eva

5,00 Stern(e) 6 Bewertungen

seefeldmaren

Mitglied
eva

sie steht -
eine figur aus aufgefaltetem wetter,
am rand der glaskaskade, wo kathedralen
als milde fehler des himmels gelten.

ein apfel - vielleicht
nur ein cluster aus erinnerungsspänen,
schwebt vor ihr wie ein kreis,
der sich aus seinem zentrum gelöst hat.

ihr blick tastet
nach wachstumsverläufen in pflasterfugen,
nach dem rauschen der jahre im photosynthesegrün.
sie atmet staubgewordenes frühjahr
und ikigai

& hätte gerne
auf der haut der tiere gelesen,
was das licht ihr ungesagt ließ.

doch der mann war ein schatten
mit gewohnheit zur zukunft.
sie folgte ihm, nicht wissend,
ob gott ein beginn war oder bloß
ein bild mit rippe hinter den spiegeln.
 

mondnein

Mitglied
  • Ikigai: (生きがい) setzt sich aus den japanischen Wörtern "iki" (leben) und "gai" (Wert, Sinn) zusammen.
 

Scal

Mitglied
Das sensible Tasten ins Bild, in seinen erzählenden "Zublick", in sein Einberaumtsein - der feine Aufspürsinn, den Deine Sprache "erschmeckbar" macht ....
Gefällt mir sehr!
Einzig beim Wort "photosynthesegrün" erlebte ich ein spontanes Unwohlsein.

LG
 

seefeldmaren

Mitglied
Das sensible Tasten ins Bild, in seinen erzählenden "Zublick", in sein Einberaumtsein - der feine Aufspürsinn, den Deine Sprache "erschmeckbar" macht ....
Gefällt mir sehr!
Einzig beim Wort "photosynthesegrün" erlebte ich ein spontanes Unwohlsein.

LG
Hallo Scal,

genau diese Stelle ist der Grund, warum ich das Gedicht einstellte.
Schriebe ich nur "grün", dann würde so viel fehlen, was die Photosynthese (als Prozess und Wandel von Leben und Tod) erklären könnte.
Aber: Wirklich glücklich bin ich damit nicht.


Danke für die Sterne und deinen Kommentar! :)

@mondnein

Danke für's Aufführen! Weiß ich zu schätzen.


Maren
 

mondnein

Mitglied
"photosynthesegrün"

einer der wichtigsten Aspekte der modernen Lyrik und aller Lyrik überhaupt ist das Finden seltener Begriffe, ungewöhnlicher also nicht allzu ausgelutschter Wörter, und ein unbekümmertes Ausgreifen in die wissenschaftlich erweiterten Horizonte.

"Chlorophyll"

grusz, hansz
 

seefeldmaren

Mitglied
"photosynthesegrün"

einer der wichtigsten Aspekte der modernen Lyrik und aller Lyrik überhaupt ist das Finden seltener Begriffe, ungewöhnlicher also nicht allzu ausgelutschter Wörter, und ein unbekümmertes Ausgreifen in die wissenschaftlich erweiterten Horizonte.

"Chlorophyll"

grusz, hansz
Hallo Hansz,

ja, der Vorschlag ist gut - ich packe deinen Vorschlag in meine Liste, danke!
Ob das Finden seltener Begriffe das Ziel der zeitgenössischen Lyrik ist, weiß ich nicht.
Die Natur respektive der Impetus ist sicher der Wunsch nach Ausdruck.
Ich schätze aber, dass die Bekämpfung alter Strukturzwänge ganz weit oben steht.

Danke, dass du dich eingebracht hast!
Ich wünsche Dir eine schöne Woche.

Maren
 

trivial

Mitglied
Liebe Maren,

mir gefällt es sehr, aber ich kann verstehen, dass Photosynthesegrün ein wenig zu technisch erscheint. Vielleicht zwei Inspirationen meinerseits, in denen ich hoffe, deinen Gedanken aufgenommen zu haben:

„nach dem Rauschen der Jahre, die das Grüne lichten“

„nach dem Rauschen der Jahre im lichtgewordenen Grün“

Beim ersten müsste man „lichten“ von seiner gewöhnlichen Deutung lösen und umdeuten – im Sinne von: Etwas kommt aus dem Licht hervor, oder: Das Licht bringt etwas hervor.
Mir gefällt das, aber vielleicht bewegt es sich etwas zu weit außerhalb des gewohnten Rahmens.

Liebe Grüße
Rufus
 

seefeldmaren

Mitglied
Hallo @trivial, mondnein und scal,

herzlichen Dank erneut für eure Beteiligung - ich freue mich sehr über eure Resonanz!

Dir, trivial, ein besonderer Dank für die Sterne und deine sehr wohlwollenden Anregungen.

Das Faszinierende an der Photosynthese war für mich stets ihre Prozesshaftigkeit - jener Übergang von Licht zu Leben, von reiner Energie zur manifesten Form.
Das ursprünglich verwendete Photosynthesegrün wurde nun durch den Ausdruck „farbstoff der geduld“ ersetzt. Dieser trägt zwar eine schöne metaphorische Dichte in sich, doch geht mit ihm leider auch jene prozessuale Dimension verloren, die mir so wichtig war; fügt aber überdies eine neue hinzu.

Aus diesem Grund bin ich in der Zeile zurückgegangen und habe das inzwischen allzu abgegriffene „rauschen“ gestrichen. An seine Stelle tritt nun die Keimung (Bye Adjektiv, servus Nomen!) - ein Begriff, der dem photosynthetischen Vorgang in seiner impliziten Wandlungsdynamik sehr nahekommt. Zugleich bleibt der Bezug zur Natur und ihren zyklischen Bewegungen erhalten. Somit wäre mein Problem gelöst und ich bin damit zufrieden. Und dir, lieber @Scal, wird es, so glaube ich, auch gefallen. (Ich fand deine synästhetische Beschreibung so wunderschön!).
Lieber @mondnein: Leider habe ich deinen Vorschlag verworfen. Nicht, weil er schlecht war, sondern weil er zu gut war, um von mir zu stammen. ;)
Danke aber für den Impuls - und vor allem für den Versuch, diese Art von Lyrik zu verstehen. Finde ich schön! Fühle mich verstanden und holt mich ab. :)


ihr blick tastet
nach wachstumsverläufen in pflasterfugen,
nach der keimung der jahre im farbstoff
der geduld.
sie atmet staubgewordenes frühjahr
und ikigai



Maren
 

Scal

Mitglied
Schön gelungen, finde ich.
Ich stimme dem zu, was hansz allgemein zum Ausdruck gebracht hat, aber hier geht es ganz konkret um dieses Gedicht, und innerhalb dieses atmosphärisch-reflektierenden Aufspürfließens empfand ich die "Photosynthese" wie die Gebildefrucht eines anderen Gartens, die wohlmeinend herab- und hereingepflückt wurde, obwohl sie woanders wurzelt.
Insofern empfand ich in diesem Gedicht ihre "Anwesenheit" als störend. In einen anderen Garten passt sie - wie auch "Chlorophyll" - vielleicht prächtig hinein.
Ich beziehe mich nur auf mein eigenes "Geschmacksvermögen" und wollte sein "Unwohlgefühl" noch ein bisschen bildhaft charakterisieren.

LG
 

trivial

Mitglied
Liebe Maren,

mir persönlich gefiel die erste Version doch besser – sie hatte für mich etwas Zyklisches, eine Ahnung ewiger Wiederkehr. Die neue hingegen wirkt geradliniger – ursprünglicher, aber auch endgültiger. In meiner Wahrnehmung fast schon gegensätzlich. Sie fügt sich beinahe einvernehmlich an das Ende des Gedichts, während zuvor der Moment selbst im Vordergrund stand – kritischer, tastender, offener. Als ginge das Emanzipatorische verloren und etwas Paternalistisches übernähme; als würde Eva verstummen und Adam das Wort ergreifen
Aber vielleicht ist das letztlich zu sehr konstruiert.

Liebe Grüße
Rufus
 

seefeldmaren

Mitglied
Aber vielleicht ist das letztlich zu sehr konstruiert.
Lieber Trivial,

deiner Einschätzung möchte ich jenen wertenden Charakter nehmen, der sich darin andeutet. Du setzt dich mit Lyrik auseinander, und was du daraus für dich ableitest, ist selbstverständlich legitim - es sind deine Wahrnehmungen, deine Gedanken, und damit gültig im Raum der Interpretation.

Gleichzeitig erscheint es mir grundsätzlich unmöglich, dass ein lyrisches Werk allgemeine Zustimmung erfährt. Gerade der Wunsch danach birgt die Gefahr, den poetischen Impuls zu unterlaufen. Wer primär auf Anerkennung zielt, anstatt aus innerer Notwendigkeit zu schreiben, begibt sich in eine Abhängigkeit, die das lyrische Arbeiten fundamental beeinträchtigt. Lyrik will Ausdruck sein und nicht Dekor, sie will ein seelischer oder intellektueller Vorgang sein und kein Mittel zum Glänzen. Aus einem solchen Erwartungskontext lässt sich kaum eine tragfähige Kritik oder ein produktiver Zugang entwickeln; ohnehin ist der Zugang zu Lyrik eine Disziplin für sich.

Würde ich das Gedicht in seine ursprüngliche Fassung zurückführen, verlagerte sich das innere Ungleichgewicht lediglich an eine andere Stelle. Daher obliegt es mir als Autorin, jene Version zu verantworten, in der ich eine für mich stimmige Form gefunden habe.

„Photosynthesegrün“ und dieselbe Zeile in der Urform gefiel mir selbst - dennoch hatte ich meine Schwierigkeiten mit der darin liegenden Technologisierung. Das ist keineswegs ein prinzipielles Problem; bei Autor:innen wie Steffen Popp etwa funktionieren solche aufgeladenen Begriffe im jeweiligen Kontext sehr überzeugend. Was heißt „besser“? Sie funktionieren - unter anderen Voraussetzungen. Bei mir war dies so lalala. :)

Ich wünsche Dir einen schönen Feiertag und ein geruhsames Wochenende!

Maren
 

trivial

Mitglied
Liebe Maren,

leider verstehe ich nicht ganz, was Du mir damit sagen möchtest. Natürlich verstehe ich, was Du sagst – aber nicht ganz im gegebenen Kontext.

Das „zu sehr konstruiert“ bezog sich auf meinen Kommentar, nicht auf Deine Änderungen – falls das für Verwirrung gesorgt hat.

Den möglichen korrumpierenden Effekt positiver Resonanz sehe ich ganz genauso. In dieser Hinsicht kann ich Dir nur zustimmen.

Liebe Grüße und Dir ebenfalls einen schönen Feiertag und ein entspanntes Wochenende
Rufus
 

seefeldmaren

Mitglied
Hallo Trivial,

Das „zu sehr konstruiert“ bezog sich auf meinen Kommentar
Es war auf deinen Kommentar gemünzt, denn

deiner Einschätzung möchte ich jenen wertenden Charakter nehmen, der sich darin andeutet.
sagt nichts anderes als genau das aus: Wieso sollte dein Kommentar "zu" konstruiert sein, wenn das Werk bei dir so gute Gedanken evoziert?
Das ist doch schön!

Ich hoffe, ich konnte das Missverständnis lösen.

Aber jetzt gehe ich Steaks schwingen! Es gibt nichts Schöneres als die Abendsonne und Fleisch, das in Bier und Zwiebeln eingelegt wurde. :cool:

Maren :)
 

sufnus

Mitglied
Hey Maren!

Ich klinke mich mal noch in die Photosynthesegrün-Belichtungen ein, nicht zuletzt in der Motivation dieses schöne Werk mal nochmal zu pushen!
Hab ich hier überhaupt schon Sterne springen lassen … noch nicht? Na dann aber huschhusch! :)

Zu dem P-Begriff: Ich stolpere da auch - aber weniger wegen des technischen Begriffs Photosynthese sondern eher wegen des "Abstraktivums" (gefällt mir grad besser als "Abstraktum") "das Grün". Solche sehr allgemeinen Nomen aus der Welt der Ideen bringen für ich immer ein latent erhabenen Klang ein (mit Tendenz ins fast-schon Museale). Demgegenüber empfinde ich den technisch-wissenschaftlichen Jargon der Photosynthes in diesem eh recht stimmungsvielfältigen Gedicht nicht als störend. Mindestens ebenso fremdklangbeimengselisch tönen doch auch "Cluster" und "Ikigai", dieser vorbabylonische Klangpluralismus wird für mich durch die Photosynthese eher abgerundet.

Aber das -grün! Das ist für mich tatsächlich ein Stilbruch, dessen Funktion ich nicht so recht einordnen kann. Wir bewegen uns also in ähnlichem Dunstkreis wie bei der Applikations-Bedenkung in Charlottes Gedicht (aber das ist ja hier nicht das Thema - also zurück zum Topic :) ).

Allen, denen der technische Begriff nicht gefallen hat, wird folgener Vorschlag nichts nutzen, trotzdem: Wie wäre es denn damit, hier mal den i. A. doch so übelbeleumundeten Adjektiven freundlich unter die Arme zu greifen:

Ihr blick tastet
nach wachstumsverläufen in pflasterfugen,
nach dem photosynthetischen rauschen der jahre


?

LG!

S.
 

seefeldmaren

Mitglied
Hallo @sufnus,

du meinst, weil "Grün" in der Photosynthese integraler Bestandteil ist und es deswegen zu einem Doppelmoppel verkommt?
Schon nicht ganz unwahr...

Hmpf.

Maren
 

trivial

Mitglied
Also, ich finde "grün" passend, da es seinen Ursprung im Wachsen hat, weshalb ich es auch nicht redundant finde. Wenn man in Sufnus Vorschlag "rauschen" durch "gehren" ersetzen würde, hätte man eine etymologische Brücke zum "grün" geschlagen. Gefällt mir persönlich gut, andererseits ist "rauschen" auch ein starkes Wort.

Liebe Grüße
Rufus
 

Tula

Mitglied
Hallo Maren
Anzahl und Tiefe der Kommentare offenbart bereits, dass deine Lyrik hier ein grundlegendes Ziel erreicht hat: die Auseinandersetzung des Betrachters mit dem Kunstwerk.

Die Idee gefällt mir sehr. Mein einziger Kritikpunkt gilt dem Ikigai, d.h. das Gedicht springt hier von der biblischen Symbolik in die eines völlig anderen Kulturkreises.

Ansonsten kann der Leser hier ziemlich frei auf diversen Deutungswegen wandeln. Besonders gefällt mir der Abschluss.

LG Tula
 

seefeldmaren

Mitglied
Hallo @trivial, lieber @Tula! :)

vielen Dank für deinen Kommentar, Kritik und Sterne! Ich finde es sehr wertvoll, wenn einzelne Begriffe angemerkt werden, gerade wenn sie wie „ikigai“ aus einem ganz anderen kulturellen Raum stammen und sich nicht sofort selbstverständlich in einen westlich-biblischen Kontext einfügen.

Hier dazu meine Gedanken, wenn wir schon in einer Gemeinschaft um coole Begriffe kreisen. :cool: Das macht wirklich Spaß!

„Ikigai“ beschreibt ja im Japanischen, wenn ich nicht falsch liege, sinngemäß den „Grund, morgens aufzustehen“: also die tiefe innere Motivation, die sich aus dem Schnittpunkt von Berufung, Leidenschaft, Notwendigkeit und Können speist. Es ist kein rein funktionaler Begriff, sondern ein sehr existenzieller und damit, finde ich, durchaus mit biblischen Fragen verwandt: Warum bin ich hier? Was ist meine Aufgabe? Wo liegt mein Wert - auch jenseits von Schuld und Fall?

Im Kontext von „Eva“ ist „ikigai“ nicht als modischer Fremdkörper gefasst, sondern gerade als Kontrastfolie zu einer westlich-religiös geprägten Schuld-Erzählung: Eva als Symbolfigur, deren Sinn (oder eben Verlust desselben) in der Überlieferung durch den „Sündenfall“ umrissen wird und nun die leise Gegenfrage: Was wäre, wenn sich jenseits dieser Theologie ein anderes, leiseres „Sinnwort“ in sie legt? Eines, das nicht auf Erlösung hofft, sondern auf die Daseinsbegründung im Jetzt?

In dieser Konstellation suchte ich nach einem Begriff, der nicht nur theologisch oder moralisch aufgeladen ist, sondern etwas zutiefst Menschliches ausdrückt: die Sehnsucht nach Sinn, trotz Bruch, Verlust, Schuld. Ikigai schien mir als Fremdwort geeignet, gerade weil es einen anderen Horizont aufspannt; einen, in dem das Leben nicht nur ertragen, sondern verstanden werden will.
Mir ist bewusst, dass das Wort dadurch auch Fremdheit erzeugt. Aber genau diese Fremdheit entspricht für mich auch dem Moment, in dem Eva das Paradies verlässt... hin zu einer Welt, in der sie sich selbst und ihren Platz neu definieren muss. Und genau das ist ja passiert. Eva war Eva und Eva musste klarkommen.

Ihr alle führt aber gute Gründe und Perspektiven auf... weiter nachzudenken. Ein konstruktiver Austausch ist etwas Feines, wie ich finde. Ich danke Dir, Tula!

@trivial
Ach menno! Was mache ich denn jetzt? Und wie gehe ich mit den abgegebenen Feedbacks um?
Ich denke, ich werde in mich gehen und über eure Gedanken tiefer nachdenken, bevor ich hier weiter die Senffeile ins Eisen treibe.
Mir gefallen eure Gedanken sehr, gleicht einem oszilierendem Wechselbad der Gefühle, jetzt muss ich nur noch herausfinden, was mir gefällt. :)

@sufnus
Ich mag deinen Vorschlag.

Maren
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

Mitglied
Hallo @sufnus,

du meinst, weil "Grün" in der Photosynthese integraler Bestandteil ist und es deswegen zu einem Doppelmoppel verkommt?
Hey Maren! :)

Tatsächlich meinte ich das doppelmoppelige gar nicht, sondern mir ging es darum, dass mit "dem Grün" eine m. E. etwas schwierige Sprachebene bedient wird - ich hab das aber oben nur sehr grob angerissen.

Um mehr ins Detail zu gehen: Speziell bei der Nominalisierung von Farbadjektiven (der grüne Photosynthesefarbstoff) gibt es im Deutschen drei Möglichkeiten:
- eine sächliche Nominalform (das Grün)
- eine sächliche Nominalform mit -e hinten dran (das Grüne)
- eine weibliche Nominalform mit -e hinten dran (die Grüne)

(Klammer auf, für etwas, das jetzt nicht das eigentliche Thema ist: Natürlich gibt es noch Gerundium-Bildungen aus dem Verb [das Grünen] und -heit-Nominalisierungen aus dem Adjektiv [die Grünheit] und ggf. sogar -ung Nominalsierungen, die sich wieder vom Verb ableiten [die Grünung], Klammer zu)

Zurück zu Obigem:

- "Das Grün" meint im üblichen Reden einen speziellen Grünton ("eigentlich mag ich ja grüne Kleider nicht so gerne, aber das Grün von Deinem Kleid find ich ganz nice, geht so ein bisschen ins Petrolige, oder?").

- "Das Grüne" meint ein Element unserer Weltwirklichkeit, welches sich durch seine grüne Farbe besonders auszeichnet ("wir fahren heut mal raus ins Grüne", womit dann vermutlich eine extraurbane und im Vergleich zum städtischen Umfeld grünere Landschaft gemeint ist).

- "Die Grüne" ist speziell bei grün recht ungebräuchlich, weil man diese femininen Farbnominalisierungen lieber bei solchen Farben anwendet, bei denen eine zusätzliche "Umlautisierung" ;) die Wortunterscheidung klarer macht (die Bläue, die Schwärze, die Röte), grundsätzlich ist aber auch "die Grüne" eine theoretisch mögliche Wortbildung und würde sozusagen einen gewissen Grad an Grünheit bezeichnen, es wäre aber vermutlich eher in etwas scherzhaften Wendungen zu finden; ausdrücklich nicht gemeint ist jetzt die homophone Bezeichnung für eine weiblich gelesene Person, welche Mitglied der Partei "Die Grünen" ist, das ist dann wieder was ganz anderes ;)

Bei Deinem "rauschen der jahre im photosynthesegrün" wäre mithin die sächliche Form ohne -e zur Anwendung gekommen, also die Bezeichnung für einen ganz konkreten Farbton und das wäre dann folglich der vermutlich ins Spinathafte spielende Farbton "Chlorophyllgrün" (das ist jetzt wirklich ein bisschen doppeltgemoppelt, weil chloros, grob vereinfacht (!) bei den alten Griechen u. a. so eine Art "Grünlichkeit" bezeichnen kann).
Tatsächlich lässt aber der Begriff "das Grün" in einem poetischen (genauer: "poetischen") Kontext meist weniger an konkrete Farbtöne denken, sondern steht für einen "hohen Ton", der eher eine Art "platonische Idee" der grünen Farbe mit all ihren metaphorischen Nebenaufladungen anmoderiert.
Der Ausruf: "Oh Thüringen! Wie vermisse ich das Grün Deiner Wälder!" spielt also nicht auf einen ganz konkreten Farbton an, denn die Wälder Thüringens sind, je nach Jahreszeit und Borkenkäferbefall, doch recht heterogen gefärbt. Vielmehr geht es bei solchen Farbanrufungen meist eher ins sehr Allgemeine. Und dieser recht hohe und zugleich ins Allgemeine zielende Ton - jetzt kommt der große Loop zu meiner ursprünglichen und unausführlicheren Bedenkenäußerung gegen "das Grün" - hat für mich eher einen musealen Klang, irgendwie auf eine etwas ungute Weise altmodisch.

Leider sind solche neutralen (im Genus-Sinn) Abstrakta mit "das" in Gedichten auch abseits von Farbenbenamsungen nicht ganz selten und sie stören mich in den allermeisten Fällen.

Und jetzt bin ich nicht sicher, ob etwas klarer geworden ist, womit ich hadere. Aber erstmal brauch ich was zu essen. Ggf. sonst später mehr. :)

LG!

S.
 



 
Oben Unten