Languedoc
Mitglied
Die aktuelle Version findet sich hier.
Die Besprechung hatte lange gedauert, länger als geplant und weit über die normalen Öffnungszeiten einer Notarkanzlei hinaus, aber dann war das Testament aufgesetzt und Frau Moll zufrieden: Endlich hatte sie ihre letztwilligen Anordnungen rechtsgültig getroffen. Sie verabschiedete sich durchaus warmherzig vom Notar, einem gewissen Doktor Richter, den sie im Übrigen nicht näher kannte, und verließ die angenehm klimatisierten Räume der Kanzlei.
Jetzt brauch ich eine Zigarette, dachte sie und eilte leichtfüßig zum Ausgang des Gebäudes, ein prächtiges innerstädtisches Bürgerpalais, riss einen Portalflügel auf und prallte gegen eine Wand aus heißer Luft. Augenblicklich perlten Schweißtropfen in den Achselhöhlen von Frau Moll.
Ich will meine Zigarette, dachte sie und steuerte eine jener Bänke an, die die Stadtverwaltung in der Fußgängerzone aufgestellt hatte. Die Bank lehnte am Stamm einer jungen Linde und war behütet von einer kleinen Laubkrone, die willkommenen Schatten spendete; noch schien die Abendsonne dieses Hochsommertages und sie schien mit aller Macht.
Niemand saß auf der Bank, was verwunderlich war, schließlich schlenderten Massen von Menschen die hübsche Straße entlang, doch offenbar hatte niemand ein Verlangen, sich zu setzen und auszurasten.
Manchmal hab ich eben Glück, dachte Frau Moll und glitt auf die freie Bank. Sie zog ein Zigarettenetui aus ihrer Handtasche und zündete sich einen Sargnagel an ‒ Sargnagel, so nannte sie ihr Laster, irgendwann hatte sie dieses Wort aufgeschnappt und übernommen, es passte gut, viel Zeit habe sie nicht mehr, hatte ihr Onkologe gemeint, ein Fachexperte, der es wissen muss; er hieß Doktor Ominus.
Frau Moll rauchte für ihr Leben gerne, selbst dann, wenn die Zigarette nicht recht schmecken wollte, wie heute, es musste an dieser Höllenhitze liegen. Trotzdem rauchte sie. Allein die sachte Bewegung des Armes und die Haltung der Hand wirkten beruhigend, und seltsamerweise taten dies auch all die Leute, die sich dicht an dicht gemächlich auf dem Straßenpflaster voranschoben. In Eile waren nur jene Menschen, die in den Lidl-Supermarkt huschten für letzte Besorgungen vor Ladenschluss. Dessen Eingang befand sich einen Steinwurf von der Parkbank entfernt, auf der Frau Moll saß und rauchte und geradeaus hinüberstarrte zu diesem klinischen, rechteckigen Schluckloch des Shoppingtempels, das unentwegt Menschen einsaugte und wieder ausspuckte.
Auf einmal stach ihr eine junge Frau ins Auge. Sie stand dort drüben nahe an der Hausmauer, als wolle sie den Menschenstrom nicht behindern. Zwei vollgepackte Lidltüten lagen neben ihr auf dem Boden und in der Hand hielt sie den Lenker eines Fahrrades, das wohl ihr gehörte. Warum lädt sie die Tüten nicht in den Korb des Fahrrades? Wartete sie auf etwas oder jemanden? Brauchte sie Hilfe?
Nein, danach sah es eigentlich nicht aus, die junge Frau schien jemanden abpassen zu wollen; sie schaute suchend auf den Ein- und Ausgang des Supermarktes, und wie sie ihren Kopf reckte und drehte und die blonde Mähne in den Nacken flippte, dachte Frau Moll plötzlich, Du liebe Güte, ist das Lisa? Dieser Schmiss des langen Haares, diese Figur und die Art, die Hüfte kokett zu knicken, das muss doch Lisa sein?
Ohne Brille seh’ ich das nicht richtig, dachte Frau Moll, ich könnte die Gläser aus meiner Tasche holen, ja, das könnte ich … aber nein – und die Dame straffte ihre knochigen Schultern – nein, dachte sie, ich will es nicht wissen, nichts mehr davon. Nie mehr!
Sie schloss ihre Lider, rauchte blind und dachte an Lisa, eine ihrer Nichten, die jüngste und ihr Patenkind, gesegnet mit einem engelsgleichen Gesicht und Augen so blau wie der Himmel in den Tagen des Föhns. Ach süße Lisa, dachte Frau Moll, die Tante, und tupfte mit der einen Zeigefingerspitze eine Schweißperle von der Stirn, Lisa, nun bist du auch schon über dreißig, und du wirst ewig strahlen als jenes reizende Geschöpf, das alle anschauen, begehren und beneiden um das schöne Gesicht. Wenn die wüßten! Wenn’s drauf ankommt nämlich, nicht wahr, Lisa, dann bist du ein Luder, ein ausgekochter Teufelsbraten, wickelst jedes Mannsbild um die Finger, lutschst die Kerle aus und ziehst die Leine, du falsches Biest, feige bist du und verbogen, und ich allein hab dich durchschaut ...
Frau Moll sog den letzten Zug aus ihrer Zigarette und dachte an den Notar Herrn Doktor Richter, der vorhin in den kühlen Räumen seiner Kanzlei mit sichtlichem Genuss das Testament beglaubigt hatte, in dem sie, Frau Moll, eine Stiftung für krebskranke Kinder mit ihrem durch drei Ehen erheirateten Millionenvermögen beerbte, Immobilien, Schmuck, Wertpapierdepots. Gut gemacht, dachte Frau Moll, löschte den glimmenden Stummel auf der Unterseite der Banklehne aus und warf die Kippe in den wespenumschwirrten Abfallkorb, der am Stamm der Linde befestigt war und überquoll von Verpackungszeugs. Sie zupfte ihre eisgrauen Haarlocken akkurat zurecht, nahm ihre Hermès Kelly, erhob sich und ging davon.
Die Besprechung hatte lange gedauert, länger als geplant und weit über die normalen Öffnungszeiten einer Notarkanzlei hinaus, aber dann war das Testament aufgesetzt und Frau Moll zufrieden: Endlich hatte sie ihre letztwilligen Anordnungen rechtsgültig getroffen. Sie verabschiedete sich durchaus warmherzig vom Notar, einem gewissen Doktor Richter, den sie im Übrigen nicht näher kannte, und verließ die angenehm klimatisierten Räume der Kanzlei.
Jetzt brauch ich eine Zigarette, dachte sie und eilte leichtfüßig zum Ausgang des Gebäudes, ein prächtiges innerstädtisches Bürgerpalais, riss einen Portalflügel auf und prallte gegen eine Wand aus heißer Luft. Augenblicklich perlten Schweißtropfen in den Achselhöhlen von Frau Moll.
Ich will meine Zigarette, dachte sie und steuerte eine jener Bänke an, die die Stadtverwaltung in der Fußgängerzone aufgestellt hatte. Die Bank lehnte am Stamm einer jungen Linde und war behütet von einer kleinen Laubkrone, die willkommenen Schatten spendete; noch schien die Abendsonne dieses Hochsommertages und sie schien mit aller Macht.
Niemand saß auf der Bank, was verwunderlich war, schließlich schlenderten Massen von Menschen die hübsche Straße entlang, doch offenbar hatte niemand ein Verlangen, sich zu setzen und auszurasten.
Manchmal hab ich eben Glück, dachte Frau Moll und glitt auf die freie Bank. Sie zog ein Zigarettenetui aus ihrer Handtasche und zündete sich einen Sargnagel an ‒ Sargnagel, so nannte sie ihr Laster, irgendwann hatte sie dieses Wort aufgeschnappt und übernommen, es passte gut, viel Zeit habe sie nicht mehr, hatte ihr Onkologe gemeint, ein Fachexperte, der es wissen muss; er hieß Doktor Ominus.
Frau Moll rauchte für ihr Leben gerne, selbst dann, wenn die Zigarette nicht recht schmecken wollte, wie heute, es musste an dieser Höllenhitze liegen. Trotzdem rauchte sie. Allein die sachte Bewegung des Armes und die Haltung der Hand wirkten beruhigend, und seltsamerweise taten dies auch all die Leute, die sich dicht an dicht gemächlich auf dem Straßenpflaster voranschoben. In Eile waren nur jene Menschen, die in den Lidl-Supermarkt huschten für letzte Besorgungen vor Ladenschluss. Dessen Eingang befand sich einen Steinwurf von der Parkbank entfernt, auf der Frau Moll saß und rauchte und geradeaus hinüberstarrte zu diesem klinischen, rechteckigen Schluckloch des Shoppingtempels, das unentwegt Menschen einsaugte und wieder ausspuckte.
Auf einmal stach ihr eine junge Frau ins Auge. Sie stand dort drüben nahe an der Hausmauer, als wolle sie den Menschenstrom nicht behindern. Zwei vollgepackte Lidltüten lagen neben ihr auf dem Boden und in der Hand hielt sie den Lenker eines Fahrrades, das wohl ihr gehörte. Warum lädt sie die Tüten nicht in den Korb des Fahrrades? Wartete sie auf etwas oder jemanden? Brauchte sie Hilfe?
Nein, danach sah es eigentlich nicht aus, die junge Frau schien jemanden abpassen zu wollen; sie schaute suchend auf den Ein- und Ausgang des Supermarktes, und wie sie ihren Kopf reckte und drehte und die blonde Mähne in den Nacken flippte, dachte Frau Moll plötzlich, Du liebe Güte, ist das Lisa? Dieser Schmiss des langen Haares, diese Figur und die Art, die Hüfte kokett zu knicken, das muss doch Lisa sein?
Ohne Brille seh’ ich das nicht richtig, dachte Frau Moll, ich könnte die Gläser aus meiner Tasche holen, ja, das könnte ich … aber nein – und die Dame straffte ihre knochigen Schultern – nein, dachte sie, ich will es nicht wissen, nichts mehr davon. Nie mehr!
Sie schloss ihre Lider, rauchte blind und dachte an Lisa, eine ihrer Nichten, die jüngste und ihr Patenkind, gesegnet mit einem engelsgleichen Gesicht und Augen so blau wie der Himmel in den Tagen des Föhns. Ach süße Lisa, dachte Frau Moll, die Tante, und tupfte mit der einen Zeigefingerspitze eine Schweißperle von der Stirn, Lisa, nun bist du auch schon über dreißig, und du wirst ewig strahlen als jenes reizende Geschöpf, das alle anschauen, begehren und beneiden um das schöne Gesicht. Wenn die wüßten! Wenn’s drauf ankommt nämlich, nicht wahr, Lisa, dann bist du ein Luder, ein ausgekochter Teufelsbraten, wickelst jedes Mannsbild um die Finger, lutschst die Kerle aus und ziehst die Leine, du falsches Biest, feige bist du und verbogen, und ich allein hab dich durchschaut ...
Frau Moll sog den letzten Zug aus ihrer Zigarette und dachte an den Notar Herrn Doktor Richter, der vorhin in den kühlen Räumen seiner Kanzlei mit sichtlichem Genuss das Testament beglaubigt hatte, in dem sie, Frau Moll, eine Stiftung für krebskranke Kinder mit ihrem durch drei Ehen erheirateten Millionenvermögen beerbte, Immobilien, Schmuck, Wertpapierdepots. Gut gemacht, dachte Frau Moll, löschte den glimmenden Stummel auf der Unterseite der Banklehne aus und warf die Kippe in den wespenumschwirrten Abfallkorb, der am Stamm der Linde befestigt war und überquoll von Verpackungszeugs. Sie zupfte ihre eisgrauen Haarlocken akkurat zurecht, nahm ihre Hermès Kelly, erhob sich und ging davon.
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator: