Eltern, eine unbeliebte Spezies

enderman

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Von der Klassenlehrerin organisiertes Eltern-Kind-Picknick im Park.
Ende Oktober.
Juhu.
Als wenn die inflationär auftretenden Elternabende nicht schon genug wären. Zusätzlich noch für die nächsten drei Jahre, jeweils sechs Abende pro Jahr Vorbereitung der „Lebenswende“. Nicht zu vergessen, der gemeinsame Besuch der „Hänsel und Gretel“ Oper kurz vor Weihnachten. Die Eltern hätten ja mal auf den Weihnachtsmarkt gehen können, mit Glühwein und so. Nein, es soll was Gemeinsames sein. Als wenn meine Kinder nach der Schule nicht nach Hause kommen.
Vier Personen in die Märchenoper. Das macht zweiundneunzig Euro bitte. Ich bin nicht geizig, aber da musste ich dann doch zweimal schlucken, um den trockenen Brocken hinunter zu würgen. Als Krönung der ganzen Aktion, kommt die Anstifterin des Events gar nicht mit. Lehrer haben auch nicht immer Zeit. Ähnlich wie Rentner.

Den ganzen Tag über warte ich auf den versprochenen Regen. Dicke Wolken lassen mich hoffen, aber kurz vor 17:00 Uhr ist noch kein Tropfen vom Himmel gefallen. Also schnappe ich das Kind und mache mich auf den Weg zum Park. Dies erfordert eine Totaldurchquerung des Stadtzentrums. Um diese Zeit mit dem Auto durch den Berufsverkehr. Der Wunschtraum eines jeden unentspannten Familiengestressten.
Nachdem auch dafür wieder ein paar meiner Nerven ihr Leben lassen mussten, kommen wir endlich im Park an. Voller Freude fällt mir auf, dass nun auch die letzte Freiparkoase mit zwei Parkuhren verschönert wurde. Leider stehen hier keine „Füttern verboten!“ Schildern.

Ich liege gut im Mittelfeld bezüglich der Ankunftszeit. Bin nicht der Erste aber auch nicht zu spät. Also vorbildlich wie man mich halt kennt. Das Kind ist sofort verschwunden und streunt mit den anderen freilaufenden Nachwuchsrambos im Buschwerk herum. Währenddessen werfe ich die mitgebrachten Snacks auf den großen Haufen, der ein provisorisches Buffet darstellen soll.
Es sind scheinbar nur Mütter anwesend, die heftig über Abwesende diskutieren. Ich fühlte mich so fehl am Platz wie ein Gartenzwerg im Guggenheim.

Jetzt kommt die große Überraschung: Es beginnt zu regnen.
Alle drängen sich unter dem größten Baum zusammen. Schöne Vorbilder. Das erleichtert aber das Kennenlernen von Erst-teilnehmern am Eltern-Kind-Event. Auf- bzw. Abbruch kommt nicht in Frage, weil dieser Termin bereits dreimal verschoben wurde. Also heißt es durchhalten. Ein verzweifelter Vater will sich gerade eine Kippe anzünden. Grober Fehler. Er wird verbal zusammengefaltet und insgeheim zum Assi abgestempelt. Aus den noch vorwurfsvollen Blicken werden aber schon bald mitleidige. Der arme Kerl, abhängig und zu Hause wohl nur geduldet wie eine Zecke im Pelz des Hundes.
Notgedrungen stelle ich mich zu der mir nächstgelegenen Gruppe und lausche aufmerksam dem Gespräch. Wie sich herausstellt, beklagen sich die Mütter über unmögliche Hausaufgaben. Es reicht wohl nicht, dass sie gerade mit der Präsentation über das Leben im Mittelalter fertig geworden sind. Recherchieren, malen, drucken, aufkleben und dem Kind noch erklären was es da eigentlich gemacht hat. Nein, jetzt auch noch ein Herbarium anfertigen. Da die Sprösslinge es eh nicht richtig gemacht hätten, wurde in die umliegenden Wälder ausgeschwärmt und alles Gesammelte, penibel aufbereitet. Und dann muss ja bis nächste Woche auch noch die Wandzeitung zum Thema Vivaldi fertig sein. Vielleicht könne man sich ja zu einem Eltern-Brain-Storming beim Griechen treffen. Das mit dem Griechen klingt gut. Allerdings verstehe ich erst nicht ganz, was das Problem ist.
„Wieso habt IHR das denn gemacht?“
Erstaunte, teils ratlose Blicke lasten auf mir.
„Wie jetzt? Hast du etwa nichts gemacht?“, schallt es schon mehr als vorwurfsvoll, aus der sich nun gegen mich formierenden Front zurück.
Natürlich habe ich geholfen. Habe mehrere A4 Blätter zusammengeklebt, beim Trocknen der Blätter geholfen und Pflanzennamen gegoogelt. Das Kind ist mit dem Rad im Park umhergedüst und hat mit Spaß das Grünzeug geerntet. Das muss ich ja wohl nicht machen. Das Aufkleben und Beschriften hat es auch ganz allein geschafft.
Nachdem ich dies im lockeren Smalltalk Ton zum Gespräch beigetragen habe, kippt die Stimmung. Ich kann Verachtung in hasserfüllten Augen sehen. Man beginnt mich zu meiden.
Bin ich ein Rabenvater, weil ich das Kind nicht jeden Morgen bis vor die Tür des Klassenzimmers fahre? Ist es unverantwortlich, dass mein Kind abends um 21:00 Uhr nicht mehr ans Handy darf um Klassen-Chat-Nachrichten der Lehrerin zu bekommen? Ich bin vielleicht konservativ aber einen Pilotenschein für Helikoptereltern brauche ich nicht.
Drei andere Väter wurden zum Grasen oder Auswildern am Rast-platzrand von Ihren Frauen ausgesetzt. Ich schlendere so unauffällig wie möglich hinüber. Sie scheinen gut domestiziert worden zu sein. Keiner uriniert ins Gras oder beschnüffelt das Hinterteil seines Nachbarn. Zur Begrüßung nickt man mir zu. Sofort sind wir solidarisch auf einer Wellenlänge. Um das Eis zu brechen, erkundige ich mich, wer denn die dünne Blonde mit dem selbstgestrickten Rock ist. "Das ist die Mutter von Krawall-Mattes. Die ist aber Dozentin und außerdem ein bisschen komisch." Ich erwidere: "Figürlich ist die doch top."
"Naja, so was nutzt sich aber schnell ab."
Auf diesen Kommentar habe ich nichts zu erwidern. So unschön die Erkenntnisse des Lebens manchmal sind, so wahr sind sie oft leider auch. Zur nachfolgenden Diskussion über Fußball kann ich nichts beisteuern. Ich nicke ein paarmal, trotz völliger Unkenntnis und denke mir, dass ich gern mal wieder Billard spielen würde. Eine besorgte Mutter löst sich aus der Gruppe der heftig über die Klassenleiterin herziehenden Frauen und ruft herüber: "Schatz, wo ist denn Eric? Ich kann ihn gar nicht mehr sehen. Such doch mal bitte. Gleich gibt es Essen."
Meine drei Mitstreiter reagieren nicht. Ich bin gespannt welcher von ihnen das Schätzchen ist. Schließlich gibt sich das Opfer doch widerwillig zu erkennen. Hände in den Hosentaschen ruft er zurück: "Lass mal. Die sind da hinten irgendwo in den Büschen. Die haben jetzt keine Zeit zum Essen." Mutig, denke ich mir. Die anderen Beiden wirken jetzt auch gleich drei Zentimeter größer. Sie stehen aufrecht und drücken das Kreuz durch. Stolz, rebelliert zu haben, beziehungsweise dabei gewesen zu sein.

Wortlos aber zielstrebig bewegen wir uns in Richtung des provisorisch aufgebauten Buffets. Irgendetwas scheint bei der vorherigen Absprache, trotz dreimaligen Treffens zur Vorbereitung dieses Nachmittags, aber doch schiefgelaufen zu sein. Ich sehe sieben Schüsseln Nudelsalat und mindestens fünfzehn Baguettes. Dazu gibt es fünf Flaschen Salatdressing und drei ganze Pakete Zucker. Da niemand Kaffee mitgebracht hat, ist es auch nicht schlimm, dass nur vier Plastiktassen da sind. Dafür können wir mit dreißig Plastikmessern dienen. Keiner verliert ein Wort über irgendetwas davon. Teller gibt es auch keine, aber wenigstens eine Schachtel voll Kaffeelöffel. Gott sei Dank hatte ich ein ausgiebiges Mittagessen. Meine Lust auf Nudelsalat mit Zucker und Salatdressing hält sich in Grenzen. Eine clevere Mutter hat eine Zweikilobox Gummitiere dabei. Als sie diese Schatztruhe öffnet, geschieht etwas Erstaunliches. Wie aus dem Nichts, plötzlich und völlig unerwartet, kommen die Kinder aus allen Himmelsrichtungen herbeigeströmt. Von oben bis unten verdreckt, schnaufend und hechelnd, scharen sie sich um das Gummigetier. Für sie ist die Welt in Ordnung.

Aus Richtung Parkcafe kommt uns eine Gruppe marodierender Rentner entgegen. Schlager grölend, humpeln sie am nahegelegenen Parkplatz vorbei. Ein rüstiger Draufgänger schlägt mit seinem Gehstock nach einer leeren Bierdose. Er wankt leicht, bleibt aber aufrecht. Die Dose fliegt mit erstaunlicher Energie versehen gefährlich nah an meinem Auto vorbei. Die Rentner rufen uns hustend und spuckend kaum verständliche Parolen zu und trollen sich in Richtung Bushaltestelle davon.
Ich atme auf und suche eine Strategie, mittels derer ich mich ohne großes Aufsehen, von der Party verabschieden kann. Die Baguettes sind mittlerweile durch den Nieselregen aufgeweicht und taugen nur noch als Teigköder fürs Angeln. Aus Nudelsalat wurde Nudelsuppe und langsam bricht die Abenddämmerung an. Bevor die Untoten im Wald erwachen, möchte ich in meinem warmen, hellen und trockenen Wohnbunker sein.
Ich zupfe mein Kind am Ärmel: „Wir müssen jetzt los.“
Das Kind antwortet entrüstet: „Nö. Es ist gerade so cool.“
„Du bist völlig durchnässt und sollst dich nicht erkälten. Denk daran, übermorgen schreibt ihr einen wichtigen Test. Außerdem müssen wir noch Oma abholen.“
Dies habe ich extra etwas lauter in die Abendstimmung gesprochen, damit auch jeder mitbekommt, warum wir jetzt aufbrechen müssen und auch niemanden mitnehmen können. Bevor ich noch weiterführend angesprochen werden kann, greife ich mir das Kind und bin auf dem Weg zum Auto. Wir machen einen großen Bogen um die Bushaltestelle und sind recht schnell im Stadtverkehr verschwunden, auf direktem Weg nach Haus.

Noch während ich aussteige, summt mein Handy.
Blöderweise gibt es eine Eltern-Gruppe in der Social-Media-App. „Lieber Sebastian, du warst jetzt leider schon so schnell weg. Deshalb haben wir dein Einverständnis vorausgesetzt und beschlossen, dass ihr für die Organisation des nächsten Eltern-Kind-Nachmittags verantwortlich seid. Danke und liebe Grüße, Doris.“
 

Rumpelsstilzchen

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Hallo enderman, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von Rumpelsstilzchen

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