Flucht über die Nordsee 68. Besuch der Queen

ahorn

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Besuch der Quee
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»Aspirant-Commissaris«, flüsterte ein junger Polizist, strich über den einzigen silbernen Stern auf seiner Schulterklappe, dabei steckte er den Kopf durch den Spalt zwischen Türrahmen und Türflügel, dessen Glaseinsatz mit einem Poster beklebt war.

Der Angesprochene sah auf, schwang den Kopf zur Seite, bedeckte sein Gesicht, zog die Finger über seine Wange und starrte ihn an.
Manchmal hasste er diese Grünschnäbel, die der Ansicht waren mit Saluten, sowie Dienstgradunterwürfigkeit im harten Leben einen Fall zu lösen. Teamarbeit war der Schlüssel zum Erfolg.
Er grinste. »Aspirant-Inspecteur de Vries.«
De Vries leckte über seine Oberlippe. »Kann ich sie stören?«
»Das haben sie bereits!«
»Eine Daaame möchte sie sehen! Dringend!« Er wandte erst den Kopf zum angrenzenden Großraumbüro, dann zurück zu ihm. »Privat!«
Er verdrehte sein Auge. »Wer ist den diese Daaame«, wiederholte er die Bezeichnung in der gleichen Tonlage.
Der Aspirant-Inspecteur steckte die Hand in seine Uniformhose, zerrte einen Zettel heraus.
Nicht einmal einen Namen konnte der Typ sich merken, brummte er in sich hinein.
»Madame«, der Polizist hielt das Papier an sein Gesicht. »Tanja Sengbein-Tütken.«

Ihm blieb sein Herz stehen. Hatte sie sich aus Igors Fängen befreit? Wollte sie ihn bloßstellen?
Er streckte den Hals, richtete den Jackenkragen, strich über die goldene Krone seines Schulterabzeichens. »Bitte!«
De Vries schloss die Tür hinter sich.
Er räumte den Schreibtisch auf, indem er alle Unterlagen in eine Schublade warf, setzte die Sonnenbrille auf. Reizen wollte er sie nicht. Sie hasste es, wenn das rechte Auge sie betrachtete, das Linke starr, Tod, kalt sie missachtete. Bei Verhören verwirrte der Blick die Täter, verleitete sie zu einem Geständnis. Soweit war er nicht bei ihr. Die Zunge über die Schneidezähne gleitend, legte er seine Unterarme auf den Tisch, richtete den Oberkörper auf und erwartete das Klopfen des Lakaien.

»Bitte!«
De Vries schwang das Türblatt auf, behielt die Türklinke mit der einen Hand umgriffen, zeigte wortlos mit der anderen auf die Frau.
Eine Dame, welche, wie die englische Königin bei der Abnahme der Garde, mit erhobenen Haupt, gekrönt mit einem sandgelben Dutt, durch die Reihen schritt, nur, dass die Soldaten nicht aus Fleisch und Blut, sondern Bürotische waren. Ihre orangefarbene Henkeltasche in ihrer linken Armbeuge, den Unterarm an der Jacke ihres orange-schokoladenbraun karierten Kostümes platziert. Die Rechte wie zum Salut am Bügel der Sonnenbrille gelegt. Sie mit festen Schritt einen Fuß vor dem anderen, die hohen, schlanken Absätze der orangefarbendenden Pumps in die verschließende Auslegware bohrte.

Im fiel die Kinnlade herunter, als er sie erkannte. Das Wort Klara, welches er auf der Zunge spürte, damit drohte über seine Lippen zu springen, schluckte er hinunter. Sie stockte auf Höhe des Inspecteurs unmerklich ihren militärischen Gang und bedeckte kurzzeitig ihren Mund.
Hatte sie ihn erkannt, spekulierten seine Synapsen. Unmöglich! Klara war fast ein Baby, als er sie das letzte Mal auf dem Schoss wiegte. Bei Josephines Hochzeit, sinnierte er. Gestrichen! Er hatte jeglichen Kontakt mit ihr vermieden. Ansonsten hatte er sie beobachtet, so weit es ging, ihren Lebensweg begleitet.
Ihren Marsch wieder aufnehmend, durchbohrte sie den Teppich, bis sie den Schreibtisch erreichte. Er erhob sich, schloss den obersten Knopf der Uniformjacke, dann hielt er ihr - ein höfliches Lächeln auf den Lippen - die Hand hin.
»Frau?« Mehr sagte er nicht, um ihr nicht etwas in den Mund zu legen, das er später bereute. Fehler wiederholen nicht sein Naturell.
Klara ergriff seine Hand. »Tanja Tütken.« Sie zog ihre linke Schulter an ihre Wange und grinste, wie ein ertapptes Schulmädchen. »Pardon! Tanja Sengbein-Tütken. Ich habe vor kurzen geheiratet.«
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Danke!« Klara kniff ein Auge zu und schielte ihn halb von der Seite an. »Sie sind Joos van Düwen?«

»Seit meiner Geburt«, gab er ihr mit einem Lächeln, um die Situation zu lockern, von sich.
Er zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Bitte setzten sie sich!«
Sie strich ihren orange-schokoladenbraun karierten Rock an ihr Gesäß, nahm Platz, überschlug ihre Beine und stellte ihre Handtasche, umklammert von ihren Fingern, auf ihren Schoss.
»Herr van Düwen, sie sprechen ein ausgezeichnetes Deutsch«, lobte Klara.
Er setzte sich. »Meine Eltern haben uns Jungen dazu animiert alle drei Sprachen zu beherrschen: flämisch, wallonisch sowie deutsch.«
Klara zog ihre schokoladenbraun gefärbten Augenbrauen zusammen. »Deutsch?«
»Im Grenzgebiet lebt die deutsche Minderheit!« Joss zuckte mit den Achseln. »Tee, Kaffee?«

Sie wandte ihren Oberkörper, umfasste mit ihrer rechten Hand ihr Knie, das in seidigglänzenden hautfarbenen Strumpfware steckte und schielte ihn erneut an. »Früchtetee?«
»Magen?«
Sie senkte den Kopf. »Ich habe ihnen gesagt, dass ich frisch verheiratet bin.«
Die Spitze stutze ihn. Wollte sie ihm eine Schwangerschaft unterbreiten, auf milde hoffen.
Joos wechselte ins Flämische. »De Vries ein Malve-Tee ferner ein Kaffee, schwarz, stark«, befahl er.
Der Polizist, der weiterhin die Türklinke in festen Griff hielt, hob die linke Augenbraue. »Malve-Tee«
Joos ballte seine Hände zu Fäusten. »Mensch, das Zeug was sie immer saufen und raus!«, donnerte er ihm entgegen.

»Madame Tütken-Sengbein ...«
Klara hob die Nase. »Sengbein-Tütken«, zischte sie.
»Madame Sengbein-Tütken«, setzte er erneut an, »sie sind sicherlich nicht erschienen, um bei einer Tasse Tee über die deutsche Minderheit in Belgien zu plaudern.«
»Nein!« Tanjas war ruhig, nur ihrer rechte Hand vibrierte. Sie öffneten den Metalverschluss der Handtasche. Ihre Finger zitterten in das Sachengrab einer Frau und zogen ein kreditkartengroßes Stück Papier heraus. »Die hat mir eine Freundin überreicht.«
Joos beugte sich vor. Es war eine alte Visitenkarte. Im ersten Momente spekulierte er, inwiefern Josephine ihr diese übergeben hatte, verwarf sofort den Gedanken, denn weder sein Dienstgrad geschweige das Logo, waren auf den neusten Stand.
Er zückte eine Karte von einem Stapel, legte sie über die Alte und grinste. »Die ist neuer!«
Die Visitenkarte, die Klara mitgebracht hatte, segelte auf den Schreibtisch, woraufhin Joos diese mit dem Fingernagel seines rechten kleinen Fingers zur Seite schob.

Joos strich über ihre Hand. »Jetzt verraten sie mir, was sie zu mir treibt?«
Klara presste ihre orangerot bemalten Lippen zusammen, fuhr mit der Zunge über ihre Oberlippe, danach erzählte sie die Geschichte von der Scheune.
Er kannte die Erzählung von Josephine, sowie der anderen falschen Tanja. Mit den Unterschieden, dass der Bericht seiner Tochter abwich. Kein Wort von amourösen Abenteuern kam dort vor. Gespielt, gelesen hatten sie in der Scheune, am Abend Tanja heimgeschickt. Auf der Stiege war eine Stufe zerbrochen, dadurch das Mädchen gestürzt. Ab diesem Punkt verliefen alle drei Geschichten im Gleichklang.
Klara die sich als Tanja ausgab, erwähnt keine Namen, dafür ihr Bericht eins zu eins identisch mit dem seiner Ex-Verlobten, wie einstudiert, auswendig gelernt. Wer von wem abgeschrieben blieb außerhalb seiner Wahrnehmung. Trotzdem hielt er Klaras Aussage, als das Original. Ihre Sprechweise hatte mehr Gefühl, schwang, zitterte. Nur bei einer Szene klang ihre Stimme nüchtern, obwohl ihre Augen feucht, wie ein Leser eines guten Buches, welcher mit dem Protagonisten mitleidet.

»Sie wurden?«, verlangte er ein Zeugnis.
»Ja!«. Klara senkte den Blick. »Danach hat er mich gefesselt und ist verschwunden!«
In all den Protokollen, die er immer, immer wieder studiert hatte, stand nichts darüber, inwieweit sie damals misshandelt, vergewaltigt wurde.

»Bedank de Vries.« Joos wandte sich Klara zu. »Zucker!«
»Danke nein!«
»Ihr Schicksal nimmt mich mit. Ich verabscheu Gewalt. Diese erbärmlichen Kerle«, er ballte eine Faust, »zerdrücken, zerquetschen. Pornografie, Prostitution unterbinden, die Freier betrafen. Jeden der einer Frau, einem Mädchen«, er schlug auf den Tisch, »die Genitalen abreißen.« Er sengte den Kopf, stützte die Stirn mit seinen Händen. »Aber wie, wenn ich es könnte, soll ich ihnen nach all den Jahren helfen!«, presste er hervor.

Die eignende Schuld materte ihn. Hätte er damals nicht an einen dummen Mädchenstreich geglaubt, sein eigenes Schicksal damit verknüpft, sich zu erkennen gegeben, in die Ermittlung eingegriffen. Sie säße ihm nicht gegenüber.

Die Augen zu schlitzten, die Lippen geschürzt, zitterten Klaras Finger auf ihren mit Rouge bedeckten Wangenknochen. »Er ist wieder da!«
Joos zog den Kopf zurück, hob die Augenbrauen. »Wer?«
Mit einem Griff fischte Tanja einen Brief aus ihrer Handtasche und knallte ihn vor seine Nase.

Die Augen auf den Umschlag gerichtet, krochen seine Finger hin, nahmen ihn in Besitz. Er riss das Papier aus der Hülle. Es war der gleiche Brief, den er bekommen hatten. Bunte Letter aus Zeitungen, Zeitschriften bildeten den Text. Die Form, die Farbe wichen von seinem ab, dennoch war der Inhalt deckungsgleich.
»Jubiläum im zwanzigsten Jahr,
damals krümmte ich euch kein Haar.
Wollte meinen Spaß haben,
mich an euerer Unschuld erlaben.
Zu alt seid ihr bereits für mich,
eure Töchter aber nicht.
Zur gleichen Zeit, am gleichen Ort,
fahren wir am Reiterhofe fort.
Wenn ihr nicht kommt alle Sechs,
und bring das Pfand, das ich find,
dann hohl ich mir eins nach dem anderem.
Solang sie Jungfrauen sind«,​
las er vor und schüttelte den Kopf. »Kinderstreich!«, wiegelte er ab.
Der Satz, dass er sich nicht einmischen solle, fehlte, was die Seriosität des Briefes unterstrich. Es sei denn – diese Spekulation hatte er nicht gestrichen – die Frauen selbst Urheber des Briefes.

»Dachten wir, dann hab ich ihn gesehen«, zischte Klara und leckte über ihre Oberlippe. »Wir wollen ihm eine Falle stellen!«
»Wie Bitte?«
»Wir haben Klara gefunden«, sie verdrehte die Augen, »Josephine kennt jemanden, der sie entdeckt hat!« Sie schnippte mit ihren Fingernägel. »Die Mädchen machen mir Sorgen.« Sie rieb über ihre Augenbrauen. »Wir haben gar keine Kinder!«
Joos sperrte den Mund auf. Sie nannte Namen. Ihre vorherige Diskretion, schlug in Intimität um, als spreche sie mit einem guten Freund.
Klara atmete tief ein. »Ich hatte ein Säugling, habe es gleich weggeben« – »Klaras Baby ist nach der Geburt gestorben und«, sie hob die linke Augenbraue, »Josephine hat ein Junge gerade zwei.«

Joos senkte die Schulterblätter, lehnte sich zurück. »Ich verstehe überhaupt nicht!«
Was hatte sie vor? Wollte sie ihm eine Falle stellen? Wusste sie, wer er war? Das er schuldig! Er musste sich vorsehen.
»Ich wollte das ganze Abblassen, zur Polizei gehen. Aber damals hat uns niemand geglaubt. Josephine will es durchziehen.«
»Ohne Mädchen«, murmelte er. Die nach ihrer Aussage nicht existierten, somit kein Leid zugefügt werden konnten. Sie redete dummes Zeug.

»Wir haben uns Mädchen besorgt. Meine Schwester ...« Joos flog ein Lächeln über das Gesicht. Klara bestätigte, dass die Ex-Verlobte eine Hochstaplerin war. »Meine Schwägerin, sowie - « Klara blickte zur Zimmerdecke. »Na ja, eine Freundin.«
Er kniff sein Auge zu, stützte sein Kinn auf und beugte sich vor. »Sie können zurückrudern!«
»Nein!« Klara malträtierte ihre Handtasche. »Er war bei mir«, grollte sie, neigte sich ebenfalls vor bis ihre Nase eine Armbreite vor seiner, zum Stehen kam. »Er kennt unser Kind!«

weiter zum nächsten Teil 69. Seemannsgrab
 



 
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