Al‘ arrabbiata
Wie lange ich schon hier im Halbdunkel des Korridors stehe, weiß ich nicht. Deine nicht ausgesprochenen Worte schwirren umher, prallen an den Wänden ab und dringen nun von allen Seiten in mich ein. Wie Nadelspitzen gleiten sie unter meine Haut. Mein Magen krampft. Meine Beine sind schwer. In meinem Gehirn herrscht gähnende Leere. Meine Hände halten sich gegenseitig fest, als ob ich mir selbst entgleiten könnte. Ich stehe da. Ohne jegliches Gefühl für mich – für dich. Stehe nur einen Schritt von der Tür entfernt, durch die du verschwunden bist.
Deine harten Schritte im Treppenhaus sind verklungen. Das Stimmenwirrwar tobender Kinder dringt aus dem Hinterhof durch das offene Küchenfenster zu mir in den vierten Stock. Ich schließe es mit einem lauten Ruck, nehme ein Glas vom feierlich gedeckten Tisch und fülle es mit Leitungswasser. Der erste Schluck tut gut.
In einem Rausch von Rot und Orange verschwindet die Sonne hinter dem gegenüberliegenden Dach und taucht die Küche in ein erbarmungsloses Glühen. Ich wende mich ab, denn dieses Schauspiel folgt nicht mehr meinen Regieanweisungen. Es sollte ein versöhnlicher Abend werden und ich hatte sogar dein Lieblingsgericht gekocht: Spaghetti all‘ arrabbiata. Nicht zu scharf und doch mit dem gewissen Pep, wie du zu sagen pflegst. Auf dein Urteil werde ich heute verzichten müssen. Wir haben es nicht einmal bis zu den Antipasti geschafft.
Warum müssen wir denn unbedingt zusammenziehen? Das war mein erster und einziger Satz an diesem Abend. Ich hatte wohl vergessen, dass das der eigentliche Grund für unsere, nein, deine Missstimmung war. War ich zu direkt? Hätte ich sie nicht aussprechen dürfen, diese harmlose Frage, die doch den Begriff „Zweisamkeit“ nicht klären kann. Du hast lediglich die Hand gehoben, den Kopf gesenkt und bist leicht schwankend aus der Küche gestakst. Hast mich nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Bist auf und davon. Einfach so, ohne Worte.
Nach dem zweiten Schluck Wasser betrachte ich den Abdruck, den meine Lippen auf dem Gläserrand hinterlassen haben. Sie haben sich auf die Konturen deines dunkelroten Lippenstifts gelegt. Ich schütte das Wasser aus und stelle das Glas in die Spüle. Den Abwasch übernimmt morgen sowieso meine Putzfrau.
jochen heckmann
Wie lange ich schon hier im Halbdunkel des Korridors stehe, weiß ich nicht. Deine nicht ausgesprochenen Worte schwirren umher, prallen an den Wänden ab und dringen nun von allen Seiten in mich ein. Wie Nadelspitzen gleiten sie unter meine Haut. Mein Magen krampft. Meine Beine sind schwer. In meinem Gehirn herrscht gähnende Leere. Meine Hände halten sich gegenseitig fest, als ob ich mir selbst entgleiten könnte. Ich stehe da. Ohne jegliches Gefühl für mich – für dich. Stehe nur einen Schritt von der Tür entfernt, durch die du verschwunden bist.
Deine harten Schritte im Treppenhaus sind verklungen. Das Stimmenwirrwar tobender Kinder dringt aus dem Hinterhof durch das offene Küchenfenster zu mir in den vierten Stock. Ich schließe es mit einem lauten Ruck, nehme ein Glas vom feierlich gedeckten Tisch und fülle es mit Leitungswasser. Der erste Schluck tut gut.
In einem Rausch von Rot und Orange verschwindet die Sonne hinter dem gegenüberliegenden Dach und taucht die Küche in ein erbarmungsloses Glühen. Ich wende mich ab, denn dieses Schauspiel folgt nicht mehr meinen Regieanweisungen. Es sollte ein versöhnlicher Abend werden und ich hatte sogar dein Lieblingsgericht gekocht: Spaghetti all‘ arrabbiata. Nicht zu scharf und doch mit dem gewissen Pep, wie du zu sagen pflegst. Auf dein Urteil werde ich heute verzichten müssen. Wir haben es nicht einmal bis zu den Antipasti geschafft.
Warum müssen wir denn unbedingt zusammenziehen? Das war mein erster und einziger Satz an diesem Abend. Ich hatte wohl vergessen, dass das der eigentliche Grund für unsere, nein, deine Missstimmung war. War ich zu direkt? Hätte ich sie nicht aussprechen dürfen, diese harmlose Frage, die doch den Begriff „Zweisamkeit“ nicht klären kann. Du hast lediglich die Hand gehoben, den Kopf gesenkt und bist leicht schwankend aus der Küche gestakst. Hast mich nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Bist auf und davon. Einfach so, ohne Worte.
Nach dem zweiten Schluck Wasser betrachte ich den Abdruck, den meine Lippen auf dem Gläserrand hinterlassen haben. Sie haben sich auf die Konturen deines dunkelroten Lippenstifts gelegt. Ich schütte das Wasser aus und stelle das Glas in die Spüle. Den Abwasch übernimmt morgen sowieso meine Putzfrau.
jochen heckmann