Ermittlungsteam
Morgen Chef“, grüßte Peter Sonnenschein, als er das Büro der Mordkommission betrat. „Wie war ihr Wochenende?“
Rudolf Gnade, Kommissar und Chef dieser Abteilung, saß an seinem Schreibtisch und hatte die Montagsausgabe des „Stadtanzeigers“ vor sich ausgebreitet.
„Morgen“, brummelte er übellaunig, während er die Sportseite las.
„Oh, ich hab’s ja fast vergessen. Die Eintracht hat ja schon wieder verloren.“ Sonnenschein grinste. „Wird wohl nix mit dem Aufstieg, oder?“
„Spar dir deine Häme, Sonnenschein“, brummte der Kommissar, faltete die Zeitung zusammen und legte sie zur Seite. Dann stand er auf. „Ist schlimm genug, was sich diese Idioten zusammenkicken – auch ohne deinen Kommentar.“
Sylvia Kleinschmidt, Sekretärin der Abteilung, grinste Sonnenschein an.
„Sie wissen doch, dass er ungenießbar ist, wenn seine Eintracht verliert, Herr Sonnenschein.“
„Was wissen Sie denn von Fußball, Kleinschmidt?“, erkundigte sich Gnade gereizt. „Geben Sie mir lieber noch eine Tasse Kaffee.“
„Aber natürlich, Herr Kommissar. Gerne, Herr Kommissar! Mögen Sie auch eine Tasse, Herr Sonnenschein?“
„Danke gerne. Wo ist denn Sabine?“ Der junge Kriminalbeamte schaute die Sekretärin fragend an.
„Hat noch einen Arzttermin. Sie kommt etwas später“, gab diese Auskunft.
Sonnenschein hängte sein Trenchcoat an die Garderobe und setzte sich an seinen Schreibtisch. Schlürfend nahm er einen Schluck Kaffee. Er war groß und schlank, fast dünn. Sein ebenfalls schmales Gesicht wurde von einer langen spitzen Nase beherrscht. Neben dem fast gleich großen Kommissar wirkte Sonnenschein wie eine halbe Portion. Sein Chef war Anfang fünfzig, breitschultrig mit leicht angegrautem Haar, leichten Hängebacken und langen Koteletten.
„Was wird jetzt aus der Capri-Geschichte?“, erkundigte sich Sonnenschein. Drei Wochen zuvor war ein italienisches Restaurant – „Taverna Capri“ – durch einen Sprengstoff-Anschlag verwüstet worden. Es hatte zwei Tote gegeben und Gnade hatte mit seinen Leuten aufgedeckt, dass die Mafia in die Sache verstrickt war – in welchem Maße war allerdings noch unklar.
„Was soll schon daraus werden?“, fragte Gnade immer noch gereizt. „Die Schlauberger vom BKA haben sich die Sache unter den Nagel gerissen. Damit ist der Fall für uns erledigt. Aus.“
Sonnenschein lehnte sich mit resigniertem Gesichtsausdruck in seinem Stuhl zurück.
„Na wunderbar“, meinte er. „Wir haben die ganze Drecksarbeit gemacht und die Herren aus Wiesbaden heimsen die Lorbeeren ein.“
„Tja, mein lieber Sonnenschein, das Leben ist ungerecht ...“
Er wurde vom Läuten des Telefons unterbrochen. Sonnenschein meldete sich.
„Mordkommission Sonnenschein ... ja ...wo? okay, wir sind schon unterwegs, danke.“
Er legte auf und schaute seinen Chef an.
„Ein Jogger hat unten am Fluss hinter einer Bank eine Leiche entdeckt. Der Mann wurde ganz offensichtlich ermordet.“
„Na dann, worauf wartest du noch? Fahr schon mal den Wagen vor, Sonnenschein.“
Der junge Mann zog sein Trenchcoat an und verschwand.
*
Als die beiden Beamten am Fundort eintrafen, hatten ihre uniformierten Kollegen diesen bereits weiträumig durch rot-weiß gestreifte Bänder abgesperrt. Jenseits der Bänder hatte sich eine größere Anzahl Schaulustiger eingefunden, in dem verzweifelten Bemühen, den einen oder anderen Blick zu erhaschen.
Gnade fluchte, als er die Gaffer sah.
„Haben die nichts besseres zu tun“, brummelte er. „So eine Sch...., der hat mir gerade noch gefehlt!“
Ein schmächtiger, nicht allzu groß gewachsener Mann, Anfang dreißig mit bereits lichtem, dunkelblonden Haar und einer Nickelbrille, kam geradewegs auf die beiden Polizisten zu, als diese eben die Absperrung passieren wollten.
„Guten Morgen, die Herren“, grüßte Andreas Prinz, Reporter der örtlichen Tageszeitung „Stadtanzeiger“. „Könnt ihr schon etwas sagen?“
„Wenn wir etwas zu sagen haben, Andreas, wirst du das bei einer Pressekonferenz oder –verlautbarung erfahren. Tritt jetzt hinter die Absperrung zurück, sonst lasse ich dich festnehmen.“
„Na, hör mal, Rudi. Das kannst du nicht machen! Ich ...“
„Das kann ich und das werde ich“, unterbrach ihn der Kommissar und deutete auf das rot-weiße Band, das der Reporter geflissentlich übersehen hatte. „Hinter die Absperrung zu den anderen Nichtstuern!“ Er warf Prinz noch einen scharfen Blick zu und wandte sich dann in Richtung der Bank, wo die Kollegen von der Spurensicherung bereits am Werk waren.
„Morgen, Rudi“, grüßte einer der Männer, klein und schlank, mit schütterem, rötlichblonden Haar. Sonnenschein begrüßte er mit einem Kopfnicken.
„Morgen, Arno“, erwiderte der Kommissar. Arno Klaub, Leiter der Spurensicherung, ließ kurz von seiner Arbeit ab. „Habt ihr schon irgendetwas?“
Klaub zuckte die Schultern.
„Wahrscheinlich wenig, was uns irgendwie weiter hilft. Ich denke, Dr. Theissler kann dir mehr helfen als ich. Tut mir leid.“ Klaub wandte sich ab und fuhr damit fort, die Bank zu untersuchen.
...
...
Als Gnade und Sonnenschein ihr Büro wieder betraten, war auch Sabine Holstmann eingetroffen. Die junge Beamtin mit den kurzen, hellblonden Haaren und der frechen Himmelfahrtsnase schaute ihre Kollegen zornig an.
„Na, konntet ihr mich wiedereinmal nicht gebrauchen, Kollegen?“
„Wir können dich doch immer gebrauchen, Sabinchen“, meinte Sonnenschein. „Hol doch mal was aus der Kantine, ja!?“ Er grinste und konnte dem Schlag der jungen Frau nur knapp ausweichen.
„Nun, Frau Kollegin Holstmann, leider waren Sie ja nicht anwesend, als die Musik spielte. Jetzt haben Sie den Anschluss verpasst.“ Gnade grinste die junge Frau an.
Holstmann schnitt ihm eine Grimasse. Dann siegte allerdings ihre Neugier.
„Um was geht es bei unserem neuen Fall?“, erkundigte sie sich bei Sonnenschein.
Der hatte sich inzwischen an seinen Schreibtisch gesetzt und die mitgebrachte Currywurst ausgepackt.
„Der Ermordete ist ein Versicherungsdetektiv“, brachte er undeutlich zwischen Currywurst und Brötchen hervor, was Holstmann die Augen verdrehen ließ. Gnade verschwand grinsend in seinem Büro.
„Und?“
„Wir waren gerade in Frankfurt bei seinem Arbeitgeber. Sehr viel haben wir noch nicht erfahren, aber wir haben einiges zum Lesen mitgebracht.“ Er deutete auf den kleinen Stapel Aktenmappen, der auf seinem Schreibtisch neben seinem Mittagessen lag.
„Ach ja, Kleinschmidt“, rief Gnade aus seinem Büro. „Tun Sie mir den Gefallen und kopieren Sie bitte die Akten, die wir mitgebracht haben. Sie können sich Hilfe aus dem Schreibbüro holen, damit es schneller geht. Anschließend schicken Sie die Sachen bitte per Einschreiben an die Versicherung zurück. Aber vorher hätte ich gern noch einen Kaffee, wenn das geht.“
„Wird gemacht, Chef.“
Gnade wandte sich an Holstmann.
„Für Sie habe ich auch einen Auftrag, Frau Holstmann. Wir haben in der Brieftasche des Toten eine EC-Karte von der Dresdner Bank gefunden. Wir brauchen die Auszüge der letzten drei Monate. Wollen doch mal sehen, ob es für die Urlaubspläne des Herrn Kronberg einen Grund gibt. Wenn die von der Bank Zicken machen ...“
„Ich weiß“, unterbrach ihn die junge Frau. „Dann sage ich ihnen, dass ich in einer halben Stunde mit einer richterlichen Verfügung wieder dort sein kann.“
Gnade grinste.
„Sonnenscheinchen“, meinte er dann. „Wir beide werden uns mit den Akten befassen, sobald die Kopien vorliegen. Ich werde mich derweil beim Chef melden.“
...