"Das Prinzip ist einfach. Wir werden ihren Körper einfrieren. Dadurch wird die Zeit praktisch konserviert, ihr Körper bleibt unverändert in seinem jetzigen Zustand.
Wir sind fest davon überzeugt, dass die Wissenschaft irgendwann dazu in der Lage sein wird, die eingefrorenen Toten wieder ins Leben zu holen. Sie begeben sich also auf eine Zeitreise"
Gerhard war begeistert. Die Sache schien keinen Haken zu haben. Vor zwei Jahren waren sie in einer Fernsehdokumentation zufällig auf das Thema Kryonik gestoßen. Nach langen Gesprächen mit seiner Frau wurde aus der Fantasie ein Entschluss. Sie wollten nach ihrem Ableben ihren Körper einfrieren lassen, in der Hoffnung, in ferner Zukunft zu erwachen und gemeinsam weiterzuleben.
Dann war vor drei Monaten die Diagnose gekommen. Gerhard hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Ärzte hatten ihm klar zu Verstehen gegeben, dass er nur noch wenige Wochen zu leben habe.
Gerhard hatte nicht die Absicht, unnötig zu leiden. Er würde in die Schweiz fahren, um bei Dignitas den Freitod zu wählen. Direkt nach seinem Tod würde sein Körper in das nur zehn Minuten Autofahrt entfernte Kryonikzentrum transportiert und dort eingefroren werden.
Oft lag er jetzt nachts wach und versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, nicht zu existieren. Manchmal überwältigte ihn dabei die nackte Panik. Wie würde es sich anfühlen, möglicherweise hunderte Jahre tot zu sein und dann wiederbelebt zu werden ? Würde es ihm vorkommen, als sei gar keine Zeit vergangen? Darauf hoffte er.
"Bedienen Sie sich an der Schokolade. Haben sie einen besonderen Musikwunsch"? fragte ihn der Arzt. Seine Frau saß neben ihm und drückte seine Hand. "Scarborough Fair von Simon and Garfunkel. Das würde ich gerne hören, falls es möglich ist."
"Aber selbstverständlich", sagte der Arzt lächelnd. Er tippte etwas in sein Smartphone und das melancholische Lied erfüllte den Raum.
"Wegen mir können wir jetzt anfangen", meinte Gerhard tapfer. Er wandte sich an seine Frau. "Gerda, du warst und bist die Liebe meines Lebens. Ich hoffe das weißt du. Sei bitte nicht zu traurig. Du bist 87 und musst es nicht lange ohne mich aushalten. Wir werden sehr bald wieder vereint sein"
Gerda schluchzte auf und drückte seine Hand noch fester. "Ich liebe dich", flüsterte sie in sein Ohr.
Währenddessen hatte der Arzt bereits die Injektionslösung vorbereitet.
"Diese erste Spritze lässt sie in einen sehr tiefen Schlaf verfallen", erklärte er. "Mit der zweiten Spritze werden wir ihre Atmung zum Stillstand bringen. Sie werden dabei keinerlei Schmerzen empfinden".
Er stach die Nadel ins Gerhards Vene und drückte die Injektionslösung rasch in seinen Unterarm.
Wenige Sekunden später fühlte sich Gerhards Körper unendlich leicht an. Ein schönes Gefühl. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
"Ich glaube, er ist zurück", war das erste, das Gerhard hörte. Er öffnete die Augen. "Können Sie mich verstehen?", fragte ihn ein Mann in weißem Arztkittel. "Ja, sehr gut", antwortete Gerhard. Er brauchte einige Sekunden um sich zu erinnern, wer er war. Dann überkam ihn Euphorie. Es hatte tatsächlich geklappt.
"Welches Datum haben wir bitte?", fragte er den Arzt.
"Es ist der siebtzehnte Februar im Jahr 2305" antwortete der Arzt ruhig.
"Unglaublich" murmelte Gerhard. "Wie geht es meiner Frau", fragte er dann mit aufkommender Panik.
"Sie ist bereits vor sechs Monaten aufgetaut worden" wurde ihm erwidert.
Ein Gefühl der tiefsten Erleichterung durchströhmte Gerhards Körper.
"Kann ich sie sehen, können Sie sie herholen?", fragte er mit sich überschlagender Stimme.
"Das ist im Augenblick leider nicht möglich", antwortete der Arzt ernst.
"Georg, Sie können jetzt reinkommen!", rief er dann in Richtung der Tür. Ein stämmiger Mann in Polizeiuniform betrat das Krankenzimmer. Bevor Gerhard reagieren konnte, hatte der Mann ihn mit Handschellen ans Bett gefesselt.
"Was soll das?" schrie Gerhard.
Jetzt lächelte der Arzt.
"Sie werden das bekommen, was sie verdienen", erklärte er ruhig. "Die Menschen aus ihrem Zeitalter sind dafür verantwortlich, dass der Planet beinahe zugrunde gegangen wäre. Sie haben sämtliche Ressourcen ausgebeutet und nichts gegen die Klimaerwärmung getan, obwohl sie die Folgen hätten voraussehen können. Das 22. Jahrhundert hat unseren Planeten nahe an den Rand des Abgrunds gebracht. Es war geprägt von Dürren, Umweltkatastrophen, ungeahnten Flüchtlingströmen und Krieg um Ressourcen. Wir verdanken es allein der rasanten Entwicklung der Wissenschaft, dass wir das Ruder noch einmal umreisen konnten.
Die meisten Menschen ihres Zeitalters sind ihrer gerechten Strafe leider entgangen. Einige tausend von Ihnen haben sich jedoch einfrieren lassen und diese Menschen lassen wir stellvertretend für Ihre gesamte Generation bezahlen"
Nackte Panik stieg in Gerhard auf.
"Was hätte ich als Einzelner denn tun können?", rief er entrüstet. "Ich hab doch gemacht, was ich konnte. Meistens habe ich sogar Die Grünen gewählt"
"Das ist mir völlig gleichgültig", erwiderte der Arzt mit tödlicher Ruhe. "Sie alle sind mit offenen Augen ins Verderben gegangen. Sie tragen eine Kollektivschuld"
Gerhard wurde schlecht. "Was haben Sie jetzt mit mir vor?", fragte er mit zitternder Stimme.
Der Arzt ging ans Fenster und öffnete es. Dann wandte er sich an Gerhard.
"Wissen Sie, seit der Zeit in der sie gelebt haben, hat sich einiges verändert. Die Menschen müssen nicht mehr sterben. Wir nehmen einmal im Monat eine Pille, die den Alterungsprozess aufhält. Auch Sie werden in den Genuss davon kommen. Wissen Sie, was sich außerdem verändert hat? Wir haben keine Gefängnisse mehr. Für unsere Verbrecher haben wir eine bessere Strafe gefunden. Wir narkotisieren sie und schließen ihren Kopf an einen Computer an. Dieser wird für ihr Bewusstsein eine neue Realität konstruieren. In ihrer Generation haben doch noch viele Leute an eine Hölle geglaubt, nicht wahr?"
Er wartete auf eine Antwort, doch Gerhard blieb stumm und blickte ihn fassungslos an.
"So können Sie sich die simulierte Realität vorstellen. Das wird ihre Welt sein. Für alle Zeiten"
"Nein! Nein! Das kann nicht sein!" schrie Gerhard und erbrach sich auf seine Bettdecke.
Wir sind fest davon überzeugt, dass die Wissenschaft irgendwann dazu in der Lage sein wird, die eingefrorenen Toten wieder ins Leben zu holen. Sie begeben sich also auf eine Zeitreise"
Gerhard war begeistert. Die Sache schien keinen Haken zu haben. Vor zwei Jahren waren sie in einer Fernsehdokumentation zufällig auf das Thema Kryonik gestoßen. Nach langen Gesprächen mit seiner Frau wurde aus der Fantasie ein Entschluss. Sie wollten nach ihrem Ableben ihren Körper einfrieren lassen, in der Hoffnung, in ferner Zukunft zu erwachen und gemeinsam weiterzuleben.
Dann war vor drei Monaten die Diagnose gekommen. Gerhard hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Ärzte hatten ihm klar zu Verstehen gegeben, dass er nur noch wenige Wochen zu leben habe.
Gerhard hatte nicht die Absicht, unnötig zu leiden. Er würde in die Schweiz fahren, um bei Dignitas den Freitod zu wählen. Direkt nach seinem Tod würde sein Körper in das nur zehn Minuten Autofahrt entfernte Kryonikzentrum transportiert und dort eingefroren werden.
Oft lag er jetzt nachts wach und versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, nicht zu existieren. Manchmal überwältigte ihn dabei die nackte Panik. Wie würde es sich anfühlen, möglicherweise hunderte Jahre tot zu sein und dann wiederbelebt zu werden ? Würde es ihm vorkommen, als sei gar keine Zeit vergangen? Darauf hoffte er.
"Bedienen Sie sich an der Schokolade. Haben sie einen besonderen Musikwunsch"? fragte ihn der Arzt. Seine Frau saß neben ihm und drückte seine Hand. "Scarborough Fair von Simon and Garfunkel. Das würde ich gerne hören, falls es möglich ist."
"Aber selbstverständlich", sagte der Arzt lächelnd. Er tippte etwas in sein Smartphone und das melancholische Lied erfüllte den Raum.
"Wegen mir können wir jetzt anfangen", meinte Gerhard tapfer. Er wandte sich an seine Frau. "Gerda, du warst und bist die Liebe meines Lebens. Ich hoffe das weißt du. Sei bitte nicht zu traurig. Du bist 87 und musst es nicht lange ohne mich aushalten. Wir werden sehr bald wieder vereint sein"
Gerda schluchzte auf und drückte seine Hand noch fester. "Ich liebe dich", flüsterte sie in sein Ohr.
Währenddessen hatte der Arzt bereits die Injektionslösung vorbereitet.
"Diese erste Spritze lässt sie in einen sehr tiefen Schlaf verfallen", erklärte er. "Mit der zweiten Spritze werden wir ihre Atmung zum Stillstand bringen. Sie werden dabei keinerlei Schmerzen empfinden".
Er stach die Nadel ins Gerhards Vene und drückte die Injektionslösung rasch in seinen Unterarm.
Wenige Sekunden später fühlte sich Gerhards Körper unendlich leicht an. Ein schönes Gefühl. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
"Ich glaube, er ist zurück", war das erste, das Gerhard hörte. Er öffnete die Augen. "Können Sie mich verstehen?", fragte ihn ein Mann in weißem Arztkittel. "Ja, sehr gut", antwortete Gerhard. Er brauchte einige Sekunden um sich zu erinnern, wer er war. Dann überkam ihn Euphorie. Es hatte tatsächlich geklappt.
"Welches Datum haben wir bitte?", fragte er den Arzt.
"Es ist der siebtzehnte Februar im Jahr 2305" antwortete der Arzt ruhig.
"Unglaublich" murmelte Gerhard. "Wie geht es meiner Frau", fragte er dann mit aufkommender Panik.
"Sie ist bereits vor sechs Monaten aufgetaut worden" wurde ihm erwidert.
Ein Gefühl der tiefsten Erleichterung durchströhmte Gerhards Körper.
"Kann ich sie sehen, können Sie sie herholen?", fragte er mit sich überschlagender Stimme.
"Das ist im Augenblick leider nicht möglich", antwortete der Arzt ernst.
"Georg, Sie können jetzt reinkommen!", rief er dann in Richtung der Tür. Ein stämmiger Mann in Polizeiuniform betrat das Krankenzimmer. Bevor Gerhard reagieren konnte, hatte der Mann ihn mit Handschellen ans Bett gefesselt.
"Was soll das?" schrie Gerhard.
Jetzt lächelte der Arzt.
"Sie werden das bekommen, was sie verdienen", erklärte er ruhig. "Die Menschen aus ihrem Zeitalter sind dafür verantwortlich, dass der Planet beinahe zugrunde gegangen wäre. Sie haben sämtliche Ressourcen ausgebeutet und nichts gegen die Klimaerwärmung getan, obwohl sie die Folgen hätten voraussehen können. Das 22. Jahrhundert hat unseren Planeten nahe an den Rand des Abgrunds gebracht. Es war geprägt von Dürren, Umweltkatastrophen, ungeahnten Flüchtlingströmen und Krieg um Ressourcen. Wir verdanken es allein der rasanten Entwicklung der Wissenschaft, dass wir das Ruder noch einmal umreisen konnten.
Die meisten Menschen ihres Zeitalters sind ihrer gerechten Strafe leider entgangen. Einige tausend von Ihnen haben sich jedoch einfrieren lassen und diese Menschen lassen wir stellvertretend für Ihre gesamte Generation bezahlen"
Nackte Panik stieg in Gerhard auf.
"Was hätte ich als Einzelner denn tun können?", rief er entrüstet. "Ich hab doch gemacht, was ich konnte. Meistens habe ich sogar Die Grünen gewählt"
"Das ist mir völlig gleichgültig", erwiderte der Arzt mit tödlicher Ruhe. "Sie alle sind mit offenen Augen ins Verderben gegangen. Sie tragen eine Kollektivschuld"
Gerhard wurde schlecht. "Was haben Sie jetzt mit mir vor?", fragte er mit zitternder Stimme.
Der Arzt ging ans Fenster und öffnete es. Dann wandte er sich an Gerhard.
"Wissen Sie, seit der Zeit in der sie gelebt haben, hat sich einiges verändert. Die Menschen müssen nicht mehr sterben. Wir nehmen einmal im Monat eine Pille, die den Alterungsprozess aufhält. Auch Sie werden in den Genuss davon kommen. Wissen Sie, was sich außerdem verändert hat? Wir haben keine Gefängnisse mehr. Für unsere Verbrecher haben wir eine bessere Strafe gefunden. Wir narkotisieren sie und schließen ihren Kopf an einen Computer an. Dieser wird für ihr Bewusstsein eine neue Realität konstruieren. In ihrer Generation haben doch noch viele Leute an eine Hölle geglaubt, nicht wahr?"
Er wartete auf eine Antwort, doch Gerhard blieb stumm und blickte ihn fassungslos an.
"So können Sie sich die simulierte Realität vorstellen. Das wird ihre Welt sein. Für alle Zeiten"
"Nein! Nein! Das kann nicht sein!" schrie Gerhard und erbrach sich auf seine Bettdecke.
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