Ein magischer Kampf

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Ein magischer Kampf

Josh lugte aus dem Keller; seine Augen tränten. Das Erste, was in dem es normalerweise eher ihm auffiel, war, dass der Laden, ruhig zuging, voll war. Vier Männer standen vor Joshs Chef Nick Fleming. Drei von ihnen waren groß und bullig, einer war eher klein. Der Kleine wirkte irgendwie unheimlich. Joshs zweiter Gedanke war: ein Überfall.
Nick Fleming stand den Fremden gegenüber mitten im Laden. Er sah ziemlich unauffällig aus: durchschnittliche Größe und Statur ohne besondere Merkmale außer den Augen, die so hell waren, dass sie fast farblos wirkten. Das schwarze Haar war sehr kurz geschnitten, und mit dem stoppeligen Kinn erweckte Joshs Chef immer den Eindruck, als hätte er sich zwei Tage nicht rasiert. Er trug einfache schwarze Jeans, ein schwarzes Shirt mit dem Aufdruck von einem Konzert, das vor 25 Jahren stattgefunden hatte, und ein Paar alte Cowboystiefel. Am linken Handgelenk hatte Nick Fleming eine billige Digitaluhr und am rechten ein schweres silbernes Gliederarmband sowie zwei ausgefranste bunte Freundschaftsbändchen.
Direkt vor ihm stand der kleine Mann in einem eleganten grauen Anzug.
Josh fiel auf, dass die beiden Männer nicht miteinander redeten... Und doch passierte etwas zwischen ihnen. Beide standen reglos da, die Arme an den Seiten, Ellbogen an den Körper gelegt, die offenen Handflächen nach vorn gedreht. Fleming stand in der Mitte der Buchhandlung, der graue Mann und seine drei in schwarze Mäntel gehüllte Begleiter zwischen ihm und der Seltsamerweise bewegten beide Männer die Finger, ließen sie zucken und tanzen. Die Daumen berührten leicht die Zeigefinger, dann die kleinen Finger, dann wurden Zeigefinger und kleiner Finger ausgestreckt und so ging es weiter. In Flemings Handflächen sammelten sich grüne Nebelfetzen, ringelten sich in verschlungenen Bändern aus seinen Händen und sanken zu Boden, wo sie wie Schlangen hin und her zuckten. Aus der behandschuhten Hand des grauen Mannes fielen gelblich gefärbte Rauchstücke, die sich wie Schmutzwasserflecken auf dem Holzfußboden sammelten. Von dem Nebel und Rauch ging der Gestank nach Pfefferminze und faulen Eiern aus. Josh spürte, wie sich ihm der Magens umdrehte. Er musste würgen und schluckte hart. Mittlerweile war der Raum zwischen den beiden Männern ganz von den grünen und gelben Rauchfetzen angefüllt; wenn die sich berührten, zischte es, und Funken sprühten. Fleming ließ noch immer die Finger tanzen und in seiner Handfläche er-schien jetzt ein langer, armdicker grüner Rauchkringel. Er blies darauf, kurz und zischend, und der Rauchkringel stieg hoch und rollte sich in Höhe der Köpfe der beiden Männer zu einer Kugel zusammen. Die kurzen, dicken Finger des grauen Mannes tippten ihren eigenen Rhythmus und ein Ball aus gelber Energie glitt aus seinen Händen und schwebte davon. Er berührte den grünen Rauchkringel, der sich sofort um den Ball zu wickeln begann. Funken sprühten, es knallte - und eine ohrenbetäubende Explosion warf beide Männer rückwärts durch den Raum und schleuderte sie gegen die Bücherregale. Glühbirnen und die Neonröhren unter der Decke zersprangen und ließen pudrig feine Glassplitter auf den Boden regnen. Zwei der großen Fensterscheiben zerbarsten und flogen nach draußen; in etlichen kleinen Sprossenfenstern bildeten sich Spinnwebrisse.
Nick Fleming stürzte nicht weit vom Kellerabgang zu Boden. Fast wäre er auf Josh geprallt, der wie angenagelt auf der Treppe stand, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen.
Als Nick sich aufrappelte, drückte er Josh die Treppe hinunter. “Bleib unten, egal was passiert, bleib unten”, zischte er. Er sprach Englisch mit einem undefinierbaren Akzent. Beim Umdrehen straffte er die Schultern, und Josh sah, wie er die rechte Hand hob und erneut in die Handfläche blies. Dann machte er eine Bewegung, als wolle er einen Ball in die Mitte des Raumes werfen. Josh reckte den Hals, um zu sehen, was passierte. Aber es gab nichts zu sehen... Bis es plötzlich schien, als würde alle Luft aus dem Raum herausgesogen. Bücher wurden aus den Regalen gerissen und zur Mitte der Buchhandlung hingezogen, wo sie in einem chaotischen Haufen liegen blieben. Gerahmte Drucke flogen von den Wänden, der schwere Teppich hob sich voll Boden und wurde wie von Geisterhand in Richtung Bücherberg gezerrt.
Und dann explodierte der Berg.
Zwei der bulligen. schwarz gekleideten Männer traf die volle Wucht der Explosion. Josh sah, wie Bücher, einige schwer und hart, andere mit biegsamen Einband, dafür scharfkantig, wie aufgeregte Vögel um sie herumflatterten. Er zuckte mitfühlend zusammen, als einen der beiden ein dickes Wörterbuch mitten ins Gesicht traf Sein Hut und die Sonnenbrille flogen davon - und zum Vorschein kamen eine erdige, graue Gesichtshaut und Augen, die aussahen wie schwarze, polierte Steine. Ein ganzes Regal voller Liebesromane kippte seinen Inhalt seinem Kameraden ins Gesicht. Die billige Sonnenbrille zerbrach in zwei Teile, und Josh stellte fest, dass auch er Augen wie Steine hatte.
Da wusste er plötzlich, dass es tatsächlich Steine waren.
Josh wandte sich zu seinem Chef um und öffnete den Mund, wie um eine verzweifelte Frage zu stellen. Nick Fleming warf ihm nur einen kurzen Blick zu. “Unten bleiben!”, schrie er. Er hat Golems mitgebracht.”
Fleming duckte sich, als der kleine Mann drei lange, speerähnliche Energiestäbe durch den Raum schickte. Sie flogen zischend durch Bücherregale und bohrten sich in den Boden. Alles, was sie berührten, begann augenblicklich zu verrotten und zu vermodern. Ledereinbände brachen, Papier wurde schwarz, Holzdielen und Regalbretter zerfielen zu feinem Staub.
Fleming warf einen weiteren unsichtbaren Ball in eine Ecke des Raumes. Josh folgte der Bewegung seines Armes. Ein Sonnenstrahl traf den Ball in seinem Flug durch die Luft, und für einen Augenblick sah Josh ihn aufleuchten, in verschiedenen Grüntönen funkelnd und schimmernd wie eine Smaragdkugel. Dann flog er aus dem Licht und wurde wieder unsichtbar.
Die Folgen seines Aufpralls waren verheerend, weit Ichlin nie r noch als beim vorherigen Mal. Diesmal war kein Laut zu hören, doch das gesamte Gebäude erbebte. Tische mit Taschenbüchern darauf zerfielen zu streichholzgroßen Spänen und Papierschnipsel flogen wie bizarres Konfetti durch die Luft. Zwei der Männer in Schwarz - Golems, wie Fleming sie genannt hatte - krachten rückwärts in Regale und wurden Büchern begraben, während der dritte, der größte, mit solcher Wucht gegen die Tür prallte, dass sie aufschlug und er auf die Straße flog.
In der Stille, die darauf folgte, hörte man das Klatschen von behandschuhten Händen.
“Wie ich sehe, hast du deine Technik perfektioniert, Nicholas.” Der Graue sprach Englisch in einem seltsam singenden Tonfall.
“Ich habe geübt, John”, erwiderte Nick Fleming, wobei er langsam wieder näher an die offene Kellertür rückte und Josh weiter hinunterdrückte. “Ich wusste, dass du mich früher oder später finden würdest.”
“Wir haben sehr lange nach dir gesucht, Nicholas. Du hast etwas, das uns gehört. Und wir wollen es zurückhaben.”
Ein gelber Rauchfetzen bohrte sich in die Decke über Flemings und Joshs Kopf. Es knisterte und vermoderter schwarzer Putz fiel herunter wie giftige Schneeflocken.
“Ich habe es verbrannt”, sagte Fleming. Schon vor langer Zeit.” Er drückte Josh noch weiter in den Keller hinunter, trat selbst auf die Treppe und zog dann die Schiebetür hinter sich zu. “Frag nicht”, warnte er, und seine hellen Augen leuchteten im Dämmerlicht, “nicht jetzt.”
Fleming fasste Josh am Arm und zog ihn in die dunkelste Ecke des Kellers. Dort packte er ein Regal mit beiden Händen und zog es mit einem Ruck zu sich her. Etwas klickte und das Regal schwang auf. Dahinter kam eine verborgene Treppe nach oben zum Vorschein.
Fleming schob Josh vorwärts. “Schnell jetzt, schnell und leise”, sagte er.
Er trat hinter Josh durch die Öffnung und versuchte, das Regal wieder davorzuziehen. Im selben Augenblick sah Josh, wie die Kellertür zu einer fauligen schwarzen Flüssigkeit zusammensackte und die Treppe hinunterfloss.
“Hinauf!” Das Regal hinter ihnen rastete ein. Nick Flemings warmer Atem streifte Joshs Ohr. “Die Treppe führt in den leeren Laden neben unserem. Wir müssen uns beeilen. Der wird nur wenige Augenblicke brauchen, bis er merkt, was los ist.”
Josh Newman nickte; er kannte den Laden nebenan. Es war eine Reinigung, die den ganzen Sommer über leer gestanden hatte. Während er weiterhastete, tanzten durch Joshs Kopf Hunderte von Fragen, und keine der möglichen Antworten, die ihm in den Sinn kamen, war befriedigend, da in den meisten ein einziges, unglaubliches Wort vorkam: Magie. Josh hatte gerade gesehen, wie zwei Männer sich mit Bällen und Speeren aus - aus Energie beworfen hatten! Er war höchstpersönlich Zeuge der Zerstörung gewesen, die diese Energie angerichtet hatte. Josh war Zeuge von Magie gewesen. Aber natürlich wusste er, dass es Magie nicht gab und nicht geben konnte. Das wusste schließlich jeder.
 

flammarion

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Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

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