Wolfgang Bessel
Mitglied
Einladung zum Beschneidungsfest
Diese Einladung war ungewöhnlich. Meine Frau und ich wurden von unserer liebenswürdigen türkischen Haushaltshilfe zum Beschneidungsfest ihres siebenjährigen Sohnes Achmet eingeladen.
Wir fielen fast aus allen Wolken als sie so nebenbei bemerkte, dass ungefähr sechshundert Gäste geladen wären – überwiegend türkische Verwandte und islamische Gemeindemitglieder.
Wir bereisten vor ca. fünfzehn Jahren einen großen Teil der Türkei, und viele kulturelle Elemente waren uns nicht ganz fremd. Dieses Fest aber war absolutes Neuland. Uns war klar, dass diese Einladung eine große Ehre bedeute.
Die Beschneidungsfeier mit Gebeten des Hodschas (religiöser Gelehrter) fand bereits vierzehn Tage nach der stationären Beschneidung im engsten Familienkreis im Hause der Eltern statt.
Um nicht ganz unwissend zu erscheinen, machten wir uns bei einem ehemaligen türkischen Kollegen schlau. Bewusst verzichteten wir auf eine Aufklärung über Wikipedia. Wir wollten von den Einladenden, dem Informanten und falls es sich ergeben würde, auch von den Gästen Näheres über dieses Fest erfahren.
Welche Kleidung war erwünscht, was schenkt man dem Kind. Gratuliert man? Wenn ja, wem? Den Eltern, Großeltern, Geschwistern, dem kleinen Achmet? Fragen über Fragen.
Festliche Kleidung war angesagt. Man schenkt Geld oder Gold. Man gratuliert den Eltern, Großeltern und dem Jungen.
Natürlich fragten wir auch nach dem Sinn der Beschneidung.
Ursprünglich war die Entfernung der Vorhaut ein Akt der Genitalhygiene. Bei Juden und Moslems gehört das Entfernen der Vorhaut allerdings zur religiösen Pflicht.
Die Beschneidung wurde vom ersten Propheten (Adam) bis zu dem letzten Propheten Muhammed durchgeführt und danach von jedem Muslim auch als Verpflichtung weitergeführt.
Ab dem vierten Lebensjahr wird das Kind in Jahren mit ungeraden Zahlen, also mit dem 5., 7., 9. ... beschnitten. Aber auch Beschneidungen nach dem 12. Lebensjahr sind durchaus üblich.
Wir nahmen erstaunt zur Kenntnis, dass ein muslimischer Mann keine Muslima heiraten dürfe, wenn er nicht beschnitten wäre.
Für Sohn Achmet bedeutet das Fest, dass er danach ein vollwertiges Mitglied der muslimischen Gemeinde ist und in der Männergemeinschaft aufgenommen wird.
Wir erfuhren bei unseren Recherchen durchaus amüsante Volksbräuche, die man mit dem abgetrennten Vorhäutchen anstellte. Man wickelt das gute Stück in ein buntes Tuch und schickt den Jungen in den Garten um es zu vergraben. Er hat dann den Auftrag, dieses „Grab“ immer fleißig zu befeuchten, damit sein Schniedelchen gut wächst.
Mit diesem subtilen Hintergrundwissen erschienen wir pünktlich – etwas zu pünktlich, zum Fest. Eine ehemalige Werkshalle in Wuppertal hatte man zum riesigen Festsaal mit Bühne umgestaltet.
Die Feier sollte um drei Uhr beginnen. Es waren um diese Zeit die engsten Familienmitglieder wie Eltern, Großeltern und Geschwister anwesend, die uns einer nach dem anderen sehr herzlich begrüßten. Jeder Wunsch sollte uns erfüllt erden, wir sollten uns nur melden. Man erklärte uns, der Festsaal würde sich bis 18 Uhr füllen. Dann würde auch Sohn Achmet erscheinen.
Im Eingangsbereich stand ein gedeckter Tisch mit einer Schale Süßigkeiten und verschiedenen Duftwässerchen bereit.
Der Saal war liebevoll mit bunten Girlanden und Luftballons geschmückt. Auf langen Tischen standen alkoholfreie Getränke, Obstschalen und leckere Knabbereien aus kandierten Nüssen, Mandeln und Pistazien.
Wer nun glaubt, dass bei den Muslimen kein Alkohol getrunken oder nicht geraucht wurde, den muss ich desillusionieren. Es wurde teilweise gut zugelangt und auch tüchtig gequalmt.
Es war hochinteressant zu beobachten, mit welch hohem Respekt die älteren Menschen von den jungen Leuten begrüßt wurden. Hier feierten vier Generationen harmonisch zusammen! Es herrschte in der Familie und zwischen den Gemeindemitgliedern ganz offensichtlich ein herzlicher Zusammenhalt. Wangen- und Handküsse waren obligatorisch.
Die Damen und Herren waren zum Teil sehr festlich und modisch gekleidet. Einige Damen trugen üppiges Goldgeschmeide. Die Hennabemalung an Händen und Armen der Frauen zeugten noch von dem tags zuvor gefeierten „Hennatag“, der normalerweise nur den Bräuten vorbehalten ist.
Eine Braut beginnt die Hochzeitszeremonie mit dem Hennatag. Hier treffen sich abends nur die Frauen, und die Braut nimmt Abschied vom Elternhaus und ihrer Mädchenjahre. Es wird getanzt, gesungen und gegessen.
Eine kurdische Kapelle probte noch auf der bunt angestrahlten Bühne. Die für uns gewöhnungsbedürftigen Klänge, die aus riesigen Lautsprecherboxen wubberten, vermittelten eine fast orientalische Atmosphäre.
Da wir bis zum Erscheinen aller Gäste noch sehr viel Zeit hatten, erteilte man uns gern und umfassend Auskunft über viele Fragen zur islamischen Moralauffassung, den Fastenmonat Ramadan, der Integration türkischen Einwohner in den Großstädten und vieles mehr. Manche Klischees und das beklemmende Unwohlsein gegenüber der anderen Kultur schwanden nach und nach.
Der Saal füllte sich. Und statt der erwarteten sechshundert Gäste, kamen letztendlich siebenhundertfünfzig. Die Küche musste sich jetzt schnell etwas einfallen lassen.
Ein kleiner aber bemerkenswerter Eklat am Rande: Das kurdische Servicepersonal weigerte sich aus politischen Gründen, die türkischen Gäste zu bedienen. Die sofort eingesprungenen Familienmitglieder übernahmen sehr gekonnt den gesamten Service.
Die Stimmung wurde immer ausgelassener. Es ertönten Flötenklänge und Paukenschläge. Zwei Männer bewegten sich musizierend zur Tanzfläche – der Auftakt zum Tanz.
Zuerst tanzten nur die Frauen einen anmutigen Tanz, den Halay – einen national-folkloristischen Tanz. Die Frontfrau gab mit ihrem weißen Tanztuch wedelnd Tempo und Tanzstil vor. Er wurde nebeneinander in Reihe und im Kreis getanzt, wobei man sich mit den kleinen Fingern einhakte.
Nach ihnen tanzten die Männer. Die getrennten Tänze deuteten noch auf die traditionelle Geschlechtertrennung hin. Jeder Mann erhielt von den Frauen eines von 200 selbstgestickten traditionellen Tanztüchern. Das sind ca. 20 x 20 cm große Tücher, die mit bunten Pailletten umhäkelt sind. Die Tänze erinnerten uns sehr an folkloristische Veranstaltungen auf unseren Orient- und Balkanreisen.
Gegen 18.00 Uhr ging die Tür auf, Kinder streuten Blumen in den Gang, und ein Fahnenträger mit einer riesigen türkischen Flagge kündigte mit Flöten- und Paukenschlagbegleitung an, dass etwas Außergewöhnliches folgte. So war es.
Der kleine Achmet, wie ein Prinz mit Zepter und in rotweiße Gewänder gehüllt, wurde auf einer Sänfte mit bunt glitzerndem Baldachin von vier Männern mit Turbanen durch den Festsaal getragen. Dann wurde er quietschfidel im Tanzkreis der Männer auf den Schultern herumgeschwenkt.
Ein Clown bereitete mit seinen Späßen den vielen Kindern riesiges Vergnügen und veranstaltete mit ihnen eine ausgelassene Polonaise. Die Stimmung war großartig.
Das Dröhnen der Musikanlage störte fast niemanden. Die Paare tanzten jetzt zusammen. Es herrschte eine ausgelassene Fröhlichkeit, die ansteckte.
Gegen 20.00 Uhr wurden die Vorspeisen serviert: Saziki, Weinblätter, Fladenbrot, eingelegtes Gemüse und weißer Bohnensalat. Danach tischte man als Hauptgang Lammfleisch, Reis und gemischter Salat auf. Anschließend wurden riesige Butterkremtorten aufgetragen.
Nach dem Essen folgten Tänze und Spiele. Der vortrefflich organisierte, fröhliche Festtag endete gegen 0.30 Uhr. Allerdings schlummerten wir da schon längst und träumten von Sultanpalästen, Flötenklängen und türkischen Bädern.
Trotz der freundlichen Einladungen an Arbeitskollegen, Klassenkameraden und Nachbarn erschienen bedauerlicherweise nur eine Handvoll deutscher Gäste.
Sie erlebten, genau wie wir, eine großartige Feier und nahmen gern die seltene Gelegenheit wahr, eine fremde Kultur ein wenig besser zu verstehen. Das schafft gegenseitiges Vertrauen und fördert die Integration.
Diese Einladung war ungewöhnlich. Meine Frau und ich wurden von unserer liebenswürdigen türkischen Haushaltshilfe zum Beschneidungsfest ihres siebenjährigen Sohnes Achmet eingeladen.
Wir fielen fast aus allen Wolken als sie so nebenbei bemerkte, dass ungefähr sechshundert Gäste geladen wären – überwiegend türkische Verwandte und islamische Gemeindemitglieder.
Wir bereisten vor ca. fünfzehn Jahren einen großen Teil der Türkei, und viele kulturelle Elemente waren uns nicht ganz fremd. Dieses Fest aber war absolutes Neuland. Uns war klar, dass diese Einladung eine große Ehre bedeute.
Die Beschneidungsfeier mit Gebeten des Hodschas (religiöser Gelehrter) fand bereits vierzehn Tage nach der stationären Beschneidung im engsten Familienkreis im Hause der Eltern statt.
Um nicht ganz unwissend zu erscheinen, machten wir uns bei einem ehemaligen türkischen Kollegen schlau. Bewusst verzichteten wir auf eine Aufklärung über Wikipedia. Wir wollten von den Einladenden, dem Informanten und falls es sich ergeben würde, auch von den Gästen Näheres über dieses Fest erfahren.
Welche Kleidung war erwünscht, was schenkt man dem Kind. Gratuliert man? Wenn ja, wem? Den Eltern, Großeltern, Geschwistern, dem kleinen Achmet? Fragen über Fragen.
Festliche Kleidung war angesagt. Man schenkt Geld oder Gold. Man gratuliert den Eltern, Großeltern und dem Jungen.
Natürlich fragten wir auch nach dem Sinn der Beschneidung.
Ursprünglich war die Entfernung der Vorhaut ein Akt der Genitalhygiene. Bei Juden und Moslems gehört das Entfernen der Vorhaut allerdings zur religiösen Pflicht.
Die Beschneidung wurde vom ersten Propheten (Adam) bis zu dem letzten Propheten Muhammed durchgeführt und danach von jedem Muslim auch als Verpflichtung weitergeführt.
Ab dem vierten Lebensjahr wird das Kind in Jahren mit ungeraden Zahlen, also mit dem 5., 7., 9. ... beschnitten. Aber auch Beschneidungen nach dem 12. Lebensjahr sind durchaus üblich.
Wir nahmen erstaunt zur Kenntnis, dass ein muslimischer Mann keine Muslima heiraten dürfe, wenn er nicht beschnitten wäre.
Für Sohn Achmet bedeutet das Fest, dass er danach ein vollwertiges Mitglied der muslimischen Gemeinde ist und in der Männergemeinschaft aufgenommen wird.
Wir erfuhren bei unseren Recherchen durchaus amüsante Volksbräuche, die man mit dem abgetrennten Vorhäutchen anstellte. Man wickelt das gute Stück in ein buntes Tuch und schickt den Jungen in den Garten um es zu vergraben. Er hat dann den Auftrag, dieses „Grab“ immer fleißig zu befeuchten, damit sein Schniedelchen gut wächst.
Mit diesem subtilen Hintergrundwissen erschienen wir pünktlich – etwas zu pünktlich, zum Fest. Eine ehemalige Werkshalle in Wuppertal hatte man zum riesigen Festsaal mit Bühne umgestaltet.
Die Feier sollte um drei Uhr beginnen. Es waren um diese Zeit die engsten Familienmitglieder wie Eltern, Großeltern und Geschwister anwesend, die uns einer nach dem anderen sehr herzlich begrüßten. Jeder Wunsch sollte uns erfüllt erden, wir sollten uns nur melden. Man erklärte uns, der Festsaal würde sich bis 18 Uhr füllen. Dann würde auch Sohn Achmet erscheinen.
Im Eingangsbereich stand ein gedeckter Tisch mit einer Schale Süßigkeiten und verschiedenen Duftwässerchen bereit.
Der Saal war liebevoll mit bunten Girlanden und Luftballons geschmückt. Auf langen Tischen standen alkoholfreie Getränke, Obstschalen und leckere Knabbereien aus kandierten Nüssen, Mandeln und Pistazien.
Wer nun glaubt, dass bei den Muslimen kein Alkohol getrunken oder nicht geraucht wurde, den muss ich desillusionieren. Es wurde teilweise gut zugelangt und auch tüchtig gequalmt.
Es war hochinteressant zu beobachten, mit welch hohem Respekt die älteren Menschen von den jungen Leuten begrüßt wurden. Hier feierten vier Generationen harmonisch zusammen! Es herrschte in der Familie und zwischen den Gemeindemitgliedern ganz offensichtlich ein herzlicher Zusammenhalt. Wangen- und Handküsse waren obligatorisch.
Die Damen und Herren waren zum Teil sehr festlich und modisch gekleidet. Einige Damen trugen üppiges Goldgeschmeide. Die Hennabemalung an Händen und Armen der Frauen zeugten noch von dem tags zuvor gefeierten „Hennatag“, der normalerweise nur den Bräuten vorbehalten ist.
Eine Braut beginnt die Hochzeitszeremonie mit dem Hennatag. Hier treffen sich abends nur die Frauen, und die Braut nimmt Abschied vom Elternhaus und ihrer Mädchenjahre. Es wird getanzt, gesungen und gegessen.
Eine kurdische Kapelle probte noch auf der bunt angestrahlten Bühne. Die für uns gewöhnungsbedürftigen Klänge, die aus riesigen Lautsprecherboxen wubberten, vermittelten eine fast orientalische Atmosphäre.
Da wir bis zum Erscheinen aller Gäste noch sehr viel Zeit hatten, erteilte man uns gern und umfassend Auskunft über viele Fragen zur islamischen Moralauffassung, den Fastenmonat Ramadan, der Integration türkischen Einwohner in den Großstädten und vieles mehr. Manche Klischees und das beklemmende Unwohlsein gegenüber der anderen Kultur schwanden nach und nach.
Der Saal füllte sich. Und statt der erwarteten sechshundert Gäste, kamen letztendlich siebenhundertfünfzig. Die Küche musste sich jetzt schnell etwas einfallen lassen.
Ein kleiner aber bemerkenswerter Eklat am Rande: Das kurdische Servicepersonal weigerte sich aus politischen Gründen, die türkischen Gäste zu bedienen. Die sofort eingesprungenen Familienmitglieder übernahmen sehr gekonnt den gesamten Service.
Die Stimmung wurde immer ausgelassener. Es ertönten Flötenklänge und Paukenschläge. Zwei Männer bewegten sich musizierend zur Tanzfläche – der Auftakt zum Tanz.
Zuerst tanzten nur die Frauen einen anmutigen Tanz, den Halay – einen national-folkloristischen Tanz. Die Frontfrau gab mit ihrem weißen Tanztuch wedelnd Tempo und Tanzstil vor. Er wurde nebeneinander in Reihe und im Kreis getanzt, wobei man sich mit den kleinen Fingern einhakte.
Nach ihnen tanzten die Männer. Die getrennten Tänze deuteten noch auf die traditionelle Geschlechtertrennung hin. Jeder Mann erhielt von den Frauen eines von 200 selbstgestickten traditionellen Tanztüchern. Das sind ca. 20 x 20 cm große Tücher, die mit bunten Pailletten umhäkelt sind. Die Tänze erinnerten uns sehr an folkloristische Veranstaltungen auf unseren Orient- und Balkanreisen.
Gegen 18.00 Uhr ging die Tür auf, Kinder streuten Blumen in den Gang, und ein Fahnenträger mit einer riesigen türkischen Flagge kündigte mit Flöten- und Paukenschlagbegleitung an, dass etwas Außergewöhnliches folgte. So war es.
Der kleine Achmet, wie ein Prinz mit Zepter und in rotweiße Gewänder gehüllt, wurde auf einer Sänfte mit bunt glitzerndem Baldachin von vier Männern mit Turbanen durch den Festsaal getragen. Dann wurde er quietschfidel im Tanzkreis der Männer auf den Schultern herumgeschwenkt.
Ein Clown bereitete mit seinen Späßen den vielen Kindern riesiges Vergnügen und veranstaltete mit ihnen eine ausgelassene Polonaise. Die Stimmung war großartig.
Das Dröhnen der Musikanlage störte fast niemanden. Die Paare tanzten jetzt zusammen. Es herrschte eine ausgelassene Fröhlichkeit, die ansteckte.
Gegen 20.00 Uhr wurden die Vorspeisen serviert: Saziki, Weinblätter, Fladenbrot, eingelegtes Gemüse und weißer Bohnensalat. Danach tischte man als Hauptgang Lammfleisch, Reis und gemischter Salat auf. Anschließend wurden riesige Butterkremtorten aufgetragen.
Nach dem Essen folgten Tänze und Spiele. Der vortrefflich organisierte, fröhliche Festtag endete gegen 0.30 Uhr. Allerdings schlummerten wir da schon längst und träumten von Sultanpalästen, Flötenklängen und türkischen Bädern.
Trotz der freundlichen Einladungen an Arbeitskollegen, Klassenkameraden und Nachbarn erschienen bedauerlicherweise nur eine Handvoll deutscher Gäste.
Sie erlebten, genau wie wir, eine großartige Feier und nahmen gern die seltene Gelegenheit wahr, eine fremde Kultur ein wenig besser zu verstehen. Das schafft gegenseitiges Vertrauen und fördert die Integration.