Suchen und finden
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"Hättet einen wenigstens vorwarnen können. Ihr denkt wohl auch, uns graust vor gar nichts mehr." Franziska Grünwald vergrub ihre klammen Hände noch tiefer in die Manteltaschen, zog die Schultern hoch und machte einen langen Schritt rückwärts. "Tut mir Leid, Frau Kommissarin", Wachtmeister Jansen gestikulierte verlegen herum, "aber die Leute von der Grüngutdeponie haben den Mann so gefunden wie er hier noch liegt."
"Was sagt die Gerichtsmedizin?" Dr. Müllerjahn, dem die Frage galt, stand von der Leiche auf, schüttelte etwas von den vermoderten Zeug vom Schutzanzug. Musste auch erst nach Luft schnappen. "Männliche Leiche, Mitte Zwanzig, sehen Sie ja selbst. Liegt seit einer bis zwei Wochen hier unter dem Grüngut auf der Kippe. Kann ich nicht genauer sagen. Hat sich von hinten erstechen lassen, der Ärmste. Ein einziger Stich, mehr ist nicht zu sehen. Hier und jetzt. Die Arbeiter haben ihn überhaupt nur gefunden, weil das ganze Zeug hier mal auf einen schönen, großen Haufen gepackt und weggekarrt werden soll."
Franziska Grünwald hatte ihren Ekel herunter geschluckt und beugte sich über die Leiche. "Komischer Mord", murmelte sie leise vor sich hin. "Mit einem einzigen Stich ratzfatz erstochen und dann hierher gebracht." Sie winkte den Polizisten zu sich heran. Jansen kam nur widerwillig. Hatte keine Lust, sich von dem verrottenden Zeug und dem Toten seine Sachen einstänkern zu lassen. "Jansen, wie weit ist es eigentlich bis zum nächsten Ort, wie viele Kilometer?" Der Polizist verstand die Frage offensichtlich nicht, antwortete aber brav. Es waren, den kleinen Weiler nicht mitgerechnet, der direkt neben der Deponie lag, zehn Kilometer bis zum nächsten Ort.
Frau Grünwald war bei der ganzen Kripo berühmt-berüchtigt für ihre seltsamen Fragen und für ihren ungeheuren Bedarf an Dorftratsch, den sie bei all ihren Fällen an den Tag legte. Fast schon wie eine alte Oma! Aus den unscheinbarsten Details oder aus den seltsamsten Zufällen zog sie danach ihre Schlüsse. Der Rest war dann Fleißarbeit und kriminaltechnische Routine für die Assistenten und fürs Labor. Es wurde hinter vorgehaltener Hand geraunt, dass ihr noch nie ein Täter durch die Finger geflutscht war.
"Schon eine Ahnung, wer der Tote ist?" Der Polizist wusste, was man von ihm erwartete. "Könnte der junge Mann aus Steinbach sein, der Klempner, der seit zwei Wochen vermisst wird. Die Beschreibung stimmt in etwa - abgesehen davon haben wir sonst keinen Abgängigen." Auf Jansens Gedächtnis war Verlass. Berichtete, dass man den Mann zunächst gar nicht richtig vermisst hatte, wegen diverser Frauengeschichten, wegen kleinerer Prügeleien mit Nebenbuhlern, weil er eine Vorliebe für spontane Kurzurlaube hatte... Der Polizist stammte aus dem Nachbarort und wusste das Nötigste über die familiären Verhältnisse: die Eltern, die unscheinbare aber fleißige Schwester, die Vermögenslage.
Der Gerichtsmediziner hatte seine Siebensachen zusammengepackt und verstaute alles in seinem Geländewagen. "Na, Frau Grünwald, da kriegen Sie ja was Nettes zu knacken." Die Kommissarin grinste nur. "Würde ich jetzt noch nicht beschreien wollen." Sie machte eine Pause. Jansen und Dr. Müllerjahn sollten ruhig ein bisschen zappeln.
"Wir haben - falls es dieser Klempner ist - ein Opfer mit zahllosen Frauengeschichten. Aber daran glaube ich nicht. Bei einem Mord aus Eifersucht lässt man die Leiche einfach liegen wo sie ohnehin schon liegt und macht sich als Täter einfach nur aus dem Staub. Hier haben wir aber ganz etwas anderes.
Der Tote wurde einen weiten Weg transportiert und sorgfältig unter dem Grüngut verbuddelt. Er sollte gar nicht, oder doch zumindest sehr spät gefunden werden. Da spekuliert jemand auf die Vergesslichkeit zufälliger Beobachter. Da möchte jemand die genaue Tatzeit verbergen. Macht sich gut beim Alibi. Will heißen, der- ode diejenige rechnet sich selbst zum engeren Kreis der Verdächtigen.
Das mit dem Messer und dem einzigen Stich hat nicht viel zu sagen. Jeder hat fast überall irgend etwas rumliegen, mit dem man missliebige Zeitgenossen abstechen kann. Und das ein einziger, gut gezielter Stich ins Herz tödlich ist, weiß ja nun auch jedes Kind. Nein, das lass ich mir bis zuletzt.
Ich muss da nach jemandem suchen, der eine günstige Gelegenheit abgewartet oder vielleicht sogar herbeigeführt hat, dem jungen Mann ein x-beliebiges Messer in den Rücken zu rammen. Der- oder diejenige hatte dann ferner die nötige Ruhe, die Leiche nach hier zu schaffen und zu verbuddeln. Dürfte kinderleicht gewesen sein. Jeder im Kreis kennt die Deponie - und offen ist hier Tag und Nacht. Da braucht es nur ein bisschen Fleiß. Hirnschmalz ist hier nur für die Idee nötig, nicht für die Ausführung."
Ein nasskalter Wind wehte allen um die Ohren. Dr. Müllerjahn und Jansen drängelten. Auch Franziska Grünwald wollte nur noch fort von der stinkenden Deponie.
"Mir geht nicht aus dem Kopf, dass der junge Mann Klempner war, aus alt eingesessener Handwerkerfamilie, wenn ich mich richtig erinnere. Ich denke, ich sollte mir mal den Clan etwas genauer angucken. Da finde ich bestimmt die eine oder andere Leiche im Familienschrank - und jemanden, der es versteht, mit einer guten Idee, einfachen Mitteln und einer mittleren Portion Fleiß unerwartete Resultate zu erzielen."