Flucht über die Nordsee 45: Kampfansage

ahorn

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In den Fängen des Sturms

Kampfansage

Aishe überholte Fridolin und Valentin, stöckelte auf ihren pink Pumps an Tanjas linke Seite, richtete ihren tiefschwarzen Bleistiftrock und harkte sich bei ihr unter.
„Die Beisetzung hast du verpasst“, zischte Tanja.
„Konnte nicht eher.“

„De Tanja hod oan ganz scheenen gamsign oasch“, grunzte Valentin an der Seite seines Sohnes.
„Vater“, zischte Friedolin. „In deinem Alter.“
Valentin wies auf Tanjas Hinterteil, das wie eine Schiffschaukel ausschlug. „Stiast ihr aa auf den Hita.“
Fridolin wandte sich ab. „Nein. Ich sehe meiner Frau auf den …“

Tanja löste sich von Aishe. „Geh vor! Ich habe mein Handy in Stephens Zimmer liegengelassen“, erklärte sie, bog links in einen Weg ab und schwang ihr Hinterteil wie eine Kirchenglocke, als hätte sie das Gespräch der Männer mitgehört.

Valentin stieß seinen Sohn an und wies auf eine am Dorfweiher stehende Parkbank. „Las uns moi redn vo Mo zua Mo!“
Sie setzten sich und Vale schlug die Rechte zur Faust geballt auf die flache linke Hand. „Wuist sie bestimmt oamoi richtig Duachprügeln.“ Er grinster und zwinkerte ihm zu. „Ned grod schnackseln.“
Fridolins Kinnlade sauste gegen den Hals. „Vater, so kenn ich dich gar nicht. Hast du getrunken?“
Er lehnte sich zurück, legte die Arme auf die Rückenlehne, spreizte die Beine und grunzte: „Na!“
„Dann ist es ja gut. Du machst einen Scherz, aber bitte sprich Deutsch mit mir. Du weißt, ich versteh nur die Hälfte.“
„Wieda so a Sache de de Schlampe dei Muada dia nie beigebracht hod.“
„Meine Mutter ist Wienerin“.
„Dann hoid a Weana Schlampe.“
Valentin sah über seine Schulter und schlug mit der flachen Hand gegen Fridolins Hinterkopf. „Willst du mit ihr schlafen, ja oder nein?“
Die Augen aufgerissen, zuckte er mit den Achseln. „Warum?“
„Vagiss ‚s sie is lesbisch.“
Fridolin zuckte mit dem Kopf. „Wie kommst du den darauf?“
Valentin erhob die Rechte, ballte eine Faust, spreizte den Daumen ab und schlug mit dem Zeigefinger der Linken dagegen, brummte: „Erstens. Warum sollte ich Tanja deinen Zaster geben, dass sie Stephen heiratet?“
Fridolin atmete tief ein. „Wegen des Erbes und er bekommt bestimmt nie eine Frau, ist ja nicht einmal ein Mann!“
Valentin reagierte nicht auf seine Äußerung, dafür spreizte er den Zeigefinger der Rechten ab und tippte ihn an. „Zweitens du hast sie noch nicht flachgelegt.“
Fridolin blieb wortlos.
Vale klopfte an seinen Ringfinger. „Drittens da ich sie gesehen habe, wie sie mit einer Frau Sex hatte.“
„Vater!“
Valentin kratzte sein Genick. „Ist ein Hobby von mir!“
Sein Sohn wandte ihn sein Gesicht zu. „Bitte!“
Woraufhin er mit den Achseln zuckte. „Frauensleut beim Kopulieren zuzusehen?“
Fridolin hielt sich die Ohren zu. „Nein.“
„Am liebsten mag ich es, wenn sie es mit sich selbst treiben, dann sieht man mehr. Kein Kerl, der stört.“
„Ich will nichts von deinen absonderlichen Gedanken hören. Ich dachte immer, du wärst ein richtiger Mann.“
„Weil ich dich mit sechzehn gezeugt habe. Ist man deshalb ein Mannsbild? Verführt hat sie mich, vergewaltigt deine Mutter mich. Sie zwanzig, Betreuerin im Ferienlager. Vielleicht habe ich deswegen Probleme mit de Weiber.“

Fridolin sah ihn an. „Die Geschichte mit der Franzi in der Scheune.“
Valentin hob die Arme. „Keinen hoch gekriegt habe ich. Erst als der Typ sie wie ein Tier genommen hatte, passierte was. Seitdem schau ich gern zu. Erregt mich halt. Bist auch nicht besser!“
„Wie kommst du den auf so etwas? Ich bin glücklich verheiratet.“
„Ein Jahr unter der Haube und kein Kind. Willst du nicht wissen, mit wem ich Tanja gesehen habe.“
„Eher wo?“
„In ihrer Wohnung. Franziska hatte mich gebeten, nach der Wohnzimmerlampe zu schauen.“ Valentin zeigte ihm einen Vogel. „Irgendein Idiot hatte die falsch angeschlossen.“
Fridolin verschränkte die Arme. „Danke Vater!“
„Egal. Ich bin in die Wohnung, da flog die Wohnungstür auf. Ich auf den Balkon. Tanja sollte nicht wissen, dass ich einen Zweitschlüssel habe. Dann ging es schnell zur Sache. Einen geilen Arsch hat die Tanja. Wie sie ihr Becken schwang, als ihre Gespielin sie leckte. Ein Genuss. Willst du nicht erfahren, wer sie war.“
Fridolin hob die Arme, starrte in den wolkenverhangenen Himmel. „Sprich!“
„Aishe.“ Valentin lachte und schlug seinem Sohn auf den Oberschenkel.
Friedolin zuckte mit den Schultern.
„Oh, du weißt es. Sie lässt dich nicht ran, deine Gattin“.
Fridolin sprang auf. „Glaubst du, ich vögel mit einer Türkin. Hast du all unsere Ideale vergessen.“
Valentin spreizte erneut seine Beine und legte seine Arme wieder auf die Rückenlehne der Parkbank. „Ich kenne meinen Platz.“
„Siehst du, das ist ein Deal zwischen ihrem Cousin und mir. Wir wissen, was wichtig für unsere Völker ist. Jedes Volk auf seinem Platz.“
„Dann heiratest du sie.“
„Politik. Wie Monarchen, die zum Zeichen ihres Bündnisses ihre Kinder austauschen.“

„Akzeptiert“. Er verschränkte die Arme. „Jetzt reden wir mal Tacheles. Was hast du mit dem Hof vor?“
„Wieso? Der wird irgendwann Stephen gehören.“ Fridolin grinste selbstgefällig. „Wenn er eines fernen Tages ein Kind hat.“
„Genau und das verstehe ich nicht. Du hast mir den Zaster gegeben, damit ich Tanja bestechen soll, obwohl du weißt, dass der Hof ohne Ehe an deine Organisation geht.“
„Unsere“, zischte Fridolin.
„Ach. Die Gertrud hat den Ollen reingelegt. An eine Stiftung fällt alles. Der Alfons hat nur den Namen gelesen, freies Deutschland und nicht geschaut, wer dahintersteckt“, kicherte Vale.
Friedl kratzte sein Kinn. „Deswegen sein Sinneswandel!“
„Wie meinst du das?“. Sein Vater wischte die unbeantwortete Frage mit seiner rechten Hand beiseite. „Höre mit deinen Spielchen auf. Ich habe überall meine Ohren. Habe gehört, wie du ihm, entschuldige, du weiß es ja, versprochen hast, dass du ihm“, Vale räusperte, „die Schulden erlässt, wenn er“, er kicherte, „die Hochzeit platzten lässt.“
„Den Schuldschein zerreiße ich. Er ist sozusagen mein Bruder.“ Diesmal schmunzelte Fridolin.
„Wir kommen der Sache näher, was hast du mit dem Hof vor?“
„Unseren Traum verwirklichen. Ein Bildungszentrum für wahre Patrioten erschaffen.“
„Lüge mich nicht an. Keiner will den Scheiß heute haben, gibt nur Ärger. Kennst du das Internet nicht. Sag es!“
Friedl blieb stumm.

Valentin klopfte dem Sohn aufs Knie und raunte: „Früher hattest du Träume. Weist no. Wolltest Springreiter werden. Hattest Talent zum Profi!“
Fridolin zog die Augenbrauen zusammen. „Vater, du wirst alt!“
Die Lider geschlossen, strich er an seinem Kinn. „Unsere gemeinsamen Reiterferien.“
„Gemeinsam. Du hast mich auf den Reiterhof abgeschoben und bist zu Franziska.“
„Quatsch. Anton habe ich besucht. War mit Franzi noch nicht zusammen“, erboste er sich. „Aber unsere Tage am Meer.“
„Bunker haben wir besichtigt“. Er schürzte die Lippen. „Das war interessant.“
Valentin packte ihn am Genick. „Genug Sentimentalität. Was hast du mit dem Hof vor?“
Fridolin blies den Inhalt seiner Lungen in die Umwelt und verdrehte seine Augen.
„Gut, dann erzähl ich die eine weitere Geschichte. Am Polterabend ging uns der Obstler aus. Ich trink ja nicht, wie du weißt, fuhr zum ‚Golden Hirsch‘. Der Franz hat immer ausreichend Reserven. Ich war auf dem Weg zu meinen Wagen, da sah ich eine Frau, ihr Gewerbe sah man ihr an. Neben der Dame spazierte … soll ich weiter erzählen?“
„Tu, was du nicht lassen kannst.“
„Meinen Ableger! Beide gehen durch den Hintereingang. Ich hinterher. Sie gingen in ein Zimmer. Weißt du, man kann vom Flur in das Hotelzimmer sehen. Zuerst sah ich nichts. Dann mein liebes Kind, das in einer Uniform gekleidet, bäuchlings sich auf das Bett wirft. Es war eine laue Sommernacht, wie du weißt, die Fenster gekippt. Ich hörte jedes Wort. Mein Schulmädchen nannte sie dich und schlug mit einer Gerte auf deinen Allerwertesten. Ich habe ein paar Fotos gemacht. Echt toll diese Smartphones. Was man alles damit machen kann. Früher war das viel schwerer, so mit Fotos und Filmen. Du verstehst? Sag, was hast du vor?“
Fridolin stand auf, schritt zum Weiherufer, kniete sich hin und schnappte einen Kiesel. Er wandte sein Gesicht zu seinem Vater und zischte: „Pass auf, dass du dich nicht verbrennst“, dabei schleuderte er den Stein über den Weiher.



Geh ran!

Das Scheppern der Scheibe drang durch den Raum.
Tonis Kopf zuckte. „Drietlok“, fauchte er und sah dem provokativ mit der Hüfte schwingenden Jungen nach. Mit einem Satz sprang dieser auf einen Müllcontainer und hüpfte über die Hofmauer zum Nachbargrundstück. Toni kehrte dem Fenster den Rücken zu und starrte Tami in die Augen.
„Meinst mich“, schnarrte sie.
Er schüttelte den Kopf. „Nein.“ - „Bist du mit den Aufgaben fertig?“
Tami drehte ihren Oberkörper wieder zum Schreibtisch und kaute auf ihrem Bleistift. „Nee!“
Danse des Couples aus Tschaikowskys Schwanensee schwebte durch das Zimmer. Toni drängelte sich an Tami vorbei, schnappte sich sein Smartphone und hielt es unter seine Augen.
Sie schaute zu ihm herauf. „Geh ran! Stört mich nicht.“
Obwohl, das sah Toni, ihr Lächeln verriet ihm eher: Geh ran, ich hör gern zu!
Beim Stumm stellen des Gerätes lächelte ihn das Bild von Matthias an.
Tami zwinkerte ihm zu. „Dein Freund?“ Sie kicherte.
Er legte das Telefon zurück. „Alinas Bruder!“
Sie blinzelte erneut, nickte, griente. „Aha!“
Nochmals erklang Tschaikowskys Musik.
„Geh ran!“, befahl Tami.
Toni ergriff das Smartphone und rannte aus dem Zimmer.
Im Flur nahm er das Gespräch entgegen und säuselte: „Hallo, Hubzi.“
Er verdeckte seine Lippen. „Erzähl?“



Wechselspiel

„Wie kommst du den auf so etwas? Hat sie es dir gesagt oder warst du dabei?“
„Sowohl als auch“, bestätigte sie und strich eine perlkupferfarbene Haarsträhne von ihrer Stupsnase.
Joos runzelte seine Stirn, kniff die Augenbrauen zusammen und griff sich ans Genick. „Wie bitte! Hast du mit ihr geschlafen?“
Sie tippte an ihre Schläfe. „Warum glaubst du, habe ich mit den Wächtern Verkehr gehabt? Besser, als von den stinkenden Weibern drangsaliert zu werden!“
Es wäre beim letzten Reiterurlaub geschehen, begann sie ihre Geschichte. Ausgegrenzt hätten die beiden sie bereits im Jahr zuvor, diesmal war es extremer gewesen. Sie sei zu jung, hätten sie ihr entgegengeworfen, oder das seien Frauenthemen ihr verkündet. Sie füllte sich immer mehr ausgegrenzt. Dann war da dieses Buch, das sie nie aus den Händen legten. Andere ältere Mädchen lasen es auch, aber sie verschlangen es buchstäblich.
An einem Nachmittag schlich sie ihnen zu einer verfallenden Scheune hinterher. Wie üblich setzten sie sich, die Köpfe zusammen gesteckt, hin, verdeckten ihre Münder und kicherten. Dann legten sie das Buch zur Seite und knutschten sich. Dem nicht genug. Sie zogen sich gegenseitig ihre T-Shirts über ihre Schöpfe, lachten und befummelten ihre Brüste. Klara küsste sogar Josephines Busen.
Er schwang seinen Kopf, zuckte mit den Schultern. „Na ja. Das ist kein Indiz, dass eine von den beiden sozusagen auf … steht. Spielereien.“
Sie stemmte die Fäuste in ihre Taille und erboste sich: „Ich habe im ganzen Leben nie einer Frau auf die Brust geküsst“.
Er strich über ihre champagnerfarbenen Beine. Der hauchfeine Stoff elektrisierte seine Sinne. Ihre Worte klangen für ihn eher, wie die eines Mädchens, das mit schokoladenverschmierten Gesicht vor der Mutter stand und behauptete, nicht an den Süßigkeiten genascht zu haben. Was wusste er von diesen Frauen? Er ergötzte sich an den weiblichen Formen der Ladys, wenn sie mit geschlossenen Lidern, stöhnend, seine Liebkosungen genossen. Der Gedanke, daran einer Frau könnte es missfallen, einen Busen zu küssen, verwunderte ihn. Strahlte die Brust der Frau nicht Fürsorge aus, Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit. Seine Finger krochen unter ihren Petticoat und seine Lippen berührten ihr Dekolleté.
Sie hätten sich auf den Bauch gelegt, fuhr sie fort, dicht aneinandergepresst weiter das Buch gelesen. Josephine schnappte sich zwei Strohhalme, versteckte sie in ihrer Hand und Klara zog einen heraus, woraufhin Josephine den Zweiten wegwarf.
Klara streifte ihr Haarband von ihrem Handgelenk, band sich einen Dutt und setzte sich vor Josephines Gesicht ins Stroh. Ihr zublinzelnd zog sie sich ihren Slip aus, winkelte ihre Beine ab und spreizte die Schenkel. Den Kopf dicht am Boden beäugte Josephine ihre Vulva. Klara verschränkte die Arme hinter ihren Nacken und stieß sie mit ihrem Fuß an.
Ihre Freundin starrte sie an, lüpfte Klaras Rock und zuckte mit den Schultern. Daraufhin richtete sich Klara auf, zog ihren Rocksaum bis zur Taille herauf und ergriff Josephine Handgelenk. Die Augen verdrehend, flüsterte sie ihr ins etwas ins Ohr und drückte Josephines Finger zwischen ihre Schenkel.

Kopfschüttelnd strich Joos durch sein kurzes pechschwarzes Haar, über seine ergrauten Schläfen. „Gut. Josephine hat Klara befummelt.“
Sie stieß seinen Kopf von ihren Busen. „Befummelt! Na ja, zuerst vermutete ich das auch, nachdem Josephine ihre Hand zurückgezogen hatte, sie sich wieder über das Buch hermachte.“
Klara hätte sie erst mit dem Knie angestoßen, erzählte sie, dann richtete sie erneut auf, besah sich ihren Schritt und führte Josephine Zeigefinger ein. Stöhnend fiel sie ins Stroh, quiekte wie eine Sau unter Josephines Stößen.
Er vergrub erneut seine Finger unter ihren Rock und hauchte: „Okay. Josephine hat sie befriedigt.“ Er starrte sie an. „Dann?“
Sie zog ihre Oberlippe empor und kniff ein Auge zu. „Ihr Kerle seid widerlich, dass ihr euch daran ergötzt.“
Die Augenbrauen hochgezogen, schaute er sie an. „Woran?“
Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und zeterte: „Wenn Frauen Sex miteinander haben.“
Er zuckte mit den Schultern. „Frauen sind aparte Geschöpfe. Was spricht dagegen?“
Sie klopfte gegen ihre Stirn und wetterte: „Stelle dir vor, ich hätte die Geschichte mit zwei jungen Männern erzählt!“
Er streckte die Zunge heraus. „Widerlich!“

Die Augen geschlossen, biss er auf seine Unterlippe. Sein Bauch hatte wieder mal das Gehirn besiegt. Was war an Liebe falsch, gar widerwärtig? Die Schilderung seiner Verlobten, dass seine Tochter Josephine Sex mit einer Frau gehabt hatte, hatte ihn weniger erregt, als der Gedanke am Liebesakt zweier Männer. Abgesehen davon, dass sie damals fast oder gerade volljährig war, sein Geist war zu bescheiden, um nachzurechnen, es mit einer Sechzehnjährigen trieb.
Er verfluchte die Gesellschaft, die ihn sozialisiert hatte. Dabei hatte er die entscheidenden Jahre in den wilden, freien Sechzigern verlebt. Was vermag das Diskutieren über neue Gesellschaftsformen im Rausch eines Joints zu verändern, wenn die Kindheit in dem Mief der Fünfziger die Nerven verknüpft hatte? Es waren Jahre des Anstandes.
In denen Männer noch Männer waren, und Frauen unterwürfig ihrem Herren dienten. Drei Wege standen der Weiblichkeit offen: Vergrämte Jungfern mit Hornbrille und Dutt bis zum Tode, als Gattin regelmäßig vergewaltigt ihrem Beschützer Kinder zu gebären, vor seinen Füßen zu kriechen oder verschrien als Flittchen ein mittelmäßig, selbstgefälliges Leben zu führen.
Umso öfter er darüber nachdachte, desto mehr wunderte er sich über ihre verklärte Anbetung dieses Jahrzehntes. Ihr sehnen nach der guten alten Zeit, die er als Qual empfand, indem all seine Sinne geprägt wurden. Wie gern hätte er alles gelöscht und die Vernunft des 21. Jahrhunderts geladen. Die Autonomie der Gedanken, des Wortes, die so viele nicht mehr als Errungenschaft priesen, schützen, dafür nach dem starken Mann riefen. Die neuen Führer in der Welt, die die Bürger vernebelten und Mammon wieder zu ihrem Gott erkoren, wissend, dass das Volk nichts davon abbekam.

„Siehst, genauso fühle ich!“
Ihre Worte holten in die Realität.
Sie winkte ab. Viel hätte sie nicht mehr gesehen, fing sie den Faden wieder auf. Sie musste zum Abendbrot. Den älteren Mädchen wäre es gestattet gewesen, länger draußen zu bleiben, sogar in den Stallungen zu übernachten.
Jedenfalls mussten die Großen nicht zurück, trotzdem schaute Josephine auf ihre Armbanduhr, wisch aus Klara und stand auf. Dann setzte sie sich erneut ins Stroh, warf ihrer Freundin ihren Slip zu. Die fing ihn auf und schleuderte in wieder ins Stroh. Lächelnd erhob sie sich, zog ihren Rock aus, stellte sich mit gespreizten Beinen vor Josephines Kopf und drückte ihre vollen Lippen gegen ihre Scham, knetete ihr Haar. Nach mehreren Zuckungen ihres Beckens und einem dämonischen Aufschrei, stürzten beide zu Boden. Klara riss Josephine die Hotpants von der Hüfte, zog ihren Slip über ihre Schenkel und streifte ihr das T-Shirt über den Kopf. Dann umschlang sie ihre Freundin.

Seine Verlobte umfasste ihre Haare und wandte sich ab. „Ich hatte mehr als genug gesehen. Genügt dir der Beweis.“
„Nicht ganz. Hast du nicht gesagt, sie hätte es dir gebeichtet.“
„Gebeichtet.“
Verdrängt hätte sie es, fuhr sie fort. Froh wäre sie gewesen, als Klara in Südafrika erschienen war.

„Es war kurz, bevor ich Steff kennengelernt hatte. Von Steff habe ich dir ja erzählt?“
Er kratzte sich am Genick. „Ja“
Sie legte ihre Hand auf sein Knie. „Wir lagen wie sonst zusammen in meinem Bett. Trotz des Vorfalls in der Scheune hatte ich mir nie etwas dabei gedacht.“
Locker solle sie werden, hauchte Klara sie an, nicht verkrampft, sich einfach Mal hingeben, murmelte sie und legte ihr Kinn zwischen ihre Hände. Sie küsste sie. Erst auf den Bauch, dann auf die Brust, danach auf den Mund. Klaras Finger strichen über ihre Schenkel. Sie fragte, was das solle. Worauf sie ihr ins Ohr flüsterte, sie wolle mit ihr schlafen.
Obgleich sie nackt war, sprang sie vom Bett und lief aus dem Haus. Klara holte sie ein, beschwört sie, einen Fehler gemacht zu haben. Sie wolle mit ihr nichts tun, womit sie nicht einverstanden wäre. Klara schlief danach auf der Veranda. Am nächsten Morgen beichte sie ihr, dass sie Frauen liebte.

„Steff war so süß und nett. Es sollte unser letzter Abend werden“, wechselte sie unverhofft das Thema.
Sie hätte Klara gebeten, ihre Nachtwache zu übernehmen. Ihre Freundin erklärte sich damit einverstanden. Sie wolle jedoch vorher ein paar Stunden schlafen, dann von ihr geweckt werden, wenn er wiederkäme.
Wohin er an diesem ihrem letzten Tag gefahren war, hatte er ihr nicht gesagt. Sie wartete, aber er erschien nicht. Weit nach Mitternacht ging sie auf die Veranda. Es war eine wunderschöne Vollmondnacht, sinnierte sie. Erst erblickte sie sein Motorrad, dann ihn, wie er hektisch in seine Jeans stieg und abfuhr.

Sie brachte ihm zum Wahnsinn. Er konnte keinen vernünftigen Faden finden. Nur eins erkannte er durch ihre Worte. Hass! Sie hasste Klara. Damit war für ihn endgültig klar, dass sie mit ihr nicht unter einer Decke lag.
Sollte er ihr seine Annahme kundgeben, dass Mädchen nicht ihr Bruder, sondern sie Klaras Tochter war? Was würde dies ändern? Nichts! Ihre Schilderung der Nacht mit diesem Steff. Steff? Für Stephen? Blödsinn! Sie kannte Klaras Ehemann, hätte ihm beim Namen genannt. Eine weitere Person tauchte in dem Fall auf. Zumindest ging sie davon aus, dass jener der Vater des Kindes war. Warum hätte sie sich dann darauf versteift, dass Klara lesbisch war? Eine One-Night-Affäre, um sie zu demütigen, mit einem folgenschweren Resultat. Tippte er vorher eher auf Doc oder Anton als Erzeuger, erleichterte ihm die Vorstellung, die beiden zu rehabilitieren. Er traute es ihnen zu, aber die Annahme einer von ihnen hätte seine Klara geschwängert, widerlich. Sie war damals volljährig, trotzdem für ihn wie eine eigene Tochter. Welcher Vater war begeistert, wenn ein Freund … Die Scham überkam ihn, hatte er nicht selbst mit Docs Tochter eine Nacht verbracht.
Schweiß perlte über seine Stirn. Mit einer Handbewegung wischte er sich das Nass ab.
Seine Verlobte hatte ihm nie von der Nacht berichtet. Welche Frau vergaß ihre Entjungferung? Entweder war sie nicht Tanja, ein Umstand, den er ausschloss, oder das Mädchen war nicht Docs Tochter gewesen. Es war finster, er müde und sie? Es fiel ihm wieder ein, ihre Augen waren, wie beim venezianischen Karneval, von einer Maske verdeckt. Die Gerüchte, in welcher Hinsicht sein verhasster Freund eine gewisse Nähe zum Rotlichtmilieu hatte, verstärkten seine Ahnung. Einen Gefallen hatte er ihm gemacht. Doc der Ansicht, er stehe auf junge Dinger, deshalb hatte er ihm eine Prostituierte ins Hotel geschickt. Einerseits erleichtert, anderseits schockiert über die Annahme, die der Freund von ihm gehabt hatte, besänftigte der Gedanke sein Gewissen.

Die Fahrt zurück nach Belgien verbrachten beide wortlos. Er mit neuen Fragen und der Manuskriptmappe von Nahne. Sie, das vermutete er, erleichtert darüber, ihr Herz ihm ausgeschüttet zu haben.



Schmerzen der Vergangenheit

Aishe strich durch ihren nussbraunen Bubikopf. „Schön, dass du vorbeigekommen bist“, freute sie sich und schenkte Stephen eine Tasse Kaffee ein. „Hast Glück, dass du mich angetroffen hast.“
Er nahm die Kaffeetasse samt Untertasse zur Hand. „Warum?“
Sie hob die Schultern. „Wochenenddienst!“
Er runzelte seine Stirn und zog die Augenbrauen zusammen. „In der Verwaltung?“
Die Zunge herausgestreckt, setzte sie sich zu ihm auf das Sofa und erboste sich: „Verwaltung! Ich bin für die EDV zuständig. Ohne uns bricht die ganze Uniklinik zusammen“. Zuerst atmetet sie tief ein, dann boxte sie gegen seinen Oberschenkel. „Ein bisschen Zeit habe ich noch. Erzähl! Du hattest den Einheimischen getroffen und dann?“

Stephen stellte seine Tasse ab und leckte sich dabei über die Lippen. „Er hat mir gesagt, dass sie ein Kind bekommen hat.“
Sie beugte ihr Gesicht näher an das seine. „Genauer?“
Er hob die Stirn. „Doc hat einen Enkel!“
Aishe kniff ein Auge zu und lehnte ihren Kopf zur Seite. „Muss nicht von dir sein.“
Die Augenbrauen heruntergezogen, die Oberarme eng am Oberkörper, wandte er sich von ihr ab. „Sie war Jungfrau! Ich, ihr erster Mann.“ Er schloss seine Lider. „Außerdem kann ich rechnen.“

Er hätte mit Auszeichnung das Abitur geschafft, erzählte er. Franziska und Valentin ihm die Reise nach Südafrika, geschenkt. Das Land interessierte ihn und er wollte seinen Vater wiedersehen, wissen, warum er sie verlassen hätte. Er flog, lieh sich eine KTM. Er erkundete das Staatsgebiet, reiste von Ort zu Ort, bestieg den Tafelberg, traute sich jedoch nicht, ihn aufzusuchen. Eine Woche vor der Abreise fasste er sich an sein Herz.
Vor der Staatsgrenze von Lesothos stürzte er, nicht dramatisch, wie er Aishe beteuerte, verstauchte sich den Knöchel. In der Buschklinik lernte er sie kennen. Es war um ihn geschehen. Den Vater verdrängend, verbrachte er ein paar Tage mit ihr. Sie hätte eine Schule in Durban besucht, mit ihrer Familie jedoch wollte sie in einem Jahr zurück nach Deutschland reisen, da der Dad die Aussicht auf einen gut bezahlten Posten hätte. Die Eltern wären der Ansicht gewesen, dass das Abitur in der Heimat angesehener sei.
Sie wollte Medizin zu studieren, wie ihr Vater Menschen helfen. Das Verhältnis zu ihrer Mutter war eher gespannt, sie bezeichnet sie als verrückt. Für ihn war sie exzentrisch. Wie ein junges Mädchen führte sie sich auf. Sie geizte nicht mit ihren Reizen, und er war zeitweise der Ansicht, sie schmisse sich an ihn heran.
Der letzte Tag war angebrochen, seinen Vater hatte er um Haaresbreite vergessen. Er suchte ihn auf, erkannte ihn kaum, besoffen und zerlumpt war er. Prahlte, dass er ohne fremde Hilfe die Farm zum Erfolg gebracht hätte.
Sein Alter titulierte seine Ex-Frau, wie er Franziska benannte, als Schlampe, Hure, und machte sie in einer Art herunter, die Stephen mit Scham erfüllte.
Auch er bekam sein Fett ab. Er war nach Antons Ansicht, alleinig auf der Bildfläche erschien, um sich ins gemachte Nest zu setzen. Sich, seine Ranch unter den Nagel zu reißen. Anton bezeichnete ihn als Grünschnabel, Waschlappen und Weichei. Er solle erst einmal ein richtiger Kerl werden, bevor er ihn ein weiteres Mal behelligte.

Aishe legte ihre zarten honigfarbenen Finger auf seine schmalen Schultern. „Du bist dann zu Tanja?“
Stephen schloss die Lider, senkte den Kopf, bedeckte die Augen und zischte: „Wer ich mal. Ich bin durch die Berge. Musste mich abreagieren.“
Die Nacht war lange über das Land gezogen, als er zurück in die Klinik kam, berichtete er. Alles still! Er wollte sich von seiner Liebe verabschieden, der Weg nach Durban war lang, erklärte Stephen, und der Flieger ging früh.
Er schlich in ihr Zimmer, um ihr zum Abschied einen Kuss zu geben. Aufgewühlt wär sie gewesen. Sie zog ihn auf ihren Körper, spreizte die Beine, strich über seinen Schritt. Er zog seine Hose herunter, drang in sie ein. Es war das erste Mal für ihn. Von Romantik war da keine Spur. Er ergoss sich in ihr und sie schlug auf ihn ein. Panik übermannte ihn, er floh, da er sich schämte.

Aishe schüttelte seinen Oberkörper. „Wie konntest du das tun? Du hast ein Leben zerstört!“
Stephen wischte sich Tränen von seinen fahlen Wangen und schluchzte: „Ich weiß nicht mehr, warum? Ich hatte unendliche Angst.“
In Deutschland zurück plagten ihm die Vorwürfe. Er hatte keine Nummer von ihr, schrieb ihr Briefe in der Hoffnung, dass sie ankämen, schickte sie jedoch nie ab.
In den Sommer-Semesterferien packte er wieder seinen Rucksack. Lieh sich erneut ein Motorrad aus und genoss die Freiheit. Diesmal wollte er zuerst zu seinem Vater, die Scham ihr gegenüberzutreten, war ihm zu gigantisch.
Anton war nicht da. Er Stephen wartete vergebens. Dann gab er sich einen Ruck, fuhr zurück nach Südafrika, querfeldein, verfuhr sich, irrte herum.

Aishe bedeckte ihre himbeerroten Lippen. „Dann wurdest du überfahren?“
Er hob seinen Kopf, schloss wieder die Augen, atmete ein und murmelte: „Später“.
Da wäre das Mädchen mit den blonden langen Haaren gewesen, sinnierte er. Sie marschierte mit ihrem Rucksack, schwitze, war außer Atem. Sie wollte nach Lesotho, das Ziel ein winziges Dorf unweit der Farm. Kaum ein Wort kam über ihre vollen Lippen. Sie war echt wunderhübsch. Er nahm sie mit, wendete, raste über Stock und Stein. Ihr wurde übel. Der Weg für sie beschwerlich. Er kehrte auf die Hauptstraße zurück, bis das Buschfeuer ihren Weg versperrte. An einem Geröllhang verweilten sie, stiegen ab. Sie tasteten sich an die Naturgewalt vor, beobachten das Feuer, wie es den Busch verschlang.
Stephen zuckte mit seinen schmächtigen Schultern. „Filmriss.“
Aishe runzelte ihre honigfarbene Stirn, zog ihre geschwungenen, zarten Augenbrauen zusammen. „Was ist aus dem Mädchen geworden?“
Nur ein kurzes Rucken, regte sich an Stephans Körper. „Keine Ahnung!“
Sie zog ihren Kopf zurück. „Du hast dich nicht dafür interessiert?“
Er schwang seinen fragilen Oberkörper und kreischte: „Doch!“. Dann flüsterte er: „Als ich aus dem Koma erwachte, kam gleich die Polizei“.
Sie erklärten ihm, fuhr er fort. Der Geländewagen hatte ihn nicht direkt getroffen, sondern wäre gegen das Motorrad und dieses hätte ihn in den Abhang, ins Feuer gerissen.

Stephen zeigte seine leeren Hände, flüsterte: „Das Mädchen stand wenige Meter neben mir. Ich gehe davon aus, sie ist weggekommen“.
Aishe verengte ihre melonengelb bemalten Augen. „Warum?“
„Es gab drei Tote und einen Verletzten. Die Eltern von Tanja sowie eine Klara, den Nachnamen habe ich vergessen. Nach Aussage der Polizei war sie eine Pflegekraft, eine Aushilfe.“
Sie senkte ihren Kopf und schielte ihn von der Seite an. „Vielleicht war sie es?“
„Nein. Diese Klara war deutschstämmig. Die junge Frau sprach kein Deutsch, skandinavisch, außerdem habe ich später einmal von ihr gehört. Das ist jedoch eine andere Geschichte.“
Aishe ballte ihre zarten Hände zu Fäusten. „Warum bist du nicht zurück? Immerhin waren ihre Eltern verstorben.“
Stephan schlug auf sein zartgliedriges Knie und zürnte: „Das frag Franziska“.
Franziska ließ ihn, wie er ausführte, nachdem er transportfähig gewesen war, ausfliegen. Er hätte keine Chance gehabt, sie wiederzusehen, sich zu entschuldigen. Die Trauer über den Tod ihrer Eltern mit ihr zu teilen. Es war seine Strafe. Warum ihre Eltern sein vergehen, mit ihm sühnten ihm schleierhaft.

Aishe kniff ein Auge zu und bohrte nach: „Wo war der Fahrer, hast du nicht erzählt, dass der Pastor ihn geschlagen hatte?“
Stephen schürzte seine Lippen, wippte. „Die Polizei sagte: Er sei verschwunden.“ Er keifte: „Er ist genauso schuldig wie dieser Karl oder glaubst du, er war hinter ihren Eltern her“.
Sie schwang ihren Kopf. „Vermutungen?“
Die hauchfeinen Augenbrauen empor, schlug er sich auf seine Stirn. „Logisches Denken. Wenn ich den Kerl in Gänze gesehen hätte, würde ich ihn genauso bestrafen wie diesen Karl.“
Sie riss ihre Augen auf, das weiß umspielte ihre schokoladenbraune Iriden. „Was hast du vor?“
Stephen kehrte ihr seinen schmächtigen Rücken zu. „Meine Sache“, donnerte er, „die stecken alle unter einer Decke.“
Aishe rümpfte ihre Stupsnase. „Weil du bei einem Verkehrsunfall verstümmelt wurdest?“
Er verdrehte den Hals, zischte dabei: „Nein! Ich habe dir gesagt, der Unfall war meine Strafe. An allem war Franziska schuld“.
Die Oberlippe emporgezogen, klopfte sie mit einem von ihren langen pastellgelben Fingernägeln an ihre Schläfe. „Auf einmal deine Mutter?“
Er verdrehte den Rest seines Körpers und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Hätte sie sich nicht von meinem Vater getrennt. Wäre nicht zu dem Altnazi zurückgekehrte. Wären wir gemeinsam ausgewandert, dann wäre ich nicht in die Lehre dieses Widerlings gekommen. Ich hätte nie erfahren, wo er lebte, wäre nie zu ihm gereist. Hätte Tanja nie etwas angetan.“
Aishe schüttelte den Kopf. „Unlogisch! Eine beachtliche Anzahl von hätte und wäre.“ Sie spitzte ihre Lippen, schielte ihn an. „Wir kennen uns wie viele Jahre? Warum hast du mir das nie gesagt?“

Stephan reckte den Kopf, richtete seine Nase zur Decke aus und nuschelte: „Seit Anfang des Studiums?“ Sein Oberkörper schnellte nach vorn und seine Arme empor. „Habe ich. Ihr Frauen hört nie zu. Denk nur daran, zu shoppen, euer Äußeres zu präsentieren. Oberflächlich. Tut sozial und wisst nichts von Ehre. Einzig und allein Josephine ist anders“.
Sie ließ sich ins Sofa fallen. „Merkst du nicht, was für einen Blödsinn du sprichst? Machst draußen auf Macker und zu Hause wimmerst du herum.“
„Weil ich kein Stück mehr in meiner Hose habe, heißt das lange nicht, dass ich kein Mann bin. Rede nicht im Kreis, lamentiere, sondern handle und was du als Wimmern betrachtest, ist unsere Gelassenheit.“

Aishe hob ihre linke Braue und keuchte: „Josephine ist anders?“
„Ja!“, schmachtete er, sah zur Zimmerdecke und ergriff seine Kaffeetasse. „Sie versteht mich!“
Erneut lüpfte sie ihre geschwungene Augenbraue. „Ihr hast du es erzählt?“
Stephen sah in die Tasse. „Ja! Wie dir.“
Sie kratzte sich am Genick, schloss ihr Augenlid.
Er stellte die Tasse ab, verschränkte die Arme, zischelte: „Josephine kenne ich seit dem ersten Semester. Sie war eine Freundin von Janett, mit der ich das Studium begonnen hatte“.
Aishe schielte ihn über die linke Schulter an. „Ihr Kerle seid alle gleich. Weil sie verführerisch mit ihrem Arsch wackelt, wollüstig die Augen aufschlägt, vermutet ihr, sie hätte etwas für euch übrig. Soll ich dir sagen, was sie ist? Sie ist ein Luder!“

Stephen zuckte mit dem Kopf. „Rede nicht abfällig über sie. Bist du -“, er strich eine Haarsträhne hinter sein Ohr, tippte sodann ihr auf die Schulter, „nicht mit ihr befreundet?“
„Ausgehalten habe ich sie!“. Aishe fuhr über ihre schmale Unterlippe. „Hattest du nicht ebenfalls Probleme mit ihr, nachdem du ihr die Freundin ausgespannt hast.“ Sie stupste, blinzelte ihn an. „Du mit den blutroten High Heels, in dem knappen, scharfen Partykleid. Die Kleine war richtig hin und weg!“ Sie lehnte ihren Kopf zur Seite. „Bist du danach nicht ins Ausland?“
Seine Augenäpfel flirrten zuerst, dann stotterte er: „Ja. Ja. London“. Er knetet seine Finger, wandte sich ihr zu und geiferte: „Wer hat mir die Augen geöffnet. Mir dieses falsche Stück, dass ich meine Frau nennen darf, gezeigt. Sie war es, nicht du!“
Aishe kehrte ihm den Rücken zu, verschränkte ihre Arme vor ihrem Busen. „Du glaubst jeden Scheiß.“
„Gesehen habe ich, dass ich nichts erblickt hatte. Bei Josephines Hochzeit hätte sie sein sollen. Gezeigt hat die Braut auf sie, aber sie war es nicht. Ich sah nur die Frau, die mir das Jawort gegeben hat“, purzelten die Worte über seine vollen Lippen.
Sie zuckte mit den Achseln und ein Grinsen huschte unmerklich über ihr Gesicht. „Menschen verändern sich. Sogar du hast dich verändert. Bist nicht der, der du früher warst. Nicht mehr der Jüngling, der nach seinem Vater sucht.“
Sein Atem flatterte. „Wie oft soll ich dir sagen, dass sie eine Hochstaplerin ist, die mir mein Kind genommen hat.“
Aishe riss ihre Augen auf und streckte ihre Zunge ihm entgegen. „Fängt die Leier erneut an.“
Er ballte seine zierlichen Finger zu einer Faust. „Keine Geschichte. Tanja ist tot. Ich werde sie Rächen.“



Bilder

„Toni“, rief Bärbel aus dem Wohnzimmer.
Er ließ die Arme hängen, schleppte seine Knochen zu der Tante. Sie saß auf der Couch, der Wohnzimmertisch voller alter Unterlagen.
Sie zwinkert ihm zu, klopfte neben sich auf das Sofa. Toni umrundete den Tisch, warf sich auf das Möbel, legte seine Unterschenkel auf die Sitzfläche und richtete den Blick auf die Zeitschrift zwischen ihren Fingern. Er kannte das angegraute Pamphlet, kannte das Foto, das dort abgebildet war.
Sechs Frauen und Mädchen in Gymnastikanzügen zeigten Stolz, mit einem breiten Lächeln ihre Medaillen. In der vorderen Reihe hockten die Damen, in der hinteren die Deern. Ganz rechts mit dem weitesten Grinsen kniete Sonja. Auf den Knien der Sportdamen ruhte lächelnd im Spagat eine Person in marineblau-weiß gestreiften, glänzenden, körperbetonten Anzug mit kurzen blütenweißen Röckchen. Ihre Medaille hing um ihren Hals, die Arme erhoben, wie eine Ballerina über dem Kopf vereint.

Bärbel seufzte, legte die Vereinszeitschrift zur Seite und nahm ihre Lesebrille ab und stöhnte: „Das waren Zeiten“, dabei klopfte sie mit dem Brillenbügel auf das Foto.
Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Es reichte ihm. Mit ein Grund für ihn gewesen, die Gymnastikschuhe an den Nagel zu hängen.
Er hatte sich nie was eingeredet, war im Turnen eine Niete, unfähig einen Purzelbaum zu schlagen. Vorführen, was er gelernt hatte, sollte er beim Tag der offenen Tür. Dabei hatte er erst vier Trainingsstunden genossen. Die Trainerin drückte ihm einen Stock mit einem rosa Band in die Hand. Herumzuhüpfen am Tag der Show befahl sie ihm, da er ohnehin nichts anderes konnte. Sonja amüsiert, nahm ihn auf den Arm, warf ihm verbal sein Unvermögen vor die Füße. Eine ganze Woche hatte er geübt. Jede freie Minute geopfert.
Am Ende des Tages schritt eine ihm unbekannte Frau auf ihn zu. Sie sprach ihn an, lobte ihn und fragte, ob er nicht Lust hätte, bei ihr in der Gruppe mitzumachen. Es fehlten ihr drei, vier Kinder, sonst müsse sie die Sektion schließen. Er war kein Gutmensch, ihm egal, ob sie ihr Ziel erreichte oder nicht, dennoch stimmte er zu. Grauenvoller als bei seiner Trainerin konnte es nicht werden. Da Bärbel wie immer nicht da war, entschied er selbstständig.
Die neue Sportgruppe machte ihm Spaß. Abgesehen von Sonja, die ihn unentwegt beobachtet und den älteren Jungen, der nach seiner Meinung nur mit turnte, um näher an Mädchen zu kommen, anhimmelte. Was ihn nervte, war das Nörgeln der sonst netten Trainerin, er solle der Mutter bestellen, dass sie ihm einen richtigen Anzug besorgen müsste. Das Flattern des T-Shirts störe die Anmut. Wie er dem Admiral erklären sollte, dass er rhythmische Sportgymnastik übte, war ihm schleierhaft. Beim nächsten Training schenkte Sonja ihm einen ihr zu kleinen Gymnastikanzug. Die Trainerin hatte recht gehabt, das Turnen für ihn müheloser. Den Jungen hatte er nie wieder gesehen.
Er trainierte hart, verbesserte sich, gewann die ersten Turniere, erreichte die Ehre der Landesmeisterschaft in seiner Altersklasse.
Toni schielte zur Vereinszeitschrift, wandte sein Gesicht zu Bärbel, die ihre Lippen benetzte.
Später hatte sie es herausbekommen, sinnierte er, bestrafte ihn mit schmunzelnder Nichtbeachtung. Höchststrafe!

Bärbel lächelte. „Toni“, begann sie. „Was hältst du davon, wenn du ihn Tanjas Zimmer ziehst? Dann hast du ein Arbeits- und ein Schlafzimmer!“
Die Stirn gerunzelt stierte er sie an.
Sie richtete ihr Gesicht zur Decke, klopfte auf ihr Knie, grummelte: „Mach es mir nicht schwer. Du weißt doch Bescheid.“
Er legte sein charmantestes Lächeln auf und verschränkte die Arme und trällerte: „Dann mach die Weltreise. Für die Oma!“
Die Augenlider empor, die Mundwinkel gesenkt, kratze sie sich am Genick. „Woher weißt du?“
Er tippte an seine Stirn. „Bin eben ein helles Köpfchen.“
Sie nahm ihn in die Arme, strich über seinen Rücken, hauchte: „Danke“. Dann ließ sie von ihm ab und beugte sich über den Tisch.
Ihre Finger umklammerten ein Fotoalbum. „Schau, was ich gefunden habe?“, schmachte sie, ihre Brille auf ihre Nase steckend.
Ein Auge zugekniffen, nahm er ihr das Buch ab, schlug es auf. Alte Fotos von ihr. Oder waren es welche von seiner Mutter? Dazwischen entdeckte er viele Lücken und vereinzelt Bilder von den Großeltern. Für sie schien das Andenken wichtig, für ihn nichtssagend. Achselzuckend gab er ihr das Album zurück, woraufhin sie es auf einen Stapel mit Unterlagen legte. Zwei weitere Berge türmten auf dem Tisch. Einer gebaut aus zerrissenen Blättern, der andere aus wild gestapelten Papieren.

Er griff willkürlich in den Zweiten, holte ein vergilbtes Dokument hervor. „Urkunde für zehnjähriges Ehrenamt“, übersetzte er, die in Englisch verfasste Auszeichnung. „Protect female children“, murmelte er. Darunter stand der Name seines Erzeugers. Er hielt sich an das Versprechen, die Kombination dieses Mannes mit dem Begriff Vater aus seinen Synapsen zu streichen. Trotzdem wunderte er sich, das einzige Zeugnis seiner Existenz, in den Händen zu halten.
Im Fotoalbum hatte er kein Bild von ihm erspäht, obwohl Fotografien aus der Zeit im Sammelalbum klebten.
Er hielt die Errungenschaft unter Bärbels Nase. „Was ist das für eine Organisation?“
Sie schielte, andere Dokumente studierend, auf sein Blatt. „Ach der PFC.“
Ohne aufzuschauen, erklärte sie ihm, dass die Stiftung weltweit benachteilige Mädchen, geistig oder körperlich behinderte Kindern ein neues behütetes Heim gäbe. Aufopfernde Menschen, die Institution unterstützten. Sie erbeutete die Urkunde, zerriss sie und warf sie auf den Stapel der Geschichte.

Vernichtet des letzten Beweises, lehnte er sich zurück. Ein kurzes Gedicht seines Großvaters kam ihm in den Sinn.


Auf der Fahrt, ein unbekanntes Land entdecken,
schau nicht zurück.
Am Ziel wirst du erschreckend erkennen,

dass du deinen Heimathafen beglückst.

Seine Füße mit der linken Hand umfassend, richtete er sich auf, wandte ihr das Gesicht zu und flüsterte, als wäre es ein Verbrechen: „Bringst du mir Sticken bei?“
Bärbel legte den Zettel auf den Tisch, verschränkte die Arme. „Was ist mit dir los?“ Sie drehte den Kopf zur Seite und grinste ihn an. „Gern.“ Dann drohte sie: „Aber“. Sie beugte sich über die Sofalehne, ergriff ihren Strickkorb, platzierte ihn auf seinem Schoß. „Eine Sache nach der anderen. Zeige mir zuerst, was du behalten hast.“



Der erste Kontakt

Die Augen zu Schlitzen runzelte Toni die Stirn „Gehst du nie raus?“
Tami zuckte mit den Schultern, kicherte. „Ja. Sonst kommt man schlecht von einem Ort zum anderen.“ Sie strich mit dem Finger über seinen Schreibtisch. „Wenn meinst, einfach so spazieren gehen“, nuschelte sie, schritt derweil zum Fenster, „eher selten.“
Er stolziere auf Tami zu, stellte sich neben sie und drückte das Gesicht an der Scheibe platt. „Sonnenschein. Genau das rechte Wetter draußen zu lernen.“ Er wandte sich um. „Ich kenne einen ruhigen Platz im Bürgerpark. Los komm!“
Sie hob die Arme, ließ sie fallen. „Man bevor d‘weinst.“ Den Kopf wackelnd, zerrte sie an seinem schlabbrigen graubraunen T-Shirt. „So sludderich geh ich mit dir nicht raus.“
Er strich über den Stoff, zog an der Naht der verwaschenen Bluejeans, die einem Sack gleich über seinem Becken flatterte. „Ist voll in Ordnung.“
Sie zeigte ihm einen Vogel, hüpfte zu dem Kleiderschrank und öffnete ihn. Hineinstarrend kratzte sie ihre Kopfhaut. „Wo sind deine Sachen?“
Die Oberlippe gerafft, die linke Schulter an den Hals gepresst. „Im Schlafzimmer.“
„Du hast was?“
„Klar. Das alte Zimmer meiner“, er stockte, „meiner Mutter.“

Joos drückte sie in den Hauseingang, presste seinen Körper an ihr schwarz gepunktetes, rubinrotes Neckholderkleid, die linke Hand umklammerte ihren blassen Hals, sein Knie touchierte ihren ausladenden Rock. Ein Rock, welcher nach seiner Auffassung alles andere als unauffällig war. Dieses galt nicht nur für dessen Farbe, sondern gleichfalls seiner Weite. Für eine Observation gewiss das Schlechteste, was sich eine Frau überziehen konnte.
Der rechte Zeigefinger berührte seine Lippen. Er flüsterte: „Da kommt wer!“
„Ist sie es?“, murmelte sie.
Den Schädel weiter nach vorne gebeugt, flüsterte er erneut: „Ein Junge ein Mädchen.“ Er wandte ihr sein Gesicht zu. „Das zu deiner Theorie. Ich glaube kaum, dass sie einen Freund hat?“
Sie drängelte ihren Oberkörper an ihm vorbei. „Las mich sehen? Vielleicht andere Gören aus dem Haus?“
Er presste sie zurück. „Warte, sie stehen weiterhin an der Haustür. In dem Gebäude wohnt nur ein Kind.“ Er spähte um die Hausmauer. „Wir können.“
Erneut den Finger auf dem Mund, zog er sie vom Hauseingang weg.
„Du hast keine Ahnung. Das sind zwei Mädchen“, zischte sie. Sie deutete auf das linke Wesen und grummelte: „Welcher Junge trägt kurze lila Shorts und Turnschuh mit Schleifchen am Hacken? Komm! Lass uns hineingehen.“
„Nicht so schnell, wir schauen erst einmal, was sie machen und welche ist Klaras Tochter?“
Ihr Kopf zuckte in die Richtung der Mädchen. „Die kleinere mit der mintgrünen Umhängetasche.“

Sie richtete ihren dessertschalenförmigen blütenweißen Hut, der eher zur Zierde als ein Wetterschutz war, strich eine der rubinroten Federn aus ihrem Gesicht, die aus dem Prachtexemplar sprossen und zwinkerte ihm zu. Anmutig hing sie ihre weiß-rot gepunktete Henkeltasche über ihre Armbeuge und stolzierte auf den Gehweg.
Mit ausladenden Schritten nahm er die Verfolgung auf, sah sich nach mehreren Metern um und hob die Arme und brummte: „Beile dich, sonst sind sie weg.“ Sie trippelte auf ihn zu.
Er sah zu Boden. „Zumindest heute hättest du dir andere Schuhe anziehen können.“
Sie hob einen Fuß, richtete ihr Augenmerk auf die weißen Pumps. „Du hast immer irgendetwas zu meckern.“
Achselzuckend schnappte er ihrer Hand und zog sie hinter sich her.

Tami lag bäuchlings auf einer mausgrau-rosa karierten Wolldecke, ihr Kinn auf der linken Hand abgestützt und schrieb in eine Kladde. Toni kniete rechts neben ihr, sein Schenkel berührte ihre Flanke.
Sie legte den Stift beiseite, wandte ihn, dabei lächelte sie, ihr Gesicht zu. „Na. Meinst nicht, dass dein Outfit dir besser steht als der Gammel Look.“
Er fasste an den Saum des beige-anthrazit längs gestreiften Plisseerock und blickte gen Himmel. „Ja!“, murmelte er. Er senkte den Kopf, zog an seinem cremeweißen Top. „Nur?“
Die Pein stand ihm weiterhin im Gesicht. Ohne, um Erlaubnis zu fragen, hatte sich Tami auf seinem Kleiderschrank gestützt. Nachdem sie mit ihrem Zeigefinger ihr Auge lang gezogen hatte, ihm den Satz: „Der Schwester des Mannes deiner Mutter!“, entgegen geschmettert hatte.
Woraufhin er sich in Schweigen gehüllt hatte, und sie gewähren ließ. Jeweilige Kommentare verkniff er sich. Für ihn war es nicht der rechte Zeitpunkt, ihr sein Herz auszuschütten.
Den Mund erneut zu einem Lächeln verzogen, tätschelte sie seinen Bauch. „Mit deinem Body kannst bauchfrei tragen“ Sie griff an ihre Taille. „Bis nicht so fett wie ich.“
Zögerlich hob er ihr T-Shirt an. „Du bist total schlank.“
Die aufkommende Nähe beunruhigte ihn, obendrein meldete sich seine Blase. Er griff in den Rucksack, holte eine Haarbürste hervor, band sich einen Pferdeschwanz und stand auf.
Sie sah zu ihm herauf. „Musst los?“
„Ich muss mal!“
Tami ergriff den Bleistift, steckte ihn in den Mund. „Warst doch erst bei dir?“
Er zuckte mit den Schultern. „Und!“
Sie ging in die Hocke. „Warte, ich komm mit!“
Die Lippen gespitzt, zupfte er an seinem Ohrläppchen. „Wer passt auf die Sachen auf?“
Ihr Haar auf den Rücken werfend, stand sie grinsend auf und setzte Tonis Basecap auf. „Wer klaut Schulsachen?“
Über den Rucksack gebeugt, fischte er seine Handtasche heraus.

Er umfasste ihre Taille, flüsterte. „Und?“
Sie zeigte auf die Tür, die sie durchschritten hatte. „Sind sie auf die Toilette.“
Zwinkernd erhob er seinen Zeigefinger. „Kein Beweis.“ Er linste in die Örtlichkeit. „Ihr Frauen stellt euch ja nicht nebeneinander auf.“
Sie puffte ihn an. „In eine Kabine.“
Das Gesicht zu ihr gewandt, zog er einen Mundwinkel empor. „Wie?“
Sie zuckte mit den Achseln. „Das machen Mädchen.“
Er packte ihr ans Gesäß und brummte: „Nicht nur sie“.
Die Augen verdrehend, stieß sie ihn an. „Männer!“
Joos faste in die Innentasche seines Jacketts, holte ein Plastikröhrchen zum Vorschein. „Bevor ich es vergesse.“ Er öffnete das Röhrchen, zog ein Wattestäbchen heraus. „Ich benötige eine Speichelprobe von dir.“
Sie löste sich aus der Umarmung, verschränkte die Arme. „Glaubst du mir immer noch nicht!“
Die Augen geschlossen, legte er eine Hand auf ihren Oberarm, flüsterte: „Selbstverständlich“. Er hob die Schultern an seinen Hals und lächelte sie an. „Eine Vergleichsprobe!“
Die Arme schlaff an ihrem Oberkörper baumelnd, öffnete sie ihren Mund.
Er steckte das Stäbchen zurück und wandte den Kopf. „Steckst du es kurz ein“, presste er hervor, bevor er in der Herrentoilette verschwand.

Tami stand vor dem Toilettenbecken, zog ihren Slip herauf und Tonis Blick kreiste an der Raumdecke. „Du bist dran!“
Sie drängelte sich, ihre Shorts heraufziehend, an ihm vorbei. Er lüpfte sich setzend seinen Rock und streifte seine Unterhose über die Oberschenkel. Die Lippen gepresst, starrte er sie an. Wenn jemand zusah, vermochte er nicht zu pinkeln. Egal, ob seine Blase zum Zerbersten gefüllt war oder nicht.
„Warst du schon einmal auf einer Jungentoilette?“, fragte er, weniger um eine Antwort zu erwarten, ehre um sich abzulenken. Irgendwie fand er die Frage passen, denn immerhin saß er mit ihr bei den Damen.
Sie grinste. „Klaro! Du nie?“ Sie gluckste: „Ist witzig.“
Tonis Kinn sackte hinab.
„Musste unbedingt mal machen. Bring total viel Selbstvertrauen!“
Die Stirn gerunzelt, die Augen weit geöffnet, hörte er ihr zu.

Den Spaß hätte sie von einer Freundin, berichtete sie.
„Aber.“ Sie erhob ihren Zeigefinger. „Musst unbedingt einen Rock tragen! Am besten nen kurzen, damit klappt’s am besten.“
Er zog einen Mundwinkel empor. „Warum?“
Sie verschränkte die Arme und zischte: „Willst den Kerlen deinen nackten Hintern servieren“. Ihre Lippen bebten. „Also. Augen zu und rinn. Acht drauf, dass wer drin ist.“ Sie verdeckte ihren Mund. „Sonst macht's ja keinen Spaß.“ Sie leckte über ihre Oberlippen. „Den Spruch, die Mädchentoilette ist nebenan, überhör. Steuerst direkt die Urinale an.“ Sie griff an ihre Shorts, wackelte mit dem Hintern. „Ziehst den Slip herunter und drückst deine Schenkel an die Keramik.“ Erneut schwirrte ihr Zeigefinger durch die Luft. „Ganz weit nach vorn.“
Tonis hob das Gesicht. „Dann?“
Sie zog den Kopf zurück. „Mensch, bist blöd. Pullern. Was sonst?“ Sie schwankte ihr Haupt, dabei baumelte ihr Zopf wie das Pendel einer Standuhr. „Beim ersten Mal rate ich dir, trocken zu üben.“ Sie nickte. „Mit’n bisschen Übung klappt's dann irgendwann. Dann kannst wie’n Junge pinkeln.“
„Hast du das bereits öfter gemacht?“
„Na klar. Glaubst, ich stell mich stundenlang bei den Wiev an, wenn ich dringend muss?“
Tonis Augenbrauen schnellten seinem Haaransatz entgegen. „Du snackst platt?“
„En beten. Hebb mien Moder mi backden“, gab sie an.
„Mi meen Grootmoder.“
„Ik mott noch vööl öven.“
„Waarum löppst du nich in een Kabien. Ik deen, de gifft dat bi de Möpels!“
Tami kniff die Augen zusammen, lehnte ihren Kopf auf die Seite und wandte ihn ihr Gesicht zu. „Möpels?“
Toni grinste. „Freche Jungs.“
„Aha!“ Sie kicherte. „Gleichberechtigung.“
„Du bekommst keinen Ärger?“
„Ach. Die Kerle sind total baff. Natürlich meckern sie, meist die Alten, die Deern von heute und so.“ Sie tippte an ihre Schläfe. „Sagst, nie was von Emanzipation gehört, wackelst mit den Achtersteven und verschwindest.“

Tami gefiel ihm immer besser. Nur nicht in der Art, wie er bei ihrem ersten Kontakt gedacht hatte. Sondern eher, das erschreckte ihn, wie eine gute Freundin, mit der er ausgelassen, ein Schauer rann ihm den Rücken herunter, bummeln konnte. Oder? Toni schluckte, bevor er griente. Er nahm sich vor, in ein Antiquariat zu gehen, um das Buch zu kaufen, dann dieses ihr zu schenken. Denn Alinas konnte er nicht weitergeben.
Eine Dame in einem schwarzgepunktetes, rubinrotes Neckholderkleid stand an einem Waschtisch, puderte ihr aristokratisch, bleiches Gesicht. Bei ihrem Anblick verdeckte er seinen Mund und kicherte. Tami tat es ihm gleich. Die Frau mit ihrem lächerlichen Hut sah aus, als wäre sie aus einem alten Film entflohen.
Tami und er wuschen sich gründlich die Hände. Er erleichtert darüber, dass sie nicht nur ihre Finger benetzte wie die holde Weiblichkeit, die er sonst studierte.
Die fremdartige Frau steckte ihre Puderdose in ihre Handtasche, zückte einen Lippenstift und malte ihre Lippen nach.
Tami griff in ihre Hosentasche. „Spitz deinen Mund!“
„Wieso?“
„Los mach!“
Toni gehorchte ihr, woraufhin sie den Deckel eines Lippenstiftes abzog, und mit dem Satz: Jetzt bist du ein richtiges Mädchen, ihm die Lippen anmalte.
Es füllte sich für ihn an, als gäbe sie ihm die Absolution. Ihr musste er sich nicht mehr erklären, dieses stand für ihn fest. Sie hatte in sein Herz gesehen, das genügte ihm, zumindest in jenem Moment.
„Danke!“
„Bitte!“
Aber wie es dem Admiral beibringen, dachte Toni, während er der Dame nachschaute, die das Gebäude verließ. Er sah ihr nach. Sie trat auf einen Herren zu, der ihr den Arm reichte. Beide schlenderten über die Wiese, setzten sich am anderen Ende unter einer betagten Trauerweide auf eine Parkbank.
Vor dem Toilettenhaus schlug Toni ein Rad. Tami konterte mit halbem Rad und Handstand. Wollte sie ihn herausfordernd? Das konnte sie haben.
Er zog seine Schuhe aus, spreizte das rechte Bein, den Fuß gesteckt ab, bäumte das Rad wie sie, die Schenkel in die Höhe, bis der Plisseerock seinen Oberkörper umhüllte. Dann ging er in den Armstütz, machte einen Spagat, drehte sich in den Seitspagat, rollte sodann über seinen Rücken ab.
Den Mund zu einem Lächeln verzogen, stütze er sich auf den Händen ab, nahm die Beine schwebend zurück und glitt auf den Bauch. Den rechten Arm nach vorn gestreckt, den Linken angewinkelt in die Höhe, beugte er die Schenkel, bis die Zehen seinen Pferdeschwanz berührten.
Tami stand starr neben ihm und bedeckte mit ihren Fingern ihren aufgerissenen Mund.

Joos setzte sich seine Sonnenbrille auf, applaudierte. Das sandblonde Mädchen erhob sich, überkreuzte die Beine, vereinigte ringförmig ihre Arme vor der Taille, öffnete den Ring und machte einen Knicks. Sie lief zu ihren Ballerinas, ergriff sie und stolzierte mit der anderen, Arm in Arm davon.
Er hatte genug gesehen, brauchte nicht mehr in diese Wohnung, die ihn an die Alte erinnerte, die ihm sein Leben schwer gemacht hatte. Das Kind war zu seiner hundertprozentigen Sicherheit weiblich. Wie grazil sie sich bewegte, kein Junge wäre dazu in der Lage gewesen. Außerdem besaßen Männchen etwas, was Damen nicht hatten.
Schwer atmend kam er zur Einsicht, dass er es ihr sagen musste. Die Erkenntnisse, die Beweise, die er in seinem Jackett wie eine Trophäe trug.
Er ergriff ihre von einem Spitzenhandschuh umhüllte Hand und schaute ihr in die Augen. „Du hast recht, sie ist ein Mädchen.“
Sie reckte sich, wandte ihn ihr bleiches Gesicht zu und lächelte ihn überheblich an.
„Aber.“ Er stammelte: „Sie ist nicht Klara Tochter.“
Seine Verlobte senkte den Kopf, sackte in sich zusammen.
Die Lider geschlossen, ergriff er ihre Hand und flüsterte: „Sie ist deine Schwester“.
Sie riss ihre Augen auf und verdeckte ihren purpurroten bemalten Lippen.



Reise

Wie lange er vor dem Bungalow gestanden hatte, hatte er sich nicht gemerkt. Nur, dass in ihrem steril gepflegten Garten fünf Koniferen vereinsamt auf der Rasenfläche standen. Ein in Fischgrätenmuster geharktes Kiesfeld ihren Vorgarten zierte und ein verstörter Koi in einem betonierten Bassin blubbernd seine Runden schwamm. Sein Mut hatte ihn verlassen. Lässig auf den Klingelknopf zu drücken, um auf ihr Öffnen zu warten, fiel ihm schwerer, als er dachte. Nach all den Jahren sie wiederzusehen, ihr die Frage an den Kopf zu werfen, wer der Erzeuger von Klara war. Es war egal, spielte keine Rolle. Sein Herzen pochte väterlich für sie, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht kannte. Genauso wenig wie ihre angebliche Schwester.

Nachdem er Shila, wie das Mädchen seine Zukünftige nannte, gesehen, wie sie sich grazil verbogen hatte, hatte er sich die Verschwörungstheorie der Verlobten aus seinem Schädel geschlagen. Warum sollte er Maria damit behelligen? Sie in eine Sache mit hineinziehen, die ihr nichts anging. Denn sie war nicht ihre Enkeltochter, leider auch nicht seine, sondern das Kind des alten verhassten Freundes.
Er setzte seine Sonnenbrille auf, machte sich auf den Weg zum S-Bahnhof. Eine weite Reise hatte er vor sich, obwohl sein Fall ihm in Nacken saß, nahm er sich die Zeit.
Seit Langem hatte er nicht auf den Volvo verzichtet. Warum hatte er ihr ihn überlassen? Zur Probe wollte sie. Er hatte ihr versprochen, rechtzeitig die Heimreise anzutreten. Zur Zeit der Abreise war von dem neuen Ziel keine Sicht am Weg.
Er rieb über seine Lippen. Wenn er glaubte, sie zu durchschauen, zog sie ihn in Zweifel. War sie tatsächlich die Person, für die sie sich ausgab. Ja! Er hatte einen Beweis, obwohl sein Freund ihm gesagt hatte, dass bei der Probe eine hohe Fehlertoleranz vorlag, miese Qualität, wie er es nannte.
Er klopfte auf seinen Mund. Beim nächsten Test, die Toleranzgrenze senken, sinnierte er. Joos berührte sein Jackett, schlug sich an die Stirn. Die Speichelprobe lag in ihrer Handtasche. Egal! Er sah sie ohnehin in ein paar Tagen in ihrer spartanischen Wohnung neben dem Club.

Das war das Lokal für ihn. Es war keine schäbige Absteige, in der nackte Frauen ihre Haut darboten, abgehalfterte Damen ihren Körper zur Verfügung stellten. Der Laden hatte Niveau, eher künstlerisch. Er hätte ihr sonst nie den Job besorgt. Sie zog sich vor Fremden aus. Sie nannte es Burleske Tanz. Ein einziges Mal hatte er ihr zugesehen, ihre Bewegungen bis auf die letzte Szene um ein Haar jugendfrei. Ein Umstand, den die Darbietung ihres neuen Tanzpartners nicht gemein hatte.
Jerimos Kunst bestand eher darin in Adamskostüm, wie eine antike Statue seinen muskulösen Körper zu präsentieren. Seine Muskeln spielen zu lassen, um dann von Ayleen mit Massageöl gesalbt, seine athletische pechschwarze Manneskraft in ihr zu versenken.
Er hatte nichts gegen dunkelhäutige. Viele Schwarzafrikaner zählte er zu seinem Freundeskreis. Es war die gespielte Szene, die in ihm ein Brechreiz auslöste, nicht die Vereinigung als solche. Ihm war es vollkommen egal wo, wie oder wann jemand seinem Gelüsten nachging. Das Klischee, welches sie bedienten, um den Hormonspiegel der Gaffer in die Höhe zu treiben, stieß ihn ab.
Primitiver Urwaldaffe begattet, vergewaltigt, blonde, jungfräulich, arische Schönheit.
Allein bei diesem Gedanken kam ihm sein Frühstück herauf.
Mit diesem Jerimo tanzte sie. Er machte sich keine Sorge über ihn, er ein junger gebildeter Milchbart, der sein Studium finanziert. Eher um sie. Zumindest konnte er seinem alten Kumpel Ommo vertrauen, der seine Gefühle kannte. Gut, er verdiente seine Brötchen mit dem Club.
Nicht mit der Vorführung, der Eintritt war frei. Die Getränke, das Essen, die Separatiments und Zimmer ernährten ihn. Die Damen unabhängig, ob und mit wem sie ihrem Geschäft nachgingen.
Ihm unterstellte er keine unredlichen Absichten. Er als Geschäftsmann profitierte davon, ohne, Joos kannte andere, Gewalt auszuüben. Vorwürfe warf er ihm nur selten entgegen, dafür verfluchte er die Politiker, die das System unterstützten, hofierten. Verbieten das Treiben die einzige Lösung, aber nicht die armen Seelen, die ihren Körper verkauften, bestrafen, sondern die abartigen Kerle. Die schmierigen Freier zur Kasse bitten, sie inhaftieren.
Wellen der Entrüstung schwappten ihm jedes Mal entgegen, wenn er seine Ansichten im Kreis der Damen äußerte. Denn sie dachten nur an ihren eigenen Geldbeutel, vernahm nicht das schreiende Elend der Geschundenen. Der versklavten Mädchen, die mit ihrem Blut das System am Laufen hielten. Niemand, das war seine feste Meinung, kämme auf die Idee, Gladiatorenkämpfe auf Leben und Tod zu erlauben, damit eine Minderheit von Männern, durch den Kampf, eine sorgenfreie Existenz führten.

Er warf ein paar Münzen in den Fahrscheinautomaten, löste einen Fahrschein zum Hauptbahnhof. Seine flache Hand schlug gegen seine gerunzelte Stirn. Er griff in sein Jackett, zog seine Brieftasche heraus und starrte auf den Fahrzeugschein seines Volvos. Der Anblick des Dokumentes trieb ihm einige Schweißperlen auf die Schläfen. Nicht der Fakt als solcher, eher des Fahrers wegen. Säße Ommo oder sein von ihm geschätzter Pathologe und Freund Roel am Lenkrad, hätte er mit den Achseln gezuckt. Nebenbei waren diese Person die einzigen lebenden Gestalten, die je in den Genuss kamen, das Gaspedal seines S60 zu berühren. Denn unter der Motorhaube werkelte ein nicht serienmäßiges Triebwerk.
Die aufkeimende Angst wurzelte in der Fahrerlaubnis, die seine Verlobte bei sich führte. Sie war einhundert Prozent echt, nur, dass die Fahrerin nie in ihrem Leben eine Prüfung abgelegt hatte.
Autofahren vermochte sie, hatte die Fähigkeit in Südafrika erlernt. In der Isolation der Berge konnte das Führen eines Kraftfahrzeuges überlebenswichtig sein. In dieser Art raste sie über die Autobahn, als würde sie im Krüger Nationalpark auf Elefantensafari gehen.
Sie trug Tinettes Führerschein bei sich, wie deren Pass. Tinette de Blanc, die nur die Körpergröße mit ihr teilte. Weder Lebensjahre, Tinette war Mitte vierzig, noch Gesichtsmerkmale stimmten überein. Welcher Polizeibeamte fragte nach dem Alter einer Dame oder wunderte sich darüber, dass das Bild auf einem Ausweis nicht zu der kontrollierten Person passte. Wer je in seinem Leben eine Frau nach dem Aufstehen, mit dem Menschen, den er am Abend zum Ball geführte, verglichen hatte, verstand die Transformation.

Der Wind der einfahrenden S-Bahn zog an seinem Jackett und den aufkommenden Gedanken an seine Freundin Tinette. Kopfschüttelnd quetschte er die Aktentasche unter seine linke Achsel, bestieg das Gefährt, fand einen freien Platz. Er nahm sich vor, die Zeit bis Passau zu nutzen. Seinen Laptop foltern. Aus ihm alle für seinen Fall benötigenden Informationen zu quetschen.
Er packte sein Arbeitsgerät aus. Das war es für ihn. Der wichtigste Kontakt zu seinem Team. Denn er war der einsame Wolf. Wie dieses Geschöpf pirschte er durch sein Revier und lechzte nach seiner Beute. Er war kein Schreibtischtäter, der fernab der Realität Akten studierte. Eine Aufgabe, die er gern delegierte.
Bevor er sich der Lohnarbeit hingab, sendete er das Foto, das er von Docs Tochter geschossen hatte, an einen von seinem inoffiziellen Mitarbeiter. Ein Ex-Bulle aus Hamburg, der die Faszination der finsteren Seite der Macht erlegen war und sein Gewissen damit beruhigte ihm behilflich zu sein. Er setzte ihn an, das Fräulein zu bewachen.
Alina war für ihn endgültig nicht mehr das Opfer, eher Beiwerk, Statistin. Wie Tanja damals bei dem Schwein eine Nebenrolle einnahm, so würde das burschikose Mädchen Alina diesmal in diese Rolle gezwungen. Denn Tanja in ihrer früheren Art glich ihr wie eine Zwillingsschwester.
Es war ihm klar, dass er den Täter von einst nie fangen konnte. Nicht er hatte ihm den Brief gesandt. Die Opfer übernahmen nun die Täterrolle. Von denen gab es nur zwei, Klara und Josephine.
Die Aussage der Verlobten hatte ihn weitergebracht. Drei Mädchen mussten es sein. Alina als Tanja. Shila in ihrer grazilen, beinahe erotischen Art als Klara, der Hingebenden. Der Beifang des Entführers, um seine perversen Gelüste auszuleben. Bloß welches Mädchen übernahm die Dominante in ihrem perfiden Plan. Außer Josephine und Klara, er schloss sie in die Überlegung mit ein, hatte er keine weitere Tochter. Sein Liebesleben, verrückt, dennoch geordnet.
Drei Frauen hatte er in seinem Leben ungeschützt beglückt. Josephines Mutter, Maria und Tanja. Somit war die Auswahl übersichtlich. Seine Noch-Ehefrau schloss er aus. Erstens wäre das gemeinsame Kind zu alt, zweitens hätte, wenn nicht sie, ihr Drachen von Mutter Alimente eingefordert. Er rieb über sein Kinn. Maria! Er hatte noch einmal ihr beigeschlafen.
Ein paar Jahre nach der Entführung, war sie bei einer Freundin in Aachen zu Besuch, er auf einem Kongress. In einer Bar hatten sie sich getroffen. Zufall? Er kratzte sein Genick. Vom Alter kämme es hin. Der mögliche Spross zwischen ein und drei Jahre älter als Shila wie Josephine reifer als Klara. Er schüttelte den Kopf. Sie hatte ihn immer beteuert, dass Klara nicht sein Kind wäre. Trotzdem nahm sie die monatlichen Zahlungen gern entgegen. Blieb Tanja übrig.

Die S-Bahn fuhr im Hauptbahnhof ein. Er sah auf seine Rolex. Fünf Minuten zum Umsteigen verlieben ihm. Seine Tasche geschnappt, lief er zum erforderlichen Bahnsteig.
Das Signal zur Abfahrt greifend nah, schwang er sich in den ICE, ließ sich auf einen freien Platz nieder.
Nachdem sein Puls sich beruhigt hatte, hämmerte ihn der Name Tanja im Schädel.
Ein einziges Mal hatte er mit ihr geschlafen. Zumindest bestand immer noch die Möglichkeit. Die Tage konnte er nicht vergessen. Warum er in Südafrika verweilt hatte? Es war eine Bitte gewesen! Docs Krankenwagen schrottreif, bat er ihn, seine Kontakte spielen zu lassen. Sein Weg klar, er fragte seinen Vater, der bereitwillig ein Fahrzeug sponserte.
Die Überführung war problematisch. Er investierte zwei Wochen in Durban. Tanja war als Mittelsfrau ideal gewesen, denn sie ging dort zur Schule. Die ganzen Tage verbrachte er mit ihr. Sie beichte ihm ihre Sorgen. Er versprach ihr ein besseres Leben, nicht gleich, wenn sie ihr Abitur geschrieben hätte, volljährig in Deutschland studierte, dann erst sah er die Zeit als gekommen an, ihr seine Liebe zu gestehen.

Er überführte den Krankenwagen und wurde wie ein Held empfangen. Ihren Vater, den er mehr verachtete denn je, trotzdem einer seiner besten Freunde war, lud ihn ein, fragte ihn, wie er ihn danken könnte. Er benötigte nichts, dachte an Tanja, stand ihm eine gewisse Zuneigung zu und forderte, dass er ihr größere Freiheiten geben sollte. Aufbrausend wurde er. Zunächst solle sie ihre Pflichten erfüllen, bevor sie an ihre eigenen Wünsche leckte. Gleichwohl sagte er, dass er ihn verstünde.
In einem Taxi fuhr er zurück. Es war Nacht, als er im Hotel ankam. Nach einem Mahl legte er sich ins Bett. Er schlief, als er die Berührungen wahrnahm. Tanja zarte Lippen umspielten sein Ohrläppchen. Sie zog sich aus, kniete sich auf seine Schenkel, streichelte sein Glied und führte es in ihren Unterleib.



Zwangsehe

Es war der Ort, an dem er Zuflucht fand, die einzige Zeit, an der alles vergaß. An zwei kurzweiligen Nachmittagen in der Woche, am Dienstag und Donnerstag ging er zu ihr, Catherine, seiner Ballettlehrerin. Getanzt hatte er bereits in Hamburg, mehr noch, hart trainiert, jede freie Minute geopfert. Seine Mutter förderte sein Talent, wo es ging und über die wenigen Stunden bei Catherine hielt sie schützend ihre Hand. Dem Vater war das Treiben unbekannt.

An diesem Dienstag erwartete sie ihn wie immer in ihrer winzigen Zweizimmerwohnung in einem oberen Geschoss eines stattlichen Gebäudes, in dem sonst betuchte Bürger lebten. Mit einem Unterschied, sie empfing ihn nicht in ihrem Ballettanzug, sondern in einem schwingenden Sommerkleid.
Ihm war an diesem Tag nicht nach Tanzen zumute, die Nachricht des Vaters hatte ihn niedergeschlagen.
„Paul, Cherry, drauschen Sonne, du Gesicht wie Regen“, begrüßte sie ihn.
Er setzte sich zu ihr auf ihr Chaiselongue. Sie nahm seine zierlichen Finger, schaute ihm in die Augen.
Er berichtete ihr, dass er zur Wehrmacht sollte. Sein Vater hatte ihn an eine Militärschule im Reich angemeldet. Am Wochenende würde er reisen. Sie war erbost darüber, dass Herbert ihm dies antat.
Dem nicht genug, sie hatte gleichfalls eine Nachricht. Sie zischte: „Esch isch Kriesch!“
Er runzelte seine Stirn. Sie sprach in Rätseln. Es war Krieg.
Sie senkte ihren Kopf, schwang ihn wie ein Elefant, ohne dass ein Rüssel pendelte, und erklärte ihm auf Französisch, was geschehen war. Sie sprach meist in ihrer Muttersprache, die er verstand, jedoch vermochte er, sich nicht in dieser auszudrücken. Bei ihr war der Sachverhalt entgegengesetzt ausgeprägt.
Die Japaner hätten Perl Habor angegriffen. Er wusste zwar nicht, wo dieser Ort war, aber die Angst, die in ihrer Stimme mitschwang, ließen ihn vermuten, dass dieser ein wichtiger war.
Es wär eine Frage der Zeit, teilte sie ihm mit, wann die Vereinigten Staaten in den Krieg, der über Europa tobte, eingriffen. Die Nachricht machte ihm Angst, denn sie wusste, was sie sagte. Ihr Freund war Amerikaner und Ingenieur bei den Fordwerken in Deutschland.
„Du willst mit deinem Freund abhauen. Wie? Ihr seid nicht verheiratet“, murmelte er.
Sie atmete tief ein. John, das war sein Name, hatte von seiner Firma die Aufforderung erhalten, ohne Zeitverzug das Land zu verlassen. Am kommenden Tag erwartete sie ihn, um mit ihm das Konsulat in Brüssel aufzusuchen. Sie bedeckte ihren Mund mit einem Fächer. Sie hätte ein Engagement in London bekommen, sagte sie ihm, mit einem Timbre in ihrer Stimme, die ihm ihr Verzücken aufzeigte.

Er zuckte die Achseln. „Wie willst du ohne gültige Papiere auf die Insel?“
Sie berührte mit ihren Lippen seine Ohrmuschel. „John hat einen SS-Offizier kennengelernt.“
Dieser Offizier hätte sich vorgenommen, mit seiner Familie zu desertieren, seine, wie sie es nannte, Beute, vor dem Untergang in Sicherheit zu bringen. „Er braucht Reputation in Staaten et ich Papier!“ Sie zwinkerte. „Comprendre!“
Sie scheuchte ihn. „Rapide, rapide dernier prob. Musch au Vortanzen von Mademoiselle deux kommen mit que Ballerinettes.“
Er zog seinen Kopf zurück, starrte sie an und wetterte: „Zwei fremde Mädchen nimmst du mit! Mich lässt du aber hier?“
Catherine strich über seine Wange und hauchte: „Ballerinette nischt petit Tanzer. Du Garçon“.
Paul verschränkte die Arme, stampfte mit einem Fuß auf, schnarrte: „Du hast immer gesagt, dass ich die Odette perfekt beherrsche, besser als manch eine große Ballerina“.
Sie schloss die Augen. „Du perfect mais“, sie schüttelte den Kopf, „non Femme.“


Toni legte das Buch zur Seite, schnappte sich seinen Füller, kaute auf ihm herum, um ihn wie üblich, wenn er nicht weiterkam, auf seinen Schreibtisch zu schmettern, und schlug seinen Schädel auf das unbefleckte Stück Papier.
Er rappelte sich auf, ergriff das Arbeitsblatt und las: „Das gesellschaftliche Bild der Frau vom Mittelalter bis zur Gründerzeit“.
Er starrte zur Zimmerdecke, an der eine Fliege, gefangen im Netz einer Spinne, um sein Leben kämpfte. „Unterthema Zwangsehe.“
Warum er? Es gab alternative Themen zur Auswahl. Frauen in der Arbeitswelt oder Frauen in der Politik. Nein! Er zog das Los Ehe. Vielleicht wollte das Schicksal ihn quälen, da er auf einer gewissen Weise bei einer Zwangsehe zugegen war. Die Thematik hätte er mit einem anderen Partner wuppen können, aber auch hier war die Bestimmung gegen ihn. Sonja! Mit ihr sollte er das Referat ausarbeiten. Ihre einzige Arbeit beschränkte sich jedoch auf einen Kommentar. Ihr Beitrag war ein Satz: Wenn der Mann reich ist, hallten dieser in seinem Schädel.

Er beugte sich über den Schreibtisch, schnappte die Bände, die er aus der Bibliothek geliehen hatte. Die Lehrerin war verrückt, klassische Recherchearbeit! Wozu gab es Internet? Er liebte gebundene Bücher. Leider hatten sie keinen Suchalgorithmus.
Ohne darüber nachgedacht, oder gar gesucht zu haben, hielt er Für immer Dein. Er erinnerte sich an ein Kapitel, indem Jenni was über Zwangsehe erzählt hatte. Keine historischen Wahrheiten, aber zur Einstimmung?

„Das ist ja grauenvolle“, stöhnte Sabine. „Wie machen die das?“
Jenni umgriff mit der rechten Hand ihre Haare, streifte mit der Linken das Haarband von ihrem Handgelenk über ihren Zopf. „Sie sprechen arme Familien an, behaupten, ihre Töchter würden im Westen ein besseres Leben haben, könnten sie unterstützen. Dann werden sie verheiratet!“
Sabine zog ihre Augenbrauen empor. „Mit wildfremden Männern?“
Die Schultern zuckend, hockte sich Jenni auf die Parkbank und pustete: „Keine Seltenheit in diesen Ländern“.
Ihren Rock glatt streichend, setzte sich Sabine neben ihre Freundin. „Eben hast du mir gesagt, dass es Mädchen sind.“ Sie tippte an ihre Schläfe. „Kinder können nicht heiraten!“
„Ach. Wer weiß, wie alt sie sind, und in anderen Ländern ist eine Ehe mit sechzehn nichts Aufsehenerregendes“, raunte sie, schlug sich an die Stirn. „Die wird bei uns sogar anerkannt.“

Jenni wandte ihr das Gesicht zu. „Wie kommen die dann bei uns rein?“
„Als Illegale, als Flüchtlinge, das ist ja das Perfide“, antwortete sie. „Im Westen angekommen, werden sie anderen Kerlen angeboten.“
„Warum fliehen sie nicht.“
„Du hast Vorstellungen. Illegale marschieren zur Polizei, erzählen, dass ihr Ehemann sie zur Prostitution zwingt. Die schiebt man sofort ab. Die können sich dann gleich umbringen.“
„Jetzt übertreibst du es?“
„Quatsch. Glaubst du, der Mann darf hierbleiben. Er erzählt doch allen, warum sie zurückkehren mussten, dass sie Anschaffen ging. Nie was von Ehre gehört.“
„Wenn sie es über sich ergehen lassen?“
„Haben sie ebenfalls verloren. Sind bald zu alt für diese perversen Pädophilen. Sie werden verkauft, landen auf dem Straßenstrich, bis sie mit einer Überdosis im Rinnstein verrecken.“



Spurensuche

Wieder hatte er eine Reise hinter sich, einen Haken auf seiner Liste gesetzt. Er hatte die Wohnung nicht aufgebrochen, kein Verbrechen verübt. Ihr Schlendrian hatte ihm Einlass gewehrt. Die Terrassentür stand offen. Der Sprung über die Garage für einen alten ungeachtet alledem trainiertem Herrn ein Klacks. Ihr Reich in moderner Eleganz eingerichtet, sachlich, leblos, unpersönlich, wie in einem Einrichtungshaus. Kein Foto, keine liebevoll gesammelten Erinnerungsstücke zierten ihre Wohnung. Alles neu, er schmunzelte, jungfräulich.
Ihr Schlafzimmer in dezentem Pastell gehalten, ein Doppelbett, ein Kleiderschrank, der gefüllt mit Wäsche und Kleidung einer weiblichen Person, sich über die gesamte Zimmerwand erstreckte. Zwei Gegenstände lenkten sein Augenmerk. Beide jeweils in einer Schublade der Nachtschränke verwahrt, in welchen oft, für ihn unbestreitbar in Bayern, die Bibel lag.
Es war Spielzeug. Frauenspielzeug. Das eine klar, wie sie es verwendete, summte, brummte. Das andere fragwürdiger, ihm bekannt aus dem Klub seines Freundes. Ein an einem Riemen befestigter aus Silikon nachgebildeter Penis. Egal, wofür sie es benötigte, verwarf er den Gedanken im Bett nach Hautschuppen zu suchen, obwohl eine logische Erklärung ihm auf der Hand lag. Sie hatte einen Gatten, der, wie er ermittelt hatte, organisch einem Weib näher als einem Manne war.

Er wandte sich einem weiteren Raum zu. Bereits nach dem Öffnen der Tür entpuppte sich das Zimmer. Ein Mädchenzimmer, Shilas Reich, mit rosa Wänden, einem Himmelbett – wie kitschig, sowie einem Schrank vollgestopft mit Sachen, die Girls verlangten.
Seine Schnüffelnase trug ihn durch den Flur, zu einer verriegelten Tür. Das primitive Zimmerschloss überlistete er mit dem alten Dittrich. Der Raum ohne Möbel, mit kalkig getünchten Wänden war mit Ausnahme zweier Kartons mit Herrenbekleidung und einem Kleiderständer leer. Auf diesem baumelten einzig zweierlei Damenkostüme, eins orange-schokoladenbraun kariert, das andere klassisch mausgrau. Eingezogen war ihr Gatte nicht, schlief ihr bei, dies war seine Vermutung, wenn er es in seinem Fall dermaßen nennen konnte.
Wie er es vermutete. Im Badezimmer zwei Zahnbürsten in inniger Berührung in einem Glas. Sonst nichts, was auf das Leben eines Herren hinwies. Kein Aftershave, weder zerdrückte noch geöffnete Zahnpastatube, keinerlei Rasierer, nass geschweige elektrisch. Dafür das wonach er gesucht, erhofft hatte, der ideale Spender für Haarwurzeln. Ein Epilierer in femininen rosa ruhte neben gefalteten Handtüchern. Er trennte seine Teile, klopfte die kurzen blonden Härchen in eine Probentüte, verschloss sie.

Er war das erste Mal in der HafenCity. Die geschwungene Glasfassade der Elbphilharmonie verhüllte den Vorplatz mit ihrem Schatten, als sein Smartphone zu schellen begann. Eine Nachricht vom Seewolf erschien auf dem Display. Das Girl hieß Antonia Tütken, informierte er ihn. Tütken der Beweis ihrer Herkunft. Hatte Doc den Namen seiner Ehefrau angenommen? Woher der Seewolf es erfahren hatte, teilte er ihm nicht mit. Er hatte seine Quellen, Fundgruben, die er, Joos, vermied zu nutzen. Zu oft war er hereingefallen. Zumindest hatte sie einen Namen. Er ließ das Handy wieder in seine Anzugjacke gleiten und schritt die Straße „Am Kaiserkai“ in Richtung Osten entlang.

Das Haus, in dem seine Tochter wohnte, war nüchtern und kalt, wie alle Gebäude in dieser Gegend. Mit dem rechten Zeigefinger fuhr er über die Klingelschilder, suchte ihren Namen. Er kratzte sich am Genick, studierte ein weiteres die Schilder. Ein Nachname kam ihm bekannt vor.
Er murmelte: „Dohnhöfer“.
Er trommelte auf sein Kinn. Hatte sie ihm nicht erzählt, sie hätte das Apartment von einem Freund bekommen. Inwieweit waren sie und Stephen befreundet. Die Freundschaft zu Klara war ihm bekannt. Sie belog ihn. Klara für Josephine und ihn seit vielen Jahren Tod und Tanja?
Nach ihrer gemeinsamen Nacht hatte er sie aus seinem Gehirn geschlagen. Das hatte er ihr klipp und klar erklärt, zu jener Zeit, bevor sie aus dem Landrover gestiegen war. Er war ein alter Knacker und sie ein blutjunges Mädchen, das konnte nicht gut gehen. Erst als er sie im Gefängnis wiedersah, war sein Herz erneut entflammt. Er hatte oft darüber gegrübelt, nachdem er ermittelt hatte, dass Klara lebte.
Weshalb Josephine ihm nicht aufgeregt erzählt hatte, dass sie die Freundin bei ihrer Hochzeit gesehen hatte.
Die Zeit! War es der Zeitraum, der ihm das Gedächtnis getrübt, gefälscht hatte. Er war der Meinung gewesen, Tanja erblickt zu haben. Trotzdem hatte er sie nicht angesprochen, nicht berührt, damit seine Gefühle zu ihr dortblieben, wo sie hingehörten.
Inständig erwartete er, dass niemand die Tür öffnete und wenn doch? Er dann an der Wohnungstür in ein für ihn unbekanntes Gesicht starrte.

Der Summer brummte, die Haustür ließ sich öffnen. Das Hämmern seines Herzens erschwerte ihm den Aufstieg. Er schritt den Gang entlang, blieb an der letzten Tür stehen. Der Aufkleber am Klingelknopf vertrieb ihm jede Hoffnung. Erst ein Schatten am Türspion, dann die Stimme seine Tochter, die ihm dröhnend vermittelte, sie hätte sich geduscht, wäre nackt. Er schüttelte den Kopf, pustete den Inhalt seiner Lunge gegen das Türblatt.
Sie hätte es sich sparen können, einen Büstenhalter überzustreifen. Er gab ihren Busen die nötige Façon, trotzdem färbte der durchscheinende Stoff ihre vollen Brüste lediglich in einen grauen Ton. Ein Slip wäre ihm angebrachter erschienen, denn beim Bücken, um ihre verstreute Kleidung aufzusammeln, erblickte er nicht nur ihre blanken Pobacken.

Was er hier wolle, harschte sie ihn an. Er wäre ihr Vater und wolle ihre neue Wohnung besichtigen. Mehr fiel ihm nicht ein.
Viel gab es nicht zu inspizieren. Ein Standardappartement, möbliert, wie derart Unterkünfte die Touristen oder Monteure gern mieteten, karg, funktional. Ein Doppelbett, eine Kochnische, ein Sofa, ein Schrank, ein Fernseher an der Wand befestigt und ein Wohnzimmertisch mehr gab das winzige Zimmer nicht her.
Er schritt zum Tisch, hielt eine Hand über einen in seinem Ständer ruhenden Lötkolben. Zumindest war er kalt.
Joos erinnerte sich an die geifernden Aufrufe ihrer Mutter, dass er sie darüber aufklären müsste, wie das mit der Feuergefahr sich verhielt. Dafür war er bei den Besuchen geeignet. Hatte jedoch das Verhältnis zu ihr nicht gestärkt. Lieber wäre er mit ihr in irgendwelche Freizeitparks gefahren oder ins Kino gegangen. Allein Vater und Tochter. Der alte Drache hatte seine Frau fest im Griff, eine Auflage des Gerichtes erstritten, nur im Beisein der Noch-Ehefrau ihm gestattet, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Dies hieß für ihn, mit dem Teufel zu reiten. Selten hielt er es lange aus. Er hätte sich durchsetzen sollen. Ein Fehler, den er nicht mehr gutmachen konnte.
Dennoch musste er sie stetig wieder sehen. Der einzige Grund, warum er seinem Chef zugestimmt hatte, in psychologische Behandlung zu gehen. Verrückt war er nicht, eher exzentrisch, unkonventionell, ein Wesenszug, den biedere Beamte wenig schätzen. In diesen Momenten der Zweisamkeit freute er sich über ihren Entschluss, ihr Elektrotechnikstudium hinzuschmeißen und Psychologie zu studieren, obwohl die Sitzungen immer gleich abliefen.
Sie hielt ihm permanent vor, er hätte ihre Mutter in den Wahnsinn getrieben. Eine ausgeprägte Psychose hatte seine Holde, da stimmte er ihr zu. Der Grund jedoch nicht er, sondern die Alte, die sie vollends vereinnahmte. Inständig hoffte er, dass sie endlich das Zeitliche segnete.

Er schielte auf die elektronischen Bauelemente, fragte sie, was sie bastele. Sie repariere die Türsprechanlage, kam schroff über ihre rubinrot bemalten Lippen. Nach seinem Enkel wollte er erst gar nicht fragen, die Antwort ohnehin von ihr erlogen. Sie hatte nie eine mütterliche Beziehung zu ihm aufgebaut und er Josephine die regelmäßigen Besuche bei ihrem Ex-Mann nie erzählt. Er wusste, dass er es bei ihm guthatte. Seine neue Flamme ihn behütete, wie ihr eigenes Fleisch und Blut.
Joos schwärmte nicht von den Ausflügen, die er mit seinem Enkel unternahm.

Er hatte genügend gesehen. Den wahren Grund des Besuches ihr verschweigend, fragte er sie, ob er ihr Bad benutzen könne. Sie stimmte zu. Die fensterlose Nasszelle war in demselben Zustand, desolaten wie ihr Wohn- und Schlafzimmer. Der Wäschekorb quoll über, die Kloschüssel übersät mit braunen Rückständen. Angewidert schloss er den Klodeckel. Die Duschabtrennung und Duschtasse verkrustet mit Seifenresten, jedoch trocken. Geduscht hatte sie sich nicht, das stand für ihn fest.
Auf dem mit einem grauen Rand verzierten Waschbecken, lag das Ziel des Besuches, ihre Haarbürste. Kurz erfreute er sich über ihre mangelnde Sorgfalt und trat ans Becken. Auf der Bürste klebten derart viele Haare, dass ein fleißiger Perückenmacher seine Freunde darüber bekundet hätte.
Er zupfte den Fang herunter, stopfe ihn in eine Plastiktüte. Ein kurzes bis bald, hüpfte über seine Lippen, bevor er die Wohnungstür hinter sich verschloss.

Josephine lauschte an der Appartementtür, machte einen Schritt zum Garderobenschrank und schob die Tür zur Seite. Eine Frau in einem weinroten figurbetonenden Kleid mit weißen münzgroßen Tupfen stieg aus dem Wandschrank und richtete ihren wallenden Rock.



Doppeltes Spiel

Sie schüttelte ihren Oberkörper, rieb über ihre zarten Arme und schnarrte: „Was hältst du von Staubwischen“, dabei hing sie ihre weinrote Henkeltasche auf ihre Armbeuge und stöckelte auf ihren blütenweißen hochhackigen Pumps ins Wohnzimmer.
Sie warf die Kleidung vom Sofa, ließ sich aufs Möbel fallen und legte ihre überkreuzten Beine auf den Tisch. Josephine setzte sich im Schneidersitz neben sie.
„Was soll das?“, zischte sie, ihr Gesicht gen Josephines Schritt gewandt. „Lecken kostet extra!“
Josephine presste die Lippen. „Tinette du Nute.“
„Prostituierte, wenn ich bitten darf.“ Sie tippte an ihren Nasenflügel. „Komm! Hohl dein Spielzeug. Ich habe nicht ewig Zeit.“
Josephine stand auf, setzte sich auf den Tisch und grätschte über ihre Beine.
Ihre Finger tasteten unter den Schritt des schwingenden Rockes und hauchte: „Dann erzähl mir die Geschichte“, während sie zwischen den Schenkeln fingerte.
„Welche?“
Josephine presste ihren Oberkörper auf das weinrote Kleid und zog ihren Mundwinkel empor. „Deine! Deine erotische Stimme macht mich so an.“
Tinette warf sie zu Boden und verdrehte die Augen. „Dann bring mir ein Bier.“

Die Hausherrin zuckte mit den Achseln, marschierte zum Kühlschrank, öffnete eine Flasche. Das Getränk in der linken flanierte sie zum Kleiderschrank.
Sie drückte Tinette das Bier an ihre weiß behandschuhten Finger, worauf sie den Daumen ihrer anderen Hand an ihrem Zeigefinger rieb. „Zwei Scheine.“
Josephine legte ihr Spielzeug auf den weinroten Rock, eilten sodann zu ihrer Handtasche.
Das Gesicht von ihr abgewandt, übergab sie Tinette den Lohn. „Bitte!“
Mit einem kurzen Lächeln nahm sie das Geld entgegen und stopfte es in ihren Ausschnitt. „Fang schon einmal an!“

Mit einer geschmeidigen Bewegung hob Josephine ihr langes gewelltes Haar an und kehrte ihrer Tischnachbarin den Rücken zu, worauf diese mit einer Handbewegung den Büstenhalter öffnete. Anschließend streifte Josephine ihren Rock ab, setzte sich auf das Sofa und ergriff ihr Spielzeug. Die Schenkel gespreizt, schaltete sie den Vibrator ein, umfasste, samt dem Geschirr, die Penisattrappe und strich mit dessen Spitze über ihre Schamlippen.
Die Dame an ihrer Seite nahm einen kräftigen Schluck. „Mir ist es vollkommen egal, was du mit deinem Alten hast“, echauffiert sie sich. „Solange für mich das herausspringt, was ich will.“ Sie sah zur Zimmerdecke und sinnierte: „Eine neue Identität könnte mir gefallen. Es war gar nicht mein Ansinnen.“
Sie klopfte auf Josephines Oberschenkel. Die mit geschlossenen Augen ihren Busen knetete.
Tinette starrte auf ihre kreisenden Pumps. „Ich wollte mich bei dieser Tunte rechen. Weißt du Schätzchen, es gibt schlimmeres, als Kerle, die sich wie Weiber benehmen. Entweder Schlitz oder Wurst dazwischen existiert nichts. Wenn sie partout eine Frau sein wollen, sollen sie sich unters Messer legen.“ Sie spreizte den Daumen ihrer linken Hand ab, fuhr an ihre Hüfte und zog den Daumen mit einer zügigen Bewegung über ihren Rock, fauchte: „Zack! Tut nicht weh.“ Die Augen geschlossen, zupfte sie am Ausschnitt ihres Kleides und richtete ihre Brust. „Investitionen!“ Sie wandte ihr Gesicht der in Schnappatmung gefallenen Josephine zu. „Weißt du, was grausamer ist?“ Josephine gab ihr keine Antwort, hechelte. „Nicht alle Weiße in Südafrika sind reich. Es gibt eine Menge Arme. Meine Mutter gehörte zu ihnen. Alleinstehend mit fünf hungrigen Mäulern in einem Slam leben, ist kein Zuckerschlecken. Klar, weshalb sie mich mit dreizehn verkauft hat.“

Josephine stand auf, stieg in das Geschirr, zog es über ihre Hüfte, versenkte den Vibrator in ihre Scheide und ließ sich erneut aufs Sofa fallen. Den Kopf in den Nacken geworfen, presste sie ihre Oberschenkel gegeneinander und umschlang den Dildo mit ihrer Rechten.
Unberührt vom Schauspiel, gönnte sich die Frau im weinroten Pünktchenkleid einen Schluck. „Erst dachte ich, es wäre vorbei mit mir. Mein Lude war echt in Ordnung, gab mir ein ausgezeichnetes Training und die Karriere startete. Ich habe mich auf Soldaten spezialisiert.“ Sie flüsterte: „Soldatenhure, geiles Geschäft. Spitz, wie die sind“. Sie spreizte ihre Schenkel. „Zack. Rein. Grunzt. Fertig.“ Tinette ergriff die Flasche und strich mit der Rechten über Josephines Knie, die, wie ein Vertreter des männlichen Geschlechts stöhnte, derweil die Silikonattrappe bearbeitete.
„Da schaffst du fünf, sechs Freier am Abend, merkst nicht einmal was davon.“ Sie betrachtete die Bierflasche. „Wäre ich nur nicht mit nach Lesotho gefahren. Nur, weil der Besoffene keinen hochbekam.“ Sie wedelte mit ihrem Zeigefinger. „Lass die Finger von Betrunkenen. Seine Brieftasche hätte ich ihm geklaut. Ich habe an einem Tag mehr verdient als die Kerle in einer Woche.“ An ihre Schläfe tippend, sinnierte sie: „Da stehle ich eine Börse. Die drei Jahre Haft hätte ich auf einer Backe abgesessen. Hatte gleich einen guten Draht zum Direktor, kleine Gefälligkeiten, du verstehst, bin halt Profi.“ Josephine tauchte, die Lider geschlossen, in ihr Innerstes ab, ließ dabei, wie ein Rüde beim Aufsetzen, die Zunge aus dem Maul hängen „Dann steckt er mir diese Tunte aufs Zimmer. Gut. Das Kind sah verdammt fertig aus. Die Kerle hatten kein Haar an ihm gelassen. Ich hatte Mitleid. Kurzer Deal mit dem Zirkusdirektor. Er kam frei und ich? Nur, weil ich dem Staatsanwalt keinen blasen wollte. Ohne Kondom! Ich hatte keinen Bock auf AIDS oder Ähnliches. Mir haben diese Schweine dann den Mord angehängt.“ Sie knuffte Josephine an. „Schatz, lass dir Zeit, sonst bist du fertig, bevor es losgeht.“
Sie stellte die Flasche ab, griff unter ihren Rock, zog ihren Slip über ihre Strapse, winkelte die Beine an und warf die Spitzenunterwäsche auf den Tisch. „Mit seinen Händen hatte er mich nie angefasst. Bis zu einem gewissen Grad verrückt war er. Ich musste mich verkleiden. Als Herrin so mit Sonnenschirmchen, wie die Frauen aus dem neunzehnten Jahrhundert herumlaufen. Daraufhin gab ich es ihm mit der Peitsche, sanft, nicht doll, mein Zirkusdirektor als Sklave. Gepoppt habe ich nur mit seinen Geschäftspartnern. Er erfühlt mir dann alle Wünsche. Wie im goldenen Käfig lebte ich. Aber ein Vogel muss fliegen. Er sah es ein.“

Sie schlug auf den Bauch der wild onanierenden Josephine. „Komm! Lass uns anfangen.“
Tinette nahm ihre Beine vom Tisch, schritt zum Bett und murmelte: „Eigentlich müsste ich deinem Vater dankbar sein“.
Sie blickte Josephine an, raffte ihren Rock an ihre Taille, kniete sich auf die Matratze und stütze sich mit den Händen ab.
Josephine erhob sich, schritt zum Nachtisch, wobei ihr falsches Glied wippte. Sie holte ein Hundehalsband mit Leine hervor. Ohne ein Wort zu verlieren, band sie das Halsband Tinette um.
„Nicht so eng. Ich bekomme keine Luft!“
Den Strick eingehängt zog Josephine fest am Riemen, sodass Tinettes Kopf nach oben schnellte.
Tinette verdrehte ihre Augen, entlastete den Zug, indem sie ihr Haupt anhob. „Dann zeig deiner läufigen Hündin, wer der Herr ist!“
Josephine sprang auf das Bett. Sie zerrte mit einer Hand an der Leine, mit der anderen drosch sie auf den Hintern ihrer Gespielin ein.
Wieder hatte er eine Reise hinter sich, einen Haken auf seiner Liste gesetzt. Er hatte die Wohnung nicht aufgebrochen, kein Verbrechen verübt. Ihr Schlendrian hatte ihm Einlass gewehrt. Die Terrassentür stand offen. Der Sprung über die Garage für einen alten ungeachtet alledem trainiertem Herrn ein Klacks. Ihr Reich in moderner Eleganz eingerichtet, sachlich, leblos, unpersönlich, wie in einem Einrichtungshaus. Kein Foto, keine liebevoll gesammelten Erinnerungsstücke zierten ihre Wohnung. Alles neu, er schmunzelte, jungfräulich.
Ihr Schlafzimmer in dezentem Pastell gehalten, ein Doppelbett, ein Kleiderschrank, der gefüllt mit Wäsche und Kleidung einer weiblichen Person, sich über die gesamte Zimmerwand erstreckte. Zwei Gegenstände lenkten sein Augenmerk. Beide jeweils in einer Schublade der Nachtschränke verwahrt, in welchen oft, für ihn unbestreitbar in Bayern, die Bibel lag.
Es war Spielzeug. Frauenspielzeug. Das eine klar, wie sie es verwendete, summte, brummte. Das andere fragwürdiger, ihm bekannt aus dem Klub seines Freundes. Ein an einem Riemen befestigter aus Silikon nachgebildeter Penis. Egal, wofür sie es benötigte, verwarf er den Gedanken im Bett nach Hautschuppen zu suchen, obwohl eine logische Erklärung ihm auf der Hand lag. Sie hatte einen Gatten, der, wie er ermittelt hatte, organisch einem Weib näher als einem Manne war.

Er wandte sich einem weiteren Raum zu. Bereits nach dem Öffnen der Tür entpuppte sich das Zimmer. Ein Mädchenzimmer, Shilas Reich, mit rosa Wänden, einem Himmelbett – wie kitschig, sowie einem Schrank vollgestopft mit Sachen, die Girls verlangten.
Seine Schnüffelnase trug ihn durch den Flur, zu einer verriegelten Tür. Das primitive Zimmerschloss überlistete er mit dem alten Dittrich. Der Raum ohne Möbel, mit kalkig getünchten Wänden war mit Ausnahme zweier Kartons mit Herrenbekleidung und einem Kleiderständer leer. Auf diesem baumelten einzig zweierlei Damenkostüme, eins orange-schokoladenbraun kariert, das andere klassisch mausgrau. Eingezogen war ihr Gatte nicht, schlief ihr bei, dies war seine Vermutung, wenn er es in seinem Fall dermaßen nennen konnte.
Wie er es vermutete. Im Badezimmer zwei Zahnbürsten in inniger Berührung in einem Glas. Sonst nichts, was auf das Leben eines Herren hinwies. Kein Aftershave, weder zerdrückte noch geöffnete Zahnpastatube, keinerlei Rasierer, nass geschweige elektrisch. Dafür das wonach er gesucht, erhofft hatte, der ideale Spender für Haarwurzeln. Ein Epilierer in femininen rosa ruhte neben gefalteten Handtüchern. Er trennte seine Teile, klopfte die kurzen blonden Härchen in eine Probentüte, verschloss sie.

Er war das erste Mal in der HafenCity. Die geschwungene Glasfassade der Elbphilharmonie verhüllte den Vorplatz mit ihrem Schatten, als sein Smartphone zu schellen begann. Eine Nachricht vom Seewolf erschien auf dem Display. Das Girl hieß Antonia Tütken, informierte er ihn. Tütken der Beweis ihrer Herkunft. Hatte Doc den Namen seiner Ehefrau angenommen? Woher der Seewolf es erfahren hatte, teilte er ihm nicht mit. Er hatte seine Quellen, Fundgruben, die er, Joos, vermied zu nutzen. Zu oft war er hereingefallen. Zumindest hatte sie einen Namen. Er ließ das Handy wieder in seine Anzugjacke gleiten und schritt die Straße „Am Kaiserkai“ in Richtung Osten entlang.

Das Haus, in dem seine Tochter wohnte, war nüchtern und kalt, wie alle Gebäude in dieser Gegend. Mit dem rechten Zeigefinger fuhr er über die Klingelschilder, suchte ihren Namen. Er kratzte sich am Genick, studierte ein weiteres die Schilder. Ein Nachname kam ihm bekannt vor.
Er murmelte: „Dohnhöfer“.
Er trommelte auf sein Kinn. Hatte sie ihm nicht erzählt, sie hätte das Apartment von einem Freund bekommen. Inwieweit waren sie und Stephen befreundet. Die Freundschaft zu Klara war ihm bekannt. Sie belog ihn. Klara für Josephine und ihn seit vielen Jahren Tod und Tanja?
Nach ihrer gemeinsamen Nacht hatte er sie aus seinem Gehirn geschlagen. Das hatte er ihr klipp und klar erklärt, zu jener Zeit, bevor sie aus dem Landrover gestiegen war. Er war ein alter Knacker und sie ein blutjunges Mädchen, das konnte nicht gut gehen. Erst als er sie im Gefängnis wiedersah, war sein Herz erneut entflammt. Er hatte oft darüber gegrübelt, nachdem er ermittelt hatte, dass Klara lebte.
Weshalb Josephine ihm nicht aufgeregt erzählt hatte, dass sie die Freundin bei ihrer Hochzeit gesehen hatte.
Die Zeit! War es der Zeitraum, der ihm das Gedächtnis getrübt, gefälscht hatte. Er war der Meinung gewesen, Tanja erblickt zu haben. Trotzdem hatte er sie nicht angesprochen, nicht berührt, damit seine Gefühle zu ihr dortblieben, wo sie hingehörten.
Inständig erwartete er, dass niemand die Tür öffnete und wenn doch? Er dann an der Wohnungstür in ein für ihn unbekanntes Gesicht starrte.

Der Summer brummte, die Haustür ließ sich öffnen. Das Hämmern seines Herzens erschwerte ihm den Aufstieg. Er schritt den Gang entlang, blieb an der letzten Tür stehen. Der Aufkleber am Klingelknopf vertrieb ihm jede Hoffnung. Erst ein Schatten am Türspion, dann die Stimme seine Tochter, die ihm dröhnend vermittelte, sie hätte sich geduscht, wäre nackt. Er schüttelte den Kopf, pustete den Inhalt seiner Lunge gegen das Türblatt.
Sie hätte es sich sparen können, einen Büstenhalter überzustreifen. Er gab ihren Busen die nötige Façon, trotzdem färbte der durchscheinende Stoff ihre vollen Brüste lediglich in einen grauen Ton. Ein Slip wäre ihm angebrachter erschienen, denn beim Bücken, um ihre verstreute Kleidung aufzusammeln, erblickte er nicht nur ihre blanken Pobacken.

Was er hier wolle, harschte sie ihn an. Er wäre ihr Vater und wolle ihre neue Wohnung besichtigen. Mehr fiel ihm nicht ein.
Viel gab es nicht zu inspizieren. Ein Standardappartement, möbliert, wie derart Unterkünfte die Touristen oder Monteure gern mieteten, karg, funktional. Ein Doppelbett, eine Kochnische, ein Sofa, ein Schrank, ein Fernseher an der Wand befestigt und ein Wohnzimmertisch mehr gab das winzige Zimmer nicht her.
Er schritt zum Tisch, hielt eine Hand über einen in seinem Ständer ruhenden Lötkolben. Zumindest war er kalt.
Joos erinnerte sich an die geifernden Aufrufe ihrer Mutter, dass er sie darüber aufklären müsste, wie das mit der Feuergefahr sich verhielt. Dafür war er bei den Besuchen geeignet. Hatte jedoch das Verhältnis zu ihr nicht gestärkt. Lieber wäre er mit ihr in irgendwelche Freizeitparks gefahren oder ins Kino gegangen. Allein Vater und Tochter. Der alte Drache hatte seine Frau fest im Griff, eine Auflage des Gerichtes erstritten, nur im Beisein der Noch-Ehefrau ihm gestattet, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Dies hieß für ihn, mit dem Teufel zu reiten. Selten hielt er es lange aus. Er hätte sich durchsetzen sollen. Ein Fehler, den er nicht mehr gutmachen konnte.
Dennoch musste er sie stetig wieder sehen. Der einzige Grund, warum er seinem Chef zugestimmt hatte, in psychologische Behandlung zu gehen. Verrückt war er nicht, eher exzentrisch, unkonventionell, ein Wesenszug, den biedere Beamte wenig schätzen. In diesen Momenten der Zweisamkeit freute er sich über ihren Entschluss, ihr Elektrotechnikstudium hinzuschmeißen und Psychologie zu studieren, obwohl die Sitzungen immer gleich abliefen.
Sie hielt ihm permanent vor, er hätte ihre Mutter in den Wahnsinn getrieben. Eine ausgeprägte Psychose hatte seine Holde, da stimmte er ihr zu. Der Grund jedoch nicht er, sondern die Alte, die sie vollends vereinnahmte. Inständig hoffte er, dass sie endlich das Zeitliche segnete.

Er schielte auf die elektronischen Bauelemente, fragte sie, was sie bastele. Sie repariere die Türsprechanlage, kam schroff über ihre rubinrot bemalten Lippen. Nach seinem Enkel wollte er erst gar nicht fragen, die Antwort ohnehin von ihr erlogen. Sie hatte nie eine mütterliche Beziehung zu ihm aufgebaut und er Josephine die regelmäßigen Besuche bei ihrem Ex-Mann nie erzählt. Er wusste, dass er es bei ihm guthatte. Seine neue Flamme ihn behütete, wie ihr eigenes Fleisch und Blut.
Joos schwärmte nicht von den Ausflügen, die er mit seinem Enkel unternahm.

Er hatte genügend gesehen. Den wahren Grund des Besuches ihr verschweigend, fragte er sie, ob er ihr Bad benutzen könne. Sie stimmte zu. Die fensterlose Nasszelle war in demselben Zustand, desolaten wie ihr Wohn- und Schlafzimmer. Der Wäschekorb quoll über, die Kloschüssel übersät mit braunen Rückständen. Angewidert schloss er den Klodeckel. Die Duschabtrennung und Duschtasse verkrustet mit Seifenresten, jedoch trocken. Geduscht hatte sie sich nicht, das stand für ihn fest.
Auf dem mit einem grauen Rand verzierten Waschbecken, lag das Ziel des Besuches, ihre Haarbürste. Kurz erfreute er sich über ihre mangelnde Sorgfalt und trat ans Becken. Auf der Bürste klebten derart viele Haare, dass ein fleißiger Perückenmacher seine Freunde darüber bekundet hätte.
Er zupfte den Fang herunter, stopfe ihn in eine Plastiktüte. Ein kurzes bis bald, hüpfte über seine Lippen, bevor er die Wohnungstür hinter sich verschloss.

Josephine lauschte an der Appartementtür, machte einen Schritt zum Garderobenschrank und schob die Tür zur Seite. Eine Frau in einem weinroten figurbetonenden Kleid mit weißen münzgroßen Tupfen stieg aus dem Wandschrank und richtete ihren wallenden Rock.


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Endlich Dreizehn
 
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molly

Mitglied
Hallo ahorn,
"In den Fängen des Sturms" Brauchst Du die Sätze auf "bayrisch" unbedingt? Sie stören meinen Lesefluss.
Schönen Sonntag und liebe Grüße
Molly
 

ahorn

Mitglied
Hallo molly,
leider ja.
Obwohl es in "In den Fängen des Sturms" nur spärlich vorkommt.
Hintergedanken:
Es spielt eine Rolle wann und / oder warum welcher Charakter in Mundart wechselt?
Außerdem zeigt er - zwar unterbewusst - auf wer er ist? Denn mein Roman ist und bleibt ein Krimi. Indizien!

Molly da du ein Insider bist.
Ausschau - Das Amt wartet nicht
Bärbel winkte ab, drehte der Alten den Rücken zu und murmelte: „Jetz is de Dande totoi duachgeknoit.“
Bärbel???
In diesem Abschnitt habe ich noch ein zweites Indiz eingewebt. ;)

Liebe Grüße
Ahorn
 



 
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