Flucht über die Nordsee 75. Chaos In Lesotho

ahorn

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Chaos in Lesotho
Joos huste sich seine halbe Lunge aus dem Leib und sehnte sich in das Zentralarchiv in Brüssel. Nicht minder verstaubt dafür kühl - keine über vierzig Grad - sowie die Akten gepflegt. Nach welchem System sie in diesen Verschlägen ablegten ihm nach mehreren Stunden weiterhin ein Rätsel.

Eine schokoladenbraune Hand stellte eine Tasse Kaffee auf einen Hocker, der rechts neben Joos stand.
»Fündig geworden?«
Er wandte sich zu dem grinsenden Geschöpf um, welches mit der einen Hand durch sein kurzes krauses tiefschwarzes Haar fuhr. Dabei drückte sie die andere lässig in die Taille und klopfte mit dem kleinen Finger auf den Bund ihrer erdbeerroten Hotpants.
Joos wedelte sich mit der Akte, welche er in der Hand hielt, Luft zu.»Bei der Ordnung hier.«
Sie verschränkte die Arme, hob ihr schneeweißes Top, bis ihre Brüste fast die verdeckende Hülle verließen und presste die waffenscheinpflichtigen tiefrot lackierten Fingernägel in ihre schmächtigen, mattschimmernden Oberarme.
»Ich finde alles! Wenn du mir sagen würdest, nach was du suchst, dann könnte ich dir helfen.«
Wie alle Archivleiter auf der Welt sich glichen. Jede Anfrage beantworteten sie, als hätte man die Absicht mit der geliebten Tochter auszugehen. Zumindest war die Frau neben ihm ein Hingucker, nicht wie Mechthild - die gute alte - die zugegebenermaßen von ihrem Körperbau her eine passende Besetzung im Ring der Nibelungen bot.
Joos zupfte an dem an seiner Haut klebenden Hemd.»Was halten sie davon, heute Abend mit mir essen zu gehen.«
Sie klimperte mit ihren verlängerten Wimpern.»Wir waren bereits beim Du«, entgegnete sie.»Hast du überhaupt schon ein Hotelzimmer?«
»Nein! Hatte keine Zeit.«
»Kannst bei mir Pennen«, sie rümpfte die Stupsnase,»und duschen.«

Ein Themenwechsel war angebracht.
»Du bist dir hundertprozentig sicher, dass alle Akten aus Lesotho«, sein Zeigefinger kreiste durch den Raum, »hier eingelagert sind.«
Sie stemmte die Daumen in ihre schmale Taille und presste die blutroten Lippen zusammen. »Bigre!«

Ein Schmunzeln flog über seinen Mund. Nicht allein, dass sie sich ausschließlich auf Französisch unterhielten, ihr französisch war perfekt, nach ihrer Aussage hatte sie in Frankreich studiert, war ihr Fluchen niedlich, verführerisch.
»Ich war für die Zusammenlegung verantwortlich und«, sie erhob ihre Nase und schnippte, »habe kein Stück Papier zurückgelassen.« Sie drehte sich auf den Absätzen ihrer Espadrilles. Dann stampfte sie, dabei mit ihrer Hüfte schwingend, aus dem verstaubten Raum.

Joos kraulte seinen Nacken. Was man mit einem Stück Papier erreichen kann. Gefälscht war die Legitimation nicht, eher abgeändert hatte er die Befugnisse, die er von Interpol erhalten hatte.
Seine Ex-Verlobte ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Der Mittelsmann hatte ihm mitgeteilt, er könne nichts mehr für sie tun, da sie längst auf dem Weg nach Russland wäre. Aber bevor er die Reise antrat, sie zu befreien, wollte er eins wissen. Wer war sie?
Die Haftanstalt, aus der er sie geholt hatte, war der Auftakt der Geschichte. Wie entsetzt war er gewesen, nachdem er gesehen hatte, dass das Gefängnis geschlossen, abgerissen in Trümmern vor ihm lag. Der Freund sowie Leiter der Anstalt, wie er von Evelin, der hübschen Archivleiterin, erfahren hatte, an seiner Lust an jungen Männern verstorben, von AIDS hingerafft war.
Sollte alles umsonst gewesen sein? Keinen Anhaltspunkt erspähte er in diesem Chaos. Evelin einzuweihen zu gefährlich.

Eher gelangweilt schlug er den Deckel der in seiner Hand ruhenden Akte auf. Ihm stockte der Atem. Nicht nur, um besser lesen zu können, sondern sein Auge zu reiben, nahm er die Sonnenbrille ab. Es war nicht das, wonach er suchte, aber dennoch erstaunlich, verwunderlich.
Er hielt ein sich langsam in seine Bestandteile auflösende Entlassungsschreiben in den Händen. Es nicht ihres, darüber hätte er sich gefreut, sondern von Stephen Dohnhöfer.
Die Akte gegriffen, stand er auf, marschierte an den Regalen vorbei. Was hatte der Junge in einem Frauenknast zu suchen und warum? Das Dokument gab nichts her. Bloß, dass er gute zwei Jahre nach Antons Tod in die Freiheit kam. Er wusste kein bisschen über ihn, er war nie Teil der Ermittlung gewesen. Dass was er kannte, entstammte einzig den Aussagen seiner Freundin. Der Frau, welcher er das Vertrauen geschenkt, die er in Stich gelassen hatte. Angesetzt hatte er sie, um mehr zu erfahren, was Klara und Josephine vorhatten. Er sie als das Geisterwesen Jannette verkauft hatte, an das Gertrud glaubte.
Joos ergriff die Kaffeetasse und presste das Porzellan an seine Unterlippe. »Gott habe die arme, verrückte Seele selig«, murmelte er in die Tasse.

Im Stechschritt ging er zurück, zupfte an seiner Nase und überlegte wo er das Dokument in dem Durcheinander gefunden hatte. Akten flogen zur Seite, bis er innehielt.

Joos hielt ein mit einer Kordel gebündelten Aktenstapel in den Händen. An dem Band hing ein Zettel mit einem Namen.
»Klara Weber«, zischte er.
Er runzelte die Stirn und kratzte sich im Genick.
»Klara ist Tod«, murmelte er. »Die Falsche. Die Echte nicht«.
Er riss die Kordel von den Dokumenten und schlug die erste Akte auf.
Es war die Vernehmungsakte, in der die Staatsanwaltschaft Klara beschuldigt, Anton erschossen zu haben. Joos strich über seine Lippen. Wer war die Angeklagte? Tanja? Sie sahen sich ähnlich, aber war sie nicht bei dem Unfall ums Leben gekommen oder doch seine Verlobte. Die Fotos halfen ihm nicht weiter. Die Zeit, das Klima des Landes hatten sie altern lassen. Es hätten Bilder seiner Großmutter sein können. Jedenfalls entnahm er den Schriftstücken, dass das Gericht sie zu lebenslanger Haft verurteilt hatte. Ein anderes Foto verwunderte ihn. Es war eine Aufnahme seines Freundes hingestreckt, liegend auf dem Sofa, das schäbige Unterhemd triefend voll Blut.
Joos fotografierte mit dem Smartphone die Akten ab.
Beim Zurücklegen fiel ihn ein weiteres Bündel auf.

Er drehte das Namensschild. »Tita de Klandt«, murmelte er.
Den Namen vergaß er nie. Es war die Frau, die ihm Informationen über den Mädchenhändlerring preisgeben wollte. Für dessen Aussage er nach Lesotho gereist war und seine Ex-Verlobte kennengelernt hatte. Sie war Prostituierte. Hatte nach ihrem Dienst die Geldbörse des Freiers, ein Soldat der südafrikanischen Armee, entwendet und im Streit diesen erstochen. Verurteilt zu lebenslanger Haft verbüßte sie ihre Strafe mit der angeblichen Klara in einer Zelle. Diese Fakten entnahm er einer Akte der Haftanstalt. Nur warum in Lesotho? Sie Südafrikanerin, er Südafrikaner! Ein Gericht aus Lesotho damals gar nicht zuständig gewesen.

Joos strich über ihre schokoladenbraunen Wangen. »Nett dich kennengelernt zu haben«, hauchte er.
Evelin blinzelte ihm zu. »Hättest die Nacht bleiben können.«
Er schüttelte den Kopf und klopfte auf den neben ihm stehenden Reisebus. »Mein Flug geht früh. ch kann im Bus schlafen.«
Ihre Fingerspitzen glitten über ihr kurzes schneeweißes Spitzenkleid. »Ich mag dich, aber ein bisschen alt bist du schon, außerdem«, ihre zarten Finger zeigten auf einen jungen zu ihnen aufschließenden Mann.
Mit festen Händedruck verabschiedete sich Joos. »Sam, nett dich kennengelernt zu haben.«
Evelin hauchte Joos einen Kuss auf die Wange, bevor der Reisebus ihn verschluckte.

Er machte es sich im Bus bequem, soweit man sich in einem Überlandbus von Maseru nach Durban gemütlich machen konnte. Beim Buchen des Flugtickets hatte er darüber nachgedacht einen Flugschein nach Moskau zu lösen, sie zu befreien, aber der Zugriff daheim war zu wichtig für ihn.
Die stämmige Dame neben Joos drückte ihm einen Käfig, in dem ein Hahn sich aufplusterte, gegen das Gesicht. Ein alter Gockel war er, nicht mehr dreißig. Was bildete er sich überhaupt ein.
Die knappen ehrlichen Worte von Evelin hatten ihm die Augen geöffnete. Er hatte sich in sie verliebt. Aber sie? Nein! Er machte ihr keine Vorwürfe, egal ob sie Tanja, Tita oder wer weiß wer war. Sie wollte nur leben. Er hatte sie ausgeliefert.
 



 
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