Flucht über die Nordsee 55: Komplott

ahorn

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Die Wellen brechen


Komplott
Drei grau melierte Herren und eine Dame mit nussbrauner Bubikopffrisur, gekleidet in einem orange-schokoladenbraun karierten Kostüm, saßen in einem Konferenzraum und schwiegen sich an.
Ein sonnengegerbter Mann, dessen von einem aschgrauen Haarkranz gezierte, im Sonnenlicht funkelte Halbglanz, an eine lockige, füllige Historik erinnerte, schmetterte seine kuchentellergroße, faltige Hand auf den Konferenztisch. „Zu viele Fehler haben wir gemacht. Was haben wir bis jetzt erreicht? Nichts! Nur gekratzt an der Oberfläche.“
Ein Herr im pechschwarzen Nadelstreifenanzug wandte sein Gesicht dem Vorredner zu. „Freund!“
Der Gegerbte wischte die Pranke an seinem verschließenden ehemals blütenweißen T-Shirt ab und zeterte: „Wir sind keine Freunde. Ich weiß, woran du denkst“, fuhr der elegante Gekleidete fort, „Den Jungen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Kollateralschaden!“
Der mit der Halbglatze packte ihn am Revers. „Kollateralschaden nennst du das. Kommandant Müller!“
Er zerrte die Pranke von seiner Jacke. „Du sollst mich nicht Kommandant nennen! Sagen wir, es war ein unglücklicher Zustand.“
„Du spinnst. Zwei Jahre haben wir ihn versauern lassen. Er ist ein Wrack!“
Müller verdrehte seine Augen. „Diplomatische Verwicklungen.“ Er verschränkte die Arme und kehrte seinem Gesprächspartner den Rücken zu. „Herr Neumann.“

Die letzte männliche Person, sie saß neben der Dame, erhob das Wort. Er strich über seine Uniformjacke und knurrte: „Können wir zum Thema kommen!“
Müller zerrte erneut an der Anzugjacke und wandte das Gesicht der Frau zu. „Hat sie Clouseau im Griff? Chief Commissioner Wouters“
Die Frau richtete ihren karierten Kostümrock, zupfte an ihrer Strumpfhose. „Clouseau?“
Er lehnte sich über den Tisch und lächelte sie an. „Kenne sie nicht Inspektor Clouseau?“
Sie runzelte ihre Stirn und zog ihren linken Mundwinkel empor. „Nein!“
Er sank in seinen Stuhl zurück, winkte ab, dabei fauchte er: „Egal! Wie weit sind sie. Bericht“, und faltete die Hände. „Deshalb sitzen wir heute hier. Oder!“ Er schielte zu Neumann. „Nicht um alte Kamelen zu lutschen.“
Neumann schlug erneut auf den Tisch. „Ich dachte, wir unterhalten uns über die undichte Stelle.“
Wouters zupfte an seinem Kragenspiegel, sah alle der Reihe nach an. „Ich glaube nicht, dass der Verräter unter uns ist.“
Auf ihn zeigend, starrte ihn, Müller an. „Clouseau?“
Der Angesprochene winkte ab. „Auf der Ebene habe ich ihm in Griff. Er bekommt, keine entscheiden Dokumente zu Gesicht. Er meint, er sei von Gewicht, als Sonderbeauftragter für Interpol.“ Er lachte. „Dabei karrte er unbedeutende Papiere durch Europa. Seine Art bereitet mir Sorgen. Er hat das Talent, sich zur falschen Zeit einzumischen, dann …“, er klatsche in die Hände und wandte sich Neumann zu. „Sie kennen ihn von uns am besten.“
„Er ist harmlos. Ein Weltverbesserer mehr nicht!“
Müller nickte. „Sind wir das nicht alle. Aber, was ist mit seinen Kontakten zum Milieu?“
„Kleinkriminelle!“, zischte Wouters.

Neumann presste seine Lippen zusammen, pumpte den Oberkörper auf und wandte sein Gesicht zu Müller. „Wer kriminell ist, ist wohlbekannt?“
Müller hielt ihm seine geballte Faust entgegen. „Es reicht. Ich weiß nicht, warum du heute hier bist. Du kannst uns ohnehin nicht helfen. Siehe dich auf deinen Olivenhain zurück.“
„Wen habe ich das zu verdanken?“
„Mir etwa? Sei froh, dass dir überhaupt jemand geholfen hat“.
„Geholfen? Bah! In die Scheiße habt ihr mich geritten. Du und deine Stasibande!“
„Wieder diese antike Geschichte. Sei froh, dass es die Stasi gab. Wärst nie in den Westen gekommen“, zürnte Müller, verschränkte die Arme und wandte sich ab.
„Du schmieriger Wendehals. Du hast das Fähnchen gewechselt. Einen Adler darauf genäht. Wer hat meine Mutter auf dem Gewissen?“
Müller tippte sein Brustbein. „Ich nicht.“
Neumann donnerte ihm entgegen: „Klar! Du hast ja noch in die Windel geschissen, aber dein Alter“.
„Erstens war es ein Unfall. Zweitens hat deine Mutter sich freiwillig gemeldet.“
„Loswerden wollte ihr sie. Unbequem war sie geworden. Du hättest deinen Vater fragen sollen, als du es noch konntest.“ Er atmete ein. „Eher er.“
„Du warst so frei?“, Müller tippte an seine rechte Schläfe. „Dir hat er es gebeichtet!“
Neumann ballte eine Faust. „Argumente!“
Gunnar Müller stieß gegen Neumanns Schulter, raunte: „Du warst einer von uns“, dabei tippte er an seine Brust.
„Klar. Ein Heimkind kann man alles erklären, dass die Mutter Heldin des antifaschistischen Widerstandes war, die Bundesrepublik von den Alt-Nazis befreiten, welches pubertierende Heimkind spring darauf nicht an. Mein Bruder tot beim Autounfall mit ums Leben gekommen.“
Müller hob die Schultern. „Sage ich doch. Alles freiwillig. Kleine Notlügen.“
„Angesetzt habt ihr mich, das System zu destabilisieren.“
Gunnar winkte ab „Was hast du gemacht, bist abgehauen!“
„Du spinnst. Ich habe gesehen, dass mein Bruder lebt. Ja. Ich bin mit ihm weg.“
„Warum bist du erneut unter unseren Schoß?“
Neumann senkte den Blick und rieb seine Hände. „Hatte Familie!“
Müller lachte hämisch. „Ja. Eine Frau und das Kind vom eigenen Bruder“.
„Wie kommst du auf diesen gequirlten Schwachsinn? Aus euren Stasiakten, wie? Abgetrieben hat sie das Kind, ohne mich zu fragen.“
Die Mundwinkel emporgezogen, wedelte Gunnar Müller mit der Rechten. „Du hattest doch eine schöne Zeit mit ihr.“
„Das habe ich gewiss nicht euch zu verdanken.“
Müller senkte sein Haupt, schielte seinen Tischnachbarn an und grinste. „Meinst du wirklich?“
„Hatte? Bis ich meine Beobachtungen mitteilte. Ich habe ihn gesehen?“ Er wandte sich Wouters zu. „Wer hat mich wieder weggeschickt?“
Wouters schüttelte den Kopf. „Alles unbewiesene Thesen.“
„Unbewiesen, dafür musste ich ins Exil.“
„Exil! Du wolltest ein neues Leben beginnen“, grummelte Müller.
„Aber nicht in dieses gottverlassene Land. Hätte ich damals gewusst, wen ich abfischen sollte, dann …“
„Aushorchen. Kontrolle nenne ich es. Du gehörtest dem gleichen Verein an.“ Gunnar schlug auf Neumanns Schulter. „Er übertrieb es eben.“
„Ich sollte nur Kontakte knüpfen“, fiel Wouters ins Gespräch an.
Neumann stand auf. „Ihr widert mich an.“
Die Frau wandte ihm ihr Gesicht zu. „Herr Neumann, hätten sie eine Zigarette für mich?“
Wouters runzelte seine Stirn. „Meine Herren! Sie rauchen?“
„Manchmal.“ Sie legte ein Lächeln auf. „Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch.“
„Ich gehöre der deutschen Minderheit an.“
Neumann schmetterte die Schachtel vor ihr auf den Tisch und zwinkerte ihr zu. „Hier! Kannst behalten Puppe.“
Sie blinzelte ihm zu. „Legen Sie sie bitte auf die Fensterbank?“, bat sie und zeigte über ihre Schulter.
Neumann verließ den Raum. Zum Abschied schlug er die Tür zu.

Die Frau verschränkte ihre Arme. „Darf ich endlich mal etwas sagen.“
„Bitte“, erklang es aus den Kehlen der übrig gebliebenen Herren.
„Ich steige aus!“
Die beiden Männer sahen sie bestürzt an.
„Bei uns steigt man nicht einfach aus“, donnerte Müller.
„Ich glaube, das klären sie erst einmal unter sich“, zischte Wouters und verließ den Raum.

Müller erhob sich, ging um den Konferenztisch herum und setzte sich neben ihr auf die Tischplatte.
Er sah sie an, strich mit dem Zeigefinger über ihr Dekolleté. „Du kannst nicht einfach aussteigen. Und warum?“
„Meine Sache. Ich habe alles veranlasst. Es läuft alles nach Plan. Ihr braucht mich nicht mehr.“
Sie stand auf.
Er griff ihr an ihren Busen. „Die jahrelange Ausbildung, alles für die Katz. Du weißt, was ich von dir verlange.“
„Unterminieren, die Macht ergreifen und das Netz von ihnen bekämpfen“, spulte sie ab.
Er griff unter ihren Büstenhalter.
Sie leckte über ihre himbeerroten Lippen. „Ich habe einen Fehler gemacht. Ein Mensch kam ums Leben.“
Er berührte mit dem rechten Zeigefinger seine Unterlippen. „Leise“. Er schwang den Finger im Kreis. „Die Wände haben Ohren. Schließ die Tür!“
Sie trippelte zur Zimmertür, schloss ab und ging zurück.
Er stellte sich vor ihr hin, legte eine Hand auf ihre Taille, glitt über ihren Rock. „Kollateralschaden!“
Sie streifte seine Finger ab, zog ihren Rocksaum bis zur Taille. Dann ergriff sie Strumpfhose sowie Slip, kniete sich nieder, bis der Stoff ihre Pumps berührte, und setzte sich auf den Tisch.
„Ich sehe, du verstehst mich“.
Er öffnete seine Hose. „Ich werde dir wie immer die Absolution erteilen.“
Die Frau stützte ihren Oberkörper auf der Platte ab, verschloss ihre Augen und spreizte die Schenkel. Er lachte.
Sie wischte eine Träne von ihrer honigfarbenen Wange und lächelte die Zigarettenschachtel an.



Unfall

„Wie?“
Mehr brachte Toni nicht hervor. Derart hatte sie sich mit ihrem Geständnis versöhnt. Toni war eine sie, ein Mädchen. Kein Mediziner der Welt vermochte sie mehr davon abhalten. All ihr Zaudern hatte sie über Board geworfen. Der Admiral zog zwar ihren Entschluss ins lächerliche, dennoch schien Bärbel diesen mitzutragen. Zweifelsohne hatte sie dieses behauptet.
„Wie?“, wiederholte Toni.
Bärbel ergriff ihr Rotweinglas, schwenkte es, strich über den Rand, betrachtete den Inhalt und wandte Toni ihr Gesicht zu. „Ich sagte dir bereits, Nahne war ein Schmuggler.“
Toni zog ihre eingefärbten Augenbrauen zusammen. „Vom Schmuggeln verletzt man sich das Bein?“
Bärbel nahm einen Schluck, umfasste das Glas mit beiden Händen. „Ja! Ich fange von vorne an.“ Sie stellte das Glas beiseite und wischte über ihre Lippen. „Alfons und seine Kumpane waren auf dem Mükke-Hof.“
„Auf dem Mükke-Hof, dem Hof von Josephines Großmutter. Der ist total verfallen“, fuhr ihr Toni ins Wort.
„Damals nicht. Die aal Dous hatte zuvor ihren Ulrik beseitigt“, maulte Bärbel.
Toni bedeckte ihre Lippen. „Beseitigt. Du meinst, sie hat Josephines Großvater …“
„Offiziell nicht! Er soll sich auf dem Deich erschossen haben. Selbstmord.“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber nicht der Ulrik. Nach der Beerdigung hat sie ein Teil ihres Landes als Bauland verkauft. Den Rest verpachtet, den Hof an Alfons vermietet und ist nach Bremen verzogen. Mein Vater hatte die beiden zusammengebracht. Du musst wissen, Nahne und Alfons waren …“, sie schwang mit dem Kopf, „Freunde oder so!“
„Ich weiß“, hauchte Toni.
„Woher?“
„Ich habe bei Matthias ein Foto entdeckt.“

„Meine Schwester und ich fuhren mit dem Fahrrad auf dem Deich“, begann sie ihre Geschichte.
Alfons kam ihnen in einem Wehrmacht-Kübelwagen entgegen. Auf seinem Schoß saß lächelnd Franziska und lenkte den Wagen. Sie passierten die Schwestern, Bärbel links, Sophia rechts vorbei. Franziska verriss und der Militärwagen stieß gegen Sophia. Sie stürzte den Deich hinab und brach sich den Oberarm.
„Aua!“, klagte Toni. „Was hat der Arm mit deinem Bein zu tun?“
„Wart ab!“ Bärbel biss auf ihre Unterlippe. „Die fuhren einfach weiter, als sei nichts geschehen. Wir zu Nahne. Er brachte meine Schwester zum Arzt, verbat uns, die Wahrheit zu sagen.“

Ein Kellern in pechschwarzen Dreiteiler trat an ihren Tisch, legte sein Haupt schief und starrte Bärbel an, als hätte er eine Fata Morgana oder gar einen Geist gesehen. Sie schüttelte unmerklich mit ihrem Kopf, zwinkerte ihm zu, leckte über ihre Lippen und gab die Bestellung auf. Der Ober blinzelte Toni an, woraufhin sie verschämt das Gesicht abwandte.
„Dann?“
Bärbel lehnte sich zurück und verschränkte ihre Arme. „Das mit dem Armbruch war schlimm – ja. Es stand aber für diesen Tag eine Tour von Nahne an.“
Ihr Vater sollte am Abend eine Fracht übernehmen, erzählte sie. Ihre Zwillingsschwester fuhr in den meistens Fällen mit. Mit ihrer Verletzung jedoch unmöglich, erklärte Bärbel, wobei sie ihre Aussage mit einem Stöhnen und einem Achselzucken unterstrich. Bärbel war zwar seefest, dennoch nie dabei, führte sie weiter aus. Ob Alfons in diesem Fall Auftraggeber oder bloß am Schmuggel beteiligte war, verblassten, wie sie sagte, ihre Erinnerungen. Sie erinnerte sich nur daran, dass Anton sich weigerte mitzufahren.
Toni zupfte an ihrem Ohrläppchen. „Wie Anton war dabei?“
„Klar! Anton und Valentin lebten bei Alfons und seiner Frau. Eine Nette.“
Sich ihrem neuen freien Leben bewusst, strich Toni, als könne sie es nicht fassen, über ihre lachsrosa bemalten Lippen. Der Admiral hatte es zwar zuerst abgelehnt, gar verboten, dennoch hatte sie Bärbel mit ihrem endlich gefunden Selbstvertrauen überredet.
„Valentin muss noch ein Kind gewesen sein?“, schlussfolgerte Toni.
Bärbel schloss die Augen. „Vierzehn, fünfzehn. Halt in deinem Alter.“ Sie beugte sich vor, bis Toni ihrem Blick nicht vermochte auszuweichen. „Weißt du nicht, dass die beiden Heimkinder waren und bei den Loibls zur Pflege lebten?“
Es ging ihr nichts an, war ihr egal. Sie verstand Matthias besser. Er hatte sich an den Großvater geklammert. Erging es ihr nicht ähnlich? Sie gleichfalls nur eine Oma und einen Opa kannte. Ihr Erzeuger ebenfalls ein Heimkind war.
Sie blickte zur Seite, zupfte an ihrem altrosa Kleid. Warum dachte sie wieder an diesen Kerl? Hatte sie sich nicht vorgenommen, ihn zu löschen? Oder war es Torben, welcher versuchte, sein endgültiges Ende herauszuschieben?

„Bereits beim Auslaufen lief er Grün an“, schreckten Bärbels Worte sie aus den Gedanken.
Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. „Hörst du mir nicht zu! Willst du alles erfahren ja oder nein?“
Eine Antwort blieb sie ihr aus. Der Kellner erschien erneut, balancierte zwei Teller. Beim Platzieren an Bärbels Seite erhaschte sie einen weiteren Blick. Sie sah in sein Gesicht. Er war jung. Älter als sie gewiss. Sie schätzt es, brachte es nahe an das von Matthias.
Er tänzelte um den Tisch, stellte sich an Tonis rechte Flanke und touchierte ihre nackte Schulter. Das Blut schoss ihr ins Gesicht und sie verfluchte ihre mit Rouge bedeckten Wangen. Denn jeder durfte, sollte es sehen, wie angetan sie war. Mädchen begehrten Jungs. Sie hatte Lust, die ganze Welt zu umarmen, dieser ihre Freunde zu verkünden.
Bärbel ergriff eine Gabel und lächelte den Salat an. „Lass es dir schmecken.“
Ob ihr der Salat mundete, konnte Toni nicht sagen, zumindest war er sehr übersichtlich. Die Tante tippte auf eine Gabel, die Toni mit einem Lächeln aufnahm.

Ein Blatt Rucola in den Mund schiebend, berichtete Bärbel weiter. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont. Tief hängende pechschwarze Wolken zogen auf. Die See wühlte, Nahnes Boot tanzte auf den Wellen, wie ein Stück Treibholz in der Brandung. Sie erreichten den Frachter, der mit seinen Positionslichtern die stürmische Nacht erhellte. Ihr Vater hatte Mühe, das Boot beidseits zu halten. Daher lag es in Bärbels Verantwortung, die Ladung zu löschen. Von Alfons war keine Sicht.
Erst nach einem Schrei des Kapitäns, der wie Neptuns Stimme durch den Sturm grollte, schälte sich der Umriss von Alfons aus der Gicht. Sein mit Erbrochenen verziertes, verzerrtes Gesicht zeigten ihr seine Qualen. Eine von einem Scheinwerfer beschienene Holzkiste, in der Größe eines Sarges, glitt an einem Tau über die bedrohlich wie die Eigernordwand emporsteigende Bordwand.

Bärbel legte ihre Gabel auf den Teller. „Dann ging alles schnell. Im nächsten Moment schlug mein Kopf gegen die Bordwand und ich hing kopfüber, verfangen mit dem Bein am Tampen. Wie es Nahne gelang, im selben Augenblick den Fahrstand zu verlassen, mit dem Fischermesser das Seil zu kappen, ist mir bis heute ein Rätsel.“ Sie drückte ihren Ringfinger an ihre Unterlippe. „Die Kiste sauste hinab und zerschlug eine Handbreit neben meinen Kopf.“
Toni verdeckte ihren Mund. „Was war drin?“
Sie verfluchte die Frage. Nach dem Wohlbefinden hätte sie sich erkunden müssen. Ihr Weg war lang. Sich als Mädchen zu bezeichnen, wie jene sich zu kleiden, war der erste einfache Schritt. Eins zu sein, dagegen mehr, als bei der Berührung eines Jungen zu erröten.
„Gewehre. Maschinengewehre.“



Mädchenträume

Bärbel steckte die Geburtsurkunde in ihre türkise Umhängetasche. Eine von ihren gigantischen Taschen, in dem sich ein halber Hausstand versteckte.
Ihren Kopf seicht gesengt, die Mundwinkel auseinandergezogen, starrte sie Toni an und schnarrte: „Verstehst du?“ Ihre Pupillen sprangen abwechselnd von rechts nach links.
Sie schnallte nichts, rein gar nichts. Was sollte sie von einem Mädchen wissen, welches Bärbel aus ihrer Handtasche gezogen hatte? Es war eine Urkunde, keine Person aus Fleisch und Blut. Sie hieß Antonia Tütken, war zwei Jahre älter als sie. Ihr Vater unbekannt und ihre Mutter war niemand anders als die Person, die ihr gegenübersaß. Bärbel.
Davon wollte sie mehr erfahren. Sicherlich es ging, ihr ans Herz zu erfahren, wie Bärbel ihre Verletzung bekommen hatte, sie litt mit, spürte förmlich den Schmerz. Bärbel hatte ihr alles vom Großvater erzählt, nur, welchen Zusammenhang gab es zu dieser Urkunde.
Nahne hatte einen Nebenjob, schmuggelte außerhalb der zwölf Seemeilen Grenze Verbotenes an Land. Er scheffelte Reichtümer, die nach Aussage von Bärbel er nie unter die Leute gebracht, sondern in einem Schließfach verwahrt hatte.

Toni zupfte an ihrem Ohrläppchen. Dabei stieß sie mit der Hand an die ausladende, durchscheinende weinrote Krempe des Schlapphutes, den der Admiral gemeinsam mit der gleichfarbigen Clutch aus ihrem Fundus gefischt hatte. Sie meinte, die Accessoires passten perfekt zu ihren in der gleichen Farbe gehaltenen Sandaletten. Sie empfand just in diesem Moment, keinerlei vergnügen daran Bärbel aufzuklären. Es waren nicht ihre Schuhe, sondern die, welche Tami vergessen hatte. Zusammen mit ihrem Kleid und ihrem Büstenhalter hatte Bärbel die Sachen gefunden, gewaschen und neben den anderen Mädchensachen in der linken Hälfte ihres Schranks verwahrt.
„Du hast ein Kind?“

Bärbel zerrte an ihrer türkisgrünen Strumpfhose. „Ich fühle mich wie eine Wurst. Du hättest eine Nummer größer kaufen können.“
Toni zupfte verlegen an ihrem Ohrläppchen. Gekauft hatte sie Strumpfhose. Da Bärbel nicht, wie bei einem Leichenschmaus gekleidet, mit ihr dinieren wollte. Der Admiral besaß ein einziges Kleid, pechschwarz, das sie für das Begräbnis der Großmutter erstanden hatte, dann einem Hosenanzug den Vortritt ließ.
Zu Olgas Boutique war Toni geradelt, sie fragen, wo sie Tami fände. Sie verspürte den Drang, nun da sie sich ihrer selbst eingestand, alles, aber auch alles, ihrer Freundin zu erklären. Den niedlichsten Rock, das mädchenhafteste T-Shirt hatte sie sich übergestreift, jedenfalls so weit sie dergleichen ihr Eigen nannte. Jedoch weder Chefin noch Freundin war zu gegen. Eine Angestellte half ihr bei der Wahl. Die Größe von Bärbel hatte sie geraten.

Gestritten hatte sie sich danach. Nicht, des engen Beinkleides wegen, dieses nahm Bärbel mit einem Lächeln in Kauf, was Toni mehr als verwundert hatte. Der Streit ging um das ihren Körper zierende Kleid. Beim Überstreifen hatte sie es erblickt. Eine Marotte des Admirals dieses entlarvt. Sie hatte ihren Rufnamen in einer Doppelnaht verewigt.
Das altrosafarbige Spitzenkleid war nie Tanjas Firmungskleid gewesen. Geschneidert hatte Bärbel es für sie, damit sie sich anständig bei der Hochzeit zeige. Nicht in ihren, wie es der Admiral bezeichnete, Schlabberlook. Keine Wette, nichts dergleichen. Alles geplant von Anfang an.
Ihr Wunsch, in ein weißes Kleid zu schlüpfen, hatte Bärbels Vorhaben durchkreuzt. Das Kleid, welches nach ihrer Aussage Tanja bei einem vorigen Besuch bewundert hätte, hatte Bärbel für eine Kundin gefertigt. Der einzige Grund, warum sie mit der Schwester Olgas Geschäft aufgesucht hätte, war, dass Bärbel bei der Schneiderin ausharrte. Somit hatte Toni selbst den Startschuss gegeben. Weder Tanja noch sie, meinte Bärbel, wären blind.
Toni zupfte an ihrem Ohrläppchen. Ganz fassbar kam ihr die Darstellung des Admirals nicht vor. Es gab Ungereimtheiten. Toni versteckt immer ihre paar Mädchensachen, trotzdem war es ihnen nicht entgangen, welche Vorlieben sie hatte.
Das Mädchen, für die Bärbel das Kleid genäht haben wollte, war in der Taille kräftiger und der Arm der befreundeten Schneiderin verstaucht. Als dann, teilte ihr der Admiral mit, Tami das Kleid zum Ändern brachte, sie sich sogleich umzog. Sie stopfte danach ihre Kleider in einen Stoffbeutel. Als sie, dieses stellte Bärbel klar, dann die Schneiderstube verließ, hätte sie die Beutel vertauscht. Daher waren in dem Stoffbeutel nicht die Kleider, die Toni an diesem Tag getragen hatte, sondern die Badesachen der Schneiderin.
Auf ihren Einwand, dass sie die Kleider am Folgetag eigenhändig auf die Wäscheleine gehängt hätte, antworte Bärbel lapidar, die Schneiderin hätte den Fauxpas bemerkt und wäre noch am Abend erschien.
Ob diese Geschichte Bärbels Fantasie entsprangen, somit gelogen war, oder sie es ihr bloß einreden, wie die Behauptung sie hätte die ganze Zeit geschlafen, wollte, konnte sie nicht beweisen. Zumindest stand für sie, Toni fest, dass Bärbel mit im Schlafzimmer war. Der Traum in der Kirche, entsprang ihrer Fantasie.
Ein Wort gab das anderen, bis Toni zusammenbrach, weinte und Bärbel alles gestand. Danach lagen sie sich in den Armen. Toni war frei und verbannte endgültig Torben. Dieses verlangte der Traum von ihr. Denn allein ein Mädchen kann eine Nonne werden.

„Toni“, schmetterte ihr der Admiral entgegen. War sie vor Minuten die Verständnisvolle, so mutierte sie ohne einen bekannten Grund mal wieder zum Führer einer Streitmacht.
Ihre schlangenhaften Bewegungen, ihr grimmiges Gesicht reizten Toni. Keine plausible Antwort kam über ihren glänzenden Mund. Dabei schnürten sich die Riemchen des Büstenhalters in ihren Oberkörper ein, machten sie wahnsinnig.
Das Wort Toni geisterte durch seinen Kopf. Toni, Antonia. Toni, Antonia spukte es. Toni zupfte an ihrem Ohrläppchen.
Sie war zwar ihren Gefühlen gefolgt, hatte sich entschlossen, ein Mädchen zu sein, jedoch blöd war sie deshalb nicht geworden. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass Tanja ihre Tochter denselben Namen gegeben hatte?
„Jetzt verstehe ich.“
„Was?“
Toni legte, soweit sie in der Lage war, ihr niedlichstes Lächeln auf. „Weshalb ihr mir den Spitznamen Toni gegeben habt? Der Vorname Antonia gefällt dir, und nun ja …“
„Ja. Ich gebe dir recht.“ Bärbel erfasste Tonis Hand. „Wenn ich eine Tochter hätte, dann würde ich sie Antonia nennen.“
Es war heraus. Tanja hatte sie belogen. Es war keine Schande, kein Verbrechen, ein Kind zu verlieren. Ganz im Gegenteil. Es sprach für Mitgefühl, darüber zu sprechen.
Die Trauer, auch wenn diese bereits seit Jahren ihren Höhepunkt überschritten hatte, zu teilen. Sofern jene Geschichte von Tanja erlogen war, was sagte dieses über den Rest aus?
Toni strich über ihr Kleid. Sie hatte es bereits beim Anziehen in ihr Herz geschlossen. Bis auf den Bereich, an dem Frauen einen Busen ihr Eigen nannten, war es ihr auf die Haut geschneidert. Sie zupfte erneut an den Riemchen, die sich weiterhin in ihre Schultern schnitten. Wie hielten es Frauen nur aus, jeden Tag diese Qualen zu erleiden? Vielleicht lag es daran, dass sie Tamis Büstenhalters trug.
Was wusste sie? Jedenfalls bewies der Name in der Naht, für wen Bärbel es geschneidert hatte. Warum hatte sie sich dann in jenem Bereich vertan? Sie kannte ihre Maße.
Dieses war jedoch das kleinere Übel. Der Zeitablauf veranlasste Toni zum Grübeln. Jeden einzeln Schritt ließ sie Revue passieren.
Tanja sagte ihr an dem Samstag, an welchen sie die Kleider gekauft hatten, dass das Firmungskleid existiere und ihres war. Die Aussage war erlogen, konnte nicht sein, dies hatte Toni herausgefunden. Somit hatten die Frauen ihren verwegenen Plan längst gefasst.
Wenn es gar das Ziel von ihnen war, dass sie als Mädchen mit ihrer Tante in einem piekfeinen Restaurant dinierte, hatte sie rückblickend nichts einzuwenden. Dieses hätte sie gewiss einfacher, ohne Umwege erreicht. Damit schloss sie jenes Ziel aus. Ihre Gedanken klärten sich weiter. Das zweite Kleid? Das weiße Kleid, dass sie in der Kirche getragen hatte. Wieder taten sich Gräben zwischen Erzählten, dem Erlebten und der Logik auf.
In Olgas Boutique lagerten Hunderte von Kleidern. Obzwar Tanja eine Vorauswahl getroffen hatte, hatte sie, Toni das Kleid erwählt. Nicht einmal Tanja vermochte sie, derart zu beeinflussen. Hiermit war das Kleid gewiss kein Allerweltskleid, jedoch nicht von Bärbel handgefertigt. Außerdem hätte sie die Tante gezwungen, es sich überzustreifen, um den Schwung des Kleides in der Bewegung zu erfahren. Da dieses, wie sie bezichtigte, für eine Kundin gefertigt hätte. Stopp!

Der morgige Flug wurde gestrichen, da habe ich einen früher genommen.
Woran sie sich alles erinnerte, nachdem der Druck von ihr abgefallen war. Druck. Bärbel stand unter Druck, unter Zeitdruck. Eine Hasst, welche gar nicht vonnöten war. Bärbel hatte einen ganzen Tag Zeit, um Tanjas Hochzeitskleid zu ändern.
Toni zweifelte bereits öfter daran, ob das Brautkleid überhaupt von ihrer Mutter stammte. Es existierte bloß ein Ort, an dem sie es verwahren konnte. Nie hatte die Großmutter ihr von diesem Kleid erzählt, dieses ihr präsentiert, obgleich das Brautkleid einer Frau etwas besonders darstellte.
Es gab einen plausiblen Grund. Die Frauen hatten es von vornherein geplant, abgesprochen. Sie sollte bei der Ankunft von Tanja in diesem Kleid stecken, damit die anschließende Wette einen Sinn ergab.
Der Teufel lag im Detail, wie der Admiral zu sagen pflegte. Mit der Serviette tupfte sie sich ihre Lippen und stand auf. Sie bedurfte eines Moments der Einsamkeit.

Der junge Kellner tänzelte mit einem Tablett an ihr vorbei. Sein charmantes Lächeln ließ sie zweifeln. Sie dachte zu linear, erachtete nicht alle anderen Ansätze. Denn Spruch zwei Wege, ein Ziel hatte sie im Kopf. Was, wenn es diesmal zwei Ziele, ein Weg, die Realität erfüllte? Dann entsprach sie dem Weg und das Ziel …?
Ihr fiel die Situation vor dem Standesamt ein. Na ja, eigentlich war es ihr eher peinlich gewesen. Als Mädchen über den Bauernhof zu laufen, oder in einer Gruppe Frauen zu shoppen, war eins. Jedoch in einem Etuikleid vor einem Standesamt zu stehen, wissend darüber, dass jeder Passant sie erblickte, musterte, anstarrte, alles andere als lustig.
Trotzdem hatte sie beobachtet, wie Tanja und der Admiral diskutierten, möglicherweise stritten und sich des Öftern zu ihr umsah. Damit ging es um sie. Ohne Frage. Aber?
Sie schritt zur Ausgangshypothese zurück. Wenn es von ihnen geplant war, dass sie als Mädchen dort stand, ging es nicht um ihr Kleid.
Trotzdem sollten wir vorsichtig sein. Ich wollte dich nicht mehr hier haben.
Diese Sätze von Tanja hatten für sie einen neuen Sinn. Sie erinnerte sich genau. Den Ersten sprach Tanja zu ihr, als sie am ersten Abend in Alinas Zimmer saßen. Toni hatte diesen damals eher auf die Loibls bezogen.
Übelkeit überkam sie, als sie Bärbel betrachtete.
Den Zweiten vernahm sie von ihrer Schwester in deren Wohnung, nachdem die Tür hinter sie zugeschlagen war. Sie war der festen Überzeugung gewesen, dass Tanja Torben meinte. Wen sonst? Indes sprach sie Antonia an.
[/i]Darf ich euch vorstellen – Antonia. Meine Tochter! Deswegen habe ich dich am Samstag gequält, damit dir der Spaß missfällt.[/i]
Ihre Schwester liebte sie.
Tanja hätte von ihr nie etwas verlangt. Inwieweit sie ihr, Toni damit einen Gefallen bereitet hatte, hatte sie nicht gewusst. Sie ahnte nichts, aber auch gar nichts. Genauso wie? Toni wandte sich um, betrachtete Bärbel, die sich am Rotwein labte.
Hereingefallen auf die Alte war sie. Ohne Zweifel hatte sie, Toni in ihrem Kleiderschrank, die von Tanja gekauften Kleider sowie die von Tami, entdeckte, jedoch nicht ihre Schätze. Die von ihr in ihrer Truhe versteckten Röcke. Die Röcke, die sie sich immer überzog, wenn sie es absolut nicht mehr aushielt. Ahnungslos, unwissend. Bärbel ging bestimmt davon aus, dass Tanja sie infiltriert hatte. Tanja hatte sie angerufen. Es war ihr Geburtstag. Vielleicht, nein, anschaulich war der Admiral der Ansicht, sie, Toni wüsste Bescheid.
Die Ziele der Frauen drifteten auseinander. Das Erbe der Loibl. Eine Ehe, ein Kind. Spielte es dabei eine Rolle, ob das Kind leiblich war. Ein Kind war ein Kind. Stiefkind, Adoptivkind, alle Varianten erschlossen sich ihr.
Aus der Sichtweise der Loibl gab es keine Frage. Toni grübelte. War es Tanjas Plan, sie zu adoptieren? Ging dies? Legal gewiss nicht. Wenn Toni die Illegalität ausschloss, gab es zwei Spielarten. Keine von diesen verzückten sie. Sie machten ihr eher Angst. Die Erste: Tanja war nicht ihre Schwester. Die Zweite: Tanja war ihre leibliche Mutter. Nein. Nein! Sie sollte, und dieses präferierte sie, einzig eine Zeit das Kind mimen.
Sie zupfte an ihrem Ohrläppchen, welchen Vorteil, welch Ziel hatte der Admiral?
Antonia Tütken. Wenn ich eine Tochter hätte, dann würde ich sie Antonia nennen.
Bärbel liebte Kinder, hatte keine Eigenen, bis, bis auf? Das Mädchen von der Geburtsurkunde. Ein Kind auf dem Papier, nicht echt. Andernfalls?
Woran erinnerte man sich? An alles? Weniger. Einzelne Bilder, wie in einem Fotoalbum, blieben hängen. Unter Umständen fiel, dass eine oder andere heraus oder vergilbte.
Geburtsurkunde. Geburtstag , dachte Toni. Ich stand an ihrem Grab, habe sie nie in meinen Arm gehalten, verstehst du nicht.
Wenngleich es Tanjas Worte waren, war es nicht ihre Geschichte. Wie erging es einer Frau, welche desgleichen Schicksal ihr Eigen nannte?
Der Kreis schloss sich. Am Standesamt hatte Tanja mit dem Admiral den Degen gekreuzt. Vermochte es ein Kind, ein Mädchen, gleichsam Tochter wie Nichte zu sein? Deshalb sollte, wie Tanja ihr gestanden hatte, die Hochzeit platzen. Der Admiral hatte es von ihr verlangt. Damit war sie, Toni der Zankapfel. Denn wer Antonia besaß, war der Sieger. Ihr blieb die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Toni hatte den Gang zu den Toiletten erreicht. Umgewandt regte sie sich, streckte den Hals, blicke zu Bärbel hinüber. Ein schüchternes Lächeln auf den Lippen winkte sie jener mit den Fingern zu. Worauf Bärbel den Gruß, unterstrichen mit einem breiten Grinsen, erwiderte.
Das Wort Geburtstag kreiste ihr im Gehirn, löste sich mit Fehler vom Amt ab, wie es Bärbel umschrieben hatte. Was wusste eine Dreizehnjährige noch aus ihrer Kindheit? Wie das Fotoalbum, das Bärbel ihr gezeigt hatte, löchrig. Schlimmer. Nur einzelne Bilder klebten verstreut auf sonst leeren Seiten.
Lüge. Betrug. Wut gar Hass keimte in ihr auf, sich sogleich zu rächen.

Ein Lächeln flog vor den Örtlichkeiten über Tonis Mund, sie dachte an Tamis Story mit dem Urinal. Sollte sie es Bärbel zeigen? Den Rauswurf aus dem Restaurant riskieren. Einen Schlussstrich ziehen?
Was brächte es ihr? Ein Kampf zerbrach alles, was sie erreicht hatte. Die paar Stunden in Freiheit der Geschichte zusprechen, um wieder in ihr Gefängnis zurückzukehren. Zu viele Jahre hatte sie bereits ihrem Zwiespalt geopfert. Niemanden, gar niemanden erlaubte sie mehr, über ihr Leben zu richten. Egal, wer, oder was es war. Nicht einmal ihre Gene sollten sie abhalten. Sie war ein Mädchen und Schluss.



Gleichgesinnt

Sie ging zu den Damen. Einen Blasendrang verspürte sie zwar nicht, dennoch betrat sie eine Kabine, verriegelte diese, da sie Schritte vernahm.
Stille, bis auf das Spiel eines Geigers, dessen Gefiedel aus einem Lautsprecher drang, kehrte wieder ein. Sich umsehend, verließ sie die Kabine.
Mit ihren in altrosa lackierten Fingernägeln zupfte sie, über den Waschtisch gebeugt, an ihren blauschwarz eingefärbten Wimpern, öffnete ihre Clutch und malte sich die Lippen nach. Weinrot wie ihr Hut. Sie drehte sich, bis sie ihre Flanke im Spiegel betrachten konnte, sinnlich strich sie über ihr Kleid, an der Brust entlang, über den aus Taschentüchern geformten Busen, gehalten vom Büstenhalter, der ihr Angst bereitete.
Nicht das Anglist eines dreizehnjährigen Mädchens erschien ihr, sondern das einer nahezu erwachsenen Frau.

Toni rannte zurück in die Kabine, schloss ab und kauerte sich auf der Kloschüssel zusammen. Sie zählte bis zehn, rupfte an der Toilettenpapierrolle und zupfte an ihrem Ohrläppchen.
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Auf Neufundland, die Pelze warten.
Auf Ceylon steht der Pfeffer im Hafen.
In Kopenhagen deine Deern bei der Meerjungfrau weint.
Springe hoch und sei gewiss,
dass die Erde keine Scheibe ist.
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Jahrelang hatte sie jene verdrängt. Seitdem sie am Schwanken, polterten ihr unentwegt die platten Gedichte des Opas im Kopf herum. Sie waren dilettantisch, sie waren grausam, zumindest hatten sie einen Kern.
Ihrer Finger tasteten zum Riegel, zogen an dem Knauf, bis das Neonlicht des Vorraums die Kabine erhellte. Sie spähte durch den Spalt. Der Ort lag verlassen vor ihr, nur das Spiel des Geigers, das die Luft durchsetzte, vernahm ihr Gehör. Die Hände an den mit Spitze besetzten Rock gedrückt, schlich sie wieder zum Waschtisch. Sie ihr das Gesicht, bis sie das Gegenüber erblickte. Die Gestalt war ihr nicht mehr so ganz fremd. Sie kniff die Augen zu.
Wie Harry Potter im Spiegel Nerhegeb seine Eltern ersehnte, spähte sie auf eine lächelnde Frau, um deren Taille sich ein Arm schlang. Der Arm eines Mannes mit kupferroten Schopf und kantigem Gesicht, das grinsend nach unten blickte. Dabei das Lächeln eines in einem weißen Kleid gehüllten, rotblonden Mädchens empfing.
Toni schüttelte den Kopf, schlug sich an die Stirn. Der Plan der Tante sie als Antonia zu missbrauchen, ihre Unschuld deren Verlangen unterzuordnen, kaum weiter Tanjas angestrebten Absicht entfernt. Bloß mit dem Unterschied, dass sie in freier Handlung mit ihr den Törn zu segeln vorhatte.
Das Ziel vor Augen, ohne es direkt mit ihr besprochen zu haben. Ailsa Graig eine Insel in der irischen See, in deren Gewässern der Großvater geschwommen, kielholte, zu einem neuen Leben erwacht war. Die Vergangenheit hinweggespült hatte. Welche, hatte er nie erzählt, unergründbar wie die Welt vor dem Urknall. Es war der Tag, an dem er alljährlich seinen Geburtstag feierte.
„Die Erde ist eine Kugel“, murmelte Toni. Warum sollte sie die Bitte der Tante abschlagen. Lag darin nicht eine Chance als Gegenleistung, mehr zu erfahren. Ein ähnliches Geschäft, wie sie es mit der Schwester abgeschlossen hatte. Sie von ihr erbat, verlangte, einmal noch die Tochter zu mimen, damit sie ihre Freiheit erlangte. Wie sie die ihrige ersehnte.

Gott, wie dumm sie war. Anstatt sich dauernd ihrem eigenen Streben zuzuwenden, hatte sie die Welt aus den Augen verloren. Nur mit einem Auge diese wahrgenommen. Nein! Mit beiden, aber ohne Seele. Das Band, welches sie verknüpfte, nicht hinterfragt.
Stephen, Jannette. Jannette, Stephen. Das verlorene Kind, die Lüge Gertruds gegenüber spannen sich zu einem Muster zusammen. Stephens Körperbau sowie seine Gestik, seine Mimik, welche er in angespannten Zustand offenlegte, gleichermaßen Tanja Eingeständnis ihrer Liebe. Der Liebe, die sie mit einer Frau pflegte.
Sie hatte sie gesehen. Wie Tanja Aishe liebkoste, dennoch die Sachlage missverstanden, als Aishe mit Jannette verschmolz. Es waren blank Zärtlichkeiten, die Frauen ohne Scham, ohne Hintergedanken austauschten.

Franziska lief über vor Liebe, hatte sie nicht erkannt, wer sie war. Die Trennung von ihrem Mann, Anton trieben sie wieder in die Arme ihres Vaters. Einen Menschen, der, mit seinem Wahn, nichts verstand. Oder? In Stich gelassen hat er uns. Unsere Ideale verleugnet. Ehre.
Die Worte von Matthias hallten in ihrem Schädel nach. Das verknöcherte Bild, welches Alfons von Frau gehegt hatte. Dieses war der Auftrag, den der Alte seinem Enkel auftrug. Ohne Aufsehen, das zu werden, was seine, Stephens Seele von ihm verlangte. Im Ausland ohne Aufsehen, ohne Hinterfragen die Identität zu wechseln, sicherlich einfacher als daheim. Warum hatte Alfons daraufhin dieses Testament geschrieben? Dieses ergab keinen Sinn.
Toni zupfte an ihrem Ohrläppchen. „Es sei denn, er liebte zwar das Enkelkind, jedoch wollte er seine Tochter bestrafen“, murmelte Toni seinem Spiegelbild zu.
Denn, dieses war Toni mehr als bewusst, ein Mann, der einmal eine Frau war, konnte keine eigenen Kinder zeugen.
Gertrud? Gertrud sehnte sich nach Jannette, himmelte sie förmlich an. Sie wusste, wer Stephen war. Ein Kind vermochte er zu haben.
Gleichsam ergaben Alinas Andeutungen einen Sinn. Wie in jeder Seemannsgeschichte war in jener ein wahrer Kern. Hatte sie Stephan nicht als falsch tituliert? War sie hinter seine wahre Identität gekommen? Zum Teil. Sie wusste das, was sie, Toni ahnte. Zum Teil. Hatte Alina ihr nicht von dem Geschlechtsakt berichtet. Wie sie, Alina behauptete, Tanja hätte in Stephens Zimmer mit einem Mann geschlafen, welcher nicht Stephen war. Den Stephens Beine zierte kein Haar. Toni schloss ihre Augen. Es war nicht Tanja, sondern Stephen, Jannette und der Mann?
Sie riss ihre Augen auf. Vale! Der eigene Vater. Nein! Anton war Jannettes Vater. Ein Brechreiz überkam sie derart brachial, sodass sie ihre Hand gegen ihren Mund presste, abermals zur Kabine lief, und ihren Kopf in die Schüssel steckte. Der Schwall, den sie aus ihrem Mund entließ, befreite ihren Magen, jedoch nicht ihren Kopf. Ihre Gedanken überschlugen sich, eilten zurück und revidierten eine Theorie, verpaarten sich mit der Geschichte von Franziskas Entjungferung.

Aus Franziskas Worten klang mehr als nur Lob. Mit dem Abstand, den sie aufgebaut hatte, hörte es sie sich eher wie eine Prophezeiung an.
Schuld, unendliche Schuld, trug Franziska auf ihren Schultern. Sie brachte Jannette auf den Hof. Ein junges Mädchen, was nur eins sein wollte. Ein Junge. Dann?
Toni beugte sich erneut vor, spie den Rest heraus. Es war zu widerlich, um überhaupt daran zu denken. Alfons war es egal, was mit ihr geschah. Ihm ging es allein, um die Frucht in ihrem Laib.
„Alina“, murmelte Toni.
Schuld? Schuld und Sühne. War das Vermächtnis des Alten eine Wiedergutmachung? Der Enkel war Alleinerbe, nicht seine Töchter. Oder doch. Nein! Jetzt ging es mit ihr durch. Niemand, nicht einmal dieser Verknöcherte wäre derart abscheulich.
„Es sei denn?“
Er ging davon aus, dass Jannette nie wiederkäme. Ihr Motorradunfall weniger ein Unfall als ein Attentat war. Rache! Ihre Rache. Alfons' Tod kein altersbedingtes dahinscheiden, sondern … und Gertruds Fenstersturz. Nein. Tanja? Tränen rannen über ihre Wangen. Nein, Nein! Liebe war ein Motiv.
Toni verließ die Kabine, strauchelte zum Waschtisch und wusch sich den Mund aus. Was hatte sie, mit diesen Loibls und Dohnhöfer zu schaffen? Nichts. Sie schlug mit geballten Händen auf den Waschtisch und flechte die Zähne.
„Gar nichts!“
Tanja und Bärbel waren ihre Familie. Obgleich Bärbels Wahn, ein Mädchen ihr eigen zu nehmen, nicht minder verrückt war. Sich zum Spiegel vorbeugt, malte sie erneut ihre Lippen nach. Ein Lächeln zuckte über ihren weinroten Mund.
„Bärbels Reise?“
Sie richtete ihren Hut, betrachtete die junge Frau, bis sie mit ihr endgültig verschmolz.
„Mademoiselle Antonia Tütken, très bien alors. Wie wäre es mit einer Weltreise?“



Chefsache

Das Wesen, welches sie im Spiegel entdeckt hatte, stärkte ihren Charakter. Die Nase erhoben, stöckelte sie zurück, warf die Handtasche neben den Teller, auf dem das Coq au Vin sie begrüßte.
„Wo bleibst du, so lange. Hast wohl Verstopfung, oder“, Bärbel starrte sie an, grinste, klopfte sogleich auf den Tisch und hielt sich den Bauch, „deine Tage?“
„Sehr witzig!“
Weiter kam Toni nicht, denn ein untersetzter Mann mit Vollglatze trat an ihren Tisch.

„Frau Tütken, wie freu ich mich, sie zu sehen.“
Der Mann hielt Bärbel seine Hand hin.
„Herr Mohnleib, die Freunde liegt auf meiner Seite“, schmachtete sie, beugte sich vor und erwiderte den Gruß.
Er richtete seine rotgepunktete Krawatte und wandte sich Toni zu. „Tanja, du wirst immer schöner!“
Toni verdeckte den Mund, kicherte und kehrte dem Herren den Rücken zu. Worte auf Französisch drangen in ihr Ohr, nicht verwundert diese Sprache zu vernehmen, immerhin saßen sie in einem französischen Restaurant, eher, über welche Lippen sie flossen. „Sei still, ich mache das, der Herr ist mein Chef!“, flötete Bärbel und an Herrn Mohnleib gewandt. „Da irren sie sich. Die junge Dame ist meine Tochter.“
Toni drehte ihren Oberkörper und hielt dem Herren im schwarzen Nadelstreifenanzug ihre rechte Hand unters Kinn und zirpte: „Bonsoir mon Monsieur!“, dabei schielte sie zu Bärbel. „Ich dachte, es geht um deine Scheintochter“, flüsterte sie in der Zunge der Poesie.
„Später“, zischte Bärbel in der Sprache der gallischen Freunde zurück.
Herr Mohnleib erfasste Tonis Hand und hauchte einen Kuss auf deren Handrücken. „Mademosäille.“ Dabei errötete Toni, während Mohnleib in die entgegen liegende Ecke des Restaurants wies. „Gern hätte ich mich mit ihnen unterhalten.“ Er stöhnte. „Aber meine Gattin wartet auf mich.“ Er verneigte sich, schritt durch das Lokal.

Toni bekam den Mund nicht mehr zu. Vor ein paar Sekunden war sie felsenfest davon überzeugt, dass der Admiral nicht richtig in der Birne tickte, verbreitete sie nun ihren Wahn gleich darauf in die Welt. Konnte Bärbel ihre Gedanken lesen?
„Wie?“
Nein! Sie musste Bärbel an ihrer Achillesferse treffen.
„Wer ist Antonia Tütken? Hast du ein Kind?“
Bärbel schlug auf den Tisch. „Hörst du mir den nie zu. Ich habe es dir bereits dreizehnmal erzählt.“
Toni zweifelte an ihrem eigenen Verstand. Sie hatte nur einen Verdacht, nicht mehr.
„Mir geht es vollkommen am Arsch vorbei, in welcher Fantasiewelt du lebst. Ob Prinzessin, Pirat, Detektiv oder“, Bärbel starrte sie an, „feine Dame. Ich habe einzig eurem Vater versprochen, Gott habe in selig, wenn ihm etwas zustoße, euch großzuziehen, ein Heim zu geben und für eine gute Ausbildung zu sorgen. Jetzt bin ich mal dran. Dies habe ich dir gleichfalls dreizehnmal erzählt“
„Aber?“
„Nichts aber. Karl hat recht, ich war immer zu nachgiebig mit dir. Mal hü, mal hott, bei dir weiß man nie, woran man ist. Mal ein Anzug, mal ein weißes Kleid.“
Toni verstand. Bärbel nahm sie hoch, sie liebte diese Spiele und sie spielte, jedenfalls manchmal, gern mit.
„Das war nur eine Wette, aber …“
Denn Rest des Satzes: jetzt ist es mir ernst, konnte sie nicht mehr aussprechen, da der Admiral ihr sogleich Paroli bat.
„Jetzt hör mit diesem Schwachsinn auf. Tanja hat mir andauernd erzählt, dass du von irgendeiner Wette gefaselt hast. Du weißt“, sie drohte, „Wetten sind des Teufels.“

„Trotzdem habe ich gewonnen.“
„Eine Wette, die nicht existiert, kann man nicht gewinnen. Ich sage immer, du hast eine lebhafte Fantasie. Dies ist alles. Wann sollte diese Wette zustande gekommen sein.“
„In der Küche. An dem Tag, als Tanja von Spitzbergen kam und ich ...“
„Tanjas Hochzeitskleid anhattest. Ich war dabei. Aber von einer Wette habe ich nichts vernommen. Das Einzige, was ich vernahm, war dein Betteln.“
„Betteln?“
„Ja betteln. Du wolltest auch so ein schönes Kleid wie deine Schwester haben. Nicht nur dies, ich sollte es dir schneidern.“
Toni starrte auf Bärbels leeres Rotweinglas. Wie viele hatte sie bereits geleert?
Dann betrachtete sie ihre Hauptspeise. „Hattest du nicht Jakobsmuscheln, als Vorspeise bestellt?“
Bärbel runzelte ihre Stirn. „Hast du längst gegessen.“
„Wann?“
„Lenke nicht ab. Bevor du kurz auf die Toilette bist. War ein Spaß von mir mit dem lange verweilen. Du bist rein und kamst gleich wieder heraus.“
Sie zupfte an ihrem Ohrläppchen. Bärbel war besoffen. Toni schmunzelte. Dann stand ihr ein lustiger Abend bevor. Bärbel vertrug nicht viel, wie Tanja ihr verraten hatte. Genau! An dem Tag mit der Wette hatte Bärbel gleichfalls gepichelt, wie es Bärbel bezeichnete, wenn Tanja zu tief ins Glas schaute.
Zurücklehnen und gestehen war nun ihre Devise. Es war ihre Chance, der Tante ihre Seele zu öffnen, denn eins war ihr bewusst, am nächsten Morgen erinnerte sich Bärbel an nichts mehr.

„Ja, du hast recht. Es war mein Traum. Ich hegte ihn seit Josephines Hochzeit. Es war mir peinlich.“
„Was ist daran peinlich, ein Kleid zu tragen?“ Bärbel reckte sich. „Na ja, meins ist es nicht.“
„Tante!“
„Tut mir leid. Ich verstehe dich. Aber mal hü mal hott, man kann sich nie auf dich einstellen.“ Sie hob ihren Arm und drohte erneut: „Aber dieser Tuschkasten in deinem Gesicht, bleibt eine Ausnahme.“ Sie lehnte sich vor. „Wir wollen es nicht gleich am Anfang übertreiben. Da wir Madels zusammenhalten sollten, erzähl ich es dir zum vierzehnten Mal.“ Bärbel rang mit ihrem türkisfarbenen Halstuch. „Verspreche mir eins?“
„Was?“
„Nenne mich nicht immer Tante. Ich heiße …“, sie räusperte sich, „Bärbel!“ Sie schmunzelte. „Von mir aus Admiral.“
„Hast du ein Kind?“
„Nein!“, erboste sie sich.
Die Geschichte war komplett abgefahren. Bärbel erklärte ihr, dass sie nach der Schneiderlehre, eine Lehre zur Hebamme abgeschlossen hatte. Wie ihre Schwester und deren Ehemann im Süden Afrikas gelebt hatte.
Es war ein Fehler des Amtes gewesen, denn sie hatte nicht das erste Mal ein Kind gemeldet. Der Mann im Amt hätte sie als Mutter eingetragen. Sie klärte das Malheur auf und steckte unbeabsichtigt beide Urkunden ein.
Nach dem Umzug fand sie die Geburtsurkunde unter alten Unterlagen und präsentierte diese zum Scherz den Eltern. Nahne hätte den Spaß für bare Münze genommen und dieses nicht existierende Enkelkind als Erben vorgesehen.

Toni zog ihren linken Mundwinkel empor, zupfte an ihrem Ohrläppchen. „Klingt verrückt, aber logisch? Aber seit wann kannst du Französisch? Wer ist dieser Herr Mohnleib.“
Bärbel neigte ihren Oberkörper und flüsterte: „Mein Chef“, hauchte sie, drückte ihren Rücken an die Stuhllehne, ergriff Messer und Gabel, tranchierte ein Stück vom Coq au Vin. „Er geht morgen offiziell in Rente!“ Sie wedelte mit dem Fleischstück vor ihrem Gesicht. „Alzheimer! Oder so!“
Bärbel grinste, klärte ihn auf.
Der Plan wäre einfach, dennoch genial, wie sie es mit einem Grinsen unterstrich.
Sie schlug auf den Tisch. „Ging beinahe schief!“
Dabei war es Tanjas Idee gewesen, wie Bärbel erzählte. Sie sollte alles im Melderegister ändern und Tanja ein Mädchen besorgen, welches in Antonias Alter war, dabei meinte sie, das vermutete Toni, die Antonia von der Urkunde.
„Als du dann in Tanjas Brautkleid in die Küche schwebtest und verlangtes, dass ich dir gleichfalls ein Kleid nähen solle, brauchten wir kein Mädchen mehr zu suchen. Es stand vor uns.“ Sie nahm ihr Glas, das der Kellner neu gefüllt hatte, lehrte es zur Hälfte und lächelte Toni an. „Ich gebe es zu. Es gab diese Wette. Ich wollte dich vorhin nur … na ja. Aber irgendwie … hü und hot eben, wir mussten dich an der Stange halten.“
Toni wusste, dass sie log, aber vielleicht wollte der Admiral ihr Gewissen beruhigen.
Es kam ihnen gelegen, dass Tanja Stephen heiraten wolle, gab Bärbel Toni zu verstehen, wobei sie das ‚wolle‘ über Gebühr betonte. Ein Umzug mit einem Kind wäre nicht ungewöhnlich, erklärte sie.
„Damit es nicht auffällt. Ein Kind zu viel. Verstehst du?“
Bärbel verwirrte sie. „Wie soll das gehen? Zwei Mütter eine Tochter?“
„Hör doch endlich mal zu. Bei der Hochzeit als Antonia, dann pro forma erst in Passau. Erst nach den Ferien ziehst du zu Tanja, oder willst du ins Internat. Wie mir Tanja erzählt hat, begeistert dich dies nicht. Sie wollte dir einen Gefallen machen. Zumindest für ein Jahr.“
„Was für einen Gefallen?“
Bärbel schmunzelte. „Welchen wohl? Aber mal hü mal hot.“

Was ihr Wunsch zu leben, mit dem Wohnort zu tun hatte, ging ihr total ab. Sie zupfte demonstrativ an ihrem Kleid. „Was hat das damit zu tun?“
„Hü und hot eben. Wie viele Vornamen hast du?“
Toni dämmerte es. Tanja musste sie missverstanden haben, deshalb ihr Telefonat, dass sie, Tanja, ihren Plan, welchen Toni brillant fand, ohne dieses ihr eingestanden zu haben, eingestampft hatte. Sie zupfte an ihrem Ohrläppchen. Letztlich war alles nach ihrem Sinn verlaufen.

Der süße Kellner servierte den Nachtisch.
„Wo war sie?“
„Wer?“
Toni schielte zu Bärbels Handtasche.
„Sie!“
„Ich verstehe. Fantasie regt den Verstand an. Ich habe eine gute, na ja, alte Freunde. Die ist Äbtissin in einem Kloster mit Mädcheninternat. Hatte etwas gut bei ihr.“ Bärbel lächelte. „Verstehst?“
Toni begriff.
Bärbel klatschte in die Hände, ergriff einen Teelöffel, stach in ihre Crème brulée, dessen Kruste unter der Krafteinwirkung knackte.
„Bist dabei?“
Toni fühlte sich geehrt, ihrem Ganovenclub beizutreten. Zeigte es ihr doch, dass Bärbel es nicht nur tolerierte, oder gar für ihre Ziele missbrauchte. Nein. Sie war in diesem Moment Gleiche unter Gleichen. Sie war eine Frau.
Dabei sah sie, Toni dieses, als Tanja ihr ihre Entscheidung mitteilte, noch anders. Die blanke Scham hatte sie getrieben, immer, wenn sie ihnen Gefühlen nachgab, hatte sie Freunde verloren. Erst die Jungen vom Deich. Dann verlor sie die in ihrer Nachbarschaft. Dabei war es beim Zweiten mal eher ein Versehen gewesen.

Oft, wenn es sie drängte und Bärbel auf der Arbeit war, streifte sie sich ihren Lieblingsrock über, las und schwelgte in ihren Träumen. Sie wollte nur den Müll rausbringen, dachte nicht mehr an den Rock.

Tonis runzelte ihre Stirn, als Bärbel den Löffel mit der Nachspeise in ihren Mund versenkte.
Klar! Sie hatte es vergessen. Bärbel vergessen, ihren und Tanjas Entschluss mitzuteilen. Deswegen ihr Gezänk am Tag der Abreise nach Bayern. Deswegen befanden sich die Mädchenkleider im Harry-Potter-Rucksack, den ihr Tanja in ihrer Wohnung übergeben hatte.
Daher war sie sich sicher gewesen. Sie hatte am Vorabend den Rucksack gepackt. Gepackt mit ihren Jungenklamotten, die sie am heutigen Tag aus ihrem Kleiderschrank verbannt hatte.
Bärbel hatte sie angeschrien. Sie solle sich etwas Anständiges anziehen, was die Loibls sonst von ihr hielten. Toni hatte sie missverstanden, wollte sie reißen. Dann lag auf der Waschmaschine dieser extrem kurze Tennisrock. Ein von der Art Röcke, welche der Admiral verabscheute. Sie ging durch die Diele, erblickte Tanjas Reisetasche. Tanja hatte ihr, bevor sie sich anders entschieden hatte, berichtet, dass sie in jener, die für ihre Maskerade zweckmäßigere Mädchenunterwäsche lägen.
Von der mintfarbenen Kombination berauscht, leerte sie ihren Rucksack, und stopfte den Inhalt der Reisetasche in diesen, legte den Föhn obendrauf. Sie konnte nicht ahnen, inwieweit Bärbel mitgedacht und den zweiten Harry-Potter-Rucksack gepackt hatte. Er war sicherlich nur ein Versehen von Onkel Karl, als dieser ihren Rucksack in den Kofferraum geworfen hatte. Der Föhn fiel heraus und er stopfte ihn in den anderen. Der Rest war Zufall.

Toni lächelte Bärbel an und zuckte mit den Achseln. „Gut. Was soll ich machen?“
Sie kratzte ihre Nachtischschüssel aus, steckte den Löffel in den Mund und leckte die Reste der Creme ab. „Nicht viel. Du musst morgen nur unterschreiben.“
Toni zog ihre Augenbrauen zusammen und runzelte ihre Stirn. „Unterschreiben?“
„Den Reisepassantrag. Persönlich!“
Sie lehnte ihren Kopf zur Seite und klopfte mit dem Löffel auf ihre unberührte Crème brûlée. „Wozu brauchst du das Geld? In ein paar Jahren bin ich achtzehn und dann!“
„Ich will. Nein! Ich muss den Wohnungskredit zurückzahlen.“
Toni kniff ihr linkes Auge zu.
Bärbel strich über ihren Unterarm. „Ich werde nicht jünger.“

Toni beugte sich vor, worauf Bärbel auswich und sich an ihren Stuhl lehnte. „Ich könnte erkranken.“ Sie zupfte an ihren Fingernägeln. „Nein! Ich bin krank. Nicht schlimm, wie die Ärzte sagen. Ich habe einen Knoten in der Brust.“
Toni riss die Augen auf, öffnete den Mund und umfasste ihre Hände.
„Danke.“ Bärbel lächelte. „Du ziehst himmlisch aus, aber wie man Farben kombiniert, muss ich dir noch beibringen.“
„Den Dank zurück. Was meinst du?“
„Altrosa Kleid, weinroter Hut und lachsfarbene Lippen, das beißt sich.“
Bärbel öffnete ihre Handtasche, fischte einen Lippenstift heraus und hielt ihn Toni entgegen.
„Aber?“ Toni öffnete ihre Clutch, holte ebenfalls einen Lippenstift heraus, schob in auf und betrachtete die Farbe. Lachsrosa. Keinen zweiten Stift erblickte sie.
Sie erfasste Bärbels Stift. „Danke!“
Die Tante drehte sich leicht zur Seite, sodass Toni ihr rechtes Bein erblickte. Es schimmerte himmelblau. Hatte sie ihr nicht eine türkise Strumpfhosen gekauft? Verwirrt stand Toni auf, ging, als wäre sie in Trance zu den Toiletten.

Einen Blasendrang verspürte sie zwar nicht, dennoch betrat sie eine Kabine, verriegelte diese, da sie Schritte vernahm. Stille, bis auf das Spiel eines Geigers, dessen Gefiedel aus einem Lautsprecher drang, kehrte wieder ein. Sie schloss ihre Lider, atmete tief ein, dann kauerte sich auf der Kloschüssel zusammen. Sie zählte bis zehn, rupfte an der Toilettenpapierrolle und zupfte an seinem Ohrläppchen.
Ihre Finger tasteten zum Riegel, zogen an dem Knauf, bis das Neonlicht des Vorraums die Kabine erhellte. Sie spähte durch den Spalt. Der Ort lag verlassen vor ihr, nur das Spiel des Geigers, das die Luft durchsetzte, vernahm ihr Gehör. Die Hände an den mit Spitze besetzten Rock gedrückt, schlich sie zum Waschtisch. Sie beugte sich vor, als erwarte sie jemanden. Jemand, der aus dem Spiegel drang, sich mit ihr vereinte. Nichts geschah. Sie sah nur ihr Ebenbild. Das Bild eines dreizehnjährigen Mädchens, welches mit bemaltem Gesicht älter aussah, als es war.
Mit den in altrosa lackierten Fingernägeln zupfte sie, an ihren blauschwarz eingefärbten Wimpern. Sie beugte sich über den Waschtisch, öffnete ihre Clutch und malte sich die Lippen nach. Weinrot wie ihr Hut.

„Geht es dir besser. Ich hoffe doch!“ Bärbel wies auf einen Teller. „Also, meine Jakobsmuscheln war tipptopp. Wenn es dir nicht besser geht, fahren wir nach Hause. Ein gutes hatte es“, sie tippte an ihr Weinglas, „die Getränke gehe auf Rechnung des Hauses.“
„Mir geht es gut.“
Der hübsche Kellner räumte die Teller ab, derweil ein Älterer das Hauptgericht Coq au Vin abstellte.
„Vielleicht hast du dir auch einen Infekt eingefangen. Iss jedenfalls langsam“, ermahnte Bärbel und wandte den Kopf. „Er hat uns gesehen. Wie besprochen!“
Ein untersetzter Mann mit Vollglatze trat an ihren Tisch.
„Frau Tütken, wie freu ich mich, sie zu sehen!“
Der Mann hielt Bärbel seine Hand hin.
„Herr Mohnleib, die Freunde liegt auf meiner Seite“, schmachtete sie, beugte sich vor und erwiderte den Gruß.
Er richtete seine rotgepunktete Krawatte und wandte sich. „Tanja du wirst immer schöner!“
„Herr Mohnleib, ich bitte Sie. Sie wollen mir nur schmeicheln.“
„Bonsoir mon Monsieur. Tanja est ma cousine. Je m’appelle Antonia et Bärbel est ma maman.“



Himbeerrote Pumps

Josephine nahm einen notariellen Vertrag vom Sofa, flanierte zu einem Wandregal, auf dem zwei Bücher trostlos ruhten, legte das Dokument zur Lektüre und ergriff einen Briefumschlag.
Sie wandte sich um, schritt, dabei schwang sie ihre Hüfte, durch ihr Appartement und übergab Stephen den Umschlag. „Dein Gutachten.“ Sie ging in die Hocke und umfasste einen auf dem Boden stehenden Karton. „Soll ich dir helfen?“
Der Gast kniete sich nieder, klopfte auf den Deckel und murmelte: „Danke! Das schaffe ich allein!“, während er seine Finger in die Einschnitte steckte. „Du könntest mir deinen Wagen leihen.“
Die Augenbrauen zusammengezogen, strich Josephine über ihren die Scham nur knapp verbergenden rubinroten Minirock, richtete ihren pechschwarzen, mit Spitzen besetzten Büstenhalter und verschränkte, gefolgt von einem Grunzen, ihre Arme. „Wie bitte?“
Stephen warf seinen Kopf in den Nacken. „Stell dich nicht an! Du hast mir deinen Porsche schon einmal ein paar Tage geliehen.“
Sie presste ihre Lippen zusammen. „Ein paar Tage!“, quetschte sie hervor.
Er stand auf, drückte den Karton an den Bauch. „Frauen!“
Josephine schwang ihren Kopf zur Seite.
„Dass ihr immer übertreiben müsst.“ Er grinste. „Ja oder nein?“
Sie legte ihre Rechte auf den Karton. „Du hast ein eigenes Auto!“, sie kniff ein Auge zu. „Oder bist du mit der Bahn hier?“
Stephen stellte den Karton wieder ab. „Mein Kleiner ist in der Werkstatt. Etwas mit den Bremsen. Bin gerade so nach Hamburg gekommen.“ Er stupste sie mit dem Ellenbogen an. „Morgen soll er fertig sein, dann kannst du ihn abholen.“
Sie verdrehte ihre Augen und verließ das Wohn-Schlafzimmer. Stephen trat einen Schritt vor, da kam sie zurück, warf ihren Autoschlüssel auf den Kartondeckel. „Das letzte Mal! Weil du es bist!“

Stephen stemmte den Karton erneut in die Höhe und Josephine hüpfte zum Schlafzimmerschrank. Er schritt auf die Zimmertür zu, erreichte sie nicht.
Sie versperrte ihm in den Weg, stellte ein Paar Schuhe auf seine Last und sprach in einer Tonlage, als würde sie ihn das schönste Geschenk überreichen: „Die hast du vergessen.“
Stöhnend schüttelte er den Kopf. „Ich habe dir gestern bereits verklickert, dass es nicht meine sind.“
Josephine stemmte ihre Hände in die Taille. „Meine Erstrecht nicht! Sind mir zu groß!“
Der Karton schlug auf dem Laminat auf. Stephen schnappte sich einen Schuh und hielt ihn ihr vors Gesicht. „Erstens sind sie mir ebenfalls zu groß“, brüskierte er sich. „Zweitens!“ Er grinste. Die Schuhe baumelten vor seinen Augen. „Ich trage keine himbeerrote Pumps.“ Wobei er das Himbeerrot betonte, als wäre diese Farbe ansteckend.
Sie stupste ihn an. „Trug Janet etwa Turnschuh?“
„Du machst dich lustig“, entgegnete er. „Natürlich trug ich als Janet Damenschuhe, aber …“, er berührte den bleistiftlangen und dünnen Absatz.
Er stellte den Schuh ab, steckte den Fuß hinein und bewegte die Zehen, sodass der Hacken gegen seine Haut klapperte.
Josephine wandte ihr Gesicht ab. „Gestern passte er dir. Du hättest nicht so viel tanzen sollen. Neue Schuhe weiten sich!“
Er tippte an seine Schläfe. „Damit ich sie nicht verliere, habe ich sie mit Taschentüchern ausgestopft.“
Sie strich über Stephens Oberarm. „Obwohl, als Janet hättest du mir besser gefallen.“ Ihre langen rubinroten Fingernägel bohrten sich fast in seine Haut. „Die ist seriöser!“ Sie klimperte mit ihren tiefschwarz gefärbten Wimpern. „Ich war damals erstaunt, nein, verwundert gewesen, wie du dich verwandelt hast. Ich hätte dich fast nicht erkannt?“
„Zumindest habe ich keinen Unschuldigen etwas vorgespielt.“
Josephine bedeckte ihre Lippen. „Der Typ vom Gericht.“ Sie kicherte. „Stimmt! Vorgespielt hast du ihm nichts. Dafür?“
Stephen stürzte aufs Bett, vergrub sein Gesicht in seine Hände und murmelte: „Gelogen. Ich hatte keine Lust auf neue Sitzungen.“
Die Stirn gerunzelt, trat sie auf ihn zu, strich über seine Schulter. „Unsere Gespräche haben dir doch immer geholfen!“
„Deswegen ja! Du hast mir gesagt, ich müsse lernen, mit meiner Biografie ins Reine zu kommen.“

Josephine setzte sich zu ihm, legte ihre Hand auf sein Knie. „Erzähl!“
Stephen leckte über seine Oberlippen. „Ich hatte nichts mit dem Dicken vom Amt. Nicht mit ihm bin ich essen gegangen.“
„Mit wem dann?“
„Ach, da war der Gunnar. Er muss den Beamten gekannt haben. War mir behilflich. Zum Dank lud ich ihn zum Essen ein. War ein netter Abend. Lach jetzt nicht. Ich habe mich, na ja, du weißt!“ – „Er brachte mich zum Bahnhof, war spät, der Parkplatz menschenleer. Ich habe ihn einen Kuss gegeben. Er muss es missverstanden haben, dachte ich zuerst. Er packte mich am Hintern, schob seine Zunge in meinen Mund.“
„Du hast dich nicht gewährt.“
„Natürlich. Er war stark, zwang mich auf die Knie, sagte mir, er wüsste alles. Ich solle mich heraushalten.“
„Dann?“
„Alle Erlebnisse kamen wieder hoch. Ich habe getan, was er wollte.“
„Warum hast du dich darauf eingelassen?“
„Ja. Ich war dumm.“
Stephen presste seine Lippen, rieb seine Hände. „Dabei hatte mir das Schicksal Zeichen gesandt.“
Josephine tippte an ihre Schläfe.
Er kniff seine Augenbrauen zusammen. „Wirklich! Ich hatte genug mit der Hochzeitsorganisation am Hut. Da rief er an, sein Essen einfordern. Er hätte etwas für mich.“
Stephen würgte, beugte sich zum Nachtisch, schnappte ein vom Vorabend stehen gebliebenes Sektglas, leerte es in einem Zug, ergriff ein Zweites mit einem blutroten Streifen von Lippenstift, gesellte den Inhalt dem des Ersten zu.
„Trink nicht so viel! Du musst noch fahren.“
„Genau das war mein Problem!“
Josephine sah in über die Schulter an.
Er klopfte auf seine Schenkel. „Janets Sachen waren bereits in der neuen Wohnung.“
„Du sprichst in Rätseln.“
„Wenn du mich nicht immer unterbrechen würdest, dann …“

Sie bedeckte ihren Mund, zog ihre Finger über die Lippen, als schließe sie einen Reißverschluss.
„Friedl war in der Wohnung. Die Küche aufbauen. Ein Handwerker wäre schneller gewesen. Dabei musste ich den Zug bekommen.“
„Zug?“ Josephine zuckte zusammen. „Pardon! Ich schweige.“
„Ich habe doch keine Papiere von Janet, Führerschein und so!“
Josephine richtete sich auf, strich durch ihr gewelltes Haar, schüttelte es aus und klimperte mit den Wimpern. „Ich habe nie Papiere dabei. Ein Lächeln genügt.“
„Ich kam dann auf die Idee, dass Friedl Antonias Zimmer rosa streichen möge. Rosa find ich schön für ein Mädchen. Ich sagte ihm, Vale hätte Farbe und fragte ich, ob er sie nicht holen könne, da ich zwei Bier getrunken hatte. Ich glaubte es kaum. Er fuhr!“
„Dann ging alles glatt?“
„Na ja bis auf …“, er würgte erneut. „Ich musste wieder zurück, rechtzeitig heim. Friedl ist ein Frühaufsteher.“
Josephine atmete tief ein und nickte unmerklich.
Er strich über ihren Oberschenkel. „Wie gut, dass du mir gesagt hast, eine Dame solle immer eine Ersatzstrumpfhose dabeihaben. Mit nackten Beinen hätte ich mir bestimmt den Tod geholt.“
Josephine klopfte ihm anerkennend auf den Rücken.
„Das Badezimmerfenster war erleuchtet. Ich dachte erst, ich hätte vergessen, das Licht zu löschen. Dann sah ich ihn am Fenster.“
„Wen?“
Stephen schlug an seine Stirn. „Friedl. Nackt!“
Josephine kicherte.
„Das war nicht witzig. Ich dachte zuerst, dass er vielleicht das Zimmer gestrichen, sich bekleckert, geduscht hatte. Ich wartete. Aber er erschien nicht. Ich schritt ums Haus, bemerkte das erhellte Schlafzimmer und“, er stockte, „erblickte einen nackten Hintern.“
„Fridolins?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich kann einen Männerarsch von einem Frauenhintern unterscheiden!“
Josephine kniff ihr rechtes Auge zu.
Er zog die Schultern empor. „Keinen blassen Schimmer. Aishes war es nicht.“
„Stephen?“
„Nicht, wie du denkst. Spielt keine Rolle. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich stieg in meinen Wagen, fuhr zum Hof. Wie gut, dass ich den Schlüssel nicht in der Wohnung gelassen hatte.“
Josephine nickte.
„Der Hof lag still da. Ich in mein Zimmer abschminken und Männerklamotten übergezogen. Ich schaffte es, gerade so zu verschwinden, bevor Vale zu den Kühen.“
Er lehnte seinen Kopf zur Seite.
„Gesehen hatte er mich, zumindest mein Verschwinden. Franzi machte später Andeutungen.“
Stephen leckte seine Lippen. „Auf dem Rückweg sah ich dann Fridolins Schlitten. Der stand in einer Seitenstraße. Ich habe mich dann so hingestellt, dass er mich nicht sehen konnte.“
Josephine spitzte den Mund.

Er strich über ihre nackte Taille. „Wir Frauen sind nun mal neugierig!“ Er grinste, beugte sich vor, ergriff den zweiten Pumps und schlüpfte hinein.
Stephen wandte, schwang seine Füße, überschlug die Beine und stupste sie mit einem Schuh an. „Meinst du, himbeerrot steht mir?“
Lächelnd lehnte sich Josephine an seine Seite und hauchte: „Bleib noch eine Nacht“, dabei glitt sie über sein Bein, strich über den Absatz des Pumps. „Ich habe ein passendes Kleidchen.“
Sie sprang auf, hüpfte zu ihrem Kleiderschrank und holte ein weißes ausladendes Kleid mit schwarzen Pünktchen zum Vorschein.
„Du stehst doch auf Vintage.“
Stephen schmunzelte. „Als Rechtsanwältin kann ich schlecht im Blümchenkleid flanieren.“
Josephine schritt auf ihn zu, legte das Kleid auf seinen Schoß.
Er schob es beiseite. „Danke! Aber ich habe heute noch etwas zu erledigen.“
„Wer war die Frau?“
„Frage mich nicht. Ich bin eingenickt.“ Die Freundin atmete erleichtert durch. „Später war sein Wagen verschwunden und ich bin auf den Hof gefahren.“

„Aber wieso ist der Kerl, dieser Gunnar, unschuldig. Er hat dich missbraucht!“
Stephen sprang auf. „Ihn meine ich nicht. Alina.“
„Alina! Was hat sie damit zu schaffen?“
„Warum hast du ihr erzählt, du seist meine Märchenschwester?“
„Habe ich nicht!“
„Du solltest sie nur aushorchen!“
„Ich kam doch gar nicht dazu.“
„Wieso?“
„Du hörst nie richtig zu! Ich wollte zu ihr ins Internat. Woher fuhr ich zum Reitstall, in dem Janet ihren Gaul untergestellt hatte. Der Bauer kennt sie. Sie sind befreundet. Um abzuklären, ob sie wirklich im Urlaub war. Denn nur so konntest du ihre Rolle übernehmen, dabei traf ich auf Alina und ihren Bruder. Wir unterhielten uns. Ich erzählte ihr, was ich von deiner Familie weiß. Ich wollte ihr Vertrauen gewinnen.“
„Dann hast du sie im Glauben gelassen und sie wiedergetroffen.“
„Nein! Das war das einzige Mal.“

Stephen wandte sein Gesicht zum Nachtisch. „Schon so spät!“ Er stand auf, kniete nieder, griff in den Ausschnitt des Kartons und stemmt ihn in die Höhe. „Danke noch mal.“
Josephine sah zu ihm herauf. „Wofür?“
Lächelnd kickte er mit seinem Kopf. „Das du mir die Farm abgekauft hast.“
Sie strich über sein nacktes Bein. „Freunde helfen einander.“ Sie blinzelte und stand auf. „Wofür brauchst du den Zaster?“
„Es geht nicht nur um Geld. Ich will einen Schlussstrich ziehen!“ Er drehte sich zu ihr um. „Ich habe bei Friedl Schulden und bevor dieser Mistkerl die Farm bekommt..?“
Josephine zog, gefolgt von einem Grinsen, die Augenbrauen empor.
„Aber was willst du mit der Farm? Da gibt es nichts außer Ödnis.“
Sie zuckte mit den Achseln. „Mein Alter hat mir häufig von Südafrika vorgeschwärmt.“ Sie schwang ihren Kopf. „Vielleicht verkaufe ich sie weiter.“ Sie schnippte. „Geldanlage!“
Stephen kniff die Augen zusammen.
Sie tätschelte seine Wange. „Keine Angst! Bestimmt nicht an Fridolin.“

Stefan verließ das Wohn-Schlafzimmer, schritt auf die Wohnungstür zu, sah die ihm folgende Josephine auffordernd an.
Josephine verdeckte ihren Mund, pustete und drückte ihre Linke gegen ihren Bauch. „Wo willst du denn hin?“
„Los!“
Sie trat an ihn heran, ergriff den seidigen um seine Schenkel flatternden fliederfarbenen Stoff. „Im Negligé?“
Stephen ließ den Karton auf die Fliesen gleiten, fasste sich an die Stirn, schnappte den Saum des Nichts und machte einen Knicks. „Mache ich etwa eine schlechte Figur?“ Er lachte.
Josephine tippte an die Badezimmertür. „Vorher gehe dich duschen. Dann schenke ich dir etwas richtig Aufreizendes. Die Stecher werden sich reihenweise nach dir umschauen.“ Sie lachten.
Stephen stöckelte ins Badezimmer und drehte den Wasserhahn auf, bis Dampf aufstieg.



Deal mit dem Spanner

Dampfschwaden stiegen über den transparenten Duschvorhang auf und verbreiteten sich im Bad. Duschgel gleich dem Ejakulat eines Mannes spritzte im Takt des Herzschlages auf zarte Brüste. Feine Finger mit langen blutrot bemalten Nägeln verteilten den Erguss auf der seidigen Haut, über die erstarrten Brustwarzen. Sie bescherten den Schaum einer weiteren Hand, die schwungvoll die Gabe um den Bauchnabel salbte. Das Nass der Brause ergoss sich auf die Schultern, suchte sich einen Weg entlang des Rückens und spaltete seine Fluten am Gesäß, das die Fliesen liebkoste. Die einem O gleich gespreizten Beine erlaubten, der Hand weiter vorzudringen, die Scham zu beglücken.
Der Schein des Kunstlichtes flackerte, der Vorhang wehte. Ein Schatten, eine Silhouette eines Menschen glitt auf der Kunsthaut. Er streckte sich wie ein zum Licht wachsender Pilz gen Zimmerdecke, gleich dem erhobenen Arm von Norman Bates alias Anthony Perkins, bei dem das Messer blitzte. Behaarte, sonnengegerbte Finger drangen in den Intimbereich ein, zerrten, schoben die Sperre auf.
Die Augen aufgerissen, die Hände an der Scham, den Mund zum Schrei bereit, erstarrte sie.

„Handtuch?“
Tanja schnellte hervor, schlug ihre triefende Rechte, sodass es klatschte, auf seine Wange und schrie: „Vale!“ , dabei prügelte sie mit den Fäusten wie besessen auf den Latz seiner blauen, verwaschenen Arbeitshose. „Du Schwein, perverse Sau!“

„Da hast du dich verzettelt.“
Der Pinsel legte einen purpurroten Lackfilm auf ihren rechten großen Zeh, der zusammen mit seinen Partnern die Kante des Wohnzimmertisches krallte. Das feine Malwerkzeug fand, geführt von Tanjas Daumens und Zeigefingers sein Zuhause in einem Flakon, wobei die Herrin der Zehen, diese im Verbund schwang. Ihr Kopf in Atemnähe blies sie über ihr Werk und brummelte: „Reine Logik“. Daraufhin pulte sie Nagellack von ihrem kleinen Zeh.
Valentin zeigte ihr einen Vogel. „Weil ich alt bin!“
Tanja zwinkerte und strich über sein Knie. „Du bist doch nicht alt“, entgegnete sie, nahm das Handtuch von ihrem Oberkörper, frottierte ihr Haar, bevor sie das Tuch wie ein Turban um ihren Schädel schlang. Sie ergriff die Nagellackflasche mit der Linken, zog den Pinsel mit der Rechten heraus und lackierte, die Lippen gespitzt, ihren Daumennagel.
Auf eine gewisse Art unangenehm war es ihr. Sie saß nackt mit einem Mann auf dem Sofa, den sie bis vor Minuten für ihren Peiniger gehalten hatte und lackierte sich die Nägel. Sie lächelte dem Ehemann ihrer Schwiegermutter zu, als wäre er ihre beste Freundin.

„Spanner“, zischelte sie und hielt ihm das Fläschchen vor die Nase. „Moment mal?“
Er übernahm den Flakon. Sie wandte sich ihm zu, tauchte den Pinsel ein und bestrich ihren rechten Zeigefingernagel.
Valentin zog den Kopf zurück und stotterte: „Ich bin kein Spanner. Ich errege mich bei dem Anblick“, er beugte seinen Oberkörper über sie, „weil ich ihre weiblichen Kurven bewundere.“
„Egal“, brummte sie und übte ihr Handwerk weiter aus. „Wer in Kutten verhüllt …“
„Ein langer dunkelbrauner Mantel und ein Schlapphut“, fuhr er ihr ins Wort. „Ein Kostüm!“ Er blickte zur Zimmerdecke. „Ich kann schlecht schlafen. Man hat mich gebeten, den Nachtwächter zu spielen.“ Er wandte ihr sein Gesicht zu. „Für die Touristen.“
Tanja übernahm die Nagellackflasche, übergab Vale den Pinsel und hielt ihm ihre rechte Hand entgegen.
Er blähte seine Wangen auf, sein Blick wanderte von ihrer Rechten zu ihrem Gesicht und zurück. Sie nickte. Er nahm ihre Finger in die Hand, tauchte den Pinsel ein und streckte die Zunge heraus.
„Nie würde ich einem Menschen derartiges antun, geschweige einem Mädchen.“ Valentin schloss seine Augen. „Gott. Was der Kerl dir angetan hat.“
Tanja sengte den Kopf. „Entschuldige, dass ich dich verdächtig habe, aber“, sie blickte ihn an, „die Villa der van Düwen liegt auf dem Weg vom Reiterhof zu der Bunkeranlage.“
Bei dem Wort raste ihr Herz, schrie nach Rache, sie kreischte: „Anton ist tot und die Gestalt …“
Eine Träne quoll aus ihrem Auge.
Er bedeckte ihren kleinen Finger mit purpurroter Farbe und keuchte: „Madel Ja! Ich war zwei, dreimal bei Anton und Franziska. Gerti hatte mich gebeten, damit der Kontakt nicht abreiße.“ Er steckte den Pinsel in sein Haus.

„Aber nie im Sommer. Ich habe Landwirtschaft, Vieh, Heu muss gemacht werden!“
Valentin legte seine Hand auf ihren Bauch. „Viel sieht man nicht?“
Tanja grinste. „Meine Hosen sagen etwas anderes.“
„Hast du es Stephen gesagt?“
Sie wandte sich ab. „Nein! Es gab keinen günstigen Moment.“
Ein Auge zugekniffen, strich er über seine Lippen. „Wer ist eigentlich der Vater?“
Tanja sprang auf. „Geht dich nichts an!“, schnauzte sie und stampfte zur Wohnzimmertür.
„Wohin willst du?“
„Mich anziehen!“

Valentin schritt auf Tanja zu, die mit gespreizten Fingern versuchte, ihren schwarzen, mit Spitze besetzten Büstenhalter vom Bett zu angeln. „Wart! Ich helfe dir.“
Er fasste das Kleidungsstück an den Riemen, hielt ihr, wie ein Gentleman, der einer Dame in den Mantel half, den zarten Stoff vor die Brust.
Tanja schlüpfte hinein, lehnte ihren Kopf zurück und wedelte mit den Händen vor ihrem Gesicht. „Kannst du. Bitte!“
Er trat an ihren Rücken, ergriff den Verschluss. „So abwegig ist deine Schlussfolgerung mit der Villa van Düwen nicht.“
Tanja drückte mit ihren Handballen gegen ihre Brust. „Wieso?“
„Die van Düwen haben zwei Söhne etwa in meinem Alter.“
Sie verdrehte ihre Schulter. „Kannst du? Ein wenig nach links! Die Nägel“, dabei wedelte sie mit den Fingern.
„Wie?“
„Stell dich nicht an! Einfach richten.“
Valentin griff über ihre rechte Schulter, legte seine Fingerkuppen an ihre Brust und richtete ihr Dekolleté.
„Was haben die Söhne der van Düwens damit zu tun, dass Klara und Josephine entführt wurden, und ich..?“
„Einer von den beiden war ein Freund von Anton.“

Tanja zeigte auf ihr Bett. „Holst du mir bitte meinen Slip?“
„Du meinst, Anton war das Schwein und er hat ihm davon erzählt.“
Er schnappte sich die schwarze Spitzenunterwäsche, schritt um Tanja herum und hielt den Slip zum Einsteigen bereit auf und wisperte ihr ins Ohr: „Oder beide“.
Sie stieg in ihre Wäsche.
Er zog ihr den Stringtanga über die Schenkel. „Nein“, hauchte er, fasste unter den durchscheinen Stoff, streifte ihn wie eine Frau glatt. „Du wurdest geschändet.“
Seine Finger glitten über die Spitze bis zu ihrem After, wie es Aishe pflegte, wenn sie Tanja anzog. Sie schloss die Augen, legte ihren Kopf gegen Valentins Schulter, während seine Finger erneut unter ihren Slip glitten.

Tanja riss sich los, sprang zu ihrem Kleiderschrank, und blinzelte ihm zu. Sie erfasste zwei Kleider, die an je einem Kleiderbügel befestigt an der geöffneten Tür hingen. Abwechselnd hielt sie diese an ihren Körper. „Welches empfiehlst du mir?“
Er trat auf sie zu, zeigte auf das purpurrote weiß gepunktete Kleid. „Des! Es erinnert mich an meine Muada.“
Tanja hing das erikaviolette Etuikleid wieder an. „Bis du nicht ein Heimkind?“
Vale verschränkte die Arme. „Was nicht heißt, dass ich nicht weiß, wie meine Mutter aussah. Ich habe Fotos von ihr. Wenn sie tanzen ging“, er strich über den wallenden Rock, „dann trug sie derartige Kleider.“
Tanja warf das Kleid aufs Bett und grummelte: „Die Fünfziger sind wieder in. Warum glaubst du, hat keiner von den beiden …“, sie stockte, „mich …“.
„Wegen deines Großvaters“, unterbrach er sie.
Tanja schritt zum Bett, umkreiste es und blickte sich um. Dann schlug sie sich an die Stirn, ging zurück zum Schrank und öffnete eine Schublade.
„Nahne“, zischte sie, hielt kurz ihre Fingernägel an ihre Wange und fischte einen Strapsgürtel aus der Schublade.
„Ihr Tütkens, ihr mundfauln Friesn!“
Die Stirn gerunzelt, schlang sie sich den Gürtel um ihre Taille.
„Nahne und die van Düwens kannten sich“, berichtete Valentin.
Tanja ging in die Hocke, öffnete eine zweite Schublade. „Wie bitte“, grummelte sie in die Lade und ergriff ein paar schwarze Nylons.

Nahne hatte ihr nie von früher erzählt, außer seinem Seemannsgarn. Ihr Verhältnis war am Anfang gespannt, später freundschaftlich. Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie den alten Seebären das erste Mal gesehen hatte. Sonnengegerbt, mit Vollbart, Pfeife im Mund und den Elbsegler auf dem Schädel stand er in der Küche und schrie Bärbel an. Sie saß auf dem Küchenstuhl, Toni an ihrer Brust. Für total übergeschnappt hatte er Bärbel gehalten, als durchgeknallt tituliert. Recht hatte er gehabt.
Valentin hob die Schulter. „Ob der oide van Düwen, den Opa kannte, weiß ich nicht.“ Sein Blick folgte Tanja, die zum Doppelbett schritt. „Der Anton, einer von den van Düwen Bengeln, Alfons und dein Großvater waren so was wie Freunde, hingen oft zusammen.“ Er hielt seine Hände abweisend vor dem Oberkörper. „Aber genaues weiß ich nicht. Must die Bärbel fragen.“
„Egal! In ein paar Tagen haben wir den Mistkerl“, wisperte Tanja, nahm einen Strumpf zwischen ihre Lippen und rollte den anderen vorsichtig mit ihren Händen zu einem Ring.
Valentin kratzte sich am Genick. „Hast du nicht gesagt. Er wolle euch alle drei wiedersehen. Ist Klara nicht tot?“
Tanja blies den Strumpf auf ihr Bett, stellte ihren rechten Fuß auf die Bettkante, stülpte die Strumpfrolle über ihre Zehen und rollte den feinen Zwirn über ihre Wade. „Nein! Versteckt hat sie sich all die Jahre.“
Mit geschmeidiger Bewegung strich sie der Stoff über ihren Oberschenkel. Sie ergriff den ersten Halter und befestigte das Beinkleid. Die zweite Öse klackte. Tanja schnappte den verwaisten Strumpf, schritt zu Valentin und stieß ihn mit dem Ringfinger an die Brust.
„Das bleibt unter uns. Verstanden! Kein Wort zu niemanden.“
Valentin glitt mit Daumen und Zeigefinger über seine Lippen. „Ich schweige wie ein Grab.“
Tanja rollte den zweiten Strumpf wie den Ersten. „Klara kommt die Tage. Wir ziehen das Ding durch. Dann will sie sich stellen.“
„Warum versteckt, stellen?“
„Sie hat Anton umgebracht. Es war ein Unfall.“
„Sie?“
„Ja!“, bestätigte Tanja und zog das zweite Nylon über ihr Bein.
Sie frottierte erneut ihren Schopf und schritt zur Zimmertür.
„Wohin willst du?“
Sie kämmte durch ihr Haar. „Mich föhnen. Ich beeile mich, dann können wir zum Bahnhof.“
„Zum Bohhof?“. Er klopfte an seine Stirn. „Stimmt ja! Deswegen bin ich bei dir. Du willst ja zu die Madel, de kleine Prinzessin.“

Sie hatte nicht vor, nach Bremen zu reisen und wohin sie wollte, ging ihm nichts an.
„Im Kühlschrank ist ein Alkoholfreies. Bediene dich.“
„I drink koa Bier, i drink koa Oikohol. Des woasst du!“
Tanja zog die Augenbrauen zusammen. „Warum eigentlich?“
„Bin trocken!“
Sie zog ihren linken Mundwinkel empor.
„Bin droggana Oikoholika!“ Er senkte den Blick. „Deswegen ist die Franzi zurück. Der Oide hat mich dahingetrieben mit seen Nazischeiß.“
„Hattet ihr vorher etwas miteinander?“
„Na! Das mit dem Hias war ein Ausrutscher und de Anton wollte eh zu den Schwarten.“

Bevor Tanja ins Bad ging, schritt sie zu ihrer Handtasche, zückte ihr Smartphone, suchte nach dem Namen van Düwen. Ein kurzer Eintrag, mehr nicht. ‚Jüdische Familie wurde mit Diamantenhandel reich. Haben ihre Villa zu einem Internat für benachteiligte Mädchen umgebaut‘ las sie gefolgt von Stiftungen, die sie gegründet hatten. Bis auf einen Namen ihr alle unbekannt. Den hatte sie von Aishe auf den liparischen Insel gehört. ‚Protect female children‘ in Klammern: PFC schrie ihr entgegen.



Mit des Amtes Segen

Paul strich über das Blümchenkleid, trat zum wiederholten Mal gegen den Bordstein. Die Scham, in Mädchenkleidern, um die Häuser zu ziehen, hatte er abgelegt und Langeweile keimte in ihm auf. Catherine hatte ihn gebeten, angefleht, sie vor ihrer Flucht allein zu lassen.

Wie der Vorbote des Unheils verfinsterte der Himmel. Regenschwangere, tief hängende bleigraue Wolken zogen über die Stadt, hüllten die Straße in ein Halbdunkel. Die ersten Böen rissen am Saum des Kleides, die ersten Tropfen benetzten sein Haupt. Nass konnte der Schopf nicht werden. Pauls Haar bedeckte eine blonde Perücke mit Korkenzieherlocken, die vom Wind umspielt gegen seine Ohren schlugen. Eine Hand an der Schürze des Kleides, die andere auf dem Kunsthaar lief er die Straße entlang, bog rechts ab und rannte bis zum Eingang des Hauses seiner Ballettlehrerin.

Ein hochgewachsener Herr zog den Kragen seines pechschwarzen Ledermantels herauf und warf, eine blaue Wolke aus dem Mund hauchend, seine Zigarette auf das nasse Kopfsteinpflaster. Er schob seinen Homburger über seine fliehende Stirn und presste den Oberkörper, die Hände in die Manteltaschen vergrabend, an einen anthrazitfarbenen Citroen 11 CV.
Paul flüchtete unter das Eingangsportal des Hauses, drückte sein Gesäß gegen die Tür und schritt, den Rock schüttelnd, über den mit Jugendstilornamenten verzierten Boden des Flures. Kaum hatte er die Etage erreicht, auf der Catherine wohnte, drangen angsterfüllte Schreie an sein Ohr.


Catherine lag rücklings auf dem Chaiselongue ein Bein über der Seitenlehne den Fuß des anderen auf dem Beistelltisch. Ein Mann lag zwischen ihren Schenkeln, seine Hände um ihren Hals. Sie schrie, sie stöhnte, flehte um Hilfe. Paul blickte sich um, sprang zum Kaffeehausstuhl, auf dem die Lehrerin gerne ruhte, eine Tasse Bohnenkaffee gegriffen, mit Ringfinger und Daumen, schlürfend aus dem Fenster sah. Seine zitternden Finger glitten an der tiefschwarzen Uniformjacke mit dem Doppelblitzabzeichen am Revers vorbei, zogen die Walter PP aus dem ledernen Halfter. Die Schirmmütze mit dem Totenkopf fiel von der Rückenlehne. Paul legte mit beiden Händen an und krümmte den Zeigefinger – einfach so!
„Antonia.“

Toni legte das Buch zur Seite, kickte mit den Hacken gegen die metallenen Beine und zupfte an dem weißen gestärkten Rüschenkragen seines Kleides. Das Bild der Tante wie ein hübsches Mädchen aussah und dem ihren, waren gegensätzlich. Sie hätte ohne Probleme die Klara Sesemann in einer neuen Heidiverfilmung oder Annemarie aus Else Uhrys Nesthäkchen spielen können. Wobei er Annemarie den Vortritt gab, den sie entsprach eher ihrem Naturell.
Dabei hatte sie das Kleid bereits bei den Dohnhöfers getragen. Worauf Alina sie als Klara tituliert hatte. Der Vergleich fiel ihr just in diesem Moment auf. War diese Klara nicht an einen Rollstuhl gefesselt und das Bauernkind Heide ihr das Laufen gelehrt?
Toni schmunzelte und zupfte an ihrem Ohrläppchen. Dann war Alfons der Alpöhi und der Admiral Frau Rottenmeier. Sie presste ihr Lippen. Nur blöd, dass Matthias Großvater bereits über den Jordan war.
Blieb dann doch für sie nur die Annemarie übrig, die gefiel ihr auch wahrlich besser.
„Herr Mohnleib sie Charmeur“, trällerte Bärbel eingeharkt in den Arm des Amtsleiters und steckte ihre Nase in ein Gebinde roter Rosen. „Ihnen hätte ich ein Strauß Blumen schenken sollen. Nicht sie mir!“
Er löste die Verbindung und stellte sich vor sie. Sein von einem knappen hellblauen Hemd verdeckter Kugelbauch, auf dem eine königsblaue Krawatte ruhte, die aufgrund ihrer Bindung einer Fliege Konkurrenz machte, berührte beinahe ihre mintgrün-fliederfarben gestreifte Bluse.
Er hob die Arme, hielt die flachen Hände, ohne diese zu berühren, vor ihre Brust. „Ehre, wem Ehre gebührt. Ohne Sie, meine verehrte Freundin, hätte ich mich in der Zeit der Abwesenheit große Gedanken über meine Abteilung gemacht.“ Er schlug die Handflächen zusammen. „Haben sie es sich nicht überlegt, reicht es nicht, wenn ich in den wohlverdienten Ruhestand trete.“
Bärbel legte ihre freie Hand auf seine Schulter. „Ich gehe nicht in Pension. Ich nehme mir eine Auszeit“, erklärte sie ihm und zwinkerte Toni zu.

Sie rutschte von ihrem Stuhl, hob mit beiden Händen den mit Rüschen besetzten Saum des Kleides und machte einen Knicks. „Bonjour, gentil Seigneur!“
Aufgeschreckt von der Begrüßung wandte sich Herr Mohnleib ihr zu und klatschte in die Hände. „Ach! Tanja bist du groß geworden!“
„Antonia!“, warf Bärbel in die Runde.
Der Abteilungsleiter schlug an seine Stirn. „Natürlich Antonia, aber …“, er bewegte beide Hände vor seinem Binder zusammen, „gestern warst du noch?“
„Das war vor fünfzehn Jahren“, konterte Bärbel.
Er wandte sich wieder seiner Mitarbeiterin zu. „Beachtenswerte fünfzehn Jahre kennen wir uns, Verehrteste.“ Er legte seinen Kugelkopf, der auf einem halslosen Oberkörper ruhte, schief. „Mir kam es weniger vor?“
Einer der Wahrheit entsprechenden Tatsache, dachte sich Toni und rupfte an der himmelblauen Schleife, die das gleichfarbige Band um ihrer Taille zierte.
Herr Mohnleib schritt hinter seinen überdimensionierten Schreibtisch, ließ seinen gedrungenen, schwerfälligen Leib in den Chefsessel fallen und beugte sich über Dokumente, welche aufgerichtet wie Soldaten vor ihm ausgebreitet lagen. „Ich sehe Frau Tütken, Sie haben wie immer alles wohl bereitet.“ Er trommelte mit den Fingern auf dem Bildschirm des Computers. „Sie wissen, ich habe nie verstanden, wie diese Dinger funktionieren.“
Bärbel baute sich wie eine gelobte Chefsekretärin hinter ihm auf und lächelte Toni zu.
Der Dicke ergriff ein Papier und setzte sich eine halbmondförmige Brille auf die Nase. „Hatten Sie nicht erwähnt, dass …“, er schielte über den Rand der Gläser, „ihre Tochter in Frankreich lebt.“
Toni zupfte an ihrer Halskette. Die krankhaft bedingte Verkalkung des Herrn schien sich in Grenzen zu halten. Ein Umstand, den ein paar Schweißtropfen auf Bärbels Stirn unterstrichen.
„Gewiss! Gemeldet war sie dauerhaft bei mir.“
„Wie Bitte!“, keuchte Toni auf Französisch. „Die ist bei uns. Hast du nicht gesagt, die gibt es gar nicht.“
Bärbel klopfte gegen ihr Ohr, zuckte dabei mit den Achseln.
Toni runzelte die Stirn. „Heißt das, du hast?“
Sie klopfte erneut. Toni zupfte am Ohrläppchen. Wollte sie nicht verstehen? Sie verschränkte ihre Arme und ließ sich auf den Stuhl fallen.

Der Admiral war total durchgeknallt, grummelte Toni, ohne ein Wort über seine Lippen zu lassen. Hatte sie ihn gegen die getauscht. Einfach so! Oder war ihr Verlangen ein andere? Das Geld im Schließfach nur ein Vorwand, sie zu übertölpeln, sie ihrem Ansinnen näherzubringen, sie zu ihrer Tochter zu verwandeln. Blödsinn! Ihr Streben Braut Christi zu werden war nicht gespielt, dies spürte er. Die Tatsache, ein volljähriges Adoptivkind zu haben, sicher außerhalb der Norm für eine Nonne, aber ein leibliches Kind? Wäre sie Priester, dann kniffen die Oberen unstrittig ein Auge zu. Dagegen als Frau.
Sie hatte einen Traum gehabt. Die Vereinigung mit einem Mann wahrlich nicht erlebt. Aber glich ein Traum nicht einer Seemannsgeschichte, gepriesen von den eigenen Erfahrungen. Dann der Habit, das Nonnengewand in Bärbels Schneiderkammer. Die Weltreise.
Da log Bärbel, sie war eine Nonne, dessen war sie sich gewiss.
Toni riss ihre Augenlider empor. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Vielleicht irrte sie sich. Ihren Genen zu folgen, ein Junge zu sein, war für sie oft eine Qual gewesen, jedoch, sie betastete die himmelblaue Schleife in ihrem Haar, Antonia, Klara Sesemann auf Lebenszeit.
Ein Jahr auf einer Weltreise gerne, aber mehr war für sie nicht drin. Bärbel schien ihre Gedanken zu lesen.
„Keine Angst bis zu meinem Ausscheiden bleibe ich kommissarisch Amtsleiterin.“
Die Spannung ihres Körpers verflüchtigte sich.
Herr Mohnleib klopfte mit dem Zeigefinger auf den Schreibtisch. „So junges Fräulein, noch ein Autogramm und wir sind fertig.“
Toni stand auf, schlich wie ein Delinquent zu seinem Schafott und schrieb mit klarer kurviger Mädchenhandschrift.



Nesthäkchen im Ballett und Rock im Dom

Ein Windstoß lüpfte Tonis Rüschenkleid, dessen Saum sie mit beiden Händen bändigte.
„Wart!“, rief ihr Bärbel zu.
Die Finger fest am Stoff wandte sie sich um.
„Ich habe etwas für dich.“
Bärbel öffnete, ohne diese von ihrer Armbeuge zu nehmen, ihr türkisfarbenes Warenhaus, fischte einen rosafarbenen Briefumschlag heraus und hielt es Toni vor die Nase.
Befreit von der schützenden Umklammerung flatterte ihr Rock, wie ein loses Fock im Wind. Unschlüssig wendete sie den Brief.
„Mach auf!“
Sie riss den Umschlag auf, zerrte zwei Eintrittskarten heraus, schrie: „Schwanensee!“, und fiel ihr begeistert in die Arme. Sie zog den Kopf zurück. „Du magst doch kein Ballett?“
Bärbel kniff ein Auge zu. „Na ja. Die Stones wären mir lieber!“
Toni runzelte die Stirn.
„Ich meine Reinhard Mey.“
Ein Film flog über ihre Synapsen. Onkel Karl mit Mitra auf dem Kopf, den Bischofsstab in den Händen zur Luftgitarre entfremdet, hüpfte wie Keith Richard durch den Bischofssitz. An seiner Seite der Admiral, die gleich Woopi Goldberg in Sister Act ihre Hüften schwang.
„Lies alles!“
„Sonja!“, schrie sie.
„Ja.“ Bärbel wuschelte ihr Haar. „Ihre Eltern fahren mit euch nach Hamburg ins Theater am Großmark.“
Toni starrte weiterhin auf die Karten. „Russisches Staatstheater – Swetlana Jurjewna Sacharowa - Wow!“ Die Karten fest im Griff hüpfte sie, drehte eine Pirouette. „Wann?“
„Heute.“
„Heute?“
Toni zupfte an ihrem Kleid, starrte Bärbel an. „Ich habe nichts Passendes“, sie zuckte mit ihrer rechten Schulter, blinzelte ihr zu, „jedenfalls nichts für Ballett.“
Die Augen verdrehend, atmete Bärbel tief ein.



Premiere mit geerbtem Geschmeide

Bärbel schmiegte ihren Oberkörper an Tonis Rücken und strich über ihre Taille, über den seidigen Stoff ihres marineblauen Abendkleides und raunte „Ich habe eine Überraschung für dich. Augen zu.“ Sie berührte ihren Hals. „Augen auf!“
Toni hob den Kopf, beugte sich zum Garderobenspiegel um und betastete das glitzernde Geschmeide. „Für mich?“
„Leihgabe!“ Bärbel fuhr über den Rock ihres erikafarbigen Kleides. „Hat mir meine Mutter zur Reifeprüfung geschenkt“, wisperte sie, erfasste Tonis rechtes Ohrläppchen und steckte einen diamantenbesetzten Ohrhänger ins Ohrloch. „Wenn du dein Abitur bestehst“, sie befestigte den zweiten Ohrring, „dann gehört es dir.“
Toni wandte sich Bärbel zu und betastete den Ohrschmuck. „Sind die echt?“
Bärbel schüttelte den Kopf, berührte das Collier und glitt über die unzähligen Brillanten. „Nein. Echt Silber! Aber?“ Sie fuhr über ihre Unterlippe. „So vermögend war Nahne nicht. Allein für die Halskette ...“ Sie blickte zur Dielendecke, zum Boden. „Könntest du das ganze Haus kaufen. Einfacher Strass! Außerdem gehören ein Armband und ein Ring dazu.“
Die Türglocke läutete. „Das werden die Neumanns sein.“ Bärbel klatschte. „Ich bring dich.“
Toni stemmte ihre Fäuste in die Taille und zischte: „Ich bin doch kein Baby“ Sie lächelte, während sie sich ihre erikafarbene Handtasche schnappte.
„Die Neumanns werden große Augen machen, wenn sie dich sehen.“
„Glaube ich auch“, w
arf ihr Toni entgegen und
verließ ihr Heim.

Unerwarteter Besuch

„Steht dir.“ Bärbel musterte die Frau von den weißen Pumps bis zu dem gewellten, taillenlangen, tiefschwarzen Haar. „Spießig aber stimmig.“ Sie kehrte ihr den Rücken zu. „Meins, ist es nicht!“
Sie fasste an den blütenweißen schwarz gepunkteten Rock und folgte Bärbel. „Hey! Vintage ist eben total hipp!“
„Waren Hawaiihemden und Schlaghosen gleichermaßen. Was treibt dich her?“, brummte Bärbel, verharrte, drehte sich um, schloss die Frau in ihre Arme und weinte. „Wie ich dich vermisst habe.“
„Ich dich ebenso“, schluchzte die Schwarzhaarige. „Bald wird alles gut. Wir dürfen uns nur kurz sehen.“ Sie löste die Umarmung und tupfte ihre Augen. „Sonst fällt es auf!“ Sie öffnete den Metallverschluss ihrer weißen Henkeltasche, zückte ein Taschentuch und nahm damit die letzten Tropfen von ihrer Wange auf. „Hast du die Papiere für sie beantragt, die Sache mit den Beweisen geklärt, sie eingeweiht?“
Bärbel wiegelte ab. „Langsam mein Kind: Ja, ja, das Nötigste.“
Sie hob die Schultern. „Warum Holland?“
Die Frau schwang ihr Haar über die Schulter und strich über eine Narbe am Nacken.
„Weil ich näher bei ihr bin. Steven dort eine Arbeitserlaubnis bekommen hat und niemand sich umdreht, wenn ein Schwarzer über die Straße geht!“
„Aus deinem Mund.“
„Kommt auf die Betonung an. Außerdem habe ich eine Klinik gefunden, die für Geld ein paar Augen zudrückt.“
„Hat ja einen Vorteil, dann tust du endlich mal etwas Vernünftiges. Hauptsache du machst keine Fehler.“
Sie ballte eine Faust. „Was soll das heißen?“
„Warum nehme ich wohl die Geschäfte wieder selbst in die Hand“, gab Bärbel gereizt zurück.
„Ich habe immer in deinem Interesse gehandelt.“ Sie drohte. „Hättest du mir erzählt, was du die ganzen Jahre in Wahrheit getrieben hast, hätte ich es einfacher gehabt.“
Bärbel grinste. „Unkenntnis“ - „Einfalt schützt!“

„Wenn überhaupt in unserem, aber mit welchen Erfolg?“ Bärbel drückte die Handflächen an ihre Schläfe. „Wie kannst du dich nur auf diese widerwärtige Schlange einlassen.“
Sie spähte in die Küche. „Gehört alles zum Plan! Wo ist sie?“
„Mit einer Freundin weg. Glaubst du, ich hätte dich sonst hereingelassen.“
Die Schwarzhaarige kehrte auf einem Absatz, hob die Hand und tippte auf ein Kruzifix. „Wie geht es ihr?“
„Sie ist … sagen wir mal … macht Urlaub. Eher sucht ihr Ich bei den Bernhardinerinnen. Warum fragst du!“
Die Dame fasste an ihre Nase. „Ich glaubte, … kann nicht sein.“
Sie wandte sich erneut Bärbel zu. „Ist Post für mich gekommen?“
„Nein! Nicht das ich wüsste.“
„Ich muss dann.“
„Verabredung?“ Bärbel nahm die Frau in ihre Arme und hauchte ihr einen Kuss auf die bleichen Wangen, deren Trauer nur die mit Rouge unterlegten Wangenknochen unterbrachen.
„Ich treffe mich mit Klara.“
Bärbel zog ihre linke Augenbraue empor.
„Darf ich mich mit meiner“, sie blinzelte, „Schwester nicht verabreden?“ Sie lachte und stolzierte den Kopf erhoben aus der Wohnung.



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