Margarete Siebenthal
Mitglied
Es sind immer die Jungen
von M. Siebenthal
Schlimme Sache. Na, es sind immer die Jungen, die halten eben nichts mehr aus. Mehr sagte der Unteroffizier, der mich zu dem Selbstmord meines Kameraden befragte, im Wesentlichen nicht dazu. Mit dem Sturmgewehr habe er sich in den Kopf geschossen, das berichte ich vor der Untersuchungskommission. Ich hätte nur den Schuss gehört, wäre gleich zur Stelle gewesen. Mir wäre die Monate davor nichts aufgefallen, von Depressionen hätte ich nichts gewusst, Andeutungen hätte ich keine bemerkt.
Zum hundertsten Mal greife ich in meine Schenkeltasche. Heraus nehme ich die Marke, und denke, eigentlich sieht sie genauso aus wie in den Filmen. Ein längliches, zweiteiliges Stück Metall, die Ecken abgerundet, aufgezogen auf einer Kette von kleinen Metallkugeln. Sollte man im Einsatz fallen, würden sie dir die eine Hälfte in der Mitte abbrechen, die andere Hälfte bliebe „am Mann“. So haben sie es uns erklärt, damals, in der Ausbildung, vor drei Jahren. Für mehr sei im Einsatz keine Zeit – das ginge ruck-zuck. Reduziertes Sterben, nach einem reduzierten Leben, denke ich und halte die Marke näher an mein Gesicht.
Obwohl sie federleicht ist, liegt sie nun schwer in meiner Handfläche, mit Zeigefinger und Daumen drehe ich sie hin und her. Die Dienstnummer, diese nackte Identität, und die Blutgruppe schimmern im trüben Licht der Kasernenunterkunft. Trägt man seine Marke um den Hals, ist die Stille nie vollkommen, man hört schon bei der kleinsten Bewegung ein leises Geräusch, wenn das Metallplättchen an die Kette schlägt, oder die Kette durch die Öse rattert, wenn man den Kopf dreht. Es ist ein Geräusch, durch das man niemals mehr alleine ist, es erscheint mir stets tröstlich. Diese Marke wird an keiner Kette mehr getragen. Diese Marke schweigt.
Wie jedes Mal liegt sie nicht lange auf meiner Hand - die dünne Scheibe wird schnell warm, mir graut davor, deshalb stecke ich sie wieder in meine Schenkeltasche ein. Als ich sie meinem Kamerad von der Brust zog, war sie noch warm gewesen. Zerbrochen habe ich sie, an Ort und Stelle. Damals, und auch heute, wenn ich mich daran zurückerinnere, geht mir ein und der selbe Gedanke durch den Kopf: Das ging ruck-zuck.
von M. Siebenthal
Schlimme Sache. Na, es sind immer die Jungen, die halten eben nichts mehr aus. Mehr sagte der Unteroffizier, der mich zu dem Selbstmord meines Kameraden befragte, im Wesentlichen nicht dazu. Mit dem Sturmgewehr habe er sich in den Kopf geschossen, das berichte ich vor der Untersuchungskommission. Ich hätte nur den Schuss gehört, wäre gleich zur Stelle gewesen. Mir wäre die Monate davor nichts aufgefallen, von Depressionen hätte ich nichts gewusst, Andeutungen hätte ich keine bemerkt.
Zum hundertsten Mal greife ich in meine Schenkeltasche. Heraus nehme ich die Marke, und denke, eigentlich sieht sie genauso aus wie in den Filmen. Ein längliches, zweiteiliges Stück Metall, die Ecken abgerundet, aufgezogen auf einer Kette von kleinen Metallkugeln. Sollte man im Einsatz fallen, würden sie dir die eine Hälfte in der Mitte abbrechen, die andere Hälfte bliebe „am Mann“. So haben sie es uns erklärt, damals, in der Ausbildung, vor drei Jahren. Für mehr sei im Einsatz keine Zeit – das ginge ruck-zuck. Reduziertes Sterben, nach einem reduzierten Leben, denke ich und halte die Marke näher an mein Gesicht.
Obwohl sie federleicht ist, liegt sie nun schwer in meiner Handfläche, mit Zeigefinger und Daumen drehe ich sie hin und her. Die Dienstnummer, diese nackte Identität, und die Blutgruppe schimmern im trüben Licht der Kasernenunterkunft. Trägt man seine Marke um den Hals, ist die Stille nie vollkommen, man hört schon bei der kleinsten Bewegung ein leises Geräusch, wenn das Metallplättchen an die Kette schlägt, oder die Kette durch die Öse rattert, wenn man den Kopf dreht. Es ist ein Geräusch, durch das man niemals mehr alleine ist, es erscheint mir stets tröstlich. Diese Marke wird an keiner Kette mehr getragen. Diese Marke schweigt.
Wie jedes Mal liegt sie nicht lange auf meiner Hand - die dünne Scheibe wird schnell warm, mir graut davor, deshalb stecke ich sie wieder in meine Schenkeltasche ein. Als ich sie meinem Kamerad von der Brust zog, war sie noch warm gewesen. Zerbrochen habe ich sie, an Ort und Stelle. Damals, und auch heute, wenn ich mich daran zurückerinnere, geht mir ein und der selbe Gedanke durch den Kopf: Das ging ruck-zuck.