ein stein schweigt

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Miner

Mitglied
Gelungene Verdichtung des Inhalts in eine „steinschwere“ Schlichtheit der Sprache. Ich möchte am liebsten das finale „tot“ zum Leben erwecken, denn in seinem „relativen Totsein“ sehe ich das Leben des Steins. Ich meine damit: wenn „ich weiß ... wiegend ...“ in ihm das Ganze, den Berg, zu "halten". Das ergäbe auch eine Klammer hin zum Anfang. Dann schwiege der Stein nicht, sondern lebte. Das wäre allerdings womöglich ein neues Gedicht, wenn ich es recht verstanden habe.
BG Miner
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Elke,

mir gefällt insbesondere der erste Teil.

Für sich genommen gefiele mir auch:


ein stein
schweigt und schweigt
als erinnere er sich
bruchstückhaft an die gestalt
des berges


lg wüstenrose
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo elke,

ein stein schweigt
als erinnere er sich
bruchstückhaft an das ganze
gedächtnis der berge

und ich weiß nichts als seine schwere
wiegend ihn zu halten
für den moment
für relativ tot


wo ist das lebendige in der natur, wo ist das relativ tote in uns. der stein, der teil des berges - eine erinnerung an das holografische weltbild, jeder splitter trägt das ganze, alles ist in allem und nichts geht verloren.

doch ja, das ich- auf seine weise - vielleicht wirklich ein ausdruck der menschlichen ahnungslosigkeit:
ewas in händen zu halten und nur - wahrlich - das gewicht zu begreifen.

und doch ist hier dies wort "relativ".es fällt auffällig aus der gesamtkonstruktion deines gedichtes heraus. ein nihilistischer begriff in der allatgssprache: ich halte jemanden für reativ nett, schön oder langweilig, ein wort des vergleiches, des verhältnisses zu etwas anderem, zu lyrich?
dann hielte lyrich sich für relativ lebendig...

das alles trägt der stein, der weise, denn er schweigt.

ein sehr sinniges stück, liebe elke, das mich auf einen gedankenspaziergang entführte.

ralf
 

Label

Mitglied
Liebe Elke

auch mir gefällt dein Gedicht
Ralf hat ausführlich schon all das geschrieben, was auch mir durch den Kopf zuckte.

Die erste Strophe und V1 S2 wirken auf mich, trotz der Kürze, erzählerisch, allumfassend, lächelnd, wissend
um dem ein Bild zu geben - wie ein buddhistischer Mönch, der etwas beschreibt
dann kommt diese Verwandlung in den letzten 3 Versen
die Haltung wird rigide und es bleibt ein Wissenschaftler der die Atome zählt
Kurz: Eine Beschreibung vom Wesen der Dinge von zwei total unterschiedlichen Denkansätzen.

lieber Gruß
Label
 
Liebe Elke,
ich kann den bisherigen Kommentaren nichts Wesentliches mehr hinzufügen. Ich mag Steine und ihr Gedächtnis, das sie vielfach in sich eingeschlossen haben (Versteinerungen etc.)
Ein schlichtes, aber großartiges Gedicht...
Liebe Grüße
Karl
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo elke,

nach mehrmaligem lesen erkenne ich noch weitere interessante lesarten um das "halten"

ist es doch einerseits ein begriff für hände, nämlich z.b. etwas fest halten,
oder und ein erkenntnistheoretischer begriff:
etwas für etwas anderes halten. sozusagen eine weitere haltestelle im text

denn auch dieser moment wird ja gehalten durch lyrich nämlich "fest"

ich sinniere über eine mögliche umstellung der ersten zeile in strophe zwei. mir will dieses "und" nicht wirklich gefallen.

vielleicht:

nichts weiß ich als seine schwere
wiegend ihn zu halten....

naja, jammer auf hohem niveau

lg
ralf
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo ENachtigall,
so hab ich den text gelesen:

###

ein stein schweigt
er erinnert sich
als bruchstück
ein gedächnis der gebirge

und ich weiß nichts als seine schwere
wiegend ihn zu halten
für den moment
ein augenblick von tausend jahren

###

lg
die dohle
 

ENachtigall

Mitglied
Gelungene Verdichtung des Inhalts in eine „steinschwere“ Schlichtheit der Sprache. Ich möchte am liebsten das finale „tot“ zum Leben erwecken, denn in seinem „relativen Totsein“ sehe ich das Leben des Steins.
Hallo Miner,

vielen Dank für das Kompliment ("steinschwere Schlichtheit der Sprache"); es freut mich sehr, weil ich mich bewusst zurückgehalten habe, was mir nicht leicht fiel … Aber die Schlichtheit gebührt, finde ich, diesem Thema in besonderer Weise.
Beeindruckend, wie Du am Ende Position beziehst und der Relativität in Bezug auf den Tot eine reelle Chance gibst, wenn ich so sagen darf!

Hallo wüstenrose,

auch für Deinen Kommentar herzlichen Dank. Der erste Teil ist mehr der eine Stein, der zweite mehr Einstein; und doch sind sie auf ihre Art verwoben. Ich habe lange daran "gearbeitet" und möchte Gestalt und Inhalt des Gedichtes so lassen. Trotzdem finde ich die vorgeschlagene Variationen überdenkenswert.

Hallo Ralf,

Deine sensible Auslese der versteckten Zutaten hat mich zu einer eingehenden Nachrecherche veranlasst, die in puncto Einstein einiges an WOW-Effekten ausgelöst hat.
(Banal aber verblüffend z.B., dass Einstein als Kind spät zu sprechen begann, also nicht erst jetzt schweigt sondern schon sehr früh damit begann.)
Aber auch bei den Steinen ist allerhand zu holen … Man bedenke nur, von wo sie überall herkommen können.

Hallo Label,

Du hast die Dualität sehr präzise herausgestellt; das buddhistische Element und den wissenschaftlichen Aspekt. Danke für die Resonanz!

Hallo Karl,

lieben Dank für Deine Rückmeldung und das Lob.

Ralf,
nach mehrmaligem lesen erkenne ich noch weitere interessante lesarten
Ich auch! So ist das "und ich weiß nichts als seine schwere" synonym zu "ich vermag nichts" (denn es geht ja um das halten). Das "Wissen" passt aber thematisch besser in diesen Teil, konträr zu der eher intuitiv geprägten 1. Strophe.
Auch ist mir Folgendes im Nachhinein aufgefallen, was die Sache für mich "besonders rund" macht:


… und ich weiß nichts als seine schwere (Masse)
wiegend ihn zu halten (Energie)
für den moment (Zeit)
für relativ tot

Was das "und" betrifft, Ralf, möchte ich es gerne behalten, weil es irgendwie in die zweite Strophe "hineinrollt" - wenn auch nicht ganz elegant.


Hallo Dohle,

auch für Deine Variation möchte ich mich bedanken. Du wirst aber verstehen - vielleicht nach den Antworten auf die Kommentare - dass ich mich vom "relativen Tot" nicht verabschieden will …


Euch allen ganz liebe Grüße. Die zahlreichen Reaktionen auf diesen Text haben mich wirklich sehr gefreut!

Elke
 
O

orlando

Gast
Hallo Elke,
ich muss bekennen, dass mir zunächst dein
"Erinnern an ein ganzes Gedächtnis" etwas fragwürdig schien:
Kann ich mich überhaupt an ein Gedächtnis erinnern? "Kann" es ein Tier, ein Stein?
Unterscheidest du hier zwischen individuellem und kollektivem Gedächtnis (was eine Erklärung böte)? Hältst du alle Dinge für "beseelt?"
In "Konkurrenz" zu Ralf Langer informierte ich mich kurzerhand bei Hegel, den ich zwar nicht immer vollkommen verstehe; diesmal aber ganz gut:

Die Intelligenz durchläuft als Gedächtnis gegen die Anschauung des Worts dieselben Tätigkeiten des Erinnerns wie als Vorstellung überhaupt gegen die erste unmittelbare Anschauung (§ 451 ff.).
- Jene Verknüpfung, die das Zeichen ist, zu dem ihrigen machend, erhebt sie durch diese Erinnerung die einzelne Verknüpfung zu einer
allgemeinen, d. i. bleibenden Verknüpfung, in welcher Name und Bedeutung objektiv für sie verbunden sind, und macht die Anschauung, welche der Name zunächst ist, zu einer Vorstellung,
so daß der Inhalt, die Bedeutung, und das Zeichen identifiziert,
eine Vorstellung sind und das Vorstellen in seiner Innerlichkeit konkret, der Inhalt als dessen Dasein ist; -das Namen behaltende Gedächtnis ...
Es geht also um Verknüpfungen. Die Verknüpfung des Einzelnen zum Allgemeinen, mithin zu einer bleibenden Erinnerung.
Gehe ich vom Stein als einem lebenden Wesen aus - und das ist er ja (nur "relativ" tot) - wird der Text für mich rund und stimmig. [Ganz besonders, weil dein Stein schweigt.]

Danke, Herr Hegel, danke, Elke. :)

Gleichwohl ein schwieriges Sujet ... das du aber mit Bravour gemeistert hast.

LG, orlando
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Der Stein schweigt. Nichts anderes erwarte ich von ihm.
Spräche er, wäre er nicht mehr Stein, sondern Gott
(siehe den Strauch).
Aber schweigt der Stein tatsächlich? Nein.
Er spricht zu uns durch sein Schweigen.
Und was er alles zu erzählen hat. Ein Poet.
Wahrlich.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Lb. Elke,

gefällt mir sehr, dein Text. "relativ tot" finde ich sehr gut gelungen als Abschluss.

LG
BeBa
 
F

Fettauge

Gast
Liebe Elke Nachtigall,

ich bin nicht der Ansicht, dass ein Stein schweigt, im Gegenteil, ein Stein erzählt sehr, sehr viel von sich, u. a. von seinem Ursprung, seinem Gebirge. Das wird dir jeder Geologe bestätigen. Dass er nicht mit menschlicher Sprache reden kann, da gehe ich mit, wenn ich die erste Strophe aber richtig verstehe, kannst du doch auf keinen Fall die menschliche Sprache meinen. Ein Stein schweigt doch nur dem Unwissenden gegenüber, dem sich das Wunder der Versteinerung nicht erschließt. Was du mit dieser Strophe eigentlich gemeint haben könntest, bleibt mir ein Rätsel.

Zur zweiten Strophe kann ich leider nichts sagen, da mir die hiesige Automik einen nachmaligen Blick verwehrt, ich kann nur meinen erinnerten Eindruck schildern: Das Unlogische der ersten Strophe wird fortgeführt.

Sprachlich habe ich nichts Besonderes festgestellt, es ist eine fast zu korrekte Sprache, die keinerlei Überraschung aufweist. Das eigentlich Lyrische an diesem Text, das muss ich zu beiden Strophen sagen, das sich vor allem sprachlich ausdrücken sollte, ist für mich nicht erkennbar.

Du siehst, wie unterschiedlich man einen Text auffassen kann.
Aber das hat wohl mit dem lyrischen Temperament zu tun.

Liebe Grüße, Fettauge
 
O

orlando

Gast
Ich denke,
dass sich (auch) der lyrische Bezug entschlüsseln lässt.
Denn das Schreiben gleicht dem Stein: Es ist Schweigen und dennoch nicht leblos - und immer wieder das Schwerste.
LG, orlando
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo fettauge,

ich denke das du dieses wichtige moment im stück mißdeutest:

"ein stein schweigt
als erinnere er sich
bruchstückhaft an das ganze
gedächtnis der berge"

der stein schweigt bzw, verschweigt ja nicht seine form seine hülle sie liegt ja auf der hand von lyrich.

er schweigt weil er sich erinnert, es ist etwas zurückgezogenes darin, würde sogar sagen eine absicht. das geologische spielt m. e. hier keine rolle.

sicherlich ist es hier in form einer annahme durch lyrich interpretiert. wortwahl: "als ... (ob), wobei das "ob" unausgesprochen bleibt.

hinzu kommt: schweigen ist etwas anderes als stummheit.

der stumme kann nicht reden, der schweigende, hat sich entschlossen nicht zu reden.
ich denke dieser unterschied ist evident.

allerdings muß ich nach mehrmaligem lesen sagen:
das "für relativ tot"

und hier gerade das "für" auch mir aufstößt

hier könnte man das "für" wahrscheinlich streichen.

lg
ralf
 
O

orlando

Gast
Zum 2. Für-Wort:

Ja, das finde ich auch.
Klingt nach Dialekt, der mir hier nicht passend scheint.
 
F

Fettauge

Gast
Schön, Ralf, dass du auf meinen Kommentar eingehst. Lass dich aber nicht von einem Moderator erwischen, der wird dir im Kasernendeutsch mitteilen, dass du dich zu Kommentaren nicht zu äußern hast, denn du beschädigst damit die Satzung. Aber das nur nebenbei.

Nein, was ich an dem Gedicht wirklich vermisse, das ist nicht nur die lyrische Sprache, es ist vor allem die lyrische Idee. Was eine lyrische Idee ist, das zu erklären, würde den Rahmen eines Kommentars sprengen, lass ich mal. Nur kurz: Eine lyrische Idee wäre, wenn der Stein spräche. Aber ich will nicht Elke Nachtigalls Gedicht schreiben.

Noch ein Nachtrag zu meinem Kommentar:Die Conclusio "relativ tot", die hier Begeisterung auslöst, kommt mir vor wie "relativ schwanger", ob mit oder ohne "für". Abgesehen von dem schrecklichen "relativ".

Insgesamt halte ich das Gedicht nicht für besonders gelungen. Aber das ist meine private Einzelmeinung.

Lieben Gruß, Fettauge
 

ENachtigall

Mitglied
Kann ich mich überhaupt an ein Gedächtnis erinnern? "Kann" es ein Tier, ein Stein?
Danke, orlando für das Herausstellen dieser Kernfrage, an der auch ich ins Grübeln kam. Ich habe mir erlaubt, mittels Zeilenumbruch zwischen "das ganze" und "gedächtnis" diese kritische, (eventuell schwächelnde) Stelle derart zu überbrücken.

Das Zitat von Hegel - insbesondere im Hinblick auf die "Verknüpfungen" - habe ich mit großem Interesse gelesen.

Ich sehe, dass der Text Fragen aufwirft, anstößt, kontrovers aufgenommen wird. Das ist reichlich Lohn für einen Verfasser!

LG

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Cellist und Zeder,

danke für eure Stellungnahme zu diesem Text!
Über den Bedeutungswandel, den ich durch das Wegfallen des zweiten "für" sehe, muss ich noch ausreichend nachdenken. Bis jetzt bin ich mit dieser Änderung noch nicht ganz "warm" geworden.

LG

Elke
 



 
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