Erde und Feuer, Kopf und Herz

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petrasmiles

Mitglied
Was für ein Zauber ... wenn ich bedenke, dass manches Mal in der LeLu der Gedanke kommt 'der Text ist aber ganz schön lang', aber bei Dir: Och, schon zu Ende! Da bleibt mir nur die Hoffnung auf mehr.
Liebe Grüße
Petra
 

Mimi

Mitglied
Ich erinnere mich noch genau an den Tag,
an dem du mir sagtest,
dass du uns verlassen wirst.
Es war Herbst. Ein schöner Herbst.
Und die kupferfarbenen Blätter der Kastanie bedeckten den Hof.
Ich konnte dir damals nicht ins Gesicht schauen.

Alles was ich sah, war das Fallen der Blätter.



~​

Un pájaro llega volando
Y se posa sobre mi pie.
Lleva una cartita en su pico,
Un saludo de mi madre.

Querido pájaro, vuelve a volarte,
Llévate un saludo, un beso,
Luego no puedo ir contigo,
Porque debo quedarme aquí.

(Un pájaro llega volando)






Málaga, im Juli

I
... Ich stand am späten Abend ungeduldig am Küchenfenster und beobachtete die Einfahrt auf unserem Grundstück. Bestimmt über eine Stunde stand ich da. Alma hatte darauf bestanden, dass ich mich wenigstens bettfertig mache, wenn ich schon nicht schlafen wollte. Ich glaube, sie begriff einfach nicht, dass ich nicht schlafen konnte. Dann schlug sie auch noch ernsthaft vor, eine Runde Backgammon zu spielen, um mich von meiner Warterei am Fenster abzulenken.
Aber mir war erst recht nicht nach irgendeinem Brettspiel zumute.
Sie saß am Küchentisch und trank seelenruhig ihren Melissentee, den sie mir zuvor angeboten hatte, und verstand nicht, dass ich nicht ständig eine Glucke um mich brauchte, die mir unentwegt sagte, was gut und was schlecht ist.
Manchmal macht mich Alma alleine mit ihrer bloßen Anwesenheit fast wahnsinnig, und das Schlimme ist, sie scheint es nicht einmal zu merken.
Meine Ungeduld wuchs zu einer kribbelnden Unruhe, die mich zu beherrschen drohte. Doch dann endlich ... Endlich sah ich das Scheinwerferlicht, auf das ich schon so lange gewartet hatte, und wäre fast gegen Alma gestoßen, als ich in meinem himmelblauen Pyjama hinaus zu Papa stürmte ...


II
... Ich habe mich wirklich gefreut, heute Morgen Mamas Stimme am Telefon zu hören, auch wenn ich mit den Tränen kämpfen musste. Sie hat mir versprochen, dass wir alles gemeinsam nachholen werden, sobald sie wieder zuhause ist. Doppelt und dreifach. Ich möchte ihr so gerne glauben, doch manchmal fällt es mir unendlich schwer.
Papa hat sich richtig viel Mühe gemacht ... Der Geburtstagskuchen, der Kaftan aus Seide, den er mir aus Irbid mitgebracht hat, der Besuch im Museo de Málaga, der gemeinsame Ausflug zum Strand; ich sollte einfach nur dankbar sein für das, was ich habe. Nur im Moment fällt es mir schwer, das zu sehen. Nach dieser Sache vorhin mit Alma, ist all meine gute Laune dahin. Sie hat mir den ganzen Tag verdorben, obwohl vorher alles so schön gewesen ist.
Diesen merkwürdigen Anblick, als Papa und ich zurück vom Strand kamen, die Haustür öffneten, und verwundert den leisen Klängen von Beethovens 'Für Elise' ins Musikzimmer folgten, werde ich immer noch nicht los.
Alma, die unscheinbare, farblose und teilnahmslose Alma, saß da am Klavier, während ihre Finger sanft über die Tasten glitten, voller Leichtigkeit und Hingabe, als ob sie all ihre Emotionen in dieses Stückchen Musik legte, die sie sonst immer verbarg. Sie hat mir nie erzählt, dass sie Klavier spielen kann, oder überhaupt irgendein Instrument. Die ganze Zeit hat sie es nie erwähnt, bei keiner einzigen Gelegenheit, die sich ergeben hat. Und davon gab es wirklich viele!
Als Alma unsere Anwesenheit bemerkte, erstarrte sie für einen kurzen Moment, als ob sie sich plötzlich bewusst wurde, dass sie im Musikzimmer am Klavier saß. Ich sah die Verlegenheit in ihrem Gesicht, als Papa begeistert zu klatschten begann und sie bat weiter zu spielen. Und dann stellte er sich auch noch neben den Schemel, auf dem sie saß und klopfte ihr zur Bestätigung kurz auf die Schulter.
Zum ersten Mal seit ich Alma kenne, sah ich, wie sich der Vorhang über ihren Pupillen öffnete, und eine neue Emotion in ihrem Blick offenbarte, die mich wie ein Schlag in den Bauch traf.
Sie hat es gewollt. Sie wollte, dass Papa sie sieht.
In diesem Moment habe ich Alma gehasst ...


III
... Ramon, der Postbote, der mich optisch immer an Humpty Dumpty aus Alice im Wunderland erinnert, überreichte mir heute, neben der üblichen Post für Papa, ein dunkelbraunes Päckchen auf dem viele Briefmarken klebten.
Natürlich habe ich die Handschrift sofort erkannt.
Oma hat eine akkurat geschwungene Schrift, die anmutig und gleichzeitig fließend wirkt. Sie schreibt immer auf schwerem Büttenpapier, das mich vom Geruch her an frisches Wiesenheu erinnert.
Sie meinte mal, dass sie dahingehend eher altmodisch geblieben sei. Ich finde das ganz und gar nicht altmodisch, sondern sympathisch und liebenswert.
Als ich das Päckchen neugierig aufriss, lag darin neben einer Karte mit Geburtstagsgrüßen, eine kleine rechteckige Schachtel aus Samt.
Vorsichtig öffnete ich den Deckel der Schachtel und betrachtete den Inhalt. Es war ein wunderschöner Füllfederhalter aus glänzendem Edelstahl, auf dessen Verschlusskappe in Kursivschrift mein Name eingraviert stand.
Oma, meine liebe Oma, hat es nicht vergessen!
Auf der Vorderseite der Karte hatte sie ein Bild geklebt. Ich kann mich noch genau an den Augenblick erinnern, als Ignacio den Auslöser der Kamera betätigt hat. Ignacio, der uns in seinem gebrochenen Deutsch aufforderte "Reibekuchen mit Käse" zu sagen und dabei grinsend einen kleinen Schritt nach hinten machte, um uns alle aufs Bild zu bekommen.
Oma saß, dicht flankiert von Laura und mir, auf einer Holzbank, die Hände im Schoß gefaltet.
Ihre Augen waren leicht zugekniffen. Hinter uns standen Tante Hilda, Tante Carla und Mama eng beieinander. Tante Carla, die mittig stand, hatte die Arme lässig um die Schultern ihrer Schwestern gelegt. Drei Generationen von Frauen und Mädchen, gebannt auf einem Bild.
Mama blickte direkt in die Kamera. Auf ihren Lippen lag der Hauch eines Lächelns. Wenn Mama lächelt, sieht sie aus wie eine phönizische Königin, hat Papa einmal zu mir gesagt. Je länger ich das Bild auf der Karte betrachtete, desto deutlicher verstand ich, was Papa damit meinte ...
 
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Mimi

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Versos nocturnos

Tú, que andas en las sombras,
¿Ves el lucero vespertino?
Cuando en la quietud nocturna
Envío mis versos al cielo,
Por un instante permanece
Tu corazón junto al mío.



Nachtverse

Du, die in den Schatten wandelt,
Siehst du den Abendstern funkeln?
Wenn ich in nächtlicher Stille
Hinauf meine Verse sende,
Verweilt für einen Augenblick
Dein Herz bei meinem.



~​




Cadaqués, im August

I
...
Die Zugfahrt war lang und ein bisschen anstrengend, aber die Landschaften, die wir durchquerten, waren einfach wunderschön. Ich habe eine Zeit lang versucht, in meinem Buch zu lesen, aber ich konnte mich nicht richtig auf den Inhalt der Erzählung konzentrieren. Papa saß auf dem Sitzplatz mir gegenüber und studierte völlig vertieft seine Zeitschrift. Ich wollte ihn dabei nicht stören, also beobachtete ich die vorbeiziehenden Dörfer und Felder Kataloniens und fragte mich, wie die Menschen dort wohl leben. Mir war schon ein wenig schwindelig von der Zugfahrt, als wir am späten Nachmittag endlich an unserem Reiseziel ankamen.
Unser Ferienhaus ist alt aber charmant, mit knarrenden Holzböden und einer Aussicht auf das Meer, die buchstäblich zum Zeichen einlädt.
Von meinem Zimmer aus kann ich die Wellen sehen und hören, wie sie gegen die Felsen schlagen. Ich könnte stundenlang aus dem Fenster schauen. Die Luft ist hier ganz anders als bei uns zu Hause; viel salziger und gleichzeitig herber.
Papa meinte beim Auspacken der Koffer, dass wir hier eine tolle Ferienzeit haben werden. Ich hoffe es wirklich, aber ich weiß, dass er immerzu an Mama denken wird. Mir geht es ja nicht anders ...

II
... Das Teatro Museo in Figueres sieht aus wie ein märchenhaftes Zauberschloss, mit auffallenden Festungsmauern, einer transparenten Glaskuppel und übergroßen Ei-Skulpturen, sowie goldenen Statuen auf dem Dach. Ich hatte zuvor nur Fotos des Museums gesehen – aber wenn man in natura davor steht, ist es wirklich viel beeindruckender. Papa erzählte mir, dass Dalí sein Museum auf den Ruinen des im spanischen Bürgerkrieg abgebrannten alten Theaters seiner Heimatstadt erbauen ließ. Dalí, dessen exzentrisches Konterfei die Besucher bereits am Eingang begrüßte, fühlte sich zeitlebens mit seiner Stadt verbunden.
Er erklärte mir während unseres Rundgangs, dass Surrealismus eine Kunstbewegung ist, die versucht, Träume und das Unterbewusstsein in Bildern darzustellen. Dalí sei ein Meister auf diesem Gebiet gewesen, meinte Papa, und das, obwohl er auch viel Kritik für einige seiner Werke einstecken musste.
Drinnen war das Museum noch faszinierender. Es war wie in einem Traumland! Überall gab es diese verrückten, traumartigen Gemälde und Skulpturen. In einem Raum stand ein riesiges Sofa in Form von Lippen. Aber das komplette Bild in diesem Raum konnte man erst von einer kleinen Empore aus erkennen. Es ist ein dreidimensionales Portrait von einer Frau, genauer gesagt von Mae West. Die meisten Kunstwerke hier waren voller seltsamer Kreaturen und unmöglicher Szenen, die mich einerseits verwirrten, aber auch tief beeindruckten.
Ich wünschte, ich hätte auch etwas von Dalís Gabe, die eigenen Träume so ausdrucksstark und lebendig zeichnen zu können. Aus seinen Werken spricht auch eine gewisse Extravaganz, fast schon so etwas wie eine ausufernde Selbstliebe.
Als wollte Dalí der ganzen Welt laut sagen: Seht alle her, wie phantastisch meine Welt ist! ...


III
... Es ist schon sehr spät, aber ich kann nicht einschlafen. Morgen wollen Papa und ich in die Altstadt von Perpignan fahren. Perpignan liegt nah der spanisch-französischen Grenze, knapp neunzig Kilometer von Cadaqués entfernt. Ich würde lieber einen Ausflug an die Gebirgsketten der Pyrenäen unternehmen, wenn wir schon in der Region sind. Die Berge und Landschaft dort sind bestimmt beeindruckend.
Jetzt sitze ich, etwas erschöpft von den langen Spaziergängen an der Promenade und dem Fischerhafen, am Schreibtisch in meinem Zimmer und starre auf das Meer, auf dessen Wasseroberfläche der Mond sich wippend spiegelt.
Am Abend sprachen Papa und ich, auf der Terrasse beieinander sitzend, über Mama. Er sagte, dass sie uns ganz bestimmt sehr vermissen würde, aber ihre Arbeit erfordere nun einmal viel Zeiteinsatz an unterschiedlichen Orten. Ich weiß, dass sie sich heftig gestritten haben, bevor Mama nach Gijón abgereist ist, und das macht mich traurig. Manchmal fühle ich mich schuldig, als ob ich der Grund oder Auslöser für ihren Streit wäre. Aber hier in Cadaqués scheint alles ein bisschen leichter erträglich zu sein. Papa versucht mich aufzumuntern, und ich merke, wie sehr er sich Mühe gibt, obwohl er auch oft nachdenklich wirkt. Er hat mich ganz fest in die Arme genommen und mir ins Ohr geflüstert, er liebe Mama und mich über alles auf der Welt. Ich habe in diesem Moment nur schlucken können und mit all meiner Kraft versucht dieses eine Bild aus meinem Kopf zu verjagen. Diese Szene, als ich in Mamas Ankleidezimmer stand und aus dem Fenster hinunter in unseren Garten schaute, war so surreal wie Dalís Bilder. Doch jedes Mal, wenn ich meine Augen schließe, sehe ich Mamas schönes Gesicht im glänzenden Licht der Sonne, und Señor Miguel, dessen Mund sich immer wieder an ihren Hals presste, während sie hinauf zum Fenster blickte...
 

John Wein

Mitglied
Liebe Mimi,
Ein Text wie Milch und Honig! Da habe ich mich schon beim Lesen der ersten Zeilen verliebt: Ja! "Erde und Feuer, Kopf und Herz". Im Erzählton wunderbbar gestimmt, fließend in Satz und Wort für Wort nachfühlend erzählt . Das Gedicht erinnert mich an die Gedichte von Rosalía de Castro, die ich zwar nicht in Original Sprache verstehen kann, sie ist noch wenig übersetzt, aber ich begreife ihre Leidenschaft. Leider ist mein Spanisch irgendwo zwischen Volkshochschule und Unterwegssein steckengeblieben und Galiecisch ist noch mehr eine Herausforderung,
Mae West, Salvatore Dalí, das ist eine andere Epoche. .... und immer wieder Pamplona und Hemingway........ Don Gil de las calzas verdes..... Adagio Concierto de Aranjuez.......in meinem Kopf läuft jetzt ein Film, Klappe!
Danke für die Ispiration
J. W.
 

Mimi

Mitglied
Lieber John, liebe Petra,
Danke für Eure positiven Rückmeldungen!
Rosalía de Castro, ist ein ziemlich großes Kompliment, John, da ist bei meinen Gedichten aber noch sehr viel Luft nach oben ...

Gruß
Mimi
 



 
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