Sie Mitleid, mein Herr, und lassen Sie mich nach Hause gehen.“
„Nein“, rufe ich hinunter auf das Blatt Papier, „du hast kein zu Hause.“
Da sagt er: „Ach lieber Herr, Sie haben doch eine lebhafte Fantasie und können mir mit Leichtigkeit ein schönes zu Hause schaffen.“
„Gut“, sage ich, „aber zuvor musst du ein Abenteuer bestehen, um dem Leser eine Freude zu bereiten, und der gemeine Leser hat einen einsamen Jungen lieber, als einen mit einem schönen Haus.“
Das leuchtet ihm ein und er verlangt nach einem weiteren Würfelzucker. Ich werfe den nächsten in die Geschichte hinein.
„Was für ein Erlebnis soll es für dich sein?“, frage ich und zähle heimlich die Würfelzucker in meinem Gedächtnis. Er setzt sich auf einen Stein und sagt, die Süßigkeit von einer Backe in die andere schiebend: „Ich möchte Raumschiffpilot sein.“
„Das ist unmöglich“, lasse ich ihn etwas grob wissen, „ich schreibe eine Fantasygeschichte.“
„Was sagt Ihr da“, ruft er viel zu laut für seine Kleinwüchsigkeit.
„Ich verlange von dir, dass du auf einem Drachen fliegst“, fordere ich, „zehn Würfelzucker bekommst du für deinen Einsatz.“
„Na gut, aber nur wenns ein kleiner Drache ist und keiner mit Feuer im Mund, so wie ein wildes Tier in den Tropen.“
„Einverstanden“, sage ich, packe ihn am Kragen und hebe ihn hoch über die Klippen hinaus. Er strampelt hilflos mit den Füßen, als wäre er ein Frosch ohne Halt. So erfunden kommt der Drache im Aufwind von links daher. Platsch, und mein Held sitzt auf dem Tier.
Daraufhin wird der Junge mutig. Er legt die Hände um den Hals des Transporteurs und tritt ihm mit den Stiefeln fortwährend in die Seite. Erschrocken flattert der Drache wie eine Fledermaus dreimal um die Welt. „Hey, Hey“, jauchzt der Junge wild geworden.
Er reitet den Transporteur noch zu Tode, denke ich und schnappe mir den Bengel am Rockzipfel, als er an der Küste vorbei fliegt.
„Genug ist es“, sage ich, „der Drache wird noch tot.“
Der erdachte Junge, welcher mir gegenüber steht, lächelt. Dann setzt er sich wieder auf den Stein nieder und erzählt mit nachdenklicher Grimasse: „Es hat niemals eine Zeit gegeben, in der ich durch mich selbst von meinem Leben überzeugt war. Ich erfasse die Dinge um mich nur in so hinfälligen Vorstellungen einiger Autoren, die sich meiner bedienen. Sie glauben immer, die Dinge hätten einmal gelebt, jetzt aber seien sie vorbei. Immer, lieber Herr, habe ich eine so quälende Lust, die Dinge so zu sehn, wie sie für mich erfunden wurden. Ich vergesse keine Geschichte, in der ich vorkam. Aber die Menschen vergessen mich, es muss wohl so sein und doch macht es mich traurig. Ich möchte leben und nicht sterben. Ich möchte, dass sich die Menschen an mich erinnern. Ich bin der Junge aus den Geschichten, die sich die Menschen erzählen. Wirst du mich auch vergessen, mein lieber Herr?“
„Nein, ich vergesse dich nicht, denn ich bin wie du, und nun komm, ich bau dir ein schönes Haus, dort hinterm Hügel im Büffelgras.