Ralf Langer
Mitglied
Fieber
Seit den Tagen der ersten Fieberschübe sehe ich klarer.
Es ist, als ob mit jeder Hitzewelle etwas in mir schwindet, abstirbt, sich wandelt.
Etwas, das meine Wahrnehmung, wie mir nun deutlich wird, beeinflußt hat.
Ich lächle viel. Trotz der Schmerzen, die mich mein Körper empfinden lassen will.
Soma. Nicht mehr als eine Form, eine Hülle für kausale Schlacke, die sich im Laufe des Lebens abgelagert hat, die ich nun beginne herauszuschwitzen.
Was übrig bleibt ist Essenz. Ich spüre es immer deutlicher.
Noch stört der Körper. Noch dringen seine Signale irritierend auf mich ein.
Hunger am häufigsten.
Aber kein Großer mehr. Nichts was wirklich schmerzt.
Nur noch Appetit. Eine Erinnerung an eine Gewohnheit. Der diminuativste Anspruch den das Fleisch erhebt.
Aber ich gebe mich diesem Wegelagerer nicht hin.
Fleisch! Der gordische Knoten löst sich auf.
Bald nur noch Garn, den der Schöpfer, wie ein Koch, um eine Roulade wickelte um das Fleisch
in einer Form zu halten, die ihrer Natur nicht entspricht.
E = mc2 .
Der Schüttelfrost löst diese Gleichung nach E hin auf.
Ich habe den Fernseher gestern endgültig ausgeschaltet. Die Geräusche stören meine Konzentration.
Jetzt, da meine Sinne sich schärfen, reicht mir der Blick von der Couch zum Fenster hinaus um die Welt zu begreifen.
Ich höre wie Nachts die Ratten auf dem Hinterhof die Mülltonnen des Discounters durchwühlen. Die tapsenden Klänge ihrer Schritte. Und dann reden sie miteinander. Erst hielt ich es für Einbildung. Aber ein heftiger Fieberschub lies mich die Dinge anders vernehmen.
Ja, sie reden.
Und sie lachen viel. Vielmehr als ich wahrhaben wollte. Man weiß ja das Ratten viel zu lachen haben.
Und wie sie lachen.Vor allen Dingen über Haltbarkeitsdaten auf Verpackungen.
„Nie war das Leben so einfach.“ Sie johlen. „Werft nur alles weg.“ So spricht der Rattenkönig.
„Unser Tisch ist reichlich gedeckt.“
Das wiederum freut die streunenden Katzen. Alle werden satt.
Essen! Banalitäten.
Von mir nur Kopfschütteln.
Aber die Ratten können es nicht wissen. Weiß es überhaupt jemand außer mir:
Der Geist wird stärker, wenn der Körper schwach ist.
Schritte im Hausflur lenken mich ab. Ich kenne den Rhythmus dieser Schritte;
Zwei Stufen gleichzeitig. Inne halten. Dann eine Stufe und wieder von vorn.
Füße auf dem Weg zur Arbeit.
Mein Nachbar. Ingenieur. Verfahrenstechniker. Was ihn vorantreibt?
Auch Hunger. Aber ein Anderer. Hunger nach Wochenende. Schon Montags beschleunigen sich seine Schritte. Bis Freitags erhöht sich das Tempo. Dann, ab 16.00 Uhr, wenn er geduscht ist, wenn die Seife die Monotonie der Fünf Tage Woche von der Haut gespült hat, ändert sich das Muster.
Müßiggang.
Die Treppenstufen hinab werden die nächsten zwei Tage einzeln genommen. Nichts tun. Ich sehe ihn.
Sehe den Tresen. Höre das Bier seine Kehle hinunterrauschen. Wochenende. Bierdurst.
Ich bleibe liegen. Rätsle über Haltbarkeitsdaten von gezapftem Bier.
Der Rattenkönig wüßte es. Aber Ratten trinken kein Bier. Biojoghurt reicht als Flüssigkeit.
Mein Urin hat seine Farbe geändert. Wie der Himmel. Von meinem Lager aus sehe ich ihn nur zwischen dem Parkhaus und der Hinterwand des Schauburg Kinos hervorluken. Ein Stück, das mit zusammengekniffenenen Augen, zwischen Daumen und Ringfinger passt.
Der Himmel schiebt sich ins Violette, der Harn ins dunkelgelbe. Der Harn riecht intensiver. Auch ein Akt der Befreiung. Der Himmel hat keinen Geruch. Er ist Farbe. Die Stare beäugen ihn argwöhnisch vom Dachsims
des Kinos aus. Die Farbe gefällt ihnen nicht. Das Violette scheucht sie auf.
Nicht so die Drossel.
In den ersten Tagen hatte ich sie gar nicht bemerkt. Ganz unscheinbar sitzt sie zwischen den welkenden Blättern meiner Balkonpflanzen und singt.
Es ist eine Bachfuge, wie ich mittlerweile festgestellt habe.
„Toccata und Fuge in D minor“
Natürlich ist es eine eigenwillige Interpretation. Eine Drosselversion.
Aber es passt, passt zu den Starenschwärmen, die sich sammeln, passt zu der Farbe des Himmels.
Auf eine eigentümliche Art und Weise bringt die Drossel mein Fleisch zur Resonanz.
Während ich liege, vibriere ich, schwinge. Vor allem vom Basslauf. Er sorgt dafür, dass ich zu schweben beginne.
Leichtigkeit ist eine der letzten Stufen des Fiebers.
Ich bin aufgestanden. Ganz langsam auf den Balkon gegangen. Es hat die Drossel nicht verscheucht.
Sie sitzt weiterhin zwischen den Pflanzen und singt.
Ich spüre mittelmeerisches auf meiner Haut. Muß das Salz sein, denke ich. Ja, Salz ist Essenz.
Wie leicht alles geworden ist.
Dann brechen die Stare auf.
Seit den Tagen der ersten Fieberschübe sehe ich klarer.
Es ist, als ob mit jeder Hitzewelle etwas in mir schwindet, abstirbt, sich wandelt.
Etwas, das meine Wahrnehmung, wie mir nun deutlich wird, beeinflußt hat.
Ich lächle viel. Trotz der Schmerzen, die mich mein Körper empfinden lassen will.
Soma. Nicht mehr als eine Form, eine Hülle für kausale Schlacke, die sich im Laufe des Lebens abgelagert hat, die ich nun beginne herauszuschwitzen.
Was übrig bleibt ist Essenz. Ich spüre es immer deutlicher.
Noch stört der Körper. Noch dringen seine Signale irritierend auf mich ein.
Hunger am häufigsten.
Aber kein Großer mehr. Nichts was wirklich schmerzt.
Nur noch Appetit. Eine Erinnerung an eine Gewohnheit. Der diminuativste Anspruch den das Fleisch erhebt.
Aber ich gebe mich diesem Wegelagerer nicht hin.
Fleisch! Der gordische Knoten löst sich auf.
Bald nur noch Garn, den der Schöpfer, wie ein Koch, um eine Roulade wickelte um das Fleisch
in einer Form zu halten, die ihrer Natur nicht entspricht.
E = mc2 .
Der Schüttelfrost löst diese Gleichung nach E hin auf.
Ich habe den Fernseher gestern endgültig ausgeschaltet. Die Geräusche stören meine Konzentration.
Jetzt, da meine Sinne sich schärfen, reicht mir der Blick von der Couch zum Fenster hinaus um die Welt zu begreifen.
Ich höre wie Nachts die Ratten auf dem Hinterhof die Mülltonnen des Discounters durchwühlen. Die tapsenden Klänge ihrer Schritte. Und dann reden sie miteinander. Erst hielt ich es für Einbildung. Aber ein heftiger Fieberschub lies mich die Dinge anders vernehmen.
Ja, sie reden.
Und sie lachen viel. Vielmehr als ich wahrhaben wollte. Man weiß ja das Ratten viel zu lachen haben.
Und wie sie lachen.Vor allen Dingen über Haltbarkeitsdaten auf Verpackungen.
„Nie war das Leben so einfach.“ Sie johlen. „Werft nur alles weg.“ So spricht der Rattenkönig.
„Unser Tisch ist reichlich gedeckt.“
Das wiederum freut die streunenden Katzen. Alle werden satt.
Essen! Banalitäten.
Von mir nur Kopfschütteln.
Aber die Ratten können es nicht wissen. Weiß es überhaupt jemand außer mir:
Der Geist wird stärker, wenn der Körper schwach ist.
Schritte im Hausflur lenken mich ab. Ich kenne den Rhythmus dieser Schritte;
Zwei Stufen gleichzeitig. Inne halten. Dann eine Stufe und wieder von vorn.
Füße auf dem Weg zur Arbeit.
Mein Nachbar. Ingenieur. Verfahrenstechniker. Was ihn vorantreibt?
Auch Hunger. Aber ein Anderer. Hunger nach Wochenende. Schon Montags beschleunigen sich seine Schritte. Bis Freitags erhöht sich das Tempo. Dann, ab 16.00 Uhr, wenn er geduscht ist, wenn die Seife die Monotonie der Fünf Tage Woche von der Haut gespült hat, ändert sich das Muster.
Müßiggang.
Die Treppenstufen hinab werden die nächsten zwei Tage einzeln genommen. Nichts tun. Ich sehe ihn.
Sehe den Tresen. Höre das Bier seine Kehle hinunterrauschen. Wochenende. Bierdurst.
Ich bleibe liegen. Rätsle über Haltbarkeitsdaten von gezapftem Bier.
Der Rattenkönig wüßte es. Aber Ratten trinken kein Bier. Biojoghurt reicht als Flüssigkeit.
Mein Urin hat seine Farbe geändert. Wie der Himmel. Von meinem Lager aus sehe ich ihn nur zwischen dem Parkhaus und der Hinterwand des Schauburg Kinos hervorluken. Ein Stück, das mit zusammengekniffenenen Augen, zwischen Daumen und Ringfinger passt.
Der Himmel schiebt sich ins Violette, der Harn ins dunkelgelbe. Der Harn riecht intensiver. Auch ein Akt der Befreiung. Der Himmel hat keinen Geruch. Er ist Farbe. Die Stare beäugen ihn argwöhnisch vom Dachsims
des Kinos aus. Die Farbe gefällt ihnen nicht. Das Violette scheucht sie auf.
Nicht so die Drossel.
In den ersten Tagen hatte ich sie gar nicht bemerkt. Ganz unscheinbar sitzt sie zwischen den welkenden Blättern meiner Balkonpflanzen und singt.
Es ist eine Bachfuge, wie ich mittlerweile festgestellt habe.
„Toccata und Fuge in D minor“
Natürlich ist es eine eigenwillige Interpretation. Eine Drosselversion.
Aber es passt, passt zu den Starenschwärmen, die sich sammeln, passt zu der Farbe des Himmels.
Auf eine eigentümliche Art und Weise bringt die Drossel mein Fleisch zur Resonanz.
Während ich liege, vibriere ich, schwinge. Vor allem vom Basslauf. Er sorgt dafür, dass ich zu schweben beginne.
Leichtigkeit ist eine der letzten Stufen des Fiebers.
Ich bin aufgestanden. Ganz langsam auf den Balkon gegangen. Es hat die Drossel nicht verscheucht.
Sie sitzt weiterhin zwischen den Pflanzen und singt.
Ich spüre mittelmeerisches auf meiner Haut. Muß das Salz sein, denke ich. Ja, Salz ist Essenz.
Wie leicht alles geworden ist.
Dann brechen die Stare auf.