Ich verstehe das Gedicht so, dass es um das Wesen der Psyche an sich geht; ihre Fähigkeit, sich zu entwickeln und hineinzuwirken in eine weniger Angst besetzte, gestaltbar sich verändernde Welt, an der sie teilhat.
Mit stilistisch schlichten Mitteln und einem formal relativ spartanisch eingerichteten Spielraum von Worten lädt der Autor den Leser ein, Gebiete, Methoden, Geschichten rund um Projektion und Introspektion kreativ-analytisch-intuitiv aufzugreifen, nachzuvollziehen, sich anzueignen.
Ob die entdeckten cineastischen Bezüge vom Autoren gelegte Spuren sind oder meiner eigenen Phantasterei entspringen?
Wer weiss ... Vielleicht ist das gar nicht wichtig.
Zunächst wird in Strophe 1 das Freudsche Strukturmodell der Psyche themengebend präsentiert.
Dabei wirkt die nachträglich zugefügte Großschreibung auch m.E. irritierend.
Als Stilmittel spielt sie ja bereits im weiteren Verlauf des Poems eine Rolle in - Wolken und Zahlen -
Die Präsentation offenbart ihre Botschaft:
ES wird durchgesetzt
mein ICH wird
über ÜBER-ICH
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es wird durchgesetzt
mein ich wird
über über-ich
In der konsequenten Kleinschreibung klingt "es" stark - nach Verkündung einer surrealen Beförderung/Transformation
es steht im grammatischen Kontext als Neutrum/Objekt eines artikulierten Tatbestands in der Tonart der direkten Anordnung - natürlich im Passiv.
mein
ich (auch im grammatischen Passiv)
Aha und aufgepasst! Wer spricht hier? Die personifizierte Psyche selbst? Es scheint also "ich" als Teil des Instanzenmodells und "ich" als Akteurin im Gedicht mitzuwirken.
über
über-ich
An dieser Stelle baut mein fiktives Leserinnenauge immer irgendwie eine zweite Bindestrichbrücke - zwischen "über" und "über" zum "ich".
Sonst macht es inhaltlich und grammatisch für mich keinen Sinn, das doppelte "über". Als Quantensprung verstehe ich es allerdings.
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Frage: Welche kapitale Bedeutung ist den Wolken und Zahlen im Kontext des Gedichtes und seinen interpretatorischen Spielräumen gemein, um die schriftbildliche Hervorherbung zu rechtfertigen?
Danach muss ich suchen, um das Gedicht zu verstehen.
in den Wolken
ein gelingen
Redensart
Die Zukunft liegt in den Wolken / steht in den Sternen
Korrespondiert mit dem Tempus der vorangegangenen und der folgenden Strophe.
nicht mehr hier sein
ich kehre nicht zurück
längst fängt mich nur noch glück
An dieser Stelle öffnet das Gedicht in meiner Wahrnehmung ein Fenster. Und herein oder heraus schwebt der song "space oddity" getragen von der Stimme David Bowies (mir sehr ans Herz gewachsen in den ganz frühen 70ern), ihm auf den Fersen: David Bowman (aus Stanley Kubricks) 2001 Space Odyssey (mitsamt seinen 3 Alter Egos) - die ich alle bislang gar nicht kannte - und last but not least mir ebenso wenig vertraut: Arthur C. Clarke himself auf einer Wolke der 9 Milliarden Namen von Gott. Oder so ähnlich.
Fortsetzung folgt / to be continued:
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch die in der griechischen wie römischen Mythologie erzählte "Odyssee" von Psyche (und Amor/Eros), die auf eine Erzählung im "Golden Esel" von Apuleius zurückführt, durchaus in den Interpretationsspielraum dieser Strophe passt. Nachdem sie - sowohl aktiv als auch passiv - das Glück gefangen hat, reicht ihr Jupiter den Becher Ambrosia, wodurch sie in den Kreis der Götter aufgenommen, Unsterblichkeit erlangt.
Mich fasziniert allerdings die Kubrick/Clarksche Variante deutlich stärker, zumal mit der vollzogenen Mondlandung in 1969 die zugrunde liegende Erzählung Clarkes aus 1948 "The Sentinel of Eternity" deutlich "prophetisches" Potential offenbart. Bekanntermaßen jährte sich der Tag der Mondlandung quasi zeitgleich mit Veröffentlichung des Gedichtes - und dem Erscheinen von Space Oddity, dem Song von David Bowie, der die Bilder der Landung im Fernsehen musikalisch untermalte.
Mit diesem Fund tastete ich mich weiter vor zu Strophe drei, um die Verbindung zu den "Zahlen" im Gedicht zu begreifen:
endlich ohne Zahlen
ich möchte sie nicht malen
wünschte sie wär'n dein
Möglicherweise impliziert die Aussage "endlich ohne Zahlen" den Umkehrschluss: unendlich mit Zahlen. Was rückbezüglich auf den Kontext "Psyche" auf den Unsterblichkeitsaspekt hindeuten könnte. In meinem Interpretationsversuch ein weiterer Aha-Effekt! - (Letztlich ist der Begriff der Unendlichkeit durch die Mathematik für Otto Normal erst begreifbar)
Beim Versuch, den Anschluss zu "Malen nach Zahlen" zu finden, half mir erneut eine Assoziation mit musikalischem Bezug. "Drowning by numbers" geisterte durch meine Erinnerung. Eine Filmmusik auf Vinyl in meiner Sammlung von Michael Nyman.
Peter Greenaways Film - in der deutschen Fassung "Die Verschwörung der Frauen" - hatte und habe ich nicht gesehen. Erstaunlicherweise finden sich in den nachlesbaren Rezensionen beeindruckende Parallelen.
Der Wikipedia-Eintrag übersetzt den englischen Filmtitel tatsächlich mit "Malen nach Zahlen". Die drei weiblichen Hauptfiguren des Films tragen identisch den Namen Cissie Colpitts. Somit korrespondieren sie auf erstaunliche Weise mit den drei Alter Egos des Hautcharakters David Bowmans in der Schlussequenz von 2001 Odyssee im Weltraum von Kubrick und symbolisieren filmisch das von Freudsche Instanzenmodell der Psyche, welches eingangs im Gedicht chiffriert vorgestellt wird.
Beeindruckend auch das in Greenaways Film eingangs auftretende Seil springende Mädchen, das zu jedem ihrer hundert Sprünge jeweils den Namen eines Sterns aufzählt.
"Hundert sind genug", antwortet sie sinngemäß auf die Frage einer der drei Cissie Colpitts, die sie fragt, warum sie bei hundert Namen aufhört.
Ich will hier nicht weiter ins Detail gehen. Es sei nur noch gesagt, dass Introspektion und Projektion durch den filmischen Bezug sehr prägnant erscheinen.
Die drei Herren Bowie, Kubrick (inklusive Bowman als Held in 2001) sowie Clarke als maßgeblichen Ideengeber und Vater der Sifi-Literatur kann man ohne rot zu werden als "Stars" im zeitgenössischen Sprachgebrauch bezeichnen. (Greenaway nicht minder.)
Mit Rückbezug auf das Gedicht komme ich zu dem Schluss, dass der Autor hier ein poetisches Experiment vorgenommen hat, ein Werk vorzulegen, in dem er die Begriffe "Psyche" und "Unendlichkeit/Unsterblichkeit/Ewigkeit" bewusst vermieden hat.
Tatsächlich sind sie vor allem in der Dichtung durch "Abnutzung" und "Schwammigkeit" berüchtigt und gewissermaßen tabuisiert. (Was ihre Faszination jedoch keineswegs schmälert.)
Die sonderbar anmutenden Umschreibungen lassen die Sprache dementsprechend tendenziell hölzern klingen. - Was den Reiz des Gedichtes jedoch nicht schmälert.
Es wird ihm daran gelegen haben, zu erfahren, ob die Textbotschaft dennoch herauszulesen ist. So verstehe ich auch den letzten Satz als Wunsch nach Verständnis. Ist doch das Poem seinem Wesen nach - trotz aller Dichte - immer noch ein Stück erzähltes Leben; selbst in der Fiktion.
Wer bis hierher meinen weitschweifigen Ausführungen gefolgt ist, wird mir zustimmen, dass in "Erzählung" die "Zahl" deutlich vorhanden ist.
Danke für eure Geduld!
P.S. Eine Wolke ist der Geburtsort der Sterne
und wer dem Glück nicht nachjagt, lässt sich davon fangen.
Grüße von Elke