Du

3,00 Stern(e) 2 Bewertungen

sufnus

Mitglied
Hey Annalloh!
Ich finde dieses kurze Gedicht eigentlich sehr schön konzipiert und es transportiert in seiner Lakonie eine Art tonloser Trauer über das Vergängliche, das der Liebe innewohnt (weshalb so häufig und so vehement das Gegenteil beschworen wird).
Wenn man die Zeilen mit hinreichend offener Haltung liest, kann man sie übrigens sowohl als die Schilderung von Untreue lesen (das lyrische Du streichelt jetzt die Hand eines neuen Partners), als auch - alternativ - als die Beschreibung einer tiefgreifenden Wandlung des lyrischen Ichs. Nach der zweiten Lesart, hätte die angesungene Person keineswegs die Hand "gewechselt" und wäre zu einem neuen Partner seitengesprungen, vielmehr hätte sich die/der "Eigentümer:in" der Hand so stark gewandelt, dass sie oder er für das lyrische Du zu einer fremden Person geworden ist.
Ein bisschen zu melodramatisch finde ich die vierte Zeile.

Vorschlag daher:

Wir saßen beisammen
Du nahmst meine Hand
Und streicheltest sie
Die Zeit verging
Du nahmst nicht mehr meine Hand
Denn nun war es die Hand einer Fremden

LG!

S.
 

Chandrian

Mitglied
Nun, ich muss mich wohl auch zu meinen zwei Sternen äussern, das schulde ich dir… für mich ist dieser Text nicht verdichtet genug, in sechs Zeilen fällt mir zu wenig spannendes – sprachlich sowie Inhaltlich. zudem ist die Schilderung zwar gefühlvoll und dementsprechend ist auch eine gewisse Melancholie nachvollziehbar, welche allerdings, aufgrund des konkreten Duktus, sehr brach daliegt. Uff das klingt auch wieder böse von mir…
Ein Vorschlag: mMn müsste dieser Bogen weiter gespannt werden. Für
mich bräuchte es für diese Odyssee (Liebe – Untreue) mindestens doppelt so viele Zeilen, um Spannung aufzubauen, oder eine „raffiniertere“ Sprache, wobei dies auch nur meine persönliche Vorliebe ist. Aber vom Fremdgehen liest man immer wieder, das ist nichts neues. Und wenn es dann nur „prosaartig“ daherkommt, finde ichs halt wirklich nicht gut.
Andere Gedichte von dir haben mir wesentlich besser gefallen!

LG
Chandrian
 

sufnus

Mitglied
Hey Chandrian!
Ich glaube, dass Annaloh - ggf. auch aus gewissen technischen Beschränkungen heraus (?) - nicht so diskursfreudig ist (muss ja auch nicht sein), aber ich finde Deine Erklärungen sehr instruktiv! :) Und eine Diskussion kann sich ja auch mal unabhängig vom Autor verselbständigen ;)
Auf alle Fälle finde ich Deinen Punkt sehr gut nachvollziehbar, dass es irgendwie schon so viele Untreue-Gedichte gibt, dass die Hürde da nicht so ganz niedrig liegt, wenn man sich einreihen will.
Mein Punkt war jetzt noch, dass man Annalohs Zeilen ggf. auch gar nicht als "Besingung" von Untreue lesen könnte, sondern (als parallel exisitierende Nebendeutungsmöglichkeit) auch als Geschichte einer Ich-Auflösung der Person, deren Hand gehalten wird. In dem Sinne, dass die Hand, die im zweiten Teil gehalen wird, physisch schon noch die gleiche ist, die zur Hand zugehörige Person sich aber so stark verändert hat (im Sinne einer evtl. Alters-bedingten Vita reducta, aber ggf. auch im Sinne einer Reife-bedingten persönlichen Weiterentwicklung, beides wäre denkbar), dass die (eigentlich gleiche) Hand jetzt plötzlich einer Fremden gehört.
Wenn es dem Text gelänge hier in der Schwebe verschiedener Deutungsebenen zu bleiben, hätte er für mich einen beträchtlichen lyrischen Mehrwert. Ob es dem Text in der vorliegenden Form (bereits) (in Teilen) gelingt und auch, ob dieses Gelingen eine wünschenswerte Textebene erschlösse, darüber kann man natürlich debattieren. :)
LG!
S.
 

Chandrian

Mitglied
Hey Chandrian!
Ich glaube, dass Annaloh - ggf. auch aus gewissen technischen Beschränkungen heraus (?) - nicht so diskursfreudig ist (muss ja auch nicht sein), aber ich finde Deine Erklärungen sehr instruktiv! :) Und eine Diskussion kann sich ja auch mal unabhängig vom Autor verselbständigen ;)
Auf alle Fälle finde ich Deinen Punkt sehr gut nachvollziehbar, dass es irgendwie schon so viele Untreue-Gedichte gibt, dass die Hürde da nicht so ganz niedrig liegt, wenn man sich einreihen will.
Mein Punkt war jetzt noch, dass man Annalohs Zeilen ggf. auch gar nicht als "Besingung" von Untreue lesen könnte, sondern (als parallel exisitierende Nebendeutungsmöglichkeit) auch als Geschichte einer Ich-Auflösung der Person, deren Hand gehalten wird. In dem Sinne, dass die Hand, die im zweiten Teil gehalen wird, physisch schon noch die gleiche ist, die zur Hand zugehörige Person sich aber so stark verändert hat (im Sinne einer evtl. Alters-bedingten Vita reducta, aber ggf. auch im Sinne einer Reife-bedingten persönlichen Weiterentwicklung, beides wäre denkbar), dass die (eigentlich gleiche) Hand jetzt plötzlich einer Fremden gehört.
Wenn es dem Text gelänge hier in der Schwebe verschiedener Deutungsebenen zu bleiben, hätte er für mich einen beträchtlichen lyrischen Mehrwert. Ob es dem Text in der vorliegenden Form (bereits) (in Teilen) gelingt und auch, ob dieses Gelingen eine wünschenswerte Textebene erschlösse, darüber kann man natürlich debattieren. :)
LG!
S.
Hey Sufnus

Na, dann diskutiere ich eben mit dir ;)
Find ich super, denn ich bin immer wieder von deinen Deutungsansätzen (positiv) überrascht. Und auch den Gedanken, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt, mag ich sehr, wird auch von Zeile 4 (bei deiner Version zwar noch mehr) und 6 unterstützt… jedoch wird mir dieses Bild immer wieder von Vers 5 zerstört… Und den von dir beschriebene Wandel, die Veränderung des Lyri, liesse sich aber dann trotzdem auch geschickter und ein Mü ausführlicher beschreiben.
Natürlich wäre es jetzt spannend @Annallohs Gedanken dazu zu hören… schade

LG
Chandrian
 

fee_reloaded

Mitglied
Interessante Diskussion - wenn auch ohne die Autorin....

Mir persönlich fehlt auch etwas, wenngleich ich die Intention hinter dem Text erahne und für gar nicht schlecht empfinde.
Ich finde es auch spannend, sufnus, wie du immer mit einer sehr großen Bereitschaft, selbst aus einem Text so viel wie möglich herauszuholen oder -lesen, an Gedichte hier herangehst.

Ich bin, wie die meisten hier wissen, eine, die sehr gerne lobt und selten bis gar nicht hart kritisiert (und wenn, dann versuche ich, dabei so positiv und konstruktiv wie möglich zu sein). Das heißt aber nicht, dass ich keine hohen Ansprüche an Lyrik habe. Für mich muss ein Gedicht selbst das leisten, was du sozusagen an Eigenleistung als Leser bereit bist, von dir aus hineinzulesen.

Für mich bräuchte es....mindestens doppelt so viele Zeilen, um Spannung aufzubauen, oder eine „raffiniertere“ Sprache
Mein Gefühl bei diesem Text (und auch anderen hier in der Lupe allgemein) geht da in die Richtung die Chandrian andenkt. Ich glaube zwar nicht, dass der konkrete Text hier viel länger sein müsste, aber den Wunsch bzw. Anspruch, dass er eine Atmosphäre schafft (durch die Sprache und Wahl von Worten und/oder Bildern), die den Inhalt trägt (auch zwischen den Zeilen sozusagen), und den Leser so ein wenig "führt", habe ich auch. Führen meine ich im Sinne einer bewusst erzeugten Stimmung, die durch den Rhythmus und die Melodie der Sprache und die gewählten Bilder und Worte gebildet wird.

Klar, der Grat zwischen zu viel und zu wenig Führung in einem Text (beides ist gleichermaßen schlecht), ist sehr schmal. Aber geht es nicht letztlich genau darum beim Schreiben guter Lyrik - neben den "handwerklich messbaren" Kriterien wie korrekte Syntax und Grammatik?

LG,
fee
 

sufnus

Mitglied
Hey Chandrian & Fee!
Erstmal ganz lieben Dank für Euer nettes Feedback - das ist wirklich sehr stimmungshebend wirksam! :) Eure "Diagnose", dass ich aus einem Text zu überraschenden Deutungsansätzen komme (Chandrian) bzw. so viel wie möglich herauslese (Fee) ist ein sehr schönes Kompliment - da freu ich mich! :)
Tatsächlich ist es mir auch bei eigenen Texten schon öfter mal so gegangen, dass ein Leser darin Gedanken oder Assoziationsräume entdeckt hat, von denen ich mir nie etwas hätte träumen lassen - das sind, wie ich finde, mit die schönsten Aspekte bei Lyrik und es unterstreicht, dass die Gedanken der Leser*innen in der Poesie mindestens so wichtig sind, wie diejenigen der Poet*innen.
Und ich mag sehr Euren Hinweis (jetzt bezogen auf Annallohs Text im Besonderen aber auch lyrische Texte im Allgemeinen), dass auch bei einer Kurzform wie dem Gedicht ein Text doch genügend "zu sagen" haben sollte, dass also Reduktion und Minimalismus hier nicht alles sind. Ich glaube, damit reißt Ihr einen sehr wichtigen Punkt an. Bei aller Freude am Kondensieren und Reduzieren, sollte Lyrik halt doch nicht eine Textkategorie für Schreibfaule sein. :)
Das ist natürlich kein Statement gegen Haiku & Co, also die ganz kurzen Miniaturformen in der Lyrik, denn hier liegt eben das Gesagte im Nicht-Text verborgen, aber es stimmt schon, dass bei der Lyrik manchmal die Tendenz besteht (ich sehe das auch bei mir) einen Text allzuschnell für beendet zu erklären, weil man beim Schreiben nicht mehr recht weiterkommt, wobei man dann die eigentlich zur Abrundung fehlenden Bausteine flugs zum Prinzip erklärt.
Ich bin ja ein großer Fan, des Non-Finito, also der vor allem in der bildenden Kunst der Renaissance aufgekommenen Vorstellung, dass ein (ggf. absichtsvollerweise) unvollendetes Werk manchmal eine weitaus größere Poesie besitzt, als eine bis aufs letzte Tüddelchen durchgearbeitete Arbeit. Aber die Crux ist halt, dass nicht jedes Werk davon profitiert, wenn "etwas fehlt".
LG!
S.
 
Zuletzt bearbeitet:

fee_reloaded

Mitglied
Bei aller Freude am Kondensieren und Reduzieren, sollte Lyrik halt doch nicht eine Textkategorie für Schreibfaule sein.
Ich würde das eher so formulieren: sie sollte nicht eine Textkategorie für Denkfaule sein - im Sinne von " es sich leicht machen" beim Schreiben. Ich möchte die Denkarbeit und damit auch die "Denke" des Autors lesen können - der Inhalt ist für mich zweitrangig ehrlich gesagt. Das, WIE dieser Inhalt vermittelt wird, welches Gefühl (sprachlich und gedanklich) da vom Autor hineingepackt wurde - das ist es, was mir etwas erzählt, das weitaus spannender ist als das zigste Sonnett zum Tagesgeschehen (auf niemanden gemünzt gemeint!). Dazu muss man sich als Autor aber eben mehr überlegen als bloß die guten Gedanken irgendwie in Worte zu packen.

Wenn ich mir gezielt überlege, wo ich eigentlich mit meinem Text hin will (und wo ich auch die LeserInnen mit hin nehmen möchte), bin ich doch erst in der Lage mit reduzierter, pointierter Sprache und Bildwahl etwas "lyrisches" zu erzeugen. So sehe ich das zumindest. Grade bei ungereimten Gedichten hat da jeder etwas abweichende Ansprüche und Kriterien. Und die meisten davon sind nur schwer auf den Punkt zu bringen...insofern erhebe ich keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit meiner Ausführungen... ;)

LG
 



 
Oben Unten